Kleine Helden, große Abenteuer - Robert Habeck - E-Book

Kleine Helden, große Abenteuer E-Book

Robert Habeck

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Beschreibung

Der Band versammelt fantasievolle Vorlesegeschichten für Kinder ab 4 Jahren – immer lustig, spannend und überraschend. So erhält Per mysteriöse Briefe aus der Vergangenheit und macht sich auf die Suche nach dem unbekannten Absender. Greta hingegen verbringt ihre Ferien auf einem Schiff und erlebt mit den Kindern der Besatzung jeden Tag neue Abenteuer an Bord. Fritz findet einen neuen Freund, der nicht von dieser Welt zu sein scheint – und plötzlich werden die aufregenden Abenteuer aus seinem Lieblingscomputerspiel Wirklichkeit. Mit den neugierigen und aufgeweckten Kinder-Charakteren in diesem vierfarbig illustrierten Vorlesebuch ist wirklich jeder Tag ein neues Abenteuer.

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

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Seitenzahl: 152

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Kleine Helden, große Abenteuer

Vorlesegeschichten für jeden Tag

eISBN: 978-3-96129-159-5

 

Edel Kids Books

Ein Verlag der Edel Germany GmbH

Copyright © Edel Germany GmbH, Neumühlen 17, 22763 Hamburg

www.edel.com

 

Text: Robert Habeck und Andrea Paluch

Illustrationen: Catharina Westphal

Covergestaltung: Janina Michna

Lektorat: Almut Schmidt

Projektkoordination: Rebecca Hirsch

ePub-Konvertierung: Datagrafix GmbH, Berlin

 

Alle Rechte vorbehalten. All rights reserved. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

 

Diese Geschichten sind überarbeitete Versionen, die im Rahmen der „Ohrenbär“-Produktionen des RBB entstanden

Andrea Paluch, geboren 1970 in Hannover, hat als Kolumnistin, Dozentin und Lernberaterin gearbeitet und zahlreiche Romane, Jugend- und Kinderbücher (u. a. „Zwischen den Jahren“ und „Zwei Wege in den Sommer“) veröffentlicht.

Viele davon zusammen mit Robert Habeck, geboren 1969 in Lübeck. Robert Habeck war sechs Jahre lang stellvertretender Ministerpräsident und Umweltminister in Schleswig-Holstein und wurde 2018 zum Bundesvorsitzenden der Grünen gewählt. 2019 wurde das erste gemeinsame Kinderbuch der beiden, „Ruf der Wölfe“, bei Edel Kids Books neu aufgelegt. Das Paar hat vier Söhne und lebt in Flensburg und Berlin.

Inhalt

Geheimnisvolle Briefe

Ganz andere Geburtstagspost

Schreibe mir bald

Liebe Ska

Bis bald

Eine andere Welt

Dorotheenstraße 64

Das Mädchen mit der Maske

Ich will Meer

Die roten Schuhe

Das blaue Schiff

Die weiße Leiter

Der braune Hund

Die grauen Wale

Die grünen Diamanten

Die weiße Möwe

Könige der Welten

Der Ritterschlag

Der fremde Junge

Verdrehte Zeit

Positionstausch

Die Erde dreht sich um ihre Achse

Ein grauer Tag

Zweierlei Ritter

Ich bin du, und du bist ich

Sophia

Karl

Wer schreibt das Diktat?

Nur keine Angst

Ganz schön nett, ganz schön gemein

Ich bin ich

Zurückgezaubert

Geheimnisvolle Briefe

Ganz andere Geburtstagspost

Per sitzt im Wohnzimmer auf dem Fußboden. Um ihn herum liegt alles voller Papier. Geschenkpapier. Dazwischen liegen Schleifen und Geburtstagspostkarten. Und zwischen dem Papier und den Postkarten liegen die Geschenke, die Per von seinen Freunden bekommen hat. Eine Piratenpistole, ein Raumschiff zum Selberbauen, für das sich vier Freunde zusammengetan haben, ein Kartenspiel, ein Buch über Roboter, eine Krimi-CD. Pers Mutter kommt aus der Küche und setzt sich zu ihm.

„Na, war es ein schöner Geburtstag?“, fragt sie.

„Der beste!“, sagt Per.

Seine Mutter hatte für ihn und seine Freunde eine Schnitzeljagd vorbereitet. Sie führte quer durch den Park, in das Gebäude, in der die Firma seiner Mutter ist, wieder raus, rüber über drei Straßen und quer über seinen Schulhof. Auf dem Schulhofspielplatz mussten sie dann einen Schatz suchen, der ungefähr einen Meter tief in der Erde verbuddelt war. Danach gab es zu Hause ein Geburtstagsessen, Schokolade und Kuchen, so viel man wollte, und Limonade! Und dann haben sie in der Wohnung Verstecken gespielt. Dabei ist alles unordentlich geworden, und das Geschenkpapier ist quer durch Raum geflogen. Hier sitzt Per nun. Seine Freunde sind weg. Und ihm ist es ganz schwindelig vor lauter Geburtstagsfeiern.

„Deine Uroma kommt nachher noch“, sagt seine Mutter.

„Oh“, entfährt es Per. Es klingt nicht fröhlich. Das ist Per auch nicht. Seine Uroma mag er nicht besonders gern. Sie ist sehr streng. Ganz anders als seine Oma. Aber die wohnt weit weg, und Per sieht sie nur selten. Ihre Mutter, also seine Uroma, lebt dagegen nur ein paar Straßen weiter.

Wenn sie da ist und Per fernsieht oder YouTube-Videos anschaut, dann sagt sie immer: „Dieses Zeug ist ja fürchterlich. Und überhaupt ist Fernsehen nicht gut. Du solltest lieber Sport machen.“

Wenn Per mit seinem Roller fährt, dann sagt sie: „Diese neue Mode ist ja fürchterlich. Neulich hat mich jemand fast umgefahren!“

Und dass Computerspiele deshalb so toll sind, weil man in ihnen eine Geschichte erleben kann, das kann seine Uroma nicht verstehen.

„Uroma will dir doch auch zum Geburtstag gratulieren. Und sicher hat sie ein Geschenk für dich“, sagt die Mutter.

„Bestimmt selbst gestrickte kratzige Wollsocken“, antwortet Per.

Schreibe mir bald

Per fährt mit seinem Roller durch die Stadt. Von der Wohnung, in der er und seine Mutter leben, zu der Wohnung von seiner Urgroßmutter dauert es eine Viertelstunde, wenn man zu Fuß geht. Aber mit dem Roller schafft Per es in zehn Minuten. Er kennt den Weg. Die erste Hälfte geht er jeden Tag zur Schule. Und die zweite führt direkt an einem Kanal entlang. Per trägt einen Rucksack auf dem Rücken, darin ist der Karton mit dem Album und den Briefmarken.

Gestern hat er mit seiner Mutter zumindest noch die Jahreszahlen auf den Briefen entziffern können: 1932, 1934 steht dort. Als Per die Zahlen ansah, wurde ihm klar, wie alt die Briefmarken tatsächlich waren. Heute steht ja eine Zwei ganz vorn bei den Jahreszahlen. Die Briefmarken sind aus dem letzten Jahrtausend!

„Ist Uroma schon tausend Jahre alt?“, hat er seine Mutter gefragt, obwohl er eigentlich wusste, dass das nicht sein kann. Seine Mutter lächelte und sagte, dass die Urgroßmutter zweiundneunzig sei.

Nun durchquert er den Park, der zum Kanal führt. Ihm ist es etwas mulmig zumute. Es ist lange her, dass er seine Urgroßmutter zu Hause besucht hat. Da hört er jemanden seinen Namen rufen. Er dreht sich um und bremst.

Da sitzt seine Urgroßmutter auf einer Parkbank, das Gesicht zur Sonne gewendet, ein Buch auf dem Schoß.

Per könnte über den Rasen direkt zu ihr fahren, aber er hat Angst, dass seine Urgroßmutter schimpft, wenn er mit den Rädern tiefe Spuren im Gras hinterlässt. Deshalb wählt er den Weg, der weit außen um die Wiese herumführt.

Als er bei ihr ist, reicht er ihr die Hand. „Guten Tag“, sagt er.

Sie drückt sie fest. Dabei sehen sie sich in die Augen.

„Deine Schnürsenkel sind auf“, sagt sie und blickt missbilligend auf seine Turnschuhe.

Wie man es macht, man kann ihr nichts recht machen, denkt Per, als sie sagt: „Ich freue mich, dass du mich mal besuchen kommst.“

Für Per klingt es vorwurfsvoll.

„Oder wolltest du gar nicht zu mir?“, hakt die Urgroßmutter nach.

„Doch. Klar. Schon, meine ich. Ja, also, es ist wegen der Briefe …“, sagt Per.

„Wegen der Briefe?“

„Ja, in dem Karton mit den Briefmarken, da waren auch noch Briefe.“ Per setzt sich, stellt den Roller neben die Bank und nimmt seinen Rucksack ab. Er zieht das Paket hervor.

„Wusstest du das nicht?“, fragt er. Aber er kann die Antwort sehen. Seine Urgroßmutter wiegt das Paket in der Hand hin und her und schaut es verwundert an.

„Mama sagt, die Schrift heißt Safarin, und nur du kannst sie lesen.“

„Sütterlin. Ja, ich konnte sie mal lesen. Weißt du, so habe ich schreiben gelernt. Aber das ist schon so lange her. Ich habe seit vielen Jahren nicht mehr Sütterlin gelesen.“

„Willst du es probieren? Vielleicht stehen da ja spannende Geschichten drin?“, fragt Per.

Die Urgroßmutter blickt ihn an. Sie blickt ihn komisch an, findet Per. Sonst strahlen ihre hellen Augen immer und funkeln, fast wie Katzenaugen sehen sie aus, irgendwie angriffslustig. Aber jetzt sind sie ganz groß. Sie sehen eher wie Kinderaugen aus.

„Ich kann es mal probieren …“, sagt die Urgroßmutter. Dann nimmt sie den obersten Brief und zieht vorsichtig einen Briefbogen aus dem Umschlag. Sie setzt ihre Brille auf und hält ihn aus dem Sonnenlicht. Per denkt im ersten Moment, sie macht das, um ihn vor der Strahlung zu schützen. Aber dann sieht er, dass das Papier ganz dünn ist und die Tinte sonst von der Rückseite durchscheint.

„Mein lieber vermisster Freund“, fängt die Urgroßmutter an. Sie setzt ab. Dann liest sie weiter, mit stockender Stimme.

„Ich würde gern mal wieder Regen sehen. Hier ist alles trocken und staubig. Und es ist heiß. Man kann mittags nicht nach draußen gehen. Habt Ihr Schnee in Deutschland? Oder ist es schon Frühling geworden? Gehst Du noch immer an der kleinen Kastanie vorbei, an der wir uns immer getroffen haben? Ich bin hier ganz allein. Eine Farm weiter lebt ein Junge. Aber er ist viel älter und spricht auch kein Deutsch. Mutter gibt mir Unterricht. Aber sie hat wenig Zeit. Immer muss sie nach den Rindern schauen. Und sie muss die Arbeiter anweisen. Wir haben viele auf der Farm.

Und ihre Familien leben auch hier. Mutter hat wirklich viel zu tun. Aber es ist besser, sie kümmert sich um alles, als Vater. Er schimpft ganz viel.“

Die Urgroßmutter dreht die Seite um. Per lauscht ihrer Stimme nach. So weich hat ihre Stimme noch nie geklungen. Sie klingt wie, wie – wie große Augen, findet Per. Wie eine Märchenstimme.

„Ich habe mich auf Afrika gefreut. Ich habe gedacht, das wird ein großes Abenteuer. Aber das ist es nicht geworden.

Es gibt die Sonne, und ich habe auch Giraffen und Nashörner und einen Löwen gesehen.

Den hat Vater geschossen. Das war sehr traurig. Da kommt schon mal ein Löwe zu uns, und Vater erschießt ihn. Aber ich würde lieber wieder zurück. Erzählst Du mir von Dir? Habt Ihr die neue Fibel der Schule? Hast Du die Zinnsoldaten bekommen, die Du Dir gewünscht hast? Und wer ist in die Wohnung neben Euch gezogen?

Bitte schreibe mir bald, Ska.“

Die Urgroßmutter lässt den Brief sinken. Auch Per sagt nicht gleich etwas. Wenn er einen Film sieht und der plötzlich zu Ende ist, dann gibt es so eine komische Sekunde, in der man nicht weiß, ob man noch im Film ist oder vor dem Fernseher sitzt. So fühlt sich Per in diesem Moment. Die Vergangenheit und die Gegenwart stoßen zusammen. Und mitten in dem Aufprallen sitzen Per und seine Uroma und blicken sich an.

„Du kannst das wirklich gut lesen“, sagt Per.

Liebe Ska

Die Sonne scheint Per direkt auf das Ohr. Der Himmel hinter der Sonne ist blau wie der Lack seines Rollers. Weit oben treiben ein paar kleine weiße Wolken vorbei. Und weil die Glasscheibe keine Luft herauslässt und keine Luft hinein, ist es im Klassenraum sehr heiß. Per ist in der zweiten Klasse. Im ersten Schuljahr haben sie alle Buchstaben gelernt. Jetzt sollen sie einen Aufsatz schreiben. Einen Aufsatz hat Per noch nie geschrieben. So genau weiß er gar nicht, was ein Aufsatz ist. Und die Klassenlehrerin, Frau Bauer, ist dabei auch keine große Hilfe. Erst tut sie so, als ob ein Aufsatz etwas ganz Tolles sei und man erst richtig in die Schule gehe, wenn man Aufsätze schreiben dürfe. Und dann erklärt sie nicht, wie das eigentlich geht, Aufsätze zu schreiben.

„Schreibt einfach, was euch einfällt, das, was ihr gerade denkt. Es ist auch gar nicht wichtig, dass ihr alles richtig schreibt. Wichtig ist, dass ihr schreibt!“, hat sie eben nur gesagt.

Per denkt an sich, dass er in der Klasse sitzt mit der Sonne auf dem Ohr, der heißen Luft, fast wie in Afrika. Und plötzlich, wie ein Blitz, weiß Per, was er schreiben wird. Denn er muss an Ska und an die Briefe aus Afrika denken.

„Liebe Ska“, schreibt Per. „In Deutschland ist es fast so heiß wie in Afrika. Heute Morgen im Radio haben sie gesagt, dass es dieses Jahr vielleicht wieder eine Dürre gibt, so wie letzten Sommer schon.“ Per weiß nicht genau, wie mandie Wörter alle schreibt, aber Frau Bauer hat ja gesagt, dass es egal ist, wie man schreibt, Hauptsache, man schreibt.

„Gestern bin ich mit dem Roller zu meiner Uroma gefahren. Die hat mir Deinen Brief vorgelesen. Komischer Name: Ska. Ist der afrikanisch? Ich heiße Per. Der Name hat auch nur drei Buchstaben. Aber er ist skan… di… navisch.“

Per weiß auch nicht, wie man skandinavisch schreibt. Seine Mutter sagt das Wort immer. Es meint die Länder Dänemark, Norwegen, Island, Finnland und Schweden. Pers Vater hieß Peter. Das ist zwar auch nicht besonders lang, aber immer noch die Langform von Per.

„Mein Vater hieß Peter“, schreibt Per weiter. „Aber den habe ich nie richtig kennengelernt. Es gibt aber Videoaufnahmen von ihm. Die schaue ich mir an. Weißt Du, hier sind weiße Wolken vor dem Fenster. Die sind vielleicht aus Afrika zu uns gekommen. In Afrika waren sie vielleicht noch groß und schwarz. Jetzt sind sie weiß – aber es ist immer noch das Wasser drin, das sie in Afrika aufgesammelt haben. Vielleicht hast Du die Wolken ja auch schon gesehen – ach nein, dann müssten sie ja viele, viele Jahre lang hierhergezogen sein.“

Es klingelt. Per schaut auf. So schnell ist eine Deutschstunde noch nie vorbeigegangen! Hastig kritzelt er seinen Namen unter den Brief. Den kann Per echt gut schreiben. Er hat einen ganzen Nachmittag lang geübt, eine Erwachsenenunterschrift hinzubekommen. Jetzt sieht sie fast so aus wie die Schrift der afrikanischen Briefe, sodass man eigentlich nicht mehr erkennen kann, wie er heißt.

Per steckt das Heft in seinen Schulranzen. Frau Bauer lächelt ihn an: „Na, du hast ja gar nicht mehr aufgehört zu schreiben. Worum ging es denn?“, fragt sie.

„Weiß ich eigentlich auch nicht so genau“, antwortet Per unbestimmt und schließt seinen Schulranzen.

Nach der Schule geht Per einen Umweg am Kanal entlang. Die Luft draußen ist so warm wie die Luft, die er ausatmet. Der Schulranzen klebt auf seinem Rücken. Der Kanal riecht ein bisschen. Er riecht, wie Per sich vorstellt, dass die Flüsse in Afrika riechen.

Unten an der Haustür angekommen, klingelt er am Türschild seiner Urgroßmutter. Der Türsummer ertönt. Per stürmt die Treppe hoch. Das Treppenhaus seiner Oma ist echt alt. Im Treppenaufgang zu Hause sind die Stufen aus Beton, hier sind sie aus Holz und in der Mitte abgetreten und durchgebogen. Viele Menschen müssen hier schon hochgelaufen sein. Menschen, die Kinder waren, als sie hier hochhüpften, mit langen blonden Haaren und dünnen Beinen. Jetzt sind ihre Haare grau, oder sie haben eine Glatze und sehen eben so aus, wie alte Erwachsene aussehen. Oder sie sind vielleicht schon tot.

Auf den letzten Stufen sieht er die Beine seiner Urgroßmutter in der Tür. Sie trägt braune Strümpfe und schwarze Schuhe. Per fällt auf, dass er sie noch nie mit Schuhen gesehen hat, die eine andere Farbe haben, oder ohne Strümpfe.

So wenig, wie seine Urgroßmutter sich an die Computer und all die Handys gewöhnen kann, so wenig kann sie sich wohl an eine andere Mode gewöhnen. Per zwingt sich, langsam zu gehen.

Seine Urgroßmutter mag es gar nicht, wenn man immer rennt.

„Per?“, fragt sie, als sie seinen Kopf über den Treppenstufen auftauchen sieht. Per hört, dass sie überrascht ist.

Bis bald

Normalerweise freut Per sich, wenn die Schule vorbei ist und der Nachmittag sich vor ihm ausstreckt wie eine weite Savanne. Man sieht den Horizont, das Abendessen mit seiner Mutter, das Reden, das Zubettgehen – aber wie man dahin kommt, das ist nirgends festgelegt. Zwischen Hausaufgaben, Fußballspielen, Freunde besuchen oder einen Film gucken gibt es keine Wege und keine Pfade. Aber heute ist Per geradezu traurig. Denn gestern hat seine Uroma ihm alle Briefe aus Afrika vorgelesen. Eigentlich hatte Per nur gewollt, dass sie einen oder vielleicht zwei vorliest, doch dann sind es alle geworden, und für heute ist keiner mehr übrig.

Er läuft durch die Wohnung und weiß nicht, ob er ins Freibad gehen soll, einen Freund anrufen oder Hausaufgaben machen. Lust hat er zu keinem davon. Er will am liebsten zu seiner Uroma. Durch die Sache mit den Briefen hat sie sich verändert. Oder hat er sich verändert? Er versteht sie nun ein bisschen besser. Sie ist ja mindestens so alt wie die Briefe selbst. Und wenn sie die Briefe vorliest, dann klingt sie wieder ganz jung. Vielleicht ist sie gar nicht so alt, sondern die Zeit ist so jung. Vielleicht ist ihr die Zeit davongelaufen wie eine Antilope einem Löwen. Und seine Oma schaut der Antilope nach und weiß, dass sie heute Nacht hungrig einschlafen wird.

Das Telefon klingelt. Per geht dran und meldet sich.

„Guten Tag, Per. Ich bin es“, kommt es von der anderen Seite.

„Uroma?“, fragt Per.

„Ja.“ Ihre Stimme klingt merkwürdig. Aufgeregt fast.

„Was ist denn?“, fragt Per.

„Etwas ist passiert. Etwas Verrücktes“, sagt sie.

„Etwas Verrücktes?“, wiederholt Per. So redet seine Uroma eigentlich nicht.

„Kannst du kommen?“, fragt sie.

„Klar. Aber was ist denn los?“, fragt er zurück.