Ruf der Wölfe - Robert Habeck - E-Book

Ruf der Wölfe E-Book

Robert Habeck

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Beschreibung

Es ist Winter im Norden Deutschlands und der erste Schnee ist gefallen. Jan ist im Wald unterwegs, als plötzlich ein Wolf - groß und bedrohlich - vor ihm steht! Er hat zwar schon gehört, dass in der Gegend immer mal wieder Wölfe gesichtet wurden, doch nun Auge in Auge diesem wilden Tier gegenüberzustehen, ist ein Schock. Die Begegnung ist am nächsten Tag in aller Munde und Jan der Star der Schule. Nur seine Mitschülerin Clara lässt sich nicht beeindrucken und überzeugt Jan davon, dass Wölfe keineswegs reißende Bestien sind, sondern bei uns selten gewordene Tiere, die geschützt werden müssen. Doch die Nachricht vom Wolf versetzt die ganze Stadt in Panik. Die Erwachsenen beschließen, den Wolf zu jagen. Jan und Clara schmieden einen mutigen Plan: der Wolf muss gerettet werden! Früh am Morgen macht sich Jan alleine auf den Weg in den Wald und bringt sich dabei selbst in tödliche Gefahr … Ein spannendes Kinderbuch von dem Grünenpolitiker Robert Habeck und seiner Frau Andrea Paluch. Mit einem informativen Anhang vom Wolfsexperten Thomas Gall.

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Seitenzahl: 128

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Ruf der Wölfe

eISBN: 978-3-96129-107-6

 

Edel:Kids Books

Ein Verlag der Edel Germany GmbH

Copyright © Edel Germany GmbH, Neumühlen 17, 22763 Hamburg

www.edel.com

 

 

Text: Robert Habeck und Andrea Paluch

Sachtext: Thomas Gall

Projektkoordination: Mia König

Lektorat: Almut Schmidt

Covergestaltung: zeichenpool

Layout und Satz: Uhl + Massopust, Aalen

Herstellung: Frank Jansen

ePub-Konvertierung: Datagrafix GmbH Berlin

 

Alle Rechte vorbehalten. All rights reserved. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Robert Habeck war 5 Jahre lang stellvertretender Ministerpräsident und Umweltminister in Schleswig-Holstein. Im Januar 2018 wurde er zum Bundesvorsitzenden der Grünen gewählt. Bereits vor seiner Zeit als Politiker hat er zusammen mit Andrea Paluch, die als Schriftstellerin und Lernberaterin arbeitet, zahlreiche Romane (u. a. »Hauke Haiens Tod« und »Der Schrei der Hyänen«) und Kinderbücher geschrieben. Das Paar hat vier Söhne und lebt in Flensburg und Berlin.

Die Nacht schneit Sterne, und die Erde knarrt.

Ted Hughes, Das Heulen der Wölfe

Zwischen den dichten Stämmen steht die Stille. Nur die rieselnden Schneeflocken klirren leise. Der Vollmond gießt ein farbloses Licht über Himmel und Erde. Der Wald verschließt sich hinter einer schwarzen Mauer aus Kiefern.

Lautlos wie die Nacht tritt der Wolf aus der Dunkelheit insMondlicht. Er hebt das Haupt und saugt die kalte Luft ein. Er kann den Fluss riechen. Ein Schaudern läuft über seinen Körper.

Seine knochigen Beine brechen nicht in den Schnee ein, als er losläuft. Sehnen, Muskeln und Fell fallen in einen Trab. Ohne zu zögern, springt der Wolf auf den zugefrorenen Fluss, als er ihn erreicht. Er schlittert. Dann finden seine Krallen im Eis Halt.

In der Mitte ist das Wasser noch offen. Der Wolf schwimmt,und die treibenden Eisschollen weichen vor ihm aus. Als er aus dem Wasser kommt, klebt das Fell an seinem Körper. Er ist mager. Er hat lange nichts gefressen.

1

Seit November herrscht klirrender Frost. Über der Tür der Sparkasse hängt eine Digitalanzeige, auf der abwechselnd die Uhrzeit und die Temperatur erscheinen. In roten Leuchtziffern strahlt die Kälte durch die Dunkelheit. Ich schließe mein Fahrrad auf. Es ist acht Grad unter null, und dabei hat die Nacht gerade erst angefangen. Die Minuten leuchten auf den Schnee, der sich hier am Marktplatz zu hohen, krustigen Bergen türmt. Beim Anblick des spröden Eises muss ich an die Bonbons denken, die ich mit Lasse gemacht habe.

Lasses Eltern sind Anfang Mai in ein Neubaugebiet am Stadtrand gezogen. Jetzt sieht es da aus, wie jedes Neubaugebiet aussieht. Aber im Mai lag noch alles voll Bauschutt, Klinker und der ausgehobenen Erde für die Keller. Es war kein Problem, Steine für einen Ofen aufzutreiben. Wir haben einen Kamin gebaut, um Karamell zu kochen. Erst fand Lasse das etwas kindisch, aber dann hatte er doch Spaß, vor allem beim Feuermachen. Wir haben ein Bündel Altpapier angezündet, Milch und Zucker in einem Topf gekocht und dann den Sirup auf eine Zeitung gegossen. Als er hart wurde, hatten wir Eins-a-Karamellbonbons. Beim zweiten Mal haben wir zu viel Milch genommen, und als wir mitten beim Essen waren, meinte Lasse plötzlich, dass das Karamell ziemlich nach aufgeweichter Zeitung schmeckt. Und tatsächlich haben wir das in Milch getränkte Papier gegessen. Danach hatten wir keinen Appetit mehr und haben ein paar Bündel Zeitungen für die nächsten Abende versteckt. Darunter ist uns aus Versehen auch ein Paket mit Altkleidern geraten. Es hat höllisch nach Gummi gestunken, als wir das verbrannten, und alle Eltern kamen sofort aus ihren Neubauten und haben sich total aufgeregt, dass wir Feuer gemacht haben. An der Stelle, wo unser Kamin war, steht jetzt der Carport für das Auto von Lasses Eltern.

So wie die Zeitung geschmeckt hat, so sieht der Schnee vor der Sparkasse auf dem Marktplatz aus. Aber weiter draußen, auf den Feldern, ist er unverdorben und umwerfend weiß.

Ich fahre durch die Fußgängerzone. Wie jedes Jahr haben die Geschäfte weißen Kunstschnee an ihre Scheiben gesprüht. Aber diesmal ist es echt albern, und der Schnee aus der Dose sieht so künstlich aus wie die Haare von Antonias Barbie. Antonia ist meine kleine Schwester. Und wegen ihr bin ich noch unterwegs. Sie hat nämlich morgen Geburtstag, drei Tage vor Weihnachten. Und irgendwie hat sich in ihrem Kopf festgesetzt, dass sie vom Schicksal benachteiligt wurde, weil an ihrem Geburtstag alle im Weihnachtsstress sind und sie angeblich weniger Geschenke bekommt. Dabei überschlagen sich unsere Tanten förmlich mit Antonias Geburtstag und vergleichen sie sogar mit dem Christkind. Meiner Meinung nach ist an einem Geburtstag gar nichts dran. Ich zum Beispiel habe am 14. Juni Geburtstag. Genau wie Clara aus meiner Klasse. Das einzig Erwähnenswerte daran ist, dass ich mit Clara sonst überhaupt nichts gemeinsam habe und auch nicht unbedingt haben will.

Antonia darf sich zu ihrem Geburtstag den größten Mist ausdenken, und er wird gemacht. Für morgen ist eine Schnitzeljagd geplant, als wäre es der höchste Hochsommer. Meine Mutter hat mich am Nachmittag in die Stadt geschickt, um Süßigkeiten für ein Überraschungspaket zu kaufen, das ich jetzt im Wald verstecken soll, damit es morgen von Antonias Barbie-Puppen-Freundinnen gefunden und aufgefuttert werden kann. Der Laden mit dem meisten Kunstschnee an den Fensterscheiben ist der Pralinenladen. Und dort habe ich für fast vierzig Euro Marzipanschweine gekauft. Erstens, weil Antonia Marzipan nicht mag, und zweitens, weil ich finde, dass Schweine für eine Schnitzeljagd die passenden Tiere sind.

Es gab zwölf Schweine in dem Laden. Ich habe zehn genommen. Die Verkäuferin fragte mich, ob ich die anderen beiden nicht auch haben wollte. Noch bevor ich antworten konnte, nahm die Verkäuferin die Tiere aus der Schachtel und legte sie zu den anderen.

»Ich schenke sie dir«, sagte sie, »soll ich sie dir als Geschenk einpacken?« Und ich sagte Bitte und Danke und sehnte mich danach, möglichst schnell rauszukommen. Als ich aus dem Pralinenladen trat, wartete Lasse auf mich.

Er hatte mein Fahrrad erkannt, als er zufällig vorbeifuhr. Wir sind ins Kino gegangen. Es kam Star Wars: Die letzten Jedi. Der Film war nicht schlecht, und ich hatte sogar noch Geld für Popcorn über. Nach dem Kino ist Lasse nach Hause gefahren, und ich habe meine Mutter angerufen, dass ich bei Lasse bin, damit sie sich keine Sorgen macht. Aber es war zu spät.

»Hast du das Paket schon versteckt?«, fragte sie.

»Klar, beim alten Kastanienbaum«, log ich.

»Gott sei Dank. Ich dachte schon, du bist immer noch im Wald. Bei der Dunkelheit und Kälte!«

»Nee, nee«, sagte ich.

2

Als Erster über ein verschneites Feld zu laufen ist so ähnlich, wie im dunklen Kino zu sitzen. Außer Lasse und mir wollte nur ein Liebespaar den Film sehen. Aber die haben die ganze Zeit rumgeknutscht und zählen eigentlich nicht richtig. Als die Türen zugingen, habe ich mich in den Sessel gedrückt, die Füße angezogen und gegen den Vordersitz gestemmt. Ich fühlte mich ganz klein. Die paar Augenblicke, bevor der Film anfing, hörte man absolut nichts. Und der große leere Kinoraum war wie ein schwarzes Loch im All, durch das man aus der Galaxie fällt.

Der Raum ist unüberschaubar. Erst verliert man das Gefühl für die Entfernung und dann auch für die Zeit.

Ich höre nur das Stapfen meiner Schritte, wenn die verharschte Schneedecke unter mir bricht und mein Fuß in den Pulverschnee unter der Eiskruste einsinkt. Dunkel, wie meine Mutter gedacht hat, ist es nicht. Am Wochenende war Vollmond, und nur ein paar vereinsamte Wolken huschen über den Himmel. Die Nacht ist hell, aber farblos. Das Licht scheint von unten nach oben. Der Schnee leuchtet.

Vor knapp einer Woche fing es an zu schneien. Das Handy zeigte an, dass es wärmer wurde. Und bei minus drei Grad staubten die ersten Flocken vom Himmel. Ein samtiges Rieseln wie sich auflösende Materie in einer Zeitmaschine.

Tatsächlich wurde es aber kälter. Jedenfalls hat Clara das gesagt und sich deswegen sogar mit unserem Erdkundelehrer angelegt. Und obwohl Claras Besserwisserei manchmal echt nervt, muss ich zugeben, dass sie diesmal recht hat. Was nützt ein Thermometer, das anzeigt, dass es wärmer wird, wenn die Kälte, die davor trocken und gut zu ertragen war, auf einmal wie mit Nadelspitzen durch alle Ritzen dringt. Man kann nicht mehr Fahrrad fahren, weil einem das Gesicht vor Schmerzen abfällt, und in den großen Pausen drängeln sich alle vor dem Eingang, weil jeder der Erste sein will, der wieder reindarf.

Seit gestern ist die Luft endlich wieder kälter geworden – und besser auszuhalten.

Es ist eine komische Vorstellung, dass die Luft, die ich gerade einatme, schon mal in Sibirien war. Das behauptet jedenfalls Franke, unser Erdkundelehrer. Er meint auch, dass durch die Klimaveränderung die Winter in Zukunft milder werden. Auch Hitzewellen, Überschwemmungen und Dürren werden keine Seltenheit mehr sein. Ich hab aber mal was anderes gelesen: Wenn die Eisberge am Nordpol schmelzen, weil es zu warm wird, dann verteilt sich das ganze Schmelzwasser im Meer und macht den warmen Golfstrom nieder, der von Amerika kommt und dafür sorgt, dass es hier keine Mammuts mehr gibt. Und ohne Golfstrom kühlt Europa aus wie eine gigantische Gefriertruhe. Ich denke an meinen Vater. Der hat neulich gesagt, dass weltweit immer mehr Menschen wegen der Klimakrise ihre Lebensgrundlage verlieren und fliehen müssen. Er ist Volkswirt und rechnet die unmöglichsten Dinge aus. Meistens sitzt er in seinem Arbeitszimmer am Computer und schaut sich seitenweise Statistiken an. Als ich ihm das mit der Klimaverschiebung erzählt habe, hat er genickt und gesagt: »Vielleicht wird Deutschland ja wieder zur Steppe.« Aber ich schätze, er hat unrecht. Ein Teil des Landes säuft ab, der andere wird zu einer riesigen Schneewüste. Wenn es dann allerdings aussieht wie jetzt hier auf dem Feld, ist das nicht das Schlechteste. Bei Schnee und Sibirien muss ich direkt an Napoleons Russlandfeldzug denken, den ich neulich in Total War nachgespielt habe.

Ich gehe jetzt langsamer. Ich stelle mir vor, ich habe schon eine lange Wanderung hinter mir. Meine Schuhe sind Reiterstiefel, aber mein Pferd ist schon längst geschlachtet und von mir und meinen Kameraden aufgegessen worden. Ich streiche mir über das Kinn und fühle einen zotteligen Bart, an dem Eiszapfen hängen. Ich habe mich seit vierzehn Tagen nicht mehr rasiert und seit doppelt so langer Zeit nicht mehr geschlafen. Der Rucksack auf meinem Rücken ist ein Tornister. Obendrauf ist eine löchrige Decke geschnallt, die ich in einer Scheune gefunden habe. Die war bis zum Dach eingeschneit, und ich musste die Dachluke als Tür benutzen. Unter dem Tornister baumelt ein Kochtopf, in dem meine Männer und ich Schnee einschmelzen, um mal was Warmes zu trinken. Gegessen haben wir, nachdem das Pferdefleisch alle war, nichts mehr.

Weiter rechts taucht jetzt der Waldrand auf, wo ich die Marzipanschweine verstecken will. Ein leichter Wind weht mir von dort entgegen. Ich schnaube mir mit den Fingern die Nase aus. Und plötzlich fängt vor mir in einer Bodensenke die Erde an zu leben. Für einen Moment wuselt alles wild durcheinander. Dann prescht ein Rudel Rehe davon. Ich ducke mich in den Schnee, und die fliegenden Punkte verschwinden in der Dunkelheit.

3

Ich habe den Wald erreicht. Der Mondschatten der Bäume schluckt das Licht. Die kahlen Zweige krallen sich in meine Jacke, als ich durch das Unterholz krieche, um auf den Waldweg zum Kastanienbaum zu kommen. Ein Ast verheddert sich im Träger meines Rucksacks. Ich fluche leise, befreie den Rucksack und trage ihn den Rest des Weges in der Hand. Nun ist es doch ein wenig unheimlich. Auf dem Feld sah man wenigstens, dass man alleine war. Aber hier auf dem Weg zwischen den gefrorenen Stämmen wirkt alles bedrohlich. Düster, reglos, stumm und tot. Ich habe Eisklumpen als Füße und will nach Hause. Für einen Moment überlege ich umzudrehen. Ich könnte morgen Englisch schwänzen und dann das Fresspaket in aller Ruhe bei Licht verstecken. Ich bleibe stehen, weil ich nicht weiß, was ich machen soll. Allmählich gewöhnen sich meine Augen an die Dunkelheit.

Quer auf dem Weg in etwa zwanzig Meter Entfernung liegt ein Baumstamm. Vielleicht ist es auch ein Stein. Ich beschließe weiterzugehen. Es ist nicht mehr weit bis zur Kastanie.

Jäh bewegt sich der Stein auf dem Weg. Er macht einen Satz zur Seite. Starr vor Schreck bleibe ich stehen. Für ein Reh ist das Tier zu klein. Ich kneife die Augen zusammen. Es ist ein Hund. Ein riesiger Schäferhund. Jetzt erkenne ich seinen Schwanz und auch den Kopf mit den spitzen Ohren. Er hat mir das Gesicht zugewandt und rührt sich nicht. Mir bricht Angstschweiß aus, und in meinem Nacken ziehen sich die Muskeln zusammen. Man muss nicht unbedingt Zeitungen ausgetragen haben, um vor solchen Kötern einen Höllenrespekt zu haben. Um mir Mut zu machen, denke ich, dass das da vorne ein ganz armseliger kleiner Kläffer ist, der bei dem leisesten Anzeichen von Gegenwehr den Schwanz einkneift. Also gehe ich weiter. Einen Schritt, dann noch einen. Der Hund rührt sich noch immer nicht. Aber ich höre nun sein Knurren. Und ich kann ihn riechen. Aus seinem Maul strömt ein höllischer Gestank.

»Hau ab!«, rufe ich. Statt abzuhauen, legt der Hund die Ohren zurück und bleckt seine Zähne. Eine sehr lange Zunge hängt aus seiner Schnauze. Aus dem Maul dampft es. Ich stehe jetzt nur noch wenige Schritte von ihm entfernt und kann sein Gebiss deutlich sehen. Die Reißzähne sind spitz und lang wie ein Finger. Sein Gesicht sieht merkwürdig schlitzäugig aus. Schräg und eng beieinander stehen die Augen, und die Backen wirken durch das struppige Fell wie aufgeplustert.

Der Schäferhund ist kein Schäferhund.

Meine Knie schmelzen unter mir weg. Mir wird schlecht, und die Panik schlägt dumpf in meinem Kopf um sich. Das Knurren des Wolfes wird zu einem rasselnden Zischen. Ich suche aus den Augenwinkeln nach etwas, mit dem ich mich verteidigen kann – einem Stein, einem Knüppel. Aber da ist nur der umrisslose Weg. Nichts, was ich in den Bruchteilen von Sekunden erreichen könnte, die mir bleiben würden, bevor der Wolf mich niederreißen würde. Einzig den Rucksack mit den Marzipanschweinen halte ich noch immer in der Hand. Ich packe ihn fest, und dann schleudere ich ihn mit aller Kraft gegen den Wolf. Dabei stoße ich einen Schrei aus, so laut, wie ich noch nie vorher geschrien habe.

Durch den Wolf fährt ein Ruck. Schneller, als ich sehen kann, wirft er sich herum und hetzt in den Wald.

Auch meine Erstarrung löst sich. Ich spurte den Waldweg zurück, renne, so schnell ich kann. Die kalte Luft beißt mir in die Lungen. Aber ich bleibe nicht stehen. Nur einmal stolpere ich über eine Wurzel und schlage mir das Knie an einem Stein. Aber sofort rapple ich mich wieder auf und haste weiter.

Der Waldweg führt mich in das nächste Dorf. Als ich die ersten Häuser erreiche, bleibe ich keuchend stehen und schnappe nach Luft. Ich drehe mich um und blicke zurück. Hinter mir liegt der Wald, schwarz, schweigend und weiß eingefasst von den Feldern.

Aus den Fenstern der Häuser fällt Licht, und Fernseher flimmern blau. Noch nie kam mir der alberne Weihnachtsschmuck so tröstlich vor.

4

Mein Fahrrad steht drei Kilometer weiter weg am Feldrand, wo ich es an einen Zaun geschlossen habe. Mein Fahrradschlüssel ist im Rucksack.

Als ich die Hauptstraße erreiche, kommt gerade der Bus. Ich muss noch einmal spurten und erwische ihn im letzten Moment. Dann schaukle ich in der überhitzten Luft nach Hause, und der Schweiß rinnt mir über die Stirn. Ich wische ihn weg. Er fühlt sich an wie Blut. Die Scheibe, gegen die ich meinen Kopf lehne, ist kühl und feucht.