Fräulein Julie - August Strindberg - E-Book

Fräulein Julie E-Book

August Strindberg

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Beschreibung

Das Kammerspiel "Fräulein Julie", das 1888 entstand, handelt vom Verhältnis der jungen hochadeligen Julie und ihrem Diener Jean während einer Mittsommernacht und am darauffolgenden Morgen. Es spielt in der Küche des Herrensitzes von Julies Vater in einer kleinen Stadt in Schweden und behandelt Klassenunterschiede, den Geschlechterkampf sowie Liebe und Lust.

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Seitenzahl: 89

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August Strindberg

Fräulein Julie

Impressum

Cover: "Portrait of a Young Lady" von Eugen von Blass

Covergestaltung: nexx verlag gmbh, 2016

ISBN/EAN: 9783958705081

Rechtschreibung und Schreibweise des Originaltextes wurden behutsam angepasst.

www.nexx-verlag.de

Vorwort

Das Theater ist mir schon lange, gleichwie die Kunst überhaupt, wie eine »Biblia pauperum« erschienen, eine Bibel in Bildern für diejenigen, welche nicht Gedrucktes oder Geschriebenes lesen können, und der Theaterschriftsteller wie ein Laienpriester, welcher die Gedanken der Zeit in populärer Form kolportiert, so populär, dass die Mittelklasse, welche hauptsächlich das Theater füllt, ohne viel Kopfzerbrechen fassen kann, worum es sich handelt. Das Theater ist daher immer eine Volksschule für die Jugend, die Halbgebildeten und die Frauen gewesen, welche noch das Vermögen zurückbehalten haben, sich selbst zu täuschen und sich täuschen lassen, das heißt die Illusion zu bekommen, vom Verfasser die Suggestion zu empfangen. Es ist mir daher in unserer Zeit, da das rudimentäre, unvollständige Denken, welches sich durch die Phantasie vollzieht, sich zur Reflexion, zur Untersuchung und Prüfung zu entwickeln scheint, so vorgekommen, als wenn das Theater, gleichwie die Religion, auf dem Weg wäre, sich gleich einer aussterbenden Form hinzubetten, zu deren Genuss uns die erforderlichen Voraussetzungen fehlen. Für diese Annahme spricht die durchgehende Theaterkrise, welche jetzt in ganz Europa herrscht, und nicht zum wenigsten der Umstand, dass in den Kulturländern, welche die größten Denker der Gegenwart hervorbringen, nämlich England und Deutschland, die Dramatik tot ist, gleichwie größtenteils die andern schönen Künste.

In andern Ländern wieder hat man geglaubt sich ein neues Drama schaffen zu können, indem man die alten Formen mit dem Gehalt der neueren Zeit erfüllte; aber teils haben die neuen Gedanken noch nicht Zeit gehabt, populär zu werden, sodass das Publikum den Verstand besäße zu erfassen, worum es sich handelt, teils haben Parteistreitigkeiten die Gemüter erregt, sodass ein rein objektiver Genuss nicht hat eintreten können, da man sich hier in seinem Innersten widersprochen sah und dort eine applaudierende oder zischende Majorität ihren Druck so öffentlich ausübte, als es in einem Theatersaal möglich ist, teils hat man nicht die neue Form für den neuen Gehalt gefunden, sodass der neue Wein die alten Flaschen gesprengt hat.

In dem vorliegenden Drama habe ich nicht versucht etwas Neues zu bringen – denn das kann man nicht – sondern nur die Form gemäß den Forderungen zu modernisieren, welche, nach meiner Meinung, die neuen Menschen unserer Zeit an diese Kunst stellen sollten. Und zu diesem Zwecke habe ich gewählt oder mich ergreifen lassen von einem Motiv, von welchem man sagen kann, es liegt außerhalb der Parteikämpfe des Tages, da ja das Problem vom sozialen Steigen oder Fallen, von Höherem und Niedrigerem, Besserem oder Schlechterem, Mann oder Weib, von bleibendem Interesse ist, gewesen ist und sein wird. Als ich dieses Motiv aus dem Leben nahm, so, wie ich es vor einer Reihe von Jahren erzählen hörte, als das Ereignis einen starken Eindruck auf mich machte, fand ich, dass es sich für ein Trauerspiel eigne, denn noch macht es einen traurigen Eindruck: ein unter glücklichen Verhältnissen lebendes Individuum untergehen zu sehen, um wieviel mehr also ein Geschlecht aussterben zu sehen. Aber es wird vielleicht eine Zeit kommen, da wir uns so entwickeln, so aufgeklärt werden, dass wir gleichgültig diesem jetzt rohen, zynischen und herzlosen Schauspiel, welches das Leben darbietet, zusehen werden, da wir diese niedrigeren und unzuverlässigen Gedankenmaschinen, welche Gefühle genannt werden, abgelegt haben, weil sie überflüssig und schädlich werden, sobald unsere Urteilskraft ausgewachsen ist. Dieses, dass die Heldin Mitleid erweckt, beruht nur auf unserer Schwäche, da wir dem Gefühle der Furcht nicht widerstehen können, dasselbe Schicksal könnte auch uns treffen. Ein sehr gefühlvoller Zuschauer wird vielleicht jedoch nicht durch dieses Mitleid befriedigt sein, und der Zukunftsmensch wird vielleicht einige positive Vorschläge, dem Übel abzuhelfen, eine Art Programm mit andern Worten, fordern. Aber erstens gibt es kein absolutes Übel, denn dass ein Geschlecht untergeht, ist ja etwas Gutes für ein anderes Geschlecht, welches dadurch emporkommen kann, und der Wechsel von Steigen und Fallen bildet gerade eine der größten Annehmlichkeiten des Lebens, da das Glück nur in dem Vergleich liegt. Und den Programmenschen, welcher dem peinlichen Umstande, dass der Raubvogel die Taube frisst und die Laus wieder den Raubvogel, will ich fragen: warum soll dem abgeholfen werden? Das Leben ist nicht so mathematisch-idiotisch, dass nur die Großen die Kleinen auffressen, sondern es kommt oft vor, dass die Biene den Löwen tötet oder ihn zum wenigsten toll macht.

Dass mein Trauerspiel einen traurigen Eindruck auf viele macht, ist also der Fehler dieser. Wenn wir stark werden, wie die ersten französischen Revolutionsmänner, wird es unbedingt einen guten und frohen Eindruck machen, der Ausrottung eines Parks von morschen, überjährigen Bäumen zuzusehen, welche anderen zu lange im Wege standen, die ebenfalls das gleiche Recht hatten, ihre Zeit zu vegetieren – einen guten Eindruck, gleich wie wenn man einen unheilbar Kranken sieht, der endlich sterben kann.

Man warf kürzlich meinem Trauerspiel »Der Vater« vor, es wäre so traurig, gleich als wenn man ein lustiges Trauerspiel forderte. Man ruft anspruchsvoll nach der Lebensfreude, und die Theaterdirektoren fordern Farcen, gleich als wenn die Lebensfreude darin läge, albern zu sein und Menschen zu zeichnen, welche allesamt am Veitstanz oder Idiotismus litten. Ich finde die Lebensfreude in den starken, grausigen Kämpfen des Lebens, und es bereitet mir Genuss, etwas erfahren, etwas lernen zu können. Und darum habe ich einen ungewöhnlichen, aber lehrreichen Fall gewählt, mit einem Wort eine Ausnahme, aber eine große Ausnahme, welche die Regel bekräftigt, was sicherlich diejenigen, die das Alltägliche lieben, verletzen wird. Was ferner bei Einzelnen Anstoß erregen wird, ist, dass meine Motivierung der Handlung nicht einfach ist, und es nicht nur einen Gesichtspunkt dafür gibt. Ein Ereignis im Leben – und das ist eine ziemlich neue Entdeckung – wird gewöhnlich von einer ganzen Reihe mehr oder minder tiefliegender Motive hervorgerufen, aber der Zuschauer wählt meistens dasjenige, welches seiner Urteilskraft das am leichtesten fassliche oder für seine Urteilsgabe das ehrenvollste ist. Es ist z.B. ein Selbstmord begangen worden. »Schlechte Geschäfte!« sagt der Bürger. – »Unglückliche Liebe!« sagen die Frauenzimmer. – »Krankheit!« der Kranke. – »Getäuschte Hoffnungen!« der Schiffbrüchige. Aber nun kann es vorkommen, dass das Motiv hier überall oder nirgend zu suchen war, und dass der Verstorbene das Grundmotiv dadurch verbarg, dass er ein ganz anderes vorschob, welches das vorteilhafteste Licht über sein Gedächtnis werfen könnte!

Fräulein Julies trauriges Schicksal habe ich durch eine ganze Menge von Umständen motiviert: die Grundinstinkte der Mutter; die falsche Erziehung des Mädchens durch den Vater; das eigene Naturell und die Suggestionen des Bräutigams auf das schwache degenerierte Hirn; sodann auch momentane: die Feststimmung der Johannisnacht; die Abwesenheit des Vaters; die Beschäftigung mit dem Tiere; der aufregende Einfluss des Tanzes; die Dämmerung der Nacht; die starke, berauschende Wirkung der Blumen; und schließlich der Zufall, welcher die beiden in einen geheimen Raum zusammentreibt, sowie die aufregende Zudringlichkeit des Mannes.

Ich bin also nicht einseitig physiologisch verfahren, auch nicht monoman psychologisch, ich habe die Schuld nicht nur der Vererbung von der Mutter oder ausschließlich der »Unsittlichkeit« aufgebürdet, noch bloß Moral gepredigt.

Dieser Mannigfaltigkeit der Motive will ich mich rühmen, da sie mit der Forderung der Zeit übereinstimmt! Und haben es andere schon vor mir so gemacht, so rühme ich mich mit meinen Paradoxen, wie alle Entdeckungen genannt werden, nicht allein zu stehen.

Was die Charakterzeichnung anbetrifft, so habe ich die Figuren ziemlich »charakterlos« gezeichnet und zwar aus folgenden Gründen:

Das Wort Charakter hat im Lauf der Zeiten eine mehrfache Bedeutung bekommen. Es bedeutete wohl ursprünglich den herrschenden Grundzug im Seelenkomplex und wurde mit Temperament verwechselt. Dann wurde es der Ausdruck der Mittelklasse für den Automaten; sodass ein Individuum, welches ein für alle Mal bei seinem Naturell stehen geblieben ist oder sich einer gewissen Rolle im Leben angepasst hat, welches also mit einem Wort gesagt, aufgehört hat zu wachsen, ein Charakter genannt wurde, und der in der Entwickelung Befindliche, der geschickte Schiffer auf dem Strome des Lebens, welcher nicht mit fester Schote segelt, sondern den Kahn vor dem Windstoß fallen lässt, um ihn hernach wieder aufzuluven, wurde charakterlos genannt. Im herabsetzenden Sinne natürlich, da er ja so schwer einzufangen, zu registrieren und zu kontrollieren war. Dieser bürgerliche Begriff von der Unveränderlichkeit der Seele wurde dann auf das Theater übertragen, wo ja das Bürgerliche immer geherrscht hat. Ein Charakter war dort ein Herr, welcher fix und fertig war, welcher unveränderlich als Betrunkener, als Spaßmacher, als Betrübter auftrat; und um zu charakterisieren bedurfte es nur, dem Körper ein Gebrechen anzudichten, einen Klumpfuß, ein hölzernes Bein, eine rote Nase, oder dass man den Betreffenden einen Ausruf gebrauchen ließ wie diesen: »das war galant«, »Barkis will gern« oder dergleichen. Bei dieser Art und Weise, die Menschen so einseitig aufzufassen, bleibt noch sogar der große Molière stehen. Harpagon ist nur geizig, obgleich Harpagon hätte geizig und zugleich ein ausgezeichneter Finanzier, ein prächtiger Vater, ein guter Bürger sein können, und was schlimmer ist, sein Gebrechen ist gerade äußerst vorteilhaft für seine Tochter und seinen Schwiegersohn, welche ihn beerben und ihn daher nicht tadeln dürfen, wenn sie auch ein wenig warten müssen, bis sie sich kriegen. Daher glaube ich nicht an einfache Theatercharaktere. Und gegen das summarische Urteil der Verfasser über die Menschen: der ist dumm, der ist brutal, der ist eifersüchtig, der ist geizig usw. sollte von den Naturalisten Einspruch erhoben werden, welche wissen, wie reich der Seelenkomplex ist, und welche verstehen, dass das Laster eine Rückseite hat, welche sehr stark der Tugend ähnelt.

Als moderne Charaktere, die in einer Übergangszeit leben, welche mehr eilig hysterisch als zum mindesten die vorhergehende ist, habe ich meine Figuren schwankender, zerrissener, von Altem und Neuem zusammengesetzter geschildert, und es scheint mir nicht unwahrscheinlich, dass moderne Ideen durch die Zeitungen und Gespräche auch in die Gesellschaftsschichten hinabgedrungen sein können, in denen selbst ein Dienstbote sich bewegt.

Meine Seelen Charaktere sind Konglomerate von vergangenen Kulturgraden und Brocken der angehenden Zeit, welche aus Büchern und Zeitungen entlehnt wurden, Stücke von Menschen, abgerissene Fetzen von Feiertagskleidern, welche zu Lumpen geworden sind, ganz wie die Seele zusammengeflickt ist. Und ich habe außerdem ein wenig Entwicklungsgeschichte gegeben, indem ich den Schwächeren stehlen und Worte wiederholen lasse von dem Stärkeren, die Seelen »Ideen«, Suggestionen, wie es genannt wird, voneinander holen lasse.