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A.V. Geiger

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Beschreibung

Bist du ein Hater oder ein Fan?

Tessa Hart fürchtet sich davor, ihr Zimmer zu verlassen. Ihr einziger Kontakt zur Außenwelt ist ihr Twitter-Account @TessaHeartsEric, auf dem sie sich mit anderen Fans über ihre Liebe zu dem Popstar Eric Thorn austauscht. Was sie nicht ahnt: Der Sänger ist eine der Personen, mit denen sie sich regelmäßig Privatnachrichten schreibt! Eric weiß, dass er Tessa die Wahrheit sagen muss, zumal die junge Frau mit jedem Tag tiefere Gefühle in ihm weckt. Doch als die beiden sich für ihr erstes Treffen verabreden, nimmt plötzlich alles eine gefährliche Wendung ...

"Von Anfang bis Ende ein fesselnder Pageturner!" ANNA TODD

Band 2 der Reihe (TELL ME NO LIES) erscheint am 29. November 2019.

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Seitenzahl: 384

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Inhalt

Titel

Zu diesem Buch

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Kapitel 25

Kapitel 26

Kapitel 27

Kapitel 28

Kapitel 29

Kapitel 30

Kapitel 31

Danksagung

Die Autorin

Die Romane von A.V. Geiger bei LYX

Impressum

A.V. GEIGER

Follow Me Back

Roman

Ins Deutsche übertragen von Katrin Reichardt

Zu diesem Buch

Seit ihr in den letzten Sommerferien etwas Schreckliches zugestoßen ist, kann Tessa Hart ihr Zimmer nicht mehr verlassen. Doch auch wenn sie den Kontakt zur Außenwelt meidet, ist sie nicht völlig allein: Auf Twitter tauscht sie sich mit Gleichgesinnten über ihre Liebe zu dem Popstar Eric Thorn aus. Als einer ihrer Tweets über Nacht zur Online-Sensation wird, erweckt das auch Erics Aufmerksamkeit. Sein Management verlangt schon länger, dass er sich seinen Fans annähert und offener mit ihnen kommuniziert, doch Eric empfindet die ständige Beobachtung und sein fehlendes Privatleben zunehmend als Belastung. Als dann auch noch ein befreundeter Sänger von einem fanatischen Fan ermordet wird, beschließt er, sein Image ein für alle Mal zu zerstören. Er meldet sich mit einem Fake-Profil bei Twitter an, um einen seiner größten Fans – @TessaHeartsEric – davon zu überzeugen, dass es sich nicht lohnt, Eric Thorn zu unterstützen. Doch er hätte niemals damit gerechnet, dass die Gespräche mit Tessa so tiefgründig und bedeutsam sein würden. Je länger sich die beiden schreiben, desto ernster wird ihre Freundschaft – und desto mehr weiß Eric, dass er Tessa die Wahrheit darüber sagen muss, wer er wirklich ist. Doch als sie beschließen, sich im realen Leben zu treffen, nimmt plötzlich alles eine gefährliche Wendung. Und sowohl Tessa als auch Eric müssen erkennen, dass der Grat zwischen Liebe und Besessenheit schmaler ist, als sie dachten …

Die Vernehmung (Teil 1)

31. Dezember2016, 20:42 Uhr

Fall Nr. 124678.21–001

OFFIZIELLES PROTOKOLL DER POLIZEILICHEN VERNEHMUNG

~~SEITE 1~~

ERMITTLER: Bitte entschuldigen Sie, dass Sie warten mussten, Mr. Thorn. Wir würden Ihnen gern einige Fragen stellen.

THORN: Wo ist Tessa?

ERMITTLER: Ich bin Lieutenant Charles Foster. Das hier ist Detective Terence Newman. Fürs Protokoll: Heute ist der einunddreißigste Dezember, es ist jetzt zwanzig Uhr zweiundvierzig. Diese Vernehmung wird aufgezeichnet.

THORN: Ist sie hier? Befindet sie sich im Gebäude?

ERMITTLER: Mr. Thorn, bitte setzen Sie sich. Dies ist ein laufendes Ermittlungsverfahren.

THORN: Sagen Sie mir, wo sie ist!

ERMITTLER: Darüber können wir erst sprechen, nachdem wir Ihre Aussage aufgenommen haben.

THORN: Aber sie ist in Sicherheit, oder? Verraten Sie mir wenigstens das?

ERMITTLER: Mein Junge, je eher Sie kooperieren, desto schneller können wir diese ganze Angelegenheit klären.

THORN: Okay. Okay. Was wollen Sie wissen?

ERMITTLER: Vielen Dank. Bitte nennen Sie fürs Protokoll Ihren vollständigen Namen, Ihr Geburtsdatum und Ihre berufliche Tätigkeit.

THORN: Eric Taylor Thorn. Mein Geburtsdatum ist der achtzehnte März 1998. Was war noch mal das Dritte, das Sie wissen wollten?

ERMITTLER: Berufliche Tätigkeit.

THORN: Das – das weiß ich selbst nicht mehr so genau. Suchen Sie sich etwas aus. Sänger. Songwriter. Schauspieler. Unterwäschemodel. Professionelle Medienhure? Zählt das auch als Beruf?

ERMITTLER: Schon gut, Mr. Thorn. Immer mit der Ruhe. Wir sind bestimmt in wenigen Minuten fertig.

THORN: Sollte ich mir einen Anwalt nehmen?

ERMITTLER: Sie haben das Recht, jederzeit einen Anwalt hinzuzuziehen.

THORN: Bin ich verhaftet?

ERMITTLER: Wir haben nur einige Fragen. Wie ich bereits erwähnte: Je schneller wir Ihre Aussage haben, desto schneller –

THORN: Okay. Vergessen Sie’s. Sagen Sie mir, was Sie wissen wollen.

ERMITTLER: Beginnen wir am Anfang.

THORN: Am Anfang. Wann hat es angefangen? An dem Tag, an dem ich meinen Plattenvertrag bekommen habe? An dem Tag, an dem ich zum ersten Mal eine Gitarre in die Hand genommen habe? Damals war ich ungefähr vier Jahre alt.

ERMITTLER: Es geht um Tessa Hart. Erzählen Sie uns, wie Sie und Ms. Hart zum ersten Mal in Kontakt kamen.

THORN: Über Twitter. Vergangenen Sommer. Irgendwann im August, glaube ich. Aber eigentlich fing alles schon davor an. Bevor ich dort überhaupt ein Benutzerkonto hatte … [Unterbrechung]

ERMITTLER: Bitte, fahren Sie fort.

THORN: Ich denke … [Unterbrechung] Ich denke, wenn man einen Anfangspunkt für diese Geschichte festlegen will, müsste man im Juni anfangen, mit Dorian Cromwell. Sie wissen schon, der Junge von dieser Boyband.

ERMITTLER: Möchten Sie damit sagen, dass dieser Fall in Verbindung zu dem steht, was Dorian Cromwell widerfahren ist?

THORN: Nein, eigentlich nicht. Entschuldigung, ich rede Unsinn. Ich meinte damit, dass in allen Nachrichten über ihn berichtet wurde. Und dann der Prozess gegen diese Verrückte. Und das alles nur, weil er ihr ebenfalls gefolgt ist … [unverständlich].

ERMITTLER: Tut mir leid, aber ich verstehe noch immer nicht. Was hat der Fall Dorian Cromwell mit Ihrer Beziehung zu Tessa Hart zu tun?

THORN: Schon komisch. Ich wusste es sofort. Gleich, als ich von der Geschichte hörte. Mein Bauchgefühl verriet mir, was ihm passiert sein musste. Viele Menschen sagen, dass sie niemals vergessen werden, wo sie waren, als Kennedy erschossen wurde. Oder am elften September. Ungefähr so geht es mir auch. Ich fuhr gerade auf dem Santa Monica Freeway, hatte das Verdeck heruntergeklappt und hörte mir im Radio die Top 40 an. Und der Moderator unterbrach plötzlich die Musik, mitten im zwölftplatzierten Song. Obwohl ich gar nicht richtig hingehört hatte, kam es mir gleich merkwürdig vor. Ich wusste sofort, dass irgendetwas Wichtiges geschehen sein musste, weil sie mitten im Lied aufhörten. Zu diesem Zeitpunkt war noch nicht bekannt, was genau passiert war. Es dauerte einige Tage, bis man alles herausfand. Das mit diesem Mädchen, diesem Fan. Damals wusste man noch nicht einmal mit Sicherheit, ob es sich um Mord handelte. Man wusste nur, dass es Dorian Cromwell war. Das berichteten sie im Radio. Genau in diesem Wortlaut. Dorian Cromwell, Sänger von Fourth Dimension, war am Morgen in London tot aufgefunden worden, mit dem Gesicht nach unten in der Themse treibend.

Kapitel 1

Projektion

12. August 2016

»Du bist nicht besessen. Du projizierst.«

»Ich projiziere?« Tessa sah von dem dicken braunen Haarstrang auf, den sie schon seit einer halben Stunde immer wieder aufs Neue flocht und löste. Verunsichert blickte sie zu ihrer Psychotherapeutin Dr. Regan hinüber, die auf der gegenüberliegenden Seite des Zimmers saß.

»Das ist ein gewöhnlicher Abwehrmechanismus«, erklärte Dr. Regan. Ihr Tonfall blieb dabei so emotionslos wie gewohnt – sie war quasi die menschliche Version eines Generators, der weißes Rauschen produziert –, doch sie rutschte sichtlich unbehaglich auf ihrer Sitzgelegenheit herum. Sie saß mit übereinandergeschlagenen Beinen auf einem niedrigen pinkfarbenen Sitzsack und bemühte sich, ihr professionelles Gebaren aufrechtzuerhalten. Eigentlich empfing sie Klienten ausschließlich in ihrer Praxis, doch für Tessa machte sie eine Ausnahme.

Tessas Blick fiel auf die Strumpfhose der älteren Dame, die an den Knien Falten warf, und sie verspürte eine gewisse neidvolle Bewunderung. Man brauchte schon einiges an Willenskraft, um in der Sommerhitze von West Texas Nylonstrumpfhosen zu tragen. Tessa dagegen trug lediglich ein Tanktop und eine kurze Schlafhose aus Baumwolle, die ihr kaum bis zu den schlanken Schenkeln reichte.

»Projektion«, erläuterte Dr. Regan. »Diesen Ausdruck verwenden wir, wenn eine Person ihre eigenen Gedanken und Gefühle auf eine andere Person überträgt – in deinem Fall auf einen Prominenten.«

»Aber ich bin Eric Thorn noch nie begegnet. Ich war bisher noch nicht mal bei einem seiner Konzerte.«

Dr. Regan nahm Tessas Gedankentagebuch zur Hand und schlug es am Anfang auf. Die Zeichnungen, die auf den Einband gekritzelt waren, ließ sie dabei unkommentiert: ein Durcheinander aus Herzen, Waldkreaturen und augenlosen, menschlichen Gesichtern. Von wegen Projektion, dachte Tessa und rümpfte die Nase. Wahrscheinlich wäre es sinnvoller, darüber zu sprechen, dass sie es nicht einmal ertrug, von ihren selbst gezeichneten Strichmännchen angesehen zu werden.

Dr. Regan deutete auf einen der ersten Tagebucheinträge, den Tessa verfasst hatte. »Erzähl mir etwas hierüber. Was hat dich so sehr an ihm fasziniert, dass du etwas über ihn schreiben wolltest?«

»Über Eric?« Tessa nahm das spiralgebundene Tagebuch zur Hand und überflog die Seite. »Ich denke, der Auslöser war, dass ich mir TMZ angeschaut habe. Dort war zu sehen, wie er mit irgendeiner Schauspielerin, die in Pretty Little Liars mitspielt, durch New York City schlenderte. Selbstverständlich gingen die bei TMZ davon aus, dass die beiden ein Paar sind.«

»Aber das ist nicht das, was du aufgeschrieben hast.«

»Natürlich nicht. Haben Sie schon mal TMZ gesehen? Das ist wie Fanfiction, nur noch unglaubhafter.«

Dr. Regan hob die Augenbrauen – das Höchstmaß dessen, was sie an Mienenspiel zuließ. Sie schob die Hornbrille auf der Nase nach oben. »Sag mir, was du stattdessen geschrieben hast.«

Tessa zog die Knie an die Brust. Mit leichtem Unbehagen erinnerte sie sich wieder daran, welche Faszination die unscharfen Aufnahmen der Paparazzi auf sie ausgeübt hatten. Eric und diese Frau … Er hatte nicht gewirkt, als hätte er ein Date mit ihr. Nicht im Entferntesten. Im Video war zu sehen gewesen, wie er schnell lief, einen kurzen verstohlenen Blick über die Schulter warf und dann das Tempo weiter steigerte. Daraufhin hatte die Kamera ihn herangezoomt. Seine durchdringenden blauen Augen hatten sie vom Bildschirm aus direkt angesehen. Und sein Gesichtsausdruck …

»Er sah nicht aus wie ein glücklicher Mann, der eine neue Freundin hat«, erklärte Tessa ihrer Therapeutin. »Zumindest nicht für mich.«

»Wie sah er denn deiner Meinung nach aus?«

Tessa schloss die Augen. »Als hätte er wahnsinnige Angst.«

»Gut, Tessa.« Dr. Regan belohnte sie mit einem Kopfnicken. »Und was, glaubst du, sagt das über deine eigene Gemütsverfassung aus?«

»Wollen Sie damit sagen, ich hätte mir das nur eingebildet? Dass ich eigentlich diejenige bin, die wahnsinnige Angst hat?«

Dr. Regan beugte sich konzentriert nach vorn. Sie strich sich eine grau melierte Haarsträhne hinters Ohr.

»Das könnte natürlich sein«, sagte Tessa bedächtig. »Das ist wahrscheinlich eine meiner schlimmsten Ängste. In einer Stadt auf einem überfüllten Gehweg zu laufen, ohne zu wissen, ob ich verfolgt werde …«

Dr. Regan nahm das Gedankentagebuch und schlug es zu. »Ausgezeichnet. Sprich weiter.«

»Allerdings war das nicht das einzige Mal«, dachte Tessa laut nach. »Jedes Mal, wenn er direkt in eine Kamera blickt, kann man diesen Funken Angst erkennen.«

»Angst wovor?«

»Als fühle er sich von etwas verfolgt. Verfolgt oder –« Tessa verstummte, suchte nach einem passenden Wort. Ihr Blick wanderte über den Einband des Tagebuchs und blieb an einem der Rehkitze hängen, die sie dabei gezeichnet hatte, wie sie um ihr Leben rannten. »Gejagt vielleicht? Keine Ahnung.«

»Das ist sehr interessant, Tessa.«

»Tatsächlich? Das ist interessant?« Tessa konnte nicht anders, sie musste lachen. Interessant. Das war mit Sicherheit einer dieser schwammigen Begriffe, die Seelenklempner auf Patienten anwendeten, die vollkommen einspurig dachten. Dr. Regan hatte ja keine Ahnung. Jedes Mal, wenn Tessa sich hinsetzte, um ihre Achtsamkeitsübungen zu machen, endete es damit, dass sie Geschichten über Eric Thorn schrieb. Schon zwei komplette Tagebücher hatte sie mit diesen ausgeklügelten Storys gefüllt. »Das kann doch nicht normal sein, oder?«

Dr. Regan zückte einen Schreibblock und machte sich eine kurze Notiz. »Eventuell fühlst du dich bei der Erforschung deiner eigenen Ängste sicherer, wenn du sie jemand anderem zuschreibst. Das kann sogar recht nützlich sein, vorausgesetzt, man ist sich dessen, was man tut, bewusst. Überleg mal, inwiefern deine Theorien über diesen Prominenten mit den Vorkommnissen vom Juni in Verbindung stehen könnten.«

Tessa reagierte mit einem erstickten Laut und schlang die Arme noch fester um die Knie. Sie hatte den ganzen Juni in New Orleans verbracht, um an einem achtwöchigen Kurs in kreativem Schreiben für Teenager teilzunehmen – oder zumindest hätte er acht Wochen dauern sollen. Tessa hatte nach vier Wochen abgebrochen und war zurück nach Hause, in die Sicherheit ihres eigenen Zimmers, geflohen. Inzwischen war der Sommer fast vorbei, und sie brachte es noch immer nicht fertig, über den Grund ihrer Abreise zu sprechen. »Nein – Sie meinten, dass ich das nicht muss – erst, wenn ich dazu bereit bin –«

»Okay, Tessa.« Dr. Regan hob beschwichtigend die Hand. »Vergiss nicht deine Atemübungen. Gut so.«

Tessa schluckte. Die aufsteigende Angst drohte sie zu überwältigen, doch sie konzentrierte sich auf die eine Sache, die sie stets zuverlässig ablenkte. Eric. Eric Thorn. Tessa wiederholte seinen Namen wieder und wieder in ihrem Kopf und zog dabei tief die Luft ein. Eigentlich sollte sie nun kurz den Atem anhalten und dabei bis fünf zählen, doch sie hatte diese Entspannungstechnik ein klein wenig abgeändert. Eric eins … Eric zwei … Eric drei … Tessa beobachtete, wie sich ihr Brustkorb langsam hob und senkte, bis ihre verkrampften Schultern sich langsam lockerten.

»Gut, Tessa«, sagte Dr. Regan. »Wenn du dich mit Eric Thorn als Gesprächsthema am wohlsten fühlst, können wir uns gern auf ihn konzentrieren.«

»Ich begreife nur nicht, weshalb ich mir ihn ausgesucht habe. Warum ausgerechnet Eric Thorn?«

»Das musst du mir sagen, Tessa. Warum, glaubst du, bist du so auf ihn fixiert?«

Tessa spürte, dass ihr Gesicht ganz heiß wurde. Sie war schon sein Fan, seitdem er vor einigen Jahren sein Debütalbum veröffentlicht hatte, doch neuerdings hatte ihre Faszination für ihn ganz neue Blüten getrieben. Sie überstieg sogar die Geschichten, die sie in ihrem Gedankentagebuch niederschrieb. Wann immer sie ein neues Bild von ihm entdeckte, verspürte sie sofort den unwiderstehlichen Drang, es auf ihrem Handy abzuspeichern. Sie besaß inzwischen mehr Fotos von Eric Thorn als von irgendjemandem, den sie im wahren Leben kannte. In ihrem Zimmer hatte Tessa alle Fotografien, mit denen die blassgelben Wände einst dekoriert gewesen waren, abgenommen. Nur das Konzertplakat von Eric Thorn hatte sie an seinem Ehrenplatz über dem Bett belassen.

»Ich weiß es nicht«, erwiderte Tessa. »Vielleicht, weil er heiß ist?« Sie warf über die Schulter hinweg einen Blick auf das Poster, betrachtete die so vertraute Szene: Eric, der auf der Bühne performte, mit einer E-Gitarre vor der muskulösen Brust. Er hatte den Kopf zurückgeworfen, die Augen geschlossen, war ganz verloren in der Musik …

Dr. Regan musterte über den Rand ihrer Brille hinweg Erics verschwitzten Torso. »Das ist aber vermutlich noch nicht alles«, sagte sie. »Aber belassen wir es erst einmal dabei, und du denkst bis zu unserer nächsten Sitzung über diesen Punkt nach. Kommen wir zu deinen Desensibilisierungsübungen. Wie kamst du diese Woche mit ihnen voran?«

Tessa knabberte an ihrem Daumennagel, den sie ohnehin schon komplett abgekaut hatte. Während sie noch zögerte, unterbrach ihre Therapeutin das Schweigen.

»Letzte Woche hast du es geschafft, eine halbe Stunde lang mit deiner Mutter und deinem Freund Scott unten im Wohnzimmer zu sitzen.«

»Ja«, murmelte Tessa.

»Und dein Ziel für diese Woche war es, den Türknauf der Haustür zu berühren.«

»Dazu kam es nicht direkt.« Tessa nagte an ihrer Nagelhaut, riss mit den Zähnen daran. Sie wusste, dass sie es vermasselt hatte. Sie hatte mehr als einen Monat Therapie gebraucht, um überhaupt den Mut aufzubringen, einen Fuß vor ihre Zimmertür zu setzen.

Die letzten Tage kamen ihr nun wie ein einziger, riesiger Rückschlag vor. »Diese Woche hat mich einfach überfordert«, erklärte sie. »Da ist diese … Sache … geschehen. Ach, es ist blöd.«

Dr. Regan runzelte die Stirn. »Welche Sache?«

»Nichts. Nur etwas, was auf Twitter passiert ist.«

Die Therapeutin hörte auf, sich Notizen zu machen, und hob den Kopf. »Du benutzt Twitter?«

»Tut mir sehr leid«, sagte Tessa. Sie hatte ihren Twitter-Account bislang nie erwähnt. Er war ihr irrelevant erschienen. Heutzutage twitterte sie ohnehin kaum noch. Doch in der vergangenen Woche waren ihre Gedanken auf einmal fast ausschließlich um Twitter gekreist. »Ich weiß, was Sie sagen wollen. Wahrscheinlich wäre es besser, mein Konto zu deaktivieren, damit ich mich besser auf meine Übungen konzentrieren kann.«

»Nein, Tessa. Dadurch würdest du nur noch stärker isoliert.« Während sie sprach, machte sich Dr. Regan eifrig Notizen. »Jede Form von sozialer Interaktion könnte von therapeutischem Wert sein.«

»Wirklich?« Tessa spähte skeptisch zu ihrem Handy hinüber, das in seiner roten, ledernen Schutzhülle auf dem Nachttisch lag. Sie hatte es selbst dort hingelegt, mit dem Display nach unten, um während der einstündigen Sitzung nicht von neu eingehenden Twitter-Mitteilungen abgelenkt zu werden.

Dr. Regan nickte. »Unser eigentliches Ziel ist selbstverständlich, dass du mit Menschen aus der realen Welt interagierst, aber die sozialen Medien können ebenfalls ein erster Schritt in die richtige Richtung sein.«

»Okay. Im Grunde habe ich mich die ganze Woche über mit kaum etwas anderem beschäftigt, also …«

»Hast du Follower? Menschen, mit denen du interagierst?«

Tessa lachte auf. Was für eine Frage. Hätte man sie ihr vor einigen Tagen gestellt, wäre ihre Antwort noch gänzlich anders ausgefallen: einige hundert Follower, die weitgehend ignorierten, dass sie existierte. Doch als Tessa am heutigen Tage zum letzten Mal ihren Account gecheckt hatte, zeigte der Zähler für ihre Follower 30K. Wenn sie daran dachte, wurde Tessa noch immer fast ein wenig schwindelig. Dreißigtausend Follower. Dreißigtausend Augenpaare, die jeden ihrer Tweets betrachteten. Ihre Emotionen schwangen hin und her wie ein Pendel – blankes Entsetzen beim Gedanken an all diese Leute wechselte sich mit dem irrationalen Verlangen nach noch mehr Followern ab. Es juckte sie, ihr Handy zur Hand zu nehmen und einen Blick zu riskieren. Wie viele waren wohl in der Zeit, in der sie und Dr. Regan sich unterhalten hatten, neu dazugekommen?

»Es ist irgendwie verrückt«, sagte sie, während sie sich das Telefon angelte und aufs Display blickte.

Tessa H

@TessaHeartsEric

30,1K Follower

Sie zeigte es ihrer Therapeutin.

»Sehr interessant.« Dr. Regan drückte den Stift gegen die Lippen und dachte kurz nach. Dann notierte sie wieder etwas auf ihren Block.

»Mein Account ist diese Woche irgendwie durch die Decke gegangen.«

»Was ist passiert?«

Tessa zog den Kopf ein. Sie wich Dr. Regans Blicken aus, spielte stattdessen mit dem ausgefransten Saum ihrer Bettdecke. »Es begann alles mit einer Geschichte, die ich geschrieben habe. Über Eric. Ich habe sie letztes Wochenende online gepostet. Ich habe sie Besessen genannt.« Tessa zupfte an einem losen Faden und beobachtete, wie sich daraufhin eine der Steppnähte löste. »Eigentlich war sie als eine Art kleiner Witz auf meine eigenen Kosten gedacht.«

»Und was geschah dann?«

»Ich habe mir ein Hashtag ausgedacht – #EricThornBesessen. Wissen Sie, was ein Hashtag ist?«

»Der Begriff ist mir vertraut«, antwortete Dr. Regan in gleichbleibend emotionslosem Tonfall, doch ihre Augen funkelten amüsiert. Tessa biss sich auf die Lippe. Sie ging immer automatisch davon aus, dass Menschen in Dr. Regans Alter nicht einmal wussten, wie man eine App herunterlud, doch offenbar hatte sie ihre Therapeutin falsch eingeschätzt. Tessa lächelte zaghaft und fuhr fort.

»Ich habe versucht, andere Fans dazu zu bewegen, sie zu lesen. Deshalb habe ich eine ganze Reihe Tweets mit sexy Bildern von ihm abgesetzt und darin meine Geschichte verlinkt. Und irgendwie … hat sich das verselbstständigt. Alles ging so schnell. Zuerst hat einer der größeren Eric-Thorn-Fan-Accounts mich retweetet. Und dann hat auch @Relatable mich retweetet. Und dann hat @Flirtationship retweetet. Und dann – ich erinnere mich nicht mehr genau, wer danach kam. Ich glaube @GirlNotes. Oder vielleicht @GirlPosts? Jedenfalls einer dieser großen Accounts, denen jeder folgt. Und danach war das Hashtag einfach überall. Ich glaube, am Mittwoch lag es auf Platz eins. Oder am Donnerstag? Hier.« Tessa wischte über das Display ihres Handys, bevor sie es Dr. Regan hinhielt. »Sehen Sie? Das ist die Liste aller Trend-Hashtags, die weltweit angesagt sind.«

Und dort, an dritter Stelle der Liste, standen die Worte, die Tessa vor sechs Tagen zum ersten Mal in ihr Telefon getippt hatte und die inzwischen von mehr Menschen weitergetragen worden waren, als sie es in ihren kühnsten Träumen erwartet hätte:

#EricThornBesessen

21,8 Mio. Tweets

Kapitel 2

#EricThornBesessen

Eric öffnete Twitter und sah auf die Liste mit den Trendthemen.

#EricThornBesessen

21,8 Mio. Tweets

»Ach du Scheiße«, fluchte er leise und warf das Handy neben sich aufs Bett. Noch immer an dritter Stelle der Liste. Das verdammte Ding wollte einfach nicht sterben. Konnten diese ganzen verrückten Stalker nichts Besseres finden, worüber sie wie besessen twittern konnten?

Wenigstens lag er nicht mehr auf dem ersten Platz.

Er ließ sich gegen die samtbezogenen Polster am Kopfende seines Hotelbetts sinken. Eine Locke seines struppigen, dunkelbraunen Haares hing ihm in die Augen. Ungehalten strich er sie weg, wobei er das Gesicht verzog, weil sich seine Haare durch die Gel-Reste, die noch in ihnen klebten, ganz hart anfühlten. Es wäre wohl besser gewesen, wenn er gestern vor dem Zubettgehen noch einmal geduscht hätte. Aber er hatte sich nach dem endlos langen Tag so müde gefühlt, dass er es gerade noch geschafft hatte, die Klamotten auszuziehen, bevor er auf der Überdecke eingeschlafen war.

Jetzt noch zu duschen, wäre auch sinnlos. In zwanzig Minuten begann sein morgendliches Fitnesstraining, und wenn er zu spät käme, würde sein Trainer ihm die Hölle heißmachen. Andererseits würde ihm auch seine Hairstylistin die Hölle heißmachen, wenn er nachher mit einem schwitzigen, von Gel verklebten, widerlichen Haarschopf bei ihr auftauchte. Vielleicht sollte er doch lieber noch ganz kurz unter die Dusche springen …

Im Nebenzimmer knarrte es plötzlich leise. Eric konnte das Geräusch durch die geschlossene Schlafzimmertür hören. Er setzte sich kerzengerade auf. Da war jemand in seiner Suite. Reinigungspersonal? Nein. Sie wussten, dass sie nicht hereinkommen sollten. Hatte er am Vorabend, bevor er eingeschlafen war, vergessen, den Türriegel vorzulegen? Aber dann konnte es nur –

Der Knauf der Schlafzimmertür drehte sich. Eric kauerte sich in die Kissen.

»Wer ist da?«, formte er mit den Lippen, doch in seiner Lunge war nicht genug Luft, um einen Ton herauszubringen. Er griff nach dem Laken, um sich damit zu bedecken – denn abgesehen von den engen Boxershorts, die er auch schon tags zuvor getragen hatte, war er unbekleidet –, und sah sich rasch im Zimmer um. Gab es etwas, das er als Waffe einsetzen konnte? Eine Nachttischlampe? Nein. Das Zimmer hatte nur Wandleuchten. Aschenbecher waren auch keine vorhanden. Mist! Vielleicht die Keramikvase dort drüben –

»Hey, Kleiner, bist du angezogen?«

Als Eric die vertraute Stimme vernahm, kniff er erleichtert die Augen zu und lockerte den Griff um das Laken. Ins Zimmer kam Maury, sein Manager.

»Alter!«, rief Eric. Sein Herz schlug so schnell, dass es sich anfühlte, als flattere in seiner Brust ein gefangener Vogel wild mit den Flügeln. »Wie wäre es mit Anklopfen?«

»Sorry, Kleiner. Hast du geschlafen?« Maury sah aus, als sei er schon seit Stunden auf. Eric hatte seinen Manager noch nie in etwas anderem als polierten Lederschuhen und Designeranzügen gesehen. Der Mann hätte eine Doppelseite in der GQ verdient – und wäre Maury nicht so klein und fett und kahlköpfig gewesen, hätte er sich bestimmt schon längst selbst solch ein Shooting organisiert.

»Nein, ich habe nicht geschlafen«, entgegnete Eric. »Und darum geht es auch gar nicht. Das ist mein Schlafzimmer!«

Maury sah sich anerkennend in dem gut ausgestatteten Zimmer um. »Eigentlich ist das eine Suite, die deine Plattenfirma bezahlt«, entgegnete er und strich dabei mit einer Hand über die Bettdecke. »Was ist das? Mako-Satin? Schätzungsweise in Luxusqualität. Hast du darin gut geschlafen?« Sein Manager sparte es sich, auch noch zu erwähnen, wie viel das Zimmer kostete, und Eric war nicht so dumm, danach zu fragen.

»Dann tun wir jetzt also nicht mal mehr so, als hätte ich eine Privatsphäre?«

Maury berührte mit der Schuhspitze den Haufen Schmutzwäsche, der achtlos hingeworfen auf dem handgewebten Teppich lag. »Häng eben eine Socke an die Tür, wenn du ein Mädchen bei dir hast«, riet er mit einem schelmischen Funkeln in den Augen. Eric erwiderte nichts. Stattdessen boxte er in eines der dicken Kissen.

»Ach, komm schon Kleiner. Ärger dich nicht. Ich mach doch nur Spaß!«

»Oh ja, du bist ein richtiger Witzbold, Maury.«

»Komm wieder runter! Nächstes Mal klopfe ich an. Versprochen.«

»Danke. Kann ich mich jetzt anziehen?« Eric zog das Laken enger um die Schultern, doch sein Manager ging auf den Wink nicht ein. »Was?«, fragte Eric. »Gibt’s sonst noch was?«

Maury streckte die Hand nach Erics Handy aus. »Ich hatte gerade die Leute, die für Social Media zuständig sind, an der Strippe. Der #EricThornBesessen-Trend ist über Nacht auf Platz drei in der Liste abgerutscht. Deshalb möchten sie gern, dass du ihm einen kleinen Schub verpasst –«

»Nein!« Eric stieß das Handy außer Reichweite, bevor sein Manager es noch in die Finger bekam.

»Sie wollen nur, dass du einen kleinen Follow Spree machst«, sagte Maury. »Ein paar Fan-Accounts folgst. Du weißt ja, wie das läuft.«

Eric hatte auf einmal das Gefühl, sich übergeben zu müssen. Tatsächlich? Hatte Maury diese Worte da gerade tatsächlich ausgesprochen? Ausgerechnet jetzt einen Follow Spree von ihm zu verlangen war doch verrückt. Verfolgte denn niemand in der Plattenfirma die Nachrichten?

Eric schlug die Hände vors Gesicht. Er wusste, dass er sich wahrscheinlich schon wie eine kaputte Schallplatte anhörte, weil er Tag für Tag den Mordfall zur Sprache brachte, aber diese hässliche Geschichte wollte ihm einfach nicht aus dem Kopf gehen. Bei den Worten seines Managers hatte er nun wieder an all die schmutzigen Details denken müssen. Ein Follow Spree … Eric stöhnte laut.

Maury sah auf. »Um Himmels willen«, sagte er. »Lass mich raten. Dorian Cromwell?«

»Maury, kapierst du denn nicht? Das ist genau das, was ihm auch passiert ist. Er hat auch einen Follow Spree gemacht!«

»Kleiner, ich kann verstehen, dass dich das mitnimmt, aber –«

»Er ist einem besessenen Teenager gefolgt, und das Mädel ist daraufhin ausgetickt. Redete sich ein, dass sie beide Seelenverwandte wären. Ein Liebespaar, dessen Liebe unter einem schlechten Stern stünde. Irgend so einen Schwachsinn. Also hat sie ausspioniert, wo er abgestiegen ist, und vor seinem Hotel auf ihn gewartet. Und als sich herausstellte, dass er die ganze Situation ein klein wenig anders sah als sie?« Eric legte den Kopf in den Nacken und fuhr sich mit der Hand über die Kehle.

»Jetzt hör mir mal zu, Kleiner.« Maury schlurfte zu der Seite des Bettes, wo Eric saß, und legte ihm väterlich die Hand auf die Schulter. »Dieses Mädchen war eine Irre. Das verstehst du doch, oder? Sie wurde in eine Nervenklinik gesperrt. Die Chancen, dass so etwas passiert, stehen wahrscheinlich eins zu einer Million –«

»Weißt du, das wäre sehr viel beruhigender, wenn ich nicht vierzehn Millionen Twitter-Follower hätte.«

»Eric –«

»Dieser Rechnung nach folgen mir also lediglich vierzehn verrückte Mörder. Kaum der Rede wert.«

Maury lachte. »Mein Freund, du musst aufhören, dir die Nachrichten anzusehen, sonst bist du am Ende noch derjenige, der in einer Gummizelle landet.« Sein Manager griff wieder nach dem Handy, das auf der Matratze lag. »Hier«, sagte Maury und tippte auf das Telefon. »Mach den Follow Spree. Die Fans kannst du dir selbst aussuchen. Nur diese hier muss auf jeden Fall dabei sein.«

Eric betrachtete das Twitter-Profil, das Maury aufgerufen hatte.

Tessa H (@TessaHeartsEric)

30,1K Follower

»Warum sie?«, fragte Eric. Er sah sich ihre letzten Tweets an – allesamt Bilder von ihm, oben ohne, verlinkt mit einer Webseite namens Wattpad und dem Hashtag #EricThornBesessen.

»Sie war es, die den Trend ins Leben gerufen hat. Sie hat eine Fanfiction-Story mit dem Titel Besessen über dich geschrieben.«

»Oh, perfekt.« Eric schnaubte. »Klingt, als wäre sie ein ganz vernünftiger Mensch.«

Maury tat Erics sarkastische Bemerkung mit einer Handgeste ab, ohne den Blick vom Handy zu lösen. »Die Geschichte ist gar nicht mal so übel. Die Plattenfirma erwägt, sie zu veröffentlichen und zusammen mit dem nächsten Album in Deluxe-Version rauszubringen –«

Eric steckte sich einen Finger in den Mund und tat so, als müsse er würgen.

»Vorerst beobachten sie das Ganze erst mal nur. Aber wenn du ihr folgst, wird diese Geschichte ein Riesending –«

»Und genau aus diesem Grund werde ich es nicht tun!« Eric riss das Handy an sich. »Ich werde diese Leute nicht dazu ermutigen, noch besessener von mir zu werden, als sie es ohnehin schon sind.«

Maury erwiderte nichts. Er zuckte nur mit den Schultern, wandte den Blick ab und betrachtete stattdessen die Spitzen seiner Schuhe. Eric arbeitete lange genug mit ihm zusammen, um zu wissen, was diese Geste bedeutete. Er konnte sich aufregen, so viel er wollte – am Ende bliebe ihm trotzdem keine andere Wahl, als sich den Anordnungen der Plattenfirma zu beugen.

Eric kniff sich in den Nasenrücken. Er spürte, wie sich Spannungskopfschmerzen ankündigten. Die bekam er in letzter Zeit viel zu häufig – insbesondere, wenn er sich mit seinem Manager im selben Raum aufhielt. »Hast du schon Rückmeldung vom Label bekommen, ob sie die Security aufstocken?«

»Widmen wir uns doch einem Punkt nach dem anderen, okay?«

»Hast du überhaupt mit ihnen darüber geredet?«, hakte Eric nach.

»Kleiner, an dir verdienen sie am meisten. Ich kann dir versprechen, dass sie nicht zulassen werden, dass dich irgendein Serienkiller in Stücke hackt …« Maury grinste hinterhältig. »Zumindest solange die Ticketverkäufe für deine Konzerte nicht rückläufig sind.«

Eric verdrehte die Augen. »Super Maury. Freut mich sehr, dass du dich so gut amüsierst. Könntest du jetzt deine miese Stand-up-Comedy-Einlage beenden?«

»Hey, Großer!« Maury riss die Hände hoch. »Ich habe gefragt. Sie haben geantwortet.«

»Und?«

»Und der Typ, der für dich zuständig ist, hat Ja gesagt. Aber dann haben die von der PR davon Wind bekommen und abgelehnt.«

Die PR-Abteilung, dachte Eric und fuhr sich fahrig durchs Haar. Immer wieder mischten sich diese Widerlinge ein. Die PR-Genies hielten beim Label die Fäden in der Hand, und es war ihnen völlig egal, ob er am Ende dabei draufging.

Nein, wahrscheinlich wäre das in ihren Augen sogar ein Glücksfall. Siehe Dorian Cromwell. Bevor das alles passiert war, hatte sich Fourth Dimension auf dem absteigenden Ast befunden. Das letzte Album hatte sich nicht gut verkauft, aber sobald sich die Story von dem Mord verbreitet hatte, war es in den Charts nach oben geschossen. Als die PR-Leute bei Dorians Plattenfirma von den Neuigkeiten erfahren hatten, waren sie wahrscheinlich jubelnd aufgesprungen. Wahrscheinlich hatten sie das #RIPDorian-Hashtag selbst lanciert, um den ganzen Trubel noch etwas länger am Kochen zu halten. So etwas wie schlechte Publicity gab es eben nicht.

Eric presste die Zähne aufeinander. Zu diskutieren war sinnlos. Er wusste, was die PR-Leute – oder Maury – entgegnen würden, wenn er es wagte, sich zu beklagen: dass er sich geschmeichelt fühlen sollte. Das ganze Twitterversum war besessen von ihm. Wortwörtlich. Das sollte er als Kompliment auffassen.

Oh ja, dachte Eric und sah Maury mürrisch an. Dorian hatte sich bestimmt auch total geschmeichelt gefühlt, bis zu dem Moment, als dieses Fangirl ihm die Kehle durchgeschnitten hatte.

»Es ist doch nur ein kleiner Follow Spree«, sagte Maury schmeichlerisch. »Das hast du schon eine Million Mal gemacht.«

Eric schüttelte den Kopf.

»Eric, wenn du es nicht machst, wird die Plattenfirma deinen Twitter-Account einkassieren und die Verantwortung einem von der PR-Abteilung übergeben. Dann hast du überhaupt keine Kontrolle mehr darüber.«

»Das können sie doch nicht tun, oder?«

»Du weißt, was in deinem Vertrag steht.«

Ach, richtig. Sein Vertrag. Eric verschränkte die Arme vor der Brust. Sein Manager hatte wirklich Nerven, dieses Thema ausgerechnet jetzt zur Sprache zu bringen. Eric lag Maury schon seit Monaten damit in den Ohren, dass er die armseligen Bedingungen seines Plattenvertrages nachverhandeln sollte. Ihn überhaupt unterzeichnet zu haben, war wahrscheinlich der größte Fehler seiner ganzen bisherigen Karriere gewesen.

Maury räusperte sich. »Ich weiß, was du jetzt fragen willst, Eric, und die Antwort lautet, dass ich daran arbeite.«

»Wie viel länger wird es denn noch dauern?«

Maury antwortete nicht. Stattdessen drehte er sich zu dem übergroßen Spiegel um, der gegenüber vom Bett hing, und richtete seine Krawatte. Einen Augenblick lang glaubte Eric, er hätte die Frage überhört, doch dann antwortete Maury doch noch in vertraulichem Tonfall, während er die Spitzen seines Hemdkragens zurechtzupfte. »Hör mal, Kleiner. Die vom Label sind keine Idioten.«

Eric erwiderte den Blick seines Managers im Spiegel. »Was soll das bedeuten?«

»Das bedeutet, dass sie durchaus wissen, dass du unzufrieden bist. Sie merken, was du vorhast. Solange auch die Unterschriften deiner Eltern unter dem Vertrag stehen, haben sie dich in der Hand. Sie können die gesamten Ersparnisse deiner Familie vernichten, einfach so –« Maury schnippte mit den Fingern – »wenn du versuchst zu gehen.«

»Aber ich bin volljährig! Ich bin achtzehn Jahre alt!«

»Und du bist so gut wie raus aus dem Ganzen.« Maury hob die Hand, um Eric zum Schweigen zu bringen. »Halte nur noch ein wenig länger durch. Noch zwei Albumzyklen, dann bist du frei. Dann kannst du Indie machen. Du kannst dich zur Ruhe setzen. Dann kannst du tun und lassen, was du willst.«

Eric ließ die Schultern hängen.

»Höchstens drei Jahre«, fuhr Maury fort. »Wenn wir einen Zahn zulegen, vielleicht auch nur zweieinhalb.«

»Oh, dann komme ich bei guter Führung also früher raus?«

Maury lachte. »Kleiner, wenn es im Gefängnis so aussieht, dann will ich auch eingelocht werden.« Er sah sich mit vielsagendem Blick in dem opulent ausgestatteten Hotelzimmer um. »Du wolltest das hier, Eric. Du hast dir den Arsch aufgerissen, um entdeckt zu werden. Schon vergessen? Was wurde denn aus dem pickelgesichtigen Jungen, der Coversongs auf YouTube postete und mir dort auffiel?«

»Ich weiß, Maury«, räumte Eric ein. »Ich habe damals nur nicht ganz begriffen, worauf ich mich einlasse.«

Maury setzte sich auf die Bettkante und knuffte Eric in den Arm. »Komm schon. Steh auf. Geh und absolviere dein Fitnessprogramm. Danach fühlst du dich besser. Anschließend kannst du den Follow Spree machen.«

Eric stöhnte bei der Bemerkung auf. Sein Fitnessprogramm … Als hätte er in dieser Hinsicht eine Wahl. Drei Stunden täglich Kardio-Training und Gewichte stemmen, überwacht von einem Personal Trainer, den die Plattenfirma nach ihrem Gutdünken für ihn ausgesucht hatte. Das alles war in seinem Vertrag festgehalten. Und, siehe da, jeder einzelne #EricThornBesessen-Tweet beinhaltete auch Fotos, auf denen man seine perfekt definierten Brust- und Bauchmuskeln bewundern konnte.

»Na schön«, murrte er. »Ich brauche nur noch ein paar Minuten für mich. Geht das wenigstens?«

»Natürlich.« Maury erhob sich und ging zur Tür. »Übrigens: Du stinkst wie ein Tier im Zoo. Hast du heute schon geduscht?«

»Über Körpergeruch steht nichts im Vertrag«, entgegnete Eric trocken, wobei sich unwillkürlich einer seiner Mundwinkel hob. Er wickelte das Laken wie eine Toga um sich und folgte seinem Manager zur Tür der Suite.

»Doch, eigentlich schon, mein Freund«, bemerkte Maury über die Schulter hinweg. »Tut mir leid, dass ich dir das sagen muss.«

»Wie bitte? Seit wann?«

»Körperhygiene-Klausel.«

»Das ist doch bescheuert. Als könnte man mich über Twitter riechen!«

Maury erwiderte nichts. Er hatte schon wieder das Handy ans Ohr gepresst und wischte Erics Einwand mit einer knappen Geste fort, während er nach draußen ging.

Eric steckte ebenfalls den Kopf durch die Tür und blickte prüfend in den langen Korridor. Leer, abgesehen von einem Zimmermädchen, das einen Wagen mit Reinigungsutensilien schob. Sie bemerkte ihn und bekam sofort große Augen. Eric verkrampfte sich. Offensichtlich hatte sie ihn erkannt. Ein Fan, da war er sich sicher, denn sie war ganz rot im Gesicht geworden.

Eric sah schnell weg und betete, dass sie kein Trara veranstalten würde. Sie würde doch nicht kreischen, oder? Oder, noch schlimmer, ein Handyvideo aufnehmen, das sie an TMZ verkaufen konnte? Doch das Zimmermädchen senkte diskret den Blick und verschwand mit seinem Wagen um die Ecke. Eric atmete auf. Einen Moment lang erwog er, ihr nachzugehen. Vielleicht sollte er ihr ein Autogramm anbieten. Früher hatte er an solchen kleinen Dingen viel Freude gehabt. Mit nur einer Sekunde seiner Zeit konnte er einem Fan den tollsten Tag seines Lebens bereiten …

Doch das war am Anfang seiner Karriere gewesen – damals, als er noch einige tausend Twitter-Follower gehabt hatte, und nicht mehrere Millionen. Inzwischen wagte er es nicht mehr, sein sicheres Hotelzimmer zu verlassen. Hinter der nächsten Ecke konnte ihm weiß Gott wer auflauern. PR-Leute … Fotografen … verrückte Vierzehnjährige mit Messern …

Eric hängte hastig das »Bitte nicht stören«-Schild an die Türklinke. Er legte den massiven Türriegel um und überprüfte zwei Mal, ob er auch wirklich fest geschlossen war. Dann tapste er ins Badezimmer und drehte die Dusche auf.

»Körperhygiene-Klausel«, murmelte er zu sich selbst. Während er darauf wartete, dass das Wasser warm wurde, schaltete er sein Handy wieder ein.

Twitter-App.

Trendliste.

#EricThornBesessen

21,9 Mio. Tweets

In der halben Stunde, die vergangen war, seitdem er aufgestanden war, waren weitere hunderttausend Menschen dem Chor beigetreten.

Kapitel 3

Follow Spree

Eric setzte sich mit einem weißen Hotelhandtuch um den Hals auf die Toilette. Er las noch einmal den Tweet, den er zehn Minuten zuvor, ehe er unter die Dusche gegangen war, abgeschickt hatte.

Eric Thorn (@EricThorn)

Wow! Danke für diese #EricThornBesessen-Sache. Wie wäre es mit einem Follow Spree? Retweeten und ich folge euch!

18,7K Retweets 20,1K »Gefällt mir«-Angaben

Den ersten zwanzig Fans, die reagiert hatten, war er direkt gefolgt, aber trotzdem kamen noch immer tausende Retweets und Antworten auf seinen Tweet. Er wischte wieder zur Trendliste. Supi. Er lag wieder auf Platz zwei. Fraglos würde es nicht mehr lange dauern, bis #EricThornBesessen wieder weltweit auf dem ersten Platz landete.

Damit sollte das Label doch zufrieden sein. Auch wenn er diesem einen, ganz bestimmten Fan nicht folgte. Tessa H, die Besessenste von allen, die es geschafft hatte, die anderen zu dieser neusten Hysterie aufzustacheln. Sie konnte ihm mit ihrer Idee den Buckel runterrutschen.

Eher fror die Hölle zu, als dass er ihr folgte.

»Genug jetzt«, murmelte Eric zu sich selbst. »Leg das Telefon weg.« Er wusste, dass er die Antworten nicht lesen sollte. Sie würden ihn nur noch mehr deprimieren – diese abertausenden Fangirls, die von ihrer unsterblichen Liebe zu ihm twitterten. Nicht so wie früher, als sie ihn noch seiner Musik oder seiner Stimme wegen verehrt hatten. Noch immer freute er sich, wenn er solche Tweets erhielt, doch sie waren selten geworden. Die meisten dieser Fans hatten noch nicht einmal eines seiner Konzerte besucht. Als er vor einigen Monaten sein neustes Album veröffentlicht hatte, hatten ihm seine Fans deutlich gezeigt, wofür sie ihn in Wirklichkeit vergötterten. Damals hatte er ein kleines Experiment gewagt.

Zuerst hatte er einen Link getwittert, mit dem man die Vorabsingle direkt bei iTunes kaufen konnte:

4,1K Retweets 10,2K »Gefällt mir«-Angaben

Anschließend twitterte er ein Selfie – oben ohne – von den Dreharbeiten für das Musikvideo:

42,6K Retweets 86,3K »Gefällt mir«-Angaben

Diese Zahlen bestätigten nur, was er bereits intuitiv geahnt hatte. Seine sogenannten Fans wollten lieber tonlose Fotos von seinem Körper anglotzen, als sich auch nur einen Song anzuhören, den er sich die Mühe gemacht hatte, aufzunehmen.

Seit jenem Tag hatte er keinen einzigen Tweet mehr aus eigenem Antrieb abgesetzt, sondern nur noch auf Anweisung getwittert. Seine Twitter-App blieb manchmal wochenlang geschlossen.

Und auch jetzt sollte er sie besser wieder schließen, ermahnte er sich selbst. Er hatte seine Pflicht erfüllt. Und damit gut.

Eric seufzte matt. Er musste dringend mit seinem Tagesplan weitermachen, doch dann dachte er an das bevorstehende Fitnesstraining und blieb reglos auf der Toilette sitzen. Nur noch ein paar Minuten, dachte er. Dafür, dass er zu spät kam, würden sie ihm ja wohl kaum Vorwürfe machen können, oder? Schließlich musste jeder mal sein großes Geschäft verrichten. Selbst sexy Popstars.

Er wechselte zu den Benachrichtigungen und verdrehte angewidert die Augen, als er die erste las:

Eric Thorn Lover (@EricLuv982)

ICH LIEBE DIIIIIIIIIIIICH ERIC BITTE FOLGE MIR ICH HEULE GERADE TOTAL!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!

Sie liebte ihn? Jede Wette, dass sie sich seine Musik kaum anhörte. Wie sollte man dafür auch die Zeit finden, wenn man andauernd über Fotos von ihm in Unterhosen twittern musste? Aber sie liebte ihn. Na klar. Wenn sie doch nur gewusst hätte, was er wirklich dachte.

Er war so sehr versucht, es ihnen mitzuteilen. Er konnte sich genau vorstellen, wie dieser Tweet lauten würde:

@EricLuv982 Du liebst mich nicht. Du kennst mich nicht mal.

Oh ja, dachte er. Wir herrlich es wäre, sich das alles von der Seele zu schreiben. Aber warum sollte er sich auf diesen einen Fan beschränken, wenn es dort draußen Millionen ihres Schlages gab?

Eric tippte eifrig in sein Handy:

Achtung, Fans. Ihr liebt mich nicht. Ihr kennt mich nicht mal. Ich werde eure Liebe nie erwidern. Also legt das Handy weg, geht raus und lebt.

Nicht schlecht für hundertvierzig Zeichen. Er hätte natürlich noch mehr zu sagen gehabt, aber er hatte die maximale Zeichenzahl erreicht.

Eric fragte sich, was wohl geschehen würde, wenn er den Tweet absendete. Was würden die Fangirls tun? Würde #EricThornBesessen zum Erliegen kommen? Er schloss die Augen und stellte es sich genau vor. Sein Mund verzog sich zu einem schiefen Grinsen.

Das alles war natürlich reine Fantasie. Wenn ihm jetzt der Finger ausrutschte und er den »Twittern«-Button drückte, wäre die Hölle los. Seine PR-Leute würden ihn zur Schnecke machen. Und das wäre noch sein geringstes Problem. Eric rutschte auf dem unbequemen, harten Toilettensitz herum. Dieses Risiko konnte er nicht eingehen. Er durfte die Fans nicht vor den Kopf stoßen. Es brauchte nur eine einzige von diesen Irren dort draußen, die deswegen durchdrehte und mit einem Schlachtermesser auf ihn losging. Wie viele von ihnen standen kurz davor? Bei wie vielen fehlte wohl nur noch ein kleiner Fehltritt seinerseits, damit sie ausrasteten?

Er legte den Kopf in den Nacken und rieb mit der Hand über die stoppelige Haut an seinem Hals. Hatte Dorian es kommen sehen? Oder hatte dieses Mädchen ihn von hinten überrumpelt?

Nein, er durfte seinen Followern niemals offenbaren, was er tatsächlich über sie dachte. Viel zu gefährlich. Eigentlich sollte er jetzt sofort, nur um auf Nummer sicher zu gehen, das genaue Gegenteil twittern. Etwas, was die bodenlose Enttäuschung derer, die er nicht berücksichtigt hatte, etwas lindern würde. Hastig schrieb er eine neue Nachricht und drückte »Twittern«.

Tessa schloss die Zimmertür hinter Dr. Regan. Dann hechtete sie auf ihr Bett und schnappte sich vom Nachttisch das Handy. In den vergangenen zehn Minuten war eine Twitter-Benachrichtigung nach der anderen eingegangen wie ein Feuerwerk, doch sie hatte nur hilflos aus dem Augenwinkel zusehen können und darauf warten müssen, dass ihre Therapiesitzung endlich endete, damit sie sie lesen konnte.

Nun blickte sie erwartungsvoll aufs Display und entdeckte sofort den Grund für all die Aufregung: Ein neuer Tweet von Eric Thorn.

»Nein!«, rief sie aus, während sie ihn las. Ein Follow Spree? Jetzt? So etwas machte er doch eigentlich schon lange nicht mehr. In letzter Zeit twitterte er ja sogar kaum noch. Es hieß, dass das höchstwahrscheinlich an seinem vollen Promo-Terminplan läge, der ihn stark in Anspruch nähme, aber Tessa glaubte nicht daran. Einen Tweet abzusetzen dauerte nur einen kurzen Augenblick. Etwas anderes hatte sich bei ihm unlängst verändert – auch wenn sie mit dieser Ansicht anscheinend alleine dastand. Auf den Fotos, die er gerade erst für eine Unterwäschekampagne gemacht hatte, stand es ihm deutlich ins Gesicht geschrieben. Er fläzte nur mit Boxershorts bekleidet auf einer Bowlingbahn und versuchte sich an seinem typisch schmachtenden Blick. Doch in seinen Augen sah Tessa lediglich eine Mischung aus Zorn und Traurigkeit – und Angst.

Projektion. Sie projizierte nur. Dr. Regan wusste bestimmt, wovon sie sprach. Während der Therapiesitzung war sie davon noch nicht so recht überzeugt gewesen, aber nun erkannte sie, dass es stimmen musste. Er hielt sich nicht vorsätzlich, einer tiefen Zerrissenheit wegen, von Twitter fern. Er war einfach nur sehr beschäftigt, genau wie alle sagten. Immerhin hatte er gerade einen Follow Spree ausgerufen.

Und sie hatte es verpasst.

Als Tessa die Zeitangabe bei seinem Tweet las, verspürte sie einen Anflug von Enttäuschung. Er hatte ihn vor elf Minuten verschickt – in Twitter-Dimensionen eine halbe Ewigkeit. Zweifellos hatten die Fans, denen er nun folgte, schon innerhalb der ersten dreißig Sekunden reagiert.

Sie konnte ihr Pech kaum fassen. Da hockte sie vierundzwanzig Stunden täglich, sieben Tage die Woche eingesperrt in ihrem selbst gewählten Gefängnis und hatte nichts anderes zu tun, als auf ihr Telefon zu starren … und er suchte sich ausgerechnet die eine Stunde, in der sie ihre Therapiesitzung hatte, für seinen Follow Spree aus. Wahrscheinlich würde es nun wieder mehrere Tage oder sogar Wochen dauern, ehe er wieder die Zeit fand zu twittern.

Sie stöhnte auf und machte sich halbherzig daran, eine Antwort zu verfassen:

@EricThorn FOLGE MIR! ICH LIEBE DICH! Ich ärgere mich so, dass ich es verpasst habe! Grrr:(

Ihr Finger schwebte noch über dem »Twittern«-Button, als eine neue Mitteilung auf ihrem Display aufleuchtete:

Neuer Tweet von Eric Thorn (@EricThorn)

Follow Spree beendet. Nicht traurig sein, wenn ihr nicht dabei seid. Ich liebe jeden Einzelnen von euch mehr, als ihr euch vorstellen könnt.

Sie lächelte unwillkürlich, als sie seine Worte las, die ihre Enttäuschung linderten wie … wie eine heilende Salbe einen schlimmen Sonnenbrand, nachdem man in der Sonne eingeschlafen war …

Tessa lachte leise in sich hinein. Sie war tatsächlich von ihm besessen, oder? Diese Metapher stammte natürlich von seiner neuen Single. Er hatte dem Song den Titel Aloe Vera gegeben.

Come on and soothe this sunburn.

Baby take away my pain.

The light it lured me under

On a perfect sunny day.

Wahrscheinlich hatte er ihn geschrieben, während er in einem traumhaft schönen Strandhotel auf Cozumel Urlaub gemacht hatte. Und nach der Veröffentlichung hatte er in allen Late-Night-Shows denselben selbstironischen Witz gemacht: »Ja, Jimmy. Ich habe ein Liebeslied für meine Hautpflege geschrieben. Gerade arbeite ich an einem neuen, das meinem Aftershave gewidmet ist. Nicht, dass ich von meinem Aussehen besessen wäre oder so …«

Als Tessa den Song zum ersten Mal gehört hatte, hatte sie sich ein wenig Sorgen um Eric gemacht. Sollte er ruhig witzeln. Sie wusste trotzdem, dass der Song nicht von einem Tag am Strand handelte. Sondern davon, wie es ist, wenn man sich verbrennt.

Sie schaltete die Nachttischlampe ein. Wenn das Licht doch ihre düsteren Gedanken vertreiben könnte! Offensichtlich interpretierte sie viel zu viel in die ganze Angelegenheit hinein. Mit Eric Thorns Seelenzustand war alles in Ordnung. Dieser aktuelle Tweet war nicht von jemandem verfasst worden, der von Depressionen und Ängsten geplagt wurde. Nein, diese Worte kamen von einem Mann, der feinfühlig war. Umsichtig. Von jemandem, dem die Gefühle seiner Fans wirklich etwas bedeuteten. Die meisten Promis hätten sich nicht so viele Umstände gemacht.

Sie konnte ihn sich bildlich vorstellen, wie er tippte und dann auf sein Handy blickte, auf dem die Antworten aufleuchteten. Diese Worte voller Liebe, die zurück zu ihm strömten. Zweifellos hatte er dabei sein typisch schiefes Grinsen im Gesicht, während er sich an der Verehrung seiner Fans ergötzte. Und er hatte es verdient. Jedes einzelne Wort.

Tessa fragte sich, wo er sich wohl gerade aufhielt. Vielleicht fläzte er auf dem Rücksitz einer Limo mit beheizbaren Ledersitzen. Blickte er auf sein Telefon, jetzt gerade, in diesem Augenblick? Beim Gedanken daran erhitzten sich ihre Wangen. Sie löschte den Tweet, den sie gerade hatte abschicken wollen, und schrieb rasch einen neuen:

@EricThorn Du Süßer. LÄCHLE WENN DU DAS HIER SIEHST! #EricThornBesessen