Flucht und Freiheit - Sebastian Rink - E-Book

Flucht und Freiheit E-Book

Sebastian Rink

0,0
4,99 €

-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Hagars Leben ist auf den ersten Blick nicht sehr erbaulich. Die Erzählung aus Genesis 16 ist vielmehr eine Geschichte vom Bodensatz des Lebens. Ausgegraben aus dem Schlick und Schlamm menschlicher Erfahrung. Es geht um Flucht und Patriarchat, um sexuelle Ausbeutung und toxische Beziehung, um Sehnsucht und Trauma, Verzweiflung und Egoismus, um Macht und Gewalt, Unrecht und Neid. Und um eine unbändige Sehnsucht nach Freiheit. Sebastian Rink legt die Erzählung von Hagar neu aus. Dabei kommen Menschen in den Blick, die zu häufig übersehen werden und die nach ihrem Platz in einer christlichen Gemeinde suchen. Eine Auslegung für alle, die theologisch weiterdenken wollen.

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI

Seitenzahl: 45

Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Sebastian Rink ist Jahrgang 1985 und hat Evangelische Theologie in Ewersbach und Marburg studiert. Er war Pastor einer Freien evangelischen Gemeinde und hat an der Philipps-Universität Marburg über Friedrich Schleiermacher promoviert.

INHALT

Vorwort

Gelände

Vorgeschichte

Sehnsucht

Moral

Fragen

Verlust

Zukunft

Terror

Name

Mitte

Anmerkungen

VORWORT

In diesem Buch ist meine Bibelarbeit beim „Zwischenraum“-Jahrestreffen im August 2023 dokumentiert. Dieser Kontext war für meine Auslegung maßgeblich. Daher fehlen andere Aspekte, die schmerzlich vermisst werden dürfen, weil der Titel „Flucht und Freiheit“ womöglich mehr und anderes erwarten lässt. Es kann und darf an mancher Stelle sicher mitgelesen werden.

Zu danken habe ich besonders meinen Testleser:innen, die den Text durch ihre Anregungen und Korrektur spürbar verbessert haben: Ingeborg, Jochen, Kristina, Malia und Manuel.

Mein Buch ist vor allem ein Dankeschön an den „Zwischenraum“ (www.zwischenraum.net). Dieser Verein engagiert sich dafür, dass queere Menschen ein Zuhause für ihren christlichen Glauben finden, was besonders innerhalb meiner freikirchlichen Herkunft noch immer keine Selbstverständlichkeit ist. Danke für euren Einsatz und für das Vertrauen, dass ich als cishetero Ally1 für einige Stunden Teil eurer besonderen Gemeinschaft sein durfte. Euch Zwischenraumler:innen ist dieses Buch gewidmet.

GELÄNDE

„Du bist ein G*tt, der mich sieht!“2 – was für ein ergreifend schöner Ausspruch. Gefällig, erbaulich, eingängig. Zumindest dann, wenn wir ihn nicht im Sinne des „Big Brother“ verstehen. Ich mag diesen Vers sehr, nicht zuletzt, weil er mein tiefes menschliches Bedürfnis nach Anerkennung anspricht. Ein gefälliger Text …

… was man von seinem Kontext nicht behaupten kann. Das 16. Kapitel des Buches Genesis (oder 1. Mose oder Bereschit) ist auf den ersten und den zweiten Blick keine sehr erbauliche Geschichte. Die Erzählung von Hagar, der Frau, die diese gefällige G*ttesbeschreibung im Munde trägt, ist vielmehr eine Geschichte vom Bodensatz des Lebens. Ausgegraben aus dem Schlick und Schlamm menschlicher Erfahrung: Es geht um Flucht und Patriarchat, um sexuelle Ausbeutung und toxische Beziehung, um Sehnsucht und Trauma, Verzweiflung und Egoismus, um Gewalt, Unrecht, Neid und so vieles mehr, das dem Leben mächtig zusetzt.

All das in nur 16 Versen. Kein Wunder, dass einer der wichtigsten Alttestamentler:innen des vergangenen Jahrhunderts, Gerhard von Rad, seine Auslegung des Kapitels so zusammenfasst:

„Der erste Eindruck für jeden Ausleger ist gewiss der, dass er hier zwar in ein Geschehen von großer Dichte und Anschaulichkeit hineingeführt wurde, dass […] er sich [aber] vergeblich nach einer Deutung umsieht und dass er in einem weiträumigen Gelände allein gelassen ist. Wer aber hier ungeduldig nach dem Sinn dieser Erzählung fragt, wird sich erst die Gegenfrage stellen müssen, nämlich, ob es so sicher sei, dass so eine Erzählung nur einen Sinn habe. Hier ist offenbar sehr weiträumig erzählt, sozusagen mit vielen Gedankenstrichen zwischen den Sätzen. Der Erzähler lässt vielerlei Gedanken und Erwägungen Raum und beeilt sich nicht, den Leser auf einen Gedanken und ein Urteil festzulegen.“3

Das ist in etwa auch mein eigenes Anliegen: Raum für viele Gedanken und Erwägungen.

Genesis 16 ist nach Gerhard von Rad außerdem „ein höchst merkwürdiges Zwischenspiel“.4 Ein Zwischenspiel in den Erzählungen der Erzeltern: Sarai und Hagar mit Abra(ha)m, Rebekka und Isaak, Rahel und Lea mit Jakob. Erzeltern sind sie nicht deshalb, weil in ihnen die historischen Anfänge des Volkes Israel dokumentiert wären. Sie sind Erzeltern, weil sie uns an die Ursprünge und Tiefengründe unseres Daseins heranerzählen. Von ihnen wird erzählt, damit wir uns verstehen.

Diese urigen Lesegeschichten vom Anfang der Bibel verstehen etwas von unseren Lebensgeschichten. Die Urgeschichten sind Lebensgeschichten. Sie verstehen ganz besonders etwas von verworrenen und verwirrenden Lebensgeschichten.

Genesis nennen wir dieses Buch aus dem Griechischen: „Entstehen“ oder „Werden“. Bereschit heißt es in der Hebräischen Bibel, „im Anfang“. Die Geschichten erzählen beides: Wie das Leben immer wieder zum Anfang werden kann. Oder: Wie wir immer wieder mit dem Werden anfangen können.

Die Genesis, Bereschit, das 1. Buch Mose, ist ein verworrenes Ganzes. Verworren in den Erzählungen, verwinkelt in seiner Entstehung, manchmal zum Verzweifeln in seiner Auslegung. Immerhin können wir sie recht klar gliedern. 11 Kapitel erzählen eine Urgeschichte davon, wie nicht irgendwann einmal, sondern immer wieder das Werden anfängt. Eine Geschichte von Mensch und Leben, voller Tiefe und eben soviel Abgrund. Voller Höhen und nicht weniger Überheblichkeit. Vom Drama des Lebens, das sich am Leben überhebt. Urgeschichte – das ist unsere Geschichte, Erzählung vom Menschsein, Erzählung vom Versuch, Mensch zu sein.

Es folgen einige Kapitel, die man früher Väter- oder Erzvätergeschichten genannt hat: Abra(ha)m, Isaak, Jakob, zuletzt Josef, wobei dieser eine gewisse Sonderrolle einnimmt. Die „Patriarchen“ nennt man sie – und damit ist auch schon vieles gesagt. Leider auch vieles, was den Erzählungen nicht gerecht wird. Denn die „Erzvätergeschichten“ waren seit jeher Erzelterngeschichten. „Von den Texten des sogenannten ‚Abraham-Kreises‘ hat beinahe jeder zweite Text Frauen als tragende Figuren der Handlung.“ 5 Mit den anderen „Patriarchen“ steht es ähnlich. Aber genau das ist ja ein Kennzeichen des Patriarchats: unsichtbar machen, was nicht in die eigene Erzählung passt. Unsichtbar machen, was die eigene Vormachtstellung gefährden könnte. Nicht zuletzt: Patriarchat heißt, die eigene Unsicherheit unsichtbar machen. Dagegen ist die Erzählung von Hagar das exakte Gegenteil, Gegenerzählung, Widerspruch. Genesis 16, die erste Hagarerzählung, ist vielleicht die Erzählung vom Sichtbarmachen.

VORGESCHICHTE