Flucht durch Schwaben - Rafael Wagner - E-Book

Flucht durch Schwaben E-Book

Rafael Wagner

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Beschreibung

Im Herzogtum Schwaben herrscht Frieden. Doch die Idylle wird im Frühling des Jahres 926 jäh unterbrochen, als ungarische Reiterhorden über den Bodenseeraum herfallen. Im Kastell Arbon am Bodensee werden der unerfahrene junge Kämpfer Marcus und die ortskundige Flüchtige Anna losgeschickt, um Hilfe zu holen. Doch was folgt, ist Verrat und eine unbarmherzige Flucht. Schließlich kämpfen sie nicht mehr nur um ihr eigenes Überleben, sondern um die Zukunft eines ganzen Herzogtums.

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Rafael Wagner

Flucht durch Schwaben

Historischer Roman

Impressum

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Alle Rechte vorbehalten

Lektorat: Claudia Senghaas, Kirchardt

Herstellung/E-Book: Mirjam Hecht

Verwendung der Kartenvorlage mit freundlicher Genehmigung durch den Schweizer Weltatlas

Umschlaggestaltung: U.O.R.G. Lutz Eberle, Stuttgart

unter Verwendung der Bilder von: © https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Fibule_polylobée_2.jpg und https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Hans_Holbein_the_Younger_-_The_Ambassadors_-_Google_Art_Project.jpg

ISBN 978-3-8392-6888-9

Widmung

Für Tina

Westliches Herzogtum Schwaben

 

Östliches Herzogtum Schwaben

 

Glossar

Albgau: Das frühmittelalterliche Allgäu gehörte zu den besser besiedelten Regionen des Herzogtums Schwaben an der Grenze zu Bayern.

Alemannia: Die Bezeichnung Alemannien bezeichnet sowohl die Region des erweiterten Bodenseeraums als auch das alte Herzogtum der Alemannen, das in den Jahrhunderten nach dem Abzug der römischen Truppen entstanden ist. Es wurde von weiterhin dort lebenden Romanen und neu zuwandernden germanischen Alemannen gleichermaßen in meist friedlicher Koexistenz besiedelt.

Alsaza: Das Elsass – dazu gehören der Nord- und der Suntgau – war im frühen Mittelalter offiziell Teil des Herzogtums Schwaben. Aus mangelndem Zugehörigkeitsgefühl verweigerten die Elsässer aber nicht selten die schwäbische Heeresfolge, so auch im Jahr 926.

Alpes: Die Alpen waren seit jeher eine natürliche Barriere und Grenze. Wer die Königskrone von Italien erlangen wollte, hatte erst die gefährlichen Bergpässe zu überwinden und musste sich mit den lokalen Herrschern gut stellen, um beispielsweise an Vorräte, Bergführer und zusätzliches Equipment für den Warentransport zu kommen.

Ara: Die Aare gehört zu den größten Flüssen der heutigen Schweiz und war bereits in Antike und Mittelalter eine wichtige Lebensader Hochburgunds. Als Zufluss des Rheins war sie seit jeher prädestiniert für den Waren- und Personentransport zwischen dem Alpenvorland und Schwaben. Die Aare war namensgebend für den bedeutenden frühmittelalterlichen Aargau.

Arbona: Das römische Militärkastell Arbor Felix am südlichen Bodenseeufer verblieb nach dem Abzug der römischen Soldaten wie viele andere provinzialrömische Siedlungen und Kastelle in Alemannien mehrheitlich romanisch geprägt. So wurden die hohen Amtsträger in Arbon – wie das Kastell schließlich vereinfacht genannt wurde – in den mittelalterlichen Quellen weiterhin mit den alten römischen Militärtiteln bezeichnet.

Augia: Das Kloster Augia (Monasterium Augiensis) auf der Bodenseeinsel Reichenau wurde im Jahr 724 vom heiligen Pirmin gegründet und gehörte in Konkurrenz zur Abtei Sankt Gallen zu den größten karolingischen Reichsabteien.

Augusta: Die schwäbische Bischofsstadt Augsburg wies sämtliche Angriffe der feindlichen Ungarn erfolgreich ab.

Baiuvaria: Bayern war im frühen Mittelalter ein mächtiges Stammesherzogtum, das sich ebenso wie Alemannien/Schwaben mehrfach dem fränkischen Einfluss zu widersetzen wagte. Kein anderes ostfränkisches Herzogtum litt mehr unter den Einfällen der Ungarn.

Basala: Basel stand in römischer Zeit stark im Schatten der Colonia Augusta Raurica, wuchs im frühen Mittelalter aber immer mehr zu einem Zentralort zwischen Alemannien, Elsass und Burgund heran und wurde schließlich Sitz eines Bischofs.

Bodamansee: Der Bodensee wurde in römischer Zeit hauptsächlich als »Bregenzersee« bezeichnet, benannt nach dem damaligen Zentrum Bregenz (Kastell und Flottenstützpunkt). Als sich das Zentrum zunehmend zum Bischofssitz Konstanz (»Konstanzersee«) und der Königspfalz Bodman (»Bodensee«) verlagerte, änderte sich auch die Bezeichnung dieses schwäbisch-alemannischen Identifikationsgewässers.

Brezalauspurc: Der dauernden ungarischen Angriffe überdrüssig, zwang ein Großaufgebot schwäbischer und bayerischer Aristokraten und Krieger diese bei Pressburg, dem heutigen Bratislava, im Jahr 907 zu einer Entscheidungsschlacht. Die ostfränkischen Truppen unterlagen jedoch klar, unzählige Grafen und Krieger fielen, und die ganze Ostmark sowie Teile Karantaniens (Kärnten) ging verloren.

Burg des heiligen Gallus: Die Flur Waldburg bei Häggenschwil im Kanton Sankt Gallen (CH) ist der vermutliche Standort einer sogenannten Ungarnburg des Sankt Gallener Abtes aus dem Jahr 926.

Burgundia: Das Königreich Hochburgund war der Teil Burgunds nördlich der Alpen, während Niederburgund die südlichen Teile umfasste. Insbesondere König Rudolf II. hatte vermehrt eine Machterweiterung auf Kosten von Alemannien versucht, was erst durch die Entstehung des angrenzenden ostfränkischen Herzogtums Schwaben und dem vehementen Einschreiten seines Herzogs Burchard in der Schlacht bei Winterthur 917 unterbunden werden konnte. Durch die Verheiratung von Burchards Tochter Berta mit Rudolf II. gelang nach 922 erstmals eine friedliche, wenn auch unsichere, Nachbarschaft.

Cervisa: Bier gehörte aufgrund der nicht immer keimfreien Wasserqualität zu den Hauptgetränken des Mittelalters. Sehr viel weniger alkoholisch als heutiges Bier, wurde es auch von Kindern getrunken. Aufgrund der Herstellungsprozesse und verwendeten Ressourcen stand es meist im Zusammenhang mit der Brotherstellung. Beides war im Mittelalter Frauensache.

Chanstada: Das heutige Bad Cannstatt (Stuttgart) war im Jahr 746 Schauplatz einer Massenhinrichtung der alemannischen Aristokratie durch den fränkischen Hausmeier Karlmann (Blutgericht von Cannstatt), wodurch das alte Stammesherzogtum Alemannien verschwand und diese Region von nun an durch fränkische Grafen verwaltet wurde.

Constantia: Konstanz war durch seine besondere Lage mindestens seit römischer Zeit ein zentraler politischer und ökonomischer Ort im Bodenseeraum. Als Sitz eines Bischofs wurde es im Laufe des Mittelalters zum Zentrum eines der größten und mächtigsten Bistümer des Ostfrankenreichs.

Francia: Das nördlich von Schwaben gelegene Franken gehörte als fränkisch verwaltete Region – ohne Herzog, allerdings in Grafschaften unterteilt – zum Ostfrankenreich.

Francen: Die Franken hatten sich besonders unter Karl dem Großen ein Reich geschaffen, das seinesgleichen suchte. Ihre Könige und Kaiser sahen sich in der Pflicht der Fortführung des alten Römischen Reiches und weiteten ihre Macht innert kurzer Zeit über das heutige Frankreich, Deutschland und Italien aus. Im Vertrag von Verdun 843 kam es zu einer Teilung des Reiches, an deren Ende sich die Wege des Ost- und Westfrankenreiches sowie Burgunds und Italiens in unterschiedliche Richtungen entwickelten.

Frichgau: Der Frickgau ist eine vergleichsweise kleine politische Landschaft am Rhein östlich des Sisgaus und des Augstgaus. Laut der Chronik von Ekkehart IV. führte ein Hirminger aus dem Frickgau eine Gruppe lokaler Kämpfer in den Kampf gegen die Ungarn.

Galluskloster: Das Kloster Sankt Gallen wurde im Jahr 719/720 durch den heiligen Otmar an der Stelle der einstigen Mönchszelle des heiligen Gallus (um 612) gegründet und gehörte zu den mächtigsten ostfränkischen Reichsklöstern. Durch Sorgfalt, eine einzigartige Archivordnung und eine Menge Glück ist vom ursprünglichen originalen Schriftgut dieser Abtei mehr erhalten geblieben als in jedem anderen Kloster. Das Weltkulturerbe Stiftsarchiv Sankt Gallen bewahrt unter anderem über 870 Originalurkunden aus der Zeit vor dem Jahr 1000 auf, was mehr als zwei Drittel aller weltweit überlieferten Schriftstücke dieser Art für das europäische Mittelalter ausmacht.

Hertun: Herten ist heute Teil der baden-württembergischen Stadt Rheinfelden und gehörte im frühen Mittelalter zu den Besitztümern der Abtei Sankt Gallen im südlichen Breisgau.

Huninga: Nahe der Mündung des Flüsschens Wiese in den Rhein befand sich seit mindestens dem frühen Mittelalter eine kleine Siedlung namens Hüningen. Das heutige Kleinhüningen ist Teil der Schweizer Stadt Basel.

Italia: Durch die Alpen vom Frankenreich abgeschirmt, gehörte das Königreich Italien (Reichsitalien) dennoch meist zu dessen Herrschaftsbereich, ging vereinzelt aber auch eigene Wege.

Laeceboc: Bald’s Leechbook (Balds Arzneibuch) in der British Library in London entstand im frühmittelalterlichen Wessex und enthielt bereits erstaunliches medizinisches Wissen. Darunter befindet sich auch das Rezept einer Salbe, der modernen Tests zufolge tatsächlich eine antibiotische Wirkung nachgesagt werden darf.

Legat: Unter einem Legaten ist im frühen Mittelalter meist ein Gesandter oder ein Bote zu verstehen.

Liubmans Haus: Das heutige Dorf Lömmenschwil im Kanton Sankt Gallen (CH) wird urkundlich bereits im 9. Jahrhundert in den Sankt Gallener Urkunden erwähnt. Hinter dem Namen wird – wie auch sonst häufig anzutreffen – der Gründername (Liubman) mit dem Siedlungszusatz »-wil« vermutet. In diesem Fall wird in einer Urkunde aus dem Jahr 854 gar wörtlich vom »domus Liubmanni«, dem Haus des Liubman, gesprochen.

Loufanperc: Das am Rhein gelegene Laufenburg im Kanton Aargau (CH) war im frühen Mittelalter ein bedeutender Zentralort des Klosters Säckingen.

Niuvora: Das Dorf Neunforn im Kanton Thurgau (CH) wird zwar erst im Jahr 962 urkundlich erwähnt, existierte aber mit Sicherheit schon Jahrzehnte länger.

Ouges: Kaiseraugst, nordöstlich der römischen Koloniestadt Augusta Raurica, hatte als befestigtes Militärkastell die Unruhen der Völkerwanderungszeit ebenso wie Arbon gut überstanden und verblieb mehrheitlich romanisch. Es wurde dank seiner geschützten und ökonomisch vorteilhaften Lage zum Sitz eines Bischofs (später Basel) und Zentrum des Augstgaus.

Ougesgau: Der Augstgau ist die Landschaft rund um den Zentralort Augst (heute Augst und Kaiseraugst) und war des Öfteren Streitpunkt der ostfränkischen und burgundischen Interessen.

Ouwa: Eglisau ist eine Kleinstadt im heutigen Kanton Zürich (CH) am Rhein. In der Antike stand dort ein römischer Wachturm zur Überwachung der Rheingrenze.

Phina: Das Dorf Pfyn im Kanton Thurgau (CH) kann seinen Ursprung auf das römische Militärkastell Ad Fines an der Thur zurückführen. Trotz einer möglichen Fortnutzung der Kastellmauern wird in vorliegender Geschichte von Kastellruinen ausgegangen.

Prisigau: Wie der Thurgau oder die Baar gehörte der Breisgau zu den bedeutendsten politischen Regionen des frühmittelalterlichen Alemanniens und des Herzogtums Schwaben. Er umfasste die Gebiete zwischen Rhein und Schwarzwald sowie zwischen Basel und dem heutigen Freiburg im Breisgau und darüber hinaus.

Puachhorn: Friedrichshafen hieß bis 1811 Buchhorn und gehörte als solches mindestens seit dem 9. Jahrhundert zu den bedeutendsten politischen Zentren im Bodenseeraum. Zudem war Buchhorn ein wichtiger Warenumschlagplatz für den Bodenseehandel.

Pussanwang: Das heutige Dorf Bussnang im Kanton Thurgau (CH) war im Frühmittelalter ein wichtiger Ort der Abtei Sankt Gallen. Wie die Funde von Brückenpfeilern nahelegen, wurde Bussnang bereits in der römischen Antike zur Überquerung des Flusses Thur genutzt. Für das Mittelalter lässt sich der Betrieb einer Fähre vermuten.

Rîn: Der Rhein war zusammen mit der Donau eine der Lebensadern Alemanniens und wird bis heute für den Waren- und Personentransport sowie als Grenzfluss genutzt.

Rînfeldun: Das aargauische Rheinfelden südlich des Rheins ist eng mit dem badischen Rheinfelden gegenüber verknüpft. Neben den heute zur Stadt Rheinfelden (Baden) gehörigen Siedlungen Herten, Nollingen, Warmbach und anderen Höfen wurden die »Felder am Rhein« bereits im 8. und 9. Jahrhundert erwähnt.

Sax: Neben dem Langschwert war unter der vermögenderen Kriegerschaft meist eher ein als »Sax« bezeichnetes Kurzschwert im Einsatz. Dieses war einschneidig und konnte vom einfachen Dolch bis zur Länge einer Spatha verschiedene Zwecke erfüllen.

Seckinga: Das durch den heiligen Fridolin vermutlich um das Jahr 522 gegründete Kloster Säckingen befand sich im frühen Mittelalter auf einer Rheininsel. Lange Zeit wurde Säckingen als Doppelkloster (Herrenkloster und Damenstift) geführt, bis vermutlich im 10. Jahrhundert ein reines Damenstift dort verblieb. Die Gründe hierfür sind unklar. Das heutige Bad Säckingen ist Teil des baden-württembergischen Landkreises Waldshut.

Sisigau: Der frühmittelalterliche Sisgau, westlich des Frickgaus, wird häufig als Teil des Augstgaus gesehen und ist geografisch im Raum Sissach (Kanton Basel-Landschaft) zu verorten. Als Durchmarschgebiet der Ungarn dürfte diese Gegend ebenfalls stark verwüstet worden sein.

Sisla: An der Sissle, einem Flüsschen, das beim aargauischen Sisseln in den Rhein mündet, soll im Mündungsgebiet – dem Sisselfeld – eine aufreibende Schlacht zwischen lokalen Kämpfern unter Hirminger und ungarischen Kriegern stattgefunden haben.

Sitteruna: Der kleine Fluss Sitter durchfließt, aus dem Appenzellerland (CH) kommend, vier heutige Schweizer Kantone und einen wichtigen Teil der frühmittelalterlichen Kernbesitztümer der Abtei Sankt Gallen. Die Sitter mündet beim thurgauischen Bischofszell (CH) in die Thur.

Spatha: Die Krönung der frühmittelalterlichen Bewaffnung stellte das doppelschneidige Langschwert, die Spatha, dar. Als Standessymbol wurde es an wichtigen Versammlungen getragen. Seine volle Kraft konnte diese schwere Waffe vom Rücken eines Pferdes entfalten. Der Umgang setzte einiges an Training voraus.

Steinaun: Das am südlichen Bodenseeufer gelegene Dorf Steinach im heutigen Kanton Sankt Gallen (CH) liegt nur etwa einen Kilometer von Arbon entfernt. Seit der Mitte des 8. Jahrhunderts taucht Steinach in der Überlieferung des Klosters Sankt Gallen auf, dessen wichtigster Bodenseehafen die Anlegestelle in Steinach war.

Suntgau: Als südlicher Teil des frühmittelalterlichen Elsass gehörte der Sundgau ebenfalls zum Herzogtum Schwaben, verweigerte allerdings im Jahr 926 die herzogliche Heeresfolge.

Swarzwald: Mehr noch als die meisten Hügel und Flüsse stellte der Schwarzwald eine besonders schwer zu überwindende Barriere dar. Dennoch sind dort seit dem frühen Mittelalter zahlreiche bewohnte Täler und Siedlungsinseln überliefert, nicht zuletzt dank der Gründung verschiedener Klostergemeinschaften in der Abgeschiedenheit der zerklüfteten Hügel und Wälder.

Toissa: Der Fluss Töss durchfließt das Zürcher Oberland, vorbei an Winterthur, und mündet bei Tössegg in den Rhein, der exakt an dieser Stelle eine starke Biegung nach Nordwesten vollzieht. Aufgrund dieser besonderen Lage wurde hier bereits in römischer Zeit ein Wachturm als Teil des Donau-Iller-Rhein-Limes errichtet.

Tura: Die Thur ist ein wichtiger Zufluss des Rheins und Namensgeberin des Thurgaus.

Turagau: Zusammen mit dem Breisgau gehörte der Thurgau zu den wichtigsten und größten Regionen im frühmittelalterlichen Herzogtum Schwaben. Ursprünglich gehörte auch der Zürichgau dazu, womit der Thurgau das ganze Gebiet zwischen Bodensee, Rhein, Aargau und Rätien umfasste. Als mächtigste Reichsabtei in dieser bedeutenden alemannischen Region hatte Sankt Gallen ein nicht unbedeutendes Mitspracherecht in schwäbisch-alemannischen Fragen, und die Grafen des Thurgaus gehörten zur Elite der ostfränkischen Aristokratie.

Ungrer/Ungri: Die Ungarn oder Magyaren – wie sie sich selbst nannten – führten im Karpatenbecken ein nomadisches Leben, das sie aus beuteökonomischen Gründen immer weiter nach Westen führte. Aufgrund der lange Zeit vorherrschenden Unfähigkeit der fränkischen Königreiche, angemessen auf diese Bedrohung zu reagieren und wegen fehlender Befestigungen, galten die reichen Städte Italiens und sämtliche Klöster des Westens als einfache Beute. Die Stärke der Ungarn lag in ihrer Geschwindigkeit und dem – in der westlichen Kriegsführung als feige geltenden – Kampf als berittene Bogenschützen. Die auf statische Feldschlachten spezialisierten fränkischen Heere waren dagegen meist zu Fuß unterwegs und bevorzugten Blankwaffen.

Wazzarburg: In Wasserburg, einer damals noch vollends vom Bodenseeufer abgetrennten Bodenseeinsel nahe des nördlichen Bodenseeufers im heute bayerischen Landkreis Lindau, unterhielt das Kloster Sankt Gallen eine kleine Klosterfiliale mit nur wenigen Brüdern. Die Kirche stand unter dem Patronat des heiligen Georg. Als der Sankt Gallener Abt vom Nahen der Ungarn hörte, soll er angeordnet haben, alle altersschwachen Mönche sowie die noch sehr jungen Novizen nach Wasserburg in Sicherheit zu bringen. Aus Furcht sollen die Wasserburger beim Herannahen der Ungarn aber dennoch Schutz auf einigen Schiffen fernab vom Ufer des Bodensees gesucht haben.

Werra: Das Flüsschen Wehra mündet zwischen Säckingen und Rheinfelden in den Rhein. Gespeist aus unzähligen Quellen des südwestlichen Schwarzwaldes, stellte ihr Verlauf im frühen Mittelalter auch eine Möglichkeit dar, den Schwarzwald quellaufwärts immer weiter zu erschließen.

Westseaxe: Wessex wurde als eines von vier sächsischen Königreichen besonders unter seinem König Alfred dem Großen zur führenden Macht auf der britischen Insel. Sich stets normannischer Invasionen sowie walisischer Einfälle erwehrend, gelang hier aus wissenschaftlicher und religiöser Sicht eine kulturelle Blüte, welche die Grundlage eines späteren Englands legte.

Wisun: Das Flüsschen Wiese durchfließt von seiner Quelle am Feldberg den Südschwarzwald und mündet beim baslerischen Kleinhüningen in den Rhein. Derartige Flüsschen dienten während Jahrhunderten dem Abtransport von Holz und anderer Waren aus dem Schwarzwald zu den Zentren am Rhein.

Zurzacha: Zurzach im heutigen Kanton Aargau (CH) war in der römischen Antike ein wichtiger Militärstützpunkt zur Sicherung der Nachschubwege für die nahegelegenen Legionslager. Aufgrund der Grablege der heiligen Verena entstanden hier im frühen Mittelalter ein Klosterkonvent und eine ausgedehnte Siedlung.

Cap. I

»In jenen Tagen werden die Menschen den Tod suchen, aber nicht finden; sie werden sterben wollen, aber der Tod wird vor ihnen fliehen.« Der Mann neben mir murmelt mit leerem Blick vor sich hin. Ich umklammere den Griff meines Kurzschwertes und wünsche mir das Ende unserer Wache herbei. Inzwischen ist die Sonne aufgegangen. Dennoch lässt uns der feuchte Morgennebel auf der alten Romanenmauer erzittern. Ich höre, wie die Wellen des Sees im langsamen Takt gegen die Uferbefestigungen brechen. Das Wasser ist unruhig. Ein starker Wind kommt auf und treibt weitere Nebelschwaden über uns hinweg. Ich beobachte, wie sich ein kleines Boot, nicht weit von der Mauer entfernt, mit jeder Welle aufs Neue leicht hebt und senkt. Ein pfeifender Wind sucht sich seinen eiskalten Weg meinen Nacken hinab. Trotz allem stehe ich regungslos hier oben auf der Mauer und versuche, neben dem plätschernden Wasser noch andere Geräusche wahrzunehmen. Die Sicht reicht nur knapp bis zum Wassergraben, der die Halbinsel mit Ausnahme eines schmalen Durchgangs beinahe zur Insel gemacht hätte. Höre ich da leises Gemurmel? Schritte?

Plötzlich erschallen aus dem Nebel vor uns verzweifelte Rufe und Schreie. Wie aus dem Nichts taucht eine Gruppe von acht oder neun Personen auf. Sie treffen auf den Graben und folgen diesem bis zur kleinen Holzbrücke. Die zwei Personen an der Spitze haben den Übergang schon fast erreicht. Unsere Turmwache schlägt die Sturmglocke. Aus allen Gebäuden und Unterständen hallen nun Rufe wider, und Männer machen sich bereit für den Kampf. Ich konzentriere mich weiterhin auf die Menschen vor unserem Tor. Ist das eine List? Plötzlich ertönt lautes Hufgetrappel, und aus dem Nebel jagt ein zentaurenähnliches Wesen hervor. Eine Klinge schnellt blitzartig herum und hinterlässt auf dem feuchten Gras einen Schwall von Blut. Die Person am Ende der Flüchtlingsgruppe sackt zuckend in sich zusammen. Zwei weitere werden von Pfeilen niedergestreckt. Ich höre das verzweifelte Hämmern von Fäusten gegen unser Tor. Die ersten Flüchtlinge haben unsere Doppeltoranlage erreicht.

»Tribun, was sollen wir tun?«

»Keiner öffnet die Tore! Das ist eine Falle.«

Es schwirren noch drei weitere Pfeile aus unterschiedlichen Richtungen auf unser Tor zu, doch gehen sie ins Leere. Stille. Wir warten. Wie ein Geist ist der Tod diesen Morgen aus dem Nebel aufgetaucht, und wie ein Geist ist er auch wieder verschwunden.

»Mein Gott, öffnet endlich die Tore!«

Mit einem kurzen Nicken gibt der Tribun den Wachen im Hof die Erlaubnis. Einer der Torflügel wird knarrend aufgezogen, und die Überlebenden retten sich mit letzter Kraft hinter die festen Steinmauern. Der grausame Klang eines Horns lässt uns erschauern. Sofort wird das Tor wieder geschlossen. Gebannt blicken wir in den Nebel. Ein zweites Mal ertönt das grausige Horn. Und plötzlich tauchen aus dem Nebel schemenhaft vier fremdartige Reiter auf. Vier Krieger in aufgebauschter Kleidung sitzen dort auf ungewöhnlich kleinen Pferden. Dieses Zusammenspiel von Ross und Reiter erklärt auch das merkwürdige Erscheinungsbild des säbelschwingenden Angreifers von vorhin. Eine gefühlte Ewigkeit stehen sie dort hinter dem Graben und beobachten uns. Dann ertönt das Horn ein drittes Mal. Das ganze Ufer entlang erscheinen wie von Zauberhand grelle Lichtkegel.

»Was ist das für ein Teufelswerk?«

»Was haben sie vor?« Überall auf den Mauern ertönen angsterfüllte Rufe, und Menschen sinken zum Gebet auf die Knie.

»Selbst Gott kann uns jetzt nicht mehr retten«, höre ich erneut die zittrige Stimme meines Nebenmanns.

»Ruhe!«, erhebt der Tribun seine kräftige Stimme. »Das sind Menschen. Sie bluten wie wir, sie sterben wie wir. Ich habe diese Teufel schon in jungen Jahren bei Brezalauspurc bekämpft.« Auf den Mauern ist inzwischen Ruhe eingekehrt. »Seit Tagen haben wir Kunde von fremden Horden, die über die östlichen Marken herfallen. Nun sind sie hier. Doch wir sind bereit, und ich werde sie jederzeit aufs Neue bekämpfen.« Mit seiner tiefen, hallenden Stimme schafft es der Tribun, selbst meinen zitternden Nebenmann zu beruhigen. »Jeder, der es wagt, unsere Mauern zu erklimmen, soll in seinem eigenen Blut ertrinken. Arbona ist noch nie gefallen, Arbona wird nie fallen, solange tapfere Männer seine Mauern verteidigen.« Die neuesten Ereignisse beflügelten die Moral ja nicht gerade, doch der Tribun hat recht: Wir befinden uns gut geschützt auf einer Halbinsel hinter dicken Steinmauern. Zwar weisen die Mauern an gewissen Stellen Lücken auf, und zwei der Halbrundtürme sind teilweise zugunsten eines Kirchenbaus abgetragen worden, doch verfügen wir über ausreichend Männer, um unser Bollwerk über längere Zeit zu halten, und die besonders gefährdeten Stellen sind längst mit Holz verstärkt worden.

»Folge mir, der Centenar versammelt gerade die Wachen der letzten Nacht«, raunt mir einer der Torwächter schulterklopfend zu. Erleichtert folge ich meinem Kameraden die Leiter hinunter in den Hof.

»Ihr habt heute guten Dienst geleistet«, setzt der Centenar an und nickt der Turmwache, die als Erste Alarm geschlagen hatte, anerkennend zu. »Wir müssen sie weiterhin mit unserer Präsenz auf den Mauern von einem Angriff abhalten. Unsere geschützte Lage im Bodamansee und die dicken Mauern scheinen diesen Feiglingen die Lust zum Angriff zu nehmen. Den verdammten Romanen sei’s gedankt!« Der Centenar grinst in die Runde, merkt, dass seine kleine Ansprache auf nur wenig Zuspruch stößt, und fährt dann mit ernster Miene fort: »Lasst euch nicht von ihren billigen Tricks entmutigen. Die zahlreichen Fackeln am Ufer sollten nur eine zahlenmäßige Überlegenheit demonstrieren und euch einer ausweglosen Situation bewusst werden lassen. Doch wir befinden uns zweifellos in der besseren Position als sie. Wir haben schließlich den See.« Noch immer scheinen ihm unsere müden Gesichter nicht ausreichend motiviert. So fährt er resigniert zum eigentlichen Punkt seiner kleinen Ansprache fort: »Ich weiß, ihr seid erschöpft und habt euch euren Schlaf redlich verdient. Doch muss ich euch noch um eine letzte Sache bitten. Den Menschen, die heute zu uns gestoßen sind, ist Schreckliches widerfahren. Gebt ihnen zu essen. Zeigt ihnen einen Platz zum Schlafen.«

Währenddessen haben uns die Überlebenden, die in der Nähe des Tors erschöpft am Boden sitzen, aufmerksam beobachtet. Besonders der Blick einer kleinen Gestalt unter einem dicken Umhang erregt dabei meine Aufmerksamkeit. Müde nähern wir uns der Gruppe von Flüchtlingen, und ich erkenne unter der Kapuze das feine, blasse Gesicht eines Mädchens, kaum älter als ich. Ich weiß nicht, wie lange sie mich während der Ansprache des Centenars bereits beobachtet hat, doch in ihrem Blick liegt etwas angenehm Vertrautes. Kenne ich sie? Ihr scheint es ebenso zu gehen. Sie kann die Augen kaum von mir abwenden. Als die Gruppe unser Tor passierte, ist sie mir gar nicht aufgefallen. Sie mustert mich eingehend, wendet dann jedoch den Blick von mir ab, als sich einer meiner Wachkameraden ihrer annimmt und ihr den Weg in die Küche weist. Zwar verfügen wir über ausreichend Männer zur Bemannung der Festung, doch können wir jedwede Unterstützung gebrauchen, ob auf der Mauer oder in der Küche. Wir geleiten die Gruppe zur Feuerstelle und stillen dabei auch unseren Hunger. Meine Gedanken sind noch beim geheimnisvollen Mädchen. Gibt es so etwas wie Seelenverwandte? Vielleicht habe ich sie auch einfach so unangenehm lange angestarrt, dass sie irgendwann zurückblicken musste. Ich schüttle meinen Kopf frei von all diesen Überlegungen. Es sollten mich nun ganz andere Dinge kümmern. Gedankenverloren bin ich als Erster mit meinem Haferbrei fertig und eile zu den Stallungen, um mir einen guten Schlafplatz im Stroh zu suchen, möglichst nahe beim Vieh. Hier ist zwar nicht alles perfekt, doch bin ich lieber hier als draußen bei diesen schwertschwingenden Teufeln.

Cap. II

Bei Tag Schlaf zu finden, kann trotz langer Wachdienste schwerfallen. Besonders heute habe ich kaum ein Auge zugetan. Verträumt stehe ich vor den Stallungen. Übermüdet und dennoch angespannt verharre ich in Gedanken an die Ereignisse des Morgens. Steht der Feind noch vor unseren Toren? Und dieses Mädchen will mir einfach nicht mehr aus dem Kopf gehen. Vermutlich erschien sie mir heute Morgen nur wegen der Situation so vertraut. Denn nicht selten werde ich von den älteren Wachen als »Marcus aus dem Albgau« bezeichnet. Niemand spricht diesen Zusatz mit Verachtung oder Groll aus. Es kann aber auch niemand mehr dazu äußern. Man sagte mir einmal, dass ich als kleines Kind an eine einflussreiche Familie am Bodamansee verkauft wurde. Was mit meinen Eltern passiert ist, weiß ich nicht. Habe ich Geschwister? Ich kann mich an nichts erinnern. Ich kenne bloß Arbona und einige nahe Siedlungen. Seit ich denken kann, stand ich hier in der Küche, in den Ställen und in der Rüstkammer; zumindest bis ich alt genug war, um bei der Ausbesserung des Wassergrabens zu helfen und schließlich für den Wachdienst auf den Mauern eingesetzt wurde.

»Hey, du da, hörst du überhaupt zu? Hol dir was zu essen und mach dich dann zur nächsten Wache bereit!« Völlig überrascht blicke ich in das bärtige Gesicht eines älteren Kriegers. »Nun, was ist los?« Ich wage nicht zu widersprechen, schnalle mir meinen Sax, also mein einschneidiges Kurzschwert, um und marschiere los. Wie lange ich wohl in Gedanken dagestanden habe? »Falsche Richtung, Idiot!« Noch immer wage ich nicht, den Mund zu öffnen. Stattdessen schlage ich einen Bogen, um die Richtung zu ändern, so als ob dies von Anfang an beabsichtigt gewesen wäre. Vor mir erhebt sich eine stattliche Steinmauer, der ich folge, bis ich an eine offene Feuerstelle gelange, wo bereits einige Männer sitzen. Ich kenne jeden Winkel dieser Siedlung und seiner Festungsmauern, und doch haben mich die Ereignisse der letzten Stunden und Tage so aus der Bahn geworfen, dass ich mich beinahe verirrt hätte.

»Nimm dir eine Schale, unsere neueste Errungenschaft bringt dir gleich was zu essen«, grinst mich einer meiner Wachgefährten an. Jemand berührt meine Schulter, und ich zucke, wie vom Blitz getroffen, zusammen, drehe mich um und blicke in das Gesicht des Mädchens von heute Morgen. Ihr Gesicht erstrahlt frisch gewaschen, und ihr dunkles Haar ist zu festen Zöpfen zusammengebunden. Wunderschön. Es gelingt mir nicht, auch nur ein Wort mit ihr zu wechseln. Stattdessen schließe ich mich bald darauf meinen Kameraden für den Dienst auf den Mauern an.

Als wären meine Gedanken der Schlaflosigkeit von heute Nachmittag erhört worden, nähert sich schon nach zwei Stunden der Centenar: »Deine Wache endet heute früher, der Tribun sucht nach Männern.« Ich weiß, was das heißt. Bestimmt wieder ein Auftrag mit ungewissem Ausgang. Und dabei möchte er keinen seiner erfahrenen Krieger einsetzen. Vielmehr nutzt er den jugendlichen Ehrgeiz der Jüngeren und die Schuldgefühle der unerwünschten Neuankömmlinge. Das war’s wohl mit dem zusätzlichen Schlaf. Ich werfe einen letzten Blick in die Nacht hinaus. Der Nebel ist bereits am späten Nachmittag verschwunden und hat uns die Sicht auf ein nicht sehr weit entferntes Lager eröffnet. Seit meinem Wachantritt am frühen Abend habe ich immer wieder kleine Schwadronen zum Lager reiten sehen, beladen mit reicher Beute. Der Feind will uns wohl verhöhnen oder aber zu einer dummen Handlung verführen, indem er sich vor unseren Augen häuslich einrichtet und uns dabei zusehen lässt, wie unsere heimatliche Umgebung geplündert wird. Ich folge dem Centenar hinunter in den Hof, wo bereits drei andere Männer warten. »Holt euch was zu essen und wartet am Feuer bei der Küche, der Tribun persönlich wird euch instruieren.« Was für eine Ehre, hätte ich am liebsten geantwortet, doch möchte ich mir keinen zusätzlichen Ärger einhandeln.

Als wir uns der Feuerstelle nähern, erkenne ich schon von weitem die schlanke Gestalt des Mädchens von heute Morgen. Allzu viele Pausen werden ihr offenbar auch nicht gegönnt. Ihr Leinengewand ist um die Hüften durch eine einfache Hanfschnur tailliert. Woher sie wohl kommt? Sie schenkt mir ein kleines Lächeln, das ich jedoch nicht zu erwidern wage. Ich möchte nicht das Gesicht vor den anderen verlieren, und in der Dunkelheit hätte man es vielleicht ohnehin nicht gesehen. Von meiner Reaktion enttäuscht, füllt sie erst die Schalen der anderen, dann die meine auf.

»Tribun!«

Wir erheben uns alle, doch der Tribun weist uns per Handzeichen auf unsere Plätze zurück und kommt ohne Umschweife zum Punkt: »Noch halten wir sie uns vom Leib. Und ich weiß, dass wir das auch weiterhin können. Doch dafür brauchen wir zwei Dinge: Vorräte und Informationen. Der Landweg ist versperrt, doch können wir uns immer noch über den See bewegen. Steigt heute Nacht hinab zum Ufer und bereitet ein Boot vor. Bei der ersten Dämmerung brecht ihr auf über den See nach Wazzarburg. Obwohl unsere Feinde jenen Ort vor uns erreicht haben, konnten wir bisher weder Rauch noch Flüchtlinge ausmachen. Der Abt des Gallusklosters scheint seine Leute dort gut ausgestattet zu haben. Findet heraus, was im nördlichen Teil Alemanniens vor sich geht und ob schon bald Hilfe naht. Und bringt ja Vorräte mit.«

Der Tribun möchte sich gerade umdrehen, da beginnt einer meiner Kameraden: »Wird uns denn nicht unser Herzog zu Hilfe eilen?«

Der Tribun spuckt verächtlich aus und fügt hinzu: »Unser selbst ernannter Landesherr führt noch immer seinen nutzlosen Krieg in Italia. Selbst wenn ihn Kunde von unserem Schicksal ereilt, wird er es unmöglich rechtzeitig hierher schaffen. Viel Glück euch allen.« Er dreht sich um und stapft davon.

Natürlich hatte er recht. Das Gros der kampffähigen Männer aus allen Teilen der Alemannia hatte vor vielen Tagen und Wochen dem Herzog Heeresfolge geleistet. Im Bestreben, seinen Einflussbereich weiter nach Süden zu vergrößern, war dieser zusammen mit seinem burgundischen Schwiegersohn nach Italia gezogen. Kaum waren die meisten Verbände in Richtung Alpes abgezogen, ereilten uns die ersten unheimlichen Nachrichten von Sichtungen fremdartiger Reiter. Ausgerechnet in der größten Not bleibt die lokale Bevölkerung ihrem eigenen Schicksal überlassen. Ohne Krieger und ohne Festungen. Einzige Ausnahmen bleiben jene Befestigungen, die noch aus alter Zeit stammen, wie eben unser Arbona.

»Was, wenn wir stattdessen nach Constantia segeln?«

»Viel zu weit weg.«

Ich erwache aus meinen Gedanken und lausche der neu entbrannten Diskussion unter meinen Gefährten.

»Außerdem ist es ein direkter Befehl des Tribuns. Und der Bischof wird uns ohnehin nicht helfen. Seit er die noch verbliebenen Krieger zu sich gerufen hat, soll er sich hinter seinen Mauern verstecken.«

»Also wie ihr?«, höre ich aus der anderen Ecke eine sanfte, jedoch zugleich beherzte Stimme antworten. Das Mädchen hatte uns offenbar die ganze Zeit belauscht.

»Was weißt du schon? Wegen dir und deinen Freunden sind wir doch erst in dieser Situation! Wir öffnen gnädig unsere Tore, und ihr fresst uns die letzten Vorräte weg«, gibt Strello, einer der Gefährten unserer Mission, wutentbrannt zurück.

»Was ist aus unserer christlichen Nächstenliebe geworden«, schalte ich mich dazwischen, »wenn wir nicht einmal mehr unseren Nachbarn helfen? Diesem Feind müssen wir alle geschlossen entgegentreten. Und wir alle leisten unseren Teil auf eine andere Art und Weise.«

Statt Dankbarkeit erhalte ich seitens des Mädchens jedoch nur ein schnippisches Schnauben: »Ach, du meinst, ich könne also glücklich sein, in der Küche untergekommen zu sein?« Nun lachen die anderen und machen sich auf etwas Unterhaltung gefasst. »Ich weiß durchaus, ein Schwert zu führen«, setzt sie zum zweiten Stoß an, »und wenn ihr’s wissen wollt, Wazzarburg ist bei Weitem nicht so gut ausgestattet, wie ihr alle zu wissen glaubt. Ich wollte erst dort Schutz suchen, doch wurde ich von den Mönchen abgewiesen. Entweder, sie leiden bereits seit Tagen Hunger, oder sie zeigen ebenso wenig Nächstenliebe wie ihr.« Das Mädchen wirft nun Strello einen strengen Blick zu und fährt fort: »Der Abt des Gallusklosters hat in seiner unendlichen Weisheit alle wehrlosen Greise und Knaben nach Wazzarburg geschickt, während er seine wertlosen Bücher bei den Mönchen in Augia in Sicherheit gebracht hat. Auf jener großen Insel hätten sowohl mehr Menschen als auch mehr Vorräte Platz gefunden.«

»Woher weißt du das alles?«, möchte ich von ihr wissen.

Sie zieht ihre Augenbrauen hoch und will gerade zu einer Antwort ansetzen, als sie von meinem Nebenmann Sindolt unterbrochen wird: »Wie eine Spionin sieht sie jedenfalls nicht aus.«

Verärgert will sie sich von unserer Gruppe wegdrehen, wird jedoch sogleich von Strello am Arm zurückgezogen: »Nein, im Ernst, warum sollten wir dir vertrauen? Woher weißt du das alles? Wir kennen nicht einmal deinen Namen.«

Widerwillig beginnt sie zu sprechen: »Man nennt mich Anna. Bis vor wenigen Tagen war ich noch als Magd des Praeses Wolfbert in Puachhorn tätig. Da konnte ich so manche Unterhaltung der Dienstboten des Gallusklosters belauschen. Vor Wochen ist mein Herr jedoch dem Ruf unseres Herzogs Burchard gefolgt. So musste ich auf eigene Faust fliehen, als sich die Schreckensnachrichten von fremden Reiterhorden verdichteten und aus der Ferne bereits die ersten Rauchsäulen zu sehen waren.«

»Sie sollte uns bei Sonnenaufgang begleiten«, meldet sich nun erstmals Milo, der älteste von uns vieren zu Wort. »Das Mädchen kennt sich am nördlichen Ufer besser aus als wir, und als ehemalige Magd des Wolfbert dürfte sie dem einen oder anderen Wortführer bekannt sein.«

»Ist das nicht zu riskant für sie?«, werfe ich ein.

»Gefährlicher als hier?«, entgegnet Anna.

Innerlich muss ich ihr recht geben. Zudem möchte ich ihre Nähe nicht mehr missen.

»Also ist es beschlossen«, folgert Milo. »Wir fünf brechen beim ersten Anzeichen der Dämmerung auf. Sindolt, Strello, bringt einige Vorräte hinunter zum Boot. Ich melde dem Centenar unsere neue Ausgangslage und folge euch nach.« Er wendet sich an uns: »Wir sehen uns gleich außerhalb der Mauern, seid bloß leise.«

Während die drei sich entfernen, bleiben Anna und ich zurück und schweigen noch kurze Zeit das Feuer an. »Hat dich dein Weg schon früher einmal nach Arbona geführt?«, setze ich schließlich zum Gespräch an.

»Ich glaube nicht«, flüstert Anna sehr knapp und in Gedanken versunken vor sich hin.

Um die peinliche Stille zu durchbrechen, nicke ich ihr zu und tue so, als müsste ich mir noch meine Sachen aus den Stallungen holen. Trotz meines kleinen Umwegs laufen wir uns jedoch kurze Zeit später wieder über den Weg. Mit einem kurzen Seitenblick auf meine bescheidene Ausrüstung, der ich offensichtlich nichts hinzugefügt habe, machen wir uns schweigend auf zur Mauer. Wir erreichen das plätschernde Ufer über eine kleine verbarrikadierte Öffnung in einem zusammengefallenen Halbrundturm an der nördlichen Festungsmauer. Dort warten bereits unsere Gefährten ungeduldig auf die Morgendämmerung. Wir hatten schon seit Längerem nichts mehr von den anderen Siedlungen am Bodamansee gehört. So waren viele der hiesigen Wachmannschaft über den Verbleib von Freunden und Verwandten im Unklaren. Und viele schlossen aus den täglich näherkommenden Rauchsäulen am Horizont schon länger auf das eigene Schicksal. Doch wir werden uns nicht kampflos ergeben. Wir nehmen es selbst in die Hand.

»Marcus und Strello, ihr übernehmt die Ruder. Machen wir uns bereit zum Aufbruch.« Milo verstaut die Vorräte im hinteren Teil des Bootes und heißt uns, über die Bordwand zu steigen.

Am Horizont erscheint ein dünner Streifen Licht. Milo stößt uns vom Ufer ab, und unser Boot gleitet in den endlos wirkenden See hinaus, während Strello und ich unsere Ruder im Einklang durchs schwarze Wasser ziehen. Wir entdecken am Ufer jenseits des Wassergrabens zahlreiche Lagerfeuer und können davor die Schatten vereinzelter Krieger wahrnehmen. Die Fackeln von Arbona werden hinter uns immer kleiner. Milo steht am Bug und versucht angestrengt, in der Dunkelheit potenzielle Gefahren auszumachen. Sindolt summt leise ein Lied in die kühle Morgenluft hinaus; so als wollte er den See günstig stimmen. Und das Gewässer ist uns diesen Morgen tatsächlich geneigt. Eine leichte Brise kommt auf, und wenige Momente später befiehlt Milo schon das Aufziehen des kleinen Segels. Wir legen die Ruder zu unseren Füssen nieder und überlassen dem Wind die Arbeit.

Das Morgenlicht reicht nun aus, um die Hügelkette am gegenüberliegenden Ufer zu erkennen, als Milo zu erzählen beginnt: »Ich war in deinem Alter, Marcus, als ich das erste Mal im Auftrag meines Herrn den See überquert habe. Wir fanden uns damals in Steinaun ein, nicht weit von Arbona entfernt. Obwohl erst seit Kurzem schwurberechtigt, war mir die Ehre zuteil geworden, als einer von über einem Dutzend Männern an der Seite des großen Grafen Burchard eine feierliche Landschenkung mit zu bezeugen. Ich werde den Tag nie vergessen.«

»Ihr meint doch nicht etwa dieses diebische Stück Scheiße?«, fährt ihm Strello dazwischen.

»Ich spreche von seinem Vater. Niemand hätte gedacht, dass sein Sohn diesen Weg einschlagen würde.«

»Während der Rebellion, auf wessen Seite standet Ihr damals?«, unterbricht ihn Strello ein zweites Mal.