Flüchtige Bekannte - Thomas Weiss - E-Book

Flüchtige Bekannte E-Book

Thomas Weiss

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Beschreibung

»Ich muss noch mal kurz hoch ins Büro, Schatz!« - das sind die letzten Worte, die Berthold Schulz von seiner Frau hört. Seit über einem Jahr ist sie verschwunden, doch es liegen keinerlei Hinweise auf ein Verbrechen vor. Eine interessante Story, denkt sich auch der Erzähler dieser Geschichte, ein Journalist. Er recherchiert, schreibt über den Fall, bittet um Hinweise über den Verbleib der Architektin Maren S.: Hat sie tatsächlich Aufziehvögel vor dem Centre Pompidou verkauft? Auch in Polen will man sie gesehen haben, unterwegs auf einem Fahrrad. Dann ist sich ein Leser sicher: Sie sei Tennislehrerin in einem All-Inclusive-Club auf Djerba – ein Foto lässt keine Zweifel. Der Journalist ist elektrisiert. Sofort bucht er einen Tenniskurs und fliegt nach Tunesien. Doch warum nennt er seiner Frau ein falsches Reiseziel? Brillant spielt Thomas Weiss mit dem bekannten Odysseus-Motiv des »ewig Suchenden« - im Zentrum: eine Frau. Ein gleichwohl kluges wie leichtsinniges Stück Literatur, das eines deutlich macht: die Sehnsucht nach der »Befreiung aus dem Hamsterrad« kennen wir alle.

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www.berlinverlag.de

Die Arbeit an diesem Roman wurde gefördert vom Trustee Programm EHF 2010 der Konrad-Adenauer-Stiftung sowie dem Ministerium für Wissenschaft, Forschung und Kultur des Landes Brandenburg.

Der besondere Dank des Autors gilt Nick Schröder, Inka Parei, und Uta Niederstraßer, ohne die dieser Roman nicht die vorliegende Gestalt hätte.

Vollständige E-Book-Ausgabe der im Berlin Verlag erschienenen Buchausgabe

1. Auflage 2014

ISBN 978-3-8270-1211-1

© Berlin Verlag in der Piper Verlag GmbH, Berlin 2014

Alle Rechte vorbehalten

Umschlaggestaltung: ZERO Werbeagentur, München

Datenkonvertierung: CPI books GmbH, Leck

FLÜCHTIGE BEKANNTE

Insel der Lotophagen, 1145v.Chr.

Und neun Tage trieb ich, von wütenden Stürmen geschleudert über das fischdurchwimmelte Meer; am zehnten gelangt’ ich hin zu den Lotophagen, die blühende Speise genießen. Allda stiegen wir an das Gestad’, und schöpften uns Wasser. Eilend nahmen die Freunde das Mahl bei den rüstigen Schiffen. Und nachdem wir uns alle mit Trank und Speise gesättigt, sandt’ ich einige Männer voran, das Land zu erkunden, was für Sterbliche dort die Frucht des Halmes genössen: Zween erlesene Freund’; ein Herold war ihr Begleiter.

Und sie erreichten bald der Lotophagen Versammlung. Aber die Lotophagen beleidigten nicht im Geringsten unsere Freunde; sie gaben den Fremdlingen Lotos zu kosten. Wer nun die Honigsüße der Lotosfrüchte gekostet, der dachte nicht mehr an Kundschaft oder an Heimkehr: sondern wollte stets in der Lotophagen Gesellschaft bleiben, und Lotos pflücken, und seiner Heimat entsagen.

Doch ich zog mit Gewalt die Weinenden wieder ans Ufer, warf sie unter die Bänke der Schiffe und band sie mit Seilen. Drauf befahl ich und trieb die übrigen lieben Gefährten, eilend von dannen zu fliehn und sich in die Schiffe zu retten, dass man nicht, vom Lotos gereizt, der Heimat vergäße.

Berlin, 16.November

Wir hatten Verspätung. Vor vierzig Minuten hätten wir starten sollen, stattdessen saßen wir an diesem Gate und warteten. Ich versuchte mit dem Laptop auf dem Schoß zu arbeiten, tat mich aber schwer, unkonzentriert, wie ich war. Als ich sah, wie sich die Frau vom Bodenpersonal hinter ihrem Desk zum Mikrofon beugte, glaubte ich natürlich wie alle anderen auch, es ginge endlich los, dann ihre Durchsage, der Sektor sei immer noch überlastet, unser Abflug verschiebe sich um weitere dreißig Minuten.

Sofort setzte allgemeines Gemurmel ein, manche schüttelten den Kopf und verzogen ihr Gesicht, mir ging es nicht anders, es nervte einfach, vor allem weil spätestens jetzt klar war, dass ich meinen Anschlussflug nach Djerba verpassen würde. Ob es spätere Flüge gab, wusste ich nicht, wahrscheinlich würden wir erst gegen acht in Tunis ankommen, vorausgesetzt, wir kamen überhaupt irgendwo an.

Ich ging zum Desk, um mich zu erkundigen, und erhielt nach einem Blick auf den Monitor die Auskunft, zwei weitere Maschinen würden an diesem Abend noch von Tunis aus starten, ich könne ganz beruhigt sein.

Zurück auf meinem Platz war ich überhaupt nicht beruhigt und fragte mich, was eigentlich mit mir los war. Die Frau vom Desk hatte völlig recht, ich hätte es mir bequem machen und entspannt abwarten können, es spielte absolut keine Rolle, ob ich zwei Stunden später in diesem Club auf Djerba ankam oder nicht, Maren lief mir nicht davon, sie hatte keine Ahnung. So oder so würde ich sie frühestens am nächsten Tag treffen, wieso also diese Unruhe, die ich schon seit Tagen spürte, statt mich auf eine Woche Mittelmeer im November zu freuen, mit Palmen, Sonne, Sand und Meer. Schließlich hätte sie auch in Alaska sein können, bei minus fünfunddreißig Grad und Schneesturm, oder in der Wüste Gobi, oder sonstwo.

Um auf andere Gedanken zu kommen, beschäftigte ich mich erneut mit meiner Kritik von Atmen. In ein paar Tagen musste ich liefern, aber alles, was ich tippte, löschte ich, kaum dass ich es durchgelesen hatte. Dabei gefiel mir die Story über diesen achtzehnjährigen Freigänger, der ausgerechnet durch einen Job bei der Wiener Bestattung im Leben wieder Fuß fassen wollte, schwarzer Humor eben, den ich witzig fand. Meine Bewertung stand fest, ich gab dem Film vier Sterne, trotzdem fiel mir nichts Vernünftiges ein, ich konnte mir den Kopf zerbrechen, wie ich wollte.

Nach fünf Minuten klappte ich das Laptop endgültig zu, es hatte einfach keinen Sinn.

Das Gate voller Menschen, man saß dicht an dicht, umgeben von Taschen, Tüten und Mänteln. Irgendwo anders hinzugehen war unmöglich, weil sofort Trennwände kamen, wir waren regelrecht eingepfercht. Ich hasste diesen Flughafen mit seiner engen Zweckmäßigkeit und stellte mich an eines der Fenster, um mir etwas Luft zu verschaffen.

Draußen war Nacht, Betrieb auf dem Vorfeld im Flutlicht bei Nieselregen. Seit Wochen nasskaltes Wetter, auch tagsüber wurde es nicht richtig hell, dafür eine diffuse, weißlich graue Schicht am Himmel, die einen wahnsinnig machte.

Auf einem Zug aus Gepäckkarren weichten Koffer durch.

Am Desk rührte sich noch immer nichts.

Um etwas zu tun, ging ich zur Toilette und wusch mir die Hände. Das bleiche Gesicht, das mich aus dem Spiegel über dem Waschbecken anglotzte, passte eigentlich nicht zu mir, im ersten Moment erschrak ich geradezu. Ich hätte mich rasieren sollen, irgendwie wirkte ich ungepflegt, fiel mir auf, bevor ich meinen Blick abwendete und mir dabei zusah, wie ich meine Finger einseifte.

Am Gate stand ich wieder unschlüssig mit den Händen in den Hosentaschen.

Dann endlich die Durchsage, unsere Maschine sei nun zum Einsteigen bereit. Sofort sprangen alle auf, weil es keiner mehr erwarten konnte.

Wir schwenkten auf die Startbahn.

Ich war erleichtert, als wir abhoben. Kurz konnte man noch die Lichter am Boden erkennen, bevor wir in den Wolken verschwanden.

Später gab es Laugenstange mit Butter. Auf dem Klapptisch vor mir stand das Laptop, ich klickte Fotos von Badfliesen durch, die mir Anne extra noch abgespeichert hatte. Die nächste Versammlung unserer Baugruppe sollte zwei Tage nach meiner Rückkehr stattfinden, dann mussten wir Details nennen. Ich hatte vor diesen Zusammentreffen jedes Mal ein ungutes Gefühl. Der Bau war eine Belastung, auch wenn ich es nicht zugab. Anne steckte den ganzen Ärger besser weg, ich dagegen rechnete immer mit einer Katastrophe. Riss in einer tragenden Wand, Insolvenz der Baufirma, Nässe, die nicht richtig austrocknete, und kurz nach dem Einzug schimmelten die Wände, alles Mögliche konnte passieren. Man wusste einfach nicht, worauf man sich einließ, ich glaube das war es, was mich am meisten bei der Geschichte störte. Es war nicht zu kontrollieren, unmöglich, man hatte keinen Einfluss und konnte nur hoffen, dass alles gutgehen würde, was mir, wie gesagt, unheimlich schwerfiel.

Die Sicht wurde klarer, je südlicher wir kamen. Unter uns Lichter in Orange, ansonsten alles stockdunkel, bis auf die Tragfläche, die, vom Blitzen des Positionslichts beleuchtet, vollkommen ruhig in der Luft lag.

Nachdem ich mich teilnahmslos durch die Fliesen geklickt hatte, eigentlich war mir völlig egal, was bei uns im Bad an der Wand klebte, packte ich den Stick weg und betrachtete wieder dieses Foto von Maren: wie sie vor der Garage im Rohbau steht, mit dem Meterstab in der Hand. Ihr überraschter Blick in die Kamera, als wäre sie beschäftigt gewesen und hätte aufgesehen, weil der Fotograf irgendetwas rief. Die Hemdsärmel der taillierten weißen Bluse aufgekrempelt, ihre dunklen Haare zum Pferdeschwanz gebunden. Eine lange Strähne hing über ihrer Wange, ich war mir sicher, dass Maren sie Sekunden nach dem Foto hinters Ohr gestrichen hatte. Sie wirkte attraktiv, klar, auch wenn das natürlich keine Rolle spielte. Ich glaubte, etwas wie Skepsis oder Misstrauen aus ihrem Blick herauslesen zu können, was wahrscheinlich albern war. Eine Momentaufnahme, nichts weiter.

Als ich mir durch den Kopf gehen ließ, dass es nicht mehr lange dauern würde, bis ich ihr gegenübertrat, wenn nicht zwischendurch die Welt unterging, fühlte ich wieder dieses nervöse Kribbeln im Magen, dessen Ursache ich mir einfach nicht erklären konnte.

Locarno, vor drei Monaten

Mein Telefon klingelte, als ich in einer Pause zusammen mit Georg, der fürs Radio arbeitete und den ich seit Jahren kannte, an der Bar im Pressezentrum stand, bei Schinken-Käse-Toast und Mineralwasser.

Vom Display wurde angezeigt, dass Anne anrief. Ich steckte das Telefon zurück in die Tasche, es schien mir unsinnig abzunehmen, in der hektischen Bar, außerdem begann in zehn Minuten der nächste Film. Georg trank Bier, was ich angesichts der Hitze für gewagt hielt. Wir hatten gerade Five easy pieces aus der Nicholson-Retrospektive gesehen, siebziger Jahre, den wir natürlich kannten, aber uns noch mal gönnen wollten, sozusagen als Privatvergnügen. Nicholson in der Rolle dieses komplett Entwurzelten, der keine Bindungen eingehen konnte, weder beruflich noch privat, ein Verlorener, unzufrieden mit sich und der Welt, früher Konzertpianist, dann Arbeiter auf einem Ölfeld. Am Ende ist er zusammen mit seiner Freundin im Auto auf der Rückfahrt von einem ziemlich bitteren Besuch bei seinem Vater, zu dem er jahrelang keinen Kontakt hatte, weil sie sich von Anfang an nicht verstanden. Mitten im Nirgendwo stoppt er an einer Tankstelle, geht zur Toilette, seine Freundin bleibt im Wagen sitzen, schaut im Waschraum lange in den Spiegel, geht wieder nach draußen, spricht spontan mit einem Lkw-Fahrer, der zufällig zwischen ihm und seinem Wagen geparkt hat, passt auf, dass ihn seine Freundin nicht bemerkt, steigt auf der Beifahrerseite in den Lkw, nur mit den Sachen, die er am Leib trägt, und fährt davon, irgendwohin, während sich seine Freundin im Wagen an der Zapfsäule wundert, wo er nur so lange bleibt.

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

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