@fouND - Andi Rock - E-Book

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Andi Rock

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Beschreibung

Skrupellose Schlepper auf der Jagd nach Frischfleisch. Das schmutzige Geschäft um Rauschgift und Prostitution blüht in den berüchtigten Slums Manilas, der Brutstätte der Straßengangs. Während Dealer die Stadt mit der Billigdroge Shabu fluten, verschleppen Zuhälter schutzlose Mädchen aus den Provinzen, machen sie mit Drogen gefügig und verkaufen sie in ihren Bordellen an sexhungrige Kundschaft. Angel und Joycee, zwei philippinische Teenager, leben wohl behütet auf einer kleinen Insel im Herzen der Philippinen, bis eines Tages eine Mitschülerin spurlos verschwindet. Aus Neugier machen sie sich auf die Suche nach dem vermissten Mädchen und geraten zufällig auf die Spur der Mad Dogs. Als sie den Schleppern der Gang in die Quere kommen, wird aus einem kindlichen Detektivspiel blutiger Ernst. Sie geraten ins Visier der Bande und werden in einen Sumpf aus Prostitution, Drogen und Bandenfehden gezogen. Gejagt, getrennt und misshandelt kämpfen sie um ihre Freiheit und Freundschaft. Was ist ein Leben wert? Im zweiten Teil von @fouND schockiert Andi Rock seine Leser mit einem Blick hinter die Kulissen einer verbotenen Welt voller Perversität und Menschenverachtung.

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Veröffentlichungsjahr: 2023

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Inhaltsverzeichnis

PROLOG

KAPITEL 7 - SIBUYAN

KAPITEL 8 - WHITEPOOL

KAPITEL 9 - HAPPY NEW YEAR

KAPITEL 10 - RAID

KAPITEL 11 - SHOWDOWN

KAPITEL 12 - IUSTITIA

EPILOG

PROLOG

Michelle lud die Einkaufstüten in den Kofferraum ihres japanischen SUV. Sie musste sich beeilen, da die Kinder in einer halben Stunde Schulschluss hatten. Ihre beiden ältesten Töchter besuchten die Highschool, die sich drei Straßen weiter befand. Ihr Sohn ging noch in die Elementary School, die direkt an die Highschool anschloss, was praktisch war, da sie die Kinder zusammen zur Schule bringen und auch wieder abholen konnte. Michelle wusste zwar, dass die Kinder den Heimweg alleine finden würden, trotzdem hatte sie es sich zur Angewohnheit gemacht, sie jeden Tag abzuholen, meist gegen den Protest der beiden Mädchen. Wie alle Teenager in dem Alter wollten sie sich nicht von einem Elternteil abholen lassen und lieber eigene Wege gehen. Manchmal hatte Michelle ein Einsehen und ließ sie laufen. Aber nie ihren Kleinen, ihn holte sie immer ab. Es war der Preis für ihre Vergangenheit und Michelle zahlte ihn gerne.

Wenn sie einige Jahre zurückblickte, dann empfand sie ihr heutiges Leben als nahezu paradiesischen Zustand. In der Zeit vor San Juan wurden die Kinder von bewaffneten Leibwächtern in Schule und Kindergarten begleitet und auch wieder abgeholt. Auch sie konnte keinen Schritt unbeobachtet unternehmen, aber Michelle hatte sich irgendwann damit arrangiert. Für die Kinder war es aber eine Plage gewesen, da sie es nicht verstanden. Nie durften sie alleine auf die Straße gehen, nie ihre Freunde ohne Begleitung besuchen. Immer war ein bewaffneter Security-Mann in ihrer Nähe. Erst seitdem sie das neue Haus in North Greenhills bezogen hatten, lockerte ihr Mann sanft die Sicherheitsvorkehrungen. Sie hatte vor Glück geweint, als sie diese dunklen Zeiten hinter sich gebracht hatten.

Das Leben in North Greenhills war angenehm. Es gab alles, was eine Familie benötigte, vor allem war es aber eine behütete Zuflucht. Vollständige Sicherheit gab es auch hier nicht, aber immerhin ging sie so weit, dass sie den Tag mit einem positiven Gefühl starten konnte und nicht mit Angst. Dies allein war schon viel wert. Sie hatten sogar einen Golfplatz ein paar Straßen weiter und das mitten in Manila. Michelle konnte zwar nicht spielen, aber es war ein gutes Gefühl, jederzeit damit anfangen zu können. Viel zu oft in ihrem Leben hatte sie das Gefühl vermisst, etwas tun zu können, nur weil sie es wollte. Michelle hatte kein Interesse an Golf, für sie war der Platz lediglich ein Symbol der Freiheit, über ihr Leben selbst bestimmen zu können.

San Juan war die Kleinste der sechzehn Städte, die zusammen die Metropolregion Manila bildeten. Es war ein Kleinod inmitten dieses hektischen Molochs, ganz anders als das Armenviertel Payatas in Quezon City aus dem sie ursprünglich stammte und wo sie zuvor mit ihrer Familie lebte. Obwohl nur wenige Kilometer entfernt, fühlte es sich an, als läge ihre Herkunft in einem anderen Diesseits, in einer Parallelwelt voller Düsternis, Gewalt und Elend.

»Der Weg aus den Slums in die noblen Viertel von Manila war lang und steinig gewesen.« Michelle wusste ihr heutiges Leben zu schätzen, sie hatte andere Zeiten kennengelernt. Manchmal war es schon so weit weg von ihr, dass sie dachte, alles wäre nur ein böser Traum gewesen.

Zweimal in der Woche fuhr Michelle zur Greenhills Mall, meistens direkt, nachdem sie die Kinder in die Schule gebracht hatte. Hier gab es alles, was die Familie im täglichen Leben benötigte. Zudem lag die Mall im sicheren Viertel und die Schule war nicht weit davon entfernt.

Auch heute war die Mall ihr erstes Ziel gewesen, nachdem sie die Kinder abgesetzt hatte. Zuerst ging sie in den Schönheitssalon, wo sie sich mit einer Gesichtsmassage verwöhnen ließ. Danach suchte sie ein Geschenk für ihren Mann aus. Es musste nichts Besonderes sein, wichtig war nur die Geste. Zum Schluss kaufte sie die Lebensmittel ein.

Vollbeladen mit Tüten kam sie nach Stunden auf den Parkplatz zurück. Es war ihr Hochzeitstag und der heutige Abend sollte ein Besonderer werden. Wenn ihr Mann am Abend nach Hause kam, wollte sie ihn richtig verwöhnen, mit gutem Essen, einem Glas Wein und einem fröhlichen Abend im Kreis der Familie. Sie wusste, dass ihr Mann beruflich stark angespannt war. Umso wichtiger war es, dass er am Abend abschalten und entspannen konnte. Wenn sie sich viel Mühe gab, konnte sie ihn vielleicht auch zu mehr animieren. Michelle lächelte bei dem Gedanken.

Sie verstaute alle Tüten im Kofferraum und lief zur Fahrertür, als plötzlich eine Gestalt hinter dem direkt daneben parkenden Auto hervorgesprungen kam. Der Fremde hielt ein Messer in der Hand und stürzte auf sie zu. Bevor Michelle richtig reagieren konnte, hatte der Mann sie an den Haaren gefasst, drückte sie vor sich auf die Knie und hielt ihr ein Messer an die Kehle. Seine Stimme klang panisch. »Dein Geld. Her damit, und zwar alles. Verstanden?«

Michelle verstand genau. Auch wenn sie heute aussah wie eine Dame der High Society, ihre Herkunft aus den Slums hatte sie nicht vergessen. Von einer Sekunde auf die andere war sie wieder mitten in ihrer Vergangenheit, die geprägt war durch Gewalt und Todesangst. Es war noch in ihren Genen, sie wusste genau, was sie zu tun hatte.

»Hier nehmen sie die Tasche. Es ist alles da drin.« Michelle hielt dem Angreifer ihre Handtasche entgegen. Der Mann griff danach und ließ Michelles Haar los.

»Wenn nichts drin ist, steche ich dich ab«, zischte er und öffnete die Tasche. Michelle überlegte für eine Sekunde, ob sie fortlaufen und schreien sollte, aber der Mann war garantiert schneller als sie. Nach wenigen Metern hätte er sie eingeholt.

Sie betrachtete ihn aus den Augenwinkeln. Ihr Angreifer war keiner dieser halbwüchsigen Kriminellen, die wie hungrige Zombies durch Manilas Straßen schlichen, aber er war bestimmt noch keine dreißig Jahre alt, wobei das Alter bei seinem Aussehen schwer einzuschätzen war. Er sah ungepflegt aus, und seine Haare klebten schmierig an der Kopfhaut. Selbst im Freien konnte sie seinen strengen Körpergeruch wahrnehmen. Bestimmt hatte er sich seit Tagen nicht mehr gewaschen. Die Kleidung war billig und verschlissen, das Outfit eines Drogensüchtigen. Er war einer der vielen Verwahrlosten, die Tag und Nacht auf der Jagd nach Geld für den nächsten Kick waren. Dieser hier war allerdings der Erste, auf den sie in San Juan stieß.

Er machte ruckartige, zappelige Bewegungen, war unstet und redete abgehackt, schnell und wirr. Michelle hatte schon viele Abhängige gesehen und erkannte sie sofort. Die meisten waren wesentlich jünger. Der Mann vor ihr hatte schon mehrere Jahre auf der Straße hinter sich, er wusste genau, was er tat und hatte bis heute überlebt. Sehr wahrscheinlich war seine Hemmschwelle für den Einsatz des Messers sehr gering, wenn sie überhaupt noch vorhanden war. Wollte sie die nächsten Minuten überleben, dann durfte sie keine Fehler machen.

»Ist das alles?«, brüllte er, als er ihre Geldbörse öffnete. Er hielt die wenigen Geldscheine in die Luft.

Michelle hatte nie viel Geld bei sich. Ihre Einkäufe erledigte sie immer bargeldlos und deshalb hatte sie nur wenige Peso, dafür aber viele Kreditkarten in ihrer Geldbörse.

»Da sind Kreditkarten drin«, versuchte sie ihn zu beschwichtigen.

»Was soll ich mit den Scheiß Karten«, brüllte der Mann.

Michelle blickte sich hilfesuchend um, ob sich jemand in ihrer Nähe befand. Eigentlich waren die Geschäfte der Mall immer gut besucht und die Parkplätze von Menschen belebt, aber ausgerechnet diesen Vormittag zog ein Unwetter über Manila, das erst gegen Nachmittag verzogen sein sollte. Michelle war nur deshalb hier, weil sie die Kinder zur Schule gefahren hatte und dringend für den Abend einkaufen musste. Hätte sie die Wahl gehabt, wäre sie auch erst später gekommen.

Der Parkplatz war nahezu leer, es standen zwar einige geparkte Fahrzeuge herum, aber Menschen waren nur am Hintereingang zur Mall zu sehen, der ein gutes Stück entfernt lag. Und niemand von dort erkannte ihre Notlage.

»Warum habe ich nur so weit entfernt vom Eingang geparkt?«

Es war reine Gewohnheit. Da die Mall immer gut gefüllt war, hatte Michelle nach einigen Monaten und Dutzenden Besuchen, eine bestimmte Parkfläche am Rand gefunden, wo es immer freie Plätze gab. Dort parkte sie jedes Mal, egal wie voll oder leer der restliche Parkplatz war. Es war ein lieb gewonnenes Ritual, außerdem stand das Fahrzeug an der Stelle im Schatten einiger Bäume. Dafür nahm sie gerne den etwas weiteren Weg zur Mall in Kauf.

»Was ist im Wagen?«, riss der Mann sie aus ihren Gedanken. Er blickte in den Kofferraum und wühlte in den Tüten, fand aber nichts als Lebensmittel. Er blickte Michelle finster an.

»Hören Sie«, flehte Michelle. »Mein Mann ist reich und mächtig. Ich kann ihnen Geld besorgen.«

»Erzähl keinen Scheiß, verdammte Schlampe. Ihr reichen Fotzen habt immer Geld bei euch. Wo ist es? Ich schwöre dir, ich steche dich ab.« Die Situation begann zu eskalieren.

Mit einem Fluch riss er die Beifahrertür auf und öffnete das Handschuhfach. Er wühlte in den wenigen Gegenständen darin, in der Hoffnung etwas Bargeld zu finden, aber Michelle wusste, dass er nichts finden würde. In zwei Sekunden würde er es selbst bemerken. Es fühlte sich an, wie ihre letzte Chance, bevor die Situation endgültig eskalierte.

Michelle drehte sich um und lief. Sie wählte die Straße als Ziel, die näher lag, als der mit Menschen spärlich belebte Eingang zur Mall. Wenn sie die viel befahrene Straße erreichen konnte, dann würde ihr Verfolger bestimmt abdrehen.

Die Straße fest im Blick lief sie, so schnell sie konnte, aber sie hatte keine flachen Laufschuhe an. Es war müßig und sie kam gefühlt kaum vom Fleck. Michelle konzentrierte sich darauf, einen Fuß vor den anderen zu setzen. Immer und immer wieder. Sie hörte Flüche in ihrem Rücken. Der Mann hatte ihre Flucht bemerkt. Erst hörte sie ihn leise, dann immer lauter werdend. Er stieß Drohungen aus, was ihre Beine noch weicher machte. Unsicher stolperte sie ihrer Rettung entgegen, die einfach nicht näher kommen wollte. Sie spürte, dass ihr Verfolger ihr mit jedem Schritt dichter auf den Fersen war und der Weg zur Straße war noch weit. Zu weit.

»Gleich hab ich dich. Ich steche dich ab.«

Die Stimme klang beängstigend nahe, der Mann konnte fast flüstern und Michelle hörte ihn trotzdem. Anstatt zu beflügeln, lähmte sie der Gedanke, dass der Jäger direkt hinter ihr war und nur noch seine Hände nach ihr ausstrecken musste. Es war wie in einem ihrer Albträume, sie versuchte zu fliehen, kam aber nicht vom Fleck. Immer wachte Michelle davon schweißgebadet auf, doch heute würde es kein Erwachen geben. Und keine Erlösung.

Sie hörte die Motoren der Fahrzeuge auf der Straße. Es waren jetzt nur noch wenige Meter bis zur Fahrbahn. Sie befand sich direkt hinter der hohen grünen Hecke vor ihr, die den Parkplatz der Mall von der Straße trennte. Verzweifelt versuchte sie, ihre Schrittfrequenz zu erhöhen, was mit den Schuhen unmöglich war. Michelle stolperte, fiel auf den harten Steinboden und schlug sich dabei ihre Knie auf. Aber sie hatte keine Zeit, den Schmerz wahrzunehmen. Eine Sekunde später packte der Verfolger erneut ihr langes Haar und zog sie mit Gewalt zu der Hecke. Er zerrte sie an eine verdeckte Stelle, wo sie von der Mall aus nicht mehr zu sehen waren. Jetzt wurde ihr klar, wieso sie überhaupt so weit gekommen war. Der Mann hatte sie absichtlich weiterlaufen lassen, bis sie die dichten Sträucher erreicht hatte. Er hätte sie längst greifen können, aber er hatte einfach nur gewartet, bis sie in der Nähe der großen Hecke war. So musste er sie nicht extra dahinzerren.

Michelle schrie auf, der Mann holte aus und schlug sie mit der flachen Rückseite seiner rechten Hand brutal ins Gesicht. Sie fiel hinten über und stürzte mit dem Rücken auf den staubigen Boden. Der Mann bückte sich, spreizte ihre Schenkel auseinander, kniete sich zwischen diese und zog ihren Rock nach oben.

»Wenn du kein Geld hast, dann hole ich mir eben etwas anderes.«

»Bitte nicht.« Michelle begann zu wimmern.

Der Mann lachte heiser. »Zier dich nicht so. Ihr reichen Fotzen habt es doch immer nötig. Eure Schlappschwänze zu Hause bringen doch keinen mehr hoch, so fett gefressen wie sie sind. Jetzt zeige ich dir, wie man auf der Straße fickt.«

Mit seinem Messer schnitt er ihren Slip an der Seite auf und zog ihn mit Gewalt weg. Michelle fing an zu strampeln und wehrte sich. Der Mann schlug sie ein weiteres Mal, dann setzte er das Messer erneut an ihre Kehle.

»Ich mag Wildkatzen gerne. Aber wenn du jetzt nicht still hältst, wirst du deine Kinder in diesem Leben nicht mehr wiedersehen.«

Bei den Worten erstarrte Michelle. Mit aufgerissenen Augen sah sie zu, wie der Mann den obersten Knopf seiner Hose löste.

KAPITEL 7 - SIBUYAN

Samstag, 17. März 2012

»Und dann war sie einfach weg. Von einem Moment auf den anderen«, erzählte der Vater.

»Das kann doch nicht sein«, wunderte sich Alphonso. Er blickte den Mann fragend an.

»Am Mittwochmorgen ist sie ganz normal zur Schule gegangen, wo sie aber nie angekommen ist. Das wissen wir von der Lehrerin, die bestätigt hat, dass Leah nicht beim Unterricht war. Wir haben auch ihre Mitschülerinnen und Freundinnen befragt, aber die wissen auch nichts.«

»Vielleicht ist etwas passiert. Ein Unfall oder etwas anderes. Vielleicht ist sie im Hospital?« Paci versuchte, sich zurückhaltend zu äußern, er wollte die Sorgen des Vaters nicht noch mehr verstärken und vor dem Offensichtlichen ablenken. Allerdings war dies sowieso kaum möglich, wie er am fahrigen Verhalten des Vaters erkennen konnte.

»Der Weg zur Schule ist nicht weit. Was sollte da passieren können, unbemerkt und unentdeckt von allen? Ich habe natürlich alles abgesucht und auch die Anwohner befragt, aber nichts erfahren.«

»Hast du die Polizei schon eingeschaltet?«, übernahm wieder Alphonso die aktive Rolle unter den Zuhörenden.

»Natürlich. Gleich am Donnerstag.«

»Wieso erst am Donnerstag und nicht schon am Mittwoch?«, hakte Alphonso direkt nach.

»Weil ich erst am Donnerstagmorgen bemerkt habe, dass Leah über Nacht nicht nach Hause gekommen ist. Um die Zeit, wo sie normalerweise von der Schule heimkommt, bin ich meistens noch bei der Arbeit. Oft komme ich erst spät am Abend nach Hause, so auch letzten Mittwoch und dann sehe ich sie nicht immer.«

Paci verstand ihn gut. Der Mann war alleinerziehend, die Frau war schon vor Jahren davongelaufen und andere Kinder hatte er nicht. Paci kannte nur zu gut die Sorgen, allein für das Wohl einer Tochter zu sorgen und gleichzeitig berufstätig zu sein. Sein Glück war, dass er bei Alphonso wohnte, so hatte er eine Familie, die vieles auffing.

»Morgens ist sie nicht zum Frühstück erschienen. Ich bin dann in ihr Zimmer gegangen und erst dort habe ich bemerkt, dass sie in der Nacht gar nicht zu Hause war.

»Wie können wir helfen?«, fragte Alphonso. Er legte seinen Arm mitfühlend um die Schultern des Mannes, der ihn verzweifelt anblickte. Er kannte jetzt zwar dessen Sorgen, wusste aber noch nicht, warum er damit zu ihm gekommen war, zumal sie in der Vergangenheit nie Kontakt miteinander gehabt hatten. Eigentlich kannte ihn Alphonso nur vom Sehen.

»Ich dachte, wir könnten deinen Sohn fragen, ob er etwas über Leah weiß?«

»Isko?« Sein Sohn und die verschwundene Leah besuchten die gleiche Schulklasse, aber warum sollte ausgerechnet er etwas über ihren Verbleib wissen.

»Du meinst, Isko kann dir mehr erzählen?«, fasste er seine Überraschung in Worte.

»Jetzt wird es spannend«, flüsterte Joycee Angel zu, die in der Ecke saßen und der Unterhaltung stumm folgten. Angel nickte, sie wusste, worauf Joycee hinauswollte. Ihr Vater würde gleich eine Überraschung erleben.

»Laut der Aussage von Leahs Klassenkameradinnen war sie mit Isko besonders befreundet …«, stotterte der Mann.

»Besonders befreundet?« Alphonso blickte verwirrt zu seinem Bruder, der mit den Schultern zuckte.

»Anscheinend waren die beiden oft zusammen, eine Mitschülerin meinte sogar, dass sie ein Paar waren.«

»Isko und Leah?« Alphonso blickte sich um zu Angel und Joycee. »Wisst ihr, wo Isko jetzt ist?«

»Er ist mit Geraldine in den Supermarkt zum Einkaufen«, antwortete Joycee, wie aus der Pistole geschossen.

»Eigentlich müssten sie gleich wieder da sein.«

»Joycee, kannst du bitte schauen, wo sie bleiben. Der Laden ist doch gleich um die Ecke.«

»Okay. Mach ich«, rief Joycee und rannte los, während Angel stumm sitzen blieb und die drei Männer beobachtete.

»Du hast gesagt, die Polizei ist informiert. Haben die denn nichts herausgefunden?«

»Die Polizei ist der Meinung, dass Leah aus freien Stücken verschwunden ist. Sie vermuten, dass sie wahrscheinlich von zu Hause weggelaufen ist und haben erwidert, dass sie so etwas schon oft gesehen haben.«

Paci und Alphonso sahen entgeistert zu dem Vater. »Kann das sein?«

»Das glaube ich nicht. Sie hatte es doch gut bei mir und war ein glückliches Kind.« Die Stimme des Vaters überschlug sich vor Verzweiflung.

»Und wieso glaubt dies dann die Polizei? Haben sie das irgendwie begründet?«

»Wahrscheinlich denken sie, es liegt in der Familie, weil mich auch schon meine Frau vor Jahren einfach sitzen gelassen hat.«

»Das kann ich mich nicht vorstellen«, meinte Paci, der sich allerdings gut vorstellen konnte, dass die Polizei insgeheim so dachte. Aber aussprechen würden sie das nie.

»Ich kann nicht glauben, dass die Polizei überhaupt keine Ermittlungsergebnisse hat.«

»Die Polizei hat sich Leahs Zimmer angesehen und ist dann zu dem Schluss gekommen, dass …«

Die Tür ging auf und Joycee kam zusammen mit Isko und Geraldine in den Raum. »Da ist er«, verkündete sie stolz und lächelte ihren Vater an. Der nickte dankbar und Joycee setzte sich wieder zu Angel.

»Isko, du kennst bestimmt Leahs Vater«?, fragte Alphonso.

»Natürlich.« Isko war erkennbar überrascht, dass Leahs Vater bei ihnen im Haus war.

»Ich habe eine Frage an dich, Isko«, begann der Vater. »Ich habe von Leahs Freundinnen gehört, dass du seit Kurzem ihr fester Freund bist. Stimmt das?«

Isko nickte überrumpelt.

»Dann hast du bestimmt auch mitbekommen, dass Leah seit Mittwoch verschwunden ist.«

Erneut nickte Isko und senkte den Blick.

»Weißt du, wo sie ist? Ich suche seit drei Tagen nach ihr, aber sie ist wie vom Erdboden verschwunden.«

Isko schaute wortlos auf, dann blickte er zu seinem Vater. »Ich weiß es auch nicht. Am Dienstag habe ich sie noch in der Schule gesehen, seit Mittwoch kann ich sie aber nicht mehr erreichen.«

»Bitte denk noch mal genau nach. Hat sie vielleicht irgendetwas gesagt? Vielleicht wollte sie irgendwohin fahren oder irgendjemanden besuchen und hat dies einmal erwähnt.« Voller Hoffnung blickte er Isko an, der aber nach wie vor ratlos dastand und dabei den Kopf leicht schüttelte.

»Es tut mir leid. Ich habe auch keine Ahnung, wo Leah ist. Zu mir hat sie auf jeden Fall nichts gesagt.«

Isko drehte sich um und verließ den Raum. Alphonso hatte den Eindruck, als ob sein Sohn sehr bedrückt war.

Paci konnte sehen, dass Leahs Vater den Kopf leicht senkte, und anfing, mit den Zähnen zu mahlen. Anscheinend war dies eine Eigenheit von ihm, wenn er unter Stress stand und das Verschwinden seiner Tochter war ein mehr als gerechtfertigter Grund dafür. Er tat Paci leid. Wieder war ihm eine der wenigen Hoffnungen zerstört worden, die er noch hatte. Er wollte dem Vater helfen, wusste aber nicht wie. Alphonso dagegen dachte wesentlich nüchterner, als sein jüngerer, sensibler Bruder und nahm das Gespräch wieder auf, wo Iskos Erscheinen es unterbrochen hatte.

»Noch mal zurück zur Polizei. Warum glaubt die Polizei, dass Leah weggelaufen ist? Du hast gesagt, dass sie ihr Zimmer angeschaut haben. Haben sie dort etwas gefunden, was ein Weglaufen erklären würde?«

»Im Gegenteil. Sie haben nichts gefunden, sondern es fehlt einiges«, antwortete der Vater zerknirscht.

»Etwas fehlt?« Alphonso fragte sich, was das sein konnte.

»Eigentlich alles, was sie besaß. Alle persönlichen Dinge und das meiste ihrer Kleidung. Dazu ein Koffer.«

Alphonso sah Paci an und auch ohne Worte hatten sie den gleichen Gedanken. Leah war also nicht einfach so verschwunden. Sie war am Mittwochmorgen, nachdem ihr Vater zur Arbeit gegangen war, zurück in Haus gekommen, hatte gepackt und ist dann samt ihren Sachen verschwunden. Kein Wunder, dass die Polizei nicht an ein unabsichtliches Verschwinden glaubte.

»Ich weiß, was ihr denkt. Dasselbe wie die Polizei. Aber ich glaube trotzdem nicht, dass Leah freiwillig gegangen ist. Sie hatte es gut bei mir und war glücklich«, wiederholte er sich.

Alphonso hatte als Erster seine Überraschung über die Wendung der Geschichte überwunden. »Ich habe eine Idee …« Der Vater schien neue Hoffnung zu schöpfen und blickte zu den Brüdern.

»Sibuyan ist eine kleine Insel. Hier kann man nicht so einfach untertauchen, vor allem, wer will das. Wenn deine Leah tatsächlich freiwillig gegangen ist, dann hat sie ganz sicher Sibuyan verlassen oder sie steckt irgendwo und hat die Absicht, dies zu tun.«

»Das ist sicher richtig, aber welche Idee hast du dabei?«

»Nun, wie kann Leah die Insel verlassen? Es gibt nur eine realistische Möglichkeit und das ist mit dem Boot. Hast du schon mal im Hafen nachgefragt, ob jemand Leah am Mittwoch dort gesehen hat?«

»Nein«, stammelte der Vater. Er war sein ganzes Leben auf Sibuyan und Gedanken, auf welchen Wegen man die Insel verlassen konnte, waren bei ihm nicht ausgeprägt. Daran hatte er tatsächlich noch nicht gedacht. Er schüttelte zur Bekräftigung den Kopf.

»Dann sollten wir das jetzt tun«, sagte Alphonso. »Ich komme mit und helfe dir.«

»Und ich bin natürlich auch dabei«, rief Paci, der froh war, irgendetwas für den Vater tun zu können.

Die Augen des Vaters erwachten augenblicklich zum Leben. »Das wäre wirklich eine große Hilfe für mich«, stammelte er überrascht.

»Dann nichts wie los. Je früher wir da sind, umso größer ist die Chance, dass sich jemand an Leah erinnert.« Er deutete mit seinem rechten Arm Richtung Ausgang, der Vater setzte sich in Bewegung und Alphonso folgte ihm mit Paci.

An der Tür drehte sich Paci nochmals kurz um. »Und ihr Mädchen macht keinen Unsinn, während wir weg sind.« Dabei blickte er zu Angel und Joycee, die sofort betroffen nickten. Dann war auch er verschwunden.

»Was hältst du davon?, fragte Angel, nachdem sie allein im Zimmer waren.

»Wenn Leah tatsächlich abgehauen ist, wäre das der Hammer.« Joycees Augen glänzten, wie immer sah sie zuerst das Abenteuer und nicht die Gefahr.

»Vielleicht können wir etwas herausbekommen?«

»Wieso sollten ausgerechnet wir etwas herausbekommen?« Joycee blickte ihre Cousine und beste Freundin fragend an.

»Weil Leahs Freundinnen mit uns eher reden, als mit Leahs Vater oder der Polizei.«

»Aber dein Vater hat doch gesagt, dass wir keinen Unsinn machen sollen.«

»Pah. Wir haben schon so viele Abmahnungen von ihm bekommen. Als ob uns das jemals abgehalten hätte.«

»Aber heute ist Samstag, in der Schule ist niemand mehr. Hast du eine Idee, wo wir anfangen sollen.«

»Die habe ich, darauf kannst du wetten. Schließlich haben wir jemand im Haus, der Leah gut kannte.« Angel grinste schelmisch Joycee zu, stand auf und nahm ihre Cousine an die Hand. »Es wäre doch gelacht, wenn wir von Isko nicht alles erfahren, was er Leahs Vater verschwiegen hat.«

Sie suchten Isko und fanden ihn, wie er unterhalb der rückwärtigen Veranda auf einer Bank saß und in den Himmel blickte. Anscheinend wollte er allein sein, Angel sah sofort, dass seine Augen feucht waren. Kein Wunder, dass ihn niemand beobachten sollte. Ein sechzehnjähriger Junge sollte keine Tränen zeigen. Sie setzten sich zu ihm.

»Was wollt ihr?«, fragte er unwirsch und zeigte damit ganz offen, dass ihn die Anwesenheit der Mädchen in diesem Moment störte.

»Wir wollen unserem Bruder beistehen«, antwortete Angel. Sie war zwar nur seine Cousine, aber in den letzten sechs Jahren, in denen sie hier lebte, hatte sie ein besonderes Vertrauensverhältnis zu Isko aufgebaut. Angel wusste, dass auch Isko sie wie seine Schwester betrachtete. Er breitete immer wieder schützend seine Arme über ihr aus, selbst wenn sie es nicht verdient hatte. Angel hatte ihn von Anfang an um ihren Finger gewickelt und Isko fügte sich immer wieder ihrem Willen, auch wenn es manchmal gegen seinen eigenen Willen ging. Im Gegensatz dazu war ihr Verhältnis zu Joycee wesentlich gleichberechtigter, mit ihr verstand sie sich blind ohne Worte und ohne Blicke, es war wie bei siamesischen Zwillingen.

Angel kuschelte sich an ihn und spürte sofort, wie sein Widerstand wich. Er quälte sich ein Lächeln ab und legte wie so oft seinen Arm um ihre Schultern. Joycee setzte sich daneben und wunderte sich wie immer, wie Angel ihren Bruder ganz nach Bedarf kneten und formen konnte. Sie hatte diese Gabe nicht, aber es genügte schließlich, wenn eine von ihnen diese hatte.

»Ich weiß, dass du Leah sehr lieb gehabt hast. Und jetzt ist sie weg«, begann Angel mitfühlend.

»Ich verstehe das nicht«, sagte Isko. »Sie hat gesagt, dass sie mich liebt und dass wir später heiraten werden. Und jetzt ist sie einfach abgehauen …«

»Du glaubst also auch, dass sie freiwillig verschwunden ist? Wie kommst du darauf?«

»Ja, das glaube ich. Ganz einfach wegen dem, was am Dienstag nach der Schule passiert ist.«

»Und was ist da passiert?«, fragte Joycee vorschnell.

»Erzähl es mir«, fügte Angel schnell an, da sie den Eindruck hatte, dass Isko kurz davor war, zuzumachen. Ein stummer Blick zu Joycee signalisierte dieser, dass sie das Gespräch ab sofort Angel überlassen sollte. Joycee verstand ihre stumme Mahnung.

»Sie hat am Dienstag Abschied von mir genommen«, erzählte Isko weiter.

»Sie hat Abschied genommen? Was hat sie gesagt und wieso hast du da nicht reagiert?«

»Weil sie es nicht so direkt gesagt hat. Nach der Schule habe ich mich mit ihr getroffen und wir haben geredet. Da hatte ich schon das Gefühl, dass sie etwas vor mir verschweigen würde. Ich habe natürlich versucht herauszubekommen, um was es sich dabei handelte, aber Leah wollte nicht reden. Ich musste sie die ganze Zeit im Arm halten. Als sie dann nach Hause ging, hat sich mich innig umarmt und mir alles Gute und viel Glück gewünscht.«

»Und das war nicht normal?«

»Natürlich nicht. Es war viel zu theatralisch, wie bei einem Abschied, und ich habe sie noch mal gefragt, was denn los ist. Aber sie hat nur den Kopf geschüttelt, mich angelächelt und die Sache heruntergespielt. Aber ich sah, dass sie den Tränen nahe war.«

»Und das kam dir komisch vor?«

»Klar, das war auf der einen Seite schon merkwürdig, aber auf der anderen Seite wiederum nicht. Leah war manchmal so drauf. Sie hatte zu Hause mit ihrem Vater einige Probleme. Ich glaube, er hat sie regelmäßig geschlagen. Sie war alles andere als glücklich, auch wenn ihr Vater das behauptet. Ich dachte einfach, dass sie einen schlechten Tag hat. Das gab es häufiger und am anderen Tag war dann immer wieder alles in Ordnung.«

Angel sah, dass Isko sich aufrichtig Sorgen machte, und war insgeheim beruhigt darüber. Auf jeden Fall hatte er nichts mit ihrem Verschwinden zu tun. Aber irgendetwas war ihr bei Iskos Gespräch mit Leahs Vater aufgefallen und jetzt erinnerte sie sich wieder daran.

»Du hast ihrem Vater gesagt, dass du Leah seit drei Tagen nicht mehr erreichen kannst«, fühlte sie vor und Isko nickte ohne Argwohn.

»Was meinst du mit erreichen?«

Angel wusste, dass Isko ein älteres Smartphone besaß, was er sich bei der Feldarbeit im letzten Sommer verdient hatte. Aber Leah konnte unmöglich eines haben, dazu war ihr Vater viel zu arm. Wenn Leah je selbst Geld verdient hätte, dann wäre dies bestimmt nicht für die Anschaffung eines Telefons verwendet worden. Sie hätte das Geld ganz sicher zu Hause abgeben müssen.

»Leah hatte seit einigen Tagen ein Smartphone«, antwortete Isko. »Ein richtig tolles Teil, ganz neu und mit allem Schnickschnack drin.«

»Woher hat sie das denn her?«, fragte Angel nach.

»Sie hat gesagt, dass sie es von einer Tante nachträglich zum sechzehnten Geburtstag geschenkt bekommen hat.«

»Von einer Tante also …«

Angel blickte Joycee an und sah sofort, dass beide das Gleiche dachten.

»Wie können wir diese Tante finden?«

Leider brachte ihr Ausflug zum Hafen keine neuen Erkenntnisse. Niemand konnte sich an Leah erinnern, aber das hatte Alphonso auch nicht erwartet. Es wohnten zwar nicht viele Menschen auf Sibuyan, aber am Hafen war trotzdem immer genügend Betrieb, und ein einzelnes Mädchen fiel bestimmt nicht auf, wenn sie sich entsprechend zurückhaltend verhielt.

Eigentlich hatte Alphonso darauf gehofft, einige der Schiffsführer oder Besatzungsmitglieder zu treffen, die letzten Mittwoch von Sibuyan abgelegt hatten, aber natürlich befand sich keiner von ihnen momentan im Hafen. Also bat Alphonso den Hafenmeister, die Seeleute nach Leah zu fragen, wenn sie Sibuyan anliefen. Dazu überreichte ihm Leahs Vater ein Foto seiner Tochter, aber Alphonso hatte nur wenig Hoffnung, dass sich einer an sie erinnerte.

Auch Paci wusste, dass mit jedem Tag der verging, die Chancen geringer wurden. Aber immerhin hatten sie etwas unternommen und dem Vater einen Hauch Zuversicht zurückgegeben, bevor er wieder nach Hause ging.

»Nicht viel, aber besser als nichts.« Paci sah Leahs Vater hinterher, wie er langsam die Straße entlang schlich.

»Da magst du recht haben, aber irgendetwas stimmt hier trotzdem nicht.« Alphonso setzte seinen kritischen Blick auf, den Paci gut kannte. Immer wenn er diesen registrierte, dann hatte Alphonso irgendeine Vermutung und oft stellte diese sich als wahr heraus.

»Was meinst du? Ich sehe nur einen Vater, der seine Tochter sucht.«

»Sein ganzes Verhalten passt nicht«, meinte Alphonso. »Er schließt ein freiwilliges Verschwinden seiner Tochter völlig aus, obwohl alle Spuren darauf hindeuten. Stattdessen betrachtet er ihr Verschwinden als geheimnisvoll, unverständlich und macht nebulose Andeutungen.«

»Was für nebulose Andeutungen?«

»Einen Unfall oder andere natürliche Dinge schließt er auch aus, alles, was er gesagt hat, seine ganze Argumentation lässt nur einen Schuss zu …«

Paci sah Alphonso fragend an.

»… Leah ist das Opfer eines Verbrechens geworden.«

»Um Gottes willen«, rief Paci erschrocken aus und dachte sofort an Angel. Was, wenn Alphonso damit recht hatte und da draußen lief ein Verbrecher herum, der es auf Mädchen abgesehen hatte. Aber im nächsten Moment entdeckte er den Widerspruch. »Eines spricht aber dagegen.«

»Und was?« Alphonso war überrascht. Eigentlich war er der logische Denker, während Paci der sensible und sentimentale der beiden Brüder war.

»Ein freiwilliges Verschwinden von Leah hat er ausgeschlossen. Trotzdem ist er bereitwillig mit in den Hafen gegangen und hat mit uns dort nach seiner Tochter gesucht. Bei dem, was du annimmst, wäre sie aber nie zum Hafen gekommen, weder bei einem Verbrechen noch bei einem Unfall. Es gibt nur einen logischen Grund, warum Leah im Hafen auftauchen könnte …«

»… und das wäre der Fall, wenn Leah tatsächlich verschwinden wollte«, führte Alphonso Pacis Gedanken zu Ende. Er sah seinen Bruder respektvoll an.

»Genau. Dass er mit in den Hafen gekommen ist, sagt eigentlich alles. Auch er glaubt nicht an ein mysteriöses Verschwinden, dies spielt er nur nach außen. Vielleicht auch nur zum Selbstschutz, weil er so seine Frau schon verloren hat, und sein Verstand weigert sich, dasselbe bei seiner Tochter anzunehmen. In seinem Inneren aber weiß er es besser. Er glaubt selbst daran, dass sie ihn einfach verlassen hat, und deshalb hat er mit uns im Hafen gesucht.«

Alphonso sah Paci schwer beeindruckt an, der stolz lächelte. »Und wann ist dir die Erkenntnis gekommen?«

»Sofort als wir die Wohnung verließen.«

»Deine Schlussfolgerung finde ich gut und zutreffend. Trotzdem ist irgendetwas faul, das rieche ich. Warum verschwindet ein sechzehnjähriges Mädchen einfach so?«

»Vielleicht ist sie zu ihrer Mutter gefahren.«

»Möglich, aber das hätte sie doch bestimmt jemanden erzählt. Ich glaube, da steckt mehr dahinter.«

»An was denkst du?«

»Was ist, wenn sie freiwillig verschwunden ist und es sich trotzdem um ein Verbrechen handelt …«

Sonntag, 18. März 2012

Als Angel und Joycee auf dem Schulhof von Iskos Highschool ankamen, war noch nicht viel los, was am frühen Nachmittag auch völlig normal war. Wie alle anderen, besuchten auch die Schüler am Sonntagvormittag den Gottesdienst, danach gab es in den meisten Familien etwas zu essen und in der großen Mittagshitze ruhte in der Regel das Leben. Erst nach sechzehn Uhr kam wieder Bewegung in die Gemeinde und die Menschen gingen auf die Straße. Viele Familien machten dann Ausflüge zum Strand, besuchten das Kino oder veranstalteten ein Picknick. Andere wiederum saßen einfach vor ihrem Haus und unterhielten sich mit den Nachbarn und Vorbeilaufenden, während ihre Kinder auf dem Grundstück spielten. Dieses Treiben hielt dann bis zum späten Abend an, es war der typische Ablauf eines philippinischen Wochenendes.

Die Jugendlichen dagegen blieben nicht bei der Familie. Sie gingen wie überall auf der Welt ihre eigenen Wege und trafen sich mit ihren Freunden. Und wie überall auf der Welt hatten die Jugendlichen dafür feste Treffpunkte. In Cajidiocan war dies am Sportgelände neben der National Highschool.

Die Schule selbst war ein architektonischer Farbtupfer in der sonst tristen Innenstadt. Sie bestand aus einigen zweistöckigen, magenta-roten Schulgebäuden, die von einer etwa einen Meter hohen Steinmauer im selben Farbton umgeben war. Auf der Mauer war ein knallgelber Metallzaun aufgesetzt, dessen obere Spitzen dafür sorgen sollten, dass alle Besucher freiwillig den vorgesehenen Eingang über die A. Mabini Street verwendeten.

Angel und Joycee ignorierten den Eingang und liefen zum einhundert Meter entfernten, riesigen Sportgelände. Der mäßige Bewuchs verlieh dem Sportfeld seine graugrüne Farbe, denn auf der Hälfte der Spielfläche war das Gras in der Sonne verdorrt, und der graue Staubboden dominierte den Anblick. Die beiden Mädchen hielten auf die nördliche Begrenzung des Geländes zu, wo einige große, schattenspendende Bäume standen. Hier trafen sich die Jugendlichen aus Iskos Klasse in ihrer Freizeit.

Auf der linken Seite lag das Volleyballfeld, auf dem einige Jugendliche spielten und sich dabei lautstark anfeuerten. Angel kannte ein Mädchen davon, sie war etwa zwei Jahre älter als sie und besuchte die gleiche Grundschule, bevor die auf die staatliche Highschool wechselte. Angel und Joycee waren erst im fünften Schuljahr, sie mussten noch ein weiteres Jahr auf der Grundschule verbringen, ehe sie auf die Highschool wechselten. Ihre Väter wollten sie weiterhin auf eine Privatschule schicken, die sie für besser hielten. Allerdings kostete diese nach der Grundschule hohe Gebühren und so war noch nicht das letzte Wort darüber gesprochen, ob sie sich die Schule tatsächlich leisten konnten. Vielleicht mussten auch sie im nächsten Jahr zur staatlichen Schule wechseln.

Im Gegensatz dazu kam ihre Schwester Geraldine ab Juni in das letzte Schuljahr der National Highschool, während Isko diese Ende März sogar schon beendete. Er hatte alle seine Prüfungen erfolgreich absolviert und verbrachte seine letzten Tage als Schüler. Ab April würde er zusammen mit seinem Vater auf der Farm von Günther arbeiten, worüber er glücklich sein konnte, da Günther seine Arbeiter anständig bezahlte und fair behandelte. Das Leben lag vor ihm und er dachte, mit Leah seine zukünftige Frau gefunden zu haben. Aber nun war sie verschwunden.

Angel und Joycee setzten sich in den Schatten eines großen Baumes unweit des Treffpunkts und warteten. Sie waren absichtlich früh dran und schauten dem Volleyballspiel zu. Nach und nach erschienen Jugendliche am Treffpunkt. Isko würde heute nicht kommen, wie sie wussten, er saß seit Tagen nur noch lethargisch zu Hause und starrte verloren in den Himmel.

»Da kommt sie.« Joycee stupste Angel an und beide sahen ein Mädchen die Straße entlangkommen, die direkt auf den Treffpunkt zuhielt.

»Das ist Zoe, die beste Freundin Leahs. Wenn eine etwas über Leah weiß, dann sie.«

»Dann nichts wie los.« Angel sprang auf und Joycee tat es ihr gleich. Zoe hatte es sich inzwischen unter einem großen Baum im Schatten bequem gemacht. Sie saß alleine und wartete auf ihre Freundinnen. »Wenigstens eine davon wird heute nicht erscheinen«, wusste Angel.

»Hallo Zoe«, rief Joycee, als sie vor dem älteren Mädchen standen. Zoe schaute die beiden überrascht an, wahrscheinlich fragte sie sich gerade, wer sie da ansprach. Dann fiel der Groschen.

»Du bist doch Iskos Schwester?« Joycee nickte.

»Und du bist seine Nichte?« Sie deutete auf Angel.

»Seine Cousine.«

»Was macht ihr hier? Isko ist nicht da und ich glaube auch nicht, dass er kommt. Oder ist er auch verschwunden?« Zoe riss für einen Moment die Augen auf, sah aber an der Reaktion der Mädchen, dass sie damit falschlag.

»Nein, Isko ist zu Hause«, entgegnete Angel.

»Was wollt ihr dann hier?«

»Wir wollten mit dir über Leah sprechen. Du warst doch ihre beste Freundin?«

»Und warum sollte ich mit euch über Leah reden?«

»Wegen Isko. Er leidet sehr und wir wollen ihm helfen.«

Zoe sah die beiden für einen Moment an, da aber noch niemand aus ihrer Clique gekommen war, hatte sie sowieso Zeit. »Okay, und was wollt ihr wissen?«

»Du weißt bestimmt auch nicht, wo sich Leah aufhält«, begann Angel und sah, dass sie damit richtig lag. Alles andere hätte sie auch gewundert. Zoe schüttelte passend dazu den Kopf.

»Aber vielleicht hast du eine Ahnung, wo sie hingegangen sein könnte?«

»Das hat mich ihr Vater auch schon gefragt. Aber mit mir hat Leah nicht über ihre Pläne gesprochen.«

»Das heißt, du glaubst auch, dass Leah freiwillig verschwunden ist?«

»Ich bin mir sogar sicher, dass Leah abgehauen ist.«

»Und wieso das?«

»Leah hatte die Nase voll von Sibuyan. Und das nicht erst seit Kurzem. Sie sprach schon seit Monaten davon, eines Tages Sibuyan zu verlassen.«

»Was könnte der Grund dafür sein?«

»Gesagt hat sie es nie direkt, aber ich glaube, der Grund war ihr Vater.«

»Isko meinte, Leahs Vater hat sie öfter geschlagen.«

»Mindestens, wenn nicht noch Schlimmeres.« Zoe machte eine vage aber vielsagende Handbewegung, die wohl andeuten sollten, dass noch mehr dahinter stecken konnte.

»Du behauptest …«

»Ich behaupte gar nichts«, unterbrach Zoe sofort die Schlussfolgerung der Mädchen, da sie ihrer Meinung nach schon zu viel zu dem Thema gesagt hatte.

»Aber wenn Leah geschlagen wurde, hat sie es mir immer gesagt. Dies war kein besonderes Geheimnis, in den meisten Familien gibt es hin und wieder Schläge. Aber es gab Tage, da wollte Leah partout nicht reden.«

»Du meinst, dass an diesen Tagen etwas Schlimmeres passiert ist als Schläge.«

»Es wäre möglich«, blieb Zoe vage. »Aber ich behaupte nichts, ist das klar?« Die Mädchen nickten.

»Ihr Vater will aber anscheinend nichts davon wissen, dass sie einfach abgehauen ist.«

»Das kann ich mir denken«, sagte Zoe. »Womöglich hat er einen guten Grund dazu.«

»Denkst du, dass er etwas mit ihrem Verschwinden zu tun hat.«

»Das glaube ich jetzt wiederum nicht. Nein, Leah hat oft genug angedeutet, dass sie eines Tages abhauen will und jetzt, wo sie den Highschoolabschluss in der Tasche hat, hat sie ihre Drohung wahr gemacht.«

Angel sah Joycee enttäuscht an. »Dann werden wir wohl nichts herausbekommen, damit es Isko wieder besser geht.«

»Vermutlich nicht«, sagte Zoe. »Aber er ist ohne Leah sowieso besser dran.«

»Was meinst du damit jetzt?«

Zoe druckste etwas herum und zierte sich weiterzusprechen. »Leah ist meine beste Freundin, aber …«

»Was aber?«

»Sie hat sich verändert«, äußerte sich Zoe vorsichtig.

»Was meinst du mit verändert?« Angel blickte fragend zu Joycee, die auch nicht wusste, worauf Zoe hinauswollte.

»In letzter Zeit hat sie sich verändert. Es fing an, dass sie eines Tages plötzlich ein neues, teures Smartphone hatte.«

»Das sie von ihrer Tante bekommen hat?«

»Das hat sie niemals von ihrer Tante bekommen. Leah hatte keine Tante. Sie hatte überhaupt niemand neben ihrem Vater. Nur ihre verschwundene Mutter, aber zu der hatte sie keinen Kontakt.«

»Wo hat sie das Smartphone dann herbekommen?«

»Das ist die Frage. Aber nicht die Einzige.«

»Was war denn noch?«

»Leah hatte plötzlich noch andere Dinge in der Tasche, die Geld kosten. Sie hatte plötzlich hübsche Kleider, Schminksachen und neue Schuhe. Ich habe sie gefragt, wo sie das alles her hat, aber sie hat mich angelogen und gesagt, dass dies alte Dinge ihrer Mutter seien, die noch im Haus herumlagen. Aber das Zeug war nagelneu.«

»Und wo könnte sie das Geld dafür herhaben? »

Zoe zuckte zuerst mit den Schultern, aber Angel sah, dass etwas aus ihr herauswollte.

»Vielleicht hat sie Geld gefunden?«, versuchte sie Zoe, zum Weiterreden zu reizen. Sie hatte Erfolg damit.

»Ich glaube, dass Leah einen Liebhaber hatte. Eine Vermögenden, der ihr die schönen Dinge kaufte.«

Angel und Joycee starrten sie mit offenem Mund an. Das hatten sie nicht erwartet.

Jetzt wollte Zoe alles loswerden. »Wenn ich ehrlich bin, war ich neidisch auf sie. Eines Tages bin ich ihr nach der Schule gefolgt. Ich wollte herausbekommen, von wem sie die Sachen bekommen hat.«

»Und?« Angel platzte fast vor Neugier.

»Ich bin ihr bis zur Church of Christ gefolgt. Sie ging hinein und kam nicht mehr heraus. Sie war plötzlich wie vom Erdboden verschwunden. Ich habe lange Zeit auf der Straße gewartet, aber Leah kam nicht mehr wieder. Erst am nächsten Tag, habe ich sie wieder in der Schule gesehen.«

Weder Angel noch Joycee waren jemals in der Kirche gewesen, wussten aber, wo sie lag.

»Dies war erst letzte Woche gewesen. Ich habe nie herausbekommen, was Leah dort gemacht hat oder wen sie getroffen hat. Aber ich denke, Isko hätte dies nicht gefallen.«

»Da wirst du recht haben«, antwortete Joycee. »Am besten wir sagen ihm auch nichts über deinen Verdacht, es sei denn wir bekommen etwas Konkretes heraus.«

Zoe nickte. »Das ist eine gute Idee«, sagte sie nicht ohne Hintergedanken. Wenn Leah verschwunden blieb, war Isko wieder zu haben. Zoe hatte schon seit Langem ein Auge auf ihn geworfen und war auch aus diesem Grund neidisch auf Leah gewesen.

Zwei andere Mädchen aus ihrer Schulklasse und ein Junge kamen zu ihnen. Joycee kannte sie, sie gehörten ebenfalls zu der Clique. Da Zoe nichts mehr zu erzählen hatte, verabschiedeten sie sich.

»Was hältst du von der Sache?«, fragte Angel, als sie weit genug entfernt waren.

»Kennst du die Kirche, die Zoe beschrieben hat.«

»Nein, da war ich noch nie. Ich weiß aber, wo sie liegt.«

»Dann weiß ich, was wir morgen Nachmittag nach der Schule machen.«

Angel erwartete keine Antwort von Joycee, sie musste sie auch nicht extra ansehen. Sie wusste einfach so, dass Joycee genau ihrer Meinung war. So war es immer.

Montag, 19. März 2012

»In einem Jahr kommen unsere zwei Jüngsten aus der Grundschule. Hast du schon mal darüber nachgedacht, wo sie zur Highschool gehen sollen?«

Alphonso konnte es Paci ansehen, dass er wie immer alles zeitig geregelt haben wollte. Paci hasste Unklarheiten, und er ging jedes Mal sofort daran diese aufzuarbeiten, wenn er welche erkannte. In diesem Fall, wo es um die Auswahl der Schule für die Kinder ging, war zwar noch ein Jahr Zeit, aber diesmal verstand ihn Alphonso. Das Thema schwebte irgendwie über ihnen und sie vertagten sich immer, wenn es aufkam.

»Normalerweise kommt nur die National Highschool infrage. Die Gebühren der Privatschule in Cajidiocan, auf die auch Günthers Tochter Marie einschult, sind eigentlich zu hoch für mich.« Alphonso ahnte um die Kosten, die eine private Highschool mit sich brachte, selbst die staatlichen verlangten einfachen philippinischen Familien einiges ab.

Eine Grundschule war für die meisten philippinischen Eltern erschwinglich, das jährliche Schulgeld betrug gerade mal fünfhundert Peso, dies entsprach in etwa dem Wochenlohn eines normalen Landarbeiters. Dank seiner privilegierten Stellung bei Günther, verdiente Alphonso aber deutlich mehr. Dazu kamen noch die Kosten für Schulbücher und Schreibmaterial. Bücher waren aber nur teuer, wenn man sie neu erwarb. Es war aber üblich, dass die Bücher immer von dem nächst höheren Jahrgang übernommen wurden und die eigenen an den nächst jüngeren Jahrgang weitergereicht wurden. Dadurch musste nur einmal bei der Einschulung in gebrauchte Bücher investiert werden. Danach verursachten Schulbücher keine laufenden Kosten mehr, es sei denn, sie gingen verloren oder wurden beschädigt.

Darüber hinaus gab es aber weitere Aufwendungen, die die Familien belasteten, wie beispielsweise die verpflichtende Schuluniform. Diese war obligatorisch und musste von den Kindern mit Ausnahme eines bestimmten Wochentages getragen werden. Der Grund für die Ausnahme war simpel, so hatten auch arme Familien, die sich keine zwei Uniformen leisten konnten, die Möglichkeit diese wenigstens einmal in der Woche zu reinigen. Schon bei Iskos Einschulung hatte Alphonso entschieden, diese Unkosten zu reduzieren, und so fertigte seine Frau Richelle die Uniformen in Handarbeit selbst an. Die meisten Eltern machten dies so.

Es war bekannt, dass trotz der überschaubaren Kosten viele Eltern der unteren Schichten mit der Finanzierung des Grundschulbesuchs ihrer Kinder hoffnungslos überfordert waren, von der Hochschule ganz zu schweigen. Die Familien lebten oft von der Hand in den Mund und deshalb schickten sie ihre Kinder zur Landarbeit auf die Reisfelder oder Zuckerrohrplantagen anstatt in den Schulunterricht. Obwohl sie von den Chancen eines schulisch bedingten, sozialen Aufstiegs wussten, konnten sie einfach die finanziellen Mittel nicht erübrigen, ohne dass die restliche Familie dadurch hungern musste.

Die Schulausbildung hatte auf den Philippinen eine große gesellschaftliche Bedeutung. Die Familien waren sich dem Stellenwert einer guten Ausbildung bewusst, und viele brachten große Opfer, um ihren Kindern die Schule zu ermöglichen. Sie erhofften sich, dass die Investition in die Zukunft der Kinder, im Anschluss mit einem lukrativen Beruf belohnt wurde, der diese im Gegenzug in die Lage versetzte, die Eltern im Alter unterstützen zu können. Oftmals reichte das Geld nur für ein Kind und meistens wählten die Eltern ihre älteste Töchter aus, allerdings nicht ohne Hintergedanken. Sie gingen davon aus, dass ihre Söhne irgendwann heiraten und ihre eigene Familie ernähren mussten, dann konnten sie die Eltern kaum noch unterstützen. Von der ältesten Tochter erwartete man, dass die sich um ihre Geschwister und später auch um die Eltern kümmerte.

Alphonso und Paci waren sich einig, alles zu versuchen, damit ihre beiden Mädchen weiter auf eine Privatschule gehen konnten, da sie hier die besten Perspektiven hatten. Im Gegensatz dazu waren öffentlichen Schulen weniger bildungsorientiert. Vielen Einrichtungen genügte es, christliche Werte zu vermitteln. Anstatt Bücher über Geschichte oder Geografie zu benutzen, wurde die meiste Zeit in der Bibel oder im Katechismus gelesen. Das Ergebnis waren tiefgläubige Schulabgänger, die außer Englisch und den notwendigsten Grundrechenarten nichts gelernt hatten.

Das Lehrangebot war an Angels und Joycees privater Grundschule breit gefächert und hatte das Ziel, die Kinder so gut wie möglich auf das Leben vorzubereiten. Ihre Hauptfächer in den sechs Jahren waren Mathematik, Religion, Englisch und Tagalog in Verbindung mit einem separaten Unterricht in Orthografie, der einfach nur Spelling hieß. In diesem Fach ging es nicht allein um die richtige Schreibweise, sondern um die auf die in den Philippinen wichtige Mundartschreibung und Lautschrift. Im Unterrichtsplan war es beschrieben als »correct, dialect and phonetic spelling«. Zusätzlich hatten die Kinder ab der vierten bis zur sechsten Klasse Unterricht in Landeskunde, Politik sowie in Gesundheit und Wissenschaft.

Viele Kinder deutscher Auswanderer besuchten dieselbe Grundschule, was ihre Eltern veranlasste, sich um die Weiterentwicklung und den Inhalt des Lehrplans zu engagieren. So bot beispielsweise eine ehemalige deutsche Lehrerin, die sich mit ihrem Mann vor Jahren auf Sibuyan niedergelassen hatte, als Besonderheit einen Deutschunterricht für die Kinder an. Gedacht war es eigentlich für die Sprösslinge der ausgewanderten Deutschen, aber auch andere interessierte Kinder durften teilnehmen. Paci meldete Angel gleich am ersten Tag zu den Deutschstunden an, da er um ihre Vorkenntnisse Bescheid wusste und diese fördern wollte. Da aber Angel ohne Joycee nichts machte, durfte auch sie teilnehmen. Von der Lehrerin erfuhr Paci, dass Angel sehr gut Deutsch sprechen und verstehen konnte und dass es bei ihr hauptsächlich auf die Übung und das Erlernen der Schrift ankam. Daneben tat sich Joycee verständlicherweise schwer mit der fremden Sprache, trotzdem lernte sie im Laufe der vergangenen fünf Jahre mehr als nur ein paar Brocken. Sie konnte sich durchaus verständigen, wenn auch gebrochen und weitaus weniger wortgewandt als Angel. Trotzdem war dies mehr, als Alphonso je zu hoffen gewagt hatte. Er fragte sich, ob dies dem Unterricht zu verdanken war oder nur Joycees Übungen mit Angel. Die beiden machten sich einen Spaß daraus und verwendeten deutsch als ihre persönliche Geheimsprache. So konnte sie niemand verstehen. Immer wenn sie deutsch sprachen, heckten sie etwas aus.

Der Lehrplan war Pacis Meinung nach anspruchsvoll, bildungsorientiert, aber auch abwechslungsreich. Die Ausstattung der Schule war gut und galt für philippinische Verhältnisse als überdurchschnittlich. Es gab genug Gründe für die Brüder, ihre Kinder weiterhin auf die Privatschule zu schicken, leider auch ein paar, die dagegen sprachen.

Die National Highschool in Cajidiocan, die Isko und Geraldine besuchten, wurde im Vergleich zu vielen anderen öffentlichen Schulen deutlich besser bewertet, aber bei Weitem nicht so gut wie eine Privatschule. Wie alle staatlichen Schulen war sie schlecht ausgestattet. Es fehlte eigentlich an allem, wie Kreidetafeln oder Projektoren. Die Möbel waren alt, und an Dinge wie Computer oder TV war gar nicht zu denken. Am meisten fehlte es aber an qualifizierten Lehrkräften, während es nie einen Mangel an Schülern gab. Die Klassenzimmer waren heillos überfüllt, sodass ein geordneter Unterricht oft nur schwer möglich war.

Aber die Philippinen waren schon immer kreativ, wenn es um das Umschiffen alltäglicher Probleme ging. Der Mangel an Lehrkräften, Unterrichtsräumen und Material wurde gelöst, indem man die vorhandenen Ressourcen besser verteilte und aus dem Schulbetrieb einen Schichtbetrieb machte. Eine Schulklasse wurde vormittags unterrichtet, die andere Klasse am Nachmittag. So konnte man mit den vorhandenen Räumen und Lehrern die doppelte Menge an Schülern unterrichten. Dies war auch der Grund, warum man auf den Philippinen eigentlich zu jeder Tageszeit Schüler auf der Straße laufen sah, entweder in die eine oder andere Richtung und dies oft zeitgleich.

Eines hatten alle Schulen auf den Philippinen gemeinsam. Die Unterrichtssprache war Englisch. Tagalog beziehungsweise Filipino, war nur die Zweitsprache. Vielen Schulen gingen sogar so weit und verlangten, dass auch auf dem Schulhof nur Englisch gesprochen wurde. So stellten sie sicher, dass trotz einiger inhaltlicher Mängel, wenigstens die Sprachkenntnisse ausreichend gefördert wurden. Die internationalen Sprachkenntnisse waren neben dem Fleiß der Hauptgrund, weshalb Filipinos überall auf der Welt als Arbeitskräfte gerne verpflichtet wurden.

Trotz oder gerade wegen der erschwerten Bedingungen unter denen sie unterrichten mussten, genossen Lehrer auf den Philippinen im Alltag ein hohes Ansehen und wurden überall respektiert und oftmals privilegiert.

Paci hatte es sich im Kopf schon häufig ausgerechnet. Er musste für Angel etwa achthundert Peso pro Monat für die Grundschule aufbringen. Da er über regelmäßige Einkommen verfügte und keine Familie mehr hatte, um die er sich kümmern musste, war die Gebühr erschwinglich für ihn gewesen. Nach wie vor fuhr er mehrmals im Jahr für einige Wochen auf See und verdiente für philippinische Verhältnisse ausreichend Geld.

Er wusste aber auch, dass sich die Kosten mit dem Eintritt in die Highschool steigern würden. Alles würde erheblich teurer werden, so wie es für das zuschussorientierte, amerikanische Schulsystem typisch war, dass die Philippinen übernommen hatten. Mit sechs oder sieben Jahren kamen die Kinder in die Elementary School und blieben dort für weitere sechs Jahre. Danach wechselten sie für vier Jahre auf die Highschool, und wer es sich leisten konnte, der besuchte im Anschluss das College, eine Mischung aus Studium und Berufsausbildung.

Doch darüber musste sich Paci und Alphonso heute noch keine Gedanken machen. Die Finanzierung der Privatschule war als Aufgabe groß genug und allein kaum zu stemmen.

»Was können wir tun?«, fragte Paci.

»Wir sollten mit meinem Chef Günther reden«, meinte Alphonso. »Vielleicht kann er uns helfen.«

»Eigentlich liegt sie gar nicht so weit weg. Es ist schon komisch, dass wir noch nie in der Church of Christ waren und immer in eine andere Kirche gehen.«

Die beiden Mädchen liefen auf das Ende der Innenstadt von Cajidiocan zu.

»Schau, da geht es zum Strand.« Angel deutete auf die Abzweigung auf der rechten Seite.

»Das ist die Roxas Street«, wusste Joycee. »Nach diesem gibt es keinen weiteren Weg mehr ans Meer. Wir müssen nur noch etwas gerade aus, dann sollte die Kirche erscheinen, wenn es stimmt, was Zoe gesagt hat.«

Die beiden Mädchen überquerten die Kreuzung und liefen weiter in nördlicher Richtung. Immer wieder wurden sie abgelenkt von dem ohrenbetäubenden Lärm, den vorbeirasende Trikes veranstalteten. Einige brüllten so, als wollte im nächsten Moment der Auspuff explodieren, andere hörten sich schlimmer an. Sie passierten eine Western Union Zweigstelle und kamen an einer Tankstelle vorbei, deren zwei Zapfsäulen auf durstige Fahrzeuge warteten.

»Für einen Montag ist aber wenig los«, meinte Angel.

»Cajidiocan ist auch nur eine kleine, ruhige Stadt.«

»Wie viele Menschen leben eigentlich hier?«

»Zwanzigtausend. Das hat mir unsere Lehrerin erzählt.«

Angel konnte sich nicht daran erinnern, aber in letzter Zeit war sie häufig mit ihren Gedanken woanders und folgte dem Unterricht nicht immer mit der nötigen Aufmerksamkeit. Der Grund war ein Junge aus ihrer Klasse, den sie niedlich fand. Aber davon wusste selbst Joycee nichts.

Wenige Schritte später endete plötzlich die geschlossene Häuserfront, nur ein paar alte Hütten zierten mit gebührenden Abständen voneinander die Straße. Meist lagen sie etwas zurückversetzt, sodass es optisch auf beiden Seiten der Fahrbahn unbewohnt wirkte, obwohl das Gegenteil der Fall war. Auch hier wohnten Menschen und dies noch ein ganzes Stück des Weges entlang.

Angel und Joycee verließen den Stadtkern und betraten den äußeren nördlichen Bezirk. Sie sahen grüne Flächen mit einzelnen, großen Bäumen, auf denen Behelfsunterkünfte errichtet waren, aber auch kahle, verwaiste und unbebaute Grundstücke, die auf eine neue Verwendung warteten. An der Verfassung der Hütten und dem Pflegezustand der Grundstücke war unschwer zu erkennen, dass hier die unteren Schichten wohnten. Sie sahen das Schild eines Leichenbestatters auf einer dazu passend leblos wirkenden Hütte.

»Wie gut, dass es mitten am Tag ist«, dachte Angel, als sie weiterliefen. Plötzlich sah sie etwas hell Erleuchtetes auf der rechten Seite aufblitzen. Ein vorstehender Baum verdeckte zwar den Blick auf das übernächste Grundstück, aber mit jedem Schritt, den sie näherkamen, wurde ein grell in der Sonne strahlendes Gebäude sichtbarer. Ein glänzend heller Zaun erschien, und als sie den großen Baum passiert hatten, standen sie vor einem weiß schimmernden Gebäude, das gar nicht in diese Gegend passte. Der Zaun führte um das Grundstück herum, dass aus einem größeren Gebäude bestand, welches spitz nach oben ragte wie ein Pfeil. Seine Hauptfassade war mit neun großen, nach oben ausgerichteten Pfeilen verziert, die an mittelalterlichen Kirchenfester erinnerten, nur dass es hier kein Glas gab. Rechts und links des Hauptportals standen zwei Eckpfeiler, auf deren vier Sockelseiten weitere Pfeile nach oben eingearbeitet waren, ein großer vom Boden weg und ein kleinerer darüber. Die Spitze oberhalb des Basissockels war ungewöhnlich lang gestreckt und reichte bis Gebäudespitze hinauf. Nach oben hin wurde sie immer schlanker und erinnerte an einen ausgestreckten Finger, der direkt in den Himmel zeigte. Die Planung des Kirchengebäudes, der umgebenden Pfeiler und Sockel war eindeutig auf die Betonung der Vertikalen ausgerichtet. Zentral über dem Eingang war der Name der Kirche eingearbeitet: »IGLESIA NI CRISTO«.

»Schau dir die ganzen Pfeile an«, bemerkte Angel sofort die Besonderheit des Gebäudes.

Joycee sah beeindruckt zu der Kirche. »Alles deutet nach oben, direkt zu Gott.«

»Du hast recht. So habe ich das noch gar nicht gesehen.«

Die Mädchen gingen näher zum Eingang, der sich auf der linken Seite des Zauns zwischen zwei Sockel befand, die mit weiteren, kleinen Pfeilen nach oben versehen waren. Auf der Spitze der Sockel waren zwei Laternen angebracht, die wie Wächter des Geländes den Eingang im Blick hatten. Der hellweiße Zaun, aus dem auch das Eingangstor bestand, war geschlossen und versperrte den Zutritt.

»Ich probiere mal, ob offen ist«, kündigte Angel mutig an. Sie drückte den Metallgriff der Pforte nach unten, aber das Tor war verschlossen. »Verdammt, was machen wir jetzt.«

Joycee lief ein paar Schritte zurück und blickte sich um. Plötzlich grinste sie. »Das hier ist kein Eingang, sondern eine Einfahrt. Da ist der Eingang.« Sie deutete mit dem Finger auf das rechte Ende des Zaunes, wo sich in der Verbindung zur angrenzenden Mauer ein Personeneingang befand, der wegen dem hervorstehenden Baum zuerst nicht aufgefallen war.

»Die Tür sieht auch geschlossen aus«, bemerkte Angel.

»Geschlossen bedeutet nicht verschlossen«, entgegnete Joycee und lief zu dem Eingang. Diesmal drückte sie den Griff nach unten und mit einem leisen Quietschen öffnete sich die Tür.

»Bitte eintreten«, lächelte sie verschmitzt zu Angel.

Die Mädchen liefen zum Gebäude. Neben der Eingangstür der Kirche war ein Schild angebracht, dass die Gemeinde über die bevorstehenden Gottesdienste informierte, die laut Tafel in Tagalog abgehalten wurden. Angel bemerkte, dass es am Sonntag keine Messe gab, dafür zwei am Samstag, eine um sechs Uhr morgens und eine um fünf Uhr abends. Unter der Woche gab es weitere Termine, die ebenfalls früh am Morgen oder spät am Abend geplant waren.

Joycee versuchte, die Kirchentür zu öffnen, aber sie bewegte sich nicht.

»Außerhalb der Gottesdienste scheint man hier nicht beten zu können.«

»Es ist auch kein Mensch weit und breit zu sehen«, wunderte sich Angel. Das ganze Gelände war wie ausgestorben. Sie liefen links um die Kirche herum zum hinteren Teil des Geländes. Auf der Rückseite befand sich ein weiteres Gebäude, das farblich exakt der Kirche entsprach. Auf dem Dach befanden sich eine Satellitenschüssel und eine meterhohe Antenne, die auf eine Funkstation hindeutete. Die Jalousien des Gebäudes waren zugezogen, es sah verlassen aus, was aber nichts aussagte. Angel wusste, dass die Bewohner diese auch zum Schutz gegen die Sonne heruntergelassen haben konnten. Sie blickten sich um.

»Hier ist nichts«, sagte Joycee enttäuscht, obwohl sie gar nicht so genau wusste, was es hier eigentlich zu entdecken gab. Wahrscheinlich gar nichts. Angel stimmte ihr zu, sie blickte zur rückwärtigen Seite des umfassenden Zaunes, wo sich eine weitere Eingangstür analog zur Straße befand. »Lass uns gehen«, sagte sie.

Enttäuscht liefen sie wieder zur Vorderseite. Als sie zum Ausgang gehen wollten, hörten sie ein leises Quietschen, so wie sie es vor ein paar Minuten schon mal gehört hatten.

»Das ist doch die Zauntür«, sagte Joycee und blickte zu der Stelle, aber niemand war dort. Die Tür war geschlossen, so wie sie sie vor drei Minuten verlassen hatten.

»Merkwürdig …«, erwiderte Angel. Plötzlich drehte sie sich um und lief schnell zurück Richtung Rückseite.

»Was hast du vor?«, rief Joycee ihr hinterher.

»Hinten ist auch eine Tür im Zaun.«

Angel lief erneut um die Kirche herum und Joycee folgte ihr. Als sie den hinteren Teil erreicht hatten, blickten sie zu dem hinteren Eingang, aber dort war auch niemand. Fragend blickte Angel ihre Cousine an, als sie in den Augenwinkeln eine Bewegung wahrnahm. Etwa fünfzig Meter vom Hintereingang entfernt lief ein Mensch. Sie stupste Joycee an und deutete in die Richtung. In stummer Übereinkunft liefen sie zum hinteren Zaun und schauten durch die Gitterstäbe der Person hinterher, die sich mit schnellem Schritt entfernte. Es war ein Mann und für eine Moment sah es so aus, als würde er hinter einer Reihe Büsche aus ihrem Sichtfeld verschwinden. Aber im letzten Augenblick drehte er kurz den Kopf und sah zur Kirche. Joycee und Angel bückten sich sofort und hielten den Atem an. Der Zaun reichte nicht bis zum Boden, sondern war auf einer kleinen Mauer aufgesetzt, hinter der sie sich versteckten. Nach zwei endlosen Sekunden hob Joycee den Kopf und lugte über die Mauer hinweg.

»Siehst du etwas«, flüsterte Angel, die sich nicht traute, sich zu bewegen.

Plötzlich wurde Joycee fahl im Gesicht.

»Was ist?«, fragte Angel. »Hast du den Mann gesehen?«

Joycee blickte Angel an und nickte.

»Und? Kennen wir ihn? Wer war es? »

Joycee stotterte. »Es war … Marco.«

Dienstag, 20. März 2012

Die letzten Tage eines Schuljahres waren für alle entspannt. Alle Prüfungen lagen hinter den Schülern, man hatte sie entweder bestanden oder nicht und alle wussten, wohin ihr Weg im neuen Schuljahr führte. Es sei denn sie waren Schulabgänger, so wie Isko.

Dank seines Vaters hatte Isko Arbeit auf der Farm der Meilers gefunden, wo er direkt nach dem letzten Schultag anfangen sollte. In Iskos Jahrgang gab es vierundsechzig Schüler, die auf zwei Klassen verteilt waren. Die vierjährige Highschool endete mit einem Abschlusstest, dessen Bestehen zum Besuch eines Colleges oder einer Universität berechtigte. Seiner Bedeutung entsprechend trug er den Namen CEE-Test, für College Entrance Examination.

Allerdings wechselten nur zwei aus Iskos Jahrgang von der National Highschool auf die Romblon State University, eine altehrwürdige Fakultät, die auf eine fast einhundertjährige Geschichte zurückblicken konnte. Die restlichen Familien konnten sich ein Studium einfach nicht leisten. Einige Schüler betrachteten die zwei Glücklichen mit einem gewissen Neid, die meisten aber gönnten ihnen das Studium und wünschten ihren viel Glück. Es gab aber keinen Schüler, der nicht gerne mit ihnen getauscht hätte.

Alle anderen suchten sich einen Job auf Sibuyan, fündig wurden aber nur wenige. Ein Highschool-Abschluss führte in der Regel zu einem Job im Ladenverkauf, einer Werkstatt oder in einer ähnlichen Position, was man ohne die Schule nur durch besondere körperliche Attraktivität erreichen konnte. Auf der Insel gab es aber nicht mehr Arbeit, nur weil plötzlich einige neue junge Arbeitskräfte auf den Markt drängten, und so suchten die meisten vergeblich. Die wenigen Glücklichen wie Isko, die einen Job gefunden hatten, konnten bei den Eltern wohnen bleiben. Viele von den Schülern verließen Sibuyan, manche fanden bei Verwandten auf einer Nachbarinsel Arbeit, aber die meisten zog es auf die Hauptinsel Luzon und einige Glücksritter beschlossen sogar, es in der Hauptstadt Manila zu versuchen.

»Vielleicht ist Leah deshalb abgehauen«, orakelte Zoe. Sie hatte sich mit Isko am Treffpunkt neben dem Sportgelände getroffen.