Flug der Falken - Robert Habeck - E-Book

Flug der Falken E-Book

Robert Habeck

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Beschreibung

Endlich Ferien! Das denken sich auch die Freunde Clara und Jan, als sie zum Zelten aufbrechen. Und diese Ferien werden ganz anders als ursprünglich geplant, denn die beiden übernehmen eine wichtige Aufgabe für eine Umweltorganisation: Sie haben sich dazu bereiterklärt, einen seltenen Falken zu bewachen, der sich in der Nähe einer heruntergekommenen Burgruine aufhält. Geldgierige Jäger haben es auf den wertvollen Vogel abgesehen und nun ist es an Jan und Clara, immer ein Auge auf den Falken zu haben. Schnell merken sie, dass ein unheimlicher Fremder um den Wachposten herumschleicht und verdächtiges Interesse zeigt. Jan und Clara fürchten um das Leben des Falken – und um ihr eigenes … Doch wem können sie wirklich vertrauen?

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Seitenzahl: 150

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Flug der Falken

eISBN: 978-3-96129-191-5

 

Edel Kids Books

Ein Verlag der Edel Germany GmbH

Copyright © Edel Germany GmbH, Neumühlen 17, 22763 Hamburg

www.edel.com

 

Text: Robert Habeck und Andrea Paluch

Sachtext: Michael Kladny

Lektorat: Almut Schmidt

Covergestaltung: Formlabor

Projektkoordination: Rebecca Hirsch

ePub-Konvertierung: Datagrafix GmbH, Berlin

 

Alle Rechte vorbehalten. All rights reserved.Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

 

 

Andrea Paluch, geboren 1970 in Hannover, hat als Kolumnistin, Dozentin und Lernberaterin gearbeitet und zahlreiche Romane, Jugend- und Kinderbücher (u. a. »Zwischen den Jahren« und »Zwei Wege in den Sommer«) veröffentlicht.

Viele davon zusammen mit Robert Habeck, geboren 1969 in Lübeck. Robert Habeck war sechs Jahre lang stellvertretender Ministerpräsident und Umweltminister in Schleswig-Holstein und wurde 2018 zum Bundesvorsitzenden der Grünen gewählt. 2019 wurde das erste gemeinsame Kinderbuch der beiden, »Ruf der Wölfe«, bei Edel Kids Books neu aufgelegt. Das Paar hat vier Söhne und lebt in Flensburg und Berlin.

Ich will die Dinge, die sind, sichtbar machen, so wie sie sind.

 

Kaiser Friedrich II., Über die Kunst mit Vögeln zu jagen

Die Oberfläche des Nils ist vom Wüstenwind gerippt. Schräg laufen die kleinen Wellen auf das Ufer zu. Weiter im Norden wird der Fluss braun. Er ist dann so reißend, dass seine Wellen nicht aus Wasser, sondern aus mitgespültem Schlamm bestehen. Bei Edfu ist der Nil noch schmal, fließt ruhig dahin und nimmt sich Zeit für einen Strand. Auf dem Sand spielen Wasser und Sonne Fangen. Die Stadt sieht aus wie Schaumkronen. Die Häuser sind ins Land gesprenkelte Gischt. Ein heißer Wind bläst den Geruch von Falafeln und Gewürzen zum Fluss.

Hier steht der riesige alte Tempel des Gottes Horus. Im Osten steigt steil die Arabische Wüste an.

Ein junger Mann geht an den Säulen des Horus-Tempels vorbei. Während die anderen Menschen aus Edfu sich nicht für diese Steine, die schon vor über zweitausend Jahren aufeinandergewuchtet wurden, interessieren und auch nicht für die Gänge und Hallen hinter den dicken Mauern, für die Reliefs von Kriegen und Festen, bleibt er einen Moment andächtig vor dem Tempel stehen und senkt den Kopf. Als er weitergeht, hat er die Sonne im Rücken. Hinter der Moschee biegt er in eine kleine Gasse ein. Händler mit Karren voll Zuckerrohr und eine Ziegenherde kommen ihm entgegen, und er muss sich in eine Nische drücken, um die Tiere vorbeizulassen. Die Straße ist nicht gepflastert, und der Staub steigt bis zu den oberen Fenstern der Häuser auf. Der Mann hat schwarze Haare, die ihm bis zum Kinn reichen und die er mit einem schmalen Reifen nach hinten geschoben hat. Seine Haut ist braun, fast bronzefarben, und sein Gesicht ist glatt und schmal, schmaler als die Gesichter der Händler, denen er eben ausgewichen ist. Der junge Mann zieht einen Schal vor Mund und Nase. Er trägt nicht wie die anderen Männer in der Stadt einen Burnus und die arabische Kopfbedeckung, sondern ein kariertes Hemd und weite Leinenhosen. Jetzt überquert er die Gasse und öffnet ein kleines Eisentor. Es führt in einen Innenhof, in dem Grabstätten dicht nebeneinandergedrängt liegen. Der junge Mann geht zwischen den Gräbern hindurch. Der gesamte Friedhof liegt im Schatten, hohe Häuser stehen ringsum. Die Sonne fällt nur mittags in den Hof. Ihn fröstelt.

Das Grab, vor dem der junge Mann stehen bleibt, liegt in der hintersten Ecke des Hofes und ist ein einziger großer Steinblock. Auf der Vorderseite ist ein Relief zu sehen, das eine junge Frau auf einem Thron zeigt. Ihr Gesicht ist im Profil zu sehen und ähnelt den feinen Zügen des jungen Mannes – eine schmale Nase, lange Wangen und geschwungene Augenbrauen. Auf der hohen Rückenlehne des Throns sitzt ein Raubvogel. Er hat die Schwingen gespreizt und wie einen Lorbeerkranz um den Kopf der jungen Königin gelegt.

Der Mann kniet nieder und legt seine Stirn an den Stein. So verharrt er, die Augen geschlossen. Schließlich hebt er den Kopf.

»Ich fahre nach Deutschland. Der Falke ist dort. Jetzt wird alles gut.«

In diesem Moment fällt ein schmaler Streifen Licht durch die Häuserfront. Der Mann steht auf und geht.

1

Die Sonne brennt durch die Fensterscheibe auf mein rechtes Ohr. Ich habe das Gefühl, mir laufen glühende Ströme Lavaschlacke über die Stirn. Für Anfang Juni ist es viel zu heiß. Es sind noch drei Tage bis zu meinem Geburtstag, und so eine Hitze hat es noch nie gegeben, solange ich mich erinnern kann. Im Kursraum ist es stickig. Zehn nagelneue Laptops stehen auf den Tischen. Vor jedem Laptop hocken zwei bis drei Leute aus meiner Klasse. Ich habe mit Lasse einen zusammen. Wir warten, dass eine Verbindung zur Homepage von www.horus-spiel.com hergestellt wird. Das ist die Firma, die das Computerspiel Seths letztes Gefecht vertreibt. Aber das Netz ist wohl schon zu voll. Es dauert ewig, bis der Computer seine Bytes sortiert hat. Es ist fast ein Uhr, und in zehn Minuten ist die Stunde um.

Seit den Weihnachtsferien haben wir ein neues Unterrichtsfach. Es heißt Medienkunde und ist innerhalb kürzester Zeit zum Lieblingsfach der ganzen Klasse geworden. Kurz nach Weihnachten hatte die Sekretärin des Rektors einen Brief an unsere Eltern geschrieben, in dem sie mitteilte, dass im Medienkundeunterricht gelernt werden soll, wie man im Netz seriöse Informationen findet und Fake News erkennt. Faktisch bedeutet das, dass wir neunzig Minuten lang durch das Internet surfen, auf Y8.com rumhängen, chatten oder Youtube gucken, wobei man dabei natürlich nicht vergessen darf, den Ton auszuklicken.

Zum Glück ist unser Medienkundelehrer unser Klassenlehrer, Herr Linne. Der unterrichtet uns bereits in Biologie und hat nun in den Weihnachtsferien eine Fortbildung über neue Medien absolvieren müssen. Jetzt hat er ungefähr so viel Ahnung von Computern wie meine kleine Schwester Antonia. Er brauchte eine ganze Schulstunde dafür, seinen Videochat einzurichten. Dann stellt er uns Aufgaben, die er selbst nicht lösen kann, zum Beispiel:

»Wie schnell müsste der Weihnachtsmann sein, um alle Geschenke pünktlich am Weihnachtsabend zu verteilen?«

»Ist ein Virus ein Lebewesen?«

»Woran erkennt man eine seriöse Quelle?«

Dann sitzt er vor seinem Bildschirm und brütet über Suchmaschinen und stolpert über immer neue Links, während wir warten und Tetris spielen.

Mein Verhältnis zu Linne hat sich, seitdem wir Medienkunde haben, merklich gebessert. Im Gegensatz zu Claras Verhältnis zu ihm. Sie, die alles über Tiere weiß, sich für die Natur interessiert und für Greenpeace ihr halbes Taschengeld spendet, ist geradezu aufmüpfig und von einer Streberin in Bio zu einem totalen Nervbolzen in der Schule geworden. Clara sagt immer hundertprozentig das Gegenteil von dem, was erwartet wird. Selbst bei allgemein bekannten Tatsachen widerspricht sie. Als Linne zum Beispiel sagte, dass der Mensch vom Affen abstammt, war Clara prompt anderer Meinung.

»Der Mensch und der Affe haben die gleichen Vorfahren«, sagte sie.

»Ja, das habe ich doch eben gesagt«, rechtfertigte sich Linne.

»Nein. Sie haben gesagt, dass der Mensch vom Affen abstammt«, beharrte Clara.

»Das ist doch dasselbe«, versuchte Linne seinen Faden wieder aufzunehmen.

»Nein, ist es nicht. Es klingt so, als ob der Mensch etwas Besseres ist als ein Affe. Eine höhere Stufe der Entwicklung. Tatsächlich stehen Affen und Menschen gleichwertig nebeneinander.«

Es war schon klar, worauf Clara hinauswollte. Wenn Affen und Menschen auf einer Ebene stehen, dann darf es keine Tierversuche geben, keine Zoos, keinen Zirkus, keine Delikatessen mit Affenhirn. Linne versuchte einzulenken. Aber Clara ließ nicht locker. Und er hatte ja auch selbst Schuld. Was ließ er sie auch zu Wort kommen! Den Rest der Stunde nutzte Clara für ihre grüne Propaganda. Seitdem vermeidet Linne den Kontakt mit Clara. Ich hingegen bin viel zu gutmütig und hilfsbereit, und deshalb ruft er mich immer wieder auf.

Doch je weiter Linne nun zum Herzen des Internets vordringt, desto zerstreuter wird er. Und eines der ersten Dinge, die er vergessen hat, sind seine Schüler. Er lässt mich wieder in Ruhe. Unser Verhältnis ist eigentlich schon wieder recht normal.

2

Die Homepage von horus-spiel.com lädt. Ich wische mir den Schweiß aus den Augen. Ein monitorgroßer Falkenkopf starrt Lasse und mich an. Er hat nur ein Auge, das andere Auge ist ein weißer Fleck. Es ist dieser Falke, der dem Anbieter seinen Namen gegeben hat. Horus heißt ein Gott aus dem alten Ägypten, der einen Falkenkopf hat und dessen Flügel den Himmel überspannen. In dem Computerspiel, das horus-spiel.com entwickelt hat, geht es um diesen Falkengott. Nach einer ägyptischen Sage versinnbildlichen seine Augen Sonne und Mond. Durch Horus kommt das Licht auf die Welt. Er steht im ständigen Kampf mit dem Gott der Finsternis, der Seth heißt und dessen Gestalt keinem Tier gleicht. Seth hat eine lange, gebogene Nase und einen flachen Hinterkopf, als ob er da zu oft draufgefallen wäre. Und er ist der Feind, den Lasse und ich bekämpfen müssen, um Horus zu verteidigen. Jeder von uns hat einen Kämpfer, der gegen einen Haufen teuflischer Kobolde bestehen muss, um Horus vor Gefahren zu beschützen und die Welt vor der totalen Finsternis zu bewahren. Lasses Kämpfer trägt einen Kaftan, einen Turban und einen Krummsäbel und heißt Sultan al-Kamil. Er ist ein guter Freund von meinem Kämpfer – und das ist der deutsche Kaiser Friedrich II., der Staufer. Er ist ein Ritter mit zugeklapptem Visier, Kettenhemd und Schwert. Damit haben die Horus-Spielemacher sozusagen den Vogel abgeschossen. Denn der deutsche Kaiser Friedrich II. und der Sultan kannten sich tatsächlich und waren Freunde. Der Sultan wohnte meistens in Ägypten, und Friedrich II. hat sich sehr für Falken und Falkenjagd interessiert. Insofern passt alles zusammen: Ein altägyptischer Falkengott, ein ägyptischer Sultan und ein deutscher Kaiser retten die Welt vor dem Bösen.

Je länger das Spiel dauert, desto härter und schwieriger werden die Abenteuer, die wir zu bestehen haben. Und durch immer neue Komponenten, die man aus dem Internet herunterladen kann, entwickelt sich das Spiel immer anders. Chatten hin,Youtube her, ob das Internet die Welt besser macht oder die Menschen näher zusammenrücken lässt, weiß ich nicht. Aber solange es Spiele wie Seths letztes Gefecht gibt, in denen Ritter durch unterirdische Tunnel schleichen, sich durch ägyptische Wüsten robben oder im Nahkampf Mann gegen Mann die Handlanger des Teufels Seth überwinden, ist die Welt durch Computer auf jeden Fall spannender geworden.

Lasse klickt schnell das Icon an, das zu den neuen Updates führt. Die Startseite der Homepage kennen wir schon auswendig. Dort ist der Mythos, der sich um den Gott Horus rankt, wiedergegeben. Demnach hat Seth dem Falkengott Horus im Kampf eines seiner Augen gestohlen – das Auge, das den Mond darstellt. Man könnte jetzt glauben, wenn Horus sein Mondauge verloren hat, dann ist die Sache durch, und das Spiel ist aus. Es gibt keinen Mond mehr, nur noch finstere Nacht. Friedrich und der Sultan haben versagt. Aber die Sage geht jetzt erst los. Seth muss das Mondauge zurückgeben. Doch das Auge ist nun verletzlich, und es wird ständig weiter darum gerungen. Die abnehmenden und zunehmenden Mondphasen stehen für den Kampf mit der Dunkelheit. Mal siegt die eine, mal die andere Seite. Und das bedeutet, solange der Mond abnimmt und wächst, so lange dauert Lasses und mein Kampf.

3

Wir waren zu langsam. Gerade als wir uns zu den neuen Updates vorgeklickt hatten, schlug es zum Ende der Stunde. Linne schloss sein New Yorker Telefonbuch, ohne zu wissen, wie viele Horowitze es gibt, und entließ uns in den brütenden Tag. Hinter Lasse rutsche ich das Treppengeländer zum Fahrradkeller hinunter. Während wir unsere Räder aufschließen, verabreden wir uns wie üblich zum Computerspielen. Seitdem Lasse so einen richtigen Gaming-Computer hat, fahre ich jeden Abend zu ihm ins Neubaugebiet, und Friedrich und der Sultan schlagen sich durch die Kohorten der Kobolde. Das geht jetzt schon zwei Wochen so, genauso lange, wie diese Hitze alles um uns herum in eine afrikanische Wüste verwandelt. Genau aus diesem Grund müssen wir uns auch immer abends treffen. Lasses Zimmer ist ein Dachzimmer, das außerdem noch nach Süden rausgeht, und erst wenn die Sonne sich hinter dem Nachbarhaus verkrümelt hat, ist es von einer halbwegs erträglichen Temperatur.

Vor dem Fahrradkeller versucht die Sonne, den Asphalt zu verbrutzeln. Ich blinzle in das grelle Licht.

»Horus ist gut drauf«, sagt Lasse und nickt gen Himmel.

»Aber nur noch wenige Stunden. Wenn es Nacht wird, wird es verdammt ernst«, gebe ich zurück. Lasse grinst.

»Allerdings sind die Nächte ein wenig kurz«, füge ich hinzu. Und tatsächlich sind wir seit zwei Wochen nie über die vierte Stufe des Kampfes mit Seth hinausgelangt. Dann war die Zeit auch schon um, und ich musste nach Hause. Wir haben aber einen Plan ausgeheckt. In den Pfingstferien wollen wir das Spiel bis zum bitteren Ende durchziehen.

Dieses Jahr wurden die drei beweglichen Ferientage direkt vor Pfingsten gelegt. Sie reichen fast an meinen Geburtstag ran. Nur zwei Tage Schule liegen dazwischen. In den Pfingstferien haben wir also jede Menge Zeit, Seth endgültig das Licht auszuknipsen bzw. anzustecken, um genau zu sein.

Wir schwingen uns auf die Räder. Seitdem wir mit dem Spiel begonnen haben, stelle ich mir manchmal vor, mein Fahrrad ist ein Pferd. Ich streiche mit der flachen Hand den Lenker entlang, als würde ich einem Schlachtross den Hals tätscheln.

»Morgen …«, sagt Lasse verschwörerisch.

Ich blicke fragend von meinem Pferd auf.

»Was ist morgen?«

»Da habe ich sturmfreie Bude. Mein Vater ist dann auf einem Seminar, und meine Mutter begleitet ihn.«

Mir ist sofort klar, was Lasse damit sagen will. Eine Nacht ohne Eltern – das könnte früher als erwartet zum entscheidenden Schlag gegen Seth führen.

»Cool, Mann. Das ist ja besser als Pfingsten!« Ich schlage in seine ausgestreckte Hand ein.

»Dann schaffe ich es vielleicht noch im alten Lebensjahr, Seth zu erledigen«, sage ich.

Es bricht eine gute Zeit an: Computersession, Wochenende, und Montag habe ich Geburtstag.

»Glaubst du, deine Eltern lassen dich bei mir übernachten?«, will Lasse wissen.

»Klar, logo«, sage ich. Aber eigentlich bin ich mir sicher, dass meine Eltern nicht damit einverstanden sind, dass ich bei Lasse schlafe, wenn wir dort alleine sind.

Bei der Eisdiele an der Kreuzung warte ich noch, bis die Ampel für Lasse grün wird. Gerade will ich ihn fragen, ob es nicht schlauer ist, sich eine andere Geschichte für unsere Eltern auszudenken, da sehe ich, wie Lasses Gesicht in Panik erstarrt. »Scheiße!«, presst er zwischen seinen Lippen hindurch.

»Was denn?«, frage ich.

»Luisa!«, zischt er. Luisa ist ein Mädchen aus unserer Klasse. Eine, um die man sich keine Gedanken machen muss. Über Clara kann man sich immerhin freuen oder ärgern. Aber Luisa ist irgendwie noch nicht einmal dazu gut.

»Na und?«, gebe ich achselzuckend zurück.

»Na und? Mann, die ist doch in das Haus neben uns gezogen. Ich musste heute Morgen noch drei Scheiben Toastbrot mehr essen, damit ich nicht mit ihr zur Schule fahren muss. Was meinst du, wie lange die vor unserem Haus rumgetrödelt hat, um mich abzufangen.« Lasse ist rot im Gesicht geworden. Dass Luisa jetzt neben ihm wohnt, habe ich gar nicht gewusst. Ich überlege, ob ich ihn zum Abschied noch vergackeiern soll, etwa: »Ist doch praktisch, dann musst du sie später nicht nach Hause bringen«, aber da prescht Lasse auf einmal los. Mitten bei Rot über die Ampel. Ein BMW hält mit quietschenden Reifen. Eine Frau, die aus der Eisdiele kommt, schüttelt den Kopf. Aber Lasse hat es überlebt. Er grüßt mit der Hand zum Abschied, und dann gebe auch ich meinem Pferd die Sporen und rase durch die flirrende Luft.

Ich überlege, ob ich meinen Eltern gar nicht sagen soll, dass Lasses Eltern nicht da sind. Das würde einiges erleichtern. Ich keuche, weil ich so schnell fahre. Dennoch ist die Luft um mich herum wärmer als die, die ich ausatme. Ich stelle mir vor, mit meinem Pferd entlang der Pyramiden zu reiten. Ich bin Friedrich II., der nicht nur in unserem Computerspiel in Ägypten ist, sondern ja auch tatsächlich da war. Er hat einen Kreuzzug gemacht, bei dem hat er sich mit dem Sultan angefreundet, den er eigentlich bekriegen sollte. Es gibt sogar die Legende, dass Friedrich Jahre später seinen Tod nur vorgespielt hat, um sich wieder nach Ägypten abzusetzen. Das wäre ziemlich clever von ihm gewesen, denn das Leben in Deutschland war für Kaiser damals ein tierisches Generve. Es gab seit zweihundert Jahren Kriege um Jerusalem, die alle nichts gebracht hatten, außer Unmengen von toten Rittern und Muslimen. Friedrich aber hat sich mit dem Sultan von Ägypten zusammengesetzt und gesagt: »Hör zu, Mann, das mit dem Krieg ist doch völlig bescheuert. Wie wär’s, wenn wir euch nicht mehr angreifen, und ihr lasst uns in Ruhe nach Jerusalem, um dort zu beten.« Und genauso wurde es gemacht. Friedrich wurde sogar zum König von Jerusalem gekrönt. Der Papst, der die Kreuzzüge angeleiert hatte, war natürlich total sauer, dass nun alles vorbei war – und hat dauernd versucht, Friedrich Scherereien zu machen. Der hat dann auch schnell die Schnauze voll gehabt und ist immer länger in Jerusalem geblieben und mit dem Sultan durch Ägypten gereist. Die beiden wurden echte Freunde, und der Sultan hat ihm schließlich einen seiner wertvollsten Falken geschenkt. Über den hat Friedrich dann ein Buch geschrieben. Es war schon ein Unding, dass ein Kaiser sich gut mit den Feinden des Christentums versteht, aber ein Ritter, der ein Buch schreiben konnte, brachte das Fass erst recht zum Überlaufen. Und Friedrich war echt sauer auf all die Spießer und Besserwisser. Irgendwann ist er dann einfach gestorben, vielleicht aber auch abgetaucht. Denn die Leiche wurde angeblich nie gefunden. Und auch sein Falke war verschwunden. Aber wo sollte er schon hin sein, wenn nicht nach Ägypten zu seinem Sultan-Kumpel. Aber das konnten die Deutschen natürlich nicht zugeben. Deshalb haben sie sich vorgestellt, dass Friedrich in einem Berg, dem Kyffhäuser, lebt und eines Tages wieder zurückkehrt, um sein Kaiserreich zu neuem Glanz zu führen. Raben sollen anzeigen, wenn es so weit ist. Bis heute hat er sich aber noch nicht blicken lassen. Dabei, schätze ich, gibt es dort Raben ohne Ende.

4