Fräulein Bandit - Joseph Delmont - E-Book

Fräulein Bandit E-Book

Joseph Delmont

4,5

Beschreibung

Die Wiederentdeckung eines vergessenen Erfolgsromans: In "Fräulein Bandit" - seinerzeit auch ins Englische übersetzt - erzählt der österreichisch-jüdische Regisseur und Schriftsteller Joseph Delmont eine wortwitzige Krimi-Komödie aus dem Budapest der frühen 1930er Jahre, die schließlich über Paris bis nach Biarritz, San Sebastián und Madrid führt. Ilona Veres ist 22 Jahre alt und stammt aus einer ehemals wohlhabenden Beamten-Familie. Während ihre Mutter nach dem Tod des Vaters krampfhaft versucht, an dem gehobenen Lebensstil der Familie festzuhalten, strebt Ilona nach Unabhängigkeit. Anstatt wie üblich auf den passenden Heiratskandidaten zu warten, nimmt sie heimlich Flugstunden und lässt sich zur Pilotin ausbilden. Als das Geld der Familie immer knapper wird, nimmt Ilona eine mysteriöse Stelle bei der Baronin von Mindszenty an. Dabei besteht die Baronin auf absoluter Diskretion: Ilona darf mit niemanden über ihre Arbeit sprechen, keinerlei Fragen beantworten und muss alle männlichen Annäherungsversuche strikt abweisen. Dann schafft die Baronin für ihr Modehaus sogar ein eigenes Flugzeug an, mit dem Ilona über Wien, Graz, Innsbruck, München, Berlin, Basel, Bukarest und Belgrad Werbeprospekte vom Himmel abwerfen soll. Nach und nach wird Ilona zur Ermittlerin in eigener Sache und findet mit Hilfe ihres schlagfertigen Bruders Árpád - einem 17jährigen Studenten mit Vorliebe für Verkleidungsaktionen a la "Charleys Tante" - heraus, welche Rolle ihr die Baronin tatsächlich zugeteilt hat. In Zukunft werden bei krimischaetze.de regelmäßig weitere Titel erscheinen - überarbeitet, in neuer Rechtschreibung und mit erklärenden Fußnoten versehen. krimischaetze.de 1. Auflage (Vollständig, überarbeitet, kommentiert) Umfang: 389 Buchseiten bzw. 354 Normseiten Null Papier Verlag

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Fräulein Bandit

Eine Krimikomödie aus dem Budapest der 1930er-Jahre

Joseph Delmont

Fräulein Bandit

Eine Krimikomödie aus dem Budapest der 1930er-Jahre

Original: Fr. Wilh. Grunow G.m.b.H., Leipzig 1935

Überarbeitung, Umschlaggestaltung: Null Papier Verlag

1. Auflage, ISBN 978-3-95418-460-6

Umfang: 354 Normseiten bzw. 389 Buchseiten

www.krimischaetze.de

 

Über krimischaetze.de

Kriminalromane sind heutzutage erfolgreich wie nie. Krimi-Klassiker? Da denken die meisten sofort an Agatha Christie (1890-1976) oder Edgar Wallace (1875-1932). Tatsächlich gehörten die britischen Autoren zu den ersten, die in den »wilden« 1920er Jahren ins Deutsche übersetzt wurden. Krimi-Fans kennen oft auch den Schweizer Friedrich Glauser (1896-1938), den Namensgeber des Glauser-Preises – eine der wichtigsten Auszeichnungen für deutschsprachige Krimi-Autoren. Wie vielfältig die Krimi-Szene in der Weimarer Republik war, ist in der breiten Öffentlichkeit jedoch vollkommen in Vergessenheit geraten. Für krimischaetze.de haben sich Jürgen Schulze, Verleger des Null Papier-Verlages, und Sebastian Brück, Autor und Journalist, zusammengetan, um alte Krimi-Bestseller neu zu entdecken und als E-Book verfügbar zu machen – überarbeitet, in neuer Rechtschreibung und mit erklärenden Fußnoten versehen.

Das krimischaetze.de-Programm startet zunächst mit sechs Titeln – sowohl Übersetzungen aus dem Englischen (S.S. Van Dine) und Schwedischen (Julius Regis), als auch deutschsprachige Originale: In je zwei Fällen ermitteln Philo Vance, der »amerikanische Sherlock Holmes«, und Maurice Wallion, der »Detektivreporter« und »Urvater« von Stieg Larssons »Millenium«-Protagonist Mikael Blomqvist. Ebenfalls vertreten sind die vergessenen Werke zweier jüdischer Autoren: Die in Budapest, Paris und San Sebastián spielende Krimikomödie »Fräulein Bandit« des Österreichers Joseph Delmont sowie der humorvolle Kriminalroman »Das verschwundene Haus – oder: Der Maharadscha von Breckendorf« des Frankfurters Karl Ettlinger.

In Zukunft werden bei www.krimischaetze.de regelmäßig weitere Titel erscheinen.

Über den Autor

Joseph Delmonts Bücher wurden in 18 Sprachen übersetzt, er erreichte eine Gesamtauflage von mehreren Millionen. Dennoch ist sein literarisches Schaffen heute weitgehend vergessen. Seine Stellung als Filmpionier wurde in diversen Ausstellungen gewürdigt, zum Beispiel 2004 im Centrum Judaicum in Berlin (»Pioniere in Celluloid – Juden in der frühen Filmwelt«).

Delmont lebte rund zehn Jahre in den USA, bereiste im Rahmen von Dreharbeiten Spanien, England, Portugal, Frankreich, Panama und die Niederlande. Geboren wurde der Sohn einer jüdischen Familie 1873 in Loiwein, damals Österreich-Ungarn, heute Österreich. 1910, im Alter von 33 Jahren, ließ er seinen Geburtsnamen Pollak in Delmont ändern. Nachdem er in einem Wanderzirkus aufgewachsen war und als Dompteur und Tierfänger gearbeitet hatte, war Delmont zu diesem Zeitpunkt in der Stummfilmbranche bereits eine schillernde Figur. Sein Film »Der Müller und sein Kind« (1911) gilt heute als der älteste vollständig erhaltene österreichische Spielfilm. Kurz darauf siedelte Delmont nach Berlin um und hatte neben ebenfalls jüdischen Kollegen wie Paul Davidson und Ernst Lubitsch als Regisseur, Drehbuchautor, Kameramann und Schauspieler großen Anteil daran, dass die Stadt sich bis in die 1920er Jahre zu einem Zentrum der internationalen Filmindustrie entwickelte.

Doch Delmont war nicht nur Filmpionier, er schrieb auch Bücher. Zunächst nur nebenbei, bis er 1924 – im Alter von 51 Jahren – seine erfolgreiche Filmkarriere beendete und sich ausschließlich dem Schreiben widmete. Von Joseph Delmont erschienen zahlreiche Unterhaltungsromane und Erzählungen, oft mit gesellschaftssatirischen Elementen. Mehrere Bücher wurden ins Englische, Dänische, Schwedische Niederländische, Französische und Tschechische übersetzt. »Fräulein Bandit« ist einer seiner letzten Romane, er erschien 1935 – dem Jahr, in dem Joseph Delmont im Alter von 62 Jahren in Bad Pystian (heute Slowakei) verstarb. Drei Jahre später, 1938, wurden drei seiner Bücher von den Nationalsozialisten auf die »Liste des schädlichen und unerwünschten Schrifttums« gesetzt und verboten.

 

»Delmont ist der spannendste Erzähler der Jetztzeit!«, Egon Erwin Kisch, um 1930

Über dieses Buch

Die Wiederentdeckung eines vergessenen Erfolgsromans: In »Fräulein Bandit« – seinerzeit auch ins Englische übersetzt – erzählt der österreichisch-jüdische Regisseur und Schriftsteller Joseph Delmont eine wortwitzige Krimi-Komödie aus dem Budapest der frühen 1930er Jahre, die schließlich über Paris bis nach Biarritz, San Sebastián und Madrid führt.

Ilona Veres ist 22 Jahre alt und stammt aus einer ehemals wohlhabenden Beamten-Familie. Während ihre Mutter nach dem Tod des Vaters krampfhaft versucht, an dem gehobenen Lebensstil der Familie festzuhalten, strebt Ilona nach Unabhängigkeit. Anstatt wie üblich auf den passenden Heiratskandidaten zu warten, nimmt sie heimlich Flugstunden und lässt sich zur Pilotin ausbilden. Als das Geld der Familie immer knapper wird, nimmt Ilona eine mysteriöse Stelle bei der Baronin von Mindszenty an: Sie soll sich ihre dunklen Haare blond färben und als Mannequin exklusive Damenkreationen vorführen – sowohl im Salon der Baronin, als auch auf Pferderennplätzen sowie bei Regatten, Autorennen und sonstigen Sportveranstaltungen der höheren Gesellschaft. Dabei besteht die Baronin auf absoluter Diskretion: Ilona darf mit niemanden über ihre Arbeit sprechen, keinerlei Fragen beantworten und muss alle männlichen Annäherungsversuche strikt abweisen. Dann schafft die Baronin für ihr Modehaus sogar ein eigenes Flugzeug an, mit dem Ilona über Wien, Graz, Innsbruck, München, Berlin, Basel, Bukarest und Belgrad Werbeprospekte vom Himmel abwerfen soll. Nach und nach wird Ilona zur Ermittlerin in eigener Sache und findet mit Hilfe ihres schlagfertigen Bruders Árpád – einem 17jährigen Studenten mit Vorliebe für Verkleidungsaktionen a la »Charleys Tante« – heraus, welche Rolle ihr die Baronin tatsächlich zugeteilt hat.

Handelnde Personen

Ilona Veres: 22jährige Tochter einer ehemals wohlhabenden Budapester Beamten-Familie

Julia Veres, geborene von Kedvesváry: Ihre Mutter und Witwe des königlichen Hofrats Stefan Veres

Árpád Veres: Ihr 17jähriger Bruder, Student

Professor Géza von Kedvesváry: Ihr Onkel, Lehrer an Árpáds Schule

Baronin Marga von Mindszenty: Betreiberin eines Modehauses

Fodor Fekete: Prokurist und Mitarbeiter von Marga von Mindszenty

Páli Uilak: Liftboy im Haus der Baronin von Mindszenty

Peter Bárkany: Flugausbilder und Ingenieur mit Erfinderdrang

Direktor Irányi: Vorsitzender der Hunnia-Flugzeuggesellschaft

Jim Hearst: Amerikanischer Heiratsschwindler

Ingrid Engström: Schwedische Millionärin

Jenö Alpár: Ungarischer Erfolgsschriftsteller

Kapitel 1

Seit Monaten suchte Ilona Veres Arbeit. Das Drohnenleben1 einer besseren Beamtentochter sagte ihr nicht zu, und da seit dem Tod des Hofrats der Haushalt infolge der gekürzten Pension und dem Vermögensverlust durch eine verkrachte Privatbank stark eingeschränkt werden musste, wurde es in der eleganten Wohnung in Alt-Ofen2 für die junge, lebenslustige Frau oftmals recht ungemütlich.

Julia Veres, eine geborene von Kedvesváry, wollte, obwohl die Pension nur vierhundertundfünfzig Pengö3 monatlich betrug, nicht einsehen, dass man sich den Verhältnissen anzupassen habe.

»Die Witwe eines königlich ungarischen Hofrats4, der fast Minister geworden wäre, hat die Dekors zu wahren: Das bin ich meinem verstorbenen Mann schuldig. Wenn Euer Vater noch lebte und ihm das mit dem Bankier passiert wäre, hätte er trotz des Vermögensverlusts immer noch darauf geachtet, dass seine Kinder standesgemäß leben und auch so auftreten. Ein Stefan Veres hätte nie zugelassen, dass seine Tochter irgendeine untergeordnete Stellung bei wildfremden Leuten einnimmt.«

»Jede Auseinandersetzung, liebe Mama, hat immer denselben Refrain. Wenn Papa noch lebte, wäre er ganz bestimmt damit einverstanden gewesen, dass ich mir auf anständige Weise mein Brot verdiene, und auch für Árpád wäre es von Vorteil, wenn er anstatt der aussichtslosen Universitätsstudien irgendeinen praktischen Beruf ergriffe.«

Frau Hofrat Veres schüttelte den Kopf, zog die Schultern hoch, sah empört zu ihrer Tochter hinüber und schimpfte weiter: »Eine geborene Kedvesváry muss solch missratene Tochter haben. Unverständlich ist mir, wo du, die Nachkommin des berühmten Geschlechts der …«

»Weiß ich, weiß ich bereits auswendig, Mama: die Enkelin der Kedvesvárys, deren Geschlecht bis auf König Matthias5 zurückgeht, die unter Maria Theresia6 und dann unter Kossuth7 für Ungarns Freiheit gekämpft haben, deren einer sogar den Märtyrertod auf dem Galgen gestorben ist, soll lieber viermal in der Woche nur in Wasser gebrühte Krautblätter essen, dafür aber immer eine lächelnde Miene zur Schau tragen, in zehnmal gewendeten und umgekrempelten Fummeln umherlaufen und ein stolzes Gesicht den lieben Mitmenschen zeigen.«

»Ilona!«

»Liebe Mama, unsere Ansichten gehen so diametral auseinander wie die zweier politischer Parteien mit entgegengesetzten Zielen. Ich bin nun einmal nicht für eine falsche Fassade, unter der sich das heulende Elend verbirgt.«

»Wenn das dein Vater hören würde.«

»Dann würde er mir nur Recht geben.«

»Niemals gäbe er es zu, dass du in den Dienst fremder Menschen treten sollst.«

»War Papa nicht im Dienst fremder Menschen?«

»O Gott, Ilona, wie bist du doch missraten! Papa diente nicht für fremde Menschen, sondern er weihte seine Dienste der heiligen Stefanskrone, dem Staat, dem Königreich Ungarn.«

»Es ist ja zwecklos, Mama, dass wir uns noch länger zanken. Du bestehst darauf, diese teure Wohnung beizubehalten, obwohl es zweckmäßiger wäre, ein Dreizimmer-Appartement zu mieten. Ein solches Heim würde für uns vollauf genügen, dann brauchten wir auch nicht zwei Mädchen zu halten.«

»Du verlangst wohl, ich soll vielleicht noch kochen, Staub wischen?«

Blitze des Zorns schossen aus der Frau Hofrat Augen zu der Tochter hinüber.

»Nein, Mama, beruhige dich, meinetwegen können wir ja die Köchin behalten, aber es wird mir keinen Abbruch tun, wenn ich eine Stelle annehme, und dann kann ich noch immer die kleine Wohnung in Ordnung halten.«

»Und meine Freunde, die Bridgepartien, die Vorstandssitzung unseres Otto-Vereins, die soll ich vielleicht in der Küche oder in einem Zimmer abhalten, in das der Schmalzgeruch vom Kochherd dringt? Nein, meine Tochter, solange ich lebe, werde ich diese Räume beibehalten, Onkel Géza wird eben helfen müssen.«

»Das soll mich nicht hindern, mir eine passende Stellung zu suchen.«

»Welche Art Arbeit wirst du verrichten wollen?«

»Das ist es ja eben. Was habe ich gelernt? Nichts als den Zeitvertreib der Vornehmen. Ich spiele Tennis, Basketball, laufe Schlittschuh, Ski, kann rodeln und auf einem Bob als fünfte Kufe dienen; Schwimmen, Rudern, Autofahren habe ich gelernt, anstatt dass man mich in eine Handelsschule geschickt hätte.«

»Wundervoll wäre es, die Tochter von Hofrat Veres als Tippmamsell zu sehen. Vielleicht, dass irgendein armseliger Buchhalter dann um deine Hand anhält.«

»Wäre auch nicht das Schlimmste, es kommt ja leider nicht in Frage, da ich nichts gelernt habe.«

»Zu welchem Beruf hast du, die Urenkelin der Kedvesváry, dich entschlossen?«

»Brauchst nicht zu spotten, Mama; ich weiß, es ist in der Zeit allgemeiner Arbeitslosigkeit schwer etwas zu finden, schließlich bei meiner Figur, in einem großen Modesalon.«

»Vorführdame, Mannequin! Dann wirst du mich zwingen, ein Machtwort zu sprechen, ich werde es dir durch die Gerichte verbieten lassen.«

»Mama, du vergisst, dass ich volljährig bin; doch wozu streiten wir uns, mich nimmt man auch in einem Modehaus nicht auf.«

»Hallo Mama, Ilona, was für saure Gesichter sehe ich, wieder einmal der alte Streit?«

»Gerade du hast es nötig, dich lustig über uns zu machen, wo wir für dich in großer Sorge sind, Árpád.«

»Meinethalben, Mama, brauchst du dir keine Sorgen zu machen, ich bin jetzt mit dem Studium fertig.«

Die Hofrätin erbob sich entsetzt von ihrem Stuhl.

»Mach keine dummen Witze, Árpád!«, rief Ilona dem Bruder erregt zu.

»Das sind keine dummen Witze, Schwesterchen, das sind unumstößliche Tatsachen.«

»Rede, Árpád, was ist geschehen?«, fragte Frau Veres.

»Ich war gezwungen, Professor Kedvesváry niederzuschlagen.«

»Árpád! Gegen deinen Onkel hast du die Hand erhoben?«

»Mama, rege dich nicht auf, das ist zwecklos; glaubst du, dass man einen siebzehnjährigen Studenten vor der ganzen Klasse ohrfeigen darf?«

»Waaas?« Ilona sah starr auf den Bruder. »Er hat dich geschlagen?«

»Ach wo, so weit ließ ich es eben nicht kommen; bevor er zuschlagen konnte, versetzte ich ihm einen ›Solarplexus‹, der ihn bis zum Auszählen am Boden hielt, dann nahm ich meine Mütze, und hier bin ich.«

»Árpád, wie konntest du? Man vergreift sich nicht an seinem Lehrer; ich werde sofort zu Onkel Géza fahren, du musst mitkommen, ihn um Verzeihung bitten; um Gotteswillen, welch ein Unglück!«

»Lass das, Mama, ich bitte niemanden um Verzeihung, am wenigsten Onkel Géza, der mich schlechter als einen Hund behandelte. Alle Professoren sind bisher mit mir zufrieden gewesen, nur der Herr Onkel nicht. Mir fehlt jeder Sinn für Mathematik, wenn ich mir trotzdem damit alle Mühe gegeben habe, so tat ich das dir zuliebe, Mama, aber was heute geschah, schlug dem Fass den Boden aus.«

»Wie, wie konntest du dich an ihm vergreifen? O diese Schande, das überlebe ich nicht.«

»Menschen haben schon schwerere Dinge überlebt, Mama, und es tut mir ja um dich ehrlich leid, aber das Vorkommnis ist nicht mehr ungeschehen zu machen.«

»Red’ doch endlich, Árpád, wie kam es zu dem Skandal?«

»Ilona, du bist doch ein vernünftiges Mädel, glaubst du, ich ließe mich soweit hinreißen, wenn nicht genügend Grund dafür vorhanden gewesen wäre?«

»Um sich wie ein Prolet zu prügeln, dafür gibt’s vielleicht für einen Kutscher oder Chauffeur Gründe, nicht aber für den Sohn eines Hofrats.«

»Ach Mama, dieser Titel, den Papa innehatte, konnte Herrn Professor Géza von Kedvesváry nicht davon abhalten, mir Ohrfeigen anzutragen, nachdem er mich seit vielen Monaten auf das Unglaublichste gequält hatte. — Lass mich jetzt reden, Ilona, du bist ja auch in die Geschichte hineingezogen worden.«

»Ich? Wieso ich, was habe ich damit zu tun?«

»Natürlich hast du nichts damit zu tun, aber der Herr Onkel Professor entblödete sich nicht, als ich ihm eine gehörige Antwort gab, vor der versammelten Klasse zu sagen: ›Natürlich, du willst nichts lernen, genauso wie deine Schwester, die nur eine Sportlerin mit leerem Kopf ist.‹«

»Wie taktlos!«

»Das meine ich auch, und als ich ihm energisch zurief, er solle private Angelegenheiten aus dem Disput lassen, da dies für einen Hochschulprofessor eine Taktlosigkeit sondergleichen sei, da hob er die Hand … Na, ich bin kein kleiner Bub, der sich ohrfeigen lässt, da hab ich mich eben gewehrt.«

»O Gott, o Gott, welch ein Skandal: Ganz Budapest wird mit den Fingern auf uns zeigen.«

»Übertreib nicht, Mama, die Budapester haben andere Dinge zu tun, als sich um solche Lappalien zu kümmern.«

»Das sagst du, Ilona, du, und weißt doch, wie die Menschen hier sind. Ich will sofort Géza anrufen, du musst dich entschuldigen, Árpád, du musst …«

Ein scharfes Klingeln unterbrach die Hofrätin, sie eilte zum Telefonapparat, hob den Hörer ab.

»Ja, hallo, ja, ich bin selbst am Apparat, Géza; um Gotteswillen, wie konnte das geschehen? Árpád ist ganz zerknirscht, er bereut …«

»Einen Augenblick, Mama, ich habe dich nicht ermächtigt, so etwas zu sagen.«

Die Mutter hielt die Hand auf das Mikrophon.

»Bist du still, jetzt rede ich!«

»Das ist mir jetzt ganz gleichgültig, ich …« Árpád zog der Mutter Hand energisch zu sich und schrie, bevor die Mutter es hindern konnte, in das Mikrophon: »Nichts, nichts bereue ich, zerknirscht bin ich schon gar nicht!«

Ilona stürzte auf den Bruder zu und zog ihn vom Apparat weg.

»Géza«, die Hofrätin war außer sich, »Géza, ich bin in einer halben Stunde bei dir, hörst du? Hallo, hallo! O Gott, er hat angehängt. Was soll nun aus dir werden? Oh, oh, wie bin ich mit meinen Kindern gestraft. Árpád, mit aufgehobenen Händen bitte ich dich, fahre sofort zu Onkel Géza, und wenn du aufrichtig bereust, wird er dir verzeihen.«

»Mama, erstmals bereue ich nichts, auch wenn ich es täte und deinen Wunsch erfüllte, hätte das Ganze keinen Zweck, denn so wie ich Onkel Géza kenne, hat er den Fall längst zur Anzeige gebracht, und das Kollegium wird mich bestimmt relegieren8. Wozu also soll ich mich noch erniedrigen, lügen und heucheln? Nein, Mama, es tut mir nur deinethalben leid, aber hättest du meine Bitte erfüllt und mich meine Wege gehen lassen, anstatt dieses mir verhassten Studiums, dann wäre es nie so weit gekommen.«

»Genau so verrückte Einfälle wie deine Schwester hast du. Sie will eine untergeordnete Stelle einnehmen und du, der einzige Sohn des Hofrat Veres, willst Zeitungsschreiber werden.«

»Besser noch ein Reporter, als jahrelang zu warten und zu hungern, bevor eine Stelle im Staatsdienst frei ist. Dann wieder, weiß der Himmel wie lange, zu katzbuckeln, vor jedem alten Affen in Ehrfurcht krepieren, damit ja ein bisschen Protektion herausgeschunden wird.«

»Das hätte dein seliger Vater hören müssen; dreißig Jahre hat er seinem König und dann dem Reichsverweser9 gedient, ohne …«

»Vergiss die Zeit der Kommune10 nicht, Mama.«

»Pfui über dich, dass du deinem verstorbenen Vater solch schreckliche Sachen nachsagst: Papa hat …«

»Wissen wir, wissen wir … Opposition gegen Béla Kun11 gemacht und so weiter, aber die Herren haben sich trotzdem nicht getraut …«

»Keinen Ton weiter, du verunglimpfst das Andenken eines der treuesten Staatsdiener.«

»Ich denke nicht daran, Papa für irgendetwas, das in der damaligen schweren Zeit vorfiel, verantwortlich zu machen, nur das System verdamme ich, das all diesen Staatsdienern den Zwang auferlegt, jeder Regierung treu zu dienen.«

»Dummer Bub, was weißt du von diesen Dingen?«

»Schon gut, Ilonka12, obwohl ich noch ein dummer Bub bin, weiß ich so manches, was ich eigentlich nicht wissen sollte.«

»Ich geh’ zu Onkel Géza und du kommst mit, Árpád.«

»Du weißt, ich bin immer folgsam gewesen, Mama, aber die Tatsache, dass Herr Professor von Kedvesváry, obwohl er dein Bruder ist, sich taktlos benommen hat, lässt sich nicht aus der Welt schaffen.«

»Selbst will ich mich von allem überzeugen, ich glaube dir nicht.«

»Dass ich kein Lügner bin, das weißt du nur zu gut, Mama.«

»Wir werden ja sehen, was Onkel Géza sagt.«

»Es ist ja unmöglich, was du da vorhast, Mama«, fiel Ilona ein. »Dass Árpád keine Unwahrheit sagt, ist bestimmt zu glauben, und wenn sich alles wirklich so zugetragen hat, dann ist es zwecklos, dass du den Onkel aufsuchst.«

»Er ist mein Bruder, ein Kedvesváry, ein Aristokrat vom Scheitel bis zur Sohle.«

»Es gibt auch unter den Aristokraten taktlose Menschen.«

»Schweig, du Lümmel! Onkel Géza wird der Gründe genug gehabt haben, dir so gegenüber zu treten; er ist doch dein Onkel.«

»Die Taktlosigkeit beging der Herr Professor vor der versammelten Klasse.«

»Geh’ nicht, Mama, setz’ dich nicht Erniedrigungen aus«, beschwor die Tochter.

Die Hofrätin drückte ihr Taschentuch an die Augen.

»Oh, welch unglückliche Mutter bin ich, aber ich bin es müde, mich von Euch tyrannisieren zu lassen, Euer Vormund soll von jetzt ab die Erziehung in die Hand nehmen.«

»Unglücklicherweise ist niemand als dieser famose Onkel Géza unser Vormund und ihm«, Árpád trat an die Mutter heran, »ihm werde ich mich nie unterwerfen, dieser eingefleischte Schulmensch hat ja kein Herz in der Brust.«

»Wenn ich auch Árpáds Vorgehen nicht ganz zu billigen vermag, Mama, eines muss ich selbst sagen: Es war kein kluger Gedanke, Onkel Géza zu unserem Vormund zu bestellen.«

»Er ist ein Aristokrat.«

»Zum Teufel hinein, Mama, Aristokrat sein heißt noch lange nicht unfehlbar sein, und ich wiederhole es: Ein wahrer Aristokrat, ob von Geburt oder durch Herzensbildung, begeht nicht Taktlosigkeiten, noch dazu vor anderen. Das ist vielleicht in einer Familienaussprache möglich, aber auch da nicht entschuldbar.«

»Dein Vater hätte dir den Hosenboden gespannt, hörte er dich so sprechen.«

»Papa hat mich nie geschlagen und obwohl er nur ein einfacher Bürgerlicher war …«

»Dein Vater stammt aus einer uralten Familie.«

»Ja, ja, Mama, wir stammen ja alle von Adam und Eva ab.«

»Jetzt habe ich genug: Ich begebe mich nun zu Onkel Géza, denn ich muss ihn schon als Vormund Ilonkas, ihrer absurden Ideen halber, um Rat fragen.«

»Mama, ich erinnere dich daran, dass ich volljährig bin und nicht mehr der Aufsicht eines Vormunds unterstehe.«

»Du wirst dich seinem Machtwort fügen müssen.«

»Wie du willst, Mama, aber ich bitte dich, die Sache nicht auf die Spitze zu treiben.«

»Ihr werdet ja hören, in einer Stunde bin ich zurück.«

Mit diesen Worten verließ die Hofrätin das Zimmer, und draußen hörte man sie mit dem Hausmädchen schimpfen.

»Sag mal, Árpád, war es wirklich notwendig, sich an Onkel Géza zu vergreifen?«

»Ilonka, du weißt doch, dass es schon arg sein musste, bevor es soweit kam. Seit Papas Tod quält und schikaniert er mich unaufhörlich, und einmal musste es ja zur Katastrophe kommen. Geh’n wir Tennis spielen, Ilka13?«

»Nein, seit drei Monaten sind wir die Klubbeiträge schuldig, ich schäme mich schon, wenn ich am Tennisplatz vorbeikomme.«

»Schulden, Schulden, Schulden! Ach Ilka, Ilonka, Schwesterlein, wie ist doch das Leben schwer und wie leicht könnte man es haben, wenn man sich über diese grauenhaft öden Alltäglichkeiten hinwegsetzen könnte.«

»Was ist da zu tun? Wir sind arm und müssen uns in die Lage eben hineinfinden: Aber was immer auch Mama austüftelt und dagegen haben mag, ich suche mir eine Stelle, um nicht immer so elend dahinleben zu müssen.«

»Möchtest du nicht Filmstar werden?«

»Red’ keinen Unsinn, Árpád, dazu hab’ ich wirklich kein Talent.«

»Aber schön bist du und das ist doch bei diesem Geschäft das Maßgebende.«

»Du irrst, seit dem Verschwinden des stummen Films14 ist auch schauspielerische Begabung erforderlich.«

»Weißt du, Ilona, ich werde mich um eine Chauffeurstelle bemühen, dir verdanke ich es doch, dass ich fahren lernte.«

»Das würde Mama nie zugeben, und der Herr Vormund wird dich in eine Besserungsanstalt stecken.«

»Abwarten: Auf alle Fälle bin ich die scheußliche Schule los, und das ist schon viel wert.«

Árpád schritt zum Radioapparat und stellte das Mittagskonzert ein. Die schmachtende Weise einer Serenade ertönte. Der schlanke Jüngling zog eine durchbrochene, gestickte Decke vom Flügel, drapierte sie um seine Schultern und tanzte damit durch das Zimmer.

Ilona lachte bei den grotesk komischen Sprüngen des Bruders hellauf.

»Tänzer hättest du werden müssen, bei den ernstesten Darbietungen in dieser Kunst hättest du die stärksten Lacherfolge aufzuweisen.«

»Nicht die schlechteste Idee, Schwesterchen, denn Lachen ist etwas Wertvolles, und wer die Menschen in Heiterkeit zu setzen vermag, ob freiwillig oder unfreiwillig, erfüllt eine Mission. Achte jetzt auf meinen komischen Tango.«

Wie ein Storch stelzte Árpád umher, warf die Beine in die Luft, und das Mädchen lachte Tränen über die komischen Bewegungen des Bruders.

Nachher stimmte der Jüngling ein Volkslied an und forcierte die Tonart hoch hinauf.

Kapitel 2

Einen roten Gummibeutel vor den Magen gebunden, die Brauen fest zusammengezogen, saß Professor Géza von Kedvesváry vor seinem Schreibtisch und in kalligraphisch abgezirkelten Buchstaben setzte er die Anklage gegen den rebellischen Studenten Árpád Veres auf. Diesem Jungen wollte er es eintränken, dass er es gewagt hatte, seine Hand gegen ihn, den besten Pädagogen – wie der Professor sich selbst beurteilte – zu erheben: Kein Institut im ganzen Königreich Ungarn wird es wagen, den gefährlichen Burschen aufzunehmen, von sämtlichen Schulen soll er für immer ausgeschlossen bleiben.

Von Zeit zu Zeit senkte der Schulmann den Blick auf seinen stark hervortretenden Magen und Bauch, lüftete ein wenig die rote, mit heißem Wasser gefüllte Gummiwärmeflasche und besah sich den stark behaarten Leib, dabei verzog er sein Gesicht, dass man vermeinte, er müsse jeden Augenblick in Ohnmacht fallen. Stöhnend drückte er den Beutel wieder gegen den geschlagenen Magen und fuhr fort, die schriftliche Anklage an den Senat der Schule aufzusetzen. Ein Klopfen störte ihn in der Arbeit und auf sein lautes, energisches »Herein«, das in keinem Fall auf körperliche Schwäche schließen ließ, trat auf Zehenspitzen, mit ängstlichem Gesicht, die Gattin des Professors ein.

»Géza, der Herr Doktor ist da.«

»Wieso der Herr Doktor? Ich habe doch ausdrücklich gesagt, Professor Kálmán soll kommen.«

»Verzeihung, Herr Professor«, Doktor Barsody trat ein, »Professor Kálmán ist bei einer schweren Operation und könnte erst in zwei bis drei Stunden abkommen, da der Fall hier aber als sehr dringlich …«

»Sprechen Sie nicht so viel, Herr Doktor; Herr Professor Kálmán hätte ruhig jemand anderen mit der Operation betrauen können. Schon aus alter Freundschaft müsste er alle Rücksicht fallen lassen; mein Fall erfordert eine sofortige und sorgfältige Untersuchung.«

»Bitte sich mir nur anzuvertrauen, Herr Professor, sollte die Sache kompliziert sein, so wird Professor Kálmán ja meine Diagnose und Anordnungen prüfen.«

Der Arzt musste bei der Erzählung Kedvesváry ein Lächeln unterdrücken, als der Schulmann von einer großangelegten Revolution der Studenten sprach.

»Ihrer fünfzehn oder zwanzig drangen auf mich ein, aber ich schlug sie alle zu Boden, bis ein solch ungehobelter Jüngling feigerweise von hinten herumlangte und mir einen schrecklichen Hieb auf den Magen versetzte. Bewusstlosigkeit umfing mich und als ich wieder zu mir kam, war der Attentäter verschwunden. Wohlweislich hat er die Gefahr, in der er sich befand, geahnt, denn er hätte es bitter büßen müssen, wäre er zwischen meine Finger geraten. Ich vermute, der Rohling hat mir die Leber oder die Niere verletzt.«

»Darf ich bitten, dass sich der Herr Professor dort auf den Diwan legt.«

»Was willst du noch hier?«, schalt der Gatte die furchtsam um sich blickende Ehefrau an, »hier«, er riss die Wärmeflasche so hastig von seinem Leib, dass die Gummihülle einen Riss erhielt und das noch ziemlich heiße Wasser ihn überspülte.

Wie ein Besessener brüllte der Begossene.

»Oh, oh, ich bin verbrüht, telefoniere sofort um die Rettungsgesellschaft, ich sterbe, ich sterbe.«

Der zuerst erschrockene Mediziner hatte gleichfalls etwas von dem Wasser abbekommen und erkannte sofort, dass die Flüssigkeit keinen solch starken Wärmegrad mehr besaß, um Brandwunden zu verursachen.

»Beruhigen Sie sich, Herr Professor, das Wasser war ja noch sehr warm, aber es hat keine Brandblasen zur Folge.«

»Was wissen Sie, junger Mann, Ihre medizinischen Kenntnisse scheinen sehr gering zu sein.«

»Verzeihung, Herr Professor, ich bin seit vier Jahren Assistent Professor Kálmáns.«

»Na schön, dann bitte untersuchen Sie mich, aber ich möchte darum bitten, mir nicht unnützen Schmerz zuzufügen.«

Trotz sorgfältigem Abhorchen, obwohl der Patient fortgesetzt stöhnte, war es dem Arzt nicht möglich, irgendwelche innere Verletzungen festzustellen. In dem Mediziner staute sich ob der Behandlung, der er ausgesetzt war, ein Häufchen Zorn.

»Wollen Sie mir bitte sagen, wo Sie die starken Schmerzen empfinden?«

»Das müssten Sie doch schon längst konstatiert haben. Hier und hier und da auch.«

Ohne sich an sein Versprechen von vorhin zu binden, drückte Doktor Barsody plötzlich kräftig auf des Stöhnenden Magen.

»Au, au, oh! Was treiben Sie da, Herr Doktor? Sie zerdrücken mir ja die ganzen Eingeweide!«

»Keine Bange, Herr Professor, aber ich kann beim besten Willen keine innere Verletzung konstatieren.«

»Das habe ich mir ja gedacht.«

»Bitte sich zu beruhigen, Herr Professor. Ich werde ein Pulver, Tabletten und Tropfen aufschreiben. Von den Pulvern nehmen Sie eines sofort und erst morgen Vormittag, zwei Stunden vor dem Frühstück, noch eines. Die Tabletten kommen nur in Frage, falls Sie erbrechen müssen, und von den Tropfen bitte zwanzig in einen Esslöffel warmen Wassers, bevor Sie zu Bett gehen.«

»Ja, muss ich denn nicht liegen, sofort ins Bett?«

»Nein, auf keinen Fall, erst nach der Wirkung des Pulvers.«

»Gut, aber schicken Sie Professor Kálmán her, sowie er frei ist.«

»Ich werde es nicht versäumen, und bitte, Herr Professor, keine Aufregung.«

»Schon gut, schon gut.«

»Guten Tag; bitte lassen Sie sofort die Medikamente aus der Apotheke holen.«

»Franziska! Himmel, wo steckst du denn?«

»Hier bin ich doch, Géza: Was hat der Doktor gesagt?«

»Dieser Trottel versteht ja nichts von seinem Beruf. Erst verbrüht er mich wie ein Schlachtschwein, dann …«

»Aber Géza, den Gummibeutel hast du doch selbst zerrissen.«

»Wenn du doch schweigen würdest. Schicke Erszi1 sofort in die Apotheke; zum Donnerwetter, wo hat der Kretin das Rezept wieder hingelegt?«

»Hier, hier liegt …«

»Au, au, verdammt noch einmal, wer hat denn da wieder Glasscherben auf den Boden geworfen?«

»Aber Géza, du bist auf die Schnalle deiner Hosenträger getreten.«

»Au, ver…, was ist denn das wieder? Den Ellenbogenknochen hätte ich mir zerbrechen können; au, wie das schmerzt, ist denn heute alles gegen mich?«

»So zieh doch endlich die Hose hoch, dadurch bist du gestolpert und auf den Schreibtisch gefallen.«

»Willst du mich rasend machen mit deinem Geschwätz? Wo ist Erszi, sie muss rasch in die Apo…, ah, da sind Sie ja, hier, nehmen Sie das und laufen Sie rasch in die Engelapotheke. Was glotzen Sie denn da auf den Boden?«

»Die Überschwemmung, wo kommt das viele Wasser her, hat vielleicht der Herr Professor …?«

»Machen Sie, dass Sie hinauskommen. Sie blöde Gans.«

»Ich bin keine blöde Gans, das lass ich mir nicht gefallen, am Ersten geh ich.«

»Meinethalben sofort, aber zuerst holen Sie mir die Medi … du hast mir gerade noch gefehlt!«

Frau Hofrat Veres war ins Zimmer getreten.

»Géza, ich schäme mir die Augen aus dem Kopf.«

»Was willst du hier? Schäme dich zuhause, dort hast du Platz genug. Deinen Sohn, den Mordbuben verteidigen …, verfluchte Hose!« Er zog das Kleidungsstück, das ihm bis auf die Schuhe heruntergerutscht war, mit solchem Ruck hoch, dass der Stoff auf dem Gesäß platzte und ein breiter Riss sich dort zeigte.

Das Hausmädchen lachte laut auf und eilte aus dem Zimmer. Frau Veres trat an den Tisch, ließ sich auf einen Stuhl nieder, drückte das Taschentuch an den zum Weinen verzogenen Mund, doch ihre Augen bekamen plötzlich einen starren Ausdruck, sie erhob sich und befühlte ihr Kleid, von dem Wasser herabtropfte.

»O Gott, was ist mir da passiert?«

»Nonsens, nichts ist dir passiert, Gézas Blase, ich meine die Gummiblase, ist geplatzt.«

»Was willst du hier? Mit dir habe ich nichts mehr zu schaffen, geh zu deinem verzogenen Muttersöhnchen, dem Mörder.«

»Géza, er ist doch noch ein Kind.«

»Ein Kind, ein Kind, das Boxstöße austeilt, die einem die Eingeweide zerschmettern. Ein Haftbefehl …«

»Um des Himmels Willen, Géza, du willst doch nicht?«

»Natürlich will ich; der Lausbub muss ins Zuchthaus.«

»Sei doch vernünftig, Géza.«

»Was mischst du dich da hinein? Ich habe keine Ursache vernünftig zu sein. Meine eigene Frau ergreift gegen mich Partei, aber ich sage es euch, dieser Halunke kommt in keine Schule des Königreichs mehr hinein.«

»Du, der leibliche Onkel, mein Bruder, sein Vormund, ach ich bin schon ganz verwirrt, ich meine, du bist doch nicht nur sein Onkel, sondern auch der Vormund, und du willst ihn unglücklich machen, vielleicht fürs Leben, was soll denn aus ihm werden?«

»Gut, dass du mich daran erinnerst, jetzt habe ich ihn; in eine Besserungsanstalt lass ich ihn stecken. Verdammt noch einmal, nun hab ich mich wieder auf den nassen Stuhl gesetzt. Himmel noch einmal, warum wird der Stuhl nicht endlich trocken gewischt?«

»So beruhige dich doch, geh hinüber ins Schlafzimmer und zieh trockene Wäsche an.«

»Ja doch, ja doch.« Er trat an den Schreibtisch, hieb mit der Faust auf die Platte, dass das Tintenfass fast umfiel. Frau Hofrat Veres sprang hinzu, wollte das Gefäß vor dem Stürzen bewahren, stieß es jedoch in der Aufregung ganz um, sodass die Tinte über den Tisch und davon auf den Teppich tropfte.

»In einem Irrenhaus schein ich zu sein«, brüllte der Professor, »alles ist gegen mich. Hier, hier, sieh dir das an!«, und dabei hielt er seiner Frau das Rezept des Arztes unter die Nase, »hier, hier, dieser Trampel von einem Mädchen hat das Rezept hier gelassen und ist mit der Anklageschrift in die Apotheke gelaufen; es ist wirklich, um aus der Haut zu fahren.«

»Gnädige Frau!« Erszi steckte den Kopf zur Türe herein und hielt in der ausgestreckten Hand den vom Professor beschriebenen Bogen. »Der Herr Provisor2 von der Engelapotheke lässt sagen, dass das kein Rezept ist und dass nur Blödsinn draufsteht, ich soll ihn nicht zum Narren halten.«

Mit einem Zornschrei war der Professor an der Tür und entriss dem Mädchen den Bogen.

»Hinaus, hinaus mit Ihnen, Sie Trampel, hinaus!«, schrie der Erboste, dann wandte er sich an seine Schwester, nahm sie am Arm und führte die Erschrockene zur Türe. »Hinaus auch mit dir, unsere verwandtschaftlichen Beziehungen sind von heute ab gelöst.«

Empört machte sich Frau Veres frei, drehte sich ihrem erbosten Bruder zu und kreischte:

»Schade, dass ich nicht boxen kann wie Árpád, sonst würde ich dich jetzt niederschlagen, du Tyrann. Recht, ganz richtig hat der Bub gehandelt. Ein armer Irrer bist du und wehe dir, wenn du etwas gegen Árpád unternimmst, ich schicke ihn dir auf den Hals.«

»Hinaus, sage ich dir, oder ich vergesse mich!«

Wütend schlug er die Türe hinter der Schwester zu, glitt dabei auf der nassen Perserbrücke3 aus, schlitterte damit einige Meter durchs Zimmer und fiel der Länge nach auf den Boden.

»Oh, oh, ich sterbe, ich sterbe!«

Kapitel 3

Wovon Frau Marga von Mindszenty eigentlich lebte, welche Geschäfte sie betrieb, wusste niemand. Einige behaupteten, sie vertrete eine große ausländische Parfümfabrik, die sich hauptsächlich mit dem Vertrieb von Schönheitsmitteln befasse, andere wieder sagten, die adlige Dame arbeite für eine politische Partei zur Restaurierung des gewesenen Herrscherhauses, während geheimnisvoll Flüsternde von einem Spionagebüro sprachen und die ganz Superklugen erzählten, in den Händen der geheimnisvollen Dame befände sich ein Kreditbüro.

Von den Angestellten, deren Frau von Mindszenty über ein Dutzend beschäftigte, war nichts herauszubekommen, selbst der Hausbesorgerin, einer der gewieftesten Klatschbasen des sechsten Bezirks, gelang es nicht, die Mädchen, Burschen und Männer, die für die adlige Dame arbeiteten, auszufragen.

»Was wollen Sie?«, gegenfragte Páli, der gerissene Liftboy, die neugierige Portiersfrau. »Sie können doch nicht von mir verlangen, dass ich die Geheimnisse unseres Geschäfts ausplaudere, aber wenn Sie Ihre Brille einmal richtig putzen und Ihre schönen Blauaugen gut und weit aufreißen, dann werden Sie doch schon bemerkt haben, dass viele Damen, wenn sie zu uns kommen, das Gesicht dicht verschleiert tragen, und wenn sie wieder von uns weggehen, schön, strahlend und, was die Hauptsache ist, blutjung sind.«

»Na und was soll das bedeuten, dass die Damen zuerst verschleiert sind und dann ohne Schleier weggehen? Habts Ihr vielleicht eine Schleierputzerei oder Reparaturanstalt da oben?«

»Nur die Hälfte haben Sie erraten, Frau Nagy, und doch so ziemlich alles; nur dass nicht die Schleier geputzt und repariert werden.«

»Ja, was denn?« Die Augen der Neugierigen standen heraus und drückten fast an die Brillengläser, während zwischen dem auseinanderklaffenden Lippenpaar eine Reihe braungelber Zahnstummel sichtbar wurde. »Was machts denn mit den Schleiern, Páli?«

»Mit den Schleiern gar nichts, nur mit dem was dahinter steckt.«

»Hinterm Schleier steckt was?«

»Natürlich steckt was dahinter; was soll denn dahinter stecken, wenn nicht das Gesicht.«

»Aaah! Ja, was meinen Sie denn damit?«

»Du lieber Sankt Stefan, G’sicht ist doch G’sicht, und das wird repariert.«

»Gehns doch. Sie Lügenschimmel, seit wann und warum repariert man denn ein Gesicht?«

»Ai jegerl, sind Sie aber rückständig, Frau Nagy! Schauns doch einmal in den Spiegel, aber Sie müssen den Mund so aufreißen dabei wie jetzt, und dann werden Sie sofort entdecken, dass Ihr Gesicht reparaturbedürftig ist.«

»Gehns, haltens Ihre Großmutter zum Narren, solche Pflanz1, wie Sie da erzählen, glaub ich nicht.«

»Wie Sie wollen! Sie haben mich so oft schon gefragt und jetzt, wo ich Ihnen endlich die Wahrheit sag, glauben Sie mir nicht. Wenn Sie zum Beispiel bei unserer Gnädigen Ihr Gesicht reparieren ließen, könnten Sie noch einen feschen, jungen Mann bekommen.«

»Ah, hörens auf! Ich hab genug an meinem Alten gehabt, der hat sich zu Tod gesoffen.«

»Na freilich, weil Sie halt nimmer schön genug waren! Wenn Sie wieder eine schöne, rosige Haut hätten und die Tränensackerl, die Ihnen fast bis auf die Mundwinkel hängen, weg wären, dann die Stockerl aus Ihrem Goscherl herauskämen und dafür neue Zähne hinein, dann lebte Ihr Mann noch.«

»Alsdann, eine Zahnärztin ist die Frau Baronin?«

»Aber woher denn, Frau Nagy, die Zahngeschichte macht doch der Dentist.«

»Wer ist denn das, vielleicht der Buchhalter mit dem Franz-Joseph-Bart?«

»Nein doch, ein Buchhalter zieht auch Wurzeln, aber Quadratwurzeln, der hat nichts damit zu tun.«

»Ich seh schon. Sie wollen mich nur foppen.«

»Gar nicht, verstehen Sie doch richtig. Wir haben so eine Art Altweibermühle, durch die werden die alten Weiber wieder jung gemacht.«

»So ein Schwindler«, brummte Frau Nagy, konnte aber das Gespräch nicht fortsetzen, da die Liftklingel ertönte und Páli eiligst seinen Dienst versah.

»Bitt’ schön, Herr Fodor, entschuldigen schon, man ist doch auch nur ein Mensch und so viel Leute fragen, aber wie kann ich denn eine Auskunft geben, wenn ich nichts weiß und der blöde Kerl, der Páli, mir solche Dummheiten erzählt.«

»Wovon sprechen Sie eigentlich? Ich verstehe Sie nicht.«

»Na, weil es der Páli doch gesagt hat. Es ist ja doch alles Schwindel, dass bei Ihnen oben alte Weiber jung gemacht werden.«

Fodor schmunzelte, unterdrückte aber gleich diese Miene und sagte ernsthaft:

»Das ist kein Schwindel, der Páli hat schon die Wahrheit gesagt.«

»Hörns auf!«

»Doch, doch. Sie dürfen ihm glauben; aber nicht nur alte Frauen, auch Männer werden bei uns wieder neu aufgefrischt.«

»Jetzt machen Sie sich über mich lustig, Herr Fodor.«

»Wie kam ich dazu«, er beugte sich zu der Neugierigen herab und flüsterte: »Sie dürfen es aber niemand verraten; schauen Sie mich an, für wie alt halten Sie mich?«

Frau Nagy schob ihre Brille zurecht, äugte den Buchhalter ab.

»Na, Sie sind doch noch in den schönsten Jahren, vielleicht so fünfundvierzig.«

»Psst, kein Mensch darf es wissen, Frau Nagy, versprechen Sie mir, dass Sie zu niemanden ein Wort sagen«, Fodor sah sich vorsichtig um, »nächste Woche feiere ich meinen siebenundachtzigsten Geburtstag.«

»So eine Lüge!«

»Wollen Sie meinen Pass sehen, der ist noch von Lajos Kossuth aus dem achtundvierziger Jahr ausgestellt.«

»Also hat der Páli doch die Wahrheit gesagt? Na, ich kanns noch immer nicht glauben.«

»Wie Sie wollen, aber wenn Sie ein Wort darüber reden und die Frau Baronin hörts, dann sind Sie die längste Zeit hier Hausmeisterin gewesen.«

Nach diesen Worten schritt der Buchhalter zur Treppe.

Trotz der ernsten Ermahnung kannten in der nächsten halben Stunde die Geschäftsleute und Portiersfrauen der Nachbarhäuser die Geschichte von der Altweibermühle. Einige lachten die Klatschbase aus, andere verlachten ihre Erzählungen, während die Witzbolde Frau Nagy versicherten, dass es wirklich Tatsache war, was man ihr erzählte.

Istvan Fekete, der unweit von dem Haus am Stadtwäldchen, in dem Frau Nagy Hausmeisterdienste verrichtete, einen kleinen Delikatessenladen betrieb, berichtete und beschwor einen Fall, der sich bei der Baronin von Mindszenty abgespielt haben soll.

»Da ist im vorigen Herbst so ein ganz tatteriger, alter Trottel zu der Baronin gekommen, legt ein Pakerl Tausender auf den Tisch und schreit: ›Jung will ich werden, kost’s was kost‹«, erzählte Fekete, »alsdann, was soll ich Ihnen sagen, die Mindszenty sieht das viele Geld, es soll eine halbe Millionen Pengö gewesen sein, und vor lauter Freude über die große Summe, lässt sie den alten Herrn eine Stunde zu lang drinnen in der Mühl, und wie sie sich erinnert und ihn herauslassen will, hat sich das kleine Wickelkind, was aus dem alten Trottel geworden ist, ganz vollgemacht, und da hat meine Frau schnell ein paar Windeln hinüberbringen müssen.«

»Hm, hm, was Sie nicht alles erzählen.«

»Wenn Sie mir nicht glauben, dann kann ich Ihnen nicht helfen, aber fragen Sie doch meine Alte, die hat das Kinderl, die weißen Haar von seinem früheren Vollbart sind noch dort gelegen, nachher ins Waisenhaus bringen müssen, weil niemand gewusst hat, wer der alte Herr gewesen ist.«

»Wenn ich Ihnen alles glaub, das glaub ich Ihnen nicht, Herr Fekete.«

»Wie Sie wollen; wenn Sie aber am Sonntag einmal hinübergehen möchten, im Allatkert, Sie wissen ja, drüben im Zoologischen Garten, und den slowakischen Wärter vom Affenhaus nach dem Abgeordneten Báláton fragen, dann wird er Ihnen ein Wunder zeigen. Es hat ja sowieso im Az Est und im Pester Lloyd gestanden.«

»Was denn, was denn?«

»Das wissen Sie nicht, ja lesen Sie denn keine Zeitungen? Gehen Sie nie hinüber in den Allatkert?«

»Dazu hab ich zu wenig Zeit.«

»Na, dann gehen Sie nächsten Sonntag einmal hinüber und fragen Sie den Biberatsch.«

»Wer ist denn das wieder?«

»Der Affenwärter, der zeigt Ihnen dann den Pavian Nuckerl.«

»Den kenn ich ja nicht, wer soll denn das sein?«

»Jetzt ist er ein Aff, und bevor er zu der Baronin Mindszenty gegangen ist, war er der Abgeordnete Fülöp Báláton von Bekescsaba.«

»Hörns auf; ein Aff war Abgeordneter?«

»Nein doch, bevor er ein Aff war, war er Abgeordneter.«

»Das ist doch ein Schwindel.«

»Ich schwör Ihnen beim heiligen Neusiedler-See, dass es wahr ist, und der Biberatsch wird Ihnen das bestätigen.«

»Ja, wie ist denn so etwas möglich, wenns nicht eine Lüge ist?«

»Ich sag Ihnen, dass es der Biberatsch beeiden kann. Da ist nämlich der alte Báláton, weil er Angst gehabt hat, wegen seines Alters nicht mehr gewählt zu werden, zu der Mindszenty gegangen. Er hat sich auf seine Verdienste um das Vaterland berufen, er war nämlich schon Abgeordneter unter dem alten Kaiser Franz-Joseph, wie der noch ein Bub war, und während der ganzen Zeit hat er nie ein Wort geredet, der Báláton nämlich; der hat die Mindszenty gebeten, sie soll ihn wieder jung machen, denn er möcht weiter fürs Vaterland nix reden, na, und da hat ihn die Baronin in den Ofen gesteckt.«

»Was, ein Ofen ist das?«

»So was ähnliches, und die Frau Baronin hat grad eine Bridgepartie gehabt, die hat bis vier Uhr in der Früh gedauert, und dabei vergisst sie den armen Abgeordneten Báláton. Und dann, als sie nach der Bridgepartie ins Zimmer kommt, wo der Ofen steht, sieht sie die Unterhosen und erinnert sich an den Mann aus Bekesgyula.«

»Czába.«

»Richtig, aber das gehört ja zusammen; alsdann, nur drei Stunden hätte der Alte im Ofen sein dürfen, damit er auf fünfundzwanzig Jahr zurückgeschraubt wird, jetzt hat er aber elf Stunden darin zugebracht, ist um ein paar hunderttausend Jahr jünger worden und wieder ein Aff geworden, denn damals hats noch keine Abgeordneten, ich will sagen Menschen gegeben.«

»Maria und Josef, so ein Lügenbeutel was Sie sind. Jetzt muss ich aber gehen.«

»Fragen Sie doch den Biberatsch.«

Obwohl die Hausmeisterin überzeugt schien, dass man sie belogen habe, ließen ihr die Erzählungen keine Ruhe, fast schlaflos verbrachte sie die Nacht. Vielleicht ist doch etwas dran an der Geschichte, dachte sie. Ja, wenn es wahr ist, ja, dann würde sie zur städtischen Sparkasse gehen und von ihrem Ersparten fünfhundert Pengö abheben. Vielleicht macht es die Baronin für sie billiger. Eine freundliche Dame ist sie ja, und wenn man sie bittet … Fünfhundert Pengö sind eine ganz ansehnliche Summe, und wenn sie wirklich jung werden kann? Na, so ganz jung, wie diese Flitscherln mit dem ziegelrot geschminkten Mund und den abrasierten Augenbrauen möchte sie nicht werden. Ob da der übermäßig dicke Leib auch weggeht?, fragte sich Frau Nagy. Sonst hätte ja die ganze Jungwerderei keinen Zweck, dann möchte sie auch dem Briefträger Kis nicht gefallen, und das wollte sie ja. Der Postbote ist ein kinderloser Witwer und braucht eine Frau; Pension bekommt er auch, und wenn er stirbt, dann erhält sie die Pension. Kinder wollte sie aber keine. Sie nahm sich vor, die Baronin zu bitten, sie zu verjüngen. Luftschlösser baute die Hausmeisterin, träumte von der Hochzeit mit offenen Augen, bis der Schlaf kam und wirkliche Träume sie umfingen. Sie sah sich splitternackt in einer stockdunklen Ofenröhre, auf einer Riesenbratpfanne liegen, und der Schweiß troff von ihrer Haut. Plötzlich wurde es hell um sie, und neben ihr lag der dicke Leib. Sie befühlte sich und war erstaunt, wie schlank und rank sie geworden war. Das Gesicht befühlte sie, die Tränensäcke waren verschwunden, ebenso die dicke Nase. Wenn ich bloß einen Spiegel hätte, seufzte sie, dann überkam sie großer Schreck, denn der Baronin Vergesslichkeit kam ihr in den Sinn. Um des Himmelswillen, wenn Frau von Mindszenty sie zu lange in der Bratröhre ließ, wenn sie ein Wickelkind oder gar ein Affe würde; wer wird dann das Stiegenhaus kehren, wer die Türklinken und all das andere Messing im Treppenhaus putzen? Wie werden die Parteien im Haus erschrecken, wenn dort ein Abgeordneter, ach was für Unsinn ist das, wenn ein Affe aus der Portierloge seinen Kopf stecken wird; nein, nein, das darf auf keinen Fall sein. Heraus wollte sie aus dem Ofen, so schnell wie möglich; mit Händen und Füßen begann sie um sich zu schlagen, schrie fürchterlich laut auf und erwachte.

»Oh, au, oh«, stöhnte Frau Nagy und rieb sich die Hand, mit der sie in des Traumes Toben an die harte Bettkante gestoßen war.

Frau von Mindszenty war sehr erstaunt, als die Hausmeisterin am folgenden Morgen darauf bestand, die Baronin sprechen zu dürfen.

»Ich hab keine Zeit für die Frau, sagen Sie ihr das, Sandor.«

»Sie will sich aber nicht abweisen lassen, Frau Baronin, sie sagt, die Sache ist äußerst wichtig.«

»Führen Sie die Frau in das kleine Zimmer neben der Diele, ich komme gleich.«

Neugierig sah sich die Hausbesorgerin in dem Vorraum um. Eine Menge Türen gab es da. Welche führt wohl in das Zimmer mit dem Wunderofen? Vielleicht die dort am Ende des langen Korridors? Fest presste sie die Hand mit dem Sparkassenbuch an den hervorspringenden Bauch.

»Wollen Sie bitte hier warten, Frau Nagy, die Frau Baronin kommt gleich.«

Etwas furchtsam sah sich die Hausmeisterin in dem kleinen Hofzimmer um. Sie wunderte sich über die Schmucklosigkeit und Nüchternheit des Raumes.

»Guten Tag! Frau Nagy, was führt sie zu mir?«

»Küss die Hand! Frau Baronin, sind Sie nicht bös, wenn ich nur fünfhundert Pengö dafür zahlen kann, aber bittschön, schauen Sie nur in das Sparkassenbüchel hinein, zweitausendeinhundertsechsundzwanzig Pengö und vierunddreißig Heller hab ich dort, sehns, das ist alles auf meinen Namen, gehört mir ganz allein, und dann, wenn alles gelungen ist, möcht ich gleich die fünfhundert von der Sparkasse holen und der Frau Baronin geben.«

»Ich verstehe Sie nicht, was soll ich mit dem Geld?«

»Na ja, ich werd ja niemanden etwas sagen und weniger als fünfunddreißig möcht ich nicht werden; da möcht ich halt bitten, die Frau Baronin möcht mich nicht zu lang drinnen lassen.«

»Wovon sprechen Sie? Ich weiß wirklich nicht, was Sie wollen.«

»Na ja, Sie wissen ja wegen dem Wickelkind und dann von dem Affen, obwohl ich das nicht glauben kann.«

Geraume Weile dauerte es, bis Frau von Mindszenty die Hausmeisterin los wurde, dann schalt sie Páli gehörig aus, auch Fodor bekam sein Teil, dass er der Hausmeisterin solch einen Bären aufgebunden hatte.

»Solche Dummheiten, lieber Fodor, können uns sehr schaden, wir müssen äußerst vorsichtig sein; solch eine Gans kann uns in die größten Ungelegenheiten bringen.«

»Es war doch ein harmloser Scherz, und die Frau ist so dumm.«

»Ich habe allen Angestellten zur Pflicht gemacht, über die Geschäfte und Vorgänge strengstes Stillschweigen zu bewahren, und wer sich dem nicht fügt, für den ist hier kein Platz. Aber genug von der Geschichte, reden wir jetzt von der neuen Kraft. Haben Sie das Inserat aufgegeben?«

»Ja, schon gestern; in sechs Budapester und vier Wiener Zeitungen.«

»Bin ja begierig, ob wir das Universalgenie finden werden.«

»Schwer ist das allerdings, ich glaube, Frau Baronin verlangen zu viel von einer Person.«

»Der Zufall kommt uns vielleicht zu Hilfe. Wann erscheint die Anzeige?«

»Sie ist schon in den Morgenausgaben.«

»Nun, wir werden ja sehen.«

Bitterböse war die Hausmeisterin auf den Liftjungen, und sie nahm sich vor, Herrn Fodors Gruß nicht mehr zu erwidern.

»Sie Rohbub, Sie elendiger«, apostrophierte sie Páli, »wie können Sie sich unterstehen, mich so anzuschwindeln?«

»Ach Sie sind eine alte Tratschen, weshalb haben Sie mich denn bei der Frau Baronin verklatscht?«

»Schämen sollen Sie sich, so jung noch und schon so schlecht.«

»Bei Ihnen kann man sagen: So alt schon und noch so blöd.«

Kapitel 4

Ja, seid ihr denn von Gott verlassen?«, rief die Hofrätin empört, als sie den Salon betrat und Árpád in einem Kleid seiner Schwester, seidenen Strümpfen und hohen Stöckelschuhen umhertanzen sah, während Ilona auf dem Flügel einen Schlager spielte.

Árpád versuchte auf den Zehenspitzen zu tanzen, stolperte nach vorne über und sang mit hoher Fistelstimme:

»Ach, ich bin eine reiche Braut,Zum ersten Male heut getraut,Gestern schworen wir insgesamtUns Treue vor dem Standesamt.

Schlug früher die Trommel im WirbelIn der Damenkapelle laut,Mit Schlegel vom Holz der Zirbel,So stark, so hell, ach so traut.Trom, to to, rom, tom tom,O Liebster komm, o komm,

Trom, to to, komm doch schnell.Trom, trom, trom auf das FellHau ich auf die Trommel ein,Trom, trom, komm zum Stelldichein.Trommle ein Liebessignal,Denn du bist mein All.Trotrotoromtomtom,Bubi, Bubi komm.«

Mit den Fingern schlug sich der Junge auf den Leib, tat so, als ob er die kleine Trommel bearbeitete und fiel dann erschöpft auf Ilonas Schoß.

»Bist du irrsinnig geworden?«, rief die Mutter, »schämst du dich nicht, Ilona, dass du ihn so herausstaffierst?«

»Lass ihn doch, Mama, er ist ja so urkomisch.«

»Urkomisch und aus der Schule hinausgeworfen. Du wirst es nicht so komisch finden, wenn du erfährst, dass Onkel Géza ihn einsperren will.«

»Aber Mama, übertreib nicht. Was kann er mir schon anhaben? Er soll froh sein, wenn die Geschichte nicht an die Öffentlichkeit kommt. Er macht sich ja nur noch mehr lächerlich.«

»Deine dreisten Redensarten werden dir schon vergehen, wenn die Polizei kommt und dich ins Gefängnis führt.«

»Schlimmer kann es dort auch nicht sein als in der Schule. Im Übrigen habe ich gar keine Bange.«

»Mach, dass du dich sofort umkleidest, ich will dich in dieser schamlosen Maskerade nicht mehr sehen. Ein solch großer Lümmel und hopst hier halbnackt in Mädchenkleidern herum.«

»Erstmals bin ich nicht halbnackt, denn unter dem Kleid habe ich noch meine Unterhosen an, und schamlos ist das schon gar nicht. Adieu, strenge Mama, ich bin gleich wieder zurück.«

Mit trippelnden Schritten, das Kleid neckisch mit einer Hand hochziehend, tänzelte Árpád hinaus und sang dabei das Trommellied.

Mit einem Seufzer sank die Hofrätin in einen Klubsessel, fuhr aber gleich wieder mit einem Schrei hoch.

»Ach Gott, ich bin ja noch ganz nass.«

»Mama, was ist dir zugestoßen?«

»Nichts, bei Onkel Géza habe ich mich in den blödsinnigen Schreibtischsessel mit dem tief ausgehöhlten Sitz gesetzt und nicht gesehen, dass dort alles voll Wasser ist.«

»Wie kommt dorthin Wasser?«

»Was weiß ich, nass bis auf die Haut bin ich, ich werde mir noch eine Lungenentzündung zuziehen.«

»Nicht, wenn du nur dort unten nass bist, Mama«, sagte die Tochter und konnte ein Lächeln nicht unterdrücken.

»Du machst dich wohl lustig über mich, na ja, bist so mitleidlos wie die Veres’, die haben ja alle kein Herz in der Brust.«

»Sei nicht ungerecht, Mama, Papa war einer der feinfühligsten Menschen, die es gibt.«

»Ein Aktenmensch war er, eine Beamtenseele, einer, der sich unterdrücken ließ; wäre er das nicht gewesen, hätte er es bis zum Minister gebracht, und ich wäre eine Exzellenz geworden.«

»Sei froh, dass Papa so war, wie er sein sollte. Hier, Mama, zieh diesen Kimono an und streif endlich das nasse Zeug ab.«

»Lass das, ich geh auf mein Zimmer, aber das sage ich dir, zu Onkel Géza tue ich keinen Schritt mehr.«

»Was du nicht sagst, Mama.« Árpád war wieder ins Zimmer getreten, »war er so wenig liebenswürdig zu dir?«

»Wie siehst du bloß aus? Pfui, wasch dir die rote Schminke sofort vom Gesicht … und dass du es weißt, in den nächsten Tagen fährst du zu Tante Susi nach Wien; ich will nicht den Skandal erleben, dass man dich einsperrt.«

Mit diesen Worten schritt die Hofrätin zur Türe.

»O Mama«, schrie Árpád, »du hast dich ja nass gemacht.«

Krachend schlug die Türe hinter der alten Dame zu.