Fool me twice - Carrie Aarons - E-Book
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Fool me twice E-Book

Carrie Aarons

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Beschreibung

Seine beste Freundin mit achtzehn an Krebs zu verlieren, verändert ein Mädchen. Nie hätte Henley gedacht, dass sie sich eines Tages die Haare färben, Campen gehen oder Rache an Lincoln Kolb üben würde. Doch für Catherine würde sie alles tun. Lincoln hat keine Ahnung, wer Henley ist, sie weiß jedoch alles über den Starspieler des Football-Teams. Wenn es eines gibt, dem ein Sportler nicht widerstehen kann, dann ist das eine Herausforderung. So will sie ihn um den Finger wickeln und den bitteren Verrat an ihrer besten Freundin rächen. Ihr Plan ist perfekt. Bis sie herausfindet, warum Catherine so hin und weg von Lincoln war ...

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Seitenzahl: 313

Veröffentlichungsjahr: 2022

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FOOL METWICE

Carrie Aarons

© Die Originalausgabe wurde 2020 unter dem

Titel FOOL ME TWICE von Carrie Aarons veröffentlicht.

© 2022 Romance Edition Verlagsgesellschaft mbH

8700 Leoben, Austria

Aus dem Amerikanischen von Jennifer Kager

Covergestaltung: © Giessel Design

Titelabbildung: © 1222061344 - Karma3,

400686226 – Olga C, 2106065180 – gdtech,

Depositphotos kapitonenko

ISBN-Taschenbuch: 978-3-903413-25-2

ISBN-EPUB:978-3-903413-26-9

www.romance-edition.com

Prolog

Henley

Sie hatte sich ein hellblaues Kleid ausgesucht.

Normalerweise entscheidet sich die Familie für ein schwarzes Outfit und wählt die Sachen nach den Vorlieben des Verstorbenen aus. Und auch das Make-up sollte dem Anlass entsprechend eher zurückhaltend sein.

Die meisten Menschen suchen ihre Trauerkleidung auch nicht selbst aus, schon gar nicht im Alter von achtzehn. Doch Catherine war anders; sie wollte immer auf alles vorbereitet sein. Ich erinnere mich noch genau an den Tag, als ich auf der Kante ihres Krankenhausbettes saß und sie in einem Online-Shop ein Kleid für ihre Beerdigung aussuchte. Natürlich war ich bei dieser Entscheidung an ihrer Seite, obwohl es so morbide war, dass mir speiübel wurde. Als sie jedoch das erste Kleid in den Warenkorb legte, musste ich lachen.

Es war hauteng, mit Leopardenprint, und so kurz, dass es kaum ihre Arschbacken bedeckt hätte. Ideal für eines dieser Partygirls aus dem Reality-TV, wenn das Thema der Sendung irgendetwas mit Dschungel zu tun hat. Als ich es sah, drückte ich meine Wange an Catherines kahlen Schädel und lachte aus vollem Hals. Sie wusste immer, wie sie mich aufheitern konnte. Und ich hatte verstanden, wie wichtig ihr das alles war, und ich bestand darauf, das perfekte Kleid für sie zu finden. Für den Moment, an dem ich mich endgültig von ihr verabschieden musste. Und wir haben es gefunden.

Meine beste Freundin liegt in ihrem Sarg, nur zwei Tage nach ihrem achtzehnten Geburtstag. Sie trägt eine hübsche, blonde Perücke, die vermutlich ihre Mutter ausgesucht hat. Der Blond-Ton passt perfekt zu ihrem Teint und erinnert an ihre natürliche Haarfarbe. Durch die Chemo hat Catherine all ihre Haare verloren, aber in diesem Augenblick sieht sie aus wie die fröhliche Jugendliche, die sie gerade noch war. Ich habe sie beim Tanzunterricht kennengelernt, als wir vier waren. Bei ihr habe ich zum ersten Mal ohne meine Eltern übernachtet. Und sie rief ich als Erste an, nachdem mir meine Eltern endlich ein Handy gekauft hatten. Damals war ich dreizehn. Catherine war diejenige, bei der ich mich ausheulte, als mein erster Freund mit mir Schluss gemacht hatte. Und ich war für sie da, als der Krebs nach der ersten erfolgreichen Behandlung zurückkam und sich ihre Eltern ein Jahr später trennten.

Sie kannte mich besser als jeder andere, und mir ging es mit ihr genauso. Und jetzt ist sie weg.

Ich bin so verdammt wütend, so untröstlich. Am liebsten würde ich sie ohrfeigen, weil sie mich verlassen hat. Für unseren Abschied hat sie ein so schönes Kleid ausgesucht, dass mir mein Herz gleich noch mal bricht. Es hat die Farbe des Meeres vor einer verwunschenen, exotischen Insel. Genauso blau und durscheinend, beinahe durchsichtig. Ideal für einen Ball, weniger für einen traurigen Anlass wie diesen. Weil Catherine nicht zu ihrer Abschlussfeier gehen konnte, hätte kein Outfit besser gepasst. Die kurzen Ärmel sind ganz aus Spitze und bedecken gerade so ihre Schultern. Der Rock in A-Linie reicht bis zu den schlichten goldenen Schuhen, die wir ebenfalls zusammen ausgesucht haben. Man sieht sie zwar nicht, weil sie von der unteren Hälfte des Sargdeckels verdeckt werden, doch ich weiß, dass sie sie trägt.

Ich könnte so tun, als wäre Catherine wie Schneewittchen, das auf den Kuss der wahren Liebe wartet, um wieder aufzuwachen. Wenn das doch nur möglich wäre.

Jeder hofft, mit dem Tod eines geliebten Menschen umgehen zu können und irgendwie darauf vorbereitet zu sein. Doch so ist es nicht. Niemand kann sich vorstellen, wie es sich anfühlt, bis es passiert. Als würde eine Art Dolch, eine stumpfe Klinge, langsam ins Fleisch schneiden und alles durchtrennen. Jeden Muskel, jeden Nerv, jedes Gefäß, jede Synapse. So fühlt sich Liebe in einem Moment wie diesem an.

Ich dachte, dass ich mich durch unseren langsamen Abschied auf diesen Moment eingestellt hätte. Dass ich es verkraften könnte, Catherine zu verlieren. Aber jetzt stehe ich hier und sehe in das Gesicht meiner besten Freundin. In ein Gesicht, das ich heute zum letzten Mal sehen werde.

Eine unglaubliche Zerstörungswut breitet sich in mir aus. Ich will die Welt mit bloßen Händen zerreißen. Ich möchte schreien. Es gibt keinen Grund für das hier, überhaupt keinen. Wer zum Teufel hat entschieden, dass ein aufgewecktes, wunderschönes, lustiges Mädchen so aus dem Leben gerissen wird? Wie soll ich ohne sie weiterleben?

Ich stehe schon viel zu lange am offenen Sarg und spüre die mitfühlenden Blicke von meinen und Catherines Eltern. Sie verfolgen jede meiner Bewegungen und hoffen, dass ich an dem Verlust nicht zerbreche.

Catherines Liste habe ich ganz tief in eine Tasche meines knielangen, beigen Mantels gestopft. Ich stehe in der Kirche, in der Catherine und ich gemeinsam unsere erste heilige Kommunion gefeiert haben, und friere. Mir ist so eiskalt, dass meine Zähne klappern. Ich bin mir absolut sicher, dass mich nichts je wieder aufwärmen kann, auch nicht die Sonne dieses wunderschönen Tages im Mai.

Mit der Fingerspitze reibe ich über das abgenutzte Papier. Es ist liniert, mit drei Löchern an der Seite. Catherine hat es letztes Jahr aus einem ihrer Schulhefte gerissen. Eine Woche, nachdem klar war, dass der Krebs zum dritten Mal zurückgekehrt war, schrieb sie diese Liste.

Wir wussten beide, wie wenig Zeit ihr noch blieb. Also notierte sie, was sie in den nächsten Wochen unbedingt noch erleben wollte:

Nackt baden gehen

Reise nach Paris

An der lokalen Hot-Wing-Challenge teilnehmen

Roadtrip zum Meer

Eine Flaschenpost verschicken

Mir die Haare färben

Sex haben

Campen gehen

Bungee-Jumping

Mich an Lincoln Kolb rächen

Punkt eins bis fünf konnten wir abhaken, bevor Catherine zu krank dafür wurde. Die Reise nach Paris hat sie mit ihren Eltern unternommen, eine Art letzter Abschied. Auch ihnen schien klar gewesen zu sein, dass es ihr letzter gemeinsamer Urlaub sein würde.

Am Abend vor ihrem Tod hat sie mich angerufen und zu sich gebeten. Ich legte mich zur ihr aufs Bett und drückte meine Wange an ihre. Wortlos reichte sie mir die Liste. Ich habe sofort verstanden, worum sie mich bat.

Während ich mich jetzt zu ihr hinunterbeuge, um ihr einen letzten Kuss auf die Stirn zu geben, streiche ich mit den Fingern über das Papier in meiner Tasche. In diesem Sommer werde ich die Punkte sechs bis neun von Catherines Liste abarbeiten. Und wenn im August mein erstes Semester auf dem College beginnt, nehme ich Rache an dem Kerl, der meiner besten Freundin das Herz gebrochen hat.

1. Kapitel

Lincoln

Drei Monate später ...

»Was für ein geiler Morgen für den geilsten Typen der Stadt.«

Die Bemerkung meines besten Freundes Janssen lässt mich grinsen. Er hat recht; es ist ein verdammt schöner Tag. Nebeneinander joggen wir die acht Kilometer bis zum Campus. Das Geräusch unserer Turnschuhe begleitet jeden unserer Schritte. Die Sonne scheint hell vom Himmel und blinzelt durch die Baumkronen voller saftiger Blätter. Der Geruch von frisch gemähtem Gras hängt in der Luft. Schöner könnte unser erstes Semester auf dem College nicht beginnen.

Die Warchester University bietet das beste Football-Programm in ganz North Carolina. Division One. Letztes Jahr haben sie sogar um einen der vier Championship Bowls gespielt. Seit ich meinen ersten Football geworfen habe, träume ich davon, hier zu studieren. Ich bewundere jeden, der zu dieser Mannschaft gehört, auf dem Grün in diesem Stadium gestanden und dabei geholfen hat, den Warchester Bulldogs nationalen Ruhm zu verschaffen.

Jetzt bin ich dran. Lincoln Kolb, Quarterback der Warchester Bulldogs, Spieler einer National-Champions-Mannschaft. Klingt doch richtig gut, oder?

»Ja, perfektes Wetter. Aber wie kommst du darauf, dass du der geilste Typ bist?«, fragt Derrick, der ebenfalls mit uns läuft. Er atmet so ruhig, als säße er entspannt auf seiner Couch. Ich bin keineswegs außer Form, aber wir sind bei Kilometer sechs, und ich bin eher ein Sprinter. Deshalb wurde ich Quarterback. Aber das große Geld wird mir mein Wurfarm einbringen. Nicht, dass ich wegen des Geldes spielen würde. Football ist mein Leben, und das wäre es auch, wenn ich mit Pizza bezahlt werden würde. Was bei genauerer Betrachtung kein so schlechter Deal wäre.

Den ganzen Sommer über habe ich intensiv an meiner Ausdauer gearbeitet. Ich will um den Platz als erster Quarterback im Team kämpfen. Der Spieler, der diese Position besetzt, macht bald seinen Abschluss, meldet sich jedoch nicht für den diesjährigen Draft an. Obwohl er für Warchester ein Bowl-Spiel gewonnen hat, ist er nur okay und nicht richtig gut. Das ist allseits bekannt. Und ich? Über mich wird seit Jahren geschrieben, dass ich ein zweiter Peyton Manning sei. Damit gehört die Position des ersten Quarterbacks mir. Und ich werde alles tun, sie zu bekommen.

»Ganz ruhig, Jungs«, sage ich und hebe beschwichtigend eine Hand. »Kein Grund, sich deswegen zu streiten. Es gibt zwei geile Typen in unserer Runde.« Die Fitnessuhr an meinem Handgelenk gibt mir mit einem Klingeln zu verstehen, dass wir sechs Kilometer hinter uns gebracht haben. Zum Glück.

»Du meinst nicht mich, oder?«, fragt Janssen und rümpft die Nase.

Ich schüttle den Kopf und spüre, wie sich mein Man Bun dabei bewegt. Wir biegen nach rechts auf den Hauptweg über das Uni-Gelände ab und erhöhen auf der letzten Etappe noch mal das Tempo.

»Diesen Titel überlasse ich euch beiden. Mich wird man als Campus-Legende in Erinnerung behalten.« Breit grinsend spanne ich meinen Bizeps an, als wir an ein paar Studenten vorbeilaufen. Ich bemerke, wie sie mich anstarren, sowohl die Männer als auch die Frauen. Es stört mich nicht. Im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit zu stehen, war schon immer eine meiner Lieblingsbeschäftigungen.

»Du bist ein eingebildeter Mistkerl.« Derrick, der Starting Tight End, der links von mir läuft, boxt mir gegen den Bizeps.

Zusammen mit Janssen, Cornerback unseres College-Teams, laufen wir seit einem Monat jeden Morgen unter der Woche diese Strecke. Das gehört zu unserer Routine, um fit zu bleiben, bevor die diesjährige Football-Saison beginnt. Weil heute offiziell das Herbstsemester beginnt und der Campus voller Studenten ist, fällt es mir schwer, mich auf unser Training zu konzentrieren. Es gibt einfach zu viele Ablenkungen.

Wir verlangsamen unsere Schritte, und ich lasse meinen Blick über all die Streifen entblößter Haut schweifen. Ich kann nicht anders. So viele Studentinnen liegen hier in der Sonne. Darunter Studienanfängerinnen, Mädchen in höheren Semestern, braungebrannte, dünne, kurvige, kleine, große ... Verdammt, es ist wirklich ein klasse Tag für einen Typen wie mich.

Viele Leute sehen mich als einen arroganten Arsch, der sich für den Größten hält. Das tue ich wahrscheinlich auch. Wenn sie aber nur die Hälfte von dem erlebt hätten, was ich durchgemacht habe, würden sie anders darüber denken.

Ich betrachte keinen einzigen Tag als selbstverständlich. Jede einzelne Möglichkeit, die sich mir ergibt, nutze ich. Ich mache gern hübsche Mädchen an, starre ihnen genauso oft hinterher, trinke auch noch ein weiteres Bier, gehe mit einer Frau im Bett in die zweite Runde oder spiele einen perfekten Hail-Mary-Pass. Man weiß nie, ob der nächste Atemzug nicht der letzte sein wird. Jede Sekunde ist kostbar. Deshalb ergreife ich jede Chance, die sich mir bietet.

»Welche von denen interessiert euch am meisten? Wo wollen wir anfangen?«, fragt Janssen und reibt seine Hände aneinander.

Wir haben einen Monat in einem fast leeren Wohnheim gelebt, ohne Mädchen. Und wir sind alle geile Kerle. Zwar haben wir die Gegend erkundet, uns in die besten Bars geschlichen und in den Verbindungshäusern außerhalb des Campus gefeiert. Aber jetzt ist es an der Zeit, uns einen Ruf zu verschaffen. Dass ich zur Campus-Legende werden will, war kein Scherz ... Ich bin verdammt noch mal bereit, mir diesen Titel zu holen.

»Was ist mit denen«, sagt Derrick. Er hebt sein Kinn auf diese typische Bro-Gruß-Weise, um unsere Aufmerksamkeit auf vier Blondinen in winzigen Bikinis zu lenken. Ich stöhne, als sich eine von ihnen auf den Bauch dreht. Sie trägt bloß einen Tanga, der kaum ihren schönen runden Hintern bedeckt. Mein Schwanz zuckt in meiner Hose. Diese Mädels sind der Hammer. Es ist viel zu lange her, dass ich jemanden flachgelegt habe. Für einen jungen Mann wie mich ist es nicht gesund, ganze vier Wochen enthaltsam zu leben. Selbst ein Tag ist zu viel.

Gerade als ich mich auf den Weg zu den vier Studentinnen machen will, vibriert mein Handy in meiner Tasche. Ich ziehe es heraus und greife nebenbei zu der Wasserflasche, die Janssen mir reicht. Keine Ahnung, wo er die plötzlich herhat. Der Gedanke verfliegt, als ich den Bildschirm entsperre und die Nachricht meines Vaters lese. Er teilt mir mit, dass es einen weiteren Anhörungstermin geben wird. Ich muss lächeln. In den nächsten Monaten wird noch einiges auf mich zukommen.

Seit fast einem Jahr versuchen meine Eltern, die Kinder meiner Tante zu adoptieren. Es handelt sich um die Schwester meiner Mom. Ehrlich gesagt war Tante Cheryl nie die beste Mutter der Welt. Aber vor etwa zwei Jahren hat sie begonnen, mit einem Drogendealer auszugehen. Die Situation wurde zu gefährlich für die Kinder, weshalb wir die zwei zu uns geholt haben. Nun verlangt Cheryls Freund, dieses Arschloch, dass sie die beiden zu sich zurückholt. Wahrscheinlich, um sie als Druckmittel gegen ihre Mutter zu benutzen. Doch das werden wir nicht zulassen.

Meine Cousine Tyla ist vier und liebt Peppa Pig und Einhörner. Ihr Bruder Brant ist bereits acht und hegt die gleiche Vorliebe für Football wie ich in seinem Alter. Die beiden gehören zu uns. Ich habe noch einen sechs Jahre älteren Bruder. Chase und ich waren von klein auf unzertrennlich. Heute lebt er in Chicago, und wir stehen uns immer noch nahe. Tyla und Brant haben unsere kleine Familie größer und komplett gemacht. Sie sind für mich wie jüngere Geschwister, die ich nie hatte. Wir alle lieben sie, und ihnen geht es mit uns genauso.

Ich würde sie niemals in Gefahr bringen. Allein der Gedanke, dass meine Tante eine beschissene Mutter ist, macht mich wütend. Wer würde seine Kinder jemals bewusst gefährden? Sie aus einem sicheren, liebevollen Zuhause entreißen, um rein egoistische Ziele zu verfolgen? Ich würde Cheryl am liebsten zur Vernunft schütteln. Manchmal will ich sie auch anschreien.

Doch darüber sollte ich mir jetzt nicht den Kopf zerbrechen. Das Semester beginnt, und ich muss mich auf meine Kurse konzentrieren und ganz nebenbei meine College-Zeit genießen. Außerdem will ich nach meinem dritten Studienjahr beim NFL-Draft als erster Spieler ausgewählt werden und einen Rookie-Vertrag bei den Profis unterschreiben. So kann ich Tyla und Brant eine bessere Zukunft ermöglichen. Und sollte sich der Adoptionsprozess vor Gericht in die Länge ziehen, werden auch meine Eltern finanziell an ihre Grenzen stoßen. Für mich ist ganz klar, dass ich ihnen helfe, wo ich nur kann.

»Bro, konzentrier dich. Wir müssen mindestens die Hälfte der Mädchen auf dieser Wiese zu unserer Party morgen Abend einladen.« Derrick sieht mich vorwurfsvoll an, als hätte ich ihn von seiner Mission abgehalten.

Ich schüttle meine Gedanken ab und setze ein breites Grinsen auf. »Oh, verdammt.«

Uns bleibt wenig Zeit, weil am Nachmittag noch ein Training ansteht. Danach werde ich vor körperlicher Müdigkeit vermutlich kaum noch stehen können. Doch das alles ist nötig, um meine Position im Team zu sichern. Beim diesjährigen Saisonauftakt will ich die Ehre haben, unser erstes Spiel zu eröffnen. Aber morgen Abend werde ich mich betrinken und hoffentlich mit einer dieser heißen Frauen ins Bett fallen.

Dieses Semester wird der absolute Wahnsinn.

2. Kapitel

Henley

Wie ein Gockel stolziert er über den Platz, als würde ihm der ganze Campus gehören. Als wäre jedes Mädchen hier scharf auf seinen Schwanz.

Oh mein Gott. Lincoln Kolb hält sich wirklich für den Größten. Er ist noch eingebildeter als ein Pfau.

Ich beobachte über den Rahmen meine Sonnenbrille hinweg, wie sich Lincoln seinen Weg über den Warchester-Campus bahnt. Er wird von zwei seiner Bros flankiert; große, kräftige Kerle, mit dem gleichen selbstgefälligen Grinsen wie ihr Anführer im Gesicht. Die Jungs, an denen sie vorbeigehen, strecken ihm ihre Fäuste für einen Fistbump entgegen, und die Mädchen himmeln ihn an, als wäre er ein Gott. Mir ist schleierhaft, warum der Typ schon jetzt eine Legende ist.

Es ist wie in der Szene bei Die Schöne und das Biest, als Gaston in die Stadt kommt. All seine idiotischen Bewunderer fallen vor ihm auf die Knie, um ihm besser in den Hintern kriechen zu können.

Im Moment mag sich Lincoln Kolb wie ihr Gott fühlen, aber ich werde ihn auf den Boden der Tatsachen zurückholen.

Die Warchester University versprüht den typischen, idyllischen College-Charme. Perfekt gemähter Rasen und große Eichen, die zwischen Efeu umrankten Backsteingebäuden Schatten spenden. Bänke, gestiftet von jeder Abschlussklasse seit den späten Achtzigerjahren, säumen den mit Studenten überfüllten Innenhof. Es gibt zahlreiche Clubs und Verbindungshäuser, denen man beitreten kann, und das Angebot an Studiengängen reicht von der frühkindlichen Erziehung bis zum Sportmarketing. Für einen ausklingenden Sommer in North Carolina ist das Wetter mild. Mehr als ein Dutzend Mädchen in Bikinis sonnen sich auf dem Grün, während Lincoln und seine Gorillas sie anstarren.

Warchester war nicht meine erste Wahl. Nicht einmal meine zweite. Ich wollte auf ein ganz bestimmtes Liberal Arts College in New York City gehen. Das Fotografie-Studium dort hat einen hervorragenden Ruf, und die Stadt bietet die perfekte Kulisse für die Art von Straßenfotografie mit vielen Nahaufnahmen, die ich bevorzuge. Mir wurde sogar ein Studienplatz angeboten. Doch dann ist Catherine gestorben, und ich habe mich anders entschieden.

Kurz vor ihrem Tod habe ich ihr ein Versprechen gegeben, und ich werde es halten. Um den zehnten Punkt ihrer Liste abhaken zu können, muss ich Lincoln Kolb im Auge behalten. Und genau das tue ich gerade. Aber das ist erst Teil eins meines Racheplans. Alles Weitere muss vorerst warten.

Nebenbei bemerkt, ist Warchester kein schlechtes College. Der Studiengang für Fotografie ist in Ordnung. In diesem Semester unterrichtet sogar ein Gastprofessor, der für National Geographic gearbeitet hat. Ich kann also zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen: meine fotografischen Fähigkeiten verbessern und gleichzeitig den schwierigsten Punkt auf Catherines Liste abhaken.

Catherine war nicht nur meine beste Freundin, sie wohnte auch direkt nebenan, allerdings nicht in derselben Stadt. Denn zufälligerweise verläuft die Stadtgrenze genau zwischen unseren Elternhäusern. Während ich in Little Port aufgewachsen bin, lebte Catherine in Winona Falls. Wir besuchten verschiedene Schulen, waren aber ansonsten unzertrennlich. Deshalb war ich auch nicht dabei, als ihr damaliger Freund Lincoln Kolb sie eine Woche, nachdem Cathrine ihm von ihrer Krebsdiagnose erzählt hatte, in der Mittagspause vor der gesamten Schülerschaft ihrer Highschool abserviert hat. Dieses Arschloch. Am liebsten würde ich über den Campus auf ihn zumarschieren und ihm dafür nachträglich den Hals umdrehen.

Meine Wut über sein schäbiges Verhalten und meine Trauer über Catherines Tod kochen immer wieder hoch. Sie lodern heißer als jeder Waldbrand und werden vermutlich genauso schwer zu löschen sein. Wenn ich nur an den Kerl denke, der sie vor all ihren Mitschülern auf so schreckliche Weise bloßgestellt hat, während sie sterbenskrank war ... Früher habe ich nicht verstanden, was Menschen zu Mördern werden lässt, aber jetzt kann ich es irgendwie nachempfinden.

Mein Versprechen Catherine gegenüber und meine eigenen Rachegelüste haben mich nach Warchester geführt. Lincoln Kolb soll zu spüren bekommen, wie es ist, einfach abserviert zu werden. Ich werde den Spieß umdrehen und ihn mit seinen eigenen Waffen schlagen. Mein Plan ist richtig gemein, aber nicht schlimmer als das, was all die Fuckboys da draußen tagtäglich tun. Sie manipulieren Frauen, die sich in diese Idioten verlieben und mit ihnen ins Bett gehen. Und sobald sie mehr als nur Sex wollen, werden sie fallengelassen. Diese Typen zerstören unser Selbstbild, spielen mit unseren Gefühlen und betrachten uns als ihre persönlichen Sextoys.

Ich werde es Lincoln heimzahlen. Catherine war halb blind vor Zuneigung für ihn. Meine Absicht ist es, ihn dazu zu bringen, sich in mich zu verlieben. Mein Ärger sitzt tief genug, um das zu schaffen. Solange ich nicht von meinem Vorhaben abweiche, sollte alles klappen.

Lincoln und seine Bros laufen in meine Richtung und steuern eine Gruppe kichernder Erstsemester an, die gerade ihre Hüllen fallen lassen.

»Meine Damen, Interesse an einer Party morgen Abend?«, fragt der Kerl rechts von Lincoln. Er hat einen olivfarbenen Teint und ist muskulös, ein typischer Football-Spieler.

Lincoln betrachtet die willigen Studentinnen mit einem hungrigen, beinahe wölfischen Blick. Es würde mich nicht wundern, wenn er gleich vor aller Augen über eine von ihnen herfällt.

»Natürlich!«, erwidern sie unisono.

Ich unterdrücke ein Schnauben. Verborgen hinter den dunklen Gläsern meiner Sonnenbrille verdrehe ich die Augen. Das Gerede von einer Party hat jedoch mein Interesse geweckt. Ich bleibe auf der Bank sitzen, rutsche aber näher in ihre Richtung und spitze die Ohren.

»Morgen Abend, im Football-Haus drüben am Hudson. Fünf Dollar Einlassgebühr. Aber wenn ihr an der Tür meinen Namen nennt, Lincoln Kolb, lässt sich da bestimmt was machen.«

Gott, er ist so eingebildet. Und seine Stimme ist verdammt irritierend. Dunkel wie die erste Tasse Kaffee am Morgen, sanft und doch rau, löst sie einen wohligen Schauer in mir aus, den ich kaum abschütteln kann. Und ich bin nicht die Einzige, die auf ihn reagiert.

»Dann müssen wir uns etwas einfallen lassen, wie wir uns bei dir bedanken können.« Eine Brünette in einem kirschroten Bikini grinst ihn anzüglich an.

Jesus Christus.

»Was trinkst du am liebsten?« Der dritte Typ im Bunde, ein weiterer Football-Bro, kann seinen Blick nicht von dem Mädchen in einem weißen Zweiteiler abwenden. Ich erkenne, was er an ihr faszinierend findet. Ihr Tanga ist so hauchzart wie Zahnseide, den würde ich nicht einmal an einem FKK-Strand in Südfrankreich tragen.

»Einen Buttery Nipple«, antwortet sie und klimpert ununterbrochen mit den Wimpern. Ich frage mich, ob sich einer ihrer Augäpfel gelöst hat und herausfallen würde, wenn sie das Blinzeln nur eine Sekunde sein lässt. Ein Teil von mir möchte ihr applaudieren. So viel fleischliches Selbstvertrauen am helllichten Tag zur Schau zu stellen, ohne vorher einige Cocktails getrunken zu haben, ist mehr als gewagt. Schön, dass sie ihre sexuelle Unterversorgung erkannt hat und etwas dagegen tun will. Das sollen am College ja einige tun. Selbst gesehen, habe ich es bislang nicht. Schade, dass das nicht auf der Liste steht. So wie dieses Mädchen Lincoln ihre Brüste unter die Nase hält, hätte ich diesen Punkt nun streichen können. Ob sie ihn dazu einladen will, vor versammelter Studentenschaft an ihren Nippeln zu saugen?

»Den mag ich auch. Ich bevorzuge aber Blowjob-Shots. Oder Jell-O-Shots, die halten die Finger flink.« Zur Untermalung seiner Worte bewegt er seine Finger. Damit bestätigt er gleich zwei meiner Vermutungen: Erstens sind die meisten Männer pervers, und zweitens wollen viele der Mädels hier aufs Kreuz gelegt werden.

Diesmal kann ich ein Schnauben nicht unterdrücken. Schnell setze ich mich gerade hin und schaue stur in die entgegengesetzte Richtung. Dann fällt ein Schatten auf mich, und ich weiß, dass ich ertappt wurde.

»Und was ist dein Lieblingsgetränk?« Beim Klang seiner Stimme beiße ich meine Zähne zusammen, denn er löst eine Hitze zwischen meinen Beinen aus, die mir nicht gefällt.

Den Blick stur auf das Vorlesungsverzeichnis in meinem Schoß gerichtet, ignoriere ich ihn.

»Lass mich raten. Du bist ein Weißweinschorle-Mädchen, richtig?« Hochmut liegt in seinem Tonfall. Er hält sich wohl für besonders schlau. Am liebsten würde ich ihm den dicken Buchrücken direkt in den Schritt rammen.

»Hm?«, mache ich, als würde ich ihn gerade erst bemerken, sehe aber nicht auf. Aus dem Augenwinkel erkenne ich, wie er zweimal mit dem Fuß auf den Boden tippt – ein nervöser Tick. Der Goldjunge ist es vermutlich nicht gewohnt, ignoriert zu werden.

»Was ist dein Lieblingsgetränk? Ich frage nur, weil du offenbar nicht auf Buttery Nipple und Blowjobs stehst.«

Uns beiden ist bewusst, dass er das Wort Shot am Ende dieser beiden beliebten Schnapsgetränke weggelassen hat. Außerdem sollte man ihm verbieten, Blowjob zu sagen, weil es aus seinem Mund so ungeheuer anzüglich klingt.

»Jim, Jack oder Johnny.« Ich sehe ihn herausfordernd an, zu verärgert, um mich darum zu kümmern, dass ich ihn mit meiner Antwort gewinnen lasse. Ich habe ihm sogar die Wahrheit gesagt. Wenn man wie ich in einer Kleinstadt in North Carolina aufgewachsen ist, wird einem beigebracht, dass man entweder starken Whiskey oder gar keinen Alkohol trinkt. In meinem Fall kam der weise Rat von meinem Vater. Er sagt immer: Der ist stark und macht stark. Ich fand das schräg, bis Catherine gestorben ist. An dem Abend schmuggelte mir Dad ein großes Glas Jack in mein Zimmer. Und ich verstand, welche Wahrheit hinter seinen Worten verborgen liegt.

Ich bin froh, dass ich mich heute Morgen für den Inkognito-Look entschieden habe. Der Strohhut mit breiter Krempe und die getönten Gläser meiner Sonnenbrille verdecken den Großteil meines Gesichts, sodass Lincoln mich nicht genau mustern kann. Es macht mich geheimnisvoller und verschafft mir die Möglichkeit, das gottgleiche Exemplar der Schöpfung ausgiebig zu betrachten.

Lincoln Kolb ... Verdammt, es sollte eine Sünde sein, so auszusehen. Kennt ihr diese Bücher oder Filme, in denen von einem großen, dunklen und gutaussehenden Kerl die Rede ist? Dieser Stereotyp würde neben Lincoln wie ein Weichei wirken. Sein Anblick verschlägt selbst mir die Sprache. Er hat einen gut trainierten Körper, ist aber kein Muskelprotz. Mit seinen breiten Schultern und schmalen Hüften würde er perfekt in eine dieser Pick-up-Szenen passen, wo sich die Heldin lasziv auf der Kühlerhaube streckt. Auch in einem schnittigen Sportwagen würde er eine gute Figur machen. Allein bei der Vorstellung kämpfe ich gegen den Drang, über die imaginäre Mittelkonsole auf seinen Schoß zu klettern.

Er hat dickes, schokoladenfarbenes Haar, das ihm normalerweise über die Schultern fällt. Aber heute trägt er es in einem Man Bun. Sein Unterkiefer ist markant, die Wangenknochen ausgeprägt, und er hat ein leichtes Grübchen in der rechten Wange. Um seine Lippen beneiden ihn bestimmt viele Frauen. Doch der ultimative Höschentöter sind seine Augen. Eins blau, das andere grün. Sie sind so strahlend und interessant, dass es unmöglich ist, sich nicht in ihnen zu verlieren. Und dann sind sie auch noch von so dichten, fast schwarzen Wimpern umrahmt, wie ich sie selbst gern hätte.

Ich verbuche es als eine Art Bonus, dass der Kerl, für den ich zur schwarzen Witwe werde, verdammt heiß ist. Es ist geradezu unvorstellbar, dass Lincoln Kolb eine Niete im Bett sein könnte. Und wenn, dann wäre es eine echte Schande.

Mit seinen Blicken scannt er mich von Kopf bis Fuß. Mir entgeht nicht, wie lange Lincolns Interesse auf meinen nackten Beinen weilt. Er scheint jeden Zentimeter ausgiebig zu mustern. Das macht mir nichts aus, denn ich bin stolz auf meinen Körper. Ich war schon immer ziemlich selbstbewusst. Anständige Gene und der Vorteil, beim Laufen so richtig abschalten zu können, haben mir gute Dienste geleistet.

»Na dann, Jimmy, vielleicht sehen wir uns morgen Abend«, sagt er zum Abschied und gesellt sich wieder zu seinen Freunden.

Ich werde also auf eine Party gehen. Wenn Lincoln Kolb nur wüsste, wen er gerade in sein Leben gelassen hat.

3. Kapitel

Henley

Als ich mein Zimmer im Wohnheim erreiche, weiß ich, dass meine Mitbewohnerin schon eingetroffen sein muss. Denn durch die geschlossene Tür höre ich den Bass eines Rick-Ross-Songs. Nicht mein Musikgeschmack, aber die schwungvolle Melodie lässt selbst mich den Takt mit dem Kopf wippen.

Ich atme tief ein und durch die Nase wieder aus, während ich mich darauf vorbereite, dem Mädchen zu begegnen, mit dem ich die nächsten neun Monate ein Zimmer teilen werde. Ohne zu wissen, was mich erwartet, ziehe ich meinen Ausweis durch das elektronische Schloss, öffne die Tür und trete ein.

Eine sehr schlanke, überdurchschnittlich große junge Frau steht auf dem ihr zugewiesenen Bett und hängt ein Poster von Jimi Hendrix an die Wand dahinter. Ihr Haar ist so knallig rosa wie Kaugummi und fällt in einem seidig glatten Wasserfall über ihren Rücken. Und auch ihr Teil des Zimmers strotzt nur so vor Farbe. Eine Bettdecke, perfekt abgestimmt auf ihre Haare, dazu ein lindgrünes Kissen. Den Schreibtischstuhl, der hier zur Standard-Ausstattung gehört, hat sie durch einen durchsichtigen aus Plastik ersetzt, der wirkt, als könne man in der Luft sitzen. An der Wand über ihrem Schreibtisch hängen massenweise Fotos, und neben ihrem Bett hat sie fünf weitere Poster von Jimi Hendrix angebracht. Dagegen wirken meine gestreifte, graue Bettdecke und der Schwarz-Weiß-Fotodruck, den ich bei einem Besuch des Venice Beach in Kalifornien von der Strandpromenade gemacht habe, sehr eintönig.

»Hey«, begrüße ich sie und hoffe, dass meine Stimme die tosenden Bose-Lautsprecher auf ihrem Schreibtisch übertönt.

Sie dreht sich um, und mir fallen ihr blaugrüner Nasenring und die wunderschönen, katzenartigen Gesichtszüge auf.

»Oh, hallo! Ich habe dich gar nicht reinkommen hören. Scheiße, tut mir leid, wenn das zu laut ist.« Unglaublich anmutig steigt sie vom Bett. Keine Ahnung, wie sie das hinbekommt. Sie erinnert mich an Misty Copeland: schöne, lange Beine und weiche, dunkle Haut. Sie drückt mehrmals auf den Lautstärkeregler, während sie mich verlegen anlächelt.

»Keine Sorge, ich mag den Song«, sage ich nickend und versuche, cool zu wirken. Hoffentlich kommen wir in diesem kleinen Zimmer gut miteinander aus. Schon beim Reinkommen war mir klar, dass hier drinnen nicht unbedingt meine nächste beste Freundin warten würde. Mist, allein der Gedanke, Catherine zu ersetzen, fühlt sich wie ein Schlag ins Gesicht an. Als würde ich ihr Andenken missachten. Aber ich brauche ein entspanntes Umfeld, um meinen Plan umzusetzen. Meine Mitbewohnerin darf mir nicht in die Quere kommen, wenn ich Lincoln Kolb für seine Fehler büßen lasse. Natürlich wäre alles einfacher, wenn ich ein Zimmer für mich allein hätte.

»Super. Ich bin Rhiannon.« Sie streckt eine Hand aus, und mir fällt auf, dass ihre Nägel denselben Farbton wie ihr Nasenring haben. Ich liebe starke Kontraste und gewagte Farbkombinationen und würde am liebsten eine ganze Fotoserie von meiner neuen Mitbewohnerin machen. Nur sehr wenige Menschen greifen so kühn in den Farbtopf und erscheinen dabei so anmutig wie sie.

Ich schüttle ihre ausgestreckte Hand. »Henley. Ich hoffe, es ist in Ordnung, dass ich diese Seite des Zimmers genommen habe.«

Sie zuckt mit den Schultern. »Alles gut, ich bin nicht wählerisch. Außer bei meiner Musik. Magst du Rap? Wenn nicht, haben wir ein Problem.«

Die Art, wie sie mir ihre Vorlieben mitteilt, lässt mich lächeln. Als wäre ihr Musikgeschmack eine Philosophie, nach der jeder leben sollte. Ich glaube, ich werde sie mögen.

»Ich mag Rap, auch wenn ich nicht besonders versiert in dem Genre bin. Ich bin eher vom Schlag Easy Listener und höre meist Pop.« Gott, ich klinge wie eine Siebzigjährige, die nicht weiß, was Spotify ist.

Rhiannon nickt und mustert mich. »Damit können wir arbeiten. Bis zum Ende des Semesters wirst du die Texte von mindestens vier Tupac-Songs auswendig kennen.«

»Okay«, antworte ich in mich hinein grinsend.

Unser Zimmer sieht aus wie ein Bild der Gegensätze, in einem Rahmen aus Backstein. Rhiannons Seite wirkt, als wäre eine pastell- und neonfarbene Wolke hindurchgerauscht, während meine Seite ziemlich nüchtern gehalten ist, mit grauen und weißen Tupfern. Erstaunlicherweise passt es zusammen. Wir hatten das Glück, in einem der schöneren Wohnheime auf dem Campus untergebracht zu werden. Und Gott sei Dank ist dieses Stockwerk allein für die weibliche Studentenschaft bestimmt. Mir ein Gemeinschaftsbad mit Jungs teilen zu müssen, wäre ein Albtraum und eklig gewesen.

»Was ist mit dir, Henley? Magst du keine Farben? Was studierst du, wo und wie bist du aufgewachsen?« Rhiannon ist überraschend direkt, was mich regelrecht überrumpelt. Ich bin in meinem Leben nicht vielen Menschen begegnet, die offen, ehrlich und unkompliziert sind. So wie ich. Zumindest denke ich das über mich. Ich spiele keine Spielchen und erkenne Schwachsinn schon von Weitem. Eigenschaften, die dazu führen, dass ich kaum einen Menschen auf Anhieb sympathisch finde. Keine Ahnung, warum. Ich hatte eine gute Kindheit und viele positive Eindrücke. Vermutlich ist das angeboren. Catherine war meine einzige wahre Freundin, mit allen anderen hatte ich nur oberflächliche und flüchtige Bekanntschaften.

Deshalb habe ich auch so ein ungutes Gefühl bei der Sache mit Lincoln Kolb. Ich bin keine Lügnerin. Ich bekomme nicht einmal ein falsches Kompliment über die Lippen, wenn man mich um meine Meinung zu einem Kleidungsstück fragt. Und wenn meine Mutter wissen will, ob mir ihr Essen schmeckt, muss ich mir auf die Zunge beißen und ein Lächeln aufsetzen ... Mein Gott, Mom ist in vielen Lebensbereichen ein Engel, aber in der Küche ist sie eine Katastrophe.

Der letzte Punkt auf Catherines Liste erfordert ein fast perfektes Versteckspiel mit der Wahrheit. So eine bin ich nicht, denn ich verabscheue Betrüger. Und doch verlangt diese Aufgabe sehr viel Täuschung.

»Ich studiere Fotografie und liebe Schwarz-Weiß-Motive. Das ist wohl eine Schwäche, die sich auch auf meinen Kleiderschrank und meinen Einrichtungsstil auswirkt.« Ich zucke mit den Schultern.

So, das war keine Lüge. Bei Rhiannon kann ich wenigstens versuchen, ich selbst zu sein.

Sie nickt. »Das gefällt mir. Ehrlich gesagt, passt es irgendwie zu dir. Dein Hauptfach ist also Fotografie, das macht Sinn. Und wo kommst du her? Musstest du weit fahren?«

»Etwa eine Stunde. Ich wohne in North Carolina, ganz in der Nähe. Was ist mir dir? Für welche Studienrichtung bist du eingeschrieben?« Ich lasse mich auf mein Bett fallen, während sie zu ihrem Schreibtischstuhl geht und mit ihren langen Beinen eine Position einnimmt, die mich an Yoga erinnert.

»Ich komme aus Florida und bin hierher geflogen. Ich habe einen Studienplatz für Music Business an der Warchester bekommen, die beste Ausbildung in dem Bereich an der ganzen Ostküste. Und jetzt bin ich hier.« Rhiannon holt ein paar Schallplatten aus einer Tasche und blättert sie durch.

»Du willst also in die Musikbranche?«, mutmaße ich.

Sie schüttelt den Kopf. »Nein. Ich will neue Talente finden. Die nächste Beyoncé. Den nächsten Bruno Mars. Ich habe ein Ohr dafür. Das behauptet zwar jeder, der in dieser Branche Fuß fassen will, aber ich schwöre: Bei mir ist das wie ein sechster Sinn.«

Ich kenne sie erst seit ein paar Minuten, dennoch bin ich geneigt, ihr zu glauben. »Das klingt nach einem interessanten Job.«

»Und ein harter. Es wird mich eine Menge Blut, Schweiß und vielleicht ein paar Blowjobs kosten, damit ich mein Ziel erreiche«, flüstert sie. Eine Sekunde später verziehen sich ihre Lippen zu einem langsamen Lächeln, und wir lachen beide über ihren bösen Scherz. Ihr Plan, als Musikmanagerin erfolgreich zu werden, klingt ein wenig wie meine Mission, das Herz der Campus-Legende für mich zu gewinnen.

»Gibt es sonst noch etwas, das ich von dir wissen sollte? Ein eifersüchtiger Freund, der zu Besuch kommen wird? Rauchst du?« Sie wirft mir einen halb ernsten Blick zu.

Ich halte meine Hände hoch, als hätte ich nichts zu verbergen. »Kein Freund – Männer sind furchtbare Wesen. Ich rauche nicht, genehmige mir nur ab und zu einen Hasch-Brownie. Ich schnarche nicht, zumindest hat mir das nie einer vorgehalten. Ich schaue Vampire Diaries und Parks & Rec in einem Rutsch durch, obwohl ich bereits jede Folge kenne. Und für eine Taco-Bestellung mitten in der Nacht bin ich immer zu haben.«

Rhiannon kommt auf mich zu und hebt ihre Hand für ein High Five. »Mein Mädchen. Tacos werden uns zusammenschweißen, da bin ich mir sicher. Solange du extra scharfe Soße magst.«

»Ich würde sie nicht anders haben wollen«, bestätige ich.

Sie greift in den Koffer unter ihrem Bett und zieht eine Flasche Whiskey hervor. »Also, wann betrinken wir uns?«

»Ich wüsste von einer Party, zu der wir gehen können ...«

4. Kapitel

Lincoln

Es ist so heiß, als würde das Haus brennen.

Ich bahne mir einen Weg durch die Menge verschwitzter Körper, die jeden Winkel besetzen. Lärm, Hitze und ein ausschweifender Alkoholkonsum liegen in der Luft. Das sind die besten Zutaten für eine richtig geile Party. Aber verdammt, hat denn niemand daran gedacht, ein Fenster zu öffnen oder die Klimaanlage aufzudrehen?

»Linc, hol mir ein Bier«, ruft Derrick über die Musik hinweg, den Hintern eines Mädchens gegen seinen Schritt gepresst.

Ich hatte bereits drei Gläser Bourbon und fühle mich locker, aber kontrolliert. Technisch gesehen ist das hier noch nicht mein Haus, und ich will mich vor meinen älteren Team-Kollegen nicht zum Idioten machen. Ich bin der Erstsemester, der sie in ein paar Monaten zu Höchstleistungen bringen wird; ihr ungekrönter Captain. Diesen Titel werde ich nicht so bald bekommen, aber als ihr zukünftiger Quarterback brauche ich schon jetzt ihren Respekt.

Das heißt aber nicht, dass ich mich nicht amüsieren darf. Man kann sich an den vielen heißen Mädchen, die heute Abend hier sind, kaum sattsehen. Einige von ihnen würden buchstäblich auf die Knie fallen, um einem aus dem Football-Team gefällig zu sein. Es ist verrückt. Ich habe noch nie so viele schöne Frauen in einem Raum gesehen. Meine besten Freunde sind da, so auch der Rest des Football-Teams. Nebenan auf einem Tisch im Wohnzimmer läuft eine Partie Beerpong, die in die Geschichte eingehen wird und in die ich mich gleich einklinken werde. Das College ist der Wahnsinn.

In der Küche fällt mein Blick zuerst auf die viele nackte Haut, die unter zu knapper Kleidung hervorblitzt. Mein Schwanz zuckt vor Erwartung. Damit bin ich sicher nicht der Einzige. Ich fühle mich, als hätte ich ein gottverdammtes Zölibat hinter mir. Die letzten anderthalb Monate der Vorsaison waren wirklich hart. Heute Abend wird es hier heiß hergehen. Ich kann schon jetzt mit hundertprozentiger Sicherheit sagen, dass ich eine dieser Damen mit auf mein Zimmer nehmen werde.

Auf dem Weg zum Bierfass werde ich von vielen anzüglichen Blicken begleitet. Ich greife mir zwei rote Becher vom Stapel und stelle mich direkt vor den Zapfhahn. Keiner der Wartenden in der Schlange protestiert, denn man kennt mich bereits. Eigentlich hatte ich nicht vor, dieses Privileg zu missbrauchen, aber ich bin der nächste Nachrücker am Beerpong-Tisch, und Derrick wartet auf sein Bier. Außerdem muss man einen Vorteil nutzen, wenn er sich einem bietet.