Frau ohne Ausweg - Anthony J. Quinn - E-Book

Frau ohne Ausweg E-Book

Anthony J. Quinn

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  • Herausgeber: Polar Verlag
  • Kategorie: Krimi
  • Sprache: Deutsch
  • Veröffentlichungsjahr: 2023
Beschreibung

Eine verkohlte Leiche, ein ausgebrannter Wagen und eine Reihe von Fußspuren im Schnee führen Celcius Daly in die zwielichtige Welt des Menschenhandels. Die Grenze zwischen Nordirland und der Republik ist ein rauer Ort: kalt, windgepeitscht und dunkel. Für die aus Osteuropa hierher gebrachten Mädchen kann es genauso gut ein Kriegsgebiet sein. Ein Bauernhaus-Bordell in der Nähe von South Armagh erweist sich als Hölle für die Frauen. Eines Nachts nimmt ein Zuhälter eine von ihnen mit auf eine Spritztour. Sie plant gerade ihre Flucht, als das Auto explodiert. Am nächsten Morgen ist nichts mehr übrig als der verkohlte Körper des Zuhälters und die Fußspuren der Frau im Schnee. Während seine Forensiker ihre Aufmerksamkeit auf die verbrannte Leiche richten, ist Inspektor Celcius Daly besessen von den Fußspuren. Wo genau kam die Frau her und wohin ging sie? Es ist die Art von Frage, die nur in den Grenzgebieten gestellt wird – zwischen Nord und Süd, zwischen Leben und Tod. Inspector Celcius Daly macht sich auf der Suche nach der vermissten kroatischen Frau, Lena Novak. Daly findet sich zusammen mit ihr und einem Killer in einer Verfolgungsjagd auf Leben und Tod wieder. Seine Ermittlungen führen sie tief ins Grenzland, ein wildes Terrain aus sich auflösenden Wegen und gesprengten Brücken, verlassenen Geistersiedlungen und dichten Wäldern – der ultimative Zufluchtsort für alle, die nicht gefunden werden wollen.

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DARK PLACES

Anthony J. Quinn

Frau ohne Ausweg

Aus dem Englischen von Sven KochHerausgegeben von Jürgen Ruckh

Polar Verlag

Originaltitel: Border Angels

Copyright: © Anthony J. Quinn, 2013

First published in the United States in 2013

by Mysterious Press.com / Open Road Integrated Media

First published in the UK in 2015 by Head of Zeus Ltd

The moral right of Anthony Quinn to be identified as the author of this work has been asserted in accordance with the Copyright, Designs and Petents Act of 1988.

Deutsche Erstausgabe, 1. Auflage 2023

Aus dem Englischen von Sven Koch

Mit einem Nachwort von Christian Koch

© 2023 Polar Verlag e.K., Stuttgart

www.polar-verlag.de

Alle Rechte vorbehalten. Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form (durch Fotografie, Mikrofilm oder andere Verfahren) oder unter Verwendung elektronischer Systeme ohne schriftliche Genehmigung des Verlags verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden.

Redaktion: Andrea Stumpf

Korrektorat: Gabriele Werbeck

Umschlaggestaltung: Britta Kuhlmann

Coverfoto: © StockPhotosLV /shutterstock

Autorenfoto: © Eileen Quinn

Satz/Layout: Martina Stolzmann

Gesetzt aus Adobe Garamond PostScript, InDesign

Druck und Bindung: Nørhaven, Agerlandsvej 3, 8800 Viborg, DK

Printed in Denmark 2023

ISBN: 978-3-948392-85-7

eISBN: 978-3-948392-86-4

Für Clare

Inhalt

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Kapitel 25

Kapitel 26

Kapitel 27

Kapitel 28

Kapitel 29

Kapitel 30

Kapitel 31

Kapitel 32

Kapitel 33

Kapitel 34

Kapitel 35

Kapitel 36

Kapitel 37

Kapitel 38

Kapitel 39

Kapitel 40

Kapitel 41

Kapitel 42

Kapitel 43

Kapitel 44

Kapitel 45

Kapitel 46

Kapitel 47

Kapitel 48

Danksagung

Bruchlinien: Ein Nachwort von Christian Koch

1

Grenzland war ihr vertraut. In jenem, das hinter ihr lag, in den schneebedeckten Eichen- und Kiefernwäldern, die ihre Heimat vom Rest der Welt trennten, gab es Wölfe, Bären und vergrabene Landminen.

Während ihres erzwungenen Aufenthalts in einem verfallenden Cottage träumte sie von ihrem Land, bis die Schatten der Bäume von dort in das neue Grenzland fielen. In einem dunklen Winkel ihres Bewusstseins erschien ihr das vergessene Licht des Bauernhauses ihrer Großmutter am Fuß eines bewaldeten Bergs. Doch wenn sie die Augen aufschlug, sah sie nichts als eine gesprungene Fensterscheibe, die im Mondlicht glänzte, und die Gestalt eines weiteren Mannes, der seine Hose hochzog, sich das Hemd in den Bund stopfte und zur Tür hinauswankte.

Als Teenager hatte sie sich danach gesehnt zu reisen, hatte sich aufmachen wollen zu faszinierenden farbenfrohen Orten. Sie wollte den Wäldern entfliehen, die ihr Dorf umgaben, und dorthin reisen, wohin der Krieg nicht gekommen war, wo die Menschen sich nicht um Politik scherten und wo die ganze Nacht Musik spielte. Sie vertrieb sich die Zeit damit, auf die wahre Liebe zu warten oder auf ein Abenteuer, das ihr Leben auf den Kopf stellte und ihr half, woandershin zu gelangen. Wie hatte sie ahnen können, dass die Grausamkeit eines einzelnen Mannes diesen Traum so schnell wahr machen würde.

Um sich selbst zu schützen, verdrängte sie nach zwei Monaten in dem Farmhaus-Bordell das, was mit ihr geschah. Ein Teil von ihr blieb unberührbar und unveränderlich. Sie sah einfach zu. Es war November. Die Schlehen in den dornigen Hecken waren tropfnass vom Regen. Spätnachts hörte sie von ihrem Fenster aus das Rauschen des Flusses, der die Dunkelheit an der inneririschen Grenze verschlang.

2

An Wochenenden riss der abendliche Strom an Scheinwerfern, die über die von dichten Hecken gesäumten Feldwege von und zu dem grenznahen Bordell schlichen, kaum einmal ab. In einem fort kurvten Jeeps und deutsche Nobelkarossen heran, und so hastig die Fahrer unterwegs rauf und runter schalteten, so Hals über Kopf parkten sie in ihrer kaum zu zügelnden Ungeduld: Reifen versanken im Schlamm und rutschten in gluckernde Gräben, Handbremsen wurden jäh angezogen, Motorhauben taten einen letzten Satz vorwärts in das tropfende Schlehdorngebüsch.

Nach nichts war Jack Fowler in diesem Moment weniger als nach Zurückhaltung. Er donnerte in seinem dicken Mercedes auf das Farmhaus zu, ohne sich darum zu scheren, ob dabei der Seitenspiegel eines Land Rovers oder BMWs dran glauben musste. In seinem teuren Anzug entsprach er ganz dem Bild des cleveren Geschäftsmanns, der gekommen war, um einen Teil seines sauer verdienten Geldes auf den Kopf zu hauen.

Als er auf das Haus zuging, folgte ihm ein Schwarm Fliegen. Trotz des leichten Schwankens und des Schweißes auf der Stirn wirkte er wie ein Mann, der alles im Griff hatte, sich selbst ebenso wie den Rest seiner Welt. Aber auf seiner Zunge lag der bittere Geschmack von Niederlage. Jetzt bedauerte er seine Gier und eine Reihe von Fehlentscheidungen auf dem Immobilienmarkt. Doch mittlerweile war es zu spät für einen Richtungswechsel, die Korrektur seines größten Fehlers, der Habsucht. Der Wert seiner Investitionen rutschte jeden Tag tiefer in den Keller, während eine Hiobsbotschaft die nächste jagte, täglich mehr Arbeitsplätze verloren gingen, Geschäfte dichtmachten und ihn der Pleite näherbrachten.

Er hatte bereits einige Whiskey gekippt, bevor er zu dem geheimen Fluchtort an der Grenze aufgebrochen war, und hinter seiner Stirn begann sich wummernder Schmerz zusammenzuballen. Das Cottage kam ihm entgegen, und wie von einer Windböe erfasst flog die Tür auf. Ein Gefühl von Schuld fuhr in ihn. Er schloss die Tür hinter sich und wartete, bis sich seine Augen an das gedämpfte Licht gewöhnt hatten.

Anfangs wollte er nur mit jemand reden. Die Frauen, die hinter dem roten Samtvorhang flüsterten, stammten alle aus Osteuropa. Kaum eine konnte so gut Englisch, dass sie ein Gespräch führen konnte. Er entschied sich für ein Mädchen namens Lena, weil ihr Blick klar war, frei von Hass oder Ekel, und ihre Augen verrieten keine Anzeichen von Drogenkonsum.

Auf seinen Gesprächsversuch ging sie nicht ihm zu Gefallen ein, sondern weil sie einsam war. Manchmal verbrachte sie den ganzen Tag, ohne mit einer Menschenseele zu sprechen. Als ihnen der Gesprächsstoff ausging, bezahlte er sie und ging. Es war das teuerste Gespräch über das Wetter, das er in seinem zweiundvierzigjährigen Leben geführt hatte.

Bei seiner Rückkehr in der folgenden Woche fragte er ausdrücklich nach ihr. Diesmal hatten sie Sex, und danach schlief er auf dem Bett ein.

Als seine Zeit um war, weckte sie ihn.

Er stand sofort auf und suchte nach seiner Kleidung, aber etwas ließ ihn innehalten. Beunruhigt beugte er sich zu ihr.

»Habe ich dir wehgetan?« Er klang wie über sich selbst erschrocken.

Sie zögerte einen Augenblick. »Nein.«

»Diese blauen Flecken.« Er streckte die Hand aus, um die Blutergüsse zu berühren, violette Striemen auf dem hellen Marmor ihres Brustkorbs. Sie hatte versucht, sie zu verbergen, aber es waren zu viele.

Sie zog die Decke um ihre Schultern.

»Der Mann, der das Haus bewacht, ist gestern Nacht zu mir gekommen. Er heißt Sergej. Weil ich hier bin, fühlt er sich wie ein Feigling. Deswegen ist er wütend und lässt das ab und zu an mir aus.« Sie streckte die Hand nach einer Zigarette aus.

»Warum bleibst du dann hier?«

Sie gab keine Antwort.

»Ich bin hergekommen, um mich zu vergnügen. Stattdessen …« Er öffnete den Mund, schloss ihn, begann erneut. Es kam kein Wort heraus. Verwirrung sprach aus seinen Augen. Er glich einem Untergehenden, der nicht ertrinken wollte.

Sie beendete den Satz für ihn. »Stattdessen hast du nur Schmerz gefunden.« Sie zündete sich eine Zigarette an. »Die hässlichste Art von Schmerz. Denjenigen, den Männer verursachen, die Frauen hassen.« Ihre Stimme hatte einen anderen Klang angenommen, so als genösse sie die Worte wie den Tabakrauch, den sie inhalierte.

»Gibt es denn verschiedene Arten von Schmerz? Ist er nicht immer hässlich?«

Er wollte sie berühren, aber sie entzog sich seiner Hand.

Ja, die gab es. Schmerz, den die Natur verursachte, war nie hässlich, etwa wenn man barfuß durch den Schnee lief, aber das sagte sie ihm nicht.

»Du hast recht. Hier gibt es nichts als Schmerz.«

Sie ließ seine Grübeleien nicht an sich heran.

»Wie hältst du das hier nur aus?«

Sie nahm einen tiefen Zug von ihrer Zigarette, ohne den Blick von der Wand gegenüber zu wenden. »Du kennst doch den Spruch – dass man Privates und Berufliches besser trennt.«

»Den Sinn davon hab ich nie verstanden.«

»Die Wahrheit ist, dass ich mich vor gar nichts mehr fürchte.«

Er stand auf und wandte sich zum Gehen, blieb aber an der Tür stehen.

»Wie lange bist du schon hier?«

Sie klopfte die Asche ab. »Das wüsste ich selber gern. Keine Ahnung. Zwei, drei Monate. Fühlt sich aber an wie ein Jahr.«

Sein Schweigen war unangenehmer als das Schweigen, in das ihre Freier sonst verfielen. Sie versuchte, ihn mit einem Blick zu verabschieden.

»Wenn du allein sein möchtest, sag’s einfach.«

»Ja. Das heißt nein. Ich will nicht allein sein. Warum bist du noch hier? Was willst du noch?«

Er ließ sich auf den Stuhl in der Ecke gegenüber dem Bett fallen.

»Ich will dir helfen.«

»Dann befrei mich aus dieser Hölle.«

Einige Minuten verstrichen, ohne dass einer ein Wort sprach. Das befrei mich schien zwischen ihnen in der Luft zu schweben. Sie war seine Gefangene, die ihm für die Vertraulichkeit das Versprechen von Freiheit abringen wollte.

»Im Moment kann ich nichts tun«, sagte er schließlich. Im Halbdunkel wirkte er andächtig wie ein Priester. Er setzte sich zu ihr aufs Bett. Ihre Miene war ausdruckslos. Er zog sie an sich, seine Finger strichen über sie, zuerst sanft, dann kräftig. Er wollte seine Arme um sie legen. Fast wäre es ihm gelungen. Mehrmals war sie kurz davor, sich der Umarmung zu überlassen, doch dann rutschte sie ans Bettende. Erleichtert stellte sie fest, dass sie immer noch das Herz eines Mannes erreichen, an seinen Beschützerinstinkt appellieren konnte. Vielleicht gibt es doch einen Weg zurück in ihr altes Leben, dachte sie.

Eine kräftige Windböe ließ die Fensterscheibe leise klirren.

»Hier ist es gefährlich«, sagte sie. »Die Leute, die im Haus das Sagen haben, sind böse und brutal.«

Er sah aus dem Fenster und nickte. Je näher man der Grenze kam, desto tiefer geriet man in den zwielichtigen Machtbereich von Terroristen und Kriminellen. Er war unruhig. In der Dunkelheit hörte er das Stöhnen des Windes und das Klagen einer Eule. Er wusste, dass draußen ein wildes Reich lag, in dem Straßen im Nichts endeten, Brücken gesprengt und Farmen verlassen waren, die dichten Wälder ein Paradies für Schmuggler und ein ideales Versteck für Schlepper. Als er seine Jacke nahm und zur Tür ging, war sein größter Wunsch, einfach mit ihr hinauszugehen. Aber das war zu gefährlich. Er musste sich etwas Raffinierteres einfallen lassen. Die Lösung lag weniger im Dunkel des Grenzlands, eher in den düsteren Winkeln seiner Vergangenheit.

»Wirst du mir helfen?«, fragte sie.

»Dazu müsste ich den Kontakt zu ein paar alten Kameraden reaktivieren«, antwortete er. »Außerdem wird es mich was kosten. Und damit meine ich nicht nur Geld.«

Er sah sie an. Bildete er sich das ein oder war sie blasser geworden? Zum ersten Mal bemerkte er die dunklen Ringe unter ihren Augen. Er fragte sich, wer diese Frau war, die ihn dazu brachte, alles, womit er mühsam abgeschlossen hatte, erneut in sein Leben zu lassen. Sie hatte einen schönen Körper und ein nettes Gesicht, aber das gab es dort, wo er verkehrte, auch nicht so selten. Obwohl sie ihn offen ansah, hatte er das ungute Gefühl, dass er für sie kaum mehr war als ein Schatten, genau wie die unzähligen anderen, die in dieses Zimmer kamen und wieder gingen. Ihn beschlich der Verdacht, dass sie ihm die blauen Flecken mit Absicht gezeigt hatte, um bei ihm Mitleid zu erwecken. Wenn er bei Sinnen wäre, würde er jetzt gehen und nie wiederkommen, weil ihn hier nichts außer Schmerz und Verzweiflung erwartete.

»Ich komm in drei Tagen wieder«, sagte er. »Bis dann sollte ich einen Plan haben.«

Vor dem Gehen schrieb er eine Handynummer auf die Rückseite einer Zigarettenschachtel.

»Wenn vorher was passiert, ruf diese Nummer an. Die gehört einem alten Freund von mir. Er hat Kontakte. Er sollte dir helfen können.«

Danach schlief sie vor Unruhe kaum mehr. Die Aussicht auf Flucht versetzte selbst ihr Unterbewusstsein in Aufruhr. Sie lag im Bett und wartete auf seine Rückkehr. In der Dunkelheit wanderten ihre Gedanken zum Elend der verschleppten Frauen. Sie stellte eine Liste der Mädchen auf, die zur Arbeit im Bordell gezwungen worden waren, und ergänzte sie mit den Kontaktdaten von Verwandten zu Hause in Kroatien. Sie befragte sie zu Josip Mikolajek, dem Mann, der sie verführt hatte, von Kroatien nach Irland zu reisen. Alle kannten seinen Namen. Jeder hatte er etwas versprochen – wenn nicht Liebe, so zumindest Arbeit oder eine Chance, der Armut zu entfliehen. Doch stattdessen hatte er allen ihre bisherige Welt geraubt. Ihr sträubten sich die Nackenhaare. Mikolajek war ein Raubtier, und sie alle waren seine Opfer. Sie hatte ihn bei mehreren Gelegenheiten gesehen, als er spätnachts durch das Farmhaus gegangen war. Sein Gesicht war in einem Türspalt aufgetaucht, als er die Mädchen, die er ins Verderben gestürzt hatte, mit stechenden Wolfsaugen musterte. Die in ihr aufgestaute Wut brach sich in alle Richtungen Bahn und drohte jeden zu verletzen, der in ihre Nähe kam – sie selbst, die anderen Mädchen, die Zuhälter und Freier, sogar ihren Retter. Doch eigentlich kannte ihre Wut nur ein Ziel, und das war Josip Mikolajek.

An ihrem Zimmerfenster stehend, blickte sie auf die Schwärze der Welt draußen. Das ist ein dunkles Land, dachte sie, voll von Geistern und gefährlichen Männern. Sie wollte nicht Teil seiner schmerzvollen Geschichte werden. Der Wunsch zu handeln brannte in ihr. Ihr wurde klar, dass sie dieses Farmhaus und die damit verbundenen schrecklichen Erinnerungen nie ganz hinter sich lassen konnte, wenn sie sich nicht an den Männern rächte, die ihr und vielen anderen alles geraubt hatten. Dabei würde sie gut aufpassen und im geeigneten Moment zuschlagen müssen. Sie starrte auf ihr Spiegelbild, von der Schwärze des Fensters umrahmt, so als wollte sie die Männer anlocken, die durch das Grenzland streiften. Sie sah, wie der Wind Schneeflocken um ihr dunkles Gesicht blies. Die Vorstellung von Rache belebte sie. Das Töten fiel einem leichter, wenn ein Teil von einem selbst bereits tot war.

An dem Abend, an dem Jack wieder kommen sollte, schlich Lena ins Nebenzimmer und setzte sich auf die Bettkante. Als das dort liegende Mädchen aufwachte, nahm Lena ihre Hand.

»Hast du dich entschieden?«

»Ja. Ich will dir helfen, sie zu töten. Jetzt. Heute Nacht.«

»Wir müssen den richtigen Zeitpunkt abwarten. Wir müssen wie Jäger die Beute erst anlocken.«

Sie strich dem Mädchen über die Wange und gab ihr eine kleine Stoffpuppe. Darin war ein Zettel mit der Telefonnummer, die Fowler ihr gegeben hatte, sowie Informationen zu den Frauen, die Mikolajek eingeschleust hatte. Das Mädchen schob die Puppe unter ihr Kissen.

»Wir tun da was ganz Schreckliches«, sagte das Mädchen.

»Die haben uns auch gezwungen, schreckliche Dinge zu tun«, erwiderte Lena.

»Dann müssen wir es tun.«

Im Stillen wiederholte Lena die Worte, während sie auf Jacks Rückkehr wartete. Die Stunden dehnten sich, noch immer hatte sie kein Zeichen von ihm erhalten. Nach Mitternacht stand sie auf und setzte sich ans Fenster. Sie wartete darauf, dass die Scheinwerfer seines Wagens auf der schneebedeckten Straße erschienen. Fast war sie eingenickt, als sich eine gebückte Gestalt in ihrer Scheibe spiegelte. Sie erschrak. Es war Sergej, ihr Zuhälter. Er grinste über ihren überraschten Gesichtsausdruck.

»Komm. Wir machen einen Ausflug.«

»Einen Ausflug? Wohin denn?« Sie beschlich das furchtbare Gefühl, dass ihre Pläne aufgeflogen waren.

Ohne ein weiteres Wort führte er sie zu seinem Auto. Er öffnete ihr die Beifahrertür, doch sie setzte sich auf den Rücksitz. Er warf ihr einen ärgerlichen Blick zu und zündete sich eine Zigarette an. Im Aufflammen des Feuerzeugs sah sie, dass seine Augen unruhig hin und her huschten und er nicht weit von einem Ausraster entfernt war.

»Zieh deine Schuhe aus«, knurrte er.

Sie gehorchte.

»Damit du nicht auf die Idee kommst wegzurennen.«

Er setzte sich ans Steuer und betrachtete sie eine Weile im Rückspiegel. Die nackten Füße untergeschlagen, saß sie da wie ein Kind. Daraus schloss er, dass sie sich wie alle anderen an das Gefangensein gewöhnt hatte. Ganz egal, wie groß der Wunsch zu fliehen war, keins der Mädchen würde die Furcht bezwingen. Er schaltete die Scheinwerfer an, und vor ihren Augen entstieg der Wald den Tiefen der Nacht.

Nachdem er losgefahren war, lehnte sie sich in dem kalten Ledersitz zurück und bemühte sich, einen klaren Gedanken zu fassen. Es ist besser, kein unkalkulierbares Risiko einzugehen und nichts zu überstürzen, dachte sie. Zugleich wusste sie, dass alles verloren war, wenn sie nicht bald floh. Sie versuchte, ihre Unruhe zu zügeln und sich zu konzentrieren.

Plötzlich bremste das Auto. Die Straße, die sich vor ihnen aus der Dunkelheit wand, stoppte wie ein angehaltener Film. Die Scheinwerfer erfassten einen Lastwagen, der auf der schmalen Straße quer stand. Daneben ein neu aussehender Mercedes, halb in den Straßengraben gerutscht. Das Erkennen traf sie wie ein Schlag in den Magen. Es war Jacks Auto, doch von ihm war nichts zu sehen. Nur ein Polizist stand mitten auf der Fahrbahn und schwenkte eine rote Leuchte.

Sergej drehte sich um und sah sie grimmig an.

»Ich wusste es. Nie hätte ich mit dir aus dem Haus gehen dürfen«, schnauzte er. »Du bringst nur Unglück.«

Er legte den Rückwärtsgang ein und fuhr ohne Wenden zurück.

Sie zog am Türgriff, aber die Tür ging nicht auf. Das Auto kam ins Schlingern und schleuderte, als er fester aufs Gas trat. Tiefe Verzweiflung überkam sie. Sie begann ihn zu schlagen, aber er schlug mit seiner freien Hand zurück. Das Auto folgte den Kurven, als würde es sie auswendig kennen.

»Die Polizei ist das Letzte, was wir brauchen«, versuchte er eine Erklärung, während er ihre Schläge abwehrte.

Jetzt schien sogar das Auto, das Schwierigkeiten bekam, auf der Straße zu bleiben, sie anzufauchen und zu brüllen. Sie hörte ein Knirschen, als die Reifen auf den schneebedeckten Randstreifen kamen, dann kratzten Äste an der Karosserie. Im selben Moment, in dem sie sich hinter die Frontsitze duckte, verlor Sergej die Kontrolle über den Wagen. Das Heck brach aus, das Auto krachte in die Hecke, schleuderte und donnerte gegen einen Baum.

Als sie wieder zu sich kam, griffen der Schnee und der kalte Nachtwind durch das zerschmetterte Seitenfenster nach ihr. Sergej hing über dem Lenkrad und war nur halb bei Bewusstsein. Sein Kopf zeichnete sich dunkel gegen die Scheinwerfer eines nahenden Autos ab. Eine Phalanx dornenbewehrter Äste und Zweige hatte das Stoffverdeck des Cabrios zerrissen. Über das Heck kletterte sie hinaus und taumelte zur Straße. Der Wagen hatte sein dorniges Gehege mit glitzernden Glasbröckchen und stechendem Benzingeruch erfüllt.

Über dem Geräusch des herannahenden Fahrzeugs war der Wind zu hören, der durch die schneebeladenen Äste fuhr. Sie fragte sich, ob der Tod so klang, wenn er sich an die Lebenden heranmachte.

Die Fahrertür des Unfallwagens ging auf, und Sergej beugte sich heraus. Er spie einen Mund voll Blut aus, dann sammelte er sich, griff nach einer Zigarette und ließ das Feuerzeug aufflammen. Als er sah, dass sie sich rückwärts gehend von ihm entfernte, trat ein verächtlicher Ausdruck auf sein Gesicht. Die Zigarette glomm auf. Im nächsten Augenblick ging das Auto in Flammen auf, eine Walze aus Feuer rollte darüber hinweg und verschlang Sergejs gebeugten Rücken, die Schultern und schließlich das Gesicht.

Die anbrandende Hitze schleuderte Lena rückwärts in die Dunkelheit, und sie versuchte, den Sturz mit den Armen abzufangen. Durch die Nachtluft schwirrten Geräuschfetzen – das Rutschen eines bremsenden Fahrzeugs, gefolgt von den hektischen Rufen des Polizisten, die in einer Explosion untergingen.

Meine Ohren müssen mir einen Streich spielen, dachte sie. Die Stimme des Polizisten kam ihr bekannt vor. Sie meinte sogar zu hören, dass er ihren Namen rief.

Sie warf einen letzten Blick auf das brennende Auto, in dem die züngelnden Flammen die Ledersitze erfassten, sich die Arme ihres Zuhälters hochfraßen und das Gesicht erreichten, das hinter einer Maske aus Flammen verschwand, der Mund weit aufgerissen, aber mittlerweile verstummt.

Dann begann sie barfuß loszulaufen. Im ersten Moment fühlte sich der Schnee weich an, doch bald schnitt ihr die bittere Kälte wie ein Fangeisen in die Füße. Sie war noch nicht weit von dem Farmhaus entfernt, doch statt in diese Richtung rannte sie zwischen die Bäume, die feinen Schnee auf sie rieseln ließen. Ihr Fliehen schreckte den stillen Wald auf, ihre kältetauben Füße stapften durch Schneewehen, Zweige schlugen ihr ins Gesicht. Barfuß durch einen Wald zu laufen war nichts Neues für sie. Das Einzige, was mit ihr Schritt halten konnte, war das frostige Auge des Mondes, das zwischen den zitternden Bäumen hindurchblinzelte. Sie lief immer weiter, wachsam lauschend, ob ihr Schritte folgten.

Instinktiv wusste sie, wo sie sich verstecken konnte, und sie kannte die Gefahren des Grenzlands – gesprengte Brücken, verfallende Scheunen und Hütten, in denen Bewaffnete hausten, die Autos und Lastwagen der Schmuggler, die in mörderischem Tempo dahinrasten – genauso wie die natürlichen Hindernisse der Berge, Wälder und Flüsse. Auf der Suche nach einem Versteck rannte sie hinein in die tiefsten Schatten. Sie wusste genau, dass ein menschliches Leben im Grenzland nicht sehr viel galt. Menschen ohne Pässe oder Ausweisdokumente verschwanden leicht.

Mit brennender Lunge erreichte sie einen Abgrund in der Dunkelheit. Vor ihr toste eine noch tiefere, schäumende Finsternis: der Grenzfluss. Trotz der Stromschnellen und der nicht zu ahnenden Tiefe war er womöglich zu durchschwimmen. Eine Welle schwappte über ihre Füße. Sie holte tief Luft, doch die Kälte raubte ihr den Atem, und sie begann am ganzen Leib zu zittern. Im Grenzland war der Tod das letzte Versteck. In der Ferne blitzte eine Taschenlampe, die Rufe des Polizisten kamen näher. Kurz setzte ihr Herz aus, zwischen Vergangenheit und Zukunft schwankend. Ehe sie einen Entschluss fassen konnte, durchzuckte ein stechender Schmerz ihre Füße, und sie verlor den Halt.

3

Als Inspector Celcius Daly die Haustür seines Cottages nahe dem Südufer des Lough Neagh öffnete, stand ein Korb mit Forellen davor. Er vermutete, dass sie ihm sein Nachbar Owen Nugent, seit vierzig Jahren begeisterter Angler, nach einer Nacht des Wilderns im Blackwater River gebracht hatte. Daly schnupperte an den Fischen. Offenbar waren sie erst vor wenigen Stunden gefangen worden. Für alles, was Fäulnis, Tod und Verderben betraf, war sein Geruchssinn gut ausgeprägt. Mehrmals hatte er ihn schon gewarnt, als er im Begriff gewesen war, sich in Gefahr zu begeben. Vor allem den gewaltsamen Tod umgab eine feuchte Klebrigkeit, die auch noch nachdem die Leiche entfernt worden war, in der Luft zu haften schien.

Leider hatte er ein weniger gutes Gespür für die Tücken und Fallstricke im Umgang mit Lebenden, insbesondere mit den Frauen in seinem Leben. Im vergangenen Jahr war seine zehnjährige Ehe mit Anna zerbrochen, und sein Herz war von der unschönen Trennung noch immer wund.

Anna hatte ihn am Vorabend angerufen, um zu besprechen, was mit den Kartons, Relikten seines früheren Lebens, geschehen sollte, die auf ihrem Speicher kostbaren Platz wegnahmen. Immer nur weg mit dem Alten und her mit dem Neuen, hatte er hinterher gedacht. Doch am Telefon hatte er nur mit verblüfftem Schweigen reagiert und sich nicht entscheiden können, was er mit diesen Kartons voll Erinnerungen machen sollte. Sie hatte erklärt, sie sei keineswegs hartherzig, sondern blicke mutig und entschlossen nach vorne. Sonst erstickt uns die Vergangenheit irgendwann, hatte sie gewarnt. Sie hatte sogar angeboten, die Kartons selbst zur Müllkippe zu bringen. Aber eine Art Feigheit hatte ihn den Vorschlag ablehnen lassen. Obwohl er an der Vergangenheit festhalten wollte, war er nicht bereit, sich dem darin verborgenen Leid auszusetzen. Es war dieselbe Trägheit, die ihn daran hinderte, sich zu entscheiden, was er mit dem heruntergekommenen Cottage seines Vaters anstellen sollte. Seine Ex-Frau hatte sich den Spott nicht verkneifen können, als sie erfuhr, dass er es noch immer nicht verkauft hatte und einen weiteren Frühling hinter diesen kalten Mauern erdulden wollte. Als er den Hörer auflegte, überfiel ihn Unzufriedenheit, und er sehnte sich nach menschlicher Wärme und dem Geruch des Lebens.

Doch auch den Gedanken an gebratenen Fisch zum Frühstück fand er an diesem Morgen verlockend. Daly trug die Forellen in die Küche und schnalzte vor Vorfreude mit der Zunge. Er verspürte einen Anflug von Stolz auf seine Häuslichkeit, über die sich seine Ex-Frau entweder lustig gemacht oder geärgert hätte. Er stellte das Gas an. Es war Februar, und der Fisch musste fett und saftig sein. Von der Fensterbank nahm er etwas von der dort überwinternden Kresse. Dann filetierte er die Fische und legte sie mit der Hautseite in die geschmolzene Butter in der Eisenpfanne. Obwohl es schon fortgeschrittener Vormittag war, musste er das Licht einschalten, um zu sehen, was er tat. Seit Sonnenaufgang hatte das Wetter umgeschlagen, und ein hoffnungsvoller sonniger Morgen hatte sich in etwas Düsteres und Grimmiges verwandelt. Schwere Wolken zogen über den Himmel. Neuer Schnee fegte gegen die Fensterscheiben. Daly röstete etwas Brot in Olivenöl und wollte gerade den Fisch mit der Kresse anrichten, als das Telefon klingelte.

Es war Detective Derek Irwin.

»Erinnern Sie sich noch an die Beschwerden über ein Bordell in der Nähe von Dunmore?«

Daly musste kurz nachdenken, ehe sein Gedächtnis auf Trab kam. Im vergangenen Jahr war die Zahl der Beschwerden über illegale Bordelle angestiegen, vor allem entlang der Grenze zwischen Nordirland und der Republik Irland.

»Dem müssen wir mal einen Besuch abstatten.«

»Warum?«

»Ein gewaltsamer Tod. Ein Mann in einem ausgebrannten Auto.«

»Und was hat das mit dem Bordell zu tun?«

»Wir gehen davon aus, dass er Zuhälter war.«

»Einer von hier?«

»Nein, vermutlich Kroate.«

»Okay.«

Nach dem Anruf legte Daly die gebratenen Filets auf einen Teller, deckte sie ab und hoffte, etwas später am Tag diesen kulinarischen Höhepunkt der Woche nachzuholen.

Weil Irwin den Verdacht hegte, dass der Tote ein fremder Staatsangehöriger war, legte Daly einen Zwischenstopp an der Polizeistation ein und suchte die neu ernannte Antirassismus-Beauftragte auf. Zwanzig Minuten später stieg Constable Susie Brooke mit geradezu schulmädchenhafter Begeisterung zu Daly in den Wagen. In der Stadt war sie schon zu den Tatorten vieler rassistisch motivierter Verbrechen mitgekommen – Vandalismus, Brandstiftung, tätlicher Angriff –, aber jetzt kam sie zum ersten Mal ins Grenzland, und es war ihre erste Beteiligung an Ermittlungen in einem gewaltsamen Todesfall. Sie legte den Gurt an, machte es sich bequem und lächelte ihn gewinnend an. Ihr Parfüm erfüllte den Wagen, und damit ging eine seltsam gefährliche Vertrautheit einher.

»Eigentlich ermitteln wir ja wegen einer schweren Straftat, aber vielleicht kommen Sie vorsichtshalber mal mit«, sagte er. »Wollen wir hoffen, dass das nicht der Anfang ist.«

»Der Anfang von was?«

»Weiß ich nicht«, murmelte er. »Das Grenzland ist ziemlich ungemütlich. Vor allem für Leute, die da nicht hinpassen.« Dann fügte er warnend hinzu: »Das wird nicht schön werden.«

Sie schien unbeeindruckt und freute sich weiterhin, dass sie in die Ermittlungen einbezogen wurde. Ihre blauen Augen strahlten.

»Wenn sich das als was Ausländerfeindliches erweist, muss ich mir den Tatort sowieso irgendwann ansehen«, sagte sie. »Bei uns kommen Ausländer und Migranten viermal so oft gewaltsam zu Tode wie Iren. Selbst auf dem Land.«

Daly antwortete nicht. Auch wenn sie wie eine Statistikerin geklungen haben mochte, sah sie nicht wie eine aus. Er wandte den Blick ab und legte den ersten Gang ein. Er fragte sich, ob er unbeholfen rüberkam oder sogar steif, und suchte nach einem charmanteren Gesprächsthema, während sein Blick ab und zu über die Windschutzscheibe wanderte, um ihr Profil zu betrachten, die Adlernase, die schwarzen Locken, die strahlenden Augen. Ihre Lippen bewegten sich leicht, aber sie sagte nichts. Vielleicht wartete sie, dass er das Gespräch fortsetzte, doch irgendwie war er in die längst überwunden geglaubte jugendliche Schüchternheit zurückgefallen und verstummt.

An einer Kreuzung bog er rechts ab, und wieder warf er einen Seitenblick auf ihre prägnante Nase. Bei einer anderen Frau wäre ein so auffälliges Merkmal vielleicht ein Makel gewesen, aber bei Constable Brooke war es eher ein zusätzlicher Reiz, an dem das Auge hängen blieb. Er verschaltete sich zwischen zweitem und viertem Gang, dann drehten die Reifen durch, doch zuletzt waren sie unterwegs in Richtung der Hügel von South Armagh.

Je näher sie der Grenze kamen, desto höher wand sich die immer trostlosere Straße. Die zerklüfteten Schneeflecken wurden größer und bedeckten das Gras und die Mauern am Straßenrand, bis bloß noch hier und da Schlehdorn und Weißdorn aus dem Weiß hervorragten. Nichts bewegte sich auf den Feldern, nur der Wind trieb Schneeflocken vor sich her.

Zehn Minuten später fuhren sie hügelabwärts in ein Tal, und ein heruntergekommenes Farmhaus wurde erkennbar. Sie hielten hinter einem Krankenwagen und einem Streifenwagen, die bei einem verzogenen Eisentor parkten. Daly konnte Detective Irwin nirgends sehen.

Als Daly aus dem Auto stieg, fegte eine Böe einen eisigen Schneeklumpen von einem Baum auf seine Schultern. Der kalte Schauer ließ ihn erschreckt zusammenzucken.

Mit erstauntem Gesichtsausdruck stieg ein Sanitäter aus dem Krankenwagen. Daly stellte sich vor und wurde an das Ende der Straße verwiesen, wo ein ausgebranntes Autowrack dalag wie eine ausgeworfene Patronenhülse. Ein feuchter scharfer Geruch, der an eine Schießanlage erinnerte, stach ihm in die Nase.

Der Brand war heftig gewesen, hatte aber nicht sehr weit um sich gegriffen und vor allem das Auto in ein schwarzes Gerippe vor schneeweißem Hintergrund verwandelt. Der Fahrer war bis zur Unkenntlichkeit verbrannt. Die Leiche lehnte wie eine riesenhafte Schabe gegen den Metallrahmen des Lenkrads. Daly warf einen Blick auf das Gesicht, das aber nur eine schwarze, vom Schädel gerutschte Maske war, die Augenhöhlen dunkler als jede Blindheit.

»Na, ist Ihnen eine Schafherde in die Quere gekommen?«, fragte eine Stimme von der Hecke her.

Detective Derek Irwin trat aus einer Lücke zwischen den Ginsterbüschen, unter denen er Schutz gesucht hatte. Die Frage war typisch für ihn, ein wenig subtiler Versuch, Daly das Gefühl zu vermitteln, er sei mal wieder zu spät in der Schule.

In Daly stieg ein bekannter Groll auf, als er in das selbstzufriedene Gesicht des jüngeren Detectives blickte. Der Special-Branch-Mann hatte den Trick raus, wie man andere von Anfang an in die Defensive brachte. Es war eine Polizeitechnik, die er aus dem Verhörraum in sein Leben überführt hatte.

»Ganz im Gegenteil«, erwiderte Daly mit einer Geste in Richtung Constable Brooke, die vorsichtigen Schritts zu ihnen kam. »Ich wollte unsere neue Antirassismus-Beauftragte mitbringen.«

Irwin schien gar nicht zuzuhören. Aufmerksam und mit einem Ausdruck leichter Bewunderung in den Augen beobachtete er, wie sich die hochgewachsene Gestalt näherte.

»Wer ist die Lady mit diesen superpraktischen Latschen?«, fragte er ein bisschen zu laut.

Peinlich berührt sah Daly zur Seite. Für dümmliche Bemerkungen schien Irwin ein besonderes Talent zu haben.

Beim Anblick des verbrannten Autos verzog Brooke das Gesicht. »Ich bin Leichen nicht gewohnt«, sagte sie mit einem Anflug von Scham. »Das sieht kaum aus wie ein Mensch.«

»Das ist für jeden ein schockierender Anblick«, beruhigte Daly sie.

Auch wenn er seit sechs Monaten nicht mehr geraucht hatte, verspürte er plötzlich das dringende Bedürfnis nach einer Zigarette. Der Anblick der Leiche rüttelte an den Pfeilern seiner Selbstbeherrschung. Ein Mord war der größte denkbare Regelbruch. Wenn jemand sogar diese Grenze überschritt, warum sollte er sich dann Zurückhaltung auferlegen? Das Anzünden einer Zigarette war im Vergleich dazu doch nur ein läppischer Verstoß, eine hohle Trotzhandlung.

Er wollte schon zu seinem Auto zurückgehen und die halb leere Zigarettenpackung suchen, als er etwas bemerkte, das ihn schlagartig innehalten ließ. Er starrte auf den Boden. Im Schnee eingeprägt war der nackte Fußabdruck eines Kindes oder einer Frau. Die Kälte muss wie ein Schnitt in die Füße gewesen sein, dachte er. Er entdeckte weitere Fußabdrücke. Die Person war gerannt, womöglich in der Dunkelheit. Ein wilde, panische Flucht wie die eines verschreckten Tiers. An einem Schlehdorn fand er auf halber Höhe einen Stofffetzen und eine dicke Strähne schwarzen Haars. Ein Mädchen oder eine Frau, dachte er. Er stellte sie sich vor, ihre Kleidung, das blaue Kleid, das sich mit ihren Haaren im dornigen Gestrüpp verfangen hatte. Er sah auf und ließ den Blick über den dunklen Hügelkamm schweifen. Er seufzte. Die Zigarette würde auf den nächsten seelischen Notfall warten müssen.

Von dem Schlehdorn weg folgte er den Fußspuren zu einem Feldrand und in den Wald, wo der Schnee stellenweise kleine Verwehungen bildete. Er spürte eine mysteriöse Verlockung, weiter zwischen die Bäume vorzudringen. Die Sorge um das unbekannte Mädchen hatte alle Gedanken an die Kollegen, die Spurensicherung, die Fotografen und alle Vorschriften, wie mit wichtigen Beweisen zu verfahren war, verdrängt. Mit gesenktem Kopf, die Arme ausgestreckt, um sich gegen Äste und Zweige zu schützen, ging er weiter. Am Ufer eines schnell fließenden Flusses verlief sich die Spur. Der Schnee auf der anderen Seite war frisch und unberührt. Der Fluss rauschte in seinen Ohren. Ein halbe Stunde suchte er das Unterholz und die Sträucher nach abgeknickten Zweigen ab, weil er hoffte, dass die Spur wiederauftauchen würde, aber vergebens.

Als er zu dem ausgebrannten Auto zurückkehrte, kam ihm Irwin entgegen und nahm ihn beiseite. Auf seinem Gesicht lag ein ungläubiger Ausdruck.

»Wie sollen wir denn mit den Mordermittlungen vorankommen, wenn uns Miss Politisch-Korrekt ständig über die Schulter schaut?« Er deutete mit dem Daumen auf Constable Brooke.

»Seien Sie nett zu ihr. Wir wollen doch zeigen, dass die Polizei das Rassismusproblem ernst nimmt.«

»Sie hätten sie nicht mitbringen dürfen. Das ist eine Mordermittlung. Das hat nichts mit Rassismus zu tun. Sagen Sie ihr, dass wir ihre Hilfe nicht brauchen.«

»Regen Sie sich nicht künstlich auf«, fuhr Daly ihn an. »Sie könnte durchaus nützliche Informationen beisteuern. Vielleicht hat sie ja Einblick in das Leben dieser Leute.«

»Ich reg mich überhaupt nicht auf«, maulte Irwin. »Ich will nur nicht, dass sie uns im Weg rumlatscht.«

Sie gingen zurück zu dem Wrack.

»Erzählen Sie uns, was wir über den Toten wissen«, bat Daly.

Irwin trat gegen das Autoheck, und ein Schauer von Metallteilchen rieselte auf den Boden.

»Bis wir den Toten nicht identifiziert haben, gibt’s nicht viel zu sagen. Aber ich weiß, dass er ein Audi-Cabrio fuhr. Schickes Gefährt. Solang’s noch eins war. Es ist doch immer dasselbe. Je niedriger die Lebensform, desto teurer der Geschmack.«

»Auf wen war es zugelassen?«

»Einen Sergej Grgić. Vorbestraft wegen Nötigung und Körperverletzung. In unseren Akten steht, dass er auf einer Geflügelfarm in der Gegend arbeitet.«

»Reicht ein Job als Hühnerfänger für ein schickes Cabrio?«

»Vielleicht wenn er viele von den Viechern fängt?«, meinte Irwin. »Wir haben auf der Farm nachgefragt, ob Mr. Grgić heute zur Arbeit erschienen ist, aber sie meinten, dass keiner ihrer Arbeiter so heißt. In den Akten ist auch ein Foto von ihm, aber darauf sieht er leider nicht aus wie ein Kohleklumpen.«

Irwin drehte sich um und starrte Brooke mit dem Blick eines Kurzsichtigen an. Sie ignorierte ihn, so als könnte man ein Raubtier durch Nichtbeachten zum Verschwinden bringen. Daly räusperte sich.

Rasch wandte Irwin seine Aufmerksamkeit wieder dem Tatort zu. »Seit gut einem Monat versuchen wir schon, das Bordell zu schließen«, sagte er. »Und dann kommt die Unterwelt daher und erledigt das in einer Nacht.«

»Meinen Sie, dass Rivalitäten im Milieu dahinterstecken?«

»Die Indizien weisen doch darauf hin.«

»Ich habe gelernt, dass Indizien allein nie die ganze Wahrheit verraten.«

»Dann hören Sie sich das an. Die Feuerwehr hat sich bereits die Brandstelle angesehen, und sie haben was entdeckt.«

»Und das wäre?«

»Es gab zwei Arten von Brandbeschleuniger. Benzin und Diesel. Sie glauben, dass der Diesel aus dem Tank des Autos kam, aber anscheinend wurde zusätzlich ein Molotowcocktail ins Feuer geworfen. In der Nähe des Autos hat die Feuerwehr Scherben und einen angekokelten Stofffetzen gefunden.«

»Warum sollte man so was tun?«

»Tja, vielleicht wollte wer nicht nur jemand umbringen, sondern auch alle Hinweise auf die Identität des Opfers und andere Spuren im Auto beseitigen.«

Daly wies Irwin auf die Fußspuren im Schnee hin.

»Es war jemand bei ihm, vermutlich eine junge Frau.«

»Ohne Schuhe«, erwiderte Irwin. »Wer auch immer sie war, sie stand am Ende der Nahrungskette. Eine Prostituierte, schätze ich. Oder die Freundin des Opfers. Vielleicht sogar eine Verwandte.« Er grinste. »Oder alles zusammen. Bei diesen Leuten weiß man nie. Aber in diesem Fall müssen wir wohl ein bisschen weiter oben in der Nahrungskette anfangen, um den Täter zu finden.«

Das Grinsen auf Irwins Gesicht wurde breiter, als er Brooke einen Blick zuwarf. Sie ging an ihnen vorbei zum Krankenwagen und hatte dabei leichte Schlagseite, so als müsste sie sich gegen die Erdanziehung stemmen. Ihre grimmige Miene sagte alles. Die Welt hatte die Maske abgenommen und ihr grausames Gesicht offenbart.

»Hab ich sie irgendwie beleidigt?«, fragte Irwin.

Daly richtete den Blick wieder auf die Fußspuren und versuchte, sie mit dem ausgebrannten Auto und der Leiche in Verbindung zu bringen. Jeder Schritt war gut erkennbar vor den anderen gesetzt worden – eine gute Läuferin, dachte Daly. Genau an der Stelle, wo er stand, war die Lebensreise eines Menschen unvermittelt zu Ende gegangen und die eines anderen hatte eine ganz neue Richtung genommen. Hier war etwas geschehen, was das Leben zweier Menschen für immer verändert hatte. Ein großer und ein kleiner Tod. Er ging in die Hocke und berührte die Fußabdrücke.

»Ich würde gern wissen, was danach passiert ist«, sagte er.

»Warum soll danach noch was passiert sein?«, fragte Irwin.

Daly sah den jüngeren Detective an. Bildete er sich das ein oder hatten sie sich seit der Begrüßung am ausgebrannten Wrack wirklich nur gekabbelt? Irwins Ton war ruhig und gefasst, doch dahinter meinte Daly eine leichte Anspannung zu spüren. Eine Unterströmung. Irwins Ablehnung von Dalys Art zu arbeiten hatte sich noch einmal verschärft, seit er im vergangenen Jahr an die Special Branch überstellt worden war.

»Hier hat die Reise der jungen Frau begonnen«, sagte Daly. »Dass sie keine Schuhe anhatte, lässt vermuten, dass sie in einer ziemlich schwachen Position gewesen ist. Wir sollten rausfinden, woher sie kam.«

Sie gingen zurück zu der Straße, die zu dem verlassenen Farmhaus führte. Die Türen standen offen, die Fenster waren eingeschlagen, dennoch war die Luft darin abgestanden und muffig. Daly schnupperte. Der Geruch von Gefangenschaft. Im ersten Zimmer bewegte sich ein Samtvorhang in der Zugluft. Dahinter hingen mehrere fadenscheinige Hausmäntel an einer Reihe Wandhaken. Irwins Augen schossen nach links und rechts. Seine Wangen waren vor Aufregung leicht gerötet. Insgeheim schien er Gefallen an der Ermittlung zu haben.

»Das also war das Bordell?«, fragte Daly.

»Sieht ganz so aus. Willkommen im Albtraum jedes Kriminaltechnikers. Stellen Sie sich nur das Geplätscher der Körperflüssigkeiten vor, die hier zu finden sind.«

»Besudelte Spuren.« Daly trat von einem Fuß auf den anderen, um sich warm zu halten.

Durch eine Seitentür gingen sie in ein winziges Zimmer, in dem gerade genug Platz für einfallslosen Sex auf einer schmalen Matratze war.

»Wir haben einen Haufen Kondome und Sexspielzeug gefunden«, sagte Irwin stolz. »Und dazu eine Menge Bargeld und Schmuck. Vermutlich Geschenke von spendablen Freiern. Sie sollten sich die Unmengen von Reifenspuren vorne ansehen. An Wochenenden muss es zugegangen sein wie in einem Taubenschlag.«

»Wie sieht das für Sie aus?«, fragte Daly.

»Na ja«, sagte Irwin. »Da hängen sechs Hausmäntel an der Wand. Sechs Mädchen zu je fünfzig Pfund die Nummer. Ich würde sagen, das war eine Goldgrube.«

»Und was ist mit den Frauen passiert?«

Irwin zuckte mit den Schultern. »Einer unserer Leute meinte, er hätte gesehen, wie sich in einem der Schuppen ein Schatten bewegt hat.«

Sie sahen zum Fenster hinaus. Der Himmel hinter einer Reihe von Schuppen und einer Lastwagengarage verdüsterte sich. Einige Gebäude waren halb eingefallen, andere standen voll mit verrostetem landwirtschaftlichem Gerät. Hier gibt’s überall Schatten, dachte Daly.

»Dann schauen wir uns das doch mal an«, sagte er.

Sie waren auf dem Weg hinaus, als auf einem kleinen Beistelltisch ein Handy klingelte. Daly nahm den Anruf an.

Die Stimme des Anrufers war rau und unsicher.

»Ist da der Paradise Club?«

»Nein.«

»Club Tropical?«

»Nein.«

»Oder Simply Heaven?«

Der Anrufer ratterte noch ein paar Namen herunter, so als wären es Passwörter fürs Paradies, aber das Bordell gewordene Farmhaus war davon meilenweit entfernt. Für Daly war es eher wie der Vorhof zur Hölle. Aber das war vermutlich Absicht: Prostitution wurde mit den schillerndsten Namen in Zeitungsanzeigen annonciert, um den Freiern die nötige emotionale Distanz zu verschaffen.

»Das ist ein Bordell«, erklärte Daly dem Anrufer trocken. »Betrieben von Kriminellen.«

»Wer ist da? Wo ist der Chef des Ladens?«

»Der kann gerade nicht. Er ist tot.«

Der Anrufer legte sofort auf. Daly steckte das Handy in eine Asservatentüte. Die Spurensicherung würde sich um die Anruferliste kümmern.

Er ging mit Irwin nach draußen. Am Hoftor fummelte er an dem vereisten Riegel herum und kletterte dann darüber. Als er sich den Schuppen näherte, wurde der Schnee plötzlich grünlich, und er sank ein. Schnell tat er einen Satz zur Seite.

»Güllegrube«, rief er in Irwins Richtung. »Passen Sie auf, dass Sie nicht in Kuhscheiße ersaufen!«

Aus einem Krähennest löste sich ein Klumpen aus Zweigen und Erde, klatschte auf ein Blechdach und rutschte scharrend hinab. Bei dem Geräusch schreckten die Detectives zusammen und wechselten einen Blick.

Vorsichtig trat Daly in den ersten Schuppen. In der Dunkelheit war es, als tauchte er in ein Becken aus Dung und Tiergeruch. Er hörte ein feuchtes Schnauben und erstarrte, während er wartete, bis sich seine Augen an das Dämmerlicht gewöhnt hatten. Vor ihm war das dungverklebte Hinterteil einer Kuh, die sich an einem Heuballen rieb, um sich zu wärmen. Durch den Mist watend ging er zurück in den Hof. Irwin stand grinsend am Hoftor. Daly setzte die Suche fort. In den anderen Schuppen fand er die gesammelten Überreste des jahrzehntelangen Scheiterns landwirtschaftlicher Unternehmungen – Hühnerkäfige, Futtertröge, Kartoffelsäcke und einen staubbedeckten Haufen Torf, nur keine Anzeichen von Leben.

Daly ging zu der windschiefen Lastwagengarage und zog das klapprige Rolltor auf. Die verschreckten Gesichter einer Gruppe junger Frauen blickten ihn an. Er atmete die stickige Luft, die nach einer Mischung aus Essensresten, Parfüm und Alkohol roch, ein und fühlte sich erleichtert. Der in ihm schwelende Verdacht von etwas Düster-Bedrohlichem, das von dem alten Farmhaus ausging, hatte sich bestätigt. Und jetzt hatte er den Grund für dieses Unbehagen entdeckt. Mehrere Sekunden verstrichen, ohne dass jemand etwas sagte. Die Augen einer jungen Frau schwammen vor Tränen oder vor Kälte. Sie sehen aus wie Ware, die aus einem Laster heraus verkauft werden soll, dachte Daly.

»Woher seid ihr?«, fragte Irwin, der von hinten dazugekommen war.

Die jungen Frauen drängten sich enger aneinander wie eingeschüchterte Schulmädchen auf einem Ausflug, der in einer Katastrophe geendet hatte. Sie schienen Irwins Frage nicht zu verstehen. Ihre Gesichter waren verschlossen.

Dann fasste eine Frau Mut. »Wir sind aus Kroatien, Albanien, Serbien.«

»Und die Namen?« Daly drehte sich zu Irwin um. »Manche sehen so jung aus, dass sie nicht mal einen Führerschein kriegen könnten.«

»Die Zuhälter nehmen allen die Pässe weg, wenn sie denn je einen hatten«, sagte eine Stimme hinter den Detectives. Brooke war zu ihnen gestoßen. »Damit die eingeschleusten Frauen nicht weglaufen und zur Polizei können, weil sie keinen rechtlichen Status haben.«

In der Lastwagengarage herrschte die unvermeidliche Unordnung von einem knappen Dutzend auf engem Raum eingepferchten Menschen. Zeitschriften und Kleidungsstücke lagen zwischen Kosmetikverpackungen und leeren Wodkaflaschen. In einer Ecke brannte ein Gasofen auf niedriger Stufe. Brooke wirkte gefasster in dieser weiblichen Umgebung, auch wenn alles ein heilloses Durcheinander war. Sie ging zu den Frauen und bot ihnen Kaugummi an. Dann sprach sie in holprigem Deutsch zu ihnen.

»Die Frauen haben Hunger«, verkündete sie. »Seit dem Unfall verstecken sie sich hier.«

Irwin sah Brooke kurz an, dann zwang er sich, den Blick abzuwenden, weil er sich erinnerte, dass sie ja nicht offiziell zum Team gehörte.

»Sie haben alles gemacht, was der Zuhälter verlangt hat«, sagte Brooke. »Wenn er gewollt hätte, hätte er sie auch in Stacheldraht einwickeln können.«

Mit den geröteten Augen blinzelnd, kamen die jungen Frauen aus der Garage. Sie hielten sich an den Händen, als sie durch den nassen Schnee stapften.