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Beschreibung

Die Grundlagen unserer Demokratie Nach der Februarrevolution 1848 in Frankreich kam es auch in den Ländern des Deutschen Bundes zu revolutionären Unruhen. Zentrale Anliegen waren die Abschaffung der dynastischen Fürstensysteme, die Schaffung eines Nationalstaates mit einem "deutschen Parlament", Versammlungs-, Meinungs- und Pressefreiheit sowie die Gewährung "unverletzlicher" demokratischer und sozialer Grundrechte. Vielerorts kam es zu Volksversammlungen und wurden "Forderungen des Volkes" formuliert – und an die Regierungen übergeben –, die unsere aktuelle Verfassung noch immer prägen. Diese "frühen demokratischen Programme" werden hier erstmals gesammelt und im Zusammenhang vorgestellt.

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Edition PaulskircheForderungen des Volkes

Frühe demokratische ProgrammeHerausgegeben und eingeleitet von Jörg Bong

Kurzübersicht

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Titelseite

Über Edition Paulskirche

Über dieses Buch

Inhaltsverzeichnis

Impressum

Hinweise zur Darstellung dieses E-Books

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Über Edition Paulskirche

Bibliothek der frühen Demokratinnen und Demokraten

 

Herausgegeben von: Jörg Bong, Ina Hartwig,Helge Malchow, Nils Minkmar, Walid Nakschbandi und Marina Weisband

 

Idee und Konzeption: Jörg Bong

Projektleitung und Redaktion: Rüdiger Dammann

Gestaltung: Kurt Blank-Markard

 

In Kooperation mit:

In der Buchreihe »Bibliothek der frühen Demokratinnen und Demokraten« werden erstmals die Schriften, Biografien, Gedanken und Geschichten der frühen Demokrat*innen versammelt und gewürdigt. Im Zentrum stehen die beiden Revolutionsjahre 1848/1849. Die ersten 5 von 16 Bänden erscheinen im Frühjahr 2023. Die einzigartige Bibliothek ist eine offizielle Kooperation mit der Paulskirchen-Stadt Frankfurt am Main.

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Über dieses Buch

Nach der Februarrevolution 1848 in Frankreich kam es auch in den Ländern des Deutschen Bundes zu revolutionären Unruhen. Zentrale Anliegen waren die Abschaffung der dynastischen Fürstensysteme, die Schaffung eines Nationalstaates mit einem „deutschen Parlament“, Versammlungs-, Meinungs- und Pressefreiheit sowie die Gewährung „unverletzlicher“ demokratischer und sozialer Grundrechte. Vielerorts kam es zu Volksversammlungen und wurden „Forderungen des Volkes“ formuliert – und an die Regierungen übergeben –, die unsere aktuelle Verfassung noch immer prägen. Diese „frühen demokratischen Programme“ werden hier erstmals gesammelt und im Zusammenhang vorgestellt.

 

Jörg Bong, geboren 1966, promovierter Literaturwissenschaftler, Autor, freier Publizist sowie ehemaliger Verleger des S. Fischer Verlags (bis 2019). Schrieb unter anderem für die FAZ, DIE ZEIT und den SPIEGEL. Unter dem Namen Jean-Luc Bannalec veröffentlicht er Kriminalromane. Zuletzt Herausgeber des Buches »57 Interventionen für die Kultur« zusammen mit Marion Ackermann, Gesine Schwan und Carsten Brosda.

Inhaltsverzeichnis

»Alles für das Volk, alles durch das Volk«

Volksherrschaft

Frühe demokratische Manifeste der deutschen Revolution

13 Forderungen des Volkes in Baden. Das Offenburger Programm von 1847

4 Mannheimer Märzforderungen

12 Badische Märzforderungen aus Karlsruhe

Flugblatt »Forderungen des Volkes« aus Köln vom 3. März 1848

Forderungen aus Leipzig: Adresse der Stadtverordneten an den König

Statuten der »Deutschen Demokratischen Gesellschaft« in Paris

Proklamation von Heidelberg vom 5. März 1848

Die Volksversammlung zu Offenburg am 19. März 1848

Beschlüsse der Freiburger Versammlung vom 26. März 1848

Beschlüsse der Heidelberger Versammlung vom 26. März 1848

Struvescher Antrag auf dem Vorparlament vom 31. März 1848

Verwahrung der Demokraten auf dem Vorparlament

Beschlüsse des Vorparlaments

Wahlprogramm der Demokratischen Partei Deutschlands

Beschlüsse der Donaueschinger Volksversammlung vom 6. April 1848

Erklärung der »Deutschen Demokratischen Gesellschaft« in Straßburg

Aufruf zur bewaffneten Erhebung – Konstanz, 12. April 1848

Wahl-Manifest der radikalen Reformpartei für Deutschland

Arnold Ruge: Ein Brief an die Berliner (Anfang 1849)

Erster Demokratenkongress 14. und 17. Juni 1848 in Frankfurt

»Centralmärzverein«, Gründungsdokumente im November 1848

Bericht über den zu Frankfurt a.M. am 6. und 7. Mai 1849 abgehaltenen Märzvereinkongress

Gesetz, betreffend die Grundrechte des deutschen Volks (27. Dezember 1848)

Was ist und was will die soziale Demokratie?

Der sozial-demokratische Freistaat: Ein Blick in die Zukunft

Anhang

Editorische Notiz

Quellen

»Alles für das Volk, alles durch das Volk«

Eine kurze Geschichte der 1848er Revolution

Von Jörg Bong

Es geht alles ganz schnell. Am 26. Februar 1848 treffen die sensationellen Nachrichten von der gerade erfolgten französischen Revolution samt Ausrufung der Republik in Baden ein. Das »größte Ereignis der Weltgeschichte«, so der demokratische Philosoph Arnold Ruge – neben Ludwig Feuerbach der zweite große philosophische Denker des neuen »Demokratismus« –, bei der »dritten französische Revolution« nämlich gehe es nun endlich um die gesamte »europäische Befreiung«.

Schon am nächsten Abend, am 27. Februar, findet in der Aula des ehrwürdigen Vereinigten Großherzoglichen Lyzeums in Mannheim die erste deutsche Großveranstaltung der revolutionären Bewegung von 1848 statt: eine der bedeutendsten Bürger-Versammlungen der deutschen Demokratie-Geschichte. 2500 Bürger, mehr als jeder zehnte Mannheimer, kommen zusammen. Und schon an diesem Abend verabschiedet das anwesende Volk das erste Manifest der Revolution: die »gerechten Forderungen des Volkes« (siehe 4 Mannheimer Märzforderungen[1]) samt eines kleinen, aber gepfefferten Prologs. Die Forderungen sind allerdings erst einmal kein Aufruf zur Revolution, sondern münden in einer »Petition« an die zweite Badische Kammer, anschließend dann an den Großherzog und seine Regierung. Dennoch ist ihre Wirkung immens: Die »Märzforderungen« machen umgehend Furore, sprich: die revolutionäre Runde in allen 34 deutschen Staaten und vier freien Städten. Der kompakte Katalog geht in die Geschichte ein.

Inhaltlich sind die Forderungen ein Kompromiss der zwei respektive drei politischen Lager innerhalb der Badischen Landtags-Opposition – durchaus paradigmatisch für alle deutschen Länder, wenn auch nirgends so zugespitzt als »Parteien« differenziert wie in Baden: den Liberalen, den aus ihnen hervorgehenden »Konstitutionellen« und den Demokraten. In den letzten zwei Jahren hatten sich die drei Fraktionen in der zweiten Kammer des Badischen Landtages – ausschließlich von einer rein männlichen ökonomischen Elite gewählt, zudem indirekt, also über Wahlmänner – politisch immer weiter voneinander entfernt. Mit den Konstitutionellen hatte sich eine »Ordnungspartei« ganz neuer Art gegründet, schon 1846 formuliert ihr Kern bei einem ersten Zusammenkommen in Durlach, auf dem auch die Gründung der »Deutschen Zeitung« beschlossen wird, dass man eine neue, starke, deutschlandweite politische Bewegung lancieren will. Die Zeitung soll »Mittelpunkt und Organ einer neuen Partei« sein. Diese jüngere Generation der Liberalen, die sich von den alten, ehrwürdigen Granden des Liberalismus abwendet, sieht sich und ihre Standpunkte mächtig im Aufwind, nicht zuletzt durch den unbedingten Rückhalt im immer erfolgreicheren Großbürgertum – einhergehend mit beachtlichen Schüben der zuvor hinter England, den USA und Frankreich erheblich zurückliegenden deutschen Industrialisierung sowie der Einsetzung einer neuen Badischen Regierung im Dezember 1846. Den neuen Mann an der Spitze, den konservativ-liberalen Johann Bekk, sehen sie als ihren Mann. Im Juli 1847 erscheint die erste Ausgabe der »Deutschen Zeitung«, vorab im Mai ein »Ankündigungsblatt«, das den politischen Antrieb unmissverständlich festhält: »Gegen Kommunisten, Sozialisten, Republikaner« – »gegen die Gewalt der blinden Agitation, gegen die geistig unfassbare Macht einer vielfach verderbten und verderblichen Literatur haben wir einen Minenkampf voll furchtbarer Gefahren zu kämpfen«[2]. Ein Bescheid, der in Inhalt, Form, Diktion in nichts zu unterscheiden ist von dem Fürstenedikt der Zeit. Karl Mathy, Friedrich Bassermann, Theodor Welcker und, an vorderster Front, Heinrich von Gagern – selbst Autor und einer der ideellen Direktoren der Zeitung – bestimmen die neue Partei. Der Kreis »beschloss, fest zusammenzuhalten gegen die zerstörenden Elemente«, gegen die »neue Lehre« der sich gerade herausbildenden Demokraten, die die Aufstachelung der »Jugend und der Arbeiter« hin zu einem »Freiheitsheer« anstreben würden.[3]

Ein politischer Grundsatz schweißt den Kreis um die »Deutsche Zeitung«, neben ihrem resoluten Kampf gegen die Demokratie, zusammen wie kein anderer: dass die Einigung Deutschlands unter Preußens Führung geschehen müsse. Man wolle vom Südwesten aus vor allem anderen preußische Interessen besprechen, bekundet die »Deutsche Zeitung«. Schon zuvor, im Sommer 46, hatte Mathy festgehalten: »Preußen muss vorwärts«, an die deutsche Spitze. Deutschland soll, wie es damals hieß, »in Preußen aufgehen« – der militärischsten aller Militärmonarchien, dessen Oberhaupt sich über Freiheit, Demokratie, Verfassungen, Parlamente und all diese, so der König, völlig »undeutschen« Ideen öffentlich mokiert und sie in Bausch und Bogen ablehnt. In den letzten Jahren hatte er alles freiheitliche Streben wie auch die Schreie seiner Hunger-leidenden Bürger mit unbarmherziger Gewalt »niederschießen« lassen. Genau ihm, der auch jetzt, am 18. März 1848, hunderte Berliner massakrieren lässt, wollen die Konstitutionellen Deutschland überantworten.

Allgemein gilt für sie: Alle politische Entwicklung müsse streng »auf gesetzlichem Weg fortgebildet werden«, mittels neuer »Vereinbarungen« mit den Fürsten. Auch das ist zentrales liberales, vor allem konstitutionelles Anliegen: Nicht ohne und nicht gegen die Fürsten. Die Mission der neuen Partei sei nachgerade der »Schutz der Verfassungen« – die nur halbherzige parlamentarische Elemente, wie etwa Petitionsrechte und Zweite Kammern, vorsehen – vor den »revolutionären Gelüsten«. Immerhin ist den Konstitutionellen vor dem Revolutionsausbruch der Kampf gegen den Despotismus 1847 noch gleich wichtig wie der gegen die neuen Demokraten: gleichermaßen gegen die »Tollkühnheit der revolutionären Ungeduld« und gegen die »Ängstlichkeit der Erhaltungspolitik«, so gibt das Ankündigungsblatt der »Deutschen Zeitung« vom 8. Mai 1847 die Devise vor.

Die Pariser Revolution im Februar 1848 ist Mathy und seinen Freunden dann bloß »zerstörender Orkan« – es klingt wie bei Metternich, dem Großrestaurator des Deutschen Bundes und der »Heiligen Allianz« Preußens und Österreichs mit dem restaurativen Russland. Die Konstitutionellen geben sich mit dem Ausbruch der Revolution harsch antirevolutionär: Die Revolution drohe zu »versenken, was zum Heil des Vaterlandes bewahrt werden musste«. Zwar sei in Frankreich ein »unhaltbares System« gestürzt, aber es dürfe nun jenseits des Rheins unter keinen Umständen »die verfassungsmäßigen Gewalten mit sich reißen«. Man habe »durch mehrjährigen angestrengten gesetzlichen Kampf (…) in Baden große Erfolge erreicht«, so viel »Gewinn für die Freiheit«, der jetzt nicht durch »Zügellosigkeit« vernichtet werden dürfe.

Das ist die konstitutionelle Reaktion auf das Geschehen in Paris, das die Demokraten hingegen als das »größte Ereignis der Weltgeschichte« feiern. Klar, dass sie dann mit gegensätzlichen, heftig kollidierenden Programmen antreten. Zwischen den Demokraten und den alten Liberalen hingegen, die der große, längst weißhaarige, integre Adam von Itzstein heldenhaft verkörpert, gibt es eine ganze Reihe politischer Übereinstimmungen. Zwar wollen auch die »parlamentarischen Liberalen« an der konstitutionellen Monarchie festhalten, dem Parlament aber weisen sie die zentrale Funktion und Macht zu.

Schon seit der ersten französischen Revolution 1789 hatte es in den deutschen Sphären – vor allem im Exil vieler Deutscher, in den Nordamerikanischen Freistaaten und in Paris, wo 62 000 Deutsche lebten, die achtgrößte deutsche Stadt der Zeit – hier und dort dezidierte republikanische, demokratische Stimmen und Impulse gegeben; man denke nur an Georg Büchner und seinen Kreis, an Ludwig Börne, Heinrich Heine oder an Georg Herwegh, den neben Heine damals berühmtesten deutschen Literaten. Nun aber, mit dem Ausbruch der Revolution im Frühjahr 1848 flammt eine erste breitere demokratische Bewegung auf. Tausende, zehntausende Frauen und Männer bekennen sich zur demokratischen »Confession« und nehmen den Kampf auf, rebellieren unter Einsatz ihres Lebens gegen die herrschenden deutschen Militär- und Polizeidespotien. Sie fordern nicht bloß vage »Freiheit und Einheit«, sondern eine – bereits umfassend differenzierte – demokratische Bundesrepublik, einschließlich freier allgemeiner, direkter Wahlen, einer freiheitlichen Verfassung, einem Grundrechtekatalog, einer Gewaltenteilung sowie, ganz wichtig, einer europäischen Union aller freien europäischen Nationen. Darüber hinaus machen sie die fürchterliche Misere Millionen völlig rechtloser, hungerleidender Deutscher – der damaligen großen Mehrheit – zur politischen Priorität. Sie fordern politische und »physische Freiheit«. »Materielle Wohlfahrt« für alle, ist die Parole, eine wirkliche Lösung der »sozialen Frage«.

»Fortschrittsfrauen«

»Es lebe die demokratische und soziale Republik!«, ruft eine der bekanntesten Demokratinnen aus, Amalie Struve. Sie gehört zu den vielen Revolutionärinnen, die Pionierinnen der Demokratie und der Emanzipation gleichermaßen sind: Emma Herwegh, Louise Aston, Mathilde Anneke, Malwida von Meysenburg, Louise Otto-Peters, Johanna Kinkel, Louise Dittmar, Nahida Sturmhöfel, Ida von Hahn-Hahn, Luise Büchner, Henriette Obermüller, Kathinka Zitz-Halein, Fanny Lewald, Lucie Lenz oder Clotilde Koch-Gontard – um nur einige wenige zu nennen. Erinnert man sich in der heutigen Bundesrepublik überhaupt je an die frühen Demokraten – und das geschieht beschämend selten –, sind es die Revolutionäre, nicht die Revolutionärinnen, derer gedacht wird. »Die Teilnahme der Frauen an den Interessen des Staates ist nicht nur ein Recht, sondern auch eine Pflicht«, stellt Louise Otto-Peters schon 1842 in den »Sächsischen Vaterlands-Blättern« heraus, in denen ihr progressiver Herausgeber, Robert Blum, die Frage nach der Stellung der Frau in Gesellschaft und Staat aufgeworfen hatte. De facto war Frauen das Recht jedweden politischen Engagements vorenthalten. So können sie auch 1848 keine offiziellen Rollen spielen, weder in staatlichen Funktionen noch in Parlamenten oder sonst wo. Dennoch prägen sie die revolutionäre Bewegung wesentlich mit. »Indem wir die Gleichstellung der Frauen mit den Männern begehren, verlangen wir nur, dass ein ewiges Menschenrecht, welches Jahrtausende hindurch mit Füßen getreten wurde, endlich zur Wahrheit werde«, proklamiert Amalie Struve. Ihr Buch über die Revolution, »Erinnerungen aus den badischen Freiheitskämpfen«, wird sie programmatisch »den deutschen Frauen« widmen.

1848 formiert sich auch die erste breite öffentliche Frauenbewegung der deutschen Geschichte – auch sie wird, wie die gesamte demokratische Bewegung, am Ende brutal niedergeschlagen und um viele Jahrzehnte zurückgeworfen. Was wäre alles möglich, denkbar, machbar gewesen? Emma Herwegh begreift den historischen Moment als »Kampf um die Existenz«, als »Kampf der Zivilisation gegen die Barbarei, zwischen der neuen und der alten Welt«[4]. Die 33-jährige, leidenschaftlich demokratische Schriftstellerin Louise Aston, die 1847 den revolutionären Bericht »Meine Emanzipation« publiziert, 1849 dann den bitterbösen, wütenden Zeitroman »Revolution und Conterrevolution«, hatte vorhergesehen, »dass wir großen und ernsten Stürmen entgegengehen«: »Denn wenn die beiden Mächte, Absolutismus und Volksbewusstsein, einander gegenübertreten, so kann der Kampf nur ein Kampf auf Leben und Tod sein.«[5] Ein Showdown zwischen Freiheit und jahrhundertealter Unfreiheit.

Alle gegen die Demokraten

Die »Volkssouveränität« wird zur zentralen Losung, mit anderen Worten: die Demokratie. Sie ist die noch ganz junge neue Heldin der Geschichte. Umgehend werden die Demokraten ohne Pardon bekämpft, von den Fürsten – führend vom preußischen König Friedrich Wilhelm und seinem Bruder Wilhelm, dem späteren ersten gesamtdeutschen Kaiser –, von stolzen »Ultra-Conservativen«, wie etwa dem ersten gesamtdeutschen Regierungschef Bismarck, und von den Klerikalen sowieso. Ebenso aber auch von den Kommunisten, von Marx und Engels höchstpersönlich. Besonders emsig tut sich im Kampf gegen die Demokraten das neue, resolute konstitutionelle Lager der Liberalen hervor, die sich nach einer neuen »Größe Deutschlands« sehnen. 1848, 1849 bildet sich auch eine neue »nationale Partei« heraus, ein chauvinistisch-deutsches Missionarentum ganz neuer Qualität und Dimension. »Nationalitätsfanatismus«, nennen es die Demokraten.

Die liberal-konstitutionellen »Märzregierungen« sind es dann, die die erste breitere demokratische Bewegung im deutschen Südwesten, speziell in Baden, unter Inanspruchnahme des kurz zuvor noch bekämpften Bundes, im April 1848 militärisch und polizeilich brutal niederschlagen, ganz zur Freude der anfangs erheblich geschwächten Monarchen, die ihren Augen nicht trauen. Die Revolution erledigt sich von selbst. Die badischen Demokraten – die demokratische Hochburg – werden ab dem 5./6. April von der Reformregierung offiziell für vogelfrei erklärt, verfolgt, verhaftet, eingesperrt, ins Exil getrieben; sie fehlen schmerzlich im Deutschland der nächsten Jahrzehnte – tausende mutige Frauen und Männer, die fast völlig vergessen wurden, dabei markieren sie den heroischen wie tragischen Anfang unserer heutigen deutschen Demokratie und Nation. Ihnen war schmerzlich bewusst, was uns gegenwärtig an Bewusstsein abhandenkommt: Demokratische Verhältnisse sind kein natürlicher, naturgegebener, selbstverständlicher Zustand, kein Geschenk, von niemandem und nichts gegeben, sondern das dramatische Gegenteil davon. Die geschichtliche Ausnahme. Blutig erkämpft, errungen gegen die Tyrannei und Barbarei. Nie, in keinem einzigen Moment, ist die Demokratie ein sicher erreichter Zustand, sondern ein permanent andauernder Kampf.

So nimmt es kein Wunder, dass die »Wehrhaftigkeit« der Demokratie von Beginn an im Zentrum der demokratischen Selbstreflexion steht, schon 1848 benutzt einer der bedeutendsten Demokraten das Wort. Wie umgehen mit den erbitterten Feinden der Demokraten? Solchen, denen jenes Mittel recht ist: politische Lügen, Intrigen, Demagogie, massive Propaganda, Bespitzelung, Überwachung, Zensur, Verhaftungen, Folter, polizeilicher Terror, politische Morde, militärische Invasion, Bürgerkrieg … Wie verhält sich ein Demokrat demjenigen gegenüber, der ihn und die ganze Demokratie vernichten will, völlig egal, ob offen oder verdeckt? Wie weit geht die Toleranz? Ethische, politische Skrupel, politische Aufrichtigkeit, die Suche nach der Wahrheit, die kritische Selbstreflexion sind den Demokraten 1848 hohe demokratische Tugenden – wie aber wird daraus keine Schwäche gegenüber denen, die all das mit Füßen treten und aufs Messer bekämpfen? Finsterer könnte die Ironie nicht sein, wenn der Kampf ausgerechnet durch diese Tugenden – in unserem Bewusstsein eigentlich ja Stärken – verloren würde. So ist auch dieser Punkt den frühen Demokraten zentral: Die Demokratie, die Freiheit, muss die mächtigste aller Armeen haben, nicht ihre Gegner – auch diese Wehrhaftigkeit ist gemeint.

Das Initial

Keinen Kompromiss, sondern ein Grundsatzprogramm im leidenschaftlichen demokratischen Geiste stellen die 13 Forderungen des Volkes in Baden dar, die die Demokraten rund ein halbes Jahr vor dem Revolutionsausbruch bei einem legendär gewordenen Treffen in Offenburg formuliert hatten – auch das ein zentrales historisches Datum für die Geschichte der deutschen Demokratie, ihr eigentlicher Feiertag vielleicht. Am Sonntag, den 12. September 1847, kommen im großen Saal des Offenburger Gasthof Salmen rund 900 demokratisch gesinnte Köpfe zu einer Wahlkampfveranstaltung zusammen. Zudem, verbotenerweise, ein gewaltiges Volks-Publikum.

Anlass ist die anstehende Nachwahl für die zweite Kammer, es war der allererste deutsche Wahlkampf überhaupt, Oppositionelle sehr unterschiedlicher politischer Färbung konkurrieren miteinander. Man will den demokratischen Kandidaten Christian Kapp unterstützen, die Wahl ist im Oktober. Kapp, Heidelberger Philosophieprofessor, ist ein enger Freund Ludwig Feuerbachs und Georg Herweghs, auch er ein profilierter Vordenker der Demokratie, im Mai dann auch Abgeordneter im Paulskirchenparlament.

Schon im Januar 1847 hatte der junge Anwalt, Journalist und Zeitungsverleger Gustav Struve – wegen Menschenfreundlichkeit aus dem Staatsdienst entlassen – an den überaus populären Regionalpolitiker und Verleger der »Seeblätter« in Konstanz, Joseph Fickler, geschrieben, dass doch am besten einmal alle demokratisch gesinnten Köpfe zusammenkommen sollten, um über ihre Grundsätze, Ziele und ein politisches Vorgehen zu sprechen. In Offenburg ist es nun so weit. Eine Urversammlung deutscher Demokraten.

Unter der Führung von Struve und seinem engen Gefährten Friedrich Hecker – promovierter Jurist, seit 1842 Deputierter in der Zweiten Badischen Kammer, er ist zusammen mit dem gebürtigen Kölner und in Leipzig wirkenden Robert Blum[6] bald der berühmteste aller demokratischen Revolutionäre, ein echter republikanischer Star – werden 13 Forderungen des Volkes erarbeitet, ein Basiskatalog demokratischer Forderungen, auch wenn die Republik als expliziter Begriff noch fehlt. Hecker ist es, der in Offenburg die 13 Postulate vorträgt. Die elementare Sprache und der verfügende Duktus haben Grundgesetz-Charakter, rhetorisch gestärkt durch die dreizehnfach wiederholte Ermächtigung, mit der jede Forderung anhebt: »Wir verlangen …«

Freiheit ist der Schlüsselbegriff. Und die »soziale Frage«, die Misere der Millionen. Ganze fünf der dreizehn Artikel dieses ersten demokratischen Grundgesetzes setzen die soziale Frage auf die Tagesordnung. Fast zwei Drittel der Menschen in den größeren Städten leben in Armut, Handwerker, Gesellen, Fuhrleute, Arbeiter, Fabrikarbeiter – ohne Rechte, ohne Mitsprache, viele Hunger leidend und gar an Hunger sterbend. Männer, Frauen, auch Kinder werden in 16-Stunden-Arbeitstagen »vernutzt«, wie es hieß, in Berlin, Wien, Hamburg, München, Köln, Königsberg … Auf dem Land leiden ganze Regionen Hungersnot, Männer, Frauen, Kinder fallen auf der Straße tot um und werden liegengelassen, Mütter stillen Säuglinge mit Blut, einzige Nahrung sind oft Suppen aus gekochten Maikäfern, in den eisigkalten Wintern wird Reisig verbrannt, in Hütten ohne Rauchabzug, was vor allem die Kinder erblinden lässt (…).

Demgegenüber steht ein enormer Reichtum weniger, die von dem begonnenen titanischen Projekt der Industrialisierung profitieren und schnell reicher werden als die Monarchen, auch wenn diese die 34 deutschen Länder als oberste Instanzen mit Gottes Mandat, so ihr Selbstverständnis, als eigenständige Staaten souverän regieren – obwohl der ganze Bund von Preußen und Österreich dominiert wird, die wiederum untereinander heftig konkurrieren. Nur beim Thema Unterwerfung, sprich Militär, das seit 1815 nur im Inneren gegen die Hungeraufstände zum Einsatz kam, funktioniert die deutsche Einheit. Ein »einig deutsches Vaterland« gibt es nicht. »Es gibt kein Deutschland«, so der Bescheid des einflussreichen »Volkstümlichen Handbuchs der Staatswissenschaften und Politik« Anfang 1848, herausgegeben von Robert Blum. Was seit 1815 existiert, ist der »Deutsche Bund«, eine fast ausschließlich repressive Militär-, Polizei- und Geheimdienst-Kooperation der deutschen Fürsten und Monarchien. Ansonsten herrscht der »Partikularismus«. Preußen besitzt nicht einmal eine Verfassung, geschweige denn eine gewählte zweite Kammer, wie es im Südwesten längst gang und gäbe ist, auch wenn die zentralen Bundesgesetze zur Repression selbst dort massiv in die – relativ – liberalen Verfassungen eingreifen. Für die Oppositionellen – Liberale und Demokraten gleichermaßen – bedeutet ihr Engagement deshalb vor allem eines: Repressionen allenthalben, Überwachung, Bespitzelung durch geheime Informanten, Zensur, Versammlungsverbote, Verfolgung, Schikanen, Vertreibung, Heimatverlust (etwa Heine, Börne, Herwegh, Ruge, Marx), Berufsverbote, absichtlich verschleppte Prozesse, Verhaftungen, Gefängnis und Kerker, teils lebenslang, Folter und zuweilen auch politischer Mord.

Die Offenburger Versammlung von 1847 wird zum medialen Großereignis, alle Zeitungen berichten. So werden die demokratischen Forderungen deutschlandweit bekannt – auch bei den Fürsten, dem Bund und dem österreichischen Staatsminister Metternich. Sie hatten das Treffen ohnehin geheimdienstlich überwachen lassen. Sechs Mutige unterzeichnen die Forderungen namentlich, unter ihnen Struve, Hecker und Fickler. Gegen sie und alle Redner leitet die badische Regierung umgehend Untersuchungen ein, will Verhaftungen erreichen und verbietet weitere ähnliche Versammlungen. Trotz allem: Die 13 Forderungen, inspiriert von Frankreichs Revolutionen 1789 und 1830 sowie der Verfassung der USA (Bill of Rights und Erklärung der Menschenrechte) sind in der Welt, ein erstes demokratisches Manifest für Deutschland, die Mutter aller demokratischen Programme Deutschlands.

Struve und Hecker erstellen direkt nach dem Treffen eine kompakte Fassung für die zweite Badische Kammer. Nur will die Kammermajorität davon nichts wissen. Einer ihrer Führer, der Konstitutionelle Karl Mathy, entgegnet: »Wir sehen im Offenburger Manifest die wirklich rücksichtslose, wirklich freche Kriegserklärung einer Partei, welche sich allem Bestehenden entgegensetzt.« Schon hier wächst sich der konstitutionelle Angriff auf den demokratischen Gegner zur Aggression aus, die sich im Frühjahr 1848 täglich steigern wird, Artikel für Artikel in der »Deutschen Zeitung« nachzulesen, die Mathy und seinem konstitutionellen Kompagnon Bassermann gehört. Die demokratische »Confession« ist keine – mit der eigenen konkurrierende – politische Position mehr, sie ist illegitim, illegal, eine Kriegserklärung.

Der 1849 exekutierte Journalist Ernst Elsenhans erörterte die demokratische Idee programmatisch lehrbuchhaft (siehe Was ist und was will die soziale Demokratie?): »Kein Wort (ist) in Deutschland so oft wiederholt worden als das Wort: Volkssouveränität. In den Kammern und Clubs, in Zeitungen und Volksversammlungen, auf den Bierbänken und sogar von den Kanzeln herab ward es verkündet – die neue Botschaft, dass nicht ein einzelner von Gottesgnaden, sondern das Volk souverän oder wie wir Leute sagen: Herr im Hause sei.« Und dann gibt Elsenhans einen kompakten geschichtlichen Abriss: »Im vorigen Jahrhundert glaubte man noch, Adel und Geistlichkeit seien das Volk, die übrigen Leute bloß Haustiere. Ströme von Blut wuschen diesen Irrtum allmählich aus den Augen der Welt; sie gab zu, dass die reichen Bürger mit den hübschen Häusern und vollen Beuteln auch zum Volke gehörten und das nur die armen Arbeiter, die kleinen Bürger und Bauern so eine Art von Kettenhunden wären.«

»Demokratismus«

Die Demokraten fordern »eine Verfassung, in welcher die Gesamtheit die Verantwortlichkeit für die Freiheit und Wohlfahrt des Einzelnen übernimmt«[7]