Folk Love Songs - Tabea Petersen - E-Book
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Tabea Petersen

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Beschreibung

Ein Mädel in einer Männer-Band, kann das gut gehen? Diese Frage müssen sich die fünf verbliebenen Mitglieder der Studenten-Folk-Band „Jolly Fiddlermen“ stellen, als ihr langjähriger Kumpel und Bandkollege kurz vor der lang ersehnten Konzerttournee seinen Ausstieg verkündet. Als Ersatz bietet sich ausgerechnet seine Cousine an. Anna ist zweiundzwanzig, sieht aus wie zwölf, und ihre einzige musikalische Erfahrung hat sie aus dem Kirchenchor in ihrem Heimatdorf. Na Halleluja! Doch bald merken die Fiddlermen, dass Anna mehr drauf hat, als man ihr auf den ersten Blick ansieht. Nur Frontmann Daniel bleibt skeptisch. Dass Anna bald den Rest der Band um den Finger gewickelt hat, macht seine Laune nicht eben besser. Wenn diese kleine Hexe glaubt, dass sie sich zwischen ihn und seine Kumpels drängen kann, dann hat sie sich gewaltig geschnitten, schließlich ist er hier der Chef – oder?

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Tabea Petersen

 

Folk Love Songs

Soundtrack eines Sommers

 

 

Young & Crunchy

Band 2

 

 

 

 

Ashera Verlag

Sämtliche Personen und Ereignisse dieses Werks sind frei erfunden. Etwaige Ähnlichkeiten mit real existierenden Personen, ob lebend oder verstorben, wären rein zufällig.

 

 

In der Reihe YOUNG & CRUNCHY bereits erschienen:

Zuckermeer - Thomas Neumeier

Folk Love Songs - Tabea Petersen

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Copyright © 2020 dieser Ausgabe by Ashera Verlag

[email protected]

www.ashera-verlag.de

Alle Rechte vorbehalten. Nachdruck oder andere Verwertungen – auch auszugsweise – nur mit Genehmigung des Verlags.

Covergrafik: iStock

Innengrafiken: AdobeStock

Szenentrenner: AdobeStock

Coverlayout: Atelier Bonzai

Redaktion: Alisha Bionda

Lektorat & Satz: TTT

Vermittelt über die Agentur Ashera

(www.agentur-ashera.net)

 

Inhaltsverzeichnis

Vorwort

Kapitel 1 - Jonas

Kapitel 2 - Daniel

Kapitel 3 - Anna

Kapitel 4 - Jonas

Kapitel 5 - Daniel

Kapitel 6 - Anna

Kapitel 7 - Jonas

Kapitel 8 - Daniel

Kapitel 9 - Anna

Kapitel 10 - Jonas

Kapitel 11 - Daniel

Kapitel 12 - Anna

Kapitel 13 - Daniel

Kapitel 14 - Anna

Kapitel 15 - Jonas

Glossar

Die Autorin

 

Vorwort

 

Liebe Leser,

 

schon als Jugendliche wollte ich einen Roman über eine Band schreiben. Lustig sollte es dabei zugehen, und die Liebe natürlich auch nicht zu kurz kommen. Gemeinsam mit meiner besten Freundin, die selbst leidenschaftlich gern Geschichten schrieb, verbrachte ich damals ausgesprochen heitere Stunden auf der Treppe vor dem Saal der Kirchgemeinde, zu der wir beide gehörten. Dort hockten wir mit Vorliebe und lasen uns gegenseitig unsere neuesten Ergüsse vor. Die Manuskripte, die wir in mühsamer Kleinarbeit aus unseren jeweiligen Notizheften auf dem Computer abgetippt und auf Endlospapier ausgedruckt hatten, landeten danach jedoch in der Schreibtischschublade.

 

Viele Jahre später sah ich mir gemeinsam mit meinen Kindern die Comedy-Serie um die Band „Big Time Rush“ an, und mich ärgerte an der Sache nur eins – nämlich, dass ich das Filmmanuskript nicht selbst verfasst hatte! Also nahm ich mir meine alten Unterlagen vor und machte mich ans Überarbeiten. Einige der Orte, an denen die Handlung spielt, existieren tatsächlich, aber nicht alle. Zum Beispiel gibt es in Halle an der Saale kein irisches Pub namens „The Dungeon“, und entlang der Elbe wird man einen Ort mit Namen Unkenau vergeblich suchen. Über die real existierenden Hallenser Studentenwohnheime möchte ich nichts Negatives gesagt haben. Meine Beschreibungen des ganz normalen Wohnheim-Wahnsinns stammen zum Teil aus eigenen Erfahrungen in anderen Städten, zum Teil aus Erzählungen von Freunden.

 

Wieder hat mir das Schreiben viel Spaß gemacht. Meiner noch immer allerbesten Freundin möchte ich an dieser Stelle vielmals für ihre Geduld und ihr unschätzbares Feedback als Testleserin danken.

 

Ich hoffe, dass Euch das Lesen dieses Romans genauso viel Freude bereitet, wie mir das Schreiben!

 

Tabea Petersen, 2020

 

 

Kapitel 1

Jonas

 

Band-WG in der Altstadt von Halle an der Saale, 1. Juni

 

Mensch, diese Fischköppe! Grübelnd klickte sich Jonas durch das Menü der Band-Homepage. Nicht, dass er grundsätzlich etwas gegen Norddeutsche hätte. Aber ab und an wäre es schon hilfreich, wenn die mal rechtzeitig das Maul aufkriegten, nicht erst dann, wenn schon alles zu spät war! Er biss sich auf die Lippen und ließ den Blick über die Seite schweifen.

 

Bandmitglieder:

Daniel „the Chief“ Kornbauer, Guitar, Bouzouki & Vocals

Erik „Big Brother“ Zöllner, Accordeon & Backing vocals

Steffen „MacDubh“ Schwarze, Bass & Backing Vocals

Siggi „Shortie“ Schulz, Drums

Jonas „Johnny“ Sperling, Fiddle

 

Soweit, so gut. Doch nun war anscheinend der Zeitpunkt gekommen, um eine Unterseite mit dem Titel „Ehemalige Bandmitglieder“ anzulegen: Torsten Jahn, Flutes

Ja, der Torsten – ein Fischkopp, wie er im Buche stand! Der redete nicht rum, der machte. Wenn der sich einmal etwas in seinen Wikingerschädel gesetzt hatte, dann gab es kein Zurück. Und jetzt hatte er sich eben in den Kopf gesetzt, dass er in seinem Leben Prioritäten setzen musste: Seine Freundin hatte Priorität. Sein Studium hatte Priorität. Seine Kumpels, und somit die Band, dagegen nicht. Zack, bumm, Ende! Als ob das nicht schon schlimm genug wäre, hatte Jonas als einstimmig ernannter Webmaster und Pressesprecher der Band nun die ehrenvolle Aufgabe, den Fans diese Nachricht irgendwie plausibel zu machen. Dabei kapierte er das Ganze ja selbst nicht.

Liebe Fans. Nach langer und sorgfältiger Überlegung haben wir uns entschlossen ...

Blah! So ein geschwollenen Haufen Müll nahm ihm doch kein Mensch ab!

Moinsen Leute. Ich bin dann mal wech, ne?

Das traf den Kern der Sache zwar eher, aber irgendeine Begründung für Torstens Ausstieg musste Jonas trotzdem mitliefern.

Weil mine Fru – also die Susi, nicht die Ilsebill – die will aber trotzdem nich so, als ick wohl will ...

Okay, das stimmte auch wieder nicht. Eher der Chef, also der Daniel, der will nich so, wie die Susi …

Ach verdammt und zugenäht!

Wenigstens diese verflixte Pressemitteilung hätte Torsten noch selbst verfassen können, bevor er seine Tasche gepackt hatte und abgehauen war!

Frustriert riss Jonas die bekritzelte Seite von seinem Notizblock, knüllte sie zu einer Kugel und warf sie auf den Haufen, der sich über dem hoffnungslos überfüllten Papierkorb auftürmte. Eine Flut aus Schnipseln und Kaugummipapier-Kügelchen rieselte zu Boden. Argh! Jonas fuhr sich mit der Hand durch die blonden Haare, die ihm ohnehin schon wirr nach allen Seiten vom Kopf abstanden. Dann verschränkte er mit einem resignierten Seufzer die Hände im Nacken, wippte auf dem verschlissenen Schreibtischstuhl vor und zurück und beobachtete die Tauben, die vor dem altmodischen Bogenfenster der Dachgeschosswohnung auf und ab spazierten.

 

Zwei Jahre. Vor fast genau zwei Jahren hatte er Daniel kennengelernt. Dass der Kerl ein Einzelgänger war, das roch man auf Anhieb aus mehreren Kilometern Entfernung. Aber sonst wurde Jonas anfangs ums Verrecken nicht aus Daniel schlau. Welcher halbwegs normale Typ aus Bayern suchte sich zum Studium ausgerechnet die Martin-Luther-Uni in Halle an der Saale aus und schrieb sich fürs Lehramtsstudium mit einer Fächerkombination ein, die er an jeder x-beliebigen Uni in ganz Deutschland hätte studieren können, und die ihn im Grunde nicht die Bohne interessierte? Zu allem Überfluss gurkte er in einem B1000-Kleintransporter aus tiefsten DDR-Zeiten in der Gegend herum. Was war das bloß für ein schräger Typ? Durchgeknallter Über-Ökofreak? Soziologie-Nerd auf Verhaltensforschungsexpedition durch den wilden Osten? Oder einfach nur einer, der auf stur schaltete, sobald irgendetwas von ihm erwartet wurde, und der dann aus Prinzip das genaue Gegenteil tat? Jonas hatte keine Ahnung. Mit den anderen Jungs war es einfacher. Mit Erik, diesem langen Lulatsch, stieß Jonas gleich zusammen, als er bei seinem Einzug ins Wohnheim im 12. Stock aus dem Fahrstuhl stieg. Die Erinnerung entlockte ihm selbst nach Jahren noch ein Schmunzeln. Es war wie in einem von diesen alten Stummfilmen mit Charlie Chaplin: RUMMS machte es. Der Umzugskarton mit Jonas‘ gesammeltem Küchenkrempel schepperte zu Boden. Jonas hielt krampfhaft den Blumentopf fest, der oben auf der Kiste stand, und renkte sich fast den Hals aus, um zu dem Kerl aufzuschauen, der ihn eben angerempelt hatte. KLICK machte es, der Kerl ließ sein Handy sinken und fragte mit einem Grinsen, das buchstäblich von einem Ohr zum anderen reichte, ob er das Foto für gewerbliche Zwecke nutzen dürfte. Einen Moment lang war Jonas versucht, dem Typen eine reinzuhauen – dessen Kniescheiben befanden sich etwa in geeigneter Höhe. Dann verflüchtigten sich sämtliche Überlegungen, und er spürte nur noch Schmerz. Nicht, weil er tatsächlich eine Schlägerei angezettelt hätte, sondern weil er zwischenzeitlich nicht auf seinen Blumentopf geachtet hatte. Er hielt inzwischen nämlich nicht mehr den Topf in den Händen, sondern die Pflanze selbst, die einzige Zimmerpflanze, die widerstandsfähig genug war für ein längerfristiges Zusammenleben mit ihm – ein Sternkaktus. Der lange Lulatsch sah zum Glück sofort ein, dass seine Aktion gerade nicht so gut kam, und nahm Jonas den Kaktus ab. Er organisierte sogar von irgendwoher eine Pinzette, mit der sich Jonas die Kaktusstacheln aus den Fingern zupfen konnte. Danach half er ihm, den vermischten Krempel zu sortieren, der von der abgestürzten Küchenkiste übrig geblieben war, und die beiden räumten mit vereinten Kräften Jonas‘ Zimmer ein. Der Lange stellte sich als Erik vor und holte gleich noch einige andere Jungs zum Helfen heran. Die Stammbelegschaft der Sechser-Wohnheim-WG, die sich künftig Küche und Bad teilen durfte, war beinahe komplett: Torsten, der Wikingerschädel mit den semmelblonden Haaren. Steffen, der sich auf den ersten Blick als Metaller outete, mit langen Haaren und Klamotten, die sich in einer wahren Farbenpracht aus Schwarz, Schwarz … Schwarz präsentierten. Der hing zwar erst einmal eine Weile verpeilt auf dem Flur herum, tauchte dann aber plötzlich mit Werkzeugkiste und Akkuschrauber auf und schloss Jonas‘ Lampen mit einer Akkuratesse an, wie es ein Elektriker nicht besser gekonnt hätte. Dann war da noch dieser andere Typ: Daniel, der etwas abseits stand und das ganze Treiben mit den Händen in den Hosentaschen und einem schiefen Grinsen beobachtete. Arroganter Arsch, dachte Jonas. Diese Art, wie Daniel mit leicht gerunzelten Brauen und gekräuselten Mundwinkeln die Leute anguckte, nervte Jonas im ersten Moment tierisch. Irgendwann packte der vermeintliche Schnösel aber doch an einer Umzugskiste mit an, und plötzlich war er derjenige, der alle Fäden in der Hand hielt. Noch bevor Jonas seine Bude richtig in Augenschein genommen hatte, wusste Daniel schon, wo die Möbel stehen sollten. Der konnte schaffen für zwei, wenn er wollte. Das sechste Mitglied der Küche-und-Bad-Gemeinschaft bekam Jonas dafür weder an diesem Tag noch jemals richtig zu Gesicht. Der Große Unbekannte war bei der restlichen Belegschaft nur unter dem Namen Extrabreit bekannt, und das lag nicht an seiner Figur. Die anderen jedoch verstanden sich. Als sie sich nach getaner Arbeit in der Küche ein gemeinsames Einstandsbierchen genehmigten, zeigte Erik grinsend seinen Schnappschuss herum. Selbst Jonas musste zugeben – das Foto hatte etwas. Das lag wohl vor allem daran, dass er damals noch einen Irokesenschnitt trug: Ein Punk mit Kaktus in der Hand in einem düsteren, grafitibeschmierten Plattenbau-Korridor gab einfach ein tolles Motiv ab. Da Erik ein echtes Organisationstalent war und zu der Zeit bereits eine kleine Konzertagentur neben dem Studium am Laufen hatte, zierte Jonas´ Foto bald die Plakate und Flyer für ein von Erik organisiertes Punk- und Ska-Konzert. Aber an diesem ersten Abend blödelten die Jungs einfach nur gemeinsam herum. Durch das Foto inspiriert fing Jonas an, „Mein kleiner grüner Kaktus“ zum Besten zu geben, und die anderen stimmten ein. Erik und Steffen trommelten dazu mit den Fingern irgendeinen Beat auf die Tischplatte, und Torsten gab auf einer Querflöte schräge Geräusche von sich. Als Erik sagte, „los Steffen, ran an den Bass!“, hielt Jonas das im ersten Moment für einen Scherz. Aber dann stand Steffen tatsächlich mit der Bassgitarre da. Jonas konnte also nicht anders, als seinerseits die Geige aus dem Kasten zu holen. Daniel guckte sich die kleine Jam-Session eine Weile schweigend an. Dann tauchte er plötzlich mit einer Bouzouki vorm Bauch wieder auf und stimmte ein. Zu diesem Zeitpunkt waren die Jungs längst vom „kleinen grünen Kaktus“ zu Saufliedern aus aller Herren Länder übergegangen. Schließlich landeten sie bei Irland und „Whisky in the Jar“. Ab da übernahm Daniel, denn wenn er loslegte, konnte man förmlich die Funken sprühen sehen. Daniel summte vor sich hin, er klimperte und trommelte auf dem Rumpf seiner Bouzouki. Dann machte er sich an Eriks Laptop zu schaffen. Ein Reggae-Beat erklang, und Jonas, Torsten und Steffen guckten erst einmal verständnislos aus der Wäsche. Bloß Erik grinste schon wieder von einem Ohr zum anderen. Er kannte Daniel bereits einige Wochen länger. Dieser fing an, auf den Reggae-Beat zu singen, und zwar eine irische Ballade. Der Kerl war stocknüchtern, da war sich Jonas sicher. Der wusste genau, was er tat, und verdammt, er war gut! Das saß, das passte wie angegossen. Auf so eine Idee wäre Jonas trotz gefühlter hundert Jahre Musikschule, gefolgt von mehr oder weniger gemeingefährlichen Auftritten mit diversen Punkbands, nie im Leben gekommen. Daniel the Außenseiter war gerade in seiner Achtung um gefühlte Lichtjahre gestiegen. Da ließ es sich Jonas auch widerspruchslos gefallen, dass Daniel ihn mit einer ungeduldigen Kopfbewegung, die wohl eine Aufforderung sein sollte, an die Geige beorderte. Torsten fiel wie selbstverständlich mit der Flöte ein, und Steffens Bass gab dem Ganzen den letzten Schliff. Aber Daniel war noch nicht zufrieden. Unbarmherzig trieb er die anderen an: Schneller Leute, schneller! Vorbei war’s mit der bierseligen Feierabendstimmung, jetzt wurde gearbeitet, und zwar richtig. Die Jungs wuchsen über sich hinaus, die Finger flogen nur so über die Saiten, dies war ihre Sternstunde: The Jolly Fiddlermen were born!

Okay, wenn man es genau nahm, knobelten sie noch ziemlich lange wegen eines passenden Bandnamens herum, bevor sie darauf kamen, ihn aus den Titeln der ersten Songs zusammenzubasteln, die sie einstudiert hatten. Dass Daniel der Chef des Ganzen war, soviel war jedoch von Anfang an klar. Erik outete sich ebenfalls als Ex-Musikschüler, der einmal Akkordeon gelernt hatte, und das holte er jetzt wieder aus der Mottenkiste. Außerdem besorgte er von seinem Onkel, der in der Stadt ein Tonstudio betrieb, eine echte irische Bodhrán-Trommel. Steffen, der Grafikdesign studierte, entwarf ein bandeigenes Logo, das mit Flöte, Geige und Schafschädel ausgesprochen urig wirkte. Zu ihrem ersten Konzert im Wohnheim-Keller ließen die Jungs es richtig krachen. Mit Daniel als kreativem Kopf und Frontmann, auf den die Mädels abfuhren, und Erik als Drahtzieher hinter den Kulissen waren sie bald so etwas wie eine lokale Sensation. Sie spielten sogar im Studio von Eriks Onkel ein Album mit einigen Songs ein. Besagter Onkel war letztlich, wenn auch indirekt, der Anlass dafür, dass sich die Band vergrößerte. Es fing damit an, dass sich Erik die Erdgeschosswohnung über dem Tonstudio renovierte, um fortan quasi am Arbeitsplatz zu residieren. Nun war in der Sechser-Wohnheim-WG also wieder ein Platz frei, und leider zog noch ein Dauerkiffer Marke Extrabreit ein. Auch wenn keiner der Fiddlermen es mit der Sauberkeit besonders genau nahm: Bestimmte Dinge wollte man einfach nicht beim Aufstehen auf nüchternen Magen in seiner Küche oder seinem Badezimmer vorfinden, da waren sich die Jungs einig. Also machten sie sich auf die Suche nach einer neuen Bude. Außerdem sprach sich Erik dafür aus, einen Drummer als sechstes Mitglied in die Band aufzunehmen. Die Bodhrán bereitete ihm Probleme, und die Beats aus dem Computer waren auf Dauer auch nicht das Gelbe vom Ei. Erik war kein Virtuose. Mit dem Akkordeon kam er zurecht, seine wahren Qualitäten jedoch lagen eher hinter und vor der Bühne bei der Organisation. Der Mann war ein wandelnder Terminkalender – eben der Big Brother. Ihm hatten die Jungs es auch zu verdanken, dass sie schließlich beides auf einen Streich ergatterten: den Drummer und die neue Wohnung dazu. Der Typ, den Erik da aufgetan hatte, nannte sich Siggi und inserierte nach Untermietern für eine sanierte Altbauwohnung im Dachgeschoss. Die Wohnung war perfekt. Zentral gelegen in der Kleinen Ulrichstraße, nur ein paar Minuten Fußmarsch vom Campus, von ihrer Stammkneipe und – noch wichtiger – vom Proberaum der Band im Keller unter Eriks Wohnung entfernt. Trotzdem hätte sich Jonas am liebsten sofort rückwärts aus der Wohnung gebeamt, als er deren Inhaber Siegmund Schulz zum ersten Mal gegenüberstand: raspelkurze Haare, Baggy-Jeans und ein Muskelshirt, das über dem Brustkorb spannte – wat’n Nazi! Schon dieser Name. Welcher normale Mensch nannte sich bitte schön Siggi? Noch dazu hatte der Typ einen Dialekt drauf, bei dem sich Jonas die Fußnägel hochrollten. Es mochte Leute geben, die stolz auf ihren Heimatdialekt waren, er jedoch gehörte definitiv nicht dazu! Er quasselte zwar selbst ab und an schneller, als er denken konnte – behaupteten jedenfalls die anderen. Aber wenn er das permanente Meckern, Motzen, Muffeln und Rummoben einiger Hallenser so hörte, hätte er manchem am liebsten vorgeschlagen, sich ne Papiertüte über den Kopp zu ziehen, meinetwegen mit Augenlöchern drin, Hauptsache da wo der Mund saß, blieb die Tüte zu! Den Gefallen tat ihm Siggi natürlich nicht, im Gegenteil. Der ging bei jeder noch so kleinen Anspielung von Jonas‘ Seite ab wie ein Terrier – grrrr wuff, wuff!! Da Jonas keinen Spruch steckenlassen konnte, waren die Wortgefechte der beiden mittlerweile legendär. Vor allem was seine Körpergröße anging, verstand Siggi absolut keinen Spaß. Der liebe Siggi war nämlich ein Sitzriese. So manches Mädel schmolz vermutlich, wenn sie ihn mit seinen muskelbepackten Oberarmen hinterm Schlagzeug hocken sah, buchstäblich dahin und seufzte: Wow, was für ein Kerl! Dann stand er auf, und sie dachte: Nanu Kleiner, hatte dir das denn die Mama erlaubt?

Wenn Jonas ehrlich war, mochte er Siggi eigentlich ganz gern, und an den Drums hatte der echt was drauf. Das war kein stumpfes Rumgehämmer, da steckte Gefühl drin, vor allem mit der Bodhrán. Außerdem war Siggi der einzige der sechs Fiddlermen, der anständig kochen konnte. Wenn er tatsächlich faschistische Neigungen besaß, lebte er die höchstens bei der Umsetzung seines Wohnungsputzplans aus. Dessen Einhaltung überwachte er allerdings akribisch. Im Grunde, das musste Jonas zugeben, hatte er vor allem deshalb so einen Heidenspaß daran, Siggi aufzuziehen, weil er selbst in der Vergangenheit so einiges hatte einstecken müssen. Er war nämlich auch nicht gerade ein Hüne, sondern eher ein ziemlich dürrer Spacken. Wenn man dann noch mit dem Nachnamen Sperling gesegnet war und Klassenkameraden hatte, bei denen aus „Spatz“ schnell „Spast“ wurde, hatte man irgendwann nur noch zwei Möglichkeiten: Entweder klebte man sich nen Zettel mit der Aufschrift „Tritt mich“ auf den Rücken und legte sich als ewige Fußmatte vor die Tür des Universums, oder man sorgte dafür, dass man die Lacher auf seiner Seite hatte. Diese Kunst hatte Jonas im Laufe der Jahre perfektioniert.

 

Doch als das Quietschen seines altersschwachen Bürostuhls Jonas unsanft in die Gegenwart zurückbeförderte, war ihm nicht nach Lachen zumute. Wenn er daran dachte, dass das jetzt vielleicht der Anfang vom Ende der Band war, hätte er einfach nur heulen können. Fuck, sie hatten schon viel erreicht und hatten so große Pläne! Sie hatten sich einen Auftritt bei „Luthers Hochzeit“ in Wittenberg gesichert, dem größten Mittelalterspektakel der Region. Danach hatten sie eine Sommertournee durch Deutschland organisiert, an deren Planung Erik monatelang getüftelt hatte. Okay, zugegeben: Das Ganze ähnelte eher einem gemeinsamer Campingurlaub. Auftritte zu Stadtfesten und in kleinen Clubs, Fahrten in Daniels getuntem B1000-Panzerverschnitt und Finns Lieferwagen. Übernachtungen in Jugendherbergen und Hostels, damit die Konzertgage wenigstens die Fahrt- und Übernachtungskosten deckte. Für den Notfall wollten sie Zelte und Schlafsäcke einpacken. Nichts Glamouröses also, doch die Aussicht auf Konzerte in fremden Städten hatte die Jungs trotzdem in freudige Aufregung versetzt. Jonas hatte den Tourplan sogar schon auf der Band-Homepage veröffentlicht, und Erik hatte bei einer örtlichen Druckerei eine Kiste Flyer und Plakate in Auftrag gegeben.

 

10. Juni – Wittenberg

08. Juli – Dessau

09. Juli – Halle.

Das sollte das „Abschiedskonzert“ auf heimatlichem Boden werden, bevor es richtig losging in die weite Welt.

10. Juli – Leipzig

13. Juli – Passau

14. Juli – Augsburg

16. Juli – Ulm

18. Juli – Bielefeld

19. Juli – Bremen

21. Juli – Flensburg

23. Juli – Kiel

24. Juli – Magdeburg

25. Juli – Unkenau, Elbe

 

Selbst der letzte Ort auf der Liste konnte Jonas heute nicht das übliche Grinsen entlocken. Der Gig in dem kleinen Dorf, das vermutlich kein Mensch kannte, der nicht selbst von dort kam, war Erik bei der Planung gerade recht gekommen – als gemütlicher Ausklang nach mehr als zwei Wochen auf Achse. Sollte all das nun ins Wasser fallen, sollte die ganze Arbeit umsonst gewesen sein? Nachdem die heutige Bandprobe in ein absolutes Desaster ausgeartet war, sah es beinahe so aus. Dabei hatte Daniel vorher noch getönt, sie kämen auch ohne Torsten und seine Flöten zurecht. Kamen sie aber nicht. Jonas konnte nicht einmal sagen, woran genau es lag, dass sie heute selbst die Songs vermasselt hatten, bei denen sonst sofort der Funke übersprang. Fest stand jedenfalls: Wenn sie sich nicht sehr bald blamieren wollten, gab es nur zwei Möglichkeiten. Entweder sie ließen sich ganz schnell etwas einfallen, um musikalisch wieder in Form zu kommen – oder sie bliesen das Ganze ab und buddelten sich ein Loch, um für die nächsten Monate von der Erdoberfläche zu verschwinden. In diesem Fall konnten sie sich ebenso gut eine andere Uni und einen neuen Wohnort suchen. Für Jonas wäre es nicht das erste Mal, dass er mit einer Band krachen ging, aber noch nie hatte ihn das so mitgenommen. Verdammt, sie waren die Jolly Fiddlermen. Das war mehr als eine Band, sie waren Kumpels, sie waren ein Team! Er fasste es nicht, dass Torsten das so einfach über Bord werfen wollte wie unnützen Ballast. Okay, zugegeben: Torsten nahm sein Studium sehr ernst, im Gegensatz zu Jonas, Steffen und Daniel, die ihre jeweiligen Lehrveranstaltungen eher unter „ferner liefen“ abhakten. Außerdem hatte Daniel mehr als deutlich durchblicken lassen, dass Torstens Freundin ihm auf die Nerven fiel, und dass er von Torstens Vorhaben, in einigen Wochen zu heiraten, absolut nichts hielt. Aber welcher normale Typ heiratete auch mit vierundzwanzig und rannte fast jeden Sonntag in die Kirche? Das war zwar eigentlich Torstens Privatsache, in die ihm niemand reinzureden hatte. Eigentlich waren in der Band auch alle gleichberechtigt. – Und eigentlich konnten Hummeln nicht fliegen, was sie aber nicht davon abhielt, es trotzdem zu tun. Eins wusste Jonas jedenfalls aus Erfahrung: Wenn Daniel „the Chief“ Kornbauer erst mal auf stur schaltete, dann war Schicht im Schacht. Ende im Gelände. Dann ließ der einen am ausgestreckten Arm verhungern und scherte sich einen Dreck um Mehrheitsentscheidungen. Trotzdem … Jonas merkte selbst, dass er gerade nach einem Strohhalm griff, aber er musste es einfach versuchen.

„Hast du die Mitteilung endlich online?“ Erik musste brüllen, um das Röhren des Dunstabzugs zu übertönen, als Jonas zu ihm in die Küche trat. Lustlos rührte er dabei in einem Kochtopf, in dem eine trübe rotbraune Brühe blubberte. Schon wieder Dosenravioli? Heute hatte wohl nicht einmal Siggi Lust zu kochen.

„Nee“, murmelte Jonas und schaltete den Abzug aus. „Mensch Erik, denkst du nicht, dass sich Torsten noch mal umstimmen lässt? Wenn sich Daniel bei Torsten und Susi entschuldigt ...“

„Der Chef? Sich entschuldigen? Eher friert die Hölle zu, das weißt du genau.“

Normalerweise schätzte Jonas es sehr, dass Erik nicht um den Brei herumredete. Doch heute bereitete ihm die schonungslose Offenheit des Freundes beinahe körperliche Schmerzen,

„Selbst wenn er sich dazu herabließe, etwas wie „tut mir leid“ herauszuquetschen, und sich Susi damit zufriedengäbe, wie lange, denkst du, würde es dauern, bis die drei wieder aneinanderrasseln? Kannst du dir allen Ernstes vorstellen, dass Torsten es riskiert, wegen des Konzerts am Wochenende seine Klausur, die er nächste Woche schreibt, in den Sand zu setzen? Dass Daniel einen auf netten Smalltalk bei der Hochzeitsfeier macht? Und dass Susi es akzeptieren würde, dass ihr frisch gebackener Ehemann mit seinen Kumpels auf Tournee geht, anstatt mit ihr in die Flitterwochen zu fahren? Oder sollen wir sie vielleicht mitnehmen? Soll sie sich zu Daniels Groupies in die erste Reihe stellen oder zu Finn an den Merchandise-Stand?“

Jonas rang sich eine Grimasse ab, die als eine Art müdes Grinsen gelten konnte. Die Vorstellung, wie neben Finn, dem bärtigen Hünen, der die Jolly Fiddlermen als Roadie und „Mädchen für alles“ bei ihren Konzerten begleitete, plötzlich das Etepetete-Pastorentöchterlein Susi hinter dem ausklappbaren Tapeziertisch stand und CDs und T-Shirts mit dem Bandlogo der Fiddlermen an die Konzertgäste verkaufte, wäre unter anderen Umständen vielleicht sogar witzig gewesen. So jedoch war es einfach nur hoffnungslos.

„Der Zug ist abgefahren, Johnny. Sieh das endlich ein.“

Erik hatte ja Recht. Der Big Brother war wieder einmal der Vernünftigste von allen. Eben steckte Steffen seinen verwuschelten schwarzhaarigen Kopf zur Küchentür herein. Er sah aus, als wäre er gerade aus dem Bett gefallen. Vielleicht war er das auch, Jonas könnte es ihm nicht verdenken. Den Rest des Tages zu verpennen war nach dem Desaster am Nachmittag wahrscheinlich das Vernünftigste, was man machen konnte. „Boa, was stinkt denn hier so penetrant?“

Jetzt, wo Steffen es sagte ... Es stank tatsächlich. Mit einem entnervten Stöhnen nahm Erik den Topf mit den angebrannten Ravioli vom Herd und kippte den Inhalt in den Mülleimer unter der Spüle. Der quoll auch schon wieder über. Warmes Abendessen würde es dann wohl heute nicht geben.

„Sperling?! Pfoten weg vom Herd, aber sofort! Sonst ...“

Irgendwie hatte Siggis Gebrüll aus dem Hintergrund hier gerade noch gefehlt, fand Jonas. Er machte sich nicht einmal die Mühe, zu widersprechen.

„Lass gut sein, Siggi, Jonas kann nichts dafür“, wiegelte Erik ab. „Ich hatte nichts zu essen im Haus und wollte mir hier bei euch etwas warmmachen. Habe die Ravioli anbrennen lassen, tut mir leid.“

„Aaahh!“ Ein Poltern aus dem Flur verriet, dass Siggi auf seinem Weg in die Küche über die letzte Umzugskiste gestolpert war, die Torsten hatte stehen lassen. Sie war der einzig sichtbare Hinweis darauf, dass das leere Zimmer am Ende des Flurs noch vor wenigen Tagen einen Bewohner gehabt hatte. Sogar seine Foto-Pinnwand hatte Torsten schon entfernt, gründlich wie er war. Wahrscheinlich wurde auch die einsame Umzugskiste bald verschwunden sein. „Verfickter Scheißdreck!“

Erik und Steffen mussten Siggi an beiden Schultern packen, um ihn daran zu hindern, die Kiste mit Fußtritten zu malträtieren. In diesem Moment hatte Jonas für seinen sonstigen Lieblingsfeind vollstes Verständnis. Er hätte auch am liebsten auf irgendetwas eingeprügelt. Letzten Endes hockten sie zu viert am Küchentisch, Jonas, Siggi, Erik und Steffen, tranken billiges Dosenbier und kauten schweigend trockenes Mischbrot mit welligen Käsescheiben, die Siggi aus der hintersten Ecke des Kühlschranks hervorgekramt hatte. Irgendwie passend … für einen Leichenschmaus.

„Und ...“ Entgegen seiner sonstigen Gewohnheit musste sich Jonas überwinden, um weiterzusprechen. Er schluckte, räusperte sich und schluckte wieder.

„Was haltet ihr von Torstens Vorschlag? Also, dass seine Cousine seinen Platz in der Band übernimmt?“

„Mrmpf.“ Siggis Antwort war ein Grunzen.

„Das Ganze war sicher nett gemeint“, nuschelte Steffen mit vollem Mund. „Torsten ist ein anständiger Kerl, der will uns nicht hängenlassen. Aber wieso sollte der Chef mit Torstens Cousine besser klarkommen als mit Torstens Freundin? Die rennen doch garantiert in dieselbe Kirchgemeinde, jedenfalls würde mich das nicht wundern. Einen auf heile Großfamilie zu machen scheint bei denen in Mode zu sein.“

„Es müsste ja nicht für die Dauer sein.“ Eriks Gesicht hatte jenen konzentrierten Ausdruck angenommen, der Jonas‘ Herz unwillkürlich höherschlagen ließ: Der Big Brother heckte etwas aus! Das könnte ihre Rettung sein. Wenn irgendjemand den Chef zu etwas überreden konnte, dann Erik!

„Das Mädel bräuchte eigentlich nur bei dem Konzert am Samstag eine halbwegs passable Figur zu machen. Passabel genug, um nicht bei „Luthers Hochzeit“ von der Bühne gepfiffen zu werden. Danach sehen wir weiter. Dann bleiben uns immer noch ein paar Wochen, um falls nötig Auditions abzuhalten und jemand anderen zu finden, der im Juli mit auf Tour geht.“

„Mhmm. Könnte klappen. Vorausgesetzt, du kriegst Daniel rum“, stimmte Steffen zu.

„Es muss klappen!“ Es musste, es musste, es musste … etwas anderes wollte sich Jonas gar nicht vorstellen. „Erik, du bist ein taktisches Genie, hat dir das schon mal jemand gesagt?“

„Sachte, Johnny. Noch hat der Chef nicht zugestimmt. Also guck mich nicht an, als wäre ich Jesus und könnte auf dem Wasser gehen. Das ist selbst bei meinen Quadratlatschen nicht drin.“

Dass Erik schon wieder einen Witz reißen konnte, auch wenn’s ein ziemlich lahmer war, gab Jonas Zuversicht.

„Schon klar, aber du fragst ihn, oder? Weißt du, wo er ist?“

„Sagen wir mal so: Ich habe eine ziemlich klare Vorstellung, auch ohne übernatürliche Kräfte.“ Jetzt lag auf Eriks Gesicht sogar die Andeutung eines schiefen Grinsens „Und ja, ich frage ihn. Allerdings weiß ich nicht, ob er heute noch in der Lage sein wird, mir zu antworten. Er ist schon ziemlich lange weg, oder? Also drückt mir die Daumen.“

Erik hatte es plötzlich eilig, und Jonas glaubte zu wissen, wo er hinwollte. Auch Steffen und Siggi waren keinesfalls überrascht. Steffen murmelte nur: „Sag Bescheid, falls du Hilfe brauchst“, bevor er sich wieder in sein Zimmer verkrümelte.

 

 

Kapitel 2

Daniel

 

Irish Pub „The Dungeon“, Halle, 1. Juni

 

Scheiße, er hatte es vermasselt! Die letzte Bandprobe war unterirdisch. Selbst ihre ersten gemeinsamen Improvisationen bei Billig-Dosenbier in der Wohnheimküche waren um Meilen besser. Da hatte zumindest die Stimmung gepasst. Jetzt jedoch war einfach die Luft raus. Es war seine Schuld, das wusste Daniel, und die anderen wussten es auch. Dass sie ihm deswegen keine Vorwürfe machten, machte die Sache fast noch schlimmer. Er könnte immer noch zu Torsten gehen und sich entschuldigen, aber das würde nichts ändern. Vermutlich würde Torsten nur abwinken und irgendetwas murmeln wie „schon gut“, doch es wäre nicht gut. Torstens Entscheidung war gefallen, und das Gesagte konnte Daniel ohnehin nicht rückgängig machen. Er konnte nicht einmal ehrlichen Gewissens sagen, dass es nicht so gemeint war. Ja, er hatte sich verhalten wie ein fieses, zynisches Arschloch. Vermutlich war er eins, Punkt, fertig, aus. Daniel hatte den Kopf auf die Hände gestützt und starrte trübe auf die grobe Holzplanke hinab, die als Tischplatte diente. Irgendein Typ turnte mit einer Bohrmaschine bewaffnet auf den Tischen herum, um in der richtigen Höhe Löcher in die rau verputzten Wände zu bohren. Zwei andere Kerle bugsierten düster aussehende abstrakte Gemälde durch den Raum. Doch Daniel schaute nicht einmal auf, als sich ein Paar Sneakers Größe 44 an seinen aufgestützten Ellenbogen vorbeischoben, und direkt über seinem Kopf der Bohrer angesetzt wurde. Der Lärm der Bohrmaschine konnte ihn genauso wenig aus seinen Gedanken reißen wie der Putz, der auf seinen Nacken herabrieselte. Hauptsache, er brauchte mit niemandem zu reden. Genau deswegen hatte ihm dieses kleine Kellerpub in der Mittelstraße von Anfang an gefallen. Er entdeckte es gleich bei einem seiner ersten Streifzüge durch die Stadt, nachdem er als frisch gebackener Student hierhergezogen war. Es war nicht hip aber gemütlich, das Bier war gut und billig, das Essen auch, und vor allem hatte man seine Ruhe. Die Kneipenbesitzerin Jossi war eine Seele von Mensch, um die fünfzig, rundlich und mütterlich. Ihr jüngerer Bruder Fabian, genannt Finn, der in der Küche nebenan die besten Sandwiches der Welt zauberte, war ein freundlicher Riese, der mittlerweile als Fahrer und Stagebox-Schlepper vom Dienst sogar zum festen Inventar der Band gehörte. Auf die beiden konnte man sich hundertprozentig verlassen.

---ENDE DER LESEPROBE---