Frau Putz - Julia Hoch - E-Book

Frau Putz E-Book

Julia Hoch

5,0

Beschreibung

Kerstin Wischnewski ist selbstständige Reinigungskraft – und ihr brechen die Aufträge weg. Unverhofft erhält sie das rettende Angebot, die gut zahlende und zugleich sehr spezielle Stammkundschaft einer Kollegin zu übernehmen. Während ihrer Arbeit bei einem geisterhaften Künstler, einer mit Tauben plaudernden alten Dame, dem mopsigen Richard III. und zwischen sprechenden Kaffeeautomaten muss Kerstin peinlich darauf achten, welche Räume sie betreten darf und wann Distanz notwendig oder Nähe unvermeidbar ist. Dabei wird eine Frage in ihr immer lauter: Wer (be)achtet sie und ihre Arbeit?

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Seitenzahl: 312

Veröffentlichungsjahr: 2024

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Julia Hoch

FRAU PUTZ

Roman

 

 

 

 

ULRIKE HELMER VERLAG

 

Dieser Roman ist mithilfe eines Stipendiums der VG WORT im Rahmen von NEUSTART KULTUR erschienen.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

ISBN (Print) 978-3-8974-480-8

ISBN (E-Book) 978-3-8974-910-0

 

© 2024 E-Book nach der Originalausgabe

© 2024 Ulrike Helmer Verlag, Sulzbach am Taunus

Alle Rechte vorbehalten

Covergestaltung unter Verwendung einer Illustration

von © Tanjidvect/ AdobeStock

Korrektorat: Susanna Piruzram

 

Ulrike Helmer Verlag

Klosterhofstr. 3, 65843 Sulzbach

info@ulrike-helmer-verlag.de

www.ulrike-helmer-verlag.de

 

 

 

 

Für meine Mutter:

Danke für deine Bücherliebe!

Der moderne Schmutz beruht also auf neuen Ordnungen

der Sichtbarkeit und Unsichtbarkeit,

die ihrerseits an Machtstrukturen anknüpfen.

(Nicole C. Karafyllis: Putzen als Passion.)

 

Mittwochnachmittag

AUGENARZTPRAXIS

Kerstin hatte nicht richtig zugepackt. Es rumpelte, knackte und klirrte. Zwei goldene Konservendosen kullerten heraus, eine Weinflasche rutschte hinterher.

DieMFAbücktesichundinspizierteerstFlasche, dannDosenundschließlichdenrestlichenInhaltdesPräsentkorbs.

FüreinigeSekundenfragteKerstinsich, obsiehelfensollte, schließlichwarihrderKorbruntergefallen, dochdieMFAhatteihnimNuwiederbestückt.

»Allesheilegeblieben. SogardieWeinflasche.« MitdemFußschobsiedenKorbzuKerstinherüber. SieklappteeinenZettelauf, räuspertesich. »LiebeFrauWischenski –«

»Wischnewski. EsheißtWischnewski.«

»Oh, sorry. Ähm, kleinenMoment, ichkanndieSchriftnichtsogutlesen.«

Die überdimensionierten Plastikmarienkäfer baumelten an ihren Drähten vom Weidengriff hinab, als wollten sie sich genauso in die Tiefe stürzen wie Kerstin in diesem Moment. Im Gegensatz zu ihnen stand Kerstin jedoch kein Abgrund zur Verfügung. Auf den Enden der lila Satinschleifen stand Alles Gute – anstelle eines Ausrufezeichens war ein erhobener Daumen aufgedruckt.

»So, jetztgehtesweiter: Estutmirsehrleid, dasswirSienichtweiterbeschäftigenkönnen. SiehabenstetsguteArbeitgeleistet.«

VondiesemLobkonnteKerstinsichwederSchnitzelnochSchokoladekaufen. SiewardiesenAuftraglos, ihreseitJahrenzuverlässigsteEinnahmequelle.

KerstinstarrteaufeinederDosen, las, damitsieetwaszutunhatte, las … was? SiegingindieKnie, umzuüberprüften, obsierichtiggesehenhatte. AufdergoldenenDosestandtatsächlich ›FeineEntenleber‹.

»Stimmtetwasnicht?«, fragtedieMFA. »Istdochetwaskaputt?«

»Nein, nein. AllesinOrdnung.« Kerstinrichtetesichwiederauf, rissBrauenhochundAugenauf, ummöglichstkonzentriertundinteressiertzuwirken. EsfühltesichwieeineFratzean.

DieMFAbeäugtesiekurz, fuhrdannmitdemAblesenfort: »Ichhoffe, dassSiebaldeineanderePutzstellefindenwerden. VielleichtschauenSiejairgendwannalsPatientininderneuenPraxisvorbei. AllesGutefürIhreweitereZukunft. LassenSie … sichschmücken … Hä? Achnein, lassenSieessichschmecken! MitbestemGruß, Dr. Schmellik.« SieließdenZettelsinken, tratzweiSchrittezurück, stecktedieHändeindieKitteltaschen, blickteumher. DiejungeFrauwarnochneu, KerstinkanntesieerstseitKurzem. Vielgeredethattensieseithernicht.

DieMFAsahzumKorb, zogeineHandwiederausderTascheundfuchteltemitdemZeigefinger. »SehrerlesenerWein, sollichübrigenssagen. Bekommtmannichtüberall. DerWeißepasstwohlhervorragendzuweißemSpargeloderPfifferlingsrisotto.«

KerstinhassteWein. WiemandiesesZeugmögenkonnte, verstandsienicht. Vorallemwennertrockenwar. Asti, derschmeckteihr. Derprickeltewenigstenseinbisschenundwarschönsüß. SietrankabernurzuspeziellenAnlässen. DasletzteMalhattesieaufKatharinasAbifeiergetrunken. VorvierJahren. Nein, fünf. Manhattesiebedient – undsiehattekeinesderangebotenenGläserabgelehnt. DersüßeSektwarköstlichgewesen. BiszumErwachenamnächstenTag. Undamnächsten. Undnächsten. DerKaterhattesichvehementfestgekrallt.

AufihremeigenenAbiballhatteKerstinnichtgetrunken, nichttrinkenkönnen. SchonkurznachderGruppeneinteilungfürdieOrganisationderFeierlichkeitenwarsienichtmehranderSchulegewesen. Undbereuteesnurselten.

ErwartungsvollschautedieMFAsiean.

»Dankesehr.« WiemaneinLächelnaufsetzte, ohnedassdasGegenüberanderEchtheitzweifelte, wussteKerstin. EsperfektioniertedenfröhlichenGesichtsausdrucknachaußen, verstärktedasGefühleinerFratzenachinnen.

Kaumzufassen, dasssienichtzurneuenPraxismitkommen, dasssienichtdortweiterarbeitendurfte. AngeblichhattenallePraxengemeinsameinenVertragmiteinerGebäudereinigungsfirmaabgeschlossen. AngeblichhatteDr. SchmellikkeineandereMöglichkeit gehabt, konntesichnichtdagegenstemmen. Solltesienachfragen, warumersienichtpersönlichverabschiedete? WarumnurdieNeuehiergebliebenwarundkeinePerson, diesieschonlängerkannte, mitdersiewenigstenseinbisschenGemeinsamkeitverband?

›Nein, Kerstin, duschweigst!‹

ImaginärhieltsiesichdieHandvordenMund. Früherhattesieständiggeredet, bevorsienachgedachthatte, undsichdadurchinSchwierigkeitenoderzumindestVerlegenheitengebracht. ÜberallFettnäpfchen. ExtraaufgestelltfürKerstin. Schöngroß, umsiejanichtzuverfehlen. VoreinigenJahrenhattesiebegonnen, sicheinelauteinnereStimmeanzutrainieren, eineArtgroßeSchwester, diezusammenmitihrnachdachteodersiezurechtwies, manchmaldazwischenschrie. Siehalf – meistens. GroßeSchwesterKatrin.

Dr. SchmellikstießKerstinalsovonsich. Stießsieab. Fort. Adios. Tschüss. AufWiedersehen. Vielleicht. AbernuralsPatientin.

»IchwürdeauchgernemalsoeinenschönenGeschenkkorbbekommen.« DieMFAstrichübereinegelbeKunstnelke, beiderenHerstellungmansichoffenbarnichtimgeringstendarumbemühthatte, sieannäherndechtaussehenzulassen.

KerstinbliebbeiihrerFratze, schnalzte, zucktemitdenSchulternundpustetefiependdurchdieLückezwischenihrenSchneidezähnen. IhrfielnichtsHöflichesein. Undsiewolltegeradeauchnichthöflichsein. Siehattehierehnichtsmehrzutun.

»Dannschließenwirjetztab. IchhabeheuteeineneigenenPraxisschlüsselbekommen«, sagtedieMFAundstrahlte. Wiehießsienochgleich?

ImSchneckentemposchleppteKerstindenKorbdieTreppehi­nunter. WarumfreutesichdiejungeFrauüberdiesenSchlüssel? Erbedeutetenichts, diePraxiswurdeschließlichaufgelöst. Vielleichtgabessonstnichtviel, worübersiesichfreuenkonnte, undsiegriffliebernacheinemFast-NichtsalseinemGar-Nichts.

BeijedemSchrittfürchteteKerstin, dasssieausunerklärlichenGründenstolpernkönnte. DiedrohendeMiseredurchzerberstendeRotweinflaschenwolltesiesichliebernichtausmalen. Was für eineSauereidasgebenwürde. ÜberalldunkelroteLachenundSpritzer, mittendrindiefeinpürierteEntenleber.

›Jetztmalstduesdirdochaus. Schlussdamit!‹

SicherheitshalbersetztesiestetsbeideFüßeaufdiejeweiligeStufeundliefnichtimWechselschritt.

Fuß – Fuß. Wielangeesdauernkonnte, eineeinzigeEtagehinunterzulaufen.

Schritt – Schritt. DieFlaschenklirrten.

Fuß – Fuß.

Schritt – Schritt. DieMarienkäferbaumelten.

Fuß – Fuß.

Unten.

Sieatmetedurchundwurdetatsächlichwehmütig, weilsiediesenMixauskaltem, moderigemTreppenhausgeruchundbeißendenDesinfektionsmittelnvermissenwürde. VondenWändenglotztenDr. SchmellikunddreiMFAssiean – einBildderNeuenhattehiernochkeinenPlatzgefunden. KerstinwiderstanddemDrang, einletztesMalandenkleinenSteinchendesPutzeszuknibbeln, drücktemitdemEllbogenumständlichdieKlinkehe­runter, klemmtedenEllbogendahinter, zog – dieKlinkeschnacktewiederhoch –, schobflinkdenFußindieLückeundverpasstederTüreinenkräftigenSchubs. Beinahewäreesnunpassiert, dochsiehatteKorbundKörpergeradenochausbalancierenkönnen. WaseinScheißding! HättesieeseinfachinderPraxisgelassen. HättesiedenKorbeinfachderMFAgeschenkt.

KerstinverließdasGebäude, stoppteundhörtezu, wiedieTürhinterihrinsSchlossfiel.

Daswar’s.

DieArmezitterten. SiestelltedenKorbaufdenGehweg. Schnaufte. IhrAutoparktemehrereStraßenweiter. DieBaustellewarwährendihrerBeschäftigungszeitnichtmehrfertiggeworden. Natürlichwarsiedasnicht. WelcheBaustellewirdinDeutschlandtermingemäßfertig? SogernehätteKerstinvomneuenParkplatzumdieEckeprofitiert. Abersiewarseltendiejenige, dievonirgendetwasprofitierte.

›Höraufzujammern, Kerstin!‹

Esbegannzutröpfeln.

SiegriffnachdemelendenWeidekorb.

AllesGute (Daumenhoch).

 

Immer noch Mittwoch

VOGELBEERWEG

KerstinsprinteteindenFlurundrutschtemitdemFlickenteppichüberdasLaminatbiszurWandgarderobe. InfreudigerErwartungkramtesienachdemklingelndenHandy. WiesoofthieltessichtiefinderHandtascheversteckt, zwischenTaschentuchpäckchen, Portemonnaie, Einkaufsbeuteln, Tampons, Kassenbons, altenEinkaufszettelnundbenutztenTaschentüchern. ZwarhattesiesichabsichtlicheineTaschezugelegt, dieeinextraFachfürdasHandyanderInnenseitehatte, trotzdemschmisssieesmeistensinsHauptfach. Ärgertesichzwarständig, änderteabernichts. Siewühlte. NachdiesemTagkonnteKerstineinGesprächmitihrerTochtergutgebrauchen. Esklingelte – vibrierte – klingelte. AlsKerstindasHandyendlichzwischendieFingernbekam, sahsie, werdatatsächlichanrief.

Sieschluckte.

Zögerte.

DiesesTelefonatwürdewahrscheinlichgenaudasGegenteilvonpositiverAblenkungbedeuten. DieVibrationerklommUnterarmundOberarm, dasKlingelnranginOhrundKopf.

Sie wollte eigentlich nicht, wischte trotzdem. »Hallo Eri­ka!«

»Hallo, Kerstin. Hast du gerade Zeit? Ich weiß, wir haben länger nicht gesprochen – dies und das –, aber ich hätte ein Anliegen.«

IhrletztesTelefonatwareinigeMonateher. DerStreithattesichnichtklärenlassen, siehattenbeideaufihrenMeinungenbeharrt. AllerdingswarKerstinfestderAnsichtgewesen, dassesindemFallkeinezweiMeinungenhattegebenkönnen. WenneineKolleginMistbaute – gehörigenMist –, konntemandasnichteinfachsounterdenTeppichkehrenundtotschweigen. Erikahattedasgetan, undja, Kerstinschließlichauch, weilsieniemandemhatteindenRückenfallenwollenundweilihreGroßeschwesterstimmehartnäckiggebliebenwar. Richtigfandsieesallerdingsnicht, eineKolleginzudecken, diebeiihrenAuftraggeberneinenwertvollenKeramikengelvomRegalgefegtundesdannaufdenKatergeschobenhatte. DieseverfluchtenSammelengelwarenmehrereTausendEurowert. DieKolleginwarinPanikgeraten, dasienieeineBerufshaftpflichtversicherungabgeschlossenhatte. AlsKerstindamalsmitErikabeimKaffeesaß, riefdieaufgebrachteKolleginanundfragte, wiesieihrenHalswiederausderSchlingeziehenkonnte. UndErikasHandywargrundsätzlichaufvolleLautstärkeeingestellt, keineLautsprecherfunktionnötig. LeiderplagtendieBauchschmerzenKers­tinimmernoch.

»Ja, ichhabZeit! DieKatzeistgefüttert.«

»SeitwannhastdueineKatze?«

»IchhabekeineKatze.«

»UndwelcheKatzehastdudanngefüttert?«

»Herrgott, Erika, daswareinWitz. Ichmeintemich.«

»Aha. Duwarstschonmallustiger, meineliebeKerstin. Sei’sdrum. Also: Ichhör’ auf.«

»Duhörstauf?« DasauhörteKerstinübertriebeninsichnach­hallen. EsgingalsonichtumihrenStreit.

»MeinRückenmachtnichtmehrmit – diesunddas – undesistanderZeit, dassichmirendlichRuhegönne. Ichbinzuempfindlichgeworden.«

Kerstinkonnteesnichtfassen. SiewiederholtediesenGedankeninSekundenbruchteilen – unfassbar, unfassbar, unfassbar –, dannerstsprachsieihnaus: »Irgendwiekannichdasgarnichtglauben! Ach, Erika. WievieleJahrehastdudenJobgemacht?«

»Vierzig.«

»Wow, denRuhestandhastdudirmehralsverdient.« WieoberflächlichsichdiesesGesprächanfühlte.

»MeineKundensindnichtbegeistert.«

»Natürlichnicht.«

»Ichhabeangeboten, dassicheineguteNachfolgefinde.«

»Und? Hastduschonwen?«

»Ichhoffees.«

»Dannstehtesnochnichtfest?«

»Fürmichschon.«

Esgabnichtviele, dieErikasFußstapfenausfüllenkonnten, diealldaswussten, wassiewusste. »SpannmichdochnichtaufdieFolter. Sagschon, weristes?«

»Dukennstsiegut.«

»Aha. Sagstdu’smirjetzt?«

»Na, dubistes.«

Beinahe wäre Kerstin das Handy aus der Hand gefallen. »Ich?«

SiehattensichseitMonatennichtmehrgesprochen, warendamalsimStreitauseinandergegangen. Undjetztdas?

»Ichmöchte, dassdumeinewichtigstenStammkundenübernimmst. Siezahlenalleungeheuergut. AllerdingsistdieArbeitnichtganzunkompliziert – diesunddas. Kannstdudirjawahrscheinlichvorstellen.«

LeiderkonnteKerstinsichdasinderTatvorstellen. ErzählthatteErikazwarniesonderlichviel, sieschwiegüberihreKundschaft, aberdaseinoderanderehatteKerstingespürt, wennsiesichgelegentlichaufeinenKaffeegetroffenhatten. UndihrGespürsagteKerstin, dasssiedieseAufträgeliebernichtannehmenwollte.

›Bistduverrückt? DubrauchstdieAufträge! Absagenkannstdudirnichtleisten!‹

ZumindestkonnteKerstinsicheinmalanhören, umwasundwenessichhandelte, oder?

»Womüssteichdennhin?«

»Reihenhaus, Villa, Atelier und eine Büroetage. Alles in der Bellberger Umgebung. Höchstens zwanzig Minuten Autofahrt. Wenn man gut durchkommt.«

»WorinliegendieSchwierigkeiten?«

»DasAtelierzumBeispieldarfstdunurreinigen, wennderKünstlernichtdaist. ErschreibtdirmittwochnachmittagskurzfristigeineSMS, wennerrausist. DannmusstduschnellhinfahrenundfindestvorOrteinenBriefmitAnweisungen. Wenndudienichtstrengstensbefolgst – diesunddas –, machterdirdieHölleheißundstreichtdenLohn. Rechnunghinoderher, derzahltdanneinfachnicht.«

GenausoetwashatteKerstinbefürchtet. Genausoetwaswolltesienichtmitmachen.

›AberesistErika! Ihrsagtmannichteinfachab.‹

In den letzten Jahren hatteErikaihreinpaarKundenverschafft, beidenenandereReinigungskräfteaufgehörthattenoderrausgeflogenwaren. ErikawarüberallAugundOhr, verteilteAufträgeohneAuftrag. Aberihreeigenengabsienieab. AuchwennErikanuninRenteging, würdesiesicherlichimHintergrunddieFädeninderHandbehalten. ManchmalkamErikaihrvorwieeinemysteriöseMafiachefin, maltesichihrelukrativen, zuweilenillegalenMachenschaftenaus. UndohrfeigtesichdannselbstfürdieseabwegigenGedanken. WelcheinBlödsinn!

»Kerstin? Bistdunochda?«

»Ja. Sorry.« Zuhören. SiewürdeweiterzuhörenundsichdannirgendwieausderAngelegenheitherauswinden.

›Herauswinden?‹

Richtig.

AlsoließsiesichvondenBesonderheitendesReihenhauses, derVillaunddesBürosberichtenundantwortetehinundwiedermitbestätigendenTönenodermiteinem »Ja« oder »Aha«. DochmitjederweiterenBeschreibungundjederweiterenMinutewuchsendieZweifel. Erikameinte, dassdieZeitdränge, siebraucheschnelleineEntscheidung, sonstwürdesieRamonafragen. AberRamonavertrauesieweniger, sieseinochzujung, wennauchgut. KerstinbatschließlichsehrhöflichundsehrumständlichumeinenTagBedenkzeit. Sielegteerstauf, nachdemErikaaufgelegthatte.

KeinWortüberdenStreit. WardieSachegeklärt? Sorichtigglaubtesiedasnicht. Erikawürdewahrscheinlichirgendwanndamitherausplatzen.

›Oderduselbst.‹

DieseFraubliebfürKerstineinRätsel. ÜberdenStatuseinergutenkollegialenBekanntschaftwarensieniehinausgekommen, auchwennKerstinsichzeitweiseerhoffthatte, dasssicheineFreundschaftentwickelnwürde. AberErikastiegnieaufpersönlichereGesprächeein, redeteausschließlichüberihreArbeit, überFlecken, diesieentfernt, Böden, diesieimNugewischt, undneueReinigungsmittel, diesieentdeckthatte.

KerstinschlurfteinsWohnzimmerundzogdieSchubladedesSideboardshervor. SiebrauchtejetzteineDunkle, ambesteneineGefüllte.

›BaldmusstduwohlNeuekaufen.‹

Bald würden sie hoffentlich wieder im Angebot sein. Für diesen Fall studierte Kerstin jede Woche die Werbeprospekte. Meist klappte es beim Discounter um die Ecke. Zwanzig Stück würde sie dann mitnehmen – und auf anderes verzichten müssen. Sie würde sie farblich sortieren. Einer Bibliothek würden sie gleichen. Eine feine Auslese, die jedoch nicht annähernd so lange Bestand haben oder gar einstauben würde wie eine Büchersammlung.

KerstinschmisssichaufdieCouchundknicktedasQuadrat. VondenSechzehnstecktesiesichzweiindenMund, alsdiesezuschmelzenbegannen, schobsiezweiWeiterehinterher.

SieschlossdieAugen, ihreGliederentspanntensich.

DasTryptophanwürdesichbaldinSerotoninverwandeln, inWohlundGlücksgefühl. KürzlichhattesiedasimInternetnachgelesen, dennsiehattewissenwollen, wasdagenaugeschah, warumsiedassosehrbrauchte, warumesananstrengendenTagenkaumohneging. SiemochtedieseWörter – TryptophanundSerotonin –, fand, dasssiesichbeimAussprechenexaktsoanfühlten, wieSchokoladeimMundzerschmolz.

SiedachteanihrenArbeitstag, andenletzten, densieinderPraxisverbrachthatte. NunwürdesiedasTeamdortnichtmehrwiedersehen, würdediesenFrauennurnochanderSupermarktkasseoderderBäckereithekebegegnen.

›Wennüberhaupt.‹

EswarstetseinnettesNebeneinandergewesen – aufAugenhöhe. ÜberPrivateshattensiezwarseltengesprochen, aberKers­tinhattesichwohlundgebrauchtgefühlt. JetztmusstediePraxisweichen, dasGebäudewürdePlatzfüreinanderesmachen.

DerKorblagimAuto. MitdemWeinkonntederTwingogenausovielanfangenwiesie. WodieFlaschenherumlagenundnichtgetrunkenwurden, waregal.

FürdenAuftraginderPraxishatteKerstinbislangkeinenErsatzgefunden, ebensowenigfürdenvordreiWochenweggefallenenClub, indemsiesamstagsundsonntagsgereinigthatte. MitihrenAufträgeninderVersicherungsagentur, denbeidenSinglehaushaltenundbeiFrauSchmidtmeierwürdesiesichnichtüberWasserhaltenkönnen.

AufihreletztenZeitungsinseratehatteesnurseltsameAnfragengegeben: ObsienacktmitHäubchenaufdemKopfputzenwürde, obsieüppigeHausmannskostfürzehnPersonenkochenkönne – mitvielWurst –, obsieeinenaltenRiesenschnauzermitHüftschadenausführenwürdeundihmendlichSitzbeibringenkönne. AndieNachrichtenbeieBay-Kleinanzeigenwolltesieliebernichtmehrdenken.

›DaswarzumFremdschämen!‹

Eswurdeimmerschlimmer. BeidenspezialisiertenOnline-­Plattformenwaresandersbeschissen: Schnellundzuverlässig! SieprofitierenvonunsererVermittlungundwirerhaltenfürunsereLeistung40 % IhresBruttolohns. Kerstinwolltesichnichtmehrverarschenlassen.

WennsieErikasAufträgeannähme, dannhättesienichtnurErsatz, wahrscheinlichkämefinanziellsogaretwasobendrauf. Ärgerlich, dasssieamTelefongarnichtnachderkonkretenBezahlunggefragthatte. »Siebezahlenungeheuergut«, warenErikasWortegewesen. Ungeheuer. Monströs. Übermächtig. Horribel.

›Horribel?‹

»Horribel.« DieVokaleschwangendurchdieLuft.

›Schluss!‹

Ihre große Schwester hatte recht. Wenn das Nachdenken zu Aneinanderreihungen solcher Wörter führte, musste das ein Zeichen für Müdigkeit und Überanstrengung sein. Sie würde sich heute nicht mehr mit dem Thema beschäftigen. Morgen Nachmittag reichte das auch noch. Nach dem Reinigen bei Frau Schmidtmeier.

Nun brauchte Kerstin doch mehr als nur eine einzige Tafel Schokolade. Während sie zur Schublade ging, drückte sie sich weitere Stücke Zartbitter-Marzipan in den Mund und griff dann nach weißer Vollnuss.

DieHaselnüssewehrtensich.

DerKieferhackteundknackte.

DieZähnemahlten.

AusTryptophanwurdeSerotonin.

 

Donnerstagmittag

FRAU SCHMIDTMEIER

KerstinzerrtedenCouchtischvomTeppichherunter. DurchdiegefliesteTischplattewarerextremschwer, dochsiehattesichindenletztenJahreneineStrategieerarbeitet, mitdersieihnzügigbewegtbekam. SieschaltetedenStaubsaugerein. Erdröhnte, waraberkraftlosundwolltekeinerleiVerbindungmitderdickenSchurwolleeingehen. KerstintrataufdenSchalter, öffnetedenDeckel: einprallgewölbterBeutel. HattesieihnnichterstletzteWocheausgetauscht? AlssiedenStaubsaugerbeutelherauszog, flogenkleinebunteSchnipseldurchdieLuft.

KerstinblicktezuFrauSchmidtmeierhinüber, dieaufihremelektrischverstellbarenOhrensesselsaßundihrFernsehprogrammschaute.

»FrauSchmidtmeier, habenSieindenletztenTageneinePartygefeiert?«

KeineAntwort, keinerleiReaktion.

KerstingingindenFlurundsuchteimBesenschranknacheinemneuenBeutel. NormalerweisehättesieaufdemoberenderbeidenEinlegebödennebenStaubtüchernundPutzlappenfündigwerdenmüssen, aberhierlagen, standenundlagertenjetzteinhalbesDutzendlilaWollknäuel, dreiKaffeebecher, FotoalbenundeinePackungSalzstangen.

ZurückinsWohnzimmer.

»Frau Schmidtmeier, haben Sie etwa umgeräumt? Wo sind die Staub­saugerbeutel hin?«

KeineAntwort, keinerleiReaktion.

WenndieKaffeebecherjetztimBesenschrankstanden, dachteKerstin, konntendieBeutelvielleichtimKüchenschranksein.

IhreVermutungbestätigtesichnicht, jedochlagendortlautereinzelneRingelsockenundzweiSchlafanzughosen.

KerstinsuchteimSchlafzimmerweiterundfandinderKommode, wosonsteigentlichFrauSchmidtmeiersSockenzufindenwaren, Häkeltischdecken, einenBildbandüberUfosundeinefastleereSchachtelweißeKüsschen – siemussteeinfachreinschauen.

Solltesie? Dürftesie? KerstinstibitzteeinePralineundstecktesieindieHosentasche.

›Alsowirklich!‹

Sie kehrte ins Wohnzimmer zurück, drehte den Messingschlüssel der Eichenschranktür, wodurch das alte Schloss quietschte und knackte, und fand zwischen den roten Häkel­tischdecken mit Rentiermuster schließlich einen Staubsaugerbeutel. Weihnachten war in diesem Schrank das ganze Jahr über riechbar, das Zimt-Orangen-­Potpourri ließ nicht nach und fraß sich durch jede Dosendichtung. Kerstin hatte es schon zweimal umgeschüttet.

SiewedeltemitdemBeutel. »DahabenSiemichjaschönanderNaseherumgeführt. EinGlück, dassichderrichtigenSpurge­folgtbin.«

FrauSchmidtmeierwackeltemitdenwollbesocktenFüßen. Kicherteleise.

DiemeistenStreichederaltenDameempfandKerstinalslustig, erfrischendundwillkommeneAblenkung. Nurdeneinen, densienichtmehrvergessenkonnte, weilerihreinenunglaublichenSchreckenversetzthatte, wolltesieniewiedererleben. FrauSchmidtmeierhatteaufderKücheneckbankgelegenundderBodenunterihrwarrotbepfütztgewesen. NacheinerSekundeinSchockstarrerannteKerstinhin, fühltenachFrauSchmidtmeiersPuls. Nichtnurderwarfühlbar, sondernaucheinBeben, einZuckenimSchmidtmeier’schenKörper. DanneinWinseln. KurzdaraufprustetediealteFraulosundzogeineFlascheKetchuphinterdemEckbankkissenhervor. KerstinplumpsteaufdenBoden,Tränenstiegenundkullerten, undplötzlichschienFrauSchmidtmeierzubegreifen. Sieentschuldigtesichsehroftundsehrdeutlich – siewürdesowasniewiedermachen.

›Hatsieauchnicht.‹

Bislang.

DieSchnipselaufdemTeppichzeigtenZahlen, zeigtenBuchstaben, zeigtenhalbeJoghurtbecher, KäselöcherundeinStückSalami. DiePapierchenließensichproblemloswegsaugen. Kers­tinwarfroh, dasssiediesmaldenTeppichnichtausklopfenmusste, denndaraufbestandFrauSchmidtmeierregelmäßig. DashabesiemitebenjenemTeppichschonfrühersogemachtunddasmüsseauchheutenochsogemachtwerden. ManhabedieTeppichstangeimHofschließlichstehengelassen, unddashießewiederum, dassTeppichedortgeklopftwerdensollten. Darangebeesnichtszurütteln. FrauSchmidtmeierstelltesichsogargelegentlichansFenster, umsiebeimAusklopfenzubeobachten, undgabihrHinweisezurrichtigenTechnik: »FrauWischnewski, derWinkelstimmtnicht. HaltenSiedieHandmalso, schauenSie, unddannschwingenSiedenTeppichklopferausdemvollenArmheraus. Richtigschwingen.« Kerstinkonntesichkaumvorstellen, wiediezarteFrauSchmidtmeierdengroben, schwerenTeppichüberdieStangegehievtbekommenhatte.

NachdemKerstinfeuchtdurchgewischtunddieObjektederSchmidtmeier’schenSchnitzeljagdwiederanihreursprünglichenPlätzezurückgeräumthatte, zogsiesichihreJackean, schwangihreTascheüberdieSchulterundschautenocheinmalinsWohnzimmer. DieJurorinverkündetegeradefeierlichdasGewinnergerichtdesTages, KochundTeilnehmendebeklatschteneinanderhinterbenutztenTöpfen. FrauSchmidtmeierhattedenKopfschiefgelegtundschnarchteleise.

In der Hosentasche drückte etwas. Die Praline! Kerstin befürchtete, dass sie mittlerweile matschig sein musste, aber sie zeigte sich vollkommen unversehrt. Die weißen Küsschen ­waren bei ­ihrem Discounter ständig ausverkauft. Sie könnte Frau Schmidt­meier beim nächsten Mal fragen, wo sie sie herhatte. Kerstin biss die erste Hälfte ab, ganz vorsichtig, sodass die ganze Nuss noch für den zweiten Happen drin blieb. Das zweite Stück in den Mund. Sie liebte dieses Spiel der Konsistenzen, das Aufeinandertreffen von Hart auf Weich, verbunden zu einer Symphonie des Genusses. Frau Schmidtmeier grunzte plötzlich, Kerstin verlor die Konzentration, die Nuss rutschte rüber zur rechten Zahnreihe und verursachte einen beißenden Schmerz in der Zahnlücke. Tränen schossen ihr in die Augen. Sie rannte ins Bad und spuckte in die Toilette – rosa Klumpiges sank hinunter.

›Dashastdunundavon!‹

Kerstinspülte. SchmeckteEisen. DieZahnärztinhatterechtgehabt: EsmusstebaldeineBrückeher! WieoftKerstinsichimletztenJahrwehgetanhatte. DasZiehendesZahnswarunangenehmgewesen, untermStrichaberwenigerschmerzhaftalsdieständigenStichedurchkantige, harteoderbröckeligeLebensmittel.

FrauSchmidtmeierschliefnoch, alsKerstindieWohnungverließ.

 

Donnerstagabend

VOGELBEERWEG

DurchdenHausflurströmteeinköstlicherDuft. EsmussteetwasFleischiges, etwasstundenlangGeschmortessein. KerstinwarteteaufdasMagenknurren, abereskamenwederGeräuschnochBewegung. DasEinzige, wassiefühlte, warLeere.

DieWohnungstürklemmte. SiebewegtedenSchlüsselindieAusgangsposition, zogdenKnaufkräftigheranunddrehtedanndenSchlüsseluntergleichzeitigstarkemDruckdesDaumens. JedesMalhatteKerstinAngst, dassderSchlüsselabbrechenkönnte. WelcheinTheaterdasmitderHausverwaltunggebenwürde.

Klack.

SiestreiftedieJackeab, schlüpftedannausSchuhundSchuh.

DieLückepochte. DerTerminbeiderZahnärztindrängte. »EinbisschenGeldmüssenSiefürdieBrückeschonindieHandnehmen«, hattesiebeimletztenMalgesagt. EsgebeeineReihevonLeistungen, diedieKrankenkassenichtübernehme. Kerstinhattedamalsnichtweiternachgefragt, siehattenachderKon­trolleihrerZahnlückenurnochnachHausegewollt.

SiegoogeltenachZahnbrückeKosten. 300EuroMinimum. DiemeistenWebseitenzeigtenweitmehran: 800, 1.000, 1.500 … NachobenschieneskaumeineGrenzezugeben. DieKrankenkassebezahleinderRegeleinenFestzuschuss: etwadieHälftederRegelversorgung. EinezahnfarbeneVerblendungimnichtsichtbarenBereichkostetezusätzlich.

›SovielGeldhastdunicht.‹

DochwaswardieAlternative? MitderLückeleben? Odersicht­baresMetallimMund? Daswolltesienicht. Zähnewarenihrwichtig, siemusstennichtkerzengeradeundnichtschneeweißsein, aberhellundgepflegt. SieempfandsichalsExpertinfürdieBehandlungvonOberflächenundalssolchewolltesievonanderenauchwahrgenommenwerden. KaumeinFleckwarvorihrsicher, siehatteLösungenparat.

LeiderbrauchteKerstinnichtnurfüreineBrückeGeld. SiemusstefürdenTÜVsparen, derimneuenJahranstand, undsiebetete, dassdasalteGefährtesnocheinmalschaffenwürde. DasAutohusteteoftbeimAnlassenundderMotorknatterte. DieVersicherunghatteaufdieHausratdraufgeschlagen, dieBankhattegeradedieGrundgebührenfürdasGirokontoerhöhtundaufdieexplodiertenLebensmittel- oderSpritpreisedurftemangarnichterstschauen. AußerdemwolltesieKatharinaunbedingtimmermalwiederfinanziellwährendihresAuslandssemestersunterstützen. Zumindesteinwenig. Irgendwie. WennesauchbloßfüreinenKaffeereichte.

AllemvoranentwickeltesichjedochdieRichtungihresDisposproblematisch. JegrößerdieZahlhinterdemMinuswurde, destomehrdröhntedasRot, dasKerstinsichumdieeigentlichschwarzenZahlenherumeinbildete. Zuweilenblinkend. MittönendemAlarm. DochsolangenochGeldabgebucht, ihreMiete, Nebenkosten, KrankenkassenbeiträgeundSteuernbezahltwerdenkonnten – siealsoeinDachüberdemKopfhatteundihreArztbehandlungengesichertwaren –, versuchtesie, dieMachtdieserZahlenauszublenden. KnappzehnProzentderDeutschengeheesso, wurdeletztensimFernsehenberichtet. SiewardaalsokeinEinzelfall.

FallssiedieAufträgevonErikaübernahm, wärendieGeldsorgenunddasrotePulsierendesDisposwomöglichdahin.

AllerdingskamsiemitkompliziertenMenschennurschlechtzurecht, damusstesiesichnichtsvormachen. DaswarunteranderemderGrunddafürgewesen, dasssiesichvoreinigenJahrenselbstständiggemachthatte. IhreehemaligenArbeitgeberverlangtenimmermehrLeistungfürwenigerGeld, manövriertensichanMindestlöhnenvorbei, kürztenUrlaubstage, kündigtenbeivermeintlichzuhäufigenKrankmeldungen, betrachtetenalleAngestelltenalsaustauschbar. LangeZeithattesiedasmitgemacht, wolltealsalleinerziehendeMutterdasRisikoeinerSelbstständigkeitnichteingehen. AlsihreTochterabervolljährigwurdeundselbstjobbte, fieleinTeildesübermächtigenPflichtgefühlsvonihrabundsiewagtedenSprung. VorfünfJahren. BisheutebereutesiediesenSchrittnicht. Auchwenneshartwar. ZumindestkonntesiesichihreAuftraggeberaussuchen.

›AberdafürmusstdudenHinternhochkriegen, musstwerben, musstKlinkenputzen.‹

UnddaswareineanstrengendeundnervigeAngelegenheit. Aberheute – heutewarenlukrativeAufträgesogarohnejeglicheAnstrengunggekommen. VonErika.

Mit anderen Reinigungskräften hatte Kerstin eher selten zu tun, sie wollte weder Teil von Facebook- noch von WhatsApp-Gruppen sein. Sie würde viel zu viel Zeit dort verbringen, würde sich viel zu oft über Dinge aufregen, die sie nichts angingen. Also lieber gar nicht mitmachen. Erika war Admin mehrerer solcher Gruppen. Fand man keine Lösung für ein Schmutzproblem, kontaktierte man Erika. Und fand Erika keine Lösung, dann gab es auch keine.

VielleichtwardieEhrfurchtvordemEinnehmenvonErikasPlatzzugroß?

WennsiedieAufträgeannahm, gäbeeskeinZurückmehr. Wennsieversagte, wäreihrRufruiniertundihreSelbstständigkeitwomöglichpassé.

DashatteErikaschoneinmalmiteinerKollegingemacht, hatteirgendwiedafürgesorgt, dassesinkeinemHaushaltinderUmgebungmehrArbeitfürsiegab. Kerstinrätseltewochenlang, wieErikadasangestellthatte, versuchte, GerüchteausverschiedenenRichtungenzuverknüpfen, gabdannaberirgendwannauf. UndErikawürdesicherlichnichtkomplettabtauchen, besondersnicht, wennesumihreStammkundenging. AugundOhr – dawarsienochfit.

›Alsoannehmen?‹

WennKerstinesgutmachteunddieExtravaganzenderKundschaftertrug, würdesiesichinZukunftvielleichtsogareineandere, größereWohnungleistenkönnen. Eineruhigereundeine, wosienichtständigirgendwoanstieß, wogenugPlatzwar, umeinpaarSchritteWalzerzutanzen. Nicht, dasssiedaskonnte, nichtdasssieeinenPartnerdazuhätte. Abersagtemandasnichtso: DaistsovielPlatz, dakannmanWalzertanzen.

›SoeineschickeNeubauwohnungmitBalkonwieinderFeenstraße.‹

DawäresogareineEinbauküchemiterhöhtemBackofendabei, standkürzlichimStädtischenAnzeiger. UndeineebenerdigeDuschemitGlasabtrennung.

SiegriffnachihremHandyundgabindieSuchmaschineFeenstraßeWohnungein.

Wisch – wisch – wisch.

›EinTräumchen.‹

»Darinließeessichgutleben!«

Die Zunge drückte in die Lücke. Kerstin schluckte. Dann tippte sie aufs Telefonbuch.

Rumpeln. Beben.

SiewartetemitdemAnruf, bisderGüterzugüberdieSchienenhinweggerattertwar.

 

Montagvormittag

FAMILIE FLÄCK

AnderthalbWochenspäterstandKerstinvoreinemReihenhaus. EsmusstenandiezwanzigdieseraneinandergereihtenWohnscheibensein, diehiervoreinigenJahrenhingesetztwordenwaren. DieGegendgaltalslebenswert, sicherundaufstrebend. ManhattedenPlatzoffenbaroptimalnutzen, sovieleHäuserwiemöglichverkaufenwollen.

DieHaustürwarnurangelehnt, aberKerstinhieltesbeiihremerstenBesuchfürunpassend, direkteinzutreten. SiesuchtenacheinerKlingel – fandaberkeine. Alsoklopftesie.

Kindergeschrei. DieTüröffnetesicheinkleinesStückchen. HinterdemMilchglasbewegtesichetwas. DieTüröffnetesicheinkleinesStückchenweiter.

»Hallo?«, schickteKerstinindenSpalt. KeineAntwort. Sieversuchteeslauter: »HieristKerstinWischnewski. DieReinigungskraft.«

DieTüröffnetesichnocheinkleinesStückchenweiter.

KerstinbetratdenAbsatzundlugteindenFlur.

WieinZeitlupewurdedieTürZentimeterfürZentimetergeschlossen – KerstinzogdenKopfwiederzurück – undrasteteein. HinterderScheibewarnichtsmehrzuerkennen.

KerstinstiegdenAbsatzhinunterundsuchtedieFassadeerneutnacheinerKlingelab.

Gab es Reihenhäuser ohne Klingel? Als Katharina noch in der Grund­schule gewesen war, hätte sie am liebsten ohne gelebt. Zwei Jungen aus ihrer Klasse machten sich monatelang einen Riesenspaß daraus, Klingelmännchen zu spielen und sie damit auf die Palme zu bringen. Kerstin traute sich nicht, an der Glocke herumzumontieren, um das nervtötende Ding-dong-dang-dong abzuschalten. Zwar besaß sie keine linken Hände, aber am zur Wohnung gehörenden Interieur zu fummeln, war schon einmal beim Syphon schiefgelaufen.

AufdemBriefkastenglänzteeinabgesetzterPunkt. SolltedasetwaderKlingelknopfsein? Siedrücktedrauf, jedochgabernichtnach. Zeigtesichunbeeindruckt, warnurblankeFläche. InderZeitungsrollestecktederTagesbote.

Bimmelteesdoch?

VoninnenpresstesicheineNaseandieScheibe, danneinMund, dersichöffnete, darineinsichbewegendesRosarot.

Espolterte. Nase, MundundZungeverschwanden, dieTürschwangauf.

»GutenTag!« DieFrautrugeinKleinkindaufdemArmundeinHeadsetamKopf.

»Guten Tag, mein Name ist Wischnewski. Ich soll hier reinigen.«

»Was? Nein, daskannichnichtverantworten.« DasKleinkindschüttelteheftigdasKöpfchen, sodassdieMuttertänzelteundoffenbarProblemehatte, dasGleichgewichtzuhalten.

»AberFrauDreßlermeinte, ichsollediesenAuftragvonihrübernehmen. EsseiallesmitIhnengeklärt.«

DieFraudrückteaufderrechtenSeitedesKopfhörersherum. »Danke, dassSiekurzgewartethaben. Ichmussteeskalieren.«

»Siewollennicht, dassichhierarbeite?«

»Wiebitte?«

»Sie haben gesagt, dass Sie das nicht verantworten können.«

»Ach.« DieFraulachte, »Siewarendochgarnichtgemeint. IchhabemitmeinenKollegengesprochen.« SietippteansMikro­fon, dasfastbisanihrenMundheranreichte. »Wischnewski, richtig?«

Kerstinnickte.

»Angenehm, meinNameistStephanieFläck, dashieristMa­thil­da. KommenSiedochbitteherein.«

ImDachgeschosssollteKerstinbeginnenundsichdannnachuntendurcharbeiten. FrauFläckwolltesienachobenbegleiten, umihrdieRäumezuzeigen. Nurganzkurz. »PassenSiebeidemTreppenschutzgitterauf. DieuntersteStrebeistfestmontiert. Sieglaubengarnicht, wieoftmeinMannundichunshierschondie



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