Fluch der Träume - Stephan Fölske - E-Book

Fluch der Träume E-Book

Stephan Fölske

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Beschreibung

Was haben das Warschauer Ghetto, die Deportation von Juden und die Schreckensherrschaft der SS mit den Erlebnissen zweier junger Männer zu tun? Warum widerfahren den beiden Freunden immer wieder an Sprünge in der Zeit erinnernde Träume? Warum müssen sie die Brutalität der Täter und das Leid der Opfer so nah miterleben – zusätzlich aus verschiedenen Blickwinkeln? Welche Verbindung hat eine alte Taschenuhr zu den Geschehnissen? Unsere Freunde geraten in ein ungewolltes Abenteuer, das unerkannte Gefahren birgt. Was haben Geheimdienste und ein gewisser Gröber mit all dem zu schaffen? Es wird brenzlig für unsere beiden, denn Unfälle, Mord und Entführung begleiten ihre Suche nach einem Ausweg aus dem Teufelskreis. Doch am Ende steht ein Geheimnis, von dem sie nicht einmal etwas ahnen. Michaels Träume beginnen harmlos und enden in einer Katastrophe. Sein Freund Flocke eilt ihm zur Hilfe, gerät aber in die Fänge der bösen Kräfte in diesem Spiel, und selbst eine gute Freundin vom BKA scheint an ihre Grenzen zu stoßen. Fluch der Träume – Vernichtung, ein aufregender Roman, ein fiktiver Thriller und ein spannender Krimi, der dem Leser/ der Leserin die Schrecken von Auschwitz, die Verbrechen der SS und ein wenig geschichtlichen Hintergrund vermitteln möchte. Dabei steht er nur für den Beginn einer Reihe von Abenteuern.

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EPUB

Veröffentlichungsjahr: 2025

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Stephan Fölske

Vernichtung

Fluch der Träume

Fiktionaler Roman

Impressum

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar.

Texte und Umschlag © 2019, 2025 Stephan Fölske

Neue Auflage Januar 2022, 2025

Korrektorat: Projekt Lektoratweitere Mitwirkende: Anja Klukas, Tanja Ferdinand, Pia Schillinger

Herstellung: epubli - ein Service der neopubli GmbH, Köpenicker Straße 154a, 10997 Berlin

Kontaktadresse nach EU-Produktsicherheitsverordnung: [email protected]

Wer leugnet,der verweigert sich dem Denken.

Wer nicht denkt,kann nicht prüfen.

Wer nicht prüft,führt blind Befehle aus.

Wer das macht,hat weder Gewissennoch Geist oder Gefühl.

Stephan Fölske im März 2019

Kapitel 1

Kann das sein?!

Er konnte seinen Blick nicht vor ihr abwenden. Ihre großen klaren Augen faszinierten ihn. Die Erinnerung an die Vergangenheit war sehr präsent, denn schon damals hatte sie diesen wundervollen Blick gehabt. Die vielen Jahre hatten nichts von seiner Faszination für sie eingebüßt.

„Es ist wirklich eine Ewigkeit her“, stammelte er und schämte sich, weil er sie so anstarren musste. Ständig versuchte er, ihre Gesten und ihre Mimik zu deuten. Natürlich war ihm klar, dass er nicht in ihren Kopf schauen konnte, und außerdem war er nervös. Da war es wieder, das kleine Grübchen an ihrem Mund, als sie ihn anschaute.

„Es stimmt! Auf den Fotos habe ich dich gar nicht wiedererkannt.“

Dies war nun etwas, was er gar nicht hatte hören wollen. Verlegen griff er zum Becher und nahm einen Schluck Kaffee. Der war noch so heiß, dass er sich den Mund verbrannte. Doch er verzog keine Miene, weil er sich keine Blöße geben wollte. Dabei ging es ihm nicht darum, keine Schwäche zu zeigen, sondern nur darum, sich nicht weiter zu blamieren. Es kam ihm so vor, als wäre er wieder 16. Aber damals war er nicht so kopflos gewesen wie in diesem Moment. Er lächelte sie an:

„Tja, kann sich nicht jeder so gut gehalten haben wie du.“

Treffer versenkt!

Mit dieser Aussage hatte er jetzt endgültig den Vogel abgeschossen. Wenn er an einem Wettbewerb in Dummheit teilgenommen hätte, wäre er der Sieger gewesen. Er fühlte sich, als falle er in das tiefste Loch, das es auf diesem Planeten gab.

*

Schweißgebadet erwachte er und wusste für einen Herzschlag nicht, wo er war.

Kurz darauf holte ihn die Realität ein und sickerte langsam in sein Bewusstsein. Ein Traum, ein verdammter Traum, und zudem noch ein miserabler. Kurz drehte er sich um und tastete mit der rechten Hand nach seinem Tablet, um die Uhrzeit zu bestimmen.

„Oh, es war erst 5 Uhr“, und er war schon hellwach.

In den letzten Wochen war er, häufig von merkwürdigen Träumen verfolgt, früh morgens erwacht und hatte nicht mehr schlafen können.

„Wie gut, dass ich diesen Wahnsinn bald vergessen kann!“, sprach er sich selbst zu, um sich zu beruhigen. Aber egal, wie er sich mit anderen Gedanken abzulenken versuchte, erneut blieben Teile dieser vielen gemeinen Träume in seinem Kopf zurück. Er konnte, nein, er wollte mit niemandem über seine derzeitige Situation reden, weil es stets alles sehr peinlich war, und vor allem war es ihm einfach nur suspekt, mit diesen Resten seiner Erinnerung ständig konfrontiert zu werden. Wem sollte er auch davon erzählen? Seit Jahren lebte er allein in einer kleinen Wohnung in einem Wohnblock. Hier kannte niemand den anderen, und selbst wenn er Kontakte hätte aufbauen wollen, wären sie nie über die Oberflächlichkeit hinweg gekommen.

Leichter Schwindel überkam ihn. Er beschloss sich noch einmal umzudrehen.

*

Der Mann vor ihr war so nervös, dass es fast schon albern war. Er ein erwachsener Mann und benimmt sich wie ein kleiner Junge, dachte sie.

„Es ist wirklich eine Ewigkeit her“, stammelte er, und sie musste sich zwingen, seinem intensiven Blicken Stand zu halten.

Wir sind doch erwachsene Menschen, dachte sie und verdrehte innerlich die Augen. Vielleicht sollte sie etwas zu ihm sagen?

„Das stimmt, auf den Fotos habe ich dich gar nicht wiedererkannt.“

Natürlich war das nicht unbedingt das, was er gerne hätte hören wollen, aber warum sollte sie dem Mann vor sich etwas vorspielen? Sie waren ein Paar gewesen, und dies war wirklich eine Ewigkeit her. Jetzt hatte er sich scheinbar den Mund mit heißem Kaffee verbrannt.

„Wie peinlich!“, dachte sie, sagte aber nichts. Sie nahm einen kleinen Schluck Kaffee und wartete ab:

„Tja, kann sich nicht jeder so gut gehalten haben wie du.“

Innerlich musste sie auflachen. Die Situation war mehr als peinlich, ja fast beklemmend. Sie überlegte, wie sie dieses Treffen schnellstens wieder beenden konnte.

*

„Was war das?“, schreckte er hoch und schüttelte sich, um wieder klar zu werden. Ein erneuter Traum hatte nach ihm gegriffen. Es machte ihm Angst, was er erlebt hatte. Verwundert, nein eher verwirrt setzte er sich. Er versuchte sich seiner Realität bewusst zu werden.

„Werde ich nun endgültig verrückt, oder habe ich einen Hirntumor?“, fragte er sich, während er sein Bett verließ. Ihm war sehr schwindelig, aber ob es vom langen Schlafen oder den Träumen kam, konnte er nicht genau sagen. Langsam und unsicher ging er in die Küche, nachdem er sich frisch gemacht hatte. Die Dusche hatte ebenfalls nicht geholfen, stellte er fest und musste sich an der Arbeitsplatte festhalten, als er den Wasserkocher befüllte, um sich einen starken Kaffee zu machen.

Kurze Zeit später saß er am Tisch, vor sich einen Becher mit dem dampfenden Heißgetränk und rieb sich die Augen.

„Was ist bloß los mit mir? Ob ich zum Arzt gehen sollte?“ Leichte Übelkeit und erneuter Schwindel überfielen ihn.

*

„Es ist mir egal! Der Befehl lautet, ein Koffer pro Person!“, brüllte der Offizier den Mann an, an dessen Seite sich zwei Kinder befanden.

„Aber wir brauchen ...“, schon wurde Koschel von dem Uniformierten unterbrochen, der fast bereits schrie:

„Was versteht ihr dummen Juden nicht? Ist es alles zu schwer für euch? Seit Wochen gibt es den Aushang im Getto, dass heute Abfahrt ist. Mit allen Anweisungen! Los jetzt! Den Rest lasst ihr hier.“

Gezielt trat er die Kisten, die gestapelt am Eingang standen, mit seinem Stiefel um, sodass Geschirr und Besteck auf dem Boden verteilt lagen.

„Jawohl!“, gab Koschel kleinlaut von sich und forderte liebevoll seine Frau und die Kinder auf, die Wohnung zu verlassen. Er selbst griff nach seinem Koffer.

„Recht so! Und nun los.“ Damit steckte der Offizier seine Pistole in das Holster und verließ als Erster die Wohnung, um mit seiner Faust an die nächste Tür zu hämmern.

Ein Soldat mit Maschinenpistole stand am Treppenabsatz und wies der Familie mit ernstem Blick, ja fast schon mit Abscheu in seinen Augen, den Weg zu dem vor der Tür stehenden Lastkraftwagen. Die Rosensteins und die Goldbergs standen bereits Halt suchend auf der Ladefläche.

„Ganz ruhig Kinder, steigt auf, und wir bleiben zusammen“, sagte der Mann und nickte seiner Frau aufmunternd zu.

„Wird schon nicht so schlimm werden, denn immerhin durften wir ein paar Sachen mitnehmen“, versuchte Levi seine Frau aufzumuntern, die erwiderte:

„Sonst hätten sie uns wohl gleich erschossen, oder?“

Sie kreischte auf, als sie plötzlich vier Schüsse hörte. Alle, die zusammengepfercht auf der Ladefläche standen, schauen nach oben.

„Das kam aus unserer Etage“, flüsterte er.

„Hoffentlich ist den Lehmanns nicht passiert“, sagte sie leise, und ihre Augen füllten sich mit Tränen, weil sie keine Hoffnung mehr hatte. Harte Schritte, der Offizier verließ das Gebäude und eilte auf den Wagen zu.

„Hey, ich brauche zwei Männer. Runter vom Wagen und vier von Euresgleichen aus der Wohnung oben holen. Ihr könnt die Leichen auf die Straße hier legen“, befahl er in einem scharfen Ton und machte eine Handbewegung.

„Los, Los!“ keifte er.

Levi Koschel nickte seiner Frau zu

„Ich komme gleich wieder. Herr Goldberg, helfen Sie mir?“

„Natürlich.“

Die beiden Männer sprangen vom Lkw und eilten die Treppe hoch. Der Soldat mit der Maschinenpistole stand oben, vor der Tür der Koschels. Levi erhaschte einen Blick in seine Wohnung, sein Herz wurde ihm schwer, aber er wurde von Goldberg weiter gezogen, der nun den Soldaten ansprach.

„Der Obersturmbannführer hat uns hergeschickt, wir sollen Leichen holen.“

„Dort rein!“ Er zeigte mit dem Lauf seiner Waffe auf die Tür der Wohnung Lehmann.

„Sehr wohl“, sagte Levi, und beide gingen in die Wohnung, in der es nach Pulver und etwas Anderem roch. Erst später würden sie wissen, dass Blut und tote Menschen so rochen.

Nachdem sie die vier Leichname auf der Straße abgelegt hatten, mussten sie den Wagen besteigen, der sich in Gang setzte. Levis Frau versuchte, seine mit Blut verschmierten Hände mithilfe eines Taschentuchs zu reinigen.

„Lass gut sein, Frau, sicherlich werde ich mich am Ende unserer Reise richtig waschen können.“

„Bestimmt“ lächelte sie ihn an und schaute traurig zu den Kindern, die sich angestrengt festzuhalten versuchten, denn alle mussten während der Fahrt stehen.

Von dem Offizier war nichts mehr zu sehen, aber Schüsse vernahmen sie, während sich der Konvoi in Richtung Bahnhof bewegte.

*

„Nein! Oh, mein Gott!“ Auf dem Boden liegend erwachte er und konnte nicht fassen, was er soeben erlebt hatte. Er war tatsächlich Levi Koschel gewesen und deportiert worden? Es hatte sich so echt angefühlt, und ihm war nicht klar gewesen, warum das nun wieder passiert war. Sein Hinterkopf schmerzte fürchterlich, und seine Ellenbogen ebenfalls. Langsam versuchte er aufzustehen, was ihm unter einem Stöhnen gelang.

Benommen nahm er Platz, der Kaffee dampfte noch, sodass er wusste, dass er nicht lange weg gewesen sein konnte. Die bohrende Frage, was mit ihm los war, überdeckt alle anderen Gedanken. Der Schreck saß ihm noch tief in den Gliedern, denn er war Levi gewesen und hatte wie er empfunden. Selbstverständlich war es ein Traum gewesen, denn in der Zeit zu reisen, war nicht möglich! Außerdem glaubte er an esoterischen Kram wie ein früheres Leben nicht. Doch es war so echt gewesen! In dem Traum zuvor hatte er die Rollen getauscht und die Situation erneut erlebt. Er fragte sich, ob es auch bei seiner letzten Erfahrung so sein würde. Das würde er nicht schaffen, denn Einfluss auf das Geschehen hatte er bisher noch nicht. Er musste nur mitmachen, als müsse er einem unsichtbaren Drehbuch folgen.

Er griff nach dem Becher und nahm einen großen Schluck des dampfenden Kaffees. Das war eine Wohltat, und es ging ihm bereits besser. Die Schmerzen ließen nach, doch sicherlich würde er heute noch mit Kopfschmerzen zu kämpfen haben. Wenn es nur das wäre, dachte er, und starrte auf sein Smartphone, um seine Nachrichten zu lesen. Nach ein paar weiteren Schlucken wechselte er zu den Nachrichtenseiten im Internet und stellte fest, dass die Welt verrückt war. Ein amerikanischer Präsident, der scheinbar „Hohl wie Paprika“ war und sich benahm wie die Axt im Walde, eine Bundesregierung, die sich nicht wirklich bewegte, und die Nachrichten aus der Wirtschaft waren ebenfalls nicht rosig.

„Tja, scheint wohl schneller mit uns bergab zu gehen, als ich angenommen habe“, sagte er zu sich selbst. „Wer weiß, vielleicht haben wir einen erneuten Kalten Krieg zwischen Russland und Amerika, die afrikanischen Staaten ersticken an unserem Wohlstandmüll, und die Araber bringen sich gegenseitig um. Aber was weiß ich denn schon?“

Den leeren Becher räumte er artig in die Geschirrspülmaschine und schaute hinauf zur Küchenuhr.

Er fluchte leise:

„Verdammt, stehen geblieben!“

Daraufhin holte er aus einer der Küchenschubladen eine neue Batterie. Mit einem Blick auf sein Handy ermittelte er die aktuelle Zeit und stieg auf den Stuhl, um die Uhr abzuhängen.

Erneut setzte er sich an den Tisch und blickte auf das Batteriefach, entnahm die wohl leere Batterie und betrachtete sie mürrisch.

„Wieder etwas mehr giftiger Müll“, sagte er zu sich und stand auf, um sie im Mülleimer zu entsorgen.

*

Dabei trat er die Kisten um, die polternd zur Seite fielen und ihren Inhalt aus Geschirr und Besteck auf den Boden entleerten. Ein Mann, dessen Kinder sich an seiner Seite festhielten, blickte ihn erschrocken an.

„Jawohl“ sagte dieser Mensch kleinlaut, griff nach seinem Koffer und trieb seine Familie liebevoll zur Eile an.

Währenddessen steckte er sich die Waffe in den Holster und atmete schwer. Er fühlte sich, als müsse er schreien, um die Befehle durchzusetzen. Dieses Pack will nicht hören, dachte er und ging in dem Flur zur nächsten Tür, an die er mit seiner behandschuhten Hand kräftig schlug.

„Los öffnen! Heute ist Abreise!“, sagte er laut und schaute auf das messingfarbene Namensschild, dessen Gravur den Namen >Lehmann< preisgab. Für einen kleinen Moment erschrak er und hörte sogar mit dem monotonen Klopfen auf.

Doch kurz danach fing er sich wieder und hämmerte weiter.

„Werde schon ganz wirr durch den Umgang mit dem Judenpack“, dachte er und interessierte sich nicht für den Namen der Leute, die hier wohnten, denn er würde sie sowieso nicht wiedersehen. Er wollte nur für den ordnungsgemäßen Transport sorgen.

„Sturmmann Müller“, rief er scharf und hörte die schweren Schritte eines Soldaten, der die Treppe hinaufeilte.

„Jawohl, Herr Obersturmbannführer!“, rief der Herbeigerufene zackig, während er die Hacken ordentlich zusammenschlug.

„Die Leute wollen sich unserem Befehl scheinbar widersetzen. Die Tür aufbrechen!“, befahl er, während er ein paar Schritte zurücktrat, um Müller Platz zu machen, der sich mit einem lauten

„Jawohl“ in Bewegung setzte und mit seinem Stiefel gegen das Schloss trat. Mit einem Knirschen gab die Tür nach und flog förmlich auf.

Angstschreie erklangen auf einem der Zimmer! Doch er ließ sich nicht beirren, sondern brüllte:

„Das war meine letzte Aufforderung! Kommt raus und geht nach unten. Jeder nur einen Koffer! Dann passiert nichts.“

Wieder nur Gewimmer und Schreie voller Angst.

„Ich zähle bis 3, und dann ist es aus!“

„Eins.

Zwei.

Drei.

Los Müller, erschießen Sie alle!“

„Jawohl, Herr Obersturmbannführer!“, erwiderte der Untergebene, lud seine Maschinenpistole und ging durch die Tür in die Wohnung. Kurz darauf folgten vier Schüsse. Mit einem Lächeln auf den Lippen dreht sich der Obersturmbannführer um, rückte seine Mütze zurecht und stieg die Treppe nach unten. Nachdem er das Haus verlassen hatte und auf den Gehweg getreten war, ging auf den auf der Straße stehenden Lkw zu. Wie die Tiere zur Schlachtbank, dachte er, als er die Menschen auf der Ladefläche betrachtete.

Mit einem finsteren Blick rief er in Richtung der Menschen, die ihn angst erfüllt anblickten: „Hey ich brauche zwei Männer. Runter vom Wagen, und vier von Euresgleichen aus der Wohnung oben holen. Ihr könnt die Leichen auf die Straße hier legen!“

Ohne abzuwarten, wandte er sich ab und ging zu seinem vor dem Lkw wartenden Kübelwagen, der dort mit laufendem Motor stand. Eiligst sprang der Fahrer heraus, eilte um das Fahrzeug und öffnete ihm die Tür.

*

„Jetzt reicht es“, schrie er, als er wieder realisierte, dass er erneut in seiner Küche stand und den umgefallenen Mülleimer sah. Erstaunlicherweise war er diesmal nicht umgefallen, sondern stand noch. Er war entsetzt von dem, was er erlebt hatte. Natürlich war es nur ein Traum gewesen, aber etwas war merkwürdig gewesen. Das erlebte Leid und die Kaltblütigkeit, die er hatte fühlen müssen, waren grausam gewesen.

„Das Leben ist hinterhältig“, murmelte er, räumte den Müll zusammen, stellte den Eimer wieder auf und setzte sich erst einmal.

Dann fiel ihm die Uhr ein, die er mit der neuen Batterie versehen wollte. Das ließ sich leicht erledigen, und nach Abgleich mit seinem Handy tickte die Uhr wieder artig an der Küchenwand und zeigte die aktuelle Zeit an. Der Gedanke an die Familie Koschel und ihr Schicksal ließ ihn nicht los, ebenso wenig seine Kopfschmerzen. Ob es sie vielleicht gegeben hat, fragte er sich und beschloss bei einem weiteren Becher Kaffee, seinen Rechner zu aktivieren. Vielleicht gab ihm das Internet eine Antwort. Wenn nicht, war das nicht weiter schlimm, denn es war ja nur ein merkwürdiger Traum gewesen.

Ein paar Minuten später hockte er vor seinem Computer, wartete, bis er hochgefahren war und meldete sich an. Ein paar Klicks und Tastatureingaben später schaute er gebannt auf den Bildschirm.

„Es gab Levi Koschel und seine Familie im Warschauer Getto, und sie wurden deportiert und sind im KZ gestorben“, sagte er laut, als er die Namenslisten im Internet durchging. Die anderen Personen, von denen er geträumt hatte, hatten ebenfalls tatsächlich gelebt. Die Erinnerungen an seinen Traum schossen förmlich in sein Bewusstsein, und er begann heftig zu zittern.

Er fragte sich erneut, wie es sein konnte, dass er etwas im Traum erlebt hatte, was wirklich passiert war, er aber nichts davon gewusst hatte. Nun folgte der Gedanke, ob es diesen abscheulichen Offizier auch gegeben hatte. Er war neugierig, was aus dem Monster geworden war und hoffte im Netz auch dazu einige Informationen zu finden. Doch, bevor er loslegte, fiel ihm ein, dass er dessen Namen gar nicht wusste, denn in seinem Traum war er nur mit seinem Rang bezeichnet worden.

„Mist, Mist, Mist!“, sagte er zu sich, beruhigte sich aber schnell wieder, als ihm einfiel, dass etwas Merkwürdiges passiert war, während er dieser Offizier gewesen war. Hatte er sich nicht, als er den Namen auf dem Türschild gesehen hatte, komisch gefühlt? Diese Frage ging ihm jetzt nicht mehr aus dem Kopf, und er beschloss, seine Träume aufzuzeichnen, damit sie nicht in seinen Erinnerungen verblassen würden.

Unter großem Druck begann er zu tippen, denn in ihm wuchs die Angst, dass ein erneuter und unerwarteter Traum ihn aus der Realität reißen könnte. Mittlerweile stellte er sich die Frage, was überhaupt noch real war und was nicht. Diese elende Unsicherheit und die verdammten Kopfschmerzen! Eine knappe Stunde später und ohne einen weiteren Aussetzer beendete er die Aufzeichnung seiner Erinnerungen.

Ob ich mal eine Anfrage an ein Archiv senden sollte? Vielleicht bekomme ich dort mehr, fragte er sich, verwarf aber vorerst den Gedanken, weil er keine Ahnung hatte, wo er hätte anfragen können. Außerdem brauchte er nicht die Rückmeldung, dass das alles zu verrückt klinge und er womöglich Besuch von der Polizei bekäme, die ihn die Klapse bringen würde. Aber loslassen konnte er nicht. Er war wie besessen von dem Wunsch, dieses Rätsel zu lösen. In seinem Bewusstsein machten sich heftige Zweifel breit, ob er nicht lieber erst einmal den Träumen selbst auf den Grund gehen und einen Arzt aufsuchen sollte.

Es klingelte an der Tür. Er schreckte auf, wurde aus seinen Gedanken gerissen und fragte sich, wer das sein konnte. Erst dachte er an die Polizei, aber dann beruhigte er sich wieder, weil er ja noch keine Anfrage versendet hatte. Erleichtert stand er auf und schaute durch den Türspion, dann öffnete er die Tür.

„Mensch, Flocke, was treibt dich denn her?“, fragte er und umarmte den Besucher zur Begrüßung.

„Hey Michael, wollte mal vorbeischauen, weil ich neugierig bin, wie es gestern Nacht noch gelaufen ist.“

Sie drückten sich kurz, und Michael stellte sich die Frage, was sein Kumpel da meinte.

„Äh, komm‘ erst mal rein. Willst du einen Kaffee?“

„Na klar!“ Sie gingen in die Küche, und Flocke nahm Platz.

„Was ist denn hier los?“, fragte er und betrachtete die Reste Müll, die noch neben der Tonne lagen.

„Oh, ich habe den Eimer umgeworfen und dachte, ich hätte alles wieder eingeräumt!“, antwortete Michael, machte jedoch erst einmal Kaffeewasser heiß.

„Hat dich dein Date so fertig gemacht?“, lachte Flocke und machte eine obszöne Handbewegung, während sein Freund den restlichen Müll auflas und wieder in die Tonne warf.

„Ich weiß nicht, was du meinst“, stammelte er und versuchte sich zu erinnern. Aber da waren nur die Kopfschmerzen, die Erinnerung an seine vier Träume und sonst gar nichts.

„Ach, komm‘ erzähl von dem Treffen und vergiss keine Einzelheiten.“

„Treffen? Gestern?“ schaute er Flocke verwirrt an.

„Alter, nun mach hinne.“ Flocke griff sich einen heißen Becher Kaffee und nahm einen Schluck, danach umschloss er den Becher, als wolle er seine Hände wärmen.

„Ja, äh, nein. Es gab kein Treffen, hatte kein Date. Kann mich nicht erinnern! Kann mich nur an Träume erinnern, nicht an ein reales Treffen“, erwiderte Michael und nahm sich ebenfalls einen Becher mit dem leckeren Getränk.

„Also Michi, wie jetzt? Habt ihr oder nicht?“ Er lachte.

„Nein, nichts. Ich kann mich nur an ein Treffen mit ihr in meinen Träumen erinnern.“ Und das war nicht einmal gelogen. Er wusste nicht, wie er es erzählen sollte, aber ihm war nun definitiv bewusst, dass es kein reales Treffen gegeben hatte.

„Okay, und du hast nur geträumt, dass ihr euch treffen wolltet? Du hast mir doch gestern spät nachts noch eine Nachricht geschrieben, dass sie da sei und ihr euch unterhaltet. Das finde ich etwas merkwürdig!“

„Wie jetzt?“ Er griff zum Handy. Es stimmte, er hatte um 23:40 Uhr seinem Kumpel geschrieben, dass er sich mit ihr unterhalte und alles prima sei.

„Und? Hast du oder nicht?“

„Nein, sie war nicht da, wirklich nicht! Ich habe keine Ahnung, denn ich bin gestern schon sehr früh ins Bett.“

„Also, während du schliefst, hast du eine Nachricht an mich gesendet?“

„Keine Ahnung!“ Michael überlegte, ob er von den anderen Träumen erzählen sollte. Vor allem, weil er währenddessen den Mülleimer umgetreten hatte.

„In letzter Zeit bin ich scheinbar etwas neben der Spur.“

„Das kann man wohl sagen, denn, wenn du mir schon Nachrichten schreibst, obwohl du schläfst, scheint etwas nicht zu stimmen, oder du flunkerst mich an“, lachte sein Freund und stupste Michael an.

„Ich habe dich nicht angeflunkert“, antwortete dieser etwas beleidigt.

Sie saßen noch ein wenig beisammen, tranken Kaffee und unterhielten sich über Dates, Frauen und allerlei. Michael erzählte aber nicht von den anderen Erlebnissen, die ihn immer stärker beschäftigten. Ein paar Stunden später lungerte er allein auf dem Sofa und sah zur Ablenkung fern. Dank der Schmerzmittel waren die Kopfschmerzen verschwunden, und langsam kam er zur Ruhe.

Jedoch überlegte er noch immer, ob er nicht weiter recherchieren sollte, denn das Schicksal der Personen im Traum ließ ihn nicht los.

*

Ein fürchterlicher Gestank kroch ihm in die Nase. Als er die Augen aufschlug, schaute er in das Gesicht einer Frau, deren Augen mit Tränen gefüllt waren.

„Levi! Was ist mit dir?“. Sie blickte nun noch besorgter.

„Nichts ist mit mir, aber ich hatte mir die Fahrt anders vorgestellt“, erwiderte er, während er sich im Viehwaggon umschaute. Es war laut, sie standen zusammengepfercht, und es roch nach allen möglichen menschlichen Ausscheidungen.

„Wenn ich wenigstens noch Vaters Uhr hätte. Dann wüssten wir, wie lange wir bereits unterwegs sind.“

„Das würde dir nicht helfen, denn unser Ziel ist nicht bekannt. Wie würdest du also die Zeit ermitteln wollen?“, antwortete sie und strich ihm über die Wange.

Der Zug wurde langsamer und kam kurze Zeit später mit einem Rumpeln und Quietschen zum Stehen. Von draußen vernahmen sie aufgeregte Stimmen, die von scharfen Befehlen übertönt wurden.

„Vielleicht hat die Fahrt jedoch ein Ende“, sagte Levi.

Mit einem lauten Geräusch wurde die Schiebetür zum Waggon geöffnet, und sie wurden von dem einfallenden Licht geblendet. Ängstliche Laute und Unruhe erfüllten den Raum, als plötzlich zwei Uniformierte mit Taschenlampen sie anleuchteten.

„Kontrolle!“, rief der eine und winkte zwei abgemagerte Gestalten in Sträflingskleidung heran, die sich sogleich in den Waggon begaben.

„Schmeißt die Leichen raus, dann gibt es vielleicht Suppe!“, lachte der eine Soldat dreckig und trat einen Schritt nach hinten zu seinem Kameraden, der seine Waffe in Anschlag gebracht hatte.

Die zwei Zugestiegen machten sich daran, sich durch die Menschen zu bewegen und schauten dabei auf den Boden. Kurze Zeit später waren vier Leichen auf dem Bahnsteig abgelegt.

„Tja, das hat zu lange gedauert. Keine Suppe“, grinste der Soldat breit und schloss die Tür.

„Wasser.“, bettelten einige, wurden aber von der Wachmannschaft ignoriert. Die beiden, die die Leichen herausgeholt hatten, blicken noch einmal mitleidig in den Waggon und zuckten kaum merklich mit den Schultern. Ein Offizier trat zu den Soldaten und sprach leise mit ihnen, dann drehte er sich um und schaute die Menschen im Waggon mit ernstem Gesicht an.

„Vielen Dank, dass Sie mit der Reichsbahn fahren“, lachte er dreckig und fügte hinzu:

„Der Plan muss eingehalten werden, damit ihr pünktlich ankommt. Dann gibt es auch was zu essen. Hättet ihr mitgeholfen, hättet ihr schon mal Suppe bekommen können.“

Wut stieg in Levi auf. Jedoch wusste er, dass diese ihm nicht helfen würde. Er fügte sich in sein Schicksal, als die Tür sich schloss und der Zug sich in Bewegung setzte. Von dem Offizier konnte er auch nichts erwarten, war er doch derjenige, der sich bereits im Getto um sie „gekümmert“ hatte.

Was ihm blieb, war die Hoffnung, dass es nicht noch schlechter werden würde und sie vielleicht im nächsten Lager etwas Essen und Trinken bekommen würden. Eine Lautsprecherdurchsage,

„Sonderzug nach Auschwitz“, verblasste und wurde von dem Lärm des Zuges überdeckt.

*

Michael kam wieder zur Besinnung und sprang erschrocken auf, weil er sich erbrochen haben musste.

„Oh mein Gott, was ist bloß los und was war das?“, schrie er. Da er nun stand, rutschte das Erbrochene von seiner Brust auf den Boden. Ein scharfer Geruch stieg ihm in die Nase, und Übelkeit kam erneut in ihm auf. Wacklig und taumelnd lief er in das Badezimmer und schaffte es knapp, die Toilette zu treffen, als erneut ein Schwall aus seinem Mund hervorbrach. Benommen blieb er neben dem Klo sitzen und fing an zu weinen.

Er verstand sich und die Welt nicht mehr. Was zum Teufel hatte er bloß? Diese Albträume waren einfach zu real, er konnte noch immer alles in seiner Erinnerung spüren, was er erlebt zu haben schien. Wo bin ich, wann bin ich und wer bin ich? Waren die Fragen, die in seinem Kopf kreisten. Zudem auch noch diese vielen Schicksale und die Abscheulichkeiten, die er gesehen zu haben glaubte.

Es sind nur Träume, und hätte ich mich nicht auf das Sofa gesetzt, wäre ich auch nicht eingeschlafen, versuchte er sich selbst einzureden. Zweifel kamen jedoch erneut, als er sich an die Situation in der Küche erinnerte.

„Verdammte Axt! Ich werde irre“, brüllte er, und ein Echo wurde von den Badezimmerwänden zurückgeworfen. Schluchzend stand er auf, betätigte die Spülung und warf seine verdreckte Kleidung in die Waschmaschine.

Erneut geduscht und eingekleidet stand er in der Küche und überlegte, was er nun tun könnte. Er griff zum Telefon und wählte die Nummer seiner Ärztin, denn es musste etwas mit ihm ganz und gar nicht stimmen. Sofort legte er auf, weil wieder der Gedanke in ihm aufkam, dass ihm keiner glauben werde und er gleich in die Klapse käme.

„Schreib es auf!“, schoss es ihm in den Kopf, „und dann versuch das Ganze mit Verstand und Logik anzugehen.“ Es war jedoch so surreal und unglaublich! Er begab sich an seinen Rechner und tippte die letzten Erlebnisse ein. Lesen wollte er das auf keinen Fall, zumindest nicht in dem Moment. Kurze Zeit später startete er einen weiteren Versuch, mithilfe des Internets etwas herauszufinden.

„Herr Obersturmbannführer, in zwei Minuten trifft eine erneute Ladung Richtung Auschwitz ein und macht hier Zwischenstopp zur Kadaverentladung!“ Mit starren Augen und militärischem Gruß stand der Soldat vor ihm und machte Meldung.

„Gut, gut! Dann wollen wir mal hoffen, dass nicht zu viele hier aussteigen müssen!“, sagte der Obersturmbannführer.

„Wir müssen unsere Quote auf Befehl des Reichsführers SS Himmler erfüllen! Befehl ist Befehl! Wegtreten, ich komme dann nach.“

„Jawohl, Herr Obersturmbannführer!“

Zackig verließ der Soldat den Raum im Bahnhofsgebäude und schloss die Tür.

„Was für ein Tag!“, sagte er zu sich selbst und trank einen Schluck Kaffee aus einer wundervollen Tasse aus Meißner Porzellan mit goldenem Löffel. So etwas hätte er sich selbst nie leisten können, war er doch vor der Machtergreifung ein einfacher Dorflehrer gewesen. Dank Hitler stand er nun viel besser da, und natürlich auch das gesamte deutsche Volk. Davon war er überzeugt, als er sich ein großes Stück Braten mit Kartoffeln in den Mund schob. Natürlich wäre er lieber in der Heimat gewesen, als sich mit den Untermenschen in den eroberten Gebieten zu beschäftigen, aber Befehl war Befehl, und außerdem hätte er nicht so viel Beute machen können. Allein die Wertgegenstände, die er im Getto nach der Säuberung hatte konfiszieren lassen, brachten ihm ein ordentliches Sümmchen ein und besserten seinen Sold auf.

Zufrieden kauend lehnte er sich zurück, griff nach dem Glas mit Rotwein in einem wunderschönen Pokal aus Kristallglas und spülte die zerkauten Reste hinunter. Nachdem er ordentlich gerülpst hatte, stand er auf und setzte seine Mütze auf, die er vor dem kleinen Spiegel richtete. Es sollte alles perfekt sein, denn er war ein ordentlicher Offizier. Ein Blick auf die goldene Taschenuhr, die er in einer Wohnung im Getto hatte mitgehen lassen, verriet ihm, dass er noch ein paar Minuten Zeit hätte, bis der Zug einträfe.

Plötzlich verschwammen die Ziffern auf der Uhr, und er verlor fast seinen festen Stand, weil Schwindelgefühle in ihm aufkamen. Er schüttelte sich, schluckte die Übelkeit hinunter und nahm Haltung an. Der Anfall war so schnell verschwunden, wie er gekommen war.

„Merkwürdig“ dachte er. Dies war bereits die zweite Schwäche an diesem Tag.

Er griff in seine Brusttasche, in der er ein Röhrchen aufbewahrte, öffnete es und entnahm eine Tablette, die er einnahm. Wahrscheinlich war es einfach an der Zeit für eine weitere Dosis Pervitin.

Zufrieden schaute er erneut in den Spiegel, lächelte sich an und verließ den Raum. Der Zug rollte ein.

Hektik, Lärm und Dampf empfingen ihn, als er den Bahnsteig betrat. Soldaten mit Waffen im Anschlag postierten sich auf der Länge des Zuges, und aus einem Drahtverhau wurden abgemagerte Häftlinge heraus gescheucht. Der Offizier betrachtete zufrieden die Szenerie und erfreute sich an der Betriebsamkeit. Ein Posten kam schnellen Schrittes auf ihn zu und machte Meldung:

„Wachmannschaft vollständig angetreten, Häftlinge für die Aufräumarbeiten ebenfalls. Versorgung der Insassen im Zug ist allerdings nicht möglich, weil die Feldküche ausgefallen ist.“

„Sehr gut! Und ob das Pack etwas zu essen bekommt, ist egal. Die halten die kommenden 4 Stunden bis zur Endstation auch so aus“, grinste der Offizier und entließ den Soldaten.

Die Türen der Waggons wurden aufgerissen, und die Wachmannschaften leuchteten in die fahlen Gesichter der Menschen, die herausschauten. Einige wimmerten und bettelten nach Wasser. Die Häftlinge auf den Bahnsteigen begannen, die Waggons nach Leichen zu untersuchen und diese auf den Bahnsteig zu werfen.

Der Obersturmbannführer machte sich auf den Weg und schritt gemächlich den Bahnsteig ab, um zu kontrollieren, ob alles funktionierte. Einige Minuten später musste er aufpassen, weil vor ihm eine Leiche auf den Boden fiel. Er blieb stehen, schaute sich das Bündel Mensch mit Abscheu an und trat dann zu den zwei Bewachern, die für diesen Abschnitt verantwortlich zu sein schienen.

„Das geht so nicht!“, sagte er leise, aber scharf zu den Soldaten, die Haltung annahmen und mit einem zackigen „Jawohl, Herr Obersturmbannführer!“ antworteten. Er schaute nun in den Waggon, sagte dreckig lachend:

„Vielen Dank, dass Sie mit der Reichsbahn fahren“ und führte dann ruhig fort:

„Der Plan muss eingehalten werden, damit ihr pünktlich ankommt. Dann gibt es auch was zu essen. Hättet ihr mitgeholfen, hättet ihr schon mal Suppe bekommen können.“

Während der eine Soldat die Waggontür zu schließen begann, sagte er zu dem anderen: