Fragen zu Autismus in KiTa und Schule - Gee Vero - E-Book

Fragen zu Autismus in KiTa und Schule E-Book

Gee Vero

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Beschreibung

Inklusion in KiTa und Schule. Alle reden davon, aber verändert sich wirklich etwas? Mit diesem Buch richtet sich Gee Vero an Erzieher:innen, Lehrer:innen und alle, die im Bereich Bildung mit autistischen Menschen arbeiten und in Berührung kommen. Gee Vero, selbst Autistin, ist seit mehr als 10 Jahren als Referentin und Beraterin zum Thema Autismus europaweit unterwegs ist. Sie hat Fragen von Erzieher:innen und Lehrer:innen auf ihren Vorträgen und Seminaren gesammelt und in diesem Buch beantwortet. Kompliziertes wird von der Autorin einfach erklärt und an vielen Beispielen aus ihrer eigenen KiTa und Schulzeit anschaulich gemacht. Gee Vero erläutert, warum die Beschulung autistischer Kinder nicht einfach ist und gibt zahlreiche Ratschläge und Tipps, wie es dennoch gelingen kann. Sie geht dabei auch auf die besonderen Bedürfnisse frühkindlicher Autist:innen ein, die sie anhand von Beispielen ihres Sohnes Elijah sehr verständlich vermittelt. In diesem Buch beantwortet sie 40 Fragen rund um das Thema Autismus in KiTa und Schule. Erzieher:innen und Lehrer:innen wird das Buch helfen, ein besseres Verständnis für die autistischen Kinder in ihrer Einrichtung zu haben. Sie werden in der Lage sein, Brücken zu den Kindern zu bauen und damit eine sichere Basis für Lernen und Teilhabe zu schaffen. Dieses Buch ist ein Begleiter für den oftmals sehr herausfordernden Alltag mit Autismus und ein wichtiges Hilfsmittel auf dem Weg zu einer inklusive Bildung.

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Für alle die, die sich jeden Tag bemühen, autistischen Menschen gute Mitmenschen zu sein.

Vorwort

Auf jeder meiner Veranstaltungen bitte ich meine Zuhörer :innen mir ihre dringendste Frage aufzuschreiben. Oft bleibt am Ende des Vortrages nicht ausreichend Zeit, um alle Fragen ausführlich zu beantworten. Anfangs habe ich versucht, die Fragen im Nachhinein per E-Mail zu beantworten, aber auch dafür fehlte bald die Zeit. Außerdem erreiche ich so immer nur den einen Menschen, der die Frage gestellt hat. Damit mehr Menschen von meinen Antworten auf die Fragen profitieren können, habe ich mich entschlossen, dieses Buch zu schreiben. Zusammen gekommen sind 40 Fragen und Antworten zu Autismus in KiTa und Schule. Es sind echte Fragen von echten Menschen.

Bei Autismus ist es fast unmöglich allgemein auf eine Frage zu antworten, da die Vielfalt der Menschen so unendlich groß ist. Ich habe es dennoch versucht, und hoffe, dass Ihnen das Buch hilft, ein tieferes Verständnis für autistische Kinder zu entwickeln und ihnen eine gute Begleitung durch KiTa und Schule sein können.

Das Buch gibt einen Einblick in die Verhaltensweisen autistischer Kinder und zeigt anhand von zahlreichen Strategien auf, wie der KiTa- und Schulalltag mit autistischen Kindern gelingen kann. Mithilfe vieler persönlichen Geschichten aus meinem Leben mit Asperger Autismus, aber auch an Beispielen meines Sohnes Elijah, der frühkindlicher Autist ist, erkläre ich anschaulich, was Autismus sowohl für uns selbst als auch für unsere Umgebung bedeutet.

Das Buch ist für alle diejenigen interessant, die autistische Kinder in KiTas und Schulen betreuen und unterrichten (werden).

Ich bedanke mich für Ihr Vertrauen in meine Arbeit und wünsche Ihnen viel Erfolg für die Ihre.

Gee Vero im Februar 2024

Inhaltsverzeichnis

Kapitel 1 5 Fragen zu Autismus

Was ist Autismus?

Wie finde ich Zugang zu einem autistischen Kind?

Wie überwinde ich meine Unsicherheit im Umgang mit einem autistischen Kind?

Was tun, wenn ich Angst habe, das autistische Kind zu überfordern?

Wie kann ich einem autistischen Kind Gutes tun?

Kapitel 2 5 Fragen zu Diagnostik

Was halten Sie von der neuen einen Diagnose „Autismus Spektrum Störung“?

Warum gibt es immer mehr Autismus Diagnosen?

Wie gehe ich bei Autismus-Verdacht auf die Eltern zu?

Was kann ich tun, um eine Diagnostik voranzutreiben?

Wie gehe ich damit um, wenn die Eltern die Diagnose ihres Kindes „geheim“ halten möchten?

Kapitel 3 5 Fragen zu Barrierefreiheit

Wie sollte eine Autismus akzeptierende KiTa/Schule sein?

Wie sieht eine gute KiTa/Schule für Autist: innen aus?

Gibt es generelle Tipps zur Gestaltung des Gruppenraumes/Klassenzimmers hinsichtlich autistischer Kinder?

Wie ist Inklusion autistischer Kinder in der KiTa/Schule möglich, wenn keine Rückzugsräume angeboten werden können?

Wie sollte der Schulhof/Garten für autistische Kinder gestaltet sein?

Kapitel 4 5 Fragen zu Aufklärung

Wie gehe ich mit den Eltern des autistischen Kindes und den anderen Eltern um?

Wie kann ich die anderen Kinder über das autistische Kind, das in ihre Gruppe oder Klasse kommt, aufklären?

Wie schaffe ich es, dass die anderen Kinder die ungewöhnliche Verhaltensweisen (Zucken, Atmen, langsames Sprechen) des autistischen Kindes tolerieren?

Wie kann ich einem autistischen Kind (7) das Thema Autismus näher bringen? (z.B. eigene Kräfte einschätzen)

Wie kann man das Verständnis der KiTa/Schule für Autismus verbessern und eine größere Akzeptanz bei Erzieher: innen/Lehrer: innen erreichen?

Kapitel 5 5 Fragen zu Sozialer Interaktion

Wieso kommt es zu dem unangepassten Sozialverhalten?

Warum zieht sich ein autistisches Kind „in sich zurück“ und wie kann ich helfen?

Wie erkenne ich, dass das autistische Kind überfordert ist?

Wie helfe ich dem autistischen Kind bei der Kontaktaufnahme zu den anderen Kindern?

Fehlt autistischen Kindern die Empathie?

Kapitel 6 5 Fragen zu Verhaltensauffälligkeiten

Was sind Overload, Meltdown und Shutdown und wie erkenne ich sie?

Wie gehe ich mit herausforderndem Verhalten, z.B. ständigem Schreien, um?

Was tun, wenn das autistische Kind autoaggressiv ist?

Warum ist das autistische Kind immer müde?

Was bedeuten die ständigen Schaukelbewegungen?

Kapitel 7 5 Fragen zu Unterstützung und Hilfen

Was ist Stimming?

Welche Hilfsmittel benötigen autistische Kinder in KiTa und Schule?

Gibt es schon Ideen, wie man das von Ihnen vorgeschlagene Punkte-System an KiTa/Schule umsetzen kann?

Was kann ich tun, wenn das autistische Kind die Hilfen nicht annehmen will?

Wie sehen Sie die Gefahr, dass Auszeiten (Hilfsmittel) ausgenutzt werden, um nicht lernen zu müssen?

Kapitel 8 5 Fragen zu Kommunikation

Welche Möglichkeiten der Kommunikation gibt es für autistische Kinder, besonders non-verbale?

Warum spricht das autistische Kind wie ein kleiner Professor, aber versteht einfache Zusammenhänge nicht?

Was tun, wenn das autistische Kind monologisiert, ständig nachfragt und damit die anderen Kinder nervt?

Warum redet das autistische Kind in meiner Gruppe Englisch, obwohl die Muttersprache Deutsch ist?

Welche Besonderheiten in der Kommunikation muss ich beachten?

Nachwort

Buchempfehlungen

Die Autorin

Kapitel 1 5 Fragen zu Autismus

„Alle Menschen haben Sterne, aber sie sind für verschiedene Menschen nicht dasselbe. Für einige, die Reisende sind, sind die Sterne Führer. Für andere sind sie nicht mehr als kleine Lichter am Himmel. Für andere, die Gelehrte sind, sind sie Probleme … Aber all diese Sterne schweigen.“

Der Kleine Prinz

Was ist Autismus?

Kurzantwort: Autismus ist eine Reaktion auf eine andere, verzerrte Wahrnehmung ein und derselben der Welt.

Lange Antwort: Wir haben alle eine ganz eigene Wahrnehmung von dem, was um uns herum geschieht. Nur auf diese Wahrnehmung können wir reagieren. Wie sehr sich die Wahrnehmungen autistischer Menschen von denen nicht-autistischer Menschen unterscheiden, können wir nur am Verhalten autistischer Menschen erkennen. Es ist ein für die Umgebung fast immer unerwartetes und oftmals sozial-inadäquates Verhalten. Autismus ist als eine Reaktion auf eine verzerrte Wahrnehmung zu verstehen. Die Wahrnehmungsverzerrungen können sehr unterschiedliche Ursachen haben und sind sowohl eine Erklärung für das breite Autismus Spektrum als auch für das Spektrum Mensch, auf dem wir uns alle befinden. Autismus ist eine Strategie, um ganz unterschiedliche Dinge zu kompensieren. Autismus dient dazu, in einer Welt zu überleben, die sich ganz anders präsentiert, als sie es ist. Aufgrund der Vielfalt der Ursachen, die autistisches Verhalten hervorrufen können, entsteht auch eine Vielfalt an Autismen.

Merke: Ein autistischer Mensch gleicht ebenso wenig einem anderen autistischen Menschen, wie ein Mensch einem anderen Menschen gleicht. Es gilt jedem Menschen neu zu begegnen.

Es gibt ca. 69 Millionen autistische Menschen auf der Welt und jeder Autismus ist anders. Autismus ist individuell, weil Mensch sein individuell ist. Autismus ist keine Störung oder falsches Sein, sondern ein extremes Mensch sein.

Ein autistischer Mensch muss sein Leben ohne Ich-Maske, als ungeschütztes Selbst, meistern. Dies erschwert sowohl die Begegnung als auch die Kommunikation mit den Mitmenschen. Hinzu kommt, dass das Gegenüber den Autismus nicht sehen kann. Autismus ist eine unsichtbare Behinderung, deren Konsequenzen jedoch nicht lange unbemerkt bleiben. Frühkindliche Autist: innen fallen besonders schnell auf. Das bedeutet aber nicht, dass die Gesellschaft die Verhaltensweisen auf Autismus zurückführt, auch nicht, dass es zu einer Akzeptanz von Autismus kommt. Vielmehr führen Unwissenheit und Interpretationen immer noch schnell zu Ablehnung und Ausgrenzung autistischer Menschen. Besonders Autist: innen, die wenig oder keine Kompensationsstrategien haben, wie mein Sohn Elijah, sind davon betroffen. Es ist wichtig, die Ursache der autistischen Reaktion zu finden, damit Hilfe, Unterstützung und therapeutische Ansätze genau dort ansetzen können.

Der nächste wichtige Schritt ist es, an der Wahrnehmungsverzerrung zu arbeiten. Verändert man die Wahrnehmung, verändert sich automatisch die Reaktion, sprich das Verhalten. Es ist hauptsächlich das Verhalten autistischer Menschen, welches die sozialen Interaktionen und die Kommunikation zwischen autistischen und nicht-autistischen Menschen erschwert. Oftmals so sehr, dass beide Seiten frustriert aufgeben und sich zurückziehen, anstatt Brücken zu bauen, sich zu begegnen und kennenzulernen. Kann dieses Kennenlernen jedoch stattfinden, stellen alle Beteiligten überrascht fest, dass sie mehr gemeinsam haben als erwartet.

Merke: Jeder Mensch ist einzigartig. Egal, ob autistisch oder nicht.

Wie finde ich Zugang zu einem autistischen Kind?

Kurzantwort: indem Sie sich auf das Kind einlassen, es kennenlernen und ihm offen und ehrlich begegnen

Lange Antwort: Der Umgang mit autistischen Kindern wird Ihnen bewusst machen, dass Sie jedem Kind neu begegnen müssen. Sie können sich nicht darauf verlassen, dass das, was bei einem anderen autistischen Kind geklappt hat, auch beim nächsten genau so funktioniert. Es gibt kein Universalwerkzeug. Kann das Kind verständlich kommunizieren, egal, auf welche Weise, ist eine große Barriere überwunden. Ist es aber, wie mein Sohn, nonverbal und nicht in der Lage sich adäquat zu verständigen, wird es um einiges schwieriger. Hier müssen Sie sich auf die Aussagen der Eltern und anderer Bezugspersonen verlassen und das Kind gut beobachten. Bitte versuchen Sie, nicht zu interpretieren.

Merke: Das, was das Kind nach außen tragen kann, muss nicht mit dem übereinstimmen, was es in sich trägt.

Nehmen Sie sich für dieses Kennenlernen ausreichend Zeit. Ich empfehle hierfür mindestens 6 Monate vor KiTa- oder Schulbeginn. Bereiten Sie das erste Treffen gewissenhaft vor. Dazu sollten Sie sich vorher mehrfach mit den Eltern oder Bezugspersonen treffen und intensiv austauschen.

Fragen, die Sie stellen sollten:

Was gilt es bei der Begegnung mit dem Kind zu beachten?

Wie nimmt das Kind Kontakt zu Fremden auf?

Sind Blickkontakt/direkte Ansprache okay für das Kind?

Wie kommuniziert das Kind?

Wie gut versteht es verbale Sprache?

Welche Vorlieben/Hobbys/Spezialinteressen hat es?

Welche Stärken hat es?

Was stresst das Kind?

Wie erkenne ich, dass das Kind gestresst ist?

Welche autistischen Verhaltensweisen zeigt das Kind?

Wodurch wird es eventuell getriggert?

Wie reguliert sich das Kind?

Hat es ein Stimming? Welches?

Welche Rückzugsorte braucht es? Wann?

Welche Strukturen/Routinen gibt es?

Was ist den Eltern/Bezugspersonen sonst noch wichtig?

Auf diese Weise können Sie sich vorab Tipps für den Umgang mit dem Kind holen und Ihre Fragen stellen. Besprechen Sie, wo und wie die erste Begegnung ablaufen muss, damit sich das Kind wohlfühlen und Vertrauen fassen kann. Sehen, schätzen und vor allem nutzen Sie die Eltern/Bezugspersonen als Expert: innen für das Kind.

Treffen Sie das Kind in einer vertrauten Umgebung, in der es sich sicher fühlt und Rückzugsmöglichkeiten hat. Halten Sie sich auf jeden Fall an die Absprachen, die Sie mit den Eltern/Bezugspersonen getroffen haben. Wir haben mit Elijah oft genug erlebt, dass gut gemeinte Gesten komplett nach hinten losgegangen sind. Bleiben Sie hinter der „Absperrung“. Diese Regeln gibt es nicht ohne Grund.

Elijahs Beispiel: Elijah kann Körperkontakt nur schwer ertragen, es sei denn, er geht von ihm selbst aus. Als eine Bekannte Elijah trotz unseres Hinweises, ihn bitte nicht zu berühren, spontan mit den Worten: „Von mir wird jeder gedrückt“ in die Arme nahm, hatte das einen heftigen Meltdown zur Folge.

Autistische Menschen haben eine andere Geschwindigkeit. Verwechseln Sie eine langsame Entwicklung nicht mit Stillstand. Machen Sie kleine Schritte. Diese können eine große Wirkung haben. Ein Kind muss nichts tun, um wertvoll zu sein, geliebt und akzeptiert zu werden.

Meine Tipps:

Schauen Sie genau hin.

Nehmen Sie jeden noch so kleinen Erfolg wahr.

Haben Sie Geduld.

Sehen Sie das Kind mit dem Herzen.

Zeigen Sie ihm, dass es gut ist, wie es ist.

Bauen Sie eine Brücke, in dem Sie auf die Interessen des Kindes eingehen. Suchen Sie nach Gemeinsamkeiten. Sie werden sie finden. Wenn Sie unsicher sind, fragen Sie nach. Das ist eine der besten Kompensationsstrategien, um fehlendes Wissen auszugleichen. Ob das Nachfragen in der Situation oder im Nachgang erfolgen sollte, müssen Sie selbst entscheiden.

Merke: Keiner ist perfekt und nur aus Fehlern lernen wir.

All die Energie, Zeit und Aufmerksamkeit, die Sie aufbringen, um mit dem autistischen Kind in Kontakt zu kommen, ist wertvoll und ein weiterer wichtiger Schritt in Richtung inklusive Bildung. Machen Sie sich immer wieder deutlich, dass es Fortschritte gibt. Sie können viel bewegen, indem Sie das Kind so annehmen wie es ist und versuchen, ihm Wege und Möglichkeiten aufzuzeigen. Auch wenn manches nicht sofort oder gar nicht gelingt, ist so dennoch eine Menge gewonnen.

Wie überwinde ich meine Unsicherheit im Umgang mit einem autistischen Kind?

Kurzantwort: indem Sie sich von den Eltern und Bezugspersonen ausreichend Informationen über das Kind, die Besonderheiten in der Begegnung und im Umgang mit dem Kind holen und sich an alle Hinweise und Ratschläge halten

Lange Antwort: Die Begegnung mit einem autistischen Kind ist immer ein Abenteuer. Es ist ganz natürlich, dass Sie sich unsicher fühlen. Das haben Sie mit dem Kind gemeinsam. Am besten überwinden Sie Ihre Unsicherheit, in dem Sie dem Kind in einer geschützten, ihm vertrauten Umgebung begegnen, bevor Sie beide in den komplexen und für alle anstrengenden Schulalltag eintauchen.

Elijahs Beispiel: Ich habe für meinem Sohn beim Neustart in KiTa, Schule und letztendlich in der Wohneinrichtung, vorab eine Art „Bedienungsanleitung“ geschrieben. Darin enthalten war all das, was es in der Begegnung und im Miteinander mit Elijah zu beachten gilt. Für Fragen waren und sind wir immer offen.

Führen Sie Gespräche mit den Eltern und anderen Bezugspersonen. Kontaktieren Sie, wenn möglich, die vorherigen Bildungseinrichtung, wie KiTa, Grundschule etc. Der Austausch mit Menschen, die das Kind schon eine Weile begleitet haben, kann sich als sehr wertvoll erweisen und Ihnen viele Ihrer Fragen beantworten.

Merke: Es ist wichtig, dass Sie Ihre Unsicherheit ernst nehmen und aktiv etwas dagegen tun. Die meisten autistischen Kinder haben ganz feine Antennen. Sie spüren, ob es Ihnen wirklich gut geht. Sie merken, wenn Ihr Lächeln aufgesetzt ist. Es wird ihnen Angst machen, Ihre Unsicherheit zu spüren. Sie werden es nicht schaffen, einem autistischen Menschen Wohlbefinden und Sicherheit nur vorzutäuschen.

Schreiben Sie nicht nur die Fragen auf, sondern alle Bedenken und Ängste, die Sie haben. Besprechen Sie diese unbedingt offen und ehrlich mit allen Beteiligten. Autistische Kinder suchen immer und überall nach Sicherheit. Als Lehrer: in sind Sie eine wichtige Bezugsperson. Findet es bei Ihnen keine Sicherheit, sondern spürt, dass Sie unsicher sind und vielleicht sogar Angst haben, wird es sich von Ihnen zurückziehen, Sie eventuell komplett ablehnen. Da viele autistische Kinder dies nicht gut oder gar nicht adäquat kommunizieren können, drücken sie es oft nur über ihr Verhalten aus.

Merke: Sie müssen Ihr Außen und Ihr Innen in Einklang bringen.

Das Außen ist recht einfach, denn Sie haben die entsprechende Maske dafür parat. Es ist das Innen, das wirklich harte Arbeit von Ihnen abverlangt. Seien Sie ehrlich sich selbst gegenüber. Nur so wird es klappen. Suchen Sie sich Hilfe, um Ihre Unsicherheiten zu bearbeiten. Nach Hilfe fragen, zeigt Stärke. In dem Sie sich ehrlich mit Ihrer Unsicherheit auseinandersetzen, helfen Sie nicht nur dem autistischen Kind, sondern vor allem sich selbst und allen Menschen, denen Sie begegnen.

Was tun, wenn ich habe Angst, das autistische Kind zu überfordern?

Kurzantwort: Schaffen Sie eine sichere Basis, in dem Sie sich mit dem Kind vertraut machen. Lernen Sie das Kind und seine Besonderheiten gut kennen, bevor Sie mit ihm zu arbeiten beginnen.

Lange Antwort: Zugegeben, es ist sehr schwer, einzuschätzen, wann ein autistisches Kind überfordert wird. Oft können sich die Kinder nicht adäquat mitteilen. Viele geben, trotz Sprachvermögens, selten oder gar keine Auskunft über ihre Befindlichkeiten und Bedürfnisse. Sie werden anders an die Sache herangehen müssen. Selbst bei sprechenden bzw. kommunizierenden autistischen Kindern müssen Sie genau beobachten, wie die Kinder in den einzelnen Situationen reagieren. Aber interpretieren Sie nicht. Auf Fragen antworten autistische Kinder oft nicht verlässlich. Die eigenen Bedürfnisse werden zum Teil nicht als solche erkannt und können somit nicht adäquat mitgeteilt werden.

Mein Beispiel: Wurde ich als Kind gefragt, ob ich verstanden habe, habe ich immer mit „Ja“ geantwortet. Auch dann, wenn ich nicht wirklich wusste, um was es ging. Ich hatte erkannt, dass das „Ja“ dazu führt, dass keine weiteren Fragen folgen und ich nicht länger im Mittelpunkt stehe. Mir war bewusst, dass die anderen Kinder, auch die weniger Schlauen, alles verstanden hatten. Ich wollte „schlau“ sein. Ich passte mich an, was dazu führte, dass ich überfordert wurde. Niemandem kam in den Sinn, dass mein herausforderndes Verhalten etwas damit zu tun haben könnte.

Dabei ist jedes Verhalten Kommunikation. Vergessen Sie nicht, dass das Kind z.B. Ihre Angst spüren wird, aber ohne zu wissen, warum Sie Angst haben. Viele autistische Kinder übernehmen die Gefühle und Wahrnehmungen ihrer Bezugspersonen 1:1. Elijah ist solch ein Kandidat.

Elijahs Beispiel: Stritten sich zwei Mitschüler und er stand zu nah dabei, war es automatisch auch sein Streit. Elijah fuhr sofort hoch und begann sich zu schlagen. Für seine Umgebung war das oft nicht zu verstehen.

Sie müssen Ihre Angst vor der Tür lassen. Sie wird nicht gebraucht. Wenn Sie im Umgang mit dem autistischen Kind so gut sind, wie Sie sein können, machen Sie nichts falsch. Vertrauen Sie Ihrem Bauchgefühl. Tauschen Sie sich mit allen aus, die mit dem Kind arbeiten, um sich ein umfassendes Bild von der Intelligenz und Leistungsfähigkeit des Kindes zu machen. Fragen Sie bei den Eltern nach. Bei manchen Kindern kann ein Intelligenztest helfen.

Merke: Viele autistische Kinder sind eher in der sozialen Interaktion und bei der Kommunikation mit ihren Mitschüler: innen überfordert, nicht mit dem Lernstoff.

Wie kann ich einem autistischen Kind Gutes tun?

Kurze Antwort: indem Sie das Kind so akzeptieren, wie es ist

Lange Antwort: Es gibt kein besseres Geschenk als Akzeptanz.

Akzeptanz kostet nichts.

Jeder kann sie geben.

Man kann sie nicht überdosieren.

Sie ist überall einsatzbreit.

Akzeptieren heißt nicht, dass Sie alles gut finden müssen, was das Kind tut. Aber nur, wenn Sie es in seiner anderen Art zu Sein akzeptieren, schaffen Sie eine gute Basis für die Begegnung und für Vertrauen.

Merke: Der Mensch ist das wichtigste Hilfsmittel für einen autistischen Menschen. Aber auch der größte Stressor.

Vertraut das Kind Ihnen, wird es bereit sein, sich auf Ihre Hilfsangebote einzulassen. Machen Sie unbedingt einen Wahrnehmungscheck.

Eine Aufgabe: Sehen Sie sich mit dem autistischen Kind den Raum an, in dem Sie sich befinden.

Wie nehmen Sie den Raum wahr?

Was finden Sie gut und was nicht?

Fragen Sie das Kind, wie es bei ihm ist.

Glauben Sie dem Kind.

Vertrauen Sie darauf, dass es für dieses Kind so ist.

Tauschen Sie sich über ihre unterschiedlichen

Wahrnehmungen aus, wann immer dies möglich ist.

Vergleichen Sie sie miteinander.

Finden Sie heraus, was gleich und was anders ist.

Machen Sie sichtbar, was sie beide unterscheidet, aber auch,

was sie gemeinsam haben.

Zeigen Sie dem Kind, dass Sie versuchen, es zu verstehen. Wenn möglich, erklären Sie ihm Ihre Wahrnehmung. Sie sehen beide die gleiche Welt, aber ganz anders. Ein autistisches Kind darf nicht das Gefühl bekommen, dass es ein Außenseiter ist. Bauen Sie Brücken, in dem Sie den Fokus auf die Gemeinsamkeiten legen. Suchen Sie zusammen nach Lösungen, wie sich das Kind mit seiner Wahrnehmung besser in der KiTa oder Schule zurechtfinden kann. Wenn sich das autistische Kind nicht als Außenseiter fühlt, dann haben Sie ihm ein wunderbares Geschenk gemacht. Danke!

Kapitel 2 5 Fragen zum Thema Diagnose

„Ich bin, wer ich bin, und ich muss sein.“

Der kleine Prinz

Was halten Sie von der neuen einen Diagnose „Autismus Spektrum Störung“?

Kurzantwort: Gar nichts, weil es dazu führen wird, dass mehr Menschen eine Diagnose erhalten und die frühkindlichen Autist: innen noch mehr vergessen werden.

Lange Antwort: Leider wird seit kurzem in den beiden weltweit anerkannten Systemen zur Klassifikation psychischer Störungen (DSM-5 und ICD-11) nicht mehr zwischen Asperger, hochfunktionalem, atypischem und frühkindlichem Autismus unterschieden. Ich finde die neue Art zu diagnostizieren nicht hilfreich. Ich erlebe jeden Tag den großen Unterschied zwischen mir und meinem Sohn hautnah.

Elijah ist non-verbal und rund um die Uhr auf Hilfe angewiesen. Er hat nur wenige Kompensationsstrategien und fast keine Teilhabe. Seit kurzem wissen wir, dass er den sehr seltenen Gendefekt im SCN2A Gen hat, dem sogenannten Autismus-Gen, hat.

Frühkindlicher Autismus

Ich bin verbal und kann Sprache als Werkzeug verwenden. Ich habe jede Menge guter Kompensationsstrategien, um meinen Alltag zu meistern und kann mich anpassen. Daher habe ich, wenn auch begrenzt, Teilhabe am gesellschaftlichen Leben.

Asperger-Autismus

Asperger und frühkindlicher Autismus, aber auch hochfunktionaler und atypische Autismus, sind auf einem Spektrum sein, aber sie unterscheiden sich erheblich voneinander. Besonders, was die Ursachen betrifft. Nach der jeweiligen Ursache für den Autismus eines Menschen sucht jedoch bislang kaum jemand. Obwohl genau dort die Antwort liegt. Für mich ist diese neue Diagnostik ein großer Schritt in die falsche Richtung.

Warum gibt es immer mehr Autismus Diagnosen?

Kurzantwort: weil mit der neuen Diagnose „Autismus Spektrum Störung“ die Diagnosekriterien erweitert wurden, so dass mehr Menschen dem Autismus Spektrum zu geordnet werden (können)

Lange Antwort: Seit einigen Jahren werden vermehrt Autismus-Diagnosen im Erwachsenenalter gestellt. Das war früher eher selten. Da waren es hauptsächlich Kinder, bei denen autistische Verhaltensweisen zur Diagnose führten. Dies führt unweigerlich dazu, dass es mehr Menschen mit der Diagnose Autismus gibt. Lange Zeit wurde angenommen, dass hauptsächlich Jungen betroffen wären. Nun werden vermehrt Mädchen mit Autismus diagnostiziert, die früher übersehen wurden, und natürlich viele Frauen. Das Bewusstsein für Autismus hat sich weltweit in den letzten Jahren stark verändert. Es gibt tatsächlich mehr Autismus-Diagnosen, aber das heißt nicht zwingend, dass es mehr autistische Menschen gibt. Die Diagnose sagt außerdem nichts über die Ursachen aus, sondern gibt lediglich der daraus resultierenden Verhaltensweisen einen Namen.

Elijahs Beispiel: Vor mittlerweile fast 17 Jahren ging ich mit Elijah zur Kinderärztin, um ihr meine Beobachtungen hinsichtlich seines Verhaltens zu schildern. Er hatte den Blick in sich gekehrt, drehte ständig Löffel, allerdings nur rote, und hatte alle Fähigkeiten, wie Türmchen bauen oder erste Worte scheinbar „verloren“. Sie hörte sich alles an, winkte ab und meinte, Jungen wären langsamer als Mädchen. Elijah würde da schon rauswachsen. Als er nicht mehr auf Ansprache reagierte, schickte sie uns zum HNO-Arzt, der uns in die Audiometrie der Uniklinik Leipzig überwies. Dort war man sich, im Gegensatz zu uns, lange sicher, dass Elijah taub ist. Wir haben lange Zeit um eine BERA (Hirnstammaudiometrie) gekämpft, die schließlich klar stellte, dass er hörend ist. Erst nach weiteren Monaten Wartezeit stellte man im SPZ die Diagnose frühkindlicher Autismus. Ich bin mir sicher, dass das heute nicht mehr passiert und Elijah früher Zugang zu für ihn sinnvollen Therapieangeboten haben würde. Auch Gen-Tests, die jetzt möglich sind, und bei Elijah einen Defekt am SCN2A Gen aufgezeigt haben, hätten uns viele Jahre der Unsicherheit und des Grübelns und Elijah zusätzliches Leid erspart.

Mittlerweile sind mehr Menschen, insbesondere Ärzt: innen, sensibilisiert, was Autismus betrifft. Es gibt bessere Möglichkeiten der Weiterbildung zum Thema Autismus. Schulungen und Vorträge, unter anderem von Autist: innen selbst, haben dazu geführt, dass Autismus in den Fokus der Gesellschaft gerückt ist.

Leider muss ich hinzufügen, dass viele Menschen, die an sich autistisches Verhalten festzustellen glauben, sich der zahlreichen Selbsttests im Internet bedienen und sich nicht nur als autistisch bezeichnen, sondern auch ausgeben. Diese Entwicklung hilft niemanden. Sie schadet besonders Menschen, die schwer von ihrem Autismus betroffen sind und nur wenige Kompensationsstrategien haben.