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Wolf Silver erwacht aus einem tiefen Schlaf, nur um festzustellen, dass eine Seuche die Welt, in der er lebt, verwüstet hat. Schnell bemerkt er, dass jemand verschwunden ist. Seine Freundin Alexandra. Unwissend, wie es weitergehen soll, trifft er auf den schwarzen Kater Franky, der ihm bei seiner Suche helfen will. Silver stellt allerdings fest, dass Franky etwas vor ihm geheim hält... Kann er dem Kater wirklich trauen?
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Seitenzahl: 477
Veröffentlichungsjahr: 2024
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Free Fall
Verlorene Spuren
Jenny Galaxia
Impressum
Copyright 2024
Vanessa Richter
Pseudonym: Jenny Galaxia
c/o Authors' Dreams
Am Krummgewann 22
64625 Bensheim
Covergestaltung, Illustrationen, Texte, Verlag: Vanessa Richter
Korrektur: Unterstützt durch KI
Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlages und des Autors unzulässig. Dies gilt insbesondere für die elektronische oder sonstige Vervielfältigung, Übersetzung, Verbreitung und öffentliche Zugänglichmachung.
Inhaltsverzeichnis
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
Kapitel 14
Kapitel 15
Kapitel 16
Kapitel 17
Kapitel 18
Kapitel 19
Kapitel 20
Kapitel 21
Kapitel 22
Kapitel 23
Kapitel 24
Kapitel 25
Kapitel 26
Kapitel 27
Kapitel 28
Kapitel 29
Kapitel 30
Kapitel 31
Kapitel 32
Kapitel 33
Kapitel 34
Kapitel 35
Kapitel 36
Kapitel 37
Kapitel 38
Kapitel 39
Kapitel 40
Kapitel 41
Kapitel 42
Kapitel 43
Kapitel 44
Kapitel 45
Kapitel 46
Kapitel 47
Kapitel 48
Epilog
Regen prasselte in Fluten auf den Boden herab, welcher ihn kaum noch in sich aufsaugen konnte, begleitet vom wütenden Geheul des tobenden Sturms. Der Pfeifton, der durch das Gebäude hallte, hörte sich schaurig an. Die Ohren des silbernen Wolfes zuckten, als er die schäbigen Geräusche in sich aufnahm. Langsam öffnete er die Augen. Seine Träume waren schrecklich und durcheinander. Kurz blieb er liegen, starrte auf die entfernte Wand vor ihm und fragte sich, wo er war.
Er bewegte den Kopf, versuchte ihn anzuheben, doch sein Blick wurde getrübt, durch eine eigenartige Schwärze und das schwankende Gefühl in seinem Inneren.
„Ugh...“, stieß er aus, als er versuchte, sich hinzustellen. Ein Stechen an beiden Seiten seines Halses war spürbar und brachte ihn fast um den Verstand. Der Rüde wusste nicht, was mit ihm los war, doch er versuchte es weiter. Er schleppte sich mühsam von der Ablage, auf der er lag. Dabei bemerkte er kaum, dass er einige Schläuche, die in seiner Haut hingen, mit sich zog. Er flog auf den Boden, mitsamt der Schläuche und einem lauten Bollern des Infusionsständers.
Stöhnend rappelte er sich auf. Der Sturz schmerzte. Mit aller Kraft zog er die Nadeln aus sich heraus.
Danach schlich er, fast kriechend, zur nächsten Tür.
Er lehnte sich an den Türrahmen und blickte sich um. Die Sicht wurde mittlerweile klarer, doch das Gefühl des Drehens war noch immer spürbar. Es kam ihm vor, als wäre er aus einem langen Schlaf erwacht. Das Geräusch des Windes wirbelte durch den dunklen Flur, schaurig und unberechenbar. Erst jetzt bemerkte der silberne Wolf die Stille.
„H... hallo?“, rief er bibbernd vor Anstrengung. Niemand reagierte. Das Gefühl der Übelkeit überkam ihn plötzlich. Er musste würgen, doch heraus kam nichts.
>>Scheiße, was ist hier nur los? Träume ich?<<, fragte er sich, während er weiterschlich.
„Alles tut so weh. Und wo bin ich? Warum ist niemand hier?“
Fragen dröhnten in seinem Kopf, als er den Korridor hinunterlief.
Seine Schritte wurden allmählich fester und sicherer, doch der Schmerz endete nicht.
Umherwandelnd erreichte er den Ausgang, den er an einem grünen Leuchtschild erkennen konnte. Der Wolf öffnete die Tür und bemerkte, dass sich der Regen etwas beruhigt hatte.
Ein Pfad baute sich vor ihm auf, als er durch den Matsch lief. Seine Pfoten versanken teilweise in der Erde, als er diesem Weg folgte. Silver war noch immer nicht ganz bei Verstand, aber sein Instinkt leitete ihn zu einem großen Gehege am Ende des Pfades. Ein grüner Zaun erschien vor seinem Sichtfeld, davor noch ein weiterer Holzzaun, der als Abstandhalter dienen sollte.
Der Wolf hielt instinktiv Ausschau nach einem Durchgang und ziemlich schnell registrierte er das Eingangstor, welches offen stand. Während Silver dorthin schlich, zuckten seine Ohren. Eine ungewöhnliche Ruhe durchzog die Umgebung und nur der tropfende Regen, der von seinem Fell abperlte, war zu vernehmen. Vor ihm baute sich ein großes, mit Sträuchern durchwachsenes Gehege auf. Im hinteren Teil war es zum Großteil mit Nadelbäumen bepflanzt. Der Rüde erkannte sofort, dass der Sturm auch hier nicht haltgemacht hatte, denn einige Pflanzen und Äste lagen chaotisch auf dem Boden herum. Auch die von Hand gebauten Holzhütten waren vom Wind zerstört worden.
Silver blickte sich um. Warum war er noch mal hierher gekommen?
Ein Schmerz schoss durch seinen Kopf, als er versuchte, seine Erinnerungen wiederzufinden. Orientierungslos taumelte er durch das Gehege und hörte nicht viel später ein lautes Klicken. Sofort blickte Silver nach hinten und stellte fest, dass das Tor zugefallen war.
Reflexartig stürmte er hin, um es zu überprüfen. Öffnen ließ es sich nicht mehr. Seufzend drehte sich der Wolf um, suchend nach einem anderen Weg, der ihn wieder hinausführen könnte. Nun stellte er fest, wie verlassen das Gehege wirklich war. Warum war eigentlich keiner mehr hier? Diese aufkeimende Frage wiederholte sich mehrmals.
Er drückte seine Nase platt auf den Boden, um vergeblich eine Duftmarke zu finden. Wahrscheinlich hatte der ganze Regen sie weggespült.
„Hallo? Ist noch jemand hier?“, rief er erneut, hoffend auf eine Antwort. Währenddessen schritt er vor und hielt weiter die Augen offen. Bis sich auf einmal ein kaum wahrnehmbares Brummen hinter ihm bemerkbar machte. Sofort drehte sich Silver um und sah einem anderen Wolf ins Gesicht, der ein paar Meter entfernt von ihm stand. Sein braunes Fell war nass, verfilzt und seine Nase und Teile seines Gesichts wirkten eigenartig blass. Der Blick leer, die Pupillen erweitert, dennoch erkannte Silver ihn.
„Co... Copper? Bist du das?“, fragte der silberne Wolf, der sein Gegenüber kaum wiedererkannte.
Coppers Reaktion blieb aus.
„Copper, was ist hier passiert? Wo sind denn alle?“, wollte Silver wissen und trat eine Pfotenlänge vor, doch Copper setzte zu einer unerwartet ruckartigen Bewegung an und sprintete, mit hochgezogenen Lefzen und scharfen Zähnen, auf Silver zu. Die Augen des silbernen Wolfes vergrößerten sich vor Schreck. Danach wirbelte er herum und rannte davon. Copper verfolgte ihn laut kleffend.
„Was zum Teufel! Copper, was tust du da? Ich bin es, Silver!“, schrie Silver seinem Verfolger panisch entgegen, während er vor ihm floh. Am Ende des Geheges angekommen, blieb er vor dem Zaun stehen.
„Verdammt, was soll ich jetzt tun!?“, heulte Silver verzweifelt, bis sich Copper näherte und er gezwungen war weiterzulaufen. Als der junge Wolf auswich, knallte Copper gegen den Zaun und wirkte einen Moment lang wie betäubt. Silver nutzte die Gelegenheit, weiter entlang des Zaunes zu fliehen. Der einzige Ausweg schien tatsächlich die Tür zu sein. Es gab einfach keine andere Möglichkeit, zu entkommen.In diesen Gedanken blieb Silver stehen, nahm all seinen Mut zusammen und baute sich kampfbereit auf. Ihm blieb keine Wahl. Entweder kämpfen oder sterben. Copper, der noch weit entfernt war und versuchte sich zu fangen, schüttelte sich ausgiebig. Dann hielt er die Nase nach oben, um die Luft zu prüfen.Silver knurrte nervös.
„Du solltest besser nicht mit ihm kämpfen.“
Eine unbekannte Stimme ertönte hinter dem Zaun, außerhalb des Geheges. Sofort schielte Silver in die Richtung und eine kleine schwarze Gestalt trat aus der Dunkelheit des Busches. Ein Kater mit gelben Augen und muskulöser Statur.
„Er wird dich sonst noch infizieren“, fügte der Kater hinzu. Silver kam nicht dazu, etwas zu entgegnen, als Copper erneut auf ihn zupreschte. Verwirrt blieb er stehen, doch der Kater winkte ihn zur Seite.
„Los, zur Tür! Beeil dich!“, sagte dieser hastig und lief vor, um das Gelände herumstreichend. Der eingesperrte Wolf wusste anfangs nicht, wie er reagieren sollte, doch dann tat er, was ihm gesagt wurde. Was hätte er sonst für eine Wahl gehabt?
Als er das Tor erreichte, sah er, wie die Katze elegant hochsprang und die Klinke hinunterdrückte. Silvers Augen leuchteten, als die Hoffnung nach Freiheit in ihm aufkeimte.
„Los, Wolf, schneller, schneller, schneller! Lauf um dein Leben!“, drängte sein Retter und noch bevor Copper die Tür erreichen konnte, schmiss sich der Kater dagegen, sodass sie mit einem lauten Knall zufiel. Das bebende Echo des Metalls hallte fühlbar bis ans Ende des Geheges, mitsamt den Kratzgeräuschen von Copper. Das Herz bebend vor Aufregung, kroch Silver neben der Katze über den Boden, nach Luft schnappend.
„Oh, heiliger Dunghaufen, ich dachte, ich werde jetzt zerfetzt“, keuchte er. Schnippisch entgegnete der Kater:
„Tja, ich würde sagen, da hast du ja noch mal Glück gehabt!“
Silver zuckte, als er sich wieder aufrichtete. Ein leichtes Stechen durchfuhr ihn.
„Danke für die Rettung. Ich glaube, ohne dich würde ich dort drinnen immer noch im Kreis laufen“, sagte Silver erleichtert und wollte dem Kater gerade dankbar über das Gesicht lecken, als dieser zurückwich.
„Oh, nein, nein, nein. Bleib, wo du bist! Ich meine, gern geschehen, aber dein Geruch ist eigenartig“, maunzte er leicht angewidert. Bestürzt blickte Silver ihn an.
„Was? Mein Geruch? Eigenartig?“, murmelte er. Die Ohren des schwarzen Katers zuckten. Verlegen putzte er sich mit der Zunge über sein Brustfell, auf dem ein weißer Fleck auffällig hervorstach.
„Na ja, du riechst so... steril. Und gleichzeitig nach nassem Hund“, versuchte sein Retter behutsam auszudrücken.
Der Wolf blickte ihn nur fragend an. Ein kurzes Schweigen entstand, bis Silver das Wort ergriff, ohne zu wissen, wie er seine nächsten Fragen formulieren sollte.
„Du? Also... kannst du mir sagen was...“
Kommunikativ wie er war, unterbrach der Kater ihn.
„Lass mich raten, du erinnerst dich nicht. Dann lass mich dir kurz erklären“, begann er zu sprechen, während er nachdenklich auf und ab lief.
„Wir schreiben das Jahr 2024. Um genau zu sein, müsste heute der 1. Mai sein, aber von Frühling ist wenig zu sehen. Sicher fragst du dich, warum alles so ist, wie es ist. Fangen wir einfach bei deinem Kumpel dort an.“ Dabei zeigte der Kater auf Copper, der dastand und die beiden zu beobachten schien.
„Es ist eine mysteriöse Krankheit ausgebrochen, die seit Wochen hier gewütet hat. Die Menschen sind abgehauen. Und alle... fast alle Tiere wurden krank und haben sich gegenseitig zerfetzt. Dann kam der Sturm. Und dann bist du auf einmal hier aufgetaucht. Ende.“
Silvers Augen weiteten sich, als er die Geschichte hörte.
„Eine mysteriöse Krankheit? Wovon redest du?“, wollte der Wolf wissen, der sichtlich verwirrt war. Was war mit seiner Welt passiert, als er geschlafen hat? Und warum erinnerte er sich an nichts?
„Nun, wenn du die lange, spannende Fassung hören möchtest, wird das etwas Zeit in Anspruch nehmen“, machte der Kater ihm bewusst und musterte den Wolf.
„Im Übrigen siehst du gar nicht gut aus. Du könntest etwas Fellpflege vertragen. Und etwas zu essen. Diese Wunden dort hast du scheinbar auch noch nicht bemerkt“, stellte er fest. Silver spürte, dass er recht hatte. Sein Fell war filzig und verklebt, außerdem knurrte sein Magen. Und Wunden? Von welchen Wunden sprach dieser Kater?
Noch bevor Silver etwas erwidern konnte, machte sein Gegenüber eine Schweifbewegung als Zeichen, dass der Rüde ihm folgen sollte.
„Komm mit, gehen wir irgendwohin, wo es gemütlicher ist.“
Silver zögerte nicht, sondern folgte ihm sofort.
„Ich bin übrigens Silver und du bist?“
„Nenn mich doch Franky – Franky, der großartige Retter“, antwortete Franky augenzwinkernd und lief voraus.
„Franky, der großartige Retter, huh? Klingt gar nicht mal so übel“, flüsterte Silver, während er dem Kater brav hinterher trottete.
Eilend lief der schwarze Kater über den steinigen Weg, während sich der silberne Wolf Mühe gab, mit ihm mitzuhalten. Sie liefen an leerstehenden Gehegen vorbei. Die Verwüstung war hier mehr als sichtbar und für Silver war es verwunderlich, dass sich kein Tier bemerkbar machte. Haben sie sich wirklich gegenseitig zerfetzt, wie Franky erzählte? Silver schauderte es bei diesem Gedanken. Noch immer war er verwirrt über diese Erzählung und auch darüber, dass Copper nicht mehr er selbst war.
„Hier entlang!“, rief Franky ihm zu und bog gleich in der nächsten Ecke ab. Silvers Blick lenkte ihn zu einem Schild, das vor dem Gebäude stand, welches vor ihm auftauchte. Darauf abgebildet waren ein paar bunte Vögel und eine Schrift, die er nicht entziffern konnte. Er ließ das Bild auf sich wirken, bis Franky ihn erneut aus seinen Gedanken riss.
„Hey, trödel nicht so rum“, sagte dieser, als er an einer Holztür auf ihn wartete.
„Komme schon!“, rief ihm Silver entgegen und betrat, zusammen mit dem Kater, das große Haus. Franky schloss hinter sich die Tür und in diesem Moment konnte man eine starke Windböe ausmachen, gefolgt vom nächsten Regenfall. Sie waren gerade noch rechtzeitig angekommen.
Silver nutzte die Gelegenheit, um sich ordentlich durchzuschütteln, um die Nässe loszuwerden, die sein Pelz verkleben ließ. Der schwarze Kater nahm Abstand und tat es ihm gleich.
Danach stolzierte Franky weiter, an einigen Vogelkäfigen vorbei. Silver sah sich um.
Das Haus, in dem sie sich nun befanden, war recht groß und scheinbar überwiegend aus Holz gebaut worden. Die Vogelgehege, die sich in alle Richtungen verteilten, waren gut ausgestattet, mit allerlei farbigen, tropischen Pflanzen, Klettermöglichkeiten, Wasserplätzen und sogar Spielsachen. Doch auch hier wieder die gleiche Feststellung: Kein einziger Bewohner in Sicht.
„Es ist kaum vorstellbar, dass hier mal eine schlimme Seuche gewütet haben soll, nicht wahr?“, fragte Franky, als er Silvers nachdenkliche Miene betrachtete.
„Um ehrlich zu sein, bin ich total verwirrt. Das alles fühlt sich an wie ein schlimmer Alptraum“, antwortete Silver und blickte den Kater ungläubig an.
„Ich muss dich enttäuschen. Leider bist du hellwach“, machte Franky ihm bewusst und folgte dem holzigen Fußboden.
Der nächste Sturm, der sich gebildet hat, ließ das Gebäude laut aufknacken. Silver zuckte bei diesem Geräusch kurz zusammen und lief geduckt vor, um neben dem Kater zu laufen.
„Franky, ich suche mein Rudel. Und eine Freundin von mir. Alexandra. Hast du... Hast du sie gesehen?“, wollte der Wolf wissen.
Franky blickte ihn von der Seite an und schien zu überlegen.
„Du findest also langsam deine Erinnerungen wieder? Mein Freund, es ist kompliziert, aber möglicherweise kann ich dir zumindest ein wenig helfen.“
Silver seufzte erleichtert. Seine Hoffnung, der Kater könnte ihm helfen, war groß, denn er wusste sonst nicht, wo er überhaupt anfangen sollte. Er erinnerte sich an seine Freundin Alexandra. Eine schöne Wölfin mit hellem Fell und kristallblauen Augen. Er hatte viel Zeit mit ihr verbracht und Silver wurde ganz warm ums Herz, wenn er an sie dachte. Doch was ist überhaupt mit all seinen Rudelmitgliedern geschehen? Es waren nur Bruchstücke, an die er sich erinnern konnte. Warum hat er geschlafen? Und wie konnte es sein, dass während seines Schlafs so viel Zeit verstrichen war? Seine Gedanken schweiften ab, zurück zu Copper, der Silver mit toten Augen angestarrt und dann angegriffen hatte. Dann fiel sein Blick auf Franky, der ruhig neben ihm herlief.
„Sind sie... tot?“, fragte Silver schließlich und musste schlucken. Die mögliche Antwort bereitete ihm Unbehagen. Er war sich auch nicht sicher, ob er wirklich eine hören wollte.
Der Kater schielte ernst zur Seite, während er sein Gesicht weiterhin nach vorne richtete.
„Ich habe bis jetzt noch keinen toten Wolf hier vorgefunden“, war seine Antwort. Erleichtert atmete Silver auf. Er wusste, diese Aussage war keine Garantie dafür, dass sie noch lebten. Aber es gab ihm ein gewisses Gefühl, Beruhigung und Hoffnung.
Sie durchquerten das grün bewachsene Tropenhaus und erreichten schließlich eine andere Tür, die Franky öffnete. Vor ihnen entfaltete sich ein brückenartiger Gang. Die Kuppel, die sich darüber befand, war mit Glasscheiben ausgestattet, die einen direkten Ausblick nach draußen ermöglichten. Einige Scheiben waren zerbrochen, wahrscheinlich durch die stark wütenden Stürme.
Auf den ebenfalls beschädigten Holzdielen waren Laub und Gestrüpp verteilt, als wäre der Herbst einige Monate zu früh eingebrochen.
Am Ende der Brücke befand sich ein zweiter Teil des Gebäudes. Langsam tapste Franky voran, Silver hinter ihm. Dann blieb der Kater stehen und drehte sich zu dem Wolf um.
„Wir sind gleich da, aber ich muss dich bitten, hier kurz zu warten“, miaute er. Silver, verwundert über diese Reaktion, nickte nur, als Franky durch die Tür verschwand und diese hinter sich schloss. Einige Minuten verstrichen.
Silver blieb ruhig und wartete geduldig.
>>Was macht er denn so lange? Kommt er wirklich wieder?<<, dachte der Wolf, während er die Tür anstarrte, die sich in seiner Fantasie schon öffnete, zusammen mit Franky, der einladend dastand und ihn hereinbitten würde. Doch nichts. Stattdessen vergingen weitere lange Minuten. Gelangweilt betrachtete der Wolf das Schild, das an der Tür hing. Darauf zu erkennen war ein reptil-ähnliches Wesen, mit dicken Füßen. Über der Grafik eine Schrift. Silver schätzte, dass es eine Art Beschreibung dafür war, was sich hinter der Tür verbarg.
„Hey, Franky? Was treibst du denn da so lange?“, rief Silver. Natürlich ohne eine Antwort zu bekommen. Mit schwindender Geduld stand er auf und lief umher. Noch mehr Zeit verstrich, in der Silver vergeblich wartete.
„Franky? Bist du noch da?“
Ein neuer Rufversuch entfuhr ihm, doch Frankys Antwort ließ auf sich warten. Hatte der Kater ihn im Stich gelassen oder möglicherweise vergessen?
Der Rüde verlor langsam seine Geduld und entschloss sich, die Türklinke hinunterzudrücken, wie er es bei seinem schwarzpelzigen Freund zuvor beobachtet hatte.
Ohne Mühe schlug er die Pfoten darauf, aber die Tür schien von hinten verhakt worden zu sein, weshalb er sie nicht aufbekam. Leichte Panik durchfuhr ihn. Franky hatte ihn ausgeschlossen, aber warum?
„Franky, du sagtest, du willst mir helfen! Was soll das jetzt?“, beschwerte er sich, obwohl ihm bewusst war, dass er ohnehin keine Antwort bekommen würde.
„Hey! Bist du noch da?“, war sein letzter Versuch, bevor sich der Wolf frustriert umdrehte, bereit zurückzulaufen. Gerade als Silver gehbereit seine Pfote hob, öffnete sich die Tür schlagartig. Erschrocken blickte er zurück.
Völlig außer Atem lehnte der schwarze Kater am Türrahmen, was Silver noch mehr verwirrte.
„Entschuldige, mein Freund. Hat doch etwas länger gedauert“, bemerkte Franky, während Silver ihn beleidigt anglotzte.
„Etwas!? Ich dachte, du kommst gar nicht mehr wieder, was sollte das?“, wollte der Wolf wissen.
„Also... ich musste noch etwas aufräumen. Komm rein, ich zeige dir meinen Schlafplatz. Dort können wir uns ausruhen“, antwortete der Kater hektisch und schob Silver in das Reptilienhaus. Danach verriegelte er die Tür von innen und rannte vor.
Silver schaute sich um und lief ein gutes Stück hinter seinem Freund her. Das Haus hatte ebenfalls einen tropischen Stil. Hier wurde nicht an Dekoration gespart. Auch wenn einige der vielfältigen Pflanzen verdorrt waren, gefiel Silver der Anblick. Tatsächlich wirkte das Gebäude gemütlich, wie Franky es gesagt hatte. Er konnte sogar eine feuchte Wärme spüren, die relativ angenehm war.
Silver stellte sich vor einen der riesigen Glaskästen und blickte neugierig hinein. Es war leer. Wieder schossen ihm Fragen durch den Kopf. Normalerweise hausten hier Tiere, die nicht einfach so fliehen konnten, da war sich der Wolf sicher.
Er schreckte aus seinen Gedanken, als Franky ihm zuzischte und einen Nebenraum betrat. Silver folgte ihm hinein.
„Hier wären wir“, sagte der Kater schließlich und kramte aus einem der Schränke eine Decke hervor, auf die sich Silver setzen konnte. Sofort schloss er die Tür und wühlte weiter. Aus einer Schublade holte er zusätzlich zwei rätselhafte Gläschen heraus. Dann setzte sich der Kater vor Silver hin.
„Ich werde uns bald etwas zu Futtern besorgen, aber vielleicht möchtest du vorher von dem Zeug hier probieren“, bot er an, während er aus den Gläsern ein paar seltsam riechende Kräuter hervorholte und dem Wolf vor die Nase legte.
Skeptisch schnüffelte Silver daran, verzog jedoch sofort das Gesicht.
„Bäh, was ist das? Ich glaube nicht, dass ich das runterkriege“, jammerte er angeekelt.
„Es wird dich beruhigen und entspannen, vertrau mir“, erklärte ihm Franky und machte es ihm vor, indem er eine Pfote voll in sich hineinstopfte. Der Kater schnüffelte zusätzlich am Glas, um den Duft zu inhalieren.
Noch immer misstrauisch blickte Silver ihn an. Nur aus Höflichkeit nahm er seinen Mut zusammen und füllte seine Pfote mit den stechend riechenden Kräutern. Widerwillig würgte er sie hinunter.
„Bah, das schmeckt furchtbar. Bist du sicher, dass es helfen soll?“, wollte er wissen.
Franky nickte.
„Keine Sorge, die Wirkung wird gleich einsetzen.“
Der Kater entspannte sich und legte elegant seinen Schweif um seine Pfoten. Sein Blick fixierte den von Silver, dessen angespannte Haltung allmählich lockerer wurde.
„Also... du wolltest mir erzählen, was genau hier passiert ist. Stück für Stück. Ich will alles wissen, Franky. Auch was du über Alexandra und über mein Rudel weißt“, begann Silver das Gespräch, mit ernster Miene.
Franky blickte in die Mitte zwischen ihnen, als wäre dort ein unsichtbares Lagerfeuer, welches das Bild der Geschichte aufblühen ließ, die der Kater ihm nun erzählen würde.
„Vor einigen Wochen, als ich durch diesen Zoo spaziert bin, sind mir ein paar seltsame Dinge aufgefallen. Wenn ich zurückblicke, kann ich nicht einmal erklären, wo es überhaupt angefangen hat. Das Erste, was mir aufgefallen ist, ist, dass die meisten Menschen, die mich hier regelmäßig mit Nahrung versorgten, nicht mehr auftauchten. Oder nur unregelmäßig. Zudem trugen sie alle Masken vor ihren Gesichtern, vor allem dann, wenn sie zusammengearbeitet haben. Außerdem schien eine komische Stimmung zwischen ihnen zu herrschen. Irgendwann kamen plötzlich die Tage, an denen sie große Käfige mitbrachten und einige Tiere aus ihren Häusern verschleppt haben. Ich wusste nicht, wie ich das deuten sollte, aber schon bald erkannte ich den Grund, warum sie das taten: Die Tiere wurden krank und ihnen ist aufgefallen, dass sie sich gegenseitig anstecken. Es war wohl ein kläglicher Versuch, alles rechtzeitig unter Kontrolle zu bringen, aber es war bereits zu spät. Aus irgendeinem Grund wurden auch die Menschen krank und so nahm das Unheil seinen Lauf. Einer der Letzten, die ich hier gesehen habe, wurde auf einmal zu einem wildgewordenen Monster. Um genau zu sein, war es einer meiner Lieblingsmenschen. Ich hatte es daher nicht kommen sehen und wurde von ihm angegriffen. Zu meinem Glück konnte ich fliehen, aber dieser kranke Mensch überlebte nicht, denn er wurde von den anderen Menschen einfach... erschossen.
Danach verschwanden sie. Und kamen vorerst nicht wieder. Ich wurde zurückgelassen sowie viele andere auch. Die restlichen Tiere, die noch immer hier waren... Nun, ich konnte nicht mit ansehen, wie sie alle verhungern und deshalb habe ich versucht die meisten zu befreien, mit dem Schlüsselbund, der hier in der Schublade versteckt war. War kein Problem. Auch dein Wolfsgehege habe ich geöffnet. Ich muss aber ehrlich gesagt gestehen, dass ich schnell wieder abgehauen bin, damit ich nicht als Katzenmahl enden würde. Ich kann dir also nicht genau sagen, ob deine Alexandra zu diesem Zeitpunkt noch da war oder ob sie bereits verschleppt wurde.“
Kurz machte Franky eine Pause, um sich zu fangen. Dann sprach er weiter, während Silver ihm stumm zuhörte, mit großem Entsetzen in seinen Augen.
„Erst viele Tage später kam eine neue Gruppe von Menschen in den Zoo, mit seltsamen Anzügen und Waffen. Ich versteckte mich vor ihnen, denn ich glaube, sie wollten alles jagen, was sich ihnen in den Weg stellte. Eine schwarze Großkatze, ähnlich wie ich, stellte sich vor die bewaffneten Menschen. Als ich diese Katze befreit hatte, hätte ich schwören können, dass sie gesund war. Doch plötzlich war auch sie wie verändert. Und dann entdeckte ich etwas. Eine frische Wunde am Oberschenkel der Katze. Da wurde mir sofort bewusst, wie sich die Krankheit überträgt. Und zwar mit Bissen. Du kannst sie töten. Du kannst sie fressen. Aber du darfst dich niemals von ihnen beißen lassen, Silver. Niemals. Sonst passiert dir das Gleiche und du fällst in einen unheilbaren Wahnzustand.“ Franky pausierte erneut, um Luft zu holen, bevor er weitersprach: „Na ja, jedenfalls überlebte diese Katze nicht, wie auch die meisten anderen Tiere. Der Zoo wurde immer leerer. Als wäre das jedoch nicht genug, fing es tagein, tagaus an zu stürmen. Und mit jedem Tag, der an mir vorbeizog, wurden die Stürme heftiger. Eigentlich wollte ich fliehen. In die große Menschenstadt. Aber so weit kam es nicht, also habe ich mich hier verschanzt“, beendete Franky die düstere Geschichte fürs Erste.
Silver wusste nicht, was er sagen sollte. Der Schock, den er verspürte, war nicht zu übersehen. Er starrte auf Frankys Gesicht, der ihn bitterernst betrachtete. Seine gelben Augen wirkten beinahe hypnotisierend. Der Kopf des Rüden fing wie wild an zu pochen. Dann verzerrte sich das Bild vor ihm und wurde schwarz.
Mit schwummrigem Gefühl blickte sich Silver um. Er befand sich in seinem altvertrauten Gehege. Die Pflanzen verrieten, dass der Frühling nicht mehr fern war. Die grelle Sonne brannte über ihm und ließ das Gras heller wirken. Ein paar Insekten surrten herum, auf der Suche nach Nahrung. Der silberne Wolf verfolgte ihre Bewegungen, während er vor sich hinträumte.
„Silver? Hörst du mir zu?“, machte sich eine helle Stimme neben ihm bemerkbar. Es war Alexandra und ihr fast schon weißes Fell leuchtete, als die Sonne darauf schien. Freundlich blickte sie ihn an. Das strahlende Blau ihrer Augen verlieh ihr eine magische Aura. Als würde man einen direkten Blick in den Ozean erhaschen.
„Ich... ähm, ja. Natürlich, Alexandra. Ich war gerade nur in Gedanken“, antwortete er und bekam ein schlechtes Gewissen, weil er ihr wirklich nicht zugehört hatte.
„Oh... ja, verstehe. Wenn meine Fragen dich langweilen, dann kannst du es mir ruhig sagen“, sagte sie, mit leichter Enttäuschung in der Stimme, doch sofort verneinte Silver.
„Nein, ach Unsinn. Du langweilst mich nicht! Was wolltest du nochmal wissen?“, versuchte er das Gespräch zu retten. Alexandras Ohr zuckte, als ein Windhauch vorbei wehte.
„Ich fragte, ob du dich nicht auch jemals gefragt hast, wie die Welt da draußen wohl aussehen mag?“, wiederholte sie dann und schaute sehnsüchtig in die Ferne.
Der Hügel, auf dem sie saßen, verlieh ihnen einen guten Rundblick um das Gebiet, in dem sie eingesperrt waren. Silver erinnerte sich an Alexandras Erzählung. Sie war in diesem Zoo aufgewachsen und hatte noch nie etwas anderes gesehen. Die Freiheit kannte sie nicht. Doch Silver selbst kannte sie. Und er musste gestehen, dass das Überleben in freier Natur nicht besonders einfach war. Weshalb er sich nicht schlüssig war, ob er sie überhaupt vermisste.
„Nun, ich bin nicht sicher, ob du es weißt, aber genau aus dieser Welt komme ich. Sie schaut ähnlich aus, wie unser Territorium hier, nur, dass alles offen ist. Du kannst jederzeit überall hingehen. Aber leider hat das auch seinen Preis, denn die Natur ist voller Gefahren und Nahrung ist schwer zu fangen“, erzählte Silver und bemerkte, dass Alexandra neugieriger wurde.
„Aber die Natur ist wunderschön. Oder nicht? Schöner als hier“, murmelte sie, mit fragender Miene. Sie wollte mehr hören.
„Oh, ja. Das ist sie. Es gibt Wälder, das sind die Orte, in denen sich unzählige Bäume aneinander reihen. Wunderschön anzusehen, zu jeder Jahreszeit, aber wenn du nicht aufpasst, kannst du dich verlaufen. Dann gibt es Flüsse, fast wie unser Fließwasser dort. Aber diese sind riesig. So riesig, dass das Wasser nur so sprudelt und du kannst von ihnen mitgerissen werden, wenn du nicht auf deine Schritte achtest. Dann gibt es das Meer, den Ozean. Und so viele Wassermassen wie in ihm schwimmen, hast du noch nie gesehen. Der Ozean ist noch gefährlicher, als ein Fluss, denn er ist unberechenbar. In einem Moment ist er entspannend ruhig, so, dass du in ihm planschen kannst. Doch ganz plötzlich kann er dich mitreißen und in seine Tiefen verschlingen. Aber so unberechenbar er auch ist, die Schönheit des Wassers übertrifft nichts. Besonders dann nicht, wenn die Sonne in sein Wasser versinkt und es glitzern lässt, wie die Sterne der Nacht“, erzählte er weiter. Alexandra erstaunte.
„Wow, das klingt fast so, als wäre sie atemberaubend, die Natur“, murmelte die Wölfin träumend.
„Ja, aber es gibt auch diese anderen Orte. Wie zum Beispiel die Menschenstädte, mit ihren düster aussehenden Höhlen, in denen sie leben... Sie werden Häuser genannt und dort möchte niemand von uns freiwillig hin. Diese Orte wirken wie tot und es kann passieren, dass die Menschen dir etwas Schlimmes antun, wenn du dich dort aufhältst“, erklärte er eindringlich und Alexandra nickte, weil sie verstand, worauf Silver hinauswollte.
„Verstehe. Aber der Ozean... Ich glaube, dort möchte ich eines Tages mal hin“, sagte sie und spürte eine Art Romantik in sich aufsteigen, als sie sich vorstellte, durch das wellige Wasser zu laufen. Silver beobachtete sie erstaunt und wünschte, er würde eines Tages die Möglichkeit bekommen, ihr all das zu zeigen.
Der stille Moment wurde unterbrochen, durch das Knacken eines Astes. Hinter ihnen kam ein großer Wolf auf den Hügel gesprungen und schubste den Silbernen rücksichtslos zur Seite. Der toxische Seitenblick des schwarzen Wolfes machte Silver klar, dass ihm das Bild der beiden, wie sie hier zusammen auf dem Hügel saßen, nicht gefiel.
„Alexandra, mein geliebtes Alphaweibchen. Ich habe dich schon überall gesucht“, sagte er, während er den Kopf an ihr rieb. Silver wusste nicht, wie er Alexandras Reaktion deuten sollte. Ob sie seine Berührungen erwiderte oder sich ekelte, aber ihm gefiel die Tonart des Alphawolfes nicht. Kurz überlegte er, ob er etwas sagen sollte, aber er riss sich zusammen. Der Alphawolf stieß Alexandra von dem Hügel herunter und machte eine befehlsame Pfotenbewegung, damit sie in Richtung Bau lief. Während die beiden davontrotteten, machte Alexandra einen heimlichen Schulterblick zurück und sah Silver direkt in die Augen. War das ein stummer Hilferuf, der ihr anzusehen war? Ein neuer Schmerz durchzuckte seinen Körper. Daraufhin fand er sich in einer anderen Szene seines Lebens wieder. Der silberne Wolf spürte die Gegenwart seiner Rudelmitglieder um sich herum. Vor ihm der Alphawolf, der ihn zähnefletschend ansah. Im Hintergrund Alexandra mit ängstlicher Miene.
„Steh auf, Schwächling! Ich werde dir zeigen, wer hier wirklich der Alpha ist!“, giftete der schwarze Wolf ihn an.
Silver, der auf dem Boden lag, stand auf, versuchte den Schmerz des Sturzes zu ignorieren und blickte seinem Anführer mutig entgegen.
„Ich lasse nicht mehr zu, dass du so mit ihr umgehst“, keuchte er und stürzte sich erneut auf seinen Gegner. Dieser nahm keine Rücksicht, sondern packte Silvers Brustfell, um ihn erneut in den Dreck zu werfen. Mit der rechten Pfote drückte der Alpha ihn zu Boden und hielt ihn fest.
„Und ich lasse nicht zu, dass du mein Alphaweibchen anrührst, Grünschnabel. Sprich lieber dein letztes Gebet“, drohte er, bevor er den Kiefer um seinen Hals schlug. Silver jaulte laut auf, als er das Reißen in seiner Haut bemerkte und das Blut, welches auf den Boden tropfte. Entsetzt rannte Alexandra nach vorne.
„Hunter, hör sofort auf!“, schrie sie ihren Gefährten an, doch er ließ sich nicht stören, sondern bearbeitete Silver weiter. Gerade als der silberne Rüde dachte, der Alpha würde ihn umbringen, stieß Alexandra ihn weg und erst dann schien Hunters Blutrausch ein Ende zu nehmen. Silver sah, wie sie sich ihm besorgt näherte. Danach hörte er menschliche Stimmen, die sich aufgeregt etwas zuriefen. Das Bild verschwand und das Einzige, was er noch registrierte, war das Boxen von Pfoten in seinen Seiten.
„Hey, Wolf. Wach auf. Hörst du mich?“, zischte eine Stimme und boxte weiter, bis sich der Rüde regte und sein Bewusstsein wiederfand.
„Hm? Was?“, nuschelte er müde. Seine Augen öffneten sich und starrten direkt in die Gelben von Franky, der angespannt dort saß und fast das Gesicht in Silvers drückte.
„Ah, wunderbar. Schaut aus, als hätte unsere Schlafmütze gut geschlafen!“, stellte dieser fröhlich fest und nahm wieder normalen Abstand.
„Geschlafen? Was?“, murmelte Silver verwirrt und hob den Oberkörper. Er befand sich wieder in dem Raum, in dem er mit Franky Unterschlupf suchte. Neben ihm entdeckte er ein paar tote Mäuse, die der Kater wohl erst vor Kurzem gefangen haben musste.
„Ich habe uns dann mal etwas zu Essen besorgt. Es ist zwar nicht besonders viel, aber es dürfte vorerst genügen, damit du wieder zu Kräften kommst“, maunzte Franky ihm freundlich entgegen. Dankbar nahm Silver einen Happen. Er hatte fühlbar schon ewig nichts mehr im Magen gehabt.
„Danke. Ich glaube, das ist genau das, was ich jetzt brauche“, schmatzte der Wolf genüsslich. Der Kater blinzelte ihm zu. Danach nahm er ein paar der Mäuse am Schwanz und trottete davon. „Bin gleich wieder da“, sagte er mit vollem Mund und verließ den Raum. Silver war verwirrt. Wo wollte Franky hin? Aber ohne sich weiter Gedanken darüber zu machen, genoss er weiterhin die frische Mahlzeit. Ein kurzer Blick durch das kleine Fenster verriet, dass die Nacht bereits eingebrochen war. Silver musste also ein paar Stunden geschlafen haben. Er dachte über seine Träume nach – die Träume, in denen er scheinbar Erlebtes erneut durchleben musste. Er erinnerte sich wieder an einige Details aus der Vergangenheit und verspürte eine eventuelle Vorahnung, wo sich Alexandra aufhalten könnte, wenn sie wirklich noch leben sollte. >“Aber der Ozean. Ich glaube dort möchte ich eines Tages mal hin.“< waren ihre träumerischen Worte. Der Ozean, das Meer. Das war ein guter Anhaltspunkt. Silver war sich sicher, das wäre der erste Ort, den Alexandra aufsuchen würde. Geduldig wartete der Rüde ab, und als Franky wieder durch die Tür stolzierte, sprang er energiegeladen auf die Pfoten.
„Franky. Ich muss den Ozean finden.“
Ungläubig starrte der Kater Silver an.
„Den Ozean finden? In deinem Zustand?“, fragte Franky und musterte den Wolf, der sichtlich geschwächt, abgemagert und ungepflegt aussah. Silver nickte entschlossen.
„Genau, Franky. Ich weiß, dass Alexandra dort sein könnte. Ich erinnere mich wieder“, äußerte er sich dazu. Franky bemerkte, wie Silver seine letzte Frage gekonnt ignorierte. Entweder war der Wolf absolut lebensmüde oder blauäugig.
Ruhig setzte sich der Kater vor seinen Freund hin und schüttelte den Kopf.
„Ich weiß nicht, was plötzlich in dich gefahren ist, aber ich glaube, so kann ich dich nicht gehen lassen. Dir ist hoffentlich klar, dass du dafür die ganze Menschenstadt durchqueren musst?“
Frankys Sorge war ihm anzusehen, doch Silver blieb hartnäckig und ließ sich dadurch nicht abwimmeln.
„Wenn ich dafür die Menschenstadt durchqueren muss, dann tue ich das“, sagte er in fester Überzeugung und legte den Kopf schief.
„Was ist mit dir, Franky? Wolltest du nicht eigentlich auch dort hingehen? Wir könnten zusammen gehen, du und ich“, schlug er vor und hoffte, Franky würde sofort zustimmen. Der Kater hätte hier in diesem verlassenen Zoo nichts mehr zu verlieren. Darüber war sich Silver gewiss. Doch zu seinem Erstaunen schüttelte der Kater den Kopf.
„Tut mir leid, aber ich kann nicht mit dir mitkommen“, antwortete dieser mit kühler Stimme, in der Silver dennoch ein Hauch von Bedauern heraushören konnte.
„Was? Wieso denn nicht?“, wollte der Silberne wissen, doch das Einzige, was der Kater ihm preisgab, war: „Es geht einfach nicht. Ich muss hier bleiben. Ich kann dir aber versprechen, dich dort hinzuführen. Allerdings nur unter einer Bedingung.“
Silvers Augen wurden groß.
„Welche Bedingung?“
Franky ließ seinen Blick so streng wie möglich erscheinen, bevor er den Wolf spielerisch in die Seite hämmerte.
„Du bleibst noch ein paar Tage hier und kommst erstmal zu Kräften!“, grinste er Silver an, der enttäuscht aufstöhnte.
„Oh Mann, aber mir läuft die Zeit davon. Ich kann doch nicht einfach tagelang hier rumsitzen und Pfötchen drehen.“
Ungeduld machte sich in ihm breit.
„Ich verstehe dich, Silver. Du möchtest deine Freundin finden. Aber du darfst nicht vergessen, dass überall Gefahren lauern und du genug Energie brauchst, um zu überleben.“
Franky sprang auf den Tisch, bevor er hinzufügte: „Deine Wunden sind übrigens zum größten Teil verheilt. Ich habe sie mir mal angesehen, als du geschlafen hast.“
Silver sah an sich hinunter, konnte aber wenig entdecken. Danach tatschte er mit den Vorderpfoten an seinem Hals herum und bemerkte die bereits entstehenden Narben. Diese zogen sich fast bis zu seinem Brustkorb hinunter, was Silver erschaudern ließ.
„Was ist passiert?“, fragte Franky schließlich und Silver begann ihm von seinem Kampf mit Hunter zu erzählen, der in der Vergangenheit stattgefunden hatte.
„…Ich wollte ihm den Alphaplatz streitig machen, weil ich nicht mehr mit ansehen konnte, wie er mit Alexandra umgegangen ist. Aber er war deutlich stärker als ich und dann bin ich auch noch bewusstlos geworden. Jetzt stehe ich hier, in einer von Krankheit befallenen, toten Welt und Alexandra ist weg. Zusammen mit Hunter und dem Rudel. Jetzt ist sie erst recht in Gefahr, wenn sie überhaupt noch lebt. Und das alles nur, weil ich zu schwach war!“, fluchte Silver in sich hinein, während er die Krallen in den Holzboden grub. Franky zögerte nicht, sondern sprang vom Tisch. Seine Tatzen berührten beruhigend Silvers Schultern.
„Mein Freund, Verzweiflung ist jetzt nicht der richtige Weg, um mit der Situation umzugehen“, maunzte er und machte eine kurze Pause, als der Wolf deprimiert zu ihm schaute.
„Du wirst Alexandra finden, aber zuerst konzentrieren wir uns darauf, dich auf die Reise vorzubereiten, alles klar? Das alles hier fühlt sich vielleicht schlimmer an, als es ist.“ Silvers angelegten Ohren erhoben sich wieder, mit leichter Hoffnung, die Franky entfacht hatte.
„Danke, Franky. Vielleicht hast du recht.“
Es half ohnehin nichts, sich der Verzweiflung hinzugeben. Selbst wenn sein Rudel nicht mehr da war und nicht mehr leben würde. Silver tat es noch. Also durfte er nicht einfach aufgeben.
„Gut, dann wäre das geklärt“, sagte Franky und putzte sich ausgiebig sein Rückenfell, mit bestimmten Überlegungen.
„Der Morgen bricht bald ein, aber ich spüre, dass sich ein nächster Regenschauer anschleicht. Deshalb sollten wir noch einmal etwas jagen, bevor wir weitere Pläne durchgehen.“
Silver begann ebenfalls zu überlegen, stimmte Franky aber zu. Außerdem kam ihm die Idee in den Sinn, das alte Wolfsgehege vor seiner Reise ein zweites Mal zu überprüfen. Um sicherzustellen, dass er keine Spuren übersehen hatte.
Gesagt, getan. Die beiden trödelten nicht mehr herum, sondern machten sich direkt auf den Weg. Vor der Außentür des Reptilienhauses bat Franky Silver erneut zu warten, was den Wolf dieses Mal stutziger werden ließ.
„Warte kurz, bin gleich wieder da. Nicht bewegen, okay?“, waren seine Worte, bevor er den Weg zurücklief. Den Wolf ließ er dort stehen, ohne auf seine Reaktion zu warten. Zumindest hatte der Kater ihn nicht wieder ausgesperrt wie beim letzten Mal, doch so langsam kam Silver das Verhalten eigenartig vor. >>Franky, erst sperrst du mich aus, gehst irgendwo hin und den Zoo willst du auch nicht verlassen. Aber trotzdem hilfst du mir. Was verbirgst du?<<
Neugierige Gedanken durchströmten den Rüden, mitsamt der Ahnung, dass etwas faul war. Also versuchte er dem Kater so leise wie nur möglich zu folgen. Die frische Duftspur von Franky führte ihn zu einer unbekannten Tür, die zu Silvers Unglück natürlich verschlossen war. Sie zu öffnen, würde eindeutig zu auffällig sein. Also musste er wohl oder übel einen anderen Moment abwarten, um einen prüfenden Blick hineinzuwerfen. Silver jedoch, konnte seine Neugier nicht abschalten und hielt das rechte Ohr an die Tür, in der Hoffnung etwas zu erfahren. Tatsächlich konnte er ein leises Poltern wahrnehmen. Dann hörte er Schritte, wahrscheinlich die von Franky. Mit klopfendem Herzen beschloss der Wolf, sich von der Tür zu entfernen. Der Kater durfte auf gar keinen Fall Verdacht schöpfen, dass Silver ihn bespitzelte. Zügig, aber leise, flitzte er zurück.
Noch nicht mal am Ende des Reptilienhauses angekommen, kam auch schon Franky auf ihn zugerannt.
„Hey, mein Freund, ich sagte doch, du sollst dort hinten auf mich warten!“, meckerte er den Wolf spielerisch an, doch Silver erkannte auch Ernstheit in seiner Stimme.
>>Ja, und trotzdem möchte ich gerne wissen, was du geheimhälst, wenn du mich schon 'deinen Freund' nennst<<, dachte Silver, bevor er unschuldig wagte zu antworten: „Ach, nun ja, Franky. Die ganze Warterei wurde etwas langweilig. Also dachte ich, ich schaue mir hier die Glaskästen und die Deko an“, log Silver ihn scheinheilig an und war erstaunt darüber, dass der Kater ihm sofort glaubte. Normalerweise hätte der Rüde seinem kleinen Freund nochmals die Frage gestellt, was dieser so lange gemacht hatte. Aber Franky würde ja doch nur ausweichen und das Thema wechseln.
Also lief er, zusammen mit ihm, los und verließ das Gebäude. Ihre Schritte führten sie rasch zurück zum Wolfsgehege. Gleichzeitig hielten sie die Augen nach potenzieller Beute offen, wovon sie wahrscheinlich eher wenig finden würden. Enttäuscht seufzte Silver, als er am Wolfsgehege stehen blieb.
„Ich weiß nicht, aber bist du sicher, es gibt hier überhaupt noch Beutetiere?“, wollte er ernsthaft wissen. Der Kater zuckte mit den Schultern.
„Ja, ich gebe zu, man muss hier einfach Glück haben, um etwas zu finden.“
Silver glaubte ihm sofort. Es würde auch erklären, warum Franky nur Mäuse gefangen hatte. Aber man sollte es nicht so eng sehen, denn vielleicht war er als Zootier einfach zu wählerisch. Schließlich war er vom Zooleben anderes gewohnt, so wie der Kater wahrscheinlich auch.
„Man muss einfach positiv bleiben. Irgendwann findet man schon was. Man könnte natürlich auch versuchen, Beute anzulocken“, schlug Franky vor.
„Ah, ja. Und wie?“, wollte er von seinem Freund wissen, da Silver noch immer nicht überzeugt davon war, dass sie überhaupt etwas finden würden.
„Es wird gemunkelt, dass etwas Positives, auch positive Dinge anlocken wird. Also, mein Freund. Was brauchen wir?“
Silver war sich nicht sicher, welche Antwort sein Freund hören wollte. Was genau wollte Franky jetzt von ihm wissen?
„Na, einen guten Witz natürlich! Ich meine, wer liebt keine Witze?“, stieß der Kater albern hervor. Silver seufzte. Für einen Augenblick dachte der Wolf tatsächlich, Franky würde eine grandiose Idee haben. Aber augenscheinlich hatte er zu viel von dem seltsamen Kraut in sich aufgenommen, was auch seine gute Laune erklären würde.
„Uff, also gut. Dann schieß mal los“, gab Silver schließlich nach, obwohl er kein Fan von Witzen war. Schon gar nicht in der jetzigen Situation.
Stolz stellte sich Franky aufrecht und schien nachzudenken. Dann miaute er: „Also, mein Freund. Warum hat der Infizierte den Büchereifachverkäufer gefressen?“
Silver schwieg.
„Weil er nach Gehirnnahrung suchte, aber in der Bücherei war nur geistige Kost!“, grölte der Kater herum und konnte es sich nicht verkneifen, daraufhin in ein Gelächter auszubrechen.
„Verstehst du, Silver? Nur geistige Kost!“, wiederholte er, während er sich fast verschluckte und kaum halten konnte.
Silver hingegen stand nur stumm da.
„Eine Bücherei? Was soll das sei...“
Weiter kam er mit seiner Frage nicht, als neben ihnen, im Inneren des Wolfsgeheges, Copper an den Zaun gesprungen kam. Laut kleffend und knurrend trat er dagegen. Wahrscheinlich hätte der infizierte Wolf die beiden Freunde gerne in Stücke gerissen, aber der Zaun stand zum Glück zwischen ihnen. Dezent schockiert beruhigte sich Franky.
„Hm, ich glaube, das mit der Beute anlocken müssen wir wohl noch etwas üben, Franky“, stellte Silver fest und der Kater stimmte ihm mit einem Murren zu. Dann ertönte ein anderes Geräusch, das die beiden aufhorchen ließ. Ein schauderhaftes Jammern, in der Nähe des Wolfsgeheges. Silver und Franky stellten alarmiert die Ohren hoch. Irgendetwas oder irgendwer war hier. Und dieser Jemand befand sich nicht innerhalb des Geheges, sondern außerhalb.
„Dort drüben!“, rief Franky schließlich und zeigte auf einen Busch, ein gutes Stück vom Steinpfad entfernt.
„Verschwindet, ihr Ungeheuer! Haut ab!“, jaulte ein brauner Wolf, der sich hysterisch im Busch zusammenkrümmte. Mit den Pfoten versuchte er sein Gesicht zu verdecken, in der Hoffnung, man könnte ihn dadurch weniger sehen. Franky rümpfte die Nase, während Silver mit großen Augen daneben stand. Offenbar erkannte der Silberne den fremden Wolf.
„Stanley? Bist du das?“, fragte Silver schließlich. Stanley wurde sofort aufmerksam. Zitternd schaute er durch die Pfoten, zu ihnen hin.
„S... Silver? Aber was?“, murmelte er.
„Ja, genau, Stanley. Meine Güte, bin ich froh, dich zu sehen. Ich dachte, ihr wärt alle fort“, antwortete Silver und näherte sich dem Wolf zur Begrüßung. Dieser wich erschrocken zurück.
„Halt! Bleib, wo du bist! Wie kann das sein? Aber nein, du bist doch tot!“
„Tot? Ich stehe quicklebendig vor dir. Ich weiß, es ist kaum zu glauben“, sagte er. Stanley ließ sich dadurch nicht beruhigen, sondern wurde skeptischer.
„Nein, das kann nicht sein. Du hast sie alle infiziert. Das kannst nicht mehr du sein“, behauptete er aufgebracht und trat noch weitere Schritte zurück. Hinter ihm endete der Busch und Stanley fühlte sich, als würde er in einer Falle feststecken. Franky trat vor.
„Ganz ruhig, Brauner. Wir wissen nicht, was du da von dir gibst, aber wie du ganz klar sehen kannst, ist Silver sicherlich nicht infiziert“, führte er Stanley vor Augen, welcher weiterhin auf seine Behauptung bestand.
„Lüge! Seinetwegen ist das ganze Rudel infiziert, auch mein Bruder Copper. Du hast ihm das angetan, Silver!“
Silver war empört über das, was er da gerade hören musste.
„Was erzählst du da? Ich bin überhaupt nicht da gewesen, wo das alles passiert ist!“
Dabei wurde der Wolf im Ton lauter, weil er nicht verstehen konnte, warum Stanley solche Behauptungen von sich gab. Franky nickte, um Silver Zuspruch zu geben.
Der braune Wolf schien sichtlich verwirrt und musterte die beiden Freunde. Scheinbar fehlten ihm die Worte und die Ungläubigkeit stand ihm noch immer ins Gesicht geschrieben.
Als Silver ihn musterte, fiel ihm eine Narbe an der linken Gesichtshälfte auf. Möglicherweise eine Bisswunde, die noch nicht besonders alt wirkte.
„Aber... Aber du wurdest abgeführt, weil du infiziert warst. Wie kannst du jetzt hier stehen?“, fragte der ängstliche Wolf, der sich vorsichtig, mit aufgestellten Nackenhaaren, aufrichtete.
„Hunter hat mich schwer verletzt, deshalb wurde ich weggebracht. Ich war niemals infiziert“, verteidigte sich Silver und auch Franky unterstützte ihn.
„Die Menschen haben sich eine Zeit lang um ihn gekümmert und wie du siehst, ist Silver wieder gesund.“
Fragend blickte Silver in die Runde.
„Stanley, was ist hier eigentlich passiert? Wo ist das Rudel? Wo sind... Alexandra und Hunter?“, wollte er wissen und konnte erkennen, dass sich Stanleys Miene verfinsterte.
„Hunter und Alexandra sind losgezogen und haben das Rudel mitgenommen. Hunter sagte, er will sie alle heilen“, erklärte Stanley schließlich. Franky und Silver blickten sich gegenseitig an. Die Fragen, die zwischen den beiden aufkeimten, konnte man ihnen ansehen. Dann erhob Franky erneut das Wort: „Heilen? Was erzählst du denn da, Brauner? Es gibt keine Heilung. Sie sind verloren. Und warum sollten sie Hunter und Alexandra folgen? Wenn sie wirklich infiziert sind, dann sind sie zu wildgewordenen Monstern geworden, die niemandem folgen würden. Vor allem frage ich mich, warum bist du dann noch hier und nicht bei deinem Rudel? Deine Geschichte, die du uns auftischst, macht keinen Sinn. Ich bin sicher, du lügst.“ Während der Kater das sagte, schritt er bedrohlich nah auf den braunen Wolf zu. Silver schob seine Pfote zwischen ihnen.
„Wir sollten ihm erst einmal genau zuhören. Vielleicht sollten wir drei zum Lager zurückgehen und uns in aller Ruhe unterhalten“, versuchte der Rüde die Situation zu beruhigen.
„Du willst ihn mit ins Lager nehmen? Auf keinen Fall, Silver. Irgendetwas stimmt hier nicht.“
Fassungslos starrte Silver ihn an.
„Er ist mein Rudelmitglied. Ich kann ihn doch nicht hier draußen lassen.“ Seine Stimme klang ernst und insgeheim hoffte er, dass Franky nicht so eine große Sache daraus machen würde. Stanley atmete laut aus und entspannte sich. Dann sagte er: „Okay, ich glaube auch, dass wir uns viel zu erzählen haben. Bestimmt wäre es wirklich eine gute Idee. Ich meine, zu eurem Lager zu gehen.“
Dabei schielte er unauffällig und kritisch zu Silver. Ein Blick, der Franky nicht entging. Der Kater traute dem fremden Wolf nicht über den Weg. Seiner Meinung nach wirkte er zu unvertrauenswürdig und er hatte Angst, dass Stanley vielleicht auf komische Gedanken kommen würde. Auch er als Katze musste aufpassen, dass er nicht als Beutetier betrachtet werden würde. Apropos Beute. Sofort fiel ihm ein, dass ihre Jagd noch nicht besonders erfolgreich gewesen ist.
Franky knickte schließlich ein und erlaubte Stanley, mit ihnen zu kommen. Bevor sie jedoch zurückkehrten, versuchten sie erneut etwas Essbares zu finden. Mit zwei hungrigen Wölfen in einem Raum. Bei dem Gedanken schauderte es Franky. Aber glücklicherweise fanden sie tatsächlich ein paar kleine Beutetiere, die sie mitnehmen konnten.
Als Silver den Kopf nach oben hob, fiel ihm auf, wie sich die Wolken inzwischen zusammenzogen. Der Himmel nahm eine dunkle Farbe an. Frankys Wetterprognose bewahrheitete sich, denn kurz darauf spürte Silver ein paar Regentropfen auf seiner Nase. Es würde gleich ordentlich nass werden, wenn sie sich nicht beeilen. Franky schaute flüchtig über die Schulter nach hinten zu dem braunen Wolf, der ein gutes Stück hinter Silver und ihm herstolperte. Bei jedem Schritt, den er tat, zappelte er nervös von einer Seite zur anderen. Der Kater blieb stehen und legte die tote Krähe ab.
„Bist du sicher, dass das eine gute Idee ist? Er wirkt ziemlich instabil“, flüsterte Franky ihm zu. Silver schien die Frage und die ehrliche Aussage des Katers nicht zu gefallen, aber er sprach es nicht laut aus. Kurz stoppte auch er.
„Wer weiß, was er alles erlebt hat. Gib ihm doch erstmal eine Chance, sich zu erklären. Und wie ich schon sagte, er ist mein Rudelmitglied. Ich glaube, ich kenne ihn etwas besser als du“, flüsterte Silver zurück und funkelte Franky warnend an.
Danach stapfte er weiter. Franky erwiderte nichts, sondern schnappte sich wortlos seine Beute und lief Silver hinterher.
Heimlich schüttelte der Kater mit dem Kopf. Silver wirkte in diesem Augenblick auf ihn wie ein Sturkopf.
Der Regen platschte mittlerweile hinunter, weshalb die kleine Gruppe nicht trocken am tropischen Vogelhaus ankam. Silver stolzierte hinein, als Franky die Tür öffnete. Stanley stand bibbernd davor, unsicher, ob er das Haus wirklich betreten sollte.
„Komm schon. Hier drinnen ist es bequemer oder willst du im Regen stehen bleiben?“, fragte Silver scherzhaft, um seinen Rudelgefährten zu ermutigen. Es funktionierte. Dankbar nickend, aber zitternd, bewegte sich Stanley durch die Tür. Franky, der darauf wartete, sie wieder zu schließen, rollte mit den Augen, als der ängstliche Wolf ihn streifte.
Türschließend übernahm der Kater die Führung und lief voran, um einen passenden Platz zu suchen.
Zwischen ein paar Strohballen rief er die beiden Wölfe zu sich.
„Hier her!“
Stanley und Silver kamen sofort angetrottet und legten die Beute ab. Der fragende Gesichtsausdruck, den Silver auflegte, sagte alles, bevor der Kater hinzufügte: „Oh, sieh mich nicht so an, Silver. Ich weiß, was du sagen möchtest. Es ist nur zur Sicherheit, also bleiben wir erstmal hier. Alles klar?“
Silver schnaubte.
„Also gut, wenn du meinst“, gab er nach und setzte sich gemütlich auf ein paar Strohfasern. Stanley tat das ebenfalls und kaute verfressen auf einem Eichhörnchen herum. Auch Silver gönnte sich einen großen Happen. Franky jedoch schien keinen allzu großen Hunger zu haben, merkbar an seinem langsamen Gekaue. Der Kater hoffte darauf, dass Stanley endlich anfing zu sprechen, aber offenbar war dieser viel zu vertieft in seiner Mahlzeit. Es wirkte, als hätte er eine lange Zeit Hunger gelitten.
„Also, Stanley. Am besten fangen wir nochmal von vorne an“, begann Silver das Gespräch vorsichtig.
Stanley hob aufmerksam den Kopf. Die Geräuschkulisse des Fressens änderte er allerdings nicht.
„Es ist, wie ich gesagt habe. Alle im Rudel sind infiziert, außer Alexandra und Hunter. Und ich“, sagte er knapp und wandte sich wieder dem Fressen zu. Franky seufzte genervt, weil er sich mehr Erklärung erhofft hatte.
„Aber wie konnte das passieren?“, versuchte Silver aus dem braunen Wolf hervorzuholen. Dieser zuckte mit den Schultern.
„Ich weiß nicht. Hunter sagte, du warst es. Aber wenn du jetzt hier und gesund bist, habe ich keine Ahnung“, war die nächste Antwort. Der silberne Wolf seufzte ebenfalls.
„Und Copper, dein Bruder? Er hat mich angegriffen.“
Stanleys Blick wurde trüb und traurig. Dieses Mal schien er aufmerksamer zu werden.
„Copper wurde plötzlich krank und schwach. Da hat Hunter gesagt, ich soll hier bleiben und mich um ihn kümmern, bis er wieder zurückkommt“, sagte er knapp. Verunsichert knetete er auf dem Boden herum.
„Und weiter?“, fragte Franky, hoffend darauf, dass Stanley nützlichere Aussagen treffen würde.
„Dann verwandelte er sich. Genau wie alle anderen“, schniefte der Wolf, während er die letzten Bissen seiner Beute in sich hineinstopfte. Silver Blick wurde traurig, als er realisierte, wie schlimm das Ganze für Stanley sein musste. Die beiden Brüder waren in früheren Zeiten unzertrennlich, wie Pech und Schwefel. Außerdem konnte man sie schwer voneinander unterscheiden, wenn man sie nicht so gut kannte. Einer war das perfekte Spiegelbild des anderen.
„Oh Mann, das tut mir alles so leid. Aber vielleicht gibt es noch Hoffnung“, versuchte der silberne Wolf ihn zu trösten. Seine Gedanken kreisten zurück zu Hunter, der laut der Aussage von Stanley nach einem Heilmittel suchte. Gab es wirklich eine Heilung?
Hatte Hunter etwas herausgefunden, wovon Franky und er noch nichts wussten?
Ein gespieltes Husten riss ihn aus seinen Gedanken.
„Ihr zwei. Ich glaube, ich gebe euch einen Augenblick Zeit, damit ihr euch sammeln könnt“, miaute Franky und schnappte sich einen der größeren Beutevögel, an den noch nicht gekaut wurde. Dann stand er auf und wollte gerade mitsamt der Beute verschwinden, als Silver ihn aufhielt.
„Hey, wo willst du denn hin?“, wollte er wissen. Franky, der den Bussard in seinem Maul hielt, nuschelte: „Ich muss nur mal kurz für kleine Kater, bin gleich wieder da.“
„Mit dem Vogel?“, befragte der Rüde ihn skeptisch. Auch Stanley schien verwirrt.
„Das ist doch unser aller Beute“, behauptete der braune Wolf und sah ihn genauso an, wie Silver es gerade tat. Franky verengte die Augen.
>>Ja, Stanley, du hast diesen Vogel zwar getragen, aber ich habe ihn gefangen<<, dachte der Kater kritisch. Mit zusammengekniffenen Augen beäugte er die Wölfe weiterhin.
„Genau. Stanley hat schließlich geholfen, ihn zu tragen. Wir sollten ihn uns teilen“, stimmte der Rüde mit ein, was Franky fast schon zur Aufregung trieb.
„Na schön“, sagte der Kater schroff und schmiss den Vogel wieder dorthin, wo er ihn aufgehoben hat. Seine Pfoten rissen daran herum, um sich ein Stück abzutrennen.
„Aber das hier. Das ist mein Stück. Pfoten weg, klar?“, warnte er die Wölfe, die nicht schlecht staunten über Frankys Reaktion. Wortlos schluckten sie die letzten Stücke hinunter.
„Ach, das war wirklich gut. Ich bin proppevoll“, versuchte Silver die Stimmung wieder zu normalisieren. Franky schnaubte.
„Wunderbar, mein Freund. Dann können wir jetzt ins Lager rübergehen, oder? Ich muss immer noch dringend pinkeln.“
Silver nickte und erhob sich. Als Stanley sie begleiten wollte, hielt Franky ihn auf.
„Tut mir leid, Brauner. Heute noch nicht. Du bleibst erstmal hier“, sagte er streng. Schockiert schaute Stanley auf ihn herab. Silver stellte sich neben den Rüden.
„Was redest du da, Franky? Natürlich kann er mitkom...“, wollte er aussprechen, aber der Kater schnitt ihm das Wort ab.
„Nein, Silver. Wir müssen uns erst einmal unterhalten. Unter vier Augen. Er wird es schon überleben. Es ist sicher hier.“
Danach nahm der Kater sein Stück Fleisch und stolzierte davon. Enttäuschung lag in Silvers Blick. Warum verhielt sich Franky plötzlich so eigenartig? Ihm hatte der Kater ja auch geholfen. Warum machte er bei Stanley so eine große Sache daraus?
Schuldbewusst legte er die Ohren an.
„Entschuldige, Stanley. Dann musst du wohl eine Nacht alleine hier bleiben. Schaffst du das?“, wollte Silver wissen, weil er wusste, dass es jetzt nicht vorteilhaft wäre, sich mit Franky zu zerstreiten. In diesen Zeiten mussten sie zusammenhalten. Der Silberwolf war sich sicher, dass sich Franky und Stanley aneinander gewöhnen könnten, wenn sie sich nur gegenseitig eine Chance geben würden. Lange in diesem Zoo zu bleiben, das hatte Silver ohnehin nicht geplant. Es wäre sicher auch eine gute Idee, wenn Stanley ihn bei seiner Suche begleiten würde. Dann wäre Silver auch nicht ganz so alleine dort draußen.
„Schon ok. Ich komme klar“, antwortete der braune Wolf. Freundlichkeit lag in seinem Blick, als würde er die Entscheidung des Katers ohne Murren akzeptieren. Somit verabschiedete sich Silver fürs Erste von ihm und folgte Franky, der schon einen weitaus größeren Vorsprung hatte. Ein leichter Funken schlechten Gewissens begleitete den silbernen Wolf allerdings weiterhin.
Franky und Silver schritten still durch den Brückengang. Keiner von ihnen sagte etwas. Zwischen den beiden herrschte ein fühlbar negatives Knistern, obwohl Silver seinen Katerfreund ganz anders kennengelernt hatte. Was war plötzlich los mit ihm? Sein Verhalten kam ihm immer eigenartiger vor. Vielleicht sollte Silver auf der Hut sein, was das Vertrauen zu ihm angeht. Aber was könnte Franky schon verbergen oder vorhaben, was dem Wolf schaden könnte? War der Kater vielleicht einfach nur übervorsichtig?
Als sie durch die Tür ins Reptilienhaus wanderten, verriegelte Franky sie mithilfe einer Kommode, wie er es sonst auch tat. Silver beobachtete ihn zuerst stumm, dann brach er die Stille.
„Denkst du nicht, dass das ein wenig übertrieben ist?“
Franky drehte sich um.
„Übertrieben? Ich bin nur vorsichtig, Silver. Das solltest du auch besser sein“, antwortete er.
„Aber, Franky. Stanley würde keiner Fliege etwas zuleide tun. Hast du Angst verspeist zu werden?“, seufzte der Wolf, dem auffiel, dass sich der Kater nicht umstimmen lassen würde.
Franky tapste mit einer Pfote vor, bereit, sein Stück Fleisch zu nehmen und weiterzugehen.
„Die Zeiten haben sich geändert. Und es kann sein, dass sich all jene, die du kennst, ebenfalls geändert haben. Wenn es ums Überleben geht, dann zeigt sich erst der wahre Charakter“, miaute er kühl, hob das Fleisch auf und stapfte weiter. Silver trottete hinter ihm her, unwissend, was er sagen sollte.
Irgendwann blieb Franky stehen und sagte: „Geh schon mal vor, ich komme gleich nach.“ Verwirrt blickte Silver ihn an.
„Wohin willst du nun schon wieder?“, wollte er wissen. Der Wolf war sich sicher, wo Franky hinwollte. Aber würde der Kater ihm endlich sagen, was er dort im Geheimen trieb? Wahrscheinlich eher nicht.
„Pinkeln. Ich muss immer noch“, antwortete sein Freund, schon sichtlich genervt.
„Also gut. Dann viel Spaß“, sagte Silver stumpf und schritt davon. Franky blickte ihm nach. Möglicherweise hatte der Kater noch mehr Fragen erwartet, aber Silver würde schon von selber herausfinden, was mit ihm nicht stimmte. Davon war er überzeugt.