Fräulein Bandit - Joseph Delmont - E-Book

Fräulein Bandit E-Book

Joseph Delmont

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Beschreibung

Die Wiederentdeckung eines vergessenen Erfolgsromans: In »Fräulein Bandit« – seinerzeit auch ins Englische übersetzt – erzählt der österreichisch-jüdische Regisseur und Schriftsteller Joseph Delmont eine wortwitzige Krimi-Komödie aus dem Budapest der frühen 1930er Jahre, die schließlich über Paris bis nach Biarritz, San Sebastián und Madrid führt. Ilona Veres ist 22 Jahre alt und stammt aus einer ehemals wohlhabenden Beamten-Familie. Während ihre Mutter nach dem Tod des Vaters krampfhaft versucht, an dem gehobenen Lebensstil der Familie festzuhalten, strebt Ilona nach Unabhängigkeit. Anstatt wie üblich auf den passenden Heiratskandidaten zu warten, nimmt sie heimlich Flugstunden und lässt sich zur Pilotin ausbilden. Als das Geld der Familie immer knapper wird, nimmt Ilona eine mysteriöse Stelle bei der Baronin von Mindszenty an. Dabei besteht die Baronin auf absoluter Diskretion: Ilona darf mit niemanden über ihre Arbeit sprechen, keinerlei Fragen beantworten und muss alle männlichen Annäherungsversuche strikt abweisen. Dann schafft die Baronin für ihr Modehaus sogar ein eigenes Flugzeug an, mit dem Ilona über Wien, Graz, Innsbruck, München, Berlin, Basel, Bukarest und Belgrad Werbeprospekte vom Himmel abwerfen soll. Nach und nach wird Ilona zur Ermittlerin in eigener Sache und findet mit Hilfe ihres schlagfertigen Bruders Árpád – einem 17jährigen Studenten mit Vorliebe für Verkleidungsaktionen a la »Charleys Tante« – heraus, welche Rolle ihr die Baronin tatsächlich zugeteilt hat. In Zukunft werden bei www.krimischaetze.de regelmäßig weitere Titel erscheinen - überarbeitet, in neuer Rechtschreibung und mit erklärenden Fußnoten versehen. krimischaetze.de Null Papier Verlag

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Veröffentlichungsjahr: 2025

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Joseph Delmont

Fräulein Bandit

Eine Krimikomödie aus dem Budapest der 1930er-Jahre

Joseph Delmont

Fräulein Bandit

Eine Krimikomödie aus dem Budapest der 1930er-Jahre

Veröffentlicht im Null Papier Verlag, 2024Klosterstr. 34 · D-40211 Düsseldorf · [email protected] EV: Fr. Wilh. Grunow G.m.b.H., Leipzig, 1935 2. Auflage, ISBN 978-3-954184-60-6

null-papier.de/katalog

Inhaltsverzeichnis

Über kri­mis­chaet­ze.de

Über den Au­tor

Über die­ses Buch

Han­deln­de Per­so­nen

Ka­pi­tel 1

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Ka­pi­tel 9

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Ka­pi­tel 23

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Ka­pi­tel 26

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Ka­pi­tel 30

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Der Mann vom Meer

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Über krimischaetze.de

Kri­mi­nal­ro­ma­ne sind heut­zu­ta­ge er­folg­reich wie nie. Kri­mi-Klas­si­ker? Da den­ken die meis­ten so­fort an Aga­tha Chris­tie (1890-1976) oder Ed­gar Wal­lace (1875-1932). Tat­säch­lich ge­hör­ten die bri­ti­schen Au­to­ren zu den ers­ten, die in den »wil­den« 1920er Jah­ren ins Deut­sche über­setzt wur­den. Kri­mi-Fans ken­nen oft auch den Schwei­zer Fried­rich Glau­ser (1896-1938), den Na­mens­ge­ber des Glau­ser-Prei­ses -- eine der wich­tigs­ten Aus­zeich­nun­gen für deutsch­spra­chi­ge Kri­mi-Au­to­ren. Wie viel­fäl­tig die Kri­mi-Sze­ne in der Wei­ma­rer Re­pu­blik war, ist in der brei­ten Öf­fent­lich­keit je­doch voll­kom­men in Ver­ges­sen­heit ge­ra­ten. Für kri­mis­chaet­ze.de ha­ben sich Jür­gen Schul­ze, Ver­le­ger des Null Pa­pier-Ver­la­ges, und Se­bas­ti­an Brück, Au­tor und Jour­na­list, zu­sam­men­ge­tan, um alte Kri­mi-Best­sel­ler neu zu ent­de­cken und als E-Book ver­füg­bar zu ma­chen -- über­ar­bei­tet, in neu­er Recht­schrei­bung und mit er­klä­ren­den Fuß­no­ten ver­se­hen.

Das kri­mis­chaet­ze.de-Pro­gramm star­tet zu­nächst mit sechs Ti­teln -- so­wohl Über­set­zun­gen aus dem Eng­li­schen (S.S. Van Dine) und Schwe­di­schen (Ju­li­us Re­gis), als auch deutsch­spra­chi­ge Ori­gi­na­le: In je zwei Fäl­len er­mit­teln Phi­lo Van­ce, der »ame­ri­ka­ni­sche Sher­lock Hol­mes«, und Mau­ri­ce Wal­li­on, der »De­tek­tivre­por­ter« und »Ur­va­ter« von Stieg Lars­sons »Mil­le­ni­um«-Pro­tago­nist Mi­kael Blom­qvist. Eben­falls ver­tre­ten sind die ver­ges­se­nen Wer­ke zwei­er jü­di­scher Au­to­ren: Die in Bu­da­pest, Pa­ris und San Se­bas­tián spie­len­de Kri­mi­ko­mö­die »Fräu­lein Ban­dit« des Ös­ter­rei­chers Jo­seph Del­mont so­wie der hu­mor­vol­le Kri­mi­nal­ro­man »Das ver­schwun­de­ne Haus -- oder: Der Ma­ha­ra­dscha von Bre­cken­dorf« des Frank­fur­ters Karl Ett­lin­ger.

In Zu­kunft wer­den bei www.krimischaetze.de re­gel­mä­ßig wei­te­re Ti­tel er­schei­nen.

Über den Autor

Jo­seph Del­monts Bü­cher wur­den in 18 Spra­chen über­setzt, er er­reich­te eine Ge­samtauf­la­ge von meh­re­ren Mil­lio­nen. Den­noch ist sein li­te­ra­ri­sches Schaf­fen heu­te weit­ge­hend ver­ges­sen. Sei­ne Stel­lung als Film­pio­nier wur­de in di­ver­sen Aus­s­tel­lun­gen ge­wür­digt, zum Bei­spiel 2004 im Cen­trum Ju­dai­cum in Ber­lin (»Pio­nie­re in Cel­lu­loid -- Ju­den in der frü­hen Film­welt«).

Del­mont leb­te rund zehn Jah­re in den USA, be­reis­te im Rah­men von Dreh­ar­bei­ten Spa­ni­en, Eng­land, Por­tu­gal, Frank­reich, Pa­na­ma und die Nie­der­lan­de. Ge­bo­ren wur­de der Sohn ei­ner jü­di­schen Fa­mi­lie 1873 in Loi­wein, da­mals Ös­ter­reich-Un­garn, heu­te Ös­ter­reich. 1910, im Al­ter von 33 Jah­ren, ließ er sei­nen Ge­burts­na­men Pollak in Del­mont än­dern. Nach­dem er in ei­nem Wan­der­zir­kus auf­ge­wach­sen war und als Domp­teur und Tier­fän­ger ge­ar­bei­tet hat­te, war Del­mont zu die­sem Zeit­punkt in der Stumm­film­bran­che be­reits eine schil­lern­de Fi­gur. Sein Film »Der Mül­ler und sein Kind« (1911) gilt heu­te als der äl­tes­te voll­stän­dig er­hal­te­ne ös­ter­rei­chi­sche Spiel­film. Kurz dar­auf sie­del­te Del­mont nach Ber­lin um und hat­te ne­ben eben­falls jü­di­schen Kol­le­gen wie Paul Da­vid­son und Ernst Lu­bitsch als Re­gis­seur, Dreh­buch­au­tor, Ka­me­ra­mann und Schau­spie­ler großen An­teil dar­an, dass die Stadt sich bis in die 1920er Jah­re zu ei­nem Zen­trum der in­ter­na­tio­na­len Fil­m­in­dus­trie ent­wi­ckel­te.

Doch Del­mont war nicht nur Film­pio­nier, er schrieb auch Bü­cher. Zu­nächst nur ne­ben­bei, bis er 1924 -- im Al­ter von 51 Jah­ren -- sei­ne er­folg­rei­che Film­kar­rie­re be­en­de­te und sich aus­schließ­lich dem Schrei­ben wid­me­te. Von Jo­seph Del­mont er­schie­nen zahl­rei­che Un­ter­hal­tungs­ro­ma­ne und Er­zäh­lun­gen, oft mit ge­sell­schafts­sa­ti­ri­schen Ele­men­ten. Meh­re­re Bü­cher wur­den ins Eng­li­sche, Dä­ni­sche, Schwe­di­sche Nie­der­län­di­sche, Fran­zö­si­sche und Tsche­chi­sche über­setzt. »Fräu­lein Ban­dit« ist ei­ner sei­ner letz­ten Ro­ma­ne, er er­schi­en 1935 -- dem Jahr, in dem Jo­seph Del­mont im Al­ter von 62 Jah­ren in Bad Pys­ti­an (heu­te Slo­wa­kei) verstarb. Drei Jah­re spä­ter, 1938, wur­den drei sei­ner Bü­cher von den Na­tio­nal­so­zia­lis­ten auf die »Lis­te des schäd­li­chen und un­er­wünsch­ten Schrift­tums« ge­setzt und ver­bo­ten.

*

»Del­mont ist der span­nends­te Er­zäh­ler der Jetzt­zeit!«, Egon Er­win Kisch, um 1930

Über dieses Buch

Die Wie­de­rent­de­ckung ei­nes ver­ges­se­nen Er­folgs­ro­mans: In »Fräu­lein Ban­dit« -- sei­ner­zeit auch ins Eng­li­sche über­setzt -- er­zählt der ös­ter­rei­chisch-jü­di­sche Re­gis­seur und Schrift­stel­ler Jo­seph Del­mont eine wort­wit­zi­ge Kri­mi-Ko­mö­die aus dem Bu­da­pest der frü­hen 1930er Jah­re, die schließ­lich über Pa­ris bis nach Bi­ar­ritz, San Se­bas­tián und Ma­drid führt.

Ilo­na Ve­res ist 22 Jah­re alt und stammt aus ei­ner ehe­mals wohl­ha­ben­den Be­am­ten-Fa­mi­lie. Wäh­rend ihre Mut­ter nach dem Tod des Va­ters krampf­haft ver­sucht, an dem ge­ho­be­nen Le­bens­stil der Fa­mi­lie fest­zu­hal­ten, strebt Ilo­na nach Un­ab­hän­gig­keit. An­statt wie üb­lich auf den pas­sen­den Hei­rats­kan­di­da­ten zu war­ten, nimmt sie heim­lich Flug­stun­den und lässt sich zur Pi­lo­tin aus­bil­den. Als das Geld der Fa­mi­lie im­mer knap­per wird, nimmt Ilo­na eine mys­te­ri­öse Stel­le bei der Baro­nin von Minds­zen­ty an: Sie soll sich ihre dunklen Haa­re blond fär­ben und als Man­ne­quin ex­klu­si­ve Da­men­krea­tio­nen vor­füh­ren -- so­wohl im Sa­lon der Baro­nin, als auch auf Pfer­de­renn­plät­zen so­wie bei Re­gat­ten, Au­to­ren­nen und sons­ti­gen Sport­ver­an­stal­tun­gen der hö­he­ren Ge­sell­schaft. Da­bei be­steht die Baro­nin auf ab­so­lu­ter Dis­kre­ti­on: Ilo­na darf mit nie­man­den über ihre Ar­beit spre­chen, kei­ner­lei Fra­gen be­ant­wor­ten und muss alle männ­li­chen An­nä­he­rungs­ver­su­che strikt ab­wei­sen. Dann schafft die Baro­nin für ihr Mo­de­haus so­gar ein ei­ge­nes Flug­zeug an, mit dem Ilo­na über Wien, Graz, Inns­bruck, Mün­chen, Ber­lin, Ba­sel, Bu­ka­rest und Bel­grad Wer­be­pro­spek­te vom Him­mel ab­wer­fen soll. Nach und nach wird Ilo­na zur Er­mitt­le­rin in ei­ge­ner Sa­che und fin­det mit Hil­fe ih­res schlag­fer­ti­gen Bru­ders Ár­pád -- ei­nem 17­jäh­ri­gen Stu­den­ten mit Vor­lie­be für Ver­klei­dungs­ak­tio­nen a la »Char­leys Tan­te« -- her­aus, wel­che Rol­le ihr die Baro­nin tat­säch­lich zu­ge­teilt hat.

Handelnde Personen

Ilo­na Ve­res: 22­jäh­ri­ge Toch­ter ei­ner ehe­mals wohl­ha­ben­den Bu­da­pes­ter Be­am­ten-Fa­mi­lie

Ju­lia Ve­res, ge­bo­re­ne von Ked­ves­váry: Ihre Mut­ter und Wit­we des kö­nig­li­chen Ho­frats Ste­fan Ve­res

Ár­pád Ve­res: Ihr 17­jäh­ri­ger Bru­der, Stu­dent

Pro­fes­sor Géza von Ked­ves­váry: Ihr On­kel, Leh­rer an Ár­páds Schu­le

Baro­nin Mar­ga von Minds­zen­ty: Be­trei­be­rin ei­nes Mo­de­hau­ses

Fo­dor Fe­ke­te: Pro­ku­rist und Mit­ar­bei­ter von Mar­ga von Minds­zen­ty

Pá­li Uilak: Lift­boy im Haus der Baro­nin von Minds­zen­ty

Pe­ter Bár­ka­ny: Flu­g­aus­bil­der und In­ge­nieur mit Er­fin­der­drang

Di­rek­tor Irányi: Vor­sit­zen­der der Hun­nia-Flug­zeug­ge­sell­schaft

Jim Hearst: Ame­ri­ka­ni­scher Hei­rats­schwind­ler

In­grid Engström: Schwe­di­sche Mil­lio­nä­rin

Jenö Al­pár: Un­ga­ri­scher Er­folgs­schrift­stel­ler

Kapitel 1

Seit Mo­na­ten such­te Ilo­na Ve­res Ar­beit. Das Droh­nen­le­ben1 ei­ner bes­se­ren Be­am­ten­toch­ter sag­te ihr nicht zu, und da seit dem Tod des Ho­frats der Haus­halt in­fol­ge der ge­kürz­ten Pen­si­on und dem Ver­mö­gens­ver­lust durch eine ver­krach­te Pri­vat­bank stark ein­ge­schränkt wer­den muss­te, wur­de es in der ele­gan­ten Woh­nung in Alt-Ofen2 für die jun­ge, le­bens­lus­ti­ge Frau oft­mals recht un­ge­müt­lich.

Ju­lia Ve­res, eine ge­bo­re­ne von Ked­ves­váry, woll­te, ob­wohl die Pen­si­on nur vier­hun­dert­und­fünf­zig Pen­gö3 mo­nat­lich be­trug, nicht ein­se­hen, dass man sich den Ver­hält­nis­sen an­zu­pas­sen habe.

»Die Wit­we ei­nes kö­nig­lich un­ga­ri­schen Ho­frats,4 der fast Mi­nis­ter ge­wor­den wäre, hat die De­kors zu wah­ren: Das bin ich mei­nem ver­stor­be­nen Mann schul­dig. Wenn Euer Va­ter noch leb­te und ihm das mit dem Ban­kier pas­siert wäre, hät­te er trotz des Ver­mö­gens­ver­lusts im­mer noch dar­auf ge­ach­tet, dass sei­ne Kin­der stan­des­ge­mäß le­ben und auch so auf­tre­ten. Ein Ste­fan Ve­res hät­te nie zu­ge­las­sen, dass sei­ne Toch­ter ir­gend­ei­ne un­ter­ge­ord­ne­te Stel­lung bei wild­frem­den Leu­ten ein­nimmt.«

»Jede Aus­ein­an­der­set­zung, lie­be Mama, hat im­mer den­sel­ben Re­frain. Wenn Papa noch leb­te, wäre er ganz be­stimmt da­mit ein­ver­stan­den ge­we­sen, dass ich mir auf an­stän­di­ge Wei­se mein Brot ver­die­ne, und auch für Ár­pád wäre es von Vor­teil, wenn er an­statt der aus­sichts­lo­sen Uni­ver­si­täts­stu­di­en ir­gend­ei­nen prak­ti­schen Be­ruf er­grif­fe.«

Frau Ho­frat Ve­res schüt­tel­te den Kopf, zog die Schul­tern hoch, sah em­pört zu ih­rer Toch­ter hin­über und schimpf­te wei­ter: »Eine ge­bo­re­ne Ked­ves­váry muss solch miss­ra­te­ne Toch­ter ha­ben. Un­ver­ständ­lich ist mir, wo du, die Nach­kom­min des be­rühm­ten Ge­schlechts der ...«

»Weiß ich, weiß ich be­reits aus­wen­dig, Mama: die En­ke­lin der Ked­ves­várys, de­ren Ge­schlecht bis auf Kö­nig Matt­hi­as5 zu­rück­geht, die un­ter Ma­ria The­re­sia6 und dann un­ter Kos­suth7 für Un­garns Frei­heit ge­kämpft ha­ben, de­ren ei­ner so­gar den Mär­ty­rer­tod auf dem Gal­gen ge­stor­ben ist, soll lie­ber vier­mal in der Wo­che nur in Was­ser ge­brüh­te Kraut­blät­ter es­sen, da­für aber im­mer eine lä­cheln­de Mie­ne zur Schau tra­gen, in zehn­mal ge­wen­de­ten und um­ge­krem­pel­ten Fum­meln um­her­lau­fen und ein stol­zes Ge­sicht den lie­ben Mit­menschen zei­gen.«

»Ilo­na!«

»Lie­be Mama, un­se­re An­sich­ten ge­hen so dia­me­tral aus­ein­an­der wie die zwei­er po­li­ti­scher Par­tei­en mit ent­ge­gen­ge­setz­ten Zie­len. Ich bin nun ein­mal nicht für eine falsche Fassa­de, un­ter der sich das heu­len­de Elend ver­birgt.«

»Wenn das dein Va­ter hö­ren wür­de.«

»Dann wür­de er mir nur Recht ge­ben.«

»Nie­mals gäbe er es zu, dass du in den Dienst frem­der Men­schen tre­ten sollst.«

»War Papa nicht im Dienst frem­der Men­schen?«

»O Gott, Ilo­na, wie bist du doch miss­ra­ten! Papa diente nicht für frem­de Men­schen, son­dern er weih­te sei­ne Diens­te der hei­li­gen Ste­fans­kro­ne, dem Staat, dem Kö­nig­reich Un­garn.«

»Es ist ja zweck­los, Mama, dass wir uns noch län­ger zan­ken. Du be­stehst dar­auf, die­se teu­re Woh­nung bei­zu­be­hal­ten, ob­wohl es zweck­mä­ßi­ger wäre, ein Drei­zim­mer-Ap­par­te­ment zu mie­ten. Ein sol­ches Heim wür­de für uns vollauf ge­nü­gen, dann brauch­ten wir auch nicht zwei Mäd­chen zu hal­ten.«

»Du ver­langst wohl, ich soll viel­leicht noch ko­chen, Staub wi­schen?«

Blit­ze des Zorns schos­sen aus der Frau Ho­frat Au­gen zu der Toch­ter hin­über.

»Nein, Mama, be­ru­hi­ge dich, mei­net­we­gen kön­nen wir ja die Kö­chin be­hal­ten, aber es wird mir kei­nen Ab­bruch tun, wenn ich eine Stel­le an­neh­me, und dann kann ich noch im­mer die klei­ne Woh­nung in Ord­nung hal­ten.«

»Und mei­ne Freun­de, die Bridge­par­ti­en, die Vor­stands­sit­zung un­se­res Otto-Ver­eins, die soll ich viel­leicht in der Kü­che oder in ei­nem Zim­mer ab­hal­ten, in das der Schmalz­ge­ruch vom Koch­herd dringt? Nein, mei­ne Toch­ter, so­lan­ge ich lebe, wer­de ich die­se Räu­me bei­be­hal­ten, On­kel Géza wird eben hel­fen müs­sen.«

»Das soll mich nicht hin­dern, mir eine pas­sen­de Stel­lung zu su­chen.«

»Wel­che Art Ar­beit wirst du ver­rich­ten wol­len?«

»Das ist es ja eben. Was habe ich ge­lernt? Nichts als den Zeit­ver­treib der Vor­neh­men. Ich spie­le Ten­nis, Bas­ket­ball, lau­fe Schlitt­schuh, Ski, kann ro­deln und auf ei­nem Bob als fünf­te Kufe die­nen; Schwim­men, Ru­dern, Au­to­fah­ren habe ich ge­lernt, an­statt dass man mich in eine Han­dels­schu­le ge­schickt hät­te.«

»Wun­der­voll wäre es, die Toch­ter von Ho­frat Ve­res als Tipp­mam­sell zu se­hen. Vi­el­leicht, dass ir­gend­ein arm­se­li­ger Buch­hal­ter dann um dei­ne Hand an­hält.«

»Wäre auch nicht das Schlimms­te, es kommt ja lei­der nicht in Fra­ge, da ich nichts ge­lernt habe.«

»Zu wel­chem Be­ruf hast du, die Uren­ke­lin der Ked­ves­váry, dich ent­schlos­sen?«

»Brauchst nicht zu spot­ten, Mama; ich weiß, es ist in der Zeit all­ge­mei­ner Ar­beits­lo­sig­keit schwer et­was zu fin­den, schließ­lich bei mei­ner Fi­gur, in ei­nem großen Mo­de­sa­lon.«

»Vor­führ­da­me, Man­ne­quin! Dann wirst du mich zwin­gen, ein Macht­wort zu spre­chen, ich wer­de es dir durch die Ge­rich­te ver­bie­ten las­sen.«

»Mama, du ver­gisst, dass ich voll­jäh­rig bin; doch wozu strei­ten wir uns, mich nimmt man auch in ei­nem Mo­de­haus nicht auf.«

»Hal­lo Mama, Ilo­na, was für sau­re Ge­sich­ter sehe ich, wie­der ein­mal der alte Streit?«

»Gera­de du hast es nö­tig, dich lus­tig über uns zu ma­chen, wo wir für dich in großer Sor­ge sind, Ár­pád.«

»Mei­net­hal­ben, Mama, brauchst du dir kei­ne Sor­gen zu ma­chen, ich bin jetzt mit dem Stu­di­um fer­tig.«

Die Ho­frä­tin er­bob sich ent­setzt von ih­rem Stuhl.

»Mach kei­ne dum­men Wit­ze, Ár­pád!«, rief Ilo­na dem Bru­der er­regt zu.

»Das sind kei­ne dum­men Wit­ze, Schwes­ter­chen, das sind un­um­stöß­li­che Tat­sa­chen.«

»Rede, Ár­pád, was ist ge­sche­hen?«, frag­te Frau Ve­res.

»Ich war ge­zwun­gen, Pro­fes­sor Ked­ves­váry nie­der­zu­schla­gen.«

»Ár­pád! Ge­gen dei­nen On­kel hast du die Hand er­ho­ben?«

»Mama, rege dich nicht auf, das ist zweck­los; glaubst du, dass man einen sieb­zehn­jäh­ri­gen Stu­den­ten vor der gan­zen Klas­se ohr­fei­gen darf?«

»Waaas?« Ilo­na sah starr auf den Bru­der. »Er hat dich ge­schla­gen?«

»Ach wo, so weit ließ ich es eben nicht kom­men; be­vor er zu­schla­gen konn­te, ver­setz­te ich ihm einen ›So­lar­ple­xus‹, der ihn bis zum Aus­zäh­len am Bo­den hielt, dann nahm ich mei­ne Müt­ze, und hier bin ich.«

»Ár­pád, wie konn­test du? Man ver­greift sich nicht an sei­nem Leh­rer; ich wer­de so­fort zu On­kel Géza fah­ren, du musst mit­kom­men, ihn um Ver­zei­hung bit­ten; um Got­tes­wil­len, welch ein Un­glück!«

»Lass das, Mama, ich bit­te nie­man­den um Ver­zei­hung, am we­nigs­ten On­kel Géza, der mich schlech­ter als einen Hund be­han­del­te. Alle Pro­fes­so­ren sind bis­her mit mir zu­frie­den ge­we­sen, nur der Herr On­kel nicht. Mir fehlt je­der Sinn für Ma­the­ma­tik, wenn ich mir trotz­dem da­mit alle Mühe ge­ge­ben habe, so tat ich das dir zu­lie­be, Mama, aber was heu­te ge­sch­ah, schlug dem Fass den Bo­den aus.«

»Wie, wie konn­test du dich an ihm ver­grei­fen? O die­se Schan­de, das über­le­be ich nicht.«

»Men­schen ha­ben schon schwe­re­re Din­ge über­lebt, Mama, und es tut mir ja um dich ehr­lich leid, aber das Vor­komm­nis ist nicht mehr un­ge­sche­hen zu ma­chen.«

»Red’ doch end­lich, Ár­pád, wie kam es zu dem Skan­dal?«

»Ilo­na, du bist doch ein ver­nünf­ti­ges Mä­del, glaubst du, ich lie­ße mich so­weit hin­rei­ßen, wenn nicht ge­nü­gend Grund da­für vor­han­den ge­we­sen wäre?«

»Um sich wie ein Pro­let zu prü­geln, da­für gib­t’s viel­leicht für einen Kut­scher oder Chauf­feur Grün­de, nicht aber für den Sohn ei­nes Ho­frats.«

»Ach Mama, die­ser Ti­tel, den Papa in­ne­hat­te, konn­te Herrn Pro­fes­sor Géza von Ked­ves­váry nicht da­von ab­hal­ten, mir Ohr­fei­gen an­zu­tra­gen, nach­dem er mich seit vie­len Mo­na­ten auf das Un­glaub­lichs­te ge­quält hat­te. --- Lass mich jetzt re­den, Ilo­na, du bist ja auch in die Ge­schich­te hin­ein­ge­zo­gen wor­den.«

»Ich? Wie­so ich, was habe ich da­mit zu tun?«

»Na­tür­lich hast du nichts da­mit zu tun, aber der Herr On­kel Pro­fes­sor ent­blö­de­te sich nicht, als ich ihm eine ge­hö­ri­ge Ant­wort gab, vor der ver­sam­mel­ten Klas­se zu sa­gen: ›Na­tür­lich, du willst nichts ler­nen, ge­nau­so wie dei­ne Schwes­ter, die nur eine Sport­le­rin mit lee­rem Kopf ist.‹«

»Wie takt­los!«

»Das mei­ne ich auch, und als ich ihm ener­gisch zu­rief, er sol­le pri­va­te An­ge­le­gen­hei­ten aus dem Dis­put las­sen, da dies für einen Hoch­schul­pro­fes­sor eine Takt­lo­sig­keit son­der­glei­chen sei, da hob er die Hand ... Na, ich bin kein klei­ner Bub, der sich ohr­fei­gen lässt, da hab ich mich eben ge­wehrt.«

»O Gott, o Gott, welch ein Skan­dal: Ganz Bu­da­pest wird mit den Fin­gern auf uns zei­gen.«

»Über­treib nicht, Mama, die Bu­da­pes­ter ha­ben an­de­re Din­ge zu tun, als sich um sol­che Lap­pa­li­en zu küm­mern.«

»Das sagst du, Ilo­na, du, und weißt doch, wie die Men­schen hier sind. Ich will so­fort Géza an­ru­fen, du musst dich ent­schul­di­gen, Ár­pád, du musst ...«

Ein schar­fes Klin­geln un­ter­brach die Ho­frä­tin, sie eil­te zum Te­le­fon­ap­pa­rat, hob den Hö­rer ab.

»Ja, hal­lo, ja, ich bin selbst am Ap­pa­rat, Géza; um Got­tes­wil­len, wie konn­te das ge­sche­hen? Ár­pád ist ganz zer­knirscht, er be­reut ...«

»Ei­nen Au­gen­blick, Mama, ich habe dich nicht er­mäch­tigt, so et­was zu sa­gen.«

Die Mut­ter hielt die Hand auf das Mi­kro­phon.

»Bist du still, jetzt rede ich!«

»Das ist mir jetzt ganz gleich­gül­tig, ich ...« Ár­pád zog der Mut­ter Hand ener­gisch zu sich und schrie, be­vor die Mut­ter es hin­dern konn­te, in das Mi­kro­phon: »Nichts, nichts be­reue ich, zer­knirscht bin ich schon gar nicht!«

Ilo­na stürz­te auf den Bru­der zu und zog ihn vom Ap­pa­rat weg.

»Géza«, die Ho­frä­tin war au­ßer sich, »Géza, ich bin in ei­ner hal­b­en Stun­de bei dir, hörst du? Hal­lo, hal­lo! O Gott, er hat an­ge­hängt. Was soll nun aus dir wer­den? Oh, oh, wie bin ich mit mei­nen Kin­dern ge­straft. Ár­pád, mit auf­ge­ho­be­nen Hän­den bit­te ich dich, fah­re so­fort zu On­kel Géza, und wenn du auf­rich­tig be­reust, wird er dir ver­zei­hen.«

»Mama, erst­mals be­reue ich nichts, auch wenn ich es täte und dei­nen Wunsch er­füll­te, hät­te das Gan­ze kei­nen Zweck, denn so wie ich On­kel Géza ken­ne, hat er den Fall längst zur An­zei­ge ge­bracht, und das Kol­le­gi­um wird mich be­stimmt re­le­gie­ren.8 Wozu also soll ich mich noch er­nied­ri­gen, lü­gen und heu­cheln? Nein, Mama, es tut mir nur dei­net­hal­ben leid, aber hät­test du mei­ne Bit­te er­füllt und mich mei­ne Wege ge­hen las­sen, an­statt die­ses mir ver­hass­ten Stu­di­ums, dann wäre es nie so weit ge­kom­men.«

»Genau so ver­rück­te Ein­fäl­le wie dei­ne Schwes­ter hast du. Sie will eine un­ter­ge­ord­ne­te Stel­le ein­neh­men und du, der ein­zi­ge Sohn des Ho­frat Ve­res, willst Zei­tungs­schrei­ber wer­den.«

»Bes­ser noch ein Re­por­ter, als jah­re­lang zu war­ten und zu hun­gern, be­vor eine Stel­le im Staats­dienst frei ist. Dann wie­der, weiß der Him­mel wie lan­ge, zu katz­bu­ckeln, vor je­dem al­ten Af­fen in Ehr­furcht kre­pie­ren, da­mit ja ein biss­chen Pro­tek­ti­on her­aus­ge­schun­den wird.«

»Das hät­te dein se­li­ger Va­ter hö­ren müs­sen; drei­ßig Jah­re hat er sei­nem Kö­nig und dann dem Reichs­ver­we­ser9 ge­dient, ohne ...«

»Ver­giss die Zeit der Kom­mu­ne10 nicht, Mama.«

»Pfui über dich, dass du dei­nem ver­stor­be­nen Va­ter solch schreck­li­che Sa­chen nach­sagst: Papa hat ...«

»Wis­sen wir, wis­sen wir ... Op­po­si­ti­on ge­gen Béla Kun11 ge­macht und so wei­ter, aber die Her­ren ha­ben sich trotz­dem nicht ge­traut ...«

»Kei­nen Ton wei­ter, du ver­un­glimpfst das An­den­ken ei­nes der treues­ten Staats­die­ner.«

»Ich den­ke nicht dar­an, Papa für ir­gen­det­was, das in der da­ma­li­gen schwe­ren Zeit vor­fiel, ver­ant­wort­lich zu ma­chen, nur das Sys­tem ver­dam­me ich, das all die­sen Staats­die­nern den Zwang auf­er­legt, je­der Re­gie­rung treu zu die­nen.«

»Dum­mer Bub, was weißt du von die­sen Din­gen?«

»Schon gut, Ilon­ka,12 ob­wohl ich noch ein dum­mer Bub bin, weiß ich so man­ches, was ich ei­gent­lich nicht wis­sen soll­te.«

»Ich geh’ zu On­kel Géza und du kommst mit, Ár­pád.«

»Du weißt, ich bin im­mer folg­sam ge­we­sen, Mama, aber die Tat­sa­che, dass Herr Pro­fes­sor von Ked­ves­váry, ob­wohl er dein Bru­der ist, sich takt­los be­nom­men hat, lässt sich nicht aus der Welt schaf­fen.«

»Selbst will ich mich von al­lem über­zeu­gen, ich glau­be dir nicht.«

»Dass ich kein Lüg­ner bin, das weißt du nur zu gut, Mama.«

»Wir wer­den ja se­hen, was On­kel Géza sagt.«

»Es ist ja un­mög­lich, was du da vor­hast, Mama«, fiel Ilo­na ein. »Dass Ár­pád kei­ne Un­wahr­heit sagt, ist be­stimmt zu glau­ben, und wenn sich al­les wirk­lich so zu­ge­tra­gen hat, dann ist es zweck­los, dass du den On­kel auf­suchst.«

»Er ist mein Bru­der, ein Ked­ves­váry, ein Ari­sto­krat vom Schei­tel bis zur Soh­le.«

»Es gibt auch un­ter den Ari­sto­kra­ten takt­lo­se Men­schen.«

»Schweig, du Lüm­mel! On­kel Géza wird der Grün­de ge­nug ge­habt ha­ben, dir so ge­gen­über zu tre­ten; er ist doch dein On­kel.«

»Die Takt­lo­sig­keit be­ging der Herr Pro­fes­sor vor der ver­sam­mel­ten Klas­se.«

»Geh’ nicht, Mama, setz’ dich nicht Er­nied­ri­gun­gen aus«, be­schwor die Toch­ter.

Die Ho­frä­tin drück­te ihr Ta­schen­tuch an die Au­gen.

»Oh, welch un­glück­li­che Mut­ter bin ich, aber ich bin es müde, mich von Euch ty­ran­ni­sie­ren zu las­sen, Euer Vor­mund soll von jetzt ab die Er­zie­hung in die Hand neh­men.«

»Un­glück­li­cher­wei­se ist nie­mand als die­ser fa­mo­se On­kel Géza un­ser Vor­mund und ihm«, Ár­pád trat an die Mut­ter her­an, »ihm wer­de ich mich nie un­ter­wer­fen, die­ser ein­ge­fleisch­te Schul­mensch hat ja kein Herz in der Brust.«

»Wenn ich auch Ár­páds Vor­ge­hen nicht ganz zu bil­li­gen ver­mag, Mama, ei­nes muss ich selbst sa­gen: Es war kein klu­ger Ge­dan­ke, On­kel Géza zu un­se­rem Vor­mund zu be­stel­len.«

»Er ist ein Ari­sto­krat.«

»Zum Teu­fel hin­ein, Mama, Ari­sto­krat sein heißt noch lan­ge nicht un­fehl­bar sein, und ich wie­der­ho­le es: Ein wah­rer Ari­sto­krat, ob von Ge­burt oder durch Her­zens­bil­dung, be­geht nicht Takt­lo­sig­kei­ten, noch dazu vor an­de­ren. Das ist viel­leicht in ei­ner Fa­mi­li­en­aus­spra­che mög­lich, aber auch da nicht ent­schuld­bar.«

»Dein Va­ter hät­te dir den Ho­sen­bo­den ge­spannt, hör­te er dich so spre­chen.«

»Papa hat mich nie ge­schla­gen und ob­wohl er nur ein ein­fa­cher Bür­ger­li­cher war ...«

»Dein Va­ter stammt aus ei­ner ur­al­ten Fa­mi­lie.«

»Ja, ja, Mama, wir stam­men ja alle von Adam und Eva ab.«

»Jetzt habe ich ge­nug: Ich be­ge­be mich nun zu On­kel Géza, denn ich muss ihn schon als Vor­mund Ilon­kas, ih­rer ab­sur­den Ide­en hal­ber, um Rat fra­gen.«

»Mama, ich er­in­ne­re dich dar­an, dass ich voll­jäh­rig bin und nicht mehr der Auf­sicht ei­nes Vor­munds un­ter­ste­he.«

»Du wirst dich sei­nem Macht­wort fü­gen müs­sen.«

»Wie du willst, Mama, aber ich bit­te dich, die Sa­che nicht auf die Spit­ze zu trei­ben.«

»Ihr wer­det ja hö­ren, in ei­ner Stun­de bin ich zu­rück.«

Mit die­sen Wor­ten ver­ließ die Ho­frä­tin das Zim­mer, und drau­ßen hör­te man sie mit dem Haus­mäd­chen schimp­fen.

»Sag mal, Ár­pád, war es wirk­lich not­wen­dig, sich an On­kel Géza zu ver­grei­fen?«

»Ilon­ka, du weißt doch, dass es schon arg sein muss­te, be­vor es so­weit kam. Seit Pa­pas Tod quält und schi­ka­niert er mich un­auf­hör­lich, und ein­mal muss­te es ja zur Ka­ta­stro­phe kom­men. Geh’n wir Ten­nis spie­len, Ilka?«13

»Nein, seit drei Mo­na­ten sind wir die Klub­bei­trä­ge schul­dig, ich schä­me mich schon, wenn ich am Ten­nis­platz vor­bei­kom­me.«

»Schul­den, Schul­den, Schul­den! Ach Ilka, Ilon­ka, Schwes­ter­lein, wie ist doch das Le­ben schwer und wie leicht könn­te man es ha­ben, wenn man sich über die­se grau­en­haft öden All­täg­lich­kei­ten hin­weg­set­zen könn­te.«

»Was ist da zu tun? Wir sind arm und müs­sen uns in die Lage eben hin­ein­fin­den: Aber was im­mer auch Mama aus­tüf­telt und da­ge­gen ha­ben mag, ich su­che mir eine Stel­le, um nicht im­mer so elend da­hin­le­ben zu müs­sen.«

»Möch­test du nicht Film­star wer­den?«

»Red’ kei­nen Un­sinn, Ár­pád, dazu hab’ ich wirk­lich kein Ta­lent.«

»Aber schön bist du und das ist doch bei die­sem Ge­schäft das Maß­ge­ben­de.«

»Du irrst, seit dem Ver­schwin­den des stum­men Films14 ist auch schau­spie­le­ri­sche Be­ga­bung er­for­der­lich.«

»Weißt du, Ilo­na, ich wer­de mich um eine Chauf­feur­stel­le be­mü­hen, dir ver­dan­ke ich es doch, dass ich fah­ren lern­te.«

»Das wür­de Mama nie zu­ge­ben, und der Herr Vor­mund wird dich in eine Bes­se­rungs­an­stalt ste­cken.«

»Ab­war­ten: Auf alle Fäl­le bin ich die scheuß­li­che Schu­le los, und das ist schon viel wert.«

Ár­pád schritt zum Ra­dio­ap­pa­rat und stell­te das Mit­tags­kon­zert ein. Die schmach­ten­de Wei­se ei­ner Se­re­na­de er­tön­te. Der schlan­ke Jüng­ling zog eine durch­bro­che­ne, ge­stick­te De­cke vom Flü­gel, dra­pier­te sie um sei­ne Schul­tern und tanz­te da­mit durch das Zim­mer.

Ilo­na lach­te bei den gro­tesk ko­mi­schen Sprün­gen des Bru­ders hellauf.

»Tän­zer hät­test du wer­den müs­sen, bei den erns­tes­ten Dar­bie­tun­gen in die­ser Kunst hät­test du die stärks­ten Lach­er­fol­ge auf­zu­wei­sen.«

»Nicht die schlech­tes­te Idee, Schwes­ter­chen, denn La­chen ist et­was Wert­vol­les, und wer die Men­schen in Hei­ter­keit zu set­zen ver­mag, ob frei­wil­lig oder un­frei­wil­lig, er­füllt eine Mis­si­on. Ach­te jetzt auf mei­nen ko­mi­schen Tan­go.«

Wie ein Storch stelz­te Ár­pád um­her, warf die Bei­ne in die Luft, und das Mäd­chen lach­te Trä­nen über die ko­mi­schen Be­we­gun­gen des Bru­ders.

Nach­her stimm­te der Jüng­ling ein Volks­lied an und for­cier­te die Ton­art hoch hin­auf.

Kapitel 2

Ei­nen ro­ten Gum­mi­beu­tel vor den Ma­gen ge­bun­den, die Brau­en fest zu­sam­men­ge­zo­gen, saß Pro­fes­sor Géza von Ked­ves­váry vor sei­nem Schreib­tisch und in kal­li­gra­phisch ab­ge­zir­kel­ten Buch­sta­ben setz­te er die An­kla­ge ge­gen den re­bel­li­schen Stu­den­ten Ár­pád Ve­res auf. Die­sem Jun­gen woll­te er es ein­trän­ken, dass er es ge­wagt hat­te, sei­ne Hand ge­gen ihn, den bes­ten Päd­ago­gen -- wie der Pro­fes­sor sich selbst be­ur­teil­te -- zu er­he­ben: Kein In­sti­tut im gan­zen Kö­nig­reich Un­garn wird es wa­gen, den ge­fähr­li­chen Bur­schen auf­zu­neh­men, von sämt­li­chen Schu­len soll er für im­mer aus­ge­schlos­sen blei­ben.

Von Zeit zu Zeit senk­te der Schul­mann den Blick auf sei­nen stark her­vor­tre­ten­den Ma­gen und Bauch, lüf­te­te ein we­nig die rote, mit heißem Was­ser ge­füll­te Gum­mi­wär­me­fla­sche und be­sah sich den stark be­haar­ten Leib, da­bei ver­zog er sein Ge­sicht, dass man ver­mein­te, er müs­se je­den Au­gen­blick in Ohn­macht fal­len. Stöh­nend drück­te er den Beu­tel wie­der ge­gen den ge­schla­ge­nen Ma­gen und fuhr fort, die schrift­li­che An­kla­ge an den Se­nat der Schu­le auf­zu­set­zen. Ein Klop­fen stör­te ihn in der Ar­beit und auf sein lau­tes, ener­gi­sches »He­rein«, das in kei­nem Fall auf kör­per­li­che Schwä­che schlie­ßen ließ, trat auf Ze­hen­spit­zen, mit ängst­li­chem Ge­sicht, die Gat­tin des Pro­fes­sors ein.

»Géza, der Herr Dok­tor ist da.«

»Wie­so der Herr Dok­tor? Ich habe doch aus­drück­lich ge­sagt, Pro­fes­sor Kál­mán soll kom­men.«

»Ver­zei­hung, Herr Pro­fes­sor«, Dok­tor Bar­so­dy trat ein, »Pro­fes­sor Kál­mán ist bei ei­ner schwe­ren Ope­ra­ti­on und könn­te erst in zwei bis drei Stun­den ab­kom­men, da der Fall hier aber als sehr dring­lich ...«

»Spre­chen Sie nicht so viel, Herr Dok­tor; Herr Pro­fes­sor Kál­mán hät­te ru­hig je­mand an­de­ren mit der Ope­ra­ti­on be­trau­en kön­nen. Schon aus al­ter Freund­schaft müss­te er alle Rück­sicht fal­len las­sen; mein Fall er­for­dert eine so­for­ti­ge und sorg­fäl­ti­ge Un­ter­su­chung.«

»Bit­te sich mir nur an­zu­ver­trau­en, Herr Pro­fes­sor, soll­te die Sa­che kom­pli­ziert sein, so wird Pro­fes­sor Kál­mán ja mei­ne Dia­gno­se und An­ord­nun­gen prü­fen.«

Der Arzt muss­te bei der Er­zäh­lung Ked­ves­váry ein Lä­cheln un­ter­drücken, als der Schul­mann von ei­ner groß­an­ge­leg­ten Re­vo­lu­ti­on der Stu­den­ten sprach.

»Ih­rer fünf­zehn oder zwan­zig dran­gen auf mich ein, aber ich schlug sie alle zu Bo­den, bis ein solch un­ge­ho­bel­ter Jüng­ling fei­ger­wei­se von hin­ten her­um­lang­te und mir einen schreck­li­chen Hieb auf den Ma­gen ver­setz­te. Be­wusst­lo­sig­keit um­fing mich und als ich wie­der zu mir kam, war der At­ten­tä­ter ver­schwun­den. Wohl­weis­lich hat er die Ge­fahr, in der er sich be­fand, ge­ahnt, denn er hät­te es bit­ter bü­ßen müs­sen, wäre er zwi­schen mei­ne Fin­ger ge­ra­ten. Ich ver­mu­te, der Roh­ling hat mir die Le­ber oder die Nie­re ver­letzt.«

»Darf ich bit­ten, dass sich der Herr Pro­fes­sor dort auf den Di­wan legt.«

»Was willst du noch hier?«, schalt der Gat­te die furcht­sam um sich bli­cken­de Ehe­frau an, »hier«, er riss die Wär­me­fla­sche so has­tig von sei­nem Leib, dass die Gum­mihül­le einen Riss er­hielt und das noch ziem­lich hei­ße Was­ser ihn über­spül­te.

Wie ein Be­ses­se­ner brüll­te der Be­gos­se­ne.

»Oh, oh, ich bin ver­brüht, te­le­fo­nie­re so­fort um die Ret­tungs­ge­sell­schaft, ich st­er­be, ich st­er­be.«

Der zu­erst er­schro­cke­ne Me­di­zi­ner hat­te gleich­falls et­was von dem Was­ser ab­be­kom­men und er­kann­te so­fort, dass die Flüs­sig­keit kei­nen solch star­ken Wär­me­grad mehr be­saß, um Brand­wun­den zu ver­ur­sa­chen.

»Be­ru­hi­gen Sie sich, Herr Pro­fes­sor, das Was­ser war ja noch sehr warm, aber es hat kei­ne Brand­bla­sen zur Fol­ge.«

»Was wis­sen Sie, jun­ger Mann, Ihre me­di­zi­ni­schen Kennt­nis­se schei­nen sehr ge­ring zu sein.«

»Ver­zei­hung, Herr Pro­fes­sor, ich bin seit vier Jah­ren As­sis­tent Pro­fes­sor Kál­máns.«

»Na schön, dann bit­te un­ter­su­chen Sie mich, aber ich möch­te dar­um bit­ten, mir nicht un­nüt­zen Schmerz zu­zu­fü­gen.«

Trotz sorg­fäl­ti­gem Ab­hor­chen, ob­wohl der Pa­ti­ent fort­ge­setzt stöhn­te, war es dem Arzt nicht mög­lich, ir­gend­wel­che in­ne­re Ver­let­zun­gen fest­zu­stel­len. In dem Me­di­zi­ner stau­te sich ob der Be­hand­lung, der er aus­ge­setzt war, ein Häuf­chen Zorn.

»Wol­len Sie mir bit­te sa­gen, wo Sie die star­ken Schmer­zen emp­fin­den?«

»Das müss­ten Sie doch schon längst kon­sta­tiert ha­ben. Hier und hier und da auch.«

Ohne sich an sein Ver­spre­chen von vor­hin zu bin­den, drück­te Dok­tor Bar­so­dy plötz­lich kräf­tig auf des Stöh­nen­den Ma­gen.

»Au, au, oh! Was trei­ben Sie da, Herr Dok­tor? Sie zer­drücken mir ja die gan­zen Ein­ge­wei­de!«

»Kei­ne Ban­ge, Herr Pro­fes­sor, aber ich kann beim bes­ten Wil­len kei­ne in­ne­re Ver­let­zung kon­sta­tie­ren.«

»Das habe ich mir ja ge­dacht.«

»Bit­te sich zu be­ru­hi­gen, Herr Pro­fes­sor. Ich wer­de ein Pul­ver, Ta­blet­ten und Trop­fen auf­schrei­ben. Von den Pul­vern neh­men Sie ei­nes so­fort und erst mor­gen Vor­mit­tag, zwei Stun­den vor dem Früh­stück, noch ei­nes. Die Ta­blet­ten kom­men nur in Fra­ge, falls Sie er­bre­chen müs­sen, und von den Trop­fen bit­te zwan­zig in einen Ess­löf­fel war­men Was­sers, be­vor Sie zu Bett ge­hen.«

»Ja, muss ich denn nicht lie­gen, so­fort ins Bett?«

»Nein, auf kei­nen Fall, erst nach der Wir­kung des Pul­vers.«

»Gut, aber schi­cken Sie Pro­fes­sor Kál­mán her, so­wie er frei ist.«

»Ich wer­de es nicht ver­säu­men, und bit­te, Herr Pro­fes­sor, kei­ne Auf­re­gung.«

»Schon gut, schon gut.«

»Gu­ten Tag; bit­te las­sen Sie so­fort die Me­di­ka­men­te aus der Apo­the­ke ho­len.«

»Fran­zis­ka! Him­mel, wo steckst du denn?«

»Hier bin ich doch, Géza: Was hat der Dok­tor ge­sagt?«

»Die­ser Trot­tel ver­steht ja nichts von sei­nem Be­ruf. Erst ver­brüht er mich wie ein Schlacht­schwein, dann ...«

»Aber Géza, den Gum­mi­beu­tel hast du doch selbst zer­ris­sen.«

»Wenn du doch schwei­gen wür­dest. Schi­cke Ers­zi1 so­fort in die Apo­the­ke; zum Don­ner­wet­ter, wo hat der Kre­tin das Re­zept wie­der hin­ge­legt?«

»Hier, hier liegt ...«

»Au, au, ver­dammt noch ein­mal, wer hat denn da wie­der Glas­scher­ben auf den Bo­den ge­wor­fen?«

»Aber Géza, du bist auf die Schnal­le dei­ner Ho­sen­trä­ger ge­tre­ten.«

»Au, ver..., was ist denn das wie­der? Den El­len­bo­gen­kno­chen hät­te ich mir zer­bre­chen kön­nen; au, wie das schmerzt, ist denn heu­te al­les ge­gen mich?«

»So zieh doch end­lich die Hose hoch, da­durch bist du ge­stol­pert und auf den Schreib­tisch ge­fal­len.«

»Willst du mich ra­send ma­chen mit dei­nem Ge­schwätz? Wo ist Ers­zi, sie muss rasch in die Apo..., ah, da sind Sie ja, hier, neh­men Sie das und lau­fen Sie rasch in die En­ge­lapo­the­ke. Was glot­zen Sie denn da auf den Bo­den?«

»Die Über­schwem­mung, wo kommt das vie­le Was­ser her, hat viel­leicht der Herr Pro­fes­sor ...?«

»Ma­chen Sie, dass Sie hin­aus­kom­men. Sie blö­de Gans.«

»Ich bin kei­ne blö­de Gans, das lass ich mir nicht ge­fal­len, am Ers­ten geh ich.«

»Mei­net­hal­ben so­fort, aber zu­erst ho­len Sie mir die Medi ... du hast mir ge­ra­de noch ge­fehlt!«

Frau Ho­frat Ve­res war ins Zim­mer ge­tre­ten.

»Géza, ich schä­me mir die Au­gen aus dem Kopf.«

»Was willst du hier? Schä­me dich zu­hau­se, dort hast du Platz ge­nug. Dei­nen Sohn, den Mord­bu­ben ver­tei­di­gen ..., ver­fluch­te Hose!« Er zog das Klei­dungs­stück, das ihm bis auf die Schu­he her­un­ter­ge­rutscht war, mit sol­chem Ruck hoch, dass der Stoff auf dem Ge­säß platz­te und ein brei­ter Riss sich dort zeig­te.

Das Haus­mäd­chen lach­te laut auf und eil­te aus dem Zim­mer. Frau Ve­res trat an den Tisch, ließ sich auf einen Stuhl nie­der, drück­te das Ta­schen­tuch an den zum Wei­nen ver­zo­ge­nen Mund, doch ihre Au­gen be­ka­men plötz­lich einen star­ren Aus­druck, sie er­hob sich und be­fühl­te ihr Kleid, von dem Was­ser her­ab­tropf­te.

»O Gott, was ist mir da pas­siert?«

»Non­sens, nichts ist dir pas­siert, Géz­as Bla­se, ich mei­ne die Gum­mibla­se, ist ge­platzt.«

»Was willst du hier? Mit dir habe ich nichts mehr zu schaf­fen, geh zu dei­nem ver­zo­ge­nen Mut­ter­söhn­chen, dem Mör­der.«

»Géza, er ist doch noch ein Kind.«

»Ein Kind, ein Kind, das Box­stö­ße aus­teilt, die ei­nem die Ein­ge­wei­de zer­schmet­tern. Ein Haft­be­fehl ...«

»Um des Him­mels Wil­len, Géza, du willst doch nicht?«

»Na­tür­lich will ich; der Laus­bub muss ins Zucht­haus.«

»Sei doch ver­nünf­tig, Géza.«

»Was mischst du dich da hin­ein? Ich habe kei­ne Ur­sa­che ver­nünf­tig zu sein. Mei­ne ei­ge­ne Frau er­greift ge­gen mich Par­tei, aber ich sage es euch, die­ser Ha­lun­ke kommt in kei­ne Schu­le des Kö­nig­reichs mehr hin­ein.«

»Du, der leib­li­che On­kel, mein Bru­der, sein Vor­mund, ach ich bin schon ganz ver­wirrt, ich mei­ne, du bist doch nicht nur sein On­kel, son­dern auch der Vor­mund, und du willst ihn un­glück­lich ma­chen, viel­leicht fürs Le­ben, was soll denn aus ihm wer­den?«

»Gut, dass du mich dar­an er­in­nerst, jetzt habe ich ihn; in eine Bes­se­rungs­an­stalt lass ich ihn ste­cken. Ver­dammt noch ein­mal, nun hab ich mich wie­der auf den nas­sen Stuhl ge­setzt. Him­mel noch ein­mal, warum wird der Stuhl nicht end­lich tro­cken ge­wischt?«

»So be­ru­hi­ge dich doch, geh hin­über ins Schlaf­zim­mer und zieh tro­ckene Wä­sche an.«

»Ja doch, ja doch.« Er trat an den Schreib­tisch, hieb mit der Faust auf die Plat­te, dass das Tin­ten­fass fast um­fiel. Frau Ho­frat Ve­res sprang hin­zu, woll­te das Ge­fäß vor dem Stür­zen be­wah­ren, stieß es je­doch in der Auf­re­gung ganz um, so­dass die Tin­te über den Tisch und da­von auf den Tep­pich tropf­te.

»In ei­nem Ir­ren­haus schein ich zu sein«, brüll­te der Pro­fes­sor, »al­les ist ge­gen mich. Hier, hier, sieh dir das an!«, und da­bei hielt er sei­ner Frau das Re­zept des Arz­tes un­ter die Nase, »hier, hier, die­ser Tram­pel von ei­nem Mäd­chen hat das Re­zept hier ge­las­sen und ist mit der An­kla­ge­schrift in die Apo­the­ke ge­lau­fen; es ist wirk­lich, um aus der Haut zu fah­ren.«

»Gnä­di­ge Frau!« Ers­zi steck­te den Kopf zur Türe her­ein und hielt in der aus­ge­streck­ten Hand den vom Pro­fes­sor be­schrie­be­nen Bo­gen. »Der Herr Pro­vi­sor2 von der En­ge­lapo­the­ke lässt sa­gen, dass das kein Re­zept ist und dass nur Blöd­sinn drauf­steht, ich soll ihn nicht zum Nar­ren hal­ten.«

Mit ei­nem Zorn­schrei war der Pro­fes­sor an der Tür und ent­riss dem Mäd­chen den Bo­gen.

»Hin­aus, hin­aus mit Ih­nen, Sie Tram­pel, hin­aus!«, schrie der Er­bos­te, dann wand­te er sich an sei­ne Schwes­ter, nahm sie am Arm und führ­te die Er­schro­cke­ne zur Türe. »Hin­aus auch mit dir, un­se­re ver­wandt­schaft­li­chen Be­zie­hun­gen sind von heu­te ab ge­löst.«

Em­pört mach­te sich Frau Ve­res frei, dreh­te sich ih­rem er­bos­ten Bru­der zu und kreisch­te:

»Scha­de, dass ich nicht bo­xen kann wie Ár­pád, sonst wür­de ich dich jetzt nie­der­schla­gen, du Ty­rann. Recht, ganz rich­tig hat der Bub ge­han­delt. Ein ar­mer Ir­rer bist du und wehe dir, wenn du et­was ge­gen Ár­pád un­ter­nimmst, ich schi­cke ihn dir auf den Hals.«

»Hin­aus, sage ich dir, oder ich ver­ges­se mich!«

Wü­tend schlug er die Türe hin­ter der Schwes­ter zu, glitt da­bei auf der nas­sen Per­ser­brücke3 aus, schlit­ter­te da­mit ei­ni­ge Me­ter durchs Zim­mer und fiel der Län­ge nach auf den Bo­den.

»Oh, oh, ich st­er­be, ich st­er­be!«

»Ers­zi« ist die Ko­se­form von Erz­se­bet (un­ga­risch für Eli­sa­beth)  <<<

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Kapitel 3

Wo­von Frau Mar­ga von Minds­zen­ty ei­gent­lich leb­te, wel­che Ge­schäf­te sie be­trieb, wuss­te nie­mand. Ei­ni­ge be­haup­te­ten, sie ver­tre­te eine große aus­län­di­sche Par­füm­fa­brik, die sich haupt­säch­lich mit dem Ver­trieb von Schön­heits­mit­teln be­fas­se, an­de­re wie­der sag­ten, die ad­li­ge Dame ar­bei­te für eine po­li­ti­sche Par­tei zur Re­stau­rie­rung des ge­we­se­nen Herr­scher­hau­ses, wäh­rend ge­heim­nis­voll Flüs­tern­de von ei­nem Spio­na­ge­bü­ro spra­chen und die ganz Su­per­klu­gen er­zähl­ten, in den Hän­den der ge­heim­nis­vol­len Dame be­fän­de sich ein Kre­dit­bü­ro.

Von den An­ge­stell­ten, de­ren Frau von Minds­zen­ty über ein Dut­zend be­schäf­tig­te, war nichts her­aus­zu­be­kom­men, selbst der Haus­be­sor­ge­rin, ei­ner der ge­wief­tes­ten Klatsch­ba­sen des sechs­ten Be­zirks, ge­lang es nicht, die Mäd­chen, Bur­schen und Män­ner, die für die ad­li­ge Dame ar­bei­te­ten, aus­zu­fra­gen.

»Was wol­len Sie?«, ge­gen­frag­te Páli, der ge­ris­se­ne Lift­boy, die neu­gie­ri­ge Por­tiers­frau. »Sie kön­nen doch nicht von mir ver­lan­gen, dass ich die Ge­heim­nis­se un­se­res Ge­schäfts aus­plau­de­re, aber wenn Sie Ihre Bril­le ein­mal rich­tig put­zen und Ihre schö­nen Blau­au­gen gut und weit auf­rei­ßen, dann wer­den Sie doch schon be­merkt ha­ben, dass vie­le Da­men, wenn sie zu uns kom­men, das Ge­sicht dicht ver­schlei­ert tra­gen, und wenn sie wie­der von uns weg­ge­hen, schön, strah­lend und, was die Haupt­sa­che ist, blut­jung sind.«

»Na und was soll das be­deu­ten, dass die Da­men zu­erst ver­schlei­ert sind und dann ohne Schlei­er weg­ge­hen? Habts Ihr viel­leicht eine Schlei­er­put­ze­rei oder Re­pa­ra­tur­an­stalt da oben?«

»Nur die Hälf­te ha­ben Sie er­ra­ten, Frau Nagy, und doch so ziem­lich al­les; nur dass nicht die Schlei­er ge­putzt und re­pa­riert wer­den.«

»Ja, was denn?« Die Au­gen der Neu­gie­ri­gen stan­den her­aus und drück­ten fast an die Bril­lenglä­ser, wäh­rend zwi­schen dem aus­ein­an­der­klaf­fen­den Lip­pen­paar eine Rei­he braun­gel­ber Zahn­stum­mel sicht­bar wur­de. »Was machts denn mit den Schlei­ern, Páli?«

»Mit den Schlei­ern gar nichts, nur mit dem was da­hin­ter steckt.«

»Hin­term Schlei­er steckt was?«

»Na­tür­lich steckt was da­hin­ter; was soll denn da­hin­ter ste­cken, wenn nicht das Ge­sicht.«

»Aaah! Ja, was mei­nen Sie denn da­mit?«

»Du lie­ber Sankt Ste­fan, G’­sicht ist doch G’­sicht, und das wird re­pa­riert.«

»Gehns doch. Sie Lü­gen­schim­mel, seit wann und warum re­pa­riert man denn ein Ge­sicht?«

»Ai je­gerl, sind Sie aber rück­stän­dig, Frau Nagy! Schauns doch ein­mal in den Spie­gel, aber Sie müs­sen den Mund so auf­rei­ßen da­bei wie jetzt, und dann wer­den Sie so­fort ent­de­cken, dass Ihr Ge­sicht re­pa­ra­tur­be­dürf­tig ist.«

»Gehns, hal­tens Ihre Groß­mut­ter zum Nar­ren, sol­che Pflanz,1 wie Sie da er­zäh­len, glaub ich nicht.«

»Wie Sie wol­len! Sie ha­ben mich so oft schon ge­fragt und jetzt, wo ich Ih­nen end­lich die Wahr­heit sag, glau­ben Sie mir nicht. Wenn Sie zum Bei­spiel bei un­se­rer Gnä­di­gen Ihr Ge­sicht re­pa­rie­ren lie­ßen, könn­ten Sie noch einen fe­schen, jun­gen Mann be­kom­men.«

»Ah, hö­rens auf! Ich hab ge­nug an mei­nem Al­ten ge­habt, der hat sich zu Tod ge­sof­fen.«

»Na frei­lich, weil Sie halt nim­mer schön ge­nug wa­ren! Wenn Sie wie­der eine schö­ne, ro­si­ge Haut hät­ten und die Trä­nen­sackerl, die Ih­nen fast bis auf die Mund­win­kel hän­gen, weg wä­ren, dann die Stockerl aus Ihrem Go­scherl her­aus­kämen und da­für neue Zäh­ne hin­ein, dann leb­te Ihr Mann noch.«

»Als­dann, eine Zahn­ärz­tin ist die Frau Baro­nin?«

»Aber wo­her denn, Frau Nagy, die Zahn­ge­schich­te macht doch der Den­tist.«

»Wer ist denn das, viel­leicht der Buch­hal­ter mit dem Franz-Jo­seph-Bart?«

»Nein doch, ein Buch­hal­ter zieht auch Wur­zeln, aber Qua­drat­wur­zeln, der hat nichts da­mit zu tun.«

»Ich seh schon. Sie wol­len mich nur fop­pen.«

»Gar nicht, ver­ste­hen Sie doch rich­tig. Wir ha­ben so eine Art Alt­wei­ber­müh­le, durch die wer­den die al­ten Wei­ber wie­der jung ge­macht.«

»So ein Schwind­ler«, brumm­te Frau Nagy, konn­te aber das Ge­spräch nicht fort­set­zen, da die Lift­klin­gel er­tön­te und Páli ei­ligst sei­nen Dienst ver­sah.

»Bit­t’ schön, Herr Fo­dor, ent­schul­di­gen schon, man ist doch auch nur ein Mensch und so viel Leu­te fra­gen, aber wie kann ich denn eine Aus­kunft ge­ben, wenn ich nichts weiß und der blö­de Kerl, der Páli, mir sol­che Dumm­hei­ten er­zählt.«

»Wo­von spre­chen Sie ei­gent­lich? Ich ver­ste­he Sie nicht.«

»Na, weil es der Páli doch ge­sagt hat. Es ist ja doch al­les Schwin­del, dass bei Ih­nen oben alte Wei­ber jung ge­macht wer­den.«

Fo­dor schmun­zel­te, un­ter­drück­te aber gleich die­se Mie­ne und sag­te ernst­haft:

»Das ist kein Schwin­del, der Páli hat schon die Wahr­heit ge­sagt.«

»Hörns auf!«

»Doch, doch. Sie dür­fen ihm glau­ben; aber nicht nur alte Frau­en, auch Män­ner wer­den bei uns wie­der neu auf­ge­frischt.«