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Junge britische Royals, Luxus, Intrigen - willkommen an der Winston Prep Academy
Nora Randolph kann mit dem Rampenlicht so gar nichts anfangen - doch als sich ihre Mutter in den britischen Thronerben verliebt, bleibt ihr keine andere Wahl und ihre Familie zieht kurzerhand von Pennsylvania nach London. Dort ist sie plötzlich Teil der britischen High-Society und muss ihr letztes High-School-Jahr an der berühmt-berüchtigten Winston Preparatory Academy absolvieren. Und während Nora versucht ihren Platz zwischen Schuluniformen, Ruderwettbewerben und luxuriösen Bällen zu finden, ist da auch noch Asher Frederick, ihr überheblicher aber sehr attraktiver Mitschüler, der nach seinen ganz eigenen Regeln spielt ...
"Wow, diese Geschichte hat mich umgehauen. Voll von Glanz, Glamour, Herzschmerz, Liebe und Geheimnissen." KIMBERLY GARNER @GOODREADS
Band 1 der PRIVILEGED-DILOGIE von Bestseller-Autorin Carrie Aarons
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Seitenzahl: 367
Veröffentlichungsjahr: 2022
Titel
Zu diesem Buch
Widmung
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Epilog
Die Autorin
Die Romane von Carrie Aarons bei LYX
Leseprobe
Impressum
CARRIE AARONS
Privileged
CLASS OF ROYALS
Roman
Ins Deutsche übertragen von Michaela Link
Nora Randolph kann mit dem Rampenlicht so gar nichts anfangen – doch als sich ihre Mutter in den britischen Thronerben verliebt, bleibt ihr keine andere Wahl und ihre Familie zieht kurzerhand von Pennsylvania nach London. Dort ist sie plötzlich Teil der britischen High-Society und muss ihr letztes High-School-Jahr an der berühmt-berüchtigten Winston Preparatory Academy absolvieren. Und während Nora versucht ihren Platz zwischen Schuluniformen, Ruderwettbewerben und luxuriösen Bällen zu finden, ist da auch noch Asher Frederick, ihr überheblicher aber sehr attraktiver Mitschüler, der nach seinen ganz eigenen Regeln spielt …
Dieses Buch ist für dich, kleines Mädchen. Mögest du all deine Träume auch leben können.
Nora
Mit schüchternen Schritten gehe ich den Flur entlang und die schwarzen Mary Janes an meinen Füßen klackern über den Boden. Die Dinger sind so teuer gewesen, dass es nichts von alldem, was ich bisher als Schuhe bezeichnet habe, auch nur annähernd mit ihnen aufnehmen könnte. Ich schwanke ein wenig, hohe Absätze nicht gewohnt, und noch unvertrauter sind mir die zweihundert Jahre alten Eichenholzdielen unter meinen Füßen. Bildteppiche aus der Zeit vor meiner Geburt und auch vor der Geburt meiner Mutter und wahrscheinlich selbst noch vor der Geburt meiner Großmutter schmücken die Wände und verleihen dem Gebäude eine elegante Anmutung von Alter Welt.
Die Düfte von Minze, Zigarrenrauch und teurem Rasierwasser müssen tief und nachhaltig die Wände durchtränkt haben, denn ganz gleich, wohin ich mich in dieser Schule begebe, ich kann dem Geruch nie entfliehen.
Und auch den Blicken nicht. Oh je, wie sie mich anstarren.
Als sei es nicht schon schlimm genug, am ersten Tag des letzten Schuljahres als neue Schülerin in die Klasse zu kommen, habe ich es auch noch lediglich meinem besonderen Glück zu verdanken, hierher verschlagen zu worden sein. Mitten hinein in diese Schar aus den reichsten, privilegiertesten, elitärsten Menschen, mit denen ich wohl je dieselbe Luft atmen werde. Auch wenn es sich nur um den jugendlichen Nachwuchs dieser Kreise handelt.
Ich zupfe an meiner Schuluniform, und der grün-weiß karierte Rock kommt mir plötzlich zu kurz vor, obwohl ich weiß, dass er mir ein gutes Stück über die Knie reicht. Verglichen mit den anderen Mädchen, die an ihren Schließfächern aufgereiht stehen und mich von Kopf bis Fuß mustern, bin ich noch die Anständigste von allen.
»Ist das die Amerikanerin?«, höre ich ein Flüstern rechts von mir und versuche, nicht zusammenzuzucken.
Denn ich bin nicht nur die Neue, die absolute Außenseiterin … mein ganzes Leben ist in den vergangenen Monaten auf jedem Zeitungsregal in ganz London in leuchtenden Farben für jedermann ausgebreitet worden. All diese jungen Leute haben sich bereits ihre feste Meinung über mich gebildet, und dabei ist der erste Schultag noch nicht mal fünf Minuten alt. Sie haben Fotos von mir im Bikini gesehen, wie ich in meinem Heimatstädtchen in Pennsylvania am Schwimmbecken rumhänge. Sie haben die Schlagzeilen über meine sich geldgierig hochschlafende Mutter gelesen und über unsere schändlichen amerikanischen Sitten. Jede Kindheitserinnerung, jede von einem x-beliebigen Fremden daheim in den Staaten ausgeplauderte Information, selbst die dürftigen Schnipsel und Fetzen, die sie von unserem angeblichen Nachbarn und Freund aufgeschnappt haben … Es ist alles öffentlich breitgewalzt worden, um das Bedürfnis nach Klatsch und Tratsch der Besten und Klügsten dieses Landes zu stillen.
Ich weiß, dass Mom und Bennett mir gesagt haben, ich solle den Kopf hochhalten, einfach über den Dingen stehen. Mich so verhalten, als würde ich mich ganz selbstverständlich in den gleichen Kreisen bewegen wie diese Leute. Aber … das hier ist nun mal die Schule. Und selbst schon daheim in Pennsylvania war die Highschool ganz grässlich für mich. Und dort war ich aufgewachsen, im selben Schmutz und derselben Armut wie alle anderen.
Die Winston Preparatory Academy? Das ist etwas ganz anderes. Mit ihren Jahrzehnten der Geschichte, ihren Gedenkwänden zur Erinnerung an ehemalige Schüler, die zu den führenden Häuptern und Firmenbossen dieser Welt geworden sind, einem Schulgeld von fünfzigtausend Pfund im Jahr und Verhaltens- und Benimmregeln, die ich mir niemals werde merken können.
Meine Bluse mit ihrem weißen Kragen und die Jacke der Schuluniform kleben mir am Leib, als ich es endlich zu meinem Schließfach geschafft habe, und so viele Blicke bohren sich mir in den Rücken, dass mir die Röte, die sich zuerst auf meinem Gesicht gezeigt hat, inzwischen mit Sicherheit bis ganz hinunter an die Zehen gewandert sein muss. Ich ziehe den Ordner mit den Einführungsinformationen für neue Schüler – die monoton einsilbige Frau vom Sekretariat hat ihn mir bei einem Vorabtermin ausgehändigt –aus meiner neuen Ledertasche und blättere zu der Seite, auf der meine Schließfachnummer vermerkt ist.
Nur dass das hier keine normalen Schließfächer aus Metall mit einem Kombinationsschloss sind. Sie bestehen vielmehr aus Holz, ein jedes geschmückt mit einem winzigen Schulwappen, das in die linke untere Ecke geprägt ist. Die Schlösser sind nichts als ein Tastenfeld mit Zahlen, und das Ganze sieht aus wie so eine Art aufgemotzter Bankautomat.
Ich gebe den Code ein, doch noch immer blinkt mich das Licht über dem Tastenfeld rot an. Ich versuche es erneut, aber wieder ohne Erfolg. Vielleicht hat man mir im Sekretariat ja die falsche Kombination gegeben? Meine Güte, ich bin wahrscheinlich das einzige Mädchen an der Winston, das derart grundlegende Schulprobleme hat. Ich lese mir den kurzen Absatz darüber durch, wie sich das Schloss zurücksetzen lässt, und mache mich sofort ans Werk. Als das Licht endlich grün blinkt, seufze ich erleichtert auf. Am liebsten würde ich mein flammend rotes Gesicht sofort in der Dunkelheit des Schließfachs verstecken.
Doch als ich die Holztür öffne, springen rote und weiße Luftballons heraus und die Wände des Schließfachs sind über und über mit Paparazzifotos von meiner Mutter und ihrem zukünftigen neuen Ehemann beklebt, als sei es Geschenkpapier. Von irgendwo im Fach beginnt Miley Cyrus’ »Party in the USA« zu spielen, so laut, dass alle im Flur die prägnanten Gitarrenakkorde hören können.
Ein Gefühl der Demütigung, durchdringend und pochend wie eine rot entzündete Wunde, rieselt mir über den Rücken und mich überläuft es abwechselnd heiß und kalt. Ich kenne natürlich niemanden hier, und so kann ich auch nicht wissen, wer dahintersteckt. Ich weiß nur, dass irgendwie vor mir schon jemand anderes an mein Schließfach herangekommen ist, und dieser Jemand, wer auch immer es war, hat mir eine Botschaft zukommen lassen.
Mehrere Mädchen, die ein paar Meter weiter auf dem Flur beieinanderstehen, brechen in schallendes Gelächter aus. Sie tragen kurze Röcke sowie makelloses Make-up und verletzen die hier geltende Kleiderordnung überhaupt in mannigfacher Weise. Mit nach diesem Streich vermutlich weit geöffnetem Mund fahre ich zu ihnen herum. Eines der Mädchen mustert mich mit frech hochgezogener Braue, dann stapft sie davon und die anderen schließen sich ihr an, während die übrigen Schüler im Flur auf mich zeigen und lachen.
Mir wird bewusst, dass Miley immer noch weitersingt, und so knalle ich das Schließfach zu, was nur noch mehr Aufmerksamkeit auf mich lenkt.
»Schau nicht so drein wie ein panisches Lamm auf dem Weg zur Schlachtbank, dann lassen sie dich womöglich in Ruhe.«
Die Stimme durchdringt meine Verlegenheit, kitzelt mir mit ihrem tiefen Timbre und ihrem britischen Akzent am Hals.
Ich wende unwillkürlich den Kopf dorthin, woher die Stimme kommt. Als Erstes fällt mir das Winston-Wappen auf der Standardjacke der Schuluniform ins Auge. Und dann wandert mein Blick immer höher und höher, bis ich den Kopf fast in den Nacken legen muss.
Der Erste aus dem Kreis meiner Mitschülerinnen und Mitschüler, der sich die Mühe gemacht hat, das Wort an mich zu richten, ist groß … mehr als einen Kopf größer als ich. Der Blick der dunkelgrünen Augen fast so dunkel wie die Schuluniformjacke, die von seinen breiten Schultern ausgefüllt wird, begegnet meinem. In diesem Blick liegen Verurteilung, ein Anflug von Ärger und eine ganze Menge Sarkasmus. Die dazu von Lippen von der Farbe zerdrückter Kirschen ausgesprochenen Worte passen nicht zum Gesichtsausdruck des Sprechers. Dieser Junge mit dem rabenschwarzen Haar, eigentlich schon eher ein Mann, erteilt mir hier keinen Rat.
Er spricht eine Warnung aus.
Der pure Schreck angesichts seiner Gegenwart sowie der Eindruck von Wohlstand und Überlegenheit, der von ihm ausgeht, werfen mich fast um. Er wartet und mein sprachloses Schweigen lässt belustigt einen Muskel an seinem Kinn zucken.
Als ich irgendwie einfach keine Worte finden kann und mein allein auf sein Gesicht gerichteter Tunnelblick immer schlimmer wird, streckt er die Hand nach mir aus. Große geschmeidige Finger heben eine Locke meines feuerroten Haars von meiner Uniformjacke.
Er zwirbelt die Strähne um seine Finger und mustert mich, während mein Blick der Bewegung mit kindlich ehrfürchtiger Scheu folgt.
Er beugt sich näher heran und der frische Duft von Wald nach einem Gewitter überwältigt meine Sinne. »Oder mach, was immer du willst. Ich werde meinen Spaß dabei haben mit anzusehen, wie sie ihre Spielchen mit dir treiben. Du gehörst nicht hierher, du bist ein Niemand.«
Seine Beleidigung, ausgestoßen, als sei es das schmutzigste Schimpfwort, das er über die Lippen bringen kann, reißt mich aus meinen Träumereien. Ich fahre zurück, und mein Haar fällt mir wieder auf die Schulter, während mich sein kaltes, boshaftes Grinsen verhöhnt.
Ich sollte etwas sagen, mich verteidigen, kämpfen … aber ich bin noch nie eine Kämpferin gewesen. Ich habe die damit verbundene Aufmerksamkeit nie gewollt. Ehrlich gesagt habe ich noch nie in meinem Leben so recht gewusst, was ich überhaupt will.
Also mache ich auf dem Absatz kehrt und stürme davon.
Was diesem Elitevölkchen nicht bewusst ist: Ich habe nie auch nur die geringste Absicht gehabt, zu ihm zu gehören. Eine zu werden, wie sie es sind. Ich bin ganz zufrieden damit, die Rolle der Außenseiterin zu übernehmen, nicht hierher zu gehören. Im Moment wünsche ich mir einzig und allein, das nächste Jahr so schmerzlos und unbeachtet wie möglich zu überstehen. Sie können ruhig ihren Status behalten, ihre High Society, ihre Regeln. Ich will mit alldem nichts zu tun haben, das zumindest weiß ich.
Es ist nicht meine Schuld gewesen, dass ich in dieses Leben hineingestoßen worden bin, und ich will wieder raus, sobald ich nur kann.
Asher
Ein roter Wirbel verschwindet am Ende des Flurs um die Ecke, und der Zorn, der mir das Blut in den Adern hat kochen lassen, tobt und brennt erneut in mir.
Ich würde unsere erste Begegnung als einen Erfolg verbuchen.
Nora Randolph, die ich niemals als eine McAlister bezeichnen würde, muss zerstört werden. Alles, was sie ist, alles, womit sie jetzt in Verbindung steht, ist voller Schmutz. Und jetzt, da ich sie in der Hand habe, können wir ihren guten alten Stiefpapa endlich als das bloßstellen, was er ist.
Ein Mörder.
Der Gong für die erste Stunde ertönt, eine wunderbare glockenspielartige Melodie, die in Noras Ohren völlig fremd klingen muss. Aus welchem Loch von Kleinstadtkaff sie auch immer herausgekrochen ist, dort bimmeln sie wahrscheinlich mit einer Kuhglocke oder etwas ähnlich Barbarischem.
Meine Mitschüler wuseln hin und her, die Jüngeren mit haufenweise Büchern unter den Armen, während sie zu ihrer ersten Stunde des Morgens rennen.
Und ich? Ich lehne mich einfach gegen die Reihe von Schließfächern, in der sich auch das Fach von Nora befindet, und schärfe metaphorisch meine Krallen wie ein Tiger. Ich bin jetzt ein Schüler im Abschlussjahr der Oberstufe, doch das hätte ich gar nicht nötig gehabt, um über die Winston Prep zu herrschen. Und jetzt habe ich das frische Blut in der Luft förmlich riechen können.
Diese Schule hat die Elite der Elite unterrichtet und herangezogen. Parlamentarier, Leiter von Weltkonzernen, Mitglieder von Königsfamilien, Topsportler … Sie alle schicken ihre Kinder hierher. Auf die berühmte Lehranstalt, die schon sie selbst geschaffen hat, die Schule, die ihre Schüler mit Beziehungen belohnt und ihre Lebensläufe mit einer ganz besonderen Aura ziert.
Und ich stehe im Zentrum von alldem. Asher William Frederick aus der Linie der Fredericks von Cornwall. Mein Vater ist einer der mächtigsten Männer in der britischen Regierung, wie überhaupt alle Mitglieder meiner Familie in der Londoner Gesellschaft stets überaus einflussreich gewesen sind.
»Bist du schon wieder dabei, die Frauen deinem Willen zu unterwerfen? Gib uns Übrigen wenigstens einen Tag Vorsprung.«
Ich brauche mich gar nicht erst umzudrehen, um zu wissen, dass es Edward Le Deux ist, der mir gerade auf die Schulter geklopft hat. Seine Stimme ist noch rau und heiser vom heftigen Vorabend, der kaum acht Stunden zuvor zu Ende gegangen ist. Ed, mein bester Kumpel seit wir beide neun waren, hat es für eine Superidee gehalten, in der prächtigen Bibliothek seines Vaters eine rauschende Party zu geben, um feierlich das Ende der Sommerferien zu begehen. Es ist ein Wunder, dass wir überhaupt hier stehen, mit klaren, wachen Augen morgens um halb acht.
»Nein, die da will ich nur einschüchtern und panisch machen.« Ein verächtliches Grinsen umspielt meine Lippen.
»Was immer du sagst. Deine Beziehung zu den Frauen hier ist echt seltsam. Wenn ich es nicht besser wüsste, würde ich sagen, du bist einer von den Typen, die auf Peitschen und Ketten stehen.«
»Verpiss dich.« Als hätte ich vor, jetzt und hier mit ihm über meine Vorlieben beim Vögeln zu reden.
»Ja, ich lieb dich auch. Wie auch immer, machen wir, dass wir in den Unterricht kommen. Mr Hugh dürfte uns dieses Jahr nicht allzu viele Ausnahmen durchgehen lassen.«
Das ist mir völlig egal. Meine vorgezogene Aufnahme in Oxford ist gesichert. Ich muss nur so eben durchs Jahr schweben und jeden Lehrer mit meinem Frederick-Charme einlullen.
»Oder wir könnten in die Gentleman’s Lounge gehen und uns ein wenig von der Erschöpfung von gestern Abend erholen.« Ich ziehe auffordernd eine Braue hoch. Ein bisschen Lapdance mit Striptease klingt genau nach dem, was der Arzt verordnet hat.
Ed stöhnt. »Hey du Vollidiot, ich würde ja nichts lieber tun als das. Aber meine Mutter dürfte mich windelweich schlagen.«
Mein bester Kumpel bestand in aller Regel aus einer großen Klappe mit nichts dahinter, und das war heute auch nicht anders als sonst.
»Na schön. Dann geh ich halt in den Unterricht, aber nur weil heute der erste Tag ist.«
Doch bevor ich Ed folge, werfe ich noch einen letzten Blick Richtung Ende des Flurs.
Die Erregung, die es in mir auslöst, Macht über einen anderen Menschen auszuüben, hatte ich durchaus erwartet. Es liegt mir in den Genen, jemanden mit einem wohlplatzierten Kommentar das Fürchten zu lehren oder mir andere mit der bloßen Bewegung eines Fingers gefügig zu machen.
Womit ich allerdings nicht gerechnet habe, war die Tatsache, dass mich ihr bloßer Anblick hungrig gemacht hat. Die Zeitungen werden ihr nicht gerecht; sie mag Amerikanerin sein, aber sie ist ein hübsches kleines Ding. Lange Beine und die Unschuld der Armut. Sie weiß nicht, wie diese Welt hier ist, was ihr Menschen wie diejenigen, mit denen ich Umgang pflege, anzutun vermögen.
Und auch nicht, was ich ihr antun kann und ihr auch anzutun beabsichtige.
Während ich mich auf meinen Platz im Kurs über die Europäische Geschichte des achtzehnten Jahrhunderts setze, schwirrt mir noch immer der Kopf vor rasendem Groll, und all meine Zerstörungspläne für die Zukunft nehmen erste Gestalt an.
Nora
Wenn ich an zu Hause denke, denke ich nach wie vor an Pennsylvania. An die ganz normale Kleinstadt voller einfacher Menschen, in der ich aufgewachsen bin. Es gibt dort drei Ampeln, eine Grundschule, ein Diner und einen künstlich angelegten See, der zugleich als das kommunale Schwimmbad der Gemeinde dient.
Ich bin dort zur Welt gekommen und immer davon ausgegangen, mein ganzes Lebens da zu verbringen. Meine Mutter war die Betreiberin des Honey Time Diner, wir haben auf einer malerischen kleinen Ranch mit zwei Schlafzimmern gelebt, ich bin zur Schule gegangen und abends haben wir auf der Veranda gesessen und Limonade oder heiße Schokolade getrunken, je nach Jahreszeit.
Es hieß immer sie und ich gegen den Rest der Welt, und unsere kleine Blase aus zwei Personen war alles, was ich je gekannt habe.
Und dann ist Bennett Charles McAlister – oder wie die Welt ihn kennt, der in der britischen Thronfolge ganz oben stehende Herzog von Westminster –, in unser Leben hereingerollt. Der berühmt-berüchtigte Royal hatte Anfang Mai diesen Jahres auf der in der Nähe unseres Hauses vorbeiführenden Straße mit seiner Limousine eine Panne. Er ist die ganze halbe Meile Zufahrt zu unserem Haus hinaufgegangen, und seine glänzenden schwarzen Schuhe und sein makelloser Anzug waren von Schlamm bespritzt und staubig.
Sobald er unser Haus betrat, ja in der ersten Sekunde, da er und meine Mutter dieselbe Luft atmeten, wusste ich, dass unsere Zweierblase geplatzt war. Von dem Moment an, in dem sich die Blicke der beiden das erste Mal getroffen haben, war klar, dass unsere Welt nun nicht mehr nur aus uns beiden bestand. Ich fühlte mich, als würde ich dabei zuschauen, wie ein Stern explodiert, oder mit eigenen Augen mit ansehen, wie Gott ein Wunder wirkt. Nur selten ist es jemandem vergönnt gewesen, den genauen Moment mitzuerleben, wenn sich zwei Menschen ineinander verlieben, doch ich habe ihre Liebe direkt da in meinem Wohnzimmer aufkeimen und erblühen sehen.
In den ganzen achtzehn Jahren meines bisherigen Lebens hatte meine Mom keinen Mann je so angesehen, wie sie Bennett angesehen hat. Es war vom ersten Augenblick an klar, dass das hier der Mann war, auf den sie gewartet hatte, der sprichwörtliche Märchenprinz, gekommen, um sie aus ihrem Durchschnittsleben zu erretten. Und glücklicherweise machte es ihm dabei nichts aus, dass seine Prinzessin aus dem gemeinen Bürgervolk eine Tochter hatte.
Und jetzt sind wir hier und leben in London. Wenn es mir nicht selbst passiert wäre und wenn das Ganze bisher kein solcher Albtraum gewesen wäre, würde ich glauben, die vergangenen drei Monate kämen direkt aus Twilight Zone. Dass meine Mutter Bennett kennengelernt hat, war ja schön und gut. Aber die Vorstellung, dass sie bald auch noch den Ring des Mannes an ihrem Finger trägt, der womöglich der nächste König von England wird, und an ihrer Seite in die königliche Familie einzuheiraten? Manchmal muss ich mich ungläubig kneifen, wenn ich morgens in der Wohnung im Kensington-Palast aufwache, wo wir jetzt leben.
Mit dem Guten ist zugleich jedoch auch das Schlechte gekommen. Und selbst wenn meine Mutter ihr Glück gefunden haben mag … Mitglieder des Parlaments, die Presse und sogar die engste Verwandtschaft ihres künftigen Gatten haben sie förmlich in der Luft zerrissen. Sie haben sie als eine geldgierige Schlampe bezeichnet, die nur auf das Geld des Herzogs aus sei, haben ihre Motive infrage gestellt und auch noch das letzte bisschen bedeutungslosen Schmutz ausgegraben, das sie ihr anhängen konnten, und alles vor der breiten Masse ausgebreitet.
Und anscheinend schließt diese Schmutzkampagne auch mich mit ein.
Ich hatte damit gerechnet, die Winston Academy heute mehr oder weniger unbemerkt betreten zu können. Ich bin ein Niemand, ich habe kein Geld, ich gehöre nicht zur Oberschicht wie der Rest dieser Jugendlichen. Ich bin lediglich eine Art Touristin, die es für eine vorübergehende Zeitspanne hierher verschlagen hat, bis ich wieder aus ihrem Leben verschwinde. Ich habe all die Blicke nicht erwartet, die Beschimpfungen, das Getuschel.
Und ganz bestimmt habe ich nicht mit diesem James Bond im Teenageralter gerechnet, der mich erst hypnotisiert und mir dann praktisch ins Gesicht gesagt hat, ich solle mich zum Teufel scheren. Sein gebieterisches Auftreten hat Spuren bei mir hinterlassen; sein idealtypisch britischer Knochenbau, die hinterhältigen grünen Augen und das mysteriöse dunkle Haar haben sich mir förmlich in die Netzhäute gebrannt.
Die Art und Weise, wie er mich berührt hat, nein … er hat mich ja nicht einmal berührt. Er hat lediglich eine Locke meines Haares zwischen den Fingern gehalten, und doch hat das Ganze eine unfassbare Hitze in mir ausgelöst. Ich habe noch nie ein so mächtiges Gefühl erlebt, etwas so Einschüchterndes … so Sinnliches. Aber seine Worte, seine Drohungen haben mir wie ätzendes Gift in den Ohren gebrannt und waren genau berechnet. Er hat sie ernst gemeint, wer zum Teufel er auch immer sein mag.
»Hast du am ersten Tag viele Hausaufgaben bekommen? Wie gut hat dir die Winston Academy gefallen?« Bennett kommt in den Raum spaziert und reißt mich aus all meinen schrecklichen Gedanken.
Ich drehe mich zu meinem baldigen Stiefvater um und lächele. Wenn ich nun mal schon nur eine einzige Vaterfigur in meinem Leben haben soll, dann ist wohl gut gewesen, dass dieser Mensch gerade Bennett ist. Er trägt seine übliche Freizeitkleidung, zu der stets eine Krawatte und eine gebügelte Anzughose gehören, und sein Gesichtsausdruck ist hoffnungsvoll und offen.
Im Grunde verstehen Bennett und ich uns ziemlich gut. Ich habe nie einen Vater gehabt; das dreckige Stück Abschaum hat sich aus unserem Örtchen verkrümelt, nachdem Mom im Sommer nach ihrem Highschool-Abschluss schwanger geworden war. Bennett hat nicht versucht, mich zu erziehen, sondern ist stattdessen eine freundschaftliche Verbindung mit mir eingegangen, die mir, so kurz wir uns auch erst kennen, bereits lieb und teuer geworden ist. Er liest gern und hat mich mit einigen Klassikern bekanntgemacht, die ich bisher noch nicht in meiner Sammlung gehabt habe. Er besitzt unter anderem Platten von den Beatles und von Fall Out Boy, daher geht sein Musikgeschmack für mich in Ordnung. Und das Wichtigste von allem: Er liebt meine Mom, als sei sie das seltenste und kostbarste Ding auf Erden … Also habe ich ihn sofort ins Herz geschlossen.
»Ich muss nur ein paar einfache Sachen lesen und dann sind da noch die Aufgaben in Trigonometrie, ist aber alles nicht wild. Und mein erster Tag war … ganz okay.« Abgesehen von den Blicken, die mir sowohl Schüler als auch Lehrer zugeworfen haben, und der Tatsache, dass mich irgend so ein männliches britisches Supermodel als Lamm auf dem Weg zur Schlachtbank bezeichnet hat.
Bennett lacht leise, nimmt einige Scones aus dem Brotkasten und füllt Wasser in die Teekanne. »Ich weiß, dass ein paar von diesen jungen Leuten und auch etliche der Lehrkräfte ziemlich ruppig sein können, aber vergiss nie, was du wert bist, Nora. Du bist verdammt klug, klüger als alle, die ich sonst so kenne. Konzentrier dich darauf, und alles wird gut. Tee?«
Seit unserem Umzug nach London habe ich lernen müssen, dass Tee und Gebäck die Lösung für alle Probleme sind. Ich bin mir nicht sicher, ob ich dem im Einzelnen zustimme, aber der Earl Grey von Bennett ist wirklich sehr lecker.
Ich nicke und schiebe die Bücher und Papierstapel vor mir zur Seite. »Und? Wann können wir denn endlich mal zu diesem Soccer-Spiel gehen, das du mir versprochen hast?«
Bevor ich einmal quer durch das ganze Universum umgezogen bin, haben Mom und ich nie irgendwelche Reisen über die Ostküstenstaaten der USA hinaus unternommen. Bennett hat es sich zur Aufgabe gemacht, uns auf eine große Bildungsreise durch sein Land und den europäischen Kontinent zu führen. Bisher hat er Mom und mir die wunderschönen Gärten im Buckingham-Palast gezeigt, wir haben einen Nachmittag an der London Bridge verbracht und außerdem ein Wochenende in Italien, das ich mein ganzes Leben lang nie vergessen werde.
Aber er hat auch mit der besten Sportart der Welt geprahlt, und ich brenne darauf zu erfahren, was es damit auf sich hat.
»Erstens heißt es Fußball, nicht Soccer. Verdammt noch mal, mir wird ganz schlecht, wenn ich diese amerikanische Bezeichnung höre. Wir schauen uns bald mal ein Spiel an, aber nicht an diesem Wochenende. An diesem Wochenende findet das jährliche Regents Dinner statt, und das dürfte deine Mutter und mich die meiste Zeit über in Beschlag nehmen. Aber du wirst dich uns natürlich anschließen.«
Er sagt das nicht als Befehl; meine Angst, dass er mit derlei anfangen würde, sobald wir in sein Heimatland zögen, hat sich nicht bewahrheitet. Nein, er sagt es, um mich mit einzuschließen, um klarzumachen, dass wir eben eine Familie sind und daher zusammen hingehen. Etwa so wie in Grease oder Ein Zwilling kommt selten allein.
Aber innerlich krümme ich mich bei dem Gedanken, genauso wie er sich bei dem Wort Soccer krümmt. Diese Galas und Festessen und Empfänge am Königshaus sind für mich, gelinde gesagt, beängstigend, und mittlerweile freue ich mich auf dergleichen schon gar nicht mehr.
Ich setze ein falsches Lächeln auf, denn es ist wichtig, dass ich für sie beide gute Miene zum bösen Spiel mache. »Ich kann es kaum erwarten.«
Nora
Große rote Doppeldeckerbusse rasen die Straße hinunter, Taxis halten an, um Passagiere aufzunehmen, Fußgänger strömen über die Bürgersteige und Straßen wie ein kompliziertes, aus menschlichen Körpern gebildetes Labyrinth.
In einem kleinen Vorort draußen im Hinterland von Philadelphia aufgewachsen, komme ich mir in der Großstadt total deplatziert vor. Vor allem wenn es sich dabei um so eine riesige geschichtsträchtige Metropole wie London handelt.
Was nicht heißen soll, dass ich die Vorteile nicht sehe, die es mit sich bringt, hier zu leben. Vor allem ist die Stadt einfach wunderschön und sowohl in all ihrer historischen Pracht als auch in ihrer zeitgemäßen Modernität absolut atemberaubend. Die Kulturlandschaft ist anders als alles, was ich je erlebt habe, vom Kino über die Untergrundszene bis hin zur königlichen Familie. Es ist eine kultähnliche, exklusive Existenz, deren Teil ich jetzt offenbar geworden bin.
Bennett geleitet meine Mutter aus unserer Limousine auf den Gehsteig, dann beugt er sich wieder durch die Tür, um nun mir beim Aussteigen zu helfen. Ich greife dankbar nach der hingehaltenen Hand, und meine hohen Absätze treffen mit wackliger Unsicherheit auf das Pflaster. Ich werde mich wohl daran gewöhnen müssen, wenn ich jetzt an all diesen gesellschaftlichen Anlässen teilnehme.
Kamerablitzlicht blendet mich. Die Paparazzi versuchen, jedes Fleckchen nackter Haut oder auch das leiseste Indiz für Spannungen zwischen meiner Mutter, Bennett und mir einzufangen. Sie sind im einfachsten, grundlegenden Sinn Geier: Tiere, die die Knochen eines jeden nichtsahnenden Opfers abnagen. Sie haben ihre Arbeit als Klatschjournalisten meiner Mutter und mir gegenüber auf eine wirklich üble, grauenvolle Weise erfüllt, und ich kann mich nur mit Mühe zügeln, ihnen nicht grüßend den Mittelfinger entgegenzuhalten. Was wahrlich nicht sonderlich königlich von mir wäre.
Okay, im strengen Sinn bin ich aber auch gar kein Mitglied der Königsfamilie und werde es niemals sein. Ich bin nur ein Anhängsel, ein Bastard, so was wie Jon Snow in Game of Thrones. Die Hälfte der Familie Bennett nickt mir nur steif zu, wann immer ich im Raum bin.
Der Dunmore-Ballsaal strahlt hell erleuchtet wie ein Weihnachtsbaum, der Eingang von roten Scheinwerfern und einem cremefarbenen Teppich geschmückt. Es ist definitiv die prachtvollste Veranstaltung, an der ich seit unserer Ankunft in London teilgenommen habe, und ich will gar nicht lügen und leugnen, dass mir jetzt riesige Motten im Bauch herumflattern. Ich wische mir die feuchten Hände an dem bodenlangen marineblauen Wickelkleid ab, das eine der Modestylistinnen des Palasts für mich ausgesucht hat, und ziehe das silberne Umhängetuch um meine Schultern ein wenig fester.
Bevor mein zukünftiger Stiefvater so unvermittelt in unser Leben hereingeschneit ist, waren Jeans und staubige Turnschuhe bei uns die Norm. Und jetzt? Ich gewöhne mich allmählich an Kaschmir, Seide und Tüll. An die Kleider, in die sie mich stecken, an die Frisuren, die sie in aller Schnelle zaubern können, an die Art und Weise, wie diese Expertinnen meine Haut zugleich taufrisch und klar konturiert erscheinen lassen können. Befangen hebe ich die linke Hand und betaste eine meiner weichen roten Locken.
Ich muss zugeben, dass es sogar recht leicht gewesen ist, sich daran zu gewöhnen, so verwöhnt zu werden. Für jemanden, der sich sonst höchstens mal mit einem Labellostift über die Lippen gefahren und das für Kosmetik genug befunden hat, ist die Schönheit und der Liebreiz all dessen durchaus verlockend. Und wenngleich es eitel klingen mag, ich fühle mich dadurch auf eine Weise sexy und weiblich wie niemals zuvor.
»Rachel! Rachel! Haben Sie vor, den traditionellen McAlister-Schleier zu tragen?«
»Hat Ihnen Bennett über sein früheres Leben berichtet?«
»Nora! Besitzt du immer noch diesen speziellen Bikini?«
Grausam und grell kracht die Realität in meine Gedankenwelt hinein, und die Bodyguards geleiten uns hastig in das Gebäude.
Wir werden in eine Ecke der Empfangshalle verfrachtet, und der Teppich mit dem weinrot-goldenen Muster ist so prunkvoll wie die Blattgoldtapete. Kronleuchter hängen von jedem Zentimeter der Decke herab, und jemand fragt, ob er mir mein Schultertuch abnehmen dürfe.
»Wird das denn jemals aufhören?«, flüstert meine Mutter Bennett zu, während er ihr die Lippen auf die Stirn drückt.
»Leider wahrscheinlich nicht, sosehr ich es mir auch wünsche«, antwortet er. »Das hier ist mein Leben, und ich weiß gar nicht, wie ich mich dafür entschuldigen soll, dich da mit hineingezogen zu haben.«
Mom seufzt, lächelt jedoch. »Mich hast du jedenfalls nicht hineingezogen, das habe ich schon selbst getan. Und nirgendwo wäre ich jetzt lieber.«
Es ist, als könnten sie nur einander sehen und sonst niemanden. Und auch wenn sie meine Mutter ist, ist das sehr romantisch. Irgendwie habe ich wohl nie an die Möglichkeit einer Liebe von der Art geglaubt, wie sie die beiden miteinander zu verbinden scheint – bis sie mir diese Liebe in ihrem Umgang miteinander demonstriert haben.
»Herzog McAlister, Ihre Anwesenheit wird im Ballsaal benötigt. Jetzt sogleich.« Aus dem Nichts taucht ein Mann im Smoking auf und er sieht sehr offiziell und förmlich aus.
Und von einer Sekunde auf die nächste nehmen wir alle Haltung an und setzen unsere professionellen Mienen auf. Es ist nicht gerade so, als hätte man mich gezwungen, einen Kurs in Sachen Etikette zu belegen, aber angesichts all der gesellschaftlich Anlässe, an denen ich in den letzten drei Monaten teilgenommen habe, kommt es im Endeffekt auf das Gleiche heraus.
Die Regeln und Verhaltensvorschriften sind zahlreich und manchmal von einer spießigen Genauigkeit. Ich soll hinter meiner Mutter und Bennett hergehen, wann immer sie einen Raum betreten, und keiner von uns darf einen anderen in einem Rahmen wie diesem je mit überschwänglicher Zärtlichkeit berühren. Ich habe mich zu entschuldigen, wenn ich vom Tisch aufstehen muss, und habe einen Knicks zu machen, wenn sich die Männer erheben, um mich gehen zu lassen. Auch wenn mein achtzehnter Geburtstag längst schon an mir vorübergegangen ist, darf ich bei einem Trinkspruch nur ein kleines Schlückchen vom Champagner nehmen, mehr nicht. Die Salatgabel liegt stets auf der linken Seite, höherstehende Amtspersonen müssen zuerst ein Gespräch mit dir anfangen und keinesfalls du mit ihnen, und unter gar keinen Umständen darf ich mit irgendwem einen Flirt beginnen. Jasper, Bennetts Berater, hat sich in diesem Punkt sehr klar ausgedrückt.
»Das könnte ein sehr schöner Abend werden, Kleines.« Mom lächelt mich an, gerade als wir den Anwesenden im Ballsaal vorgestellt werden sollen.
Ich verdrehe die Augen und zeige ihr meine Begeisterung. Zumindest eines hat sich nicht geändert, seit unser Leben auf den Kopf gestellt worden ist, und das ist unsere Beziehung. Es mag kitschig klingen, aber meine Mom ist wirklich meine beste Freundin. Sie ist das Yin zu meinem Yang, sie ist der Mensch, der mir den Rücken einreibt, wenn ich krank bin, und der alle Autofenster aufmacht, wenn ein guter Song gespielt wird, während wir uns gerade mitten auf einer sommerlichen Spritztour befinden.
»Darf ich vorstellen: Herzog Bennett McAlister von Westminster und seine Verlobte, Ms Rachel Randolph, begleitet von ihrer Tochter, Ms Nora Randolph.«
Die kunstvoll verzierten deckenhohen Türen offen sich in den Ballsaal, und das grelle Licht von Hunderten funkelnder Kronleuchter sticht mir in die Augen, bevor ich irgendetwas anderes wahrnehmen kann. Ich versuche, den Kopf gerade und den Blick nach vorn gerichtet zu halten, aber es gibt einfach viel zu viel zu sehen. Männer von Adel in den teuersten Smokings, die mir je untergekommen sind, die Frauen in ihrer Begleitung in bodenlange Gewänder in den prächtigsten Farben gehüllt. Tische, die mit meterhohen Blumenarrangements geschmückt und mit Porzellan eingedeckt sind, das bereits im frühen neunzehnten Jahrhundert angefertigt worden sein muss.
Irgendwo über unseren Köpfen spielt ein Orchester eine hübsche, aber durchaus majestätische Melodie, und alle Anwesenden im Raum nehmen Haltung an, um meinen künftigen Stiefvater zu begrüßen.
Trotz all seiner Problematik und den nervtötenden Komplikationen hat dieses Leben etwas Faszinierendes. Ich mag über die Aufmerksamkeit, die ich erhalte, und über die vielen falschen Gerüchte klagen, dennoch ist das hier der Traum, den jedes kleine Mädchen in seinem tiefsten Herzen hegt. Ich lebe das Leben einer Prinzessin, und es sind Momente wie dieser, die mich bis ins Innerste erschüttern und mich im wahrsten Sinne des Wortes fast umwerfen.
Nur um sicherzugehen, stabilisiere ich meine wackligen Knöchel in meinen High Heels. Auf keinen Fall darf ich der Presse die bebilderte Topmeldung liefern, wie ich bei einem der wichtigsten Festbankette des Jahres flach aufs Gesicht klatsche.
Nach unserem Eintreten bekommen wir Plätze an einem der vorderen Tische zugewiesen, und die langweilige Konversation fängt an. Über Politik, über die Regierung und über Polospiele. Ich klinke mich im Wesentlichen aus und stochere in dem in viel zu viel Dressing ertränkten Waldorfsalat herum, den man uns serviert hat.
Als Bennett die Rede auf ein wohltätiges Theaterprojekt bringt, das er organisiert, können es meine Ohren nicht mehr ertragen und ich entschuldige mich damit, dass ich mal schnell aufs stille Örtchen müsse.
Ich ernte einige verständnislose Blicke von den Anwesenden am Tisch und begreife zu spät, dass in England ein restroom ein Ruheraum und keine Toilette ist.
»Alles klar, Schatz.Kommst du allein zurecht?« Mom legt ihre Hand auf meine.
»Natürlich, Mom, ich werde schon nicht in die Schüssel fallen.« Ich flüstere es ihr nur leise zu, da diese Form von Humor der hier versammelten Besucherschaft wahrscheinlich nicht gefallen würde.
Auf dem Weg durch den Ballsaal spüre ich die Blicke, die förmlich an mir kleben. Einige sind voller lüsterner Gier und werden mir von Männern zugeworfen, die eigentlich zu alt dafür sind, mich so anzusehen. Andere Blicke sind fragend und kommen von Menschen, die mehr darüber wissen wollen, wer ich bin. Wieder andere sind boshaft und wünschen mir alles Übel der Welt an den Hals. Wenn man so wie ich wochenlang derart angestarrt worden ist, entwickelt man die Fähigkeit, das Gewicht der Blicke einzuschätzen, die andere einem zuwerfen. Man nimmt die Absichten dieser Leute schlichtweg über den Gesichtsausdruck wahr, mit dem sie einen angaffen.
Sobald ich draußen in der Empfangshalle bin, steuere ich die Richtung an, in der ich die Toiletten vermute.
»Haha!« Ein schrilles Lachen lenkt meine Aufmerksamkeit auf sich.
Aber das Geräusch ist nicht aus dem Flur gekommen, in dem ich mich befinde, sondern eher von oben. Ich trete seitlich aus dem Flur, den ich entlanggegangen bin und entdecke eine Treppe. Die Stufen sind aus Marmor, und ein roter Teppich reicht hinauf zu einem Stockwerk, das ich von hier aus nicht einsehen kann.
Ein weiteres Geräusch ist zu hören, dieses Mal in einem tieferen, männlicheren Tonfall.
Ich bin zu neugierig, um dem nicht nachzugehen. Das Klappern meiner Absätze wird durch den Teppich gedämpft, als ich nun die Treppe hinaufsteige, wobei ich mich am hohen geschwungenen Geländer festhalte.
»Gib mir auch was davon!« Als mein Fuß die oberste Stufe erreicht, dringt ein beschwingtes mädchenhaftes Trällern durch eine Tür und ein Lichtstrahl ergießt sich über den Marmorboden.
»Komm her und hol’s dir.« Die Stimme eines jungen Mannes, von sinnlichen Anspielungen verhangen, antwortet ihr.
»Scheiße verdammt, Ed, das Zeug schmeckt ja wie Pisse.« Eine weitere Mädchenstimme, tiefer als die erste, lässt sich vernehmen.
Ich trete näher und versuche, einen Blick auf die erste interessante Begebenheit zu erhaschen, die mir heute den ganzen Abend über untergekommen ist.
Aber meine Hand muss zu laut gegen die Wand geschlagen haben, oder vielleicht haben meine Absätze ein Kratzgeräusch auf dem Boden verursacht, denn bevor ich weiß, wie mir geschieht, finde ich mich unvermittelt direkt demselben Paar herablassender grüner Augen gegenüber, die an meinem ersten Schultag im Flur regelrecht über mich hergefallen sind.
»Na, na, wen haben wir denn hier?«
Asher
Wieder einmal habe ich das vom Scheinwerferlicht geblendete Reh direkt in meinem Fadenkreuz.
Ich habe natürlich gewusst, dass sie zusammen mit ihrem nichtsnutzigen Stiefvater und ihrer Mutter, die sich aus Geldgier an ihn herangewanzt hat, an dem Festbankett heute Abend teilnehmen würde. Ich habe keinerlei Demütigungen oder böse Streiche geplant, doch hier steht sie nun und spioniert mir und meinen Freunden hinterher.
Ich lasse die Türen aufschwingen und präsentiere ihr mit einer ausladenden Geste unsere fröhliche Runde betrunkener verwöhnter Kinder.
»Wir haben eine Spionin in unserer Mitte. Oder schlimmer noch, eine Amerikanerin.«
Speri, eines der Mädchen, das sich schon immer in unseren Kreisen bewegt, kichert, während sie sich die Wodkaflasche wieder an die Lippen hebt. Katherine und Eloise grinsen abfällig und streichen in unverhohlener Eifersucht ihre Kleider glatt. Drake, der Sohn des Premierministers, klatscht in die Hände und stimmt summend die Nationalhymne der Vereinigten Staaten an. Ed lacht, aber ich sehe, wie seine Augen mit offenkundigem Interesse über sie hinwegstreichen.
Und ich kann ihm keinen Vorwurf daraus machen, obwohl mir bei dem Gedanken, dass ich dieses amerikanische Kleinstadtmädchen anziehend findet, das Blut vor Ärger in den Adern kocht. Sie ist ein Niemand, ein Nichts aus dem gemeinen Volk, und doch, als sie jetzt überrascht zurückzuckt und dabei ein wenig die Hüften kreisen lässt, während der dunkelblaue Stoff ihres Kleides im Licht aus dem Zimmer hinter mir aufstrahlt, merke ich, wie etwas in mir zum Leben erwacht.
»Ach, hab dich nicht so, Asher, lad sie zu uns ein. Dann können wir ein bisschen mit ihr spielen, außerdem langweilt sie sich wahrscheinlich genauso sehr wie wir.« Drake zwinkert ihr zu, und die Augen des Mädchens werden größer, als der Ärmelkanal breit ist.
»Ja, vielleicht können wir sie betrunken machen, bis sie anfängt, Countrysongs zu grölen.« Katherine schnaubt, ein Laut, der aus ihren dünnen Lippen wenig attraktiv klingt. Aber als die Cousine des Herzogs von Manchester hat sie hier ihren festen Platz, und ich kann es nicht riskieren, es mir mit ihr zu verscherzen.
Ich wende mich wieder zu ihr um, halte ihr die Hand hin und lasse zugleich ein anzügliches Lächeln aufscheinen. »Du hast gehört, was sie gesagt haben, komm rein, wenn du dich traust.«
Meine herausfordernde Art scheint etwas in ihr in Gang zu bringen, und ihre Augen lodern auf. »Nora Randolph«, stellt sie sich vor, »auch wenn ihr ja offensichtlich längst wisst, wer ich bin. Was mehr über meinen gesellschaftlichen Rang aussagt als über euren, da ich nicht den blassesten Schimmer habe, wer ihr alle seid.«
Nora klatscht ihre Hand in meine, geht auf den angebotenen Handschlag ein, der eigentlich nur als eine Geste der Einschüchterung gedacht gewesen ist. Hinter uns stößt Ed einen Pfiff aus und lacht, murmelt irgendetwas darüber, was für ein helles Köpfchen dieses Mädchen doch sei.
In dem Moment, in dem sich unsere Hände berühren, rast es mir wie ein Stromschlag über den Rücken. Ihre weiche Haut von einem cremefarbenen Porzellanton schmiegt sich in meine viel größere Hand, eine Hand, die dieses zarte Mädchen zerdrücken könnte, wenn ich es denn wollte. Noras Augen erwidern unverwandt meinen Blick wie ein wärmesuchendes Projektil, halten Ausschau nach irgendeinem Riss in meinem Verteidigungswall.
Ich begutachte sie auf die gleiche Weise, mustere ihr makelloses Gesicht, ihre luftigen Locken, wie sie ihr feuerrot über die Schultern fallen. Sehe das Funkeln ihrer dunklen undurchdringlichen Augen, die die Farbe von Earl-Grey-Tee haben. Wie ihre Wangenknochen einen Winkel zu ihrem Kinn bilden, beide klar definiert und mir voller Abscheu und Widerwillen trotzend. Ich lasse meinen Blick unverhohlen an ihr hinabwandern, während ich die Brauen herausfordernd hebe und mich an ihren kleinen, aber festen Brüsten weide. Höchstens ein Mundvoll, aber in ihrem Partykleid so hübsch zusammengedrängt. Sie ist schmal, aber auch ich habe die Bikinifotos gesehen. Und ich bin ein Mann und kann mir vorstellen, wie es wäre, sie nackt unter mir liegen zu haben.
»Mich kannst du nicht einschüchtern, Nora«, flüstere ich und nutze meinen Griff um ihre Hand, um sie ein winziges Stückchen näher heranzuziehen. »Und du kannst hier niemandem etwas vormachen. Wenn wir wollten, dass du weißt, wer wir sind, hätten wir uns vorgestellt. Aber da du bei diesem Spiel sowieso nur verlieren kannst, will ich dir sagen, wer ich bin. Ich heiße Asher Frederic, und du magst meine Familie vielleicht nicht kennen, aber glaub mir, du solltest besser Angst vor mir haben.«
Jemand kichert hinter uns, dann räuspert sich Eloise. »Ashers Familie ist einfach spitze, wenn es darum geht, andere dazu zu bringen zu tun, was immer sie wollen.«
Ich werfe ihr ein weiteres tückisches Lächeln zu und lasse ihre Hand widerwillig los. »Bitte, Euer Hoheit, kommen Sie herein.«
»Prinzessin aus dem Wohnwagenslum passt wohl besser«, meint Speri mit einem Hicksen.
Ich wende mich von Nora ab und steuere einen ledernen Lehnsessel an. Der Raum, den wir bei diesem spießigen Event in Beschlag genommen haben, ist eine Art Konferenzzimmer. Aber in echt britischer Manier dürfen auch hier ein knisterndes Kaminfeuer und ein Regal mit Erstausgaben von Büchern über den Krieg nicht fehlen.
»Ich gehe jetzt lieber wieder …« Ihr unvertrauter Akzent kitzelt mir die Ohren.
»Ach ja? Am Arsch. Wo willst du denn hin? Wieder runter in diesen grässlichen Ballsaal, damit dir irgendwelche greisen Säcke etwas über die gute alte Zeit vorschwatzen können? Bleib hier, meine Schöne, und lass dich von uns moralisch verderben.« Ed steht auf, tritt auf sie zu und hält ihr eine Flasche Whisky hin.
Katherine und Eloise sitzen am Tisch, drehen eine leere Bierflasche auf der Tischplatte, und jedes Mal, wenn die Flasche beim Stehenbleiben auf eine von ihnen beiden zeigt, lachen sie.
Ich höre das Klicken hoher Absätze und weiß, dass sie sich weiter in den Raum hineinbewegt. Ich wende ihr weiterhin den Rücken zu, den Blick auf das Feuer gerichtet. Ihre herausfordernden Worte und ihr Gesichtsausdruck – der eines kleinen, verlorenen Rehkitzes – üben eine stärkere Wirkung auf mich aus, als mir lieb ist.
»Ich trinke keinen Alkohol.« Sie stellt die Flasche mit einem Klirren auf den Tisch, und es scheint mir so, als würde sie sich auf einem Stuhl niederlassen. Das Knarzen von altem Leder verrät sie.
Drake lacht. »Scheiße aber auch, das ist echt deprimierend. Es ist die einzige Möglichkeit, wie wir all diese umwerfenden Abendgesellschaften überstehen können. Mit Saufen oder Sex.«
Eloise lacht über seine Worte. »Quatsch, alle wissen doch, dass du immer noch Jungfrau bist, Drake.«
»Sie lügt, meine Süße. Es sei denn, das ist genau, worauf du stehst. In diesem Fall habe ich nämlich nur auf so einen Engel wie dich gewartet.«
»Nein danke. Ich stehe nicht auf britische Arschlöcher.«
Noras Worte veranlassen mich schließlich doch, mich umzudrehen, denn sie führt sich hier auf wie ein echter Vollidiot und denkt, sie säße am längeren Hebel.
»Und da hab ich sie doch glatt für so eine Art von Frau gehalten. Aber offenbar mag sie einfach nur beschissene Amerikaner.« Ich schaue mich im Raum um und stelle sicher, dass auch alle über meinen Scherz lachen.
Die hier Versammelten sind nicht unsere vollständige Clique, aber doch das Beste daraus. Diejenigen, die über irgendwelche Stellvertreter zu diesen Festbanketten, Zeremonien, politischen Anlässen und großen Eröffnungsfeiern eingeladen werden. Unsere Eltern und Familien sind die mächtigsten im Land, die zur Crème de la Crème gehören, wenn es um derlei Einladungslisten geht. Und ich bin der Anführer, derjenige, der das Rudel hütet und pflegt. Wer nicht tut, was ich möchte, muss daran erinnert werden, dass er oder sie sich meinem Willen zu fügen hat.
Wie Eloise gesagt hat, ich verstehe mich meisterlich darauf, andere dazu zu bringen, mir zu Willen zu sein.
Meine Freunde lachen über meine an Nora gerichtete Hänselei, aber das arme Mädchen rafft es einfach nicht.
»So eine Art von Frau?« Sie wirkt gelangweilt, und ich würde meine Faust am liebsten in eine Mauer rammen.
»Eine Schlampe. Nutte. Leicht flachzulegen. Ein Partymäuschen. Du weißt schon, irgendwie so wie Katherine«, springt mir Eloise aushelfend zur Seite.
Speri lacht, und Katherine versetzt Eloise einen ordentlichen Schlag auf den Arm.
Und an der Art, wie sich Noras Wangen nun rosig verfärben, kann ich erkennen, dass sie in Wirklichkeit nichts von alldem ist. Aber es ist ein mächtig schönes Gefühl, sie in Verlegenheit zu bringen.
»Du kannst bei unserem Spielchen mitmachen, wenn du willst.« Katherine sieht sie mit hochgezogener Braue an, und Drake tritt nun ebenfalls an den Tisch.
»Ich finde, wir sollten eigentlich alle mitmachen.« Ed nimmt einen Schluck aus der Flasche Single Malt, die er die ganze Zeit über in der Hand gehalten hat.