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Die beiden Drachenreiter Caja und Sy haben alles aufgegeben, um die Drachen und ihr Reich zu retten. Nun muss Caja zu ihrem alten Leben als Prinzessin zurückkehren und eine Zwangsehe mit König Illian eingehen. Doch dieser hütet ein tödliches Geheimnis. Während Caja am Hof von Illian alles dafür tut, ihre Freiheit nicht zu verlieren, macht sich Sy auf den Weg, Caja zu den Drachenreitern zurückzuholen. Nur so kann es für ihre gemeinsame Zukunft eine Chance geben. Ein scheinbar unmögliches Vorhaben, das sämtliche Regeln der Drachenwelt erschüttert. Band 1: Bound by Flames Band 2: Freed by Fire
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Veröffentlichungsjahr: 2025
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© Piper Verlag GmbH, München 2025
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Redaktion: Michaela Retetzki
Karte: Liane Mars
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Cover & Impressum
Widmung
Karte
Kapitel 1
Caja
Kapitel 2
Sy
Kapitel 3
Caja
Kapitel 4
Sy
Kapitel 5
Caja
Sy
Kapitel 6
Caja
Sy
Kapitel 7
Caja
Kapitel 8
Sy
Caja
Kapitel 9
Sy
Kapitel 10
Caja
Sy
Kapitel 11
Caja
Kapitel 12
Caja
Kapitel 13
Sy
Kapitel 14
Caja
Kapitel 15
Caja
Sy
Kapitel 16
Caja
Kapitel 17
Caja
Sy
Kapitel 18
Caja
Sy
Kapitel 19
Caja
Kapitel 20
Caja
Kapitel 21
Caja
Kapitel 22
Sy
Caja
Kapitel 23
Caja
Kapitel 24
Caja
Kapitel 25
Sy
Caja
Kapitel 26
Caja
Kapitel 27
Caja
Sy
Kapitel 28
Caja
Sy
Epilog
Caja
Glossar
Personenverzeichnis
Die fünf Arten der Untiereund ihre Unterschiede
Die wichtigsten Länder und ihre Herrscher
Die Geschichte der Drachenreiter
Die Gruppen der Drachenreiter
Die Runen
Danksagung
Inhaltsübersicht
Cover
Textanfang
Impressum
Für Renate
Du bleibst immer in unseren Herzen!
Seit drei Tagen saßen wir jetzt schon in einem finsteren Gang und überlegten, wie wir es bis zum Ausgang der Herzhöhle schaffen könnten. Aufgrund des Überfalls der Dubhar auf die Quelle waren die wilden Drachen in heller Aufregung und beobachteten jede Bewegung bis ins Kleinste. Keine Maus entkam ihren Blicken, kein noch so winziger Vogel blieb unentdeckt.
Sie wussten, dass wir uns nach dem Verlust unseres Dreiklangs mit Eleni in einen schmalen Gang zurückgezogen hatten, der direkt von der riesigen Herzhöhle abging.
Sie wussten leider auch, dass wir es gewesen waren, die die Dubhar zu ihnen gebracht hatten. Dass wir keine Wahl gehabt hatten, interessierte sie natürlich nicht. Das Quellwasser und die wilden Drachen hatten kurzen Prozess mit unseren Feinden gemacht, sodass sie sich zurückgezogen hatten. Leider mussten wir trotzdem einen hohen Preis zahlen.
Eleni, Sy und ich waren verwundet worden. Ich als schwächstes Glied hätte das vermutlich nicht überlebt. Der Dreiklang oder ich – das war die große Frage gewesen. Eleni hatte sich zum Glück gegen das Aussaugen meiner gesamten Energie entschieden und stattdessen den Schluck aus der Quelle gewählt. Das hatte sie geheilt, allerdings auch unseren Dreiklang zerstört.
Jetzt war sie weg. Fortgeflogen. Wild und frei. Seitdem saßen wir in der dunklen Höhle fest, umgeben von wilden Drachen, die wirklich schlecht auf uns zu sprechen waren. Ständig tauchte eine Drachenschnauze vorm Eingang auf, und so manches Mal wären wir von einem Feuerstoß beinahe gegrillt worden. Zum Glück reichte der Stollen recht weit in den Berg hinein, außerdem lagen reichlich Gesteinsbrocken im Weg, sodass sie die Flammen meistens stoppten, sobald wir uns dahinter zusammenkauerten. Dank einiger kleinerer und größerer Luftlöcher waren wir auch nicht erstickt, selbst wenn es einmal knapp gewesen war. Ich hustete noch immer Rauch und schmeckte verbrannte Asche am Gaumen.
»Da ist wieder einer«, flüsterte ich ängstlich, als ich den Schatten in etwa dreißig Schritt Entfernung von uns bemerkte. Eindeutig ein Drache, der genervt am Höhleneingang herumkratzte, um den Eingang zu erweitern. Bislang hatten sie mit dieser Taktik keinen Erfolg gehabt, doch das war bloß eine Frage der Zeit.
Wir mussten hier weg, wenn wir nicht gegrillt oder gefressen werden wollten. Womöglich verhungerten wir auch vorher. Das Tropfwasser von der Decke durchnässte uns, hielt uns aber zumindest vom Verdursten ab. Ein kleiner Lichtblick.
Ich rüttelte an Sy, der sich seit gut einem Tag nur noch im Schneckentempo bewegen konnte. Die Kälte hatte sich genauso in seinen Knochen festgesetzt wie in meinen, allerdings kämpfte er zusätzlich mit seiner Magie. Die Auflösung unseres Dreiklangs hatte ich relativ gut weggesteckt, immerhin war ich erst seit rund einem Monat integriert gewesen. Sy hingegen hatte sich komplett an Elenis Magie gewöhnt. Entsprechend schwer fiel es ihm nun, ohne sie zu leben.
»Sy!«, sagte ich eindringlich zu ihm und rüttelte vehementer an seiner Schulter. Er lag zusammengerollt halb auf meinem Schoß, die Hände unter die Achseln geklemmt, den Oberkörper gekrümmt, während ich an dem Felsbrocken lehnte, der uns vorm letzten Abfackeln bewahrt hatte. »Wir müssen uns durch den Spalt quetschen. Anders geht es nicht.«
Sy brummte als Antwort. Anscheinend schlief er tief und fest, war mehr im Delirium als wach. Verdammt! Nervös legte ich einen Finger an seinen Hals und suchte nach Lebenszeichen. Klamme Haut, rasender Herzschlag, niedriger Puls. Das sah übel aus.
Wir mussten hier weg. Nur wie?
Nicht zum ersten Mal beäugte ich den schmalen Spalt am Ende unserer kleinen Höhle. Ich hatte mich schon mehrmals hindurchgezwängt und war einige Hundert Schritt in völliger Finsternis herumgekrochen, bis es mir zu unheimlich geworden war. Normalerweise hätte ich mir mit einer Magiekugel bessere Sicht verschaffen können, aber das traute ich mich in dieser Umgebung nicht. Hinter den Wänden grummelte es, was entweder auf sich dort aufhaltende Drachen oder auf Wyrm hindeutete. Keine Variante gefiel mir, weshalb ich mit auffälligem Magieeinsatz vorsichtig war.
Ich war jedes Mal umgedreht, zumal mir Sy auch nicht hatte folgen können. Er schlief die meiste Zeit, und in den kurzen wachen Phasen hatte er sich nicht durch den Spalt quetschen können. Er war zu schmal für seine breiten Schultern.
Zeit, das zu ändern.
Ich wartete mit angehaltenem Atem, bis sich der Drache vor dem Höhleneingang wieder verzogen hatte, dann schob ich Sy von meinem Schoß und kroch zum Spalt hinüber. Mit dem Po stützte ich mich ab und lehnte mich nach hinten, sodass ich beide Beine frei hatte. Einmal, zweimal, dreimal trat ich, so fest ich konnte, gegen den Rand des Gesteins. Es bröckelte, doch wirklich große Steinblöcke fielen nicht ab. Stattdessen grollte es lauter von der anderen Seite. Vielleicht sollte ich besser Magie einsetzen? Vermutlich war das genauso auffällig wie stundenlang mit den Füßen gegen den Stein zu treten.
Ich mühte mich fünf Minuten ab, bis mich die Zweifel an meinem Tun erneut stoppen ließen. Das brachte nichts. Außerdem war weiterhin unklar, ob auf der anderen Seite ein Ausgang existierte. Wobei der Luftzug durchaus Erfolg verheißend war.
»Ich bin gleich zurück«, flüsterte ich Sy zu, der meine Worte vermutlich kaum wahrnahm. Ein letztes Mal strich ich ihm über die angespannten Gesichtszüge, dann sammelte ich meinen Mut und quetschte mich durch den Spalt.
Totale Finsternis empfing mich.
Der Gang war so niedrig, dass ich nicht mal richtig krabbeln konnte. Nachdem ich mir zum dritten Mal den Kopf angestoßen hatte, kroch ich auf dem Bauch voran und tastete dabei den Bereich vor mir ab, um den Weg abschätzen zu können. Steinchen pikten mich überall, rissen meine Kleidung auf und sorgten für Schürfwunden. Mehrmals hintereinander schlug ich mir schmerzhaft die Knie, den Kopf und die Ellbogen an.
Ich kam an die Stelle, an der mich das letzte Mal der Mut verlassen hatte. Die Luft war ab hier recht stickig, außerdem setzte mir die Angst zu, dass ich den gleichen Weg rückwärts wieder zurückmusste. Es sei denn, ich fand einen Ausgang.
Entschloss zog ich mich weiter. Vorwärts, Caja! Es gibt keine andere Möglichkeit. Vorwärts!
Nach einiger Zeit dröhnte mir mein eigener Herzschlag so laut in den Ohren, dass mich das zusätzlich nervös machte. Das Gefühl, lebendig begraben zu sein, wurde beinahe unerträglich, trotzdem gab ich nicht auf. Wir mussten leben, um eine immens wichtige Botschaft übermitteln zu können.
Die Dubhar wurden tatsächlich gelenkt, und König Illian von Banain war darin verwickelt. Er hütete Geheimnisse, die der ganzen Welt schaden konnten und die Drachennation womöglich in große Gefahr brachte. Außerdem kannten wir endlich den Ursprung der Dubhar: Es waren ungebundene, wilde Drachen, die im Angesicht des Todes von den magischen Kräften der Untiere eingesogen und in die schwarze Wolke gezwungen wurden. Schaffte es ein von einem Dubhar verwundeter Drache nicht rechtzeitig vor seinem Tod in das magische Quellwasser, verwandelte er sich selbst in einen Dubhar. Da sie somit von den Drachen abstammten, lag der Verdacht nahe, dass sie von zwei Reitern gelenkt wurden. Wir mussten herausfinden, wer das war!
All das war Wissen, das ich auf keinen Fall mit ins Grab nehmen durfte. Mal ganz davon abgesehen, dass ich nicht vorhatte, hier in diesem schwarzen Tunnel zu sterben.
Also weiter!
Ächzend wälzte ich mich voran. Gefühlt stundenlang, vermutlich aber nicht mal dreißig Minuten. Ich verlor jegliches Zeitgefühl, aber zum Glück auch meine Panik. Eher mechanisch und schicksalsergeben ließ ich Meter um Meter hinter mir. Mittlerweile war ich an dem Punkt angekommen, an dem an eine Umkehr ohnehin nicht mehr zu denken war.
Endlich sah ich einen winzigen Funken Licht, woraufhin ich meinen Blick daran festheftete und mich nun mit neuem Elan voranzog. Die Kälte des Steins sorgte dafür, dass ich meine Finger und Füße kaum noch spürte. Wenigstens fror ich dank der Anstrengung nicht mehr so grässlich, stattdessen brannten sämtliche Muskeln im Körper.
Die Belohnung für meine Mühen lag aber direkt vor mir, denn das Licht wurde größer. Ein Spalt, der nach draußen führte. Ich hatte recht gehabt. Ab sofort betete ich im Stillen zu allen mir bekannten Göttern, dass es sich dabei nicht nur um einen schmalen Schlitz handelte, sondern um einen echten Ausgang.
Der Lichtstrahl, der mich blinzeln ließ, war jedenfalls vielversprechend. Weil er mich derart blendete, musste ich die Augen zusammenkneifen und mich erst mal an die Helligkeit gewöhnen. Es wurde auch merklich wärmer. Von der Sonne aufgewärmte Luft umschmeichelte mich, und ich gönnte mir einen kurzen Moment, um sie einzuatmen, ersetzte die abgestandene, leicht vermoderte Höhlenluft durch den Geruch von Freiheit.
Also weiter!
Mit letzter Kraft kam ich am Spalt an und drängte die immer größer werdende Angst nieder, er könnte zu klein sein, um mich hindurchzuzwängen. Tatsächlich war er ernüchternd winzig, sodass ich beim Hinausspähen nur einen schmalen Streifen blauen Himmels erkannte.
Ruhig, beschwor ich mich. Nicht durchdrehen, bevor du Gewissheit hast.
Meine Finger zitterten schrecklich, als ich den Stein direkt vor mir abtastete. Der Spalt war wirklich kaum größer als meine halbe Gesichtshälfte. Unmöglich, da hindurchzukommen. Anders als bei dem Spalt in der Höhle war der Fels hier aber rissig und bröckelig.
Testweise hieb ich gegen die Ränder und vergrößerte den Spalt in Hoffnung gebender Geschwindigkeit. Die meisten größeren Brocken stieß ich nach draußen, kleinere purzelten mir direkt ins Gesicht. Hustend und fluchend machte ich weiter. Zwischendurch schlug ich frustriert gegen den Stein, doch das brachte mir lediglich wunde Hände ein. Schon bald war mein Arbeitsbereich glitschig von meinem Blut. Immerhin konnte ich nun auch einen Arm durchzwängen und mich mit der Schulter dagegenlehnen. Das wirkte tatsächlich. Immer größere Brocken brach ich auf diese Weise ab, bis ich den Kopf weit genug hinausstrecken konnte, um mich zu orientieren.
Verdammt! Da ging es richtig steil nach unten! Ich befand mich auf einer Art Klippe. Kein Wunder, da die Herzhöhle der wilden Drachen ein Teil der Gebirgskette war. Die Frage war, ob ich mich auf dem stark abfallenden Bereich halten konnte oder direkt abstürzen würde, sobald ich hier raus war.
Ich beschloss, mir später Gedanken darüber zu machen. Erst mal musste ich entkommen. Als ich mich jetzt gegen den Ausgang warf, gab der Rest des Felsens tatsächlich nach. Um ein Haar wäre ich kopfüber nach draußen gefallen. In letzter Sekunde bekam ich den Rand zu fassen und stabilisierte mich, während ich den Steinen dabei zusah, wie sie polternd in die Tiefe stürzten.
Das wäre beinahe ich gewesen.
Schwer atmend zog ich mich wieder in die Sicherheit des Ganges zurück und beugte mich von da ausgehend vorsichtig Zentimeter für Zentimeter nach draußen, um mich umzusehen. Felsen. Steil, aber möglicherweise begehbar, solang ich behutsam vorging. Bloß wo führte der Hang hin? Wurde es danach ebener? Oder war ich so gut wie tot, wenn ich mich aus diesem Gang hinauswuchtete und loskletterte?
So oder so blieb mir keine Wahl. Ich sammelte gut eine halbe Stunde meine Kräfte und kühlte dermaßen aus, dass ich es schließlich wagte. Diesmal zog ich mich umsichtiger aus dem Schlitz und atmete erleichtert auf, als sich der Hang als nicht so steil herausstellte, wie ich es von außen betrachtet angenommen hatte. Ganz vorsichtig zog ich mich an eine sicher wirkende Stelle.
Ich befand mich tatsächlich auf einer Anhöhe. Nach Norden hin fiel sie steil ab und endete in einer Schlucht. Zu meiner Linken war der Berg sanft abfallender. Er führte in einem weiten Bogen bis zum Eingang der Herzhöhle. Wenn ich den Hals reckte, konnte ich von dort aus auch Drachen ein und aus fliegen sehen. Zum Glück verdeckte mich ein Vorsprung vor den suchenden Blicken der Untiere. Sobald sie mich hier sahen, würden sie sofort angreifen.
Unter mir befand sich der Drachensee, umfasst von Sand und Gestein. Eine Schlucht nach der anderen führte davon ab. Die meisten endeten auf der Anhöhe der Drachennation, wo ich die Zitadelle und den Höhlenbereich Skan Skar in der Ferne vermutete. Momentan lagen zu viele Felsen und Hügel dazwischen, als dass ich sie wirklich sehen konnte.
Verdammt. Das würde ein langer Weg über die Bergkette werden. Zu Fuß vermutlich eine Ewigkeit. Vor allem, wenn sich Sys Zustand weiter verschlechterte.
Sy! Der Gedanke an ihn sorgte dafür, dass ich mich deutlich genauer umsah und einen machbaren Weg nach unten zum Fluss suchte. Ohne ein Kletterseil würde es schwierig, vielleicht sogar unmöglich werden, ganz unabhängig davon, dass ich keine Ahnung hatte, wie ich den großen Mann durch die viel zu schmale Öffnung zwängen sollte. Der Tunnel war selbst für mich eine Herausforderung. Immerhin wussten wir jetzt, dass er wirklich nach draußen führte und die ersehnte Rettung war.
Hoffte ich zumindest.
Ein wilder Drache flog etwas zu nah über mich hinweg. Rasch presste ich mich an einen Felsen und verschmolz mit dem Schatten. Zeit, umzukehren. Beim Gedanken an den gruseligen Weg schauderte ich, doch Sy zurückzulassen, war keine Option. Wir mussten den Eingang verbreitern, dann passte er bestimmt durch den Rest hindurch. Oder?
Ich seufzte und wollte zum Spalt zurück, als ich eine Bewegung aus den Augenwinkeln bemerkte. Ein weiterer Drache, nur irritierte mich seine Art, zu fliegen. Zu langsam. Zu wenig vorwärtsstrebend. Als suchte er etwas.
Oder jemanden.
Hastig schob ich mich wieder in den Schatten des Felsens zurück und hielt die Luft an, während ich das Untier oben am Himmel beobachtete. Tatsächlich flog es sehr langsam und drehte ständig Kreise. Flog weiter. Eine neue Drehung. Mal ging es etwas höher, dann tiefer.
Der Drache durchkämmte die Gegend!
Als ich zwei Reiter auf seinem Rücken entdeckte, hielt mich nichts mehr an meinem Platz. Ungeachtet der Gefahr sprang ich auf, winkte und schrie, so laut ich es vermochte. Bis hoch zu ihnen war es bestimmt nicht zu hören, aber irgendetwas musste ich tun.
Drachenreiter, die im Territorium der wilden Drachen die Gegend absuchten, konnten nur eins bedeuten: Sie versuchten, uns zu finden! Aus der Entfernung kam mir das Untier eher unbekannt vor, nur hieß das nicht viel. Eigentlich war mir allein Sys Schar wirklich vertraut. Alle anderen hatte ich höchstens kurz gesehen, geschweige denn, dass ich sie hätte zuordnen können. Dafür lebten wir zu sehr in isolierten Einheiten.
Wir.
Der Stich tat erstaunlich weh, denn dieses eine Wort erinnerte mich an mein schreckliches Gespräch mit Sy. Er hatte klargemacht, dass es mit ihm keinen neuen Dreiklang geben würde. Kein Wir. Er war zu stark, um mit ihm langfristig ein funktionierendes Gleichgewicht einzugehen, wobei ich mir sicher war, dass uns das durch seine neu erschaffene Rune Taglach durchaus hätte gelingen können. Ohne Drache war es allerdings müßig, überhaupt darüber nachzudenken.
Kein Drache. Kein Drachenreiter. Kein Dreiklang.
Sy wünschte sich verzweifelt, dass ich Chancen auf ein langes Leben hatte. Drachenreiter starben jung – und solch ein Schicksal wollte er mir ersparen. Nur dass ich niemand mehr war, der vor seiner Bestimmung davonrannte.
Ich war als Prinzessin geboren worden und aus Angst zu den Drachenreitern geflohen. Aus dieser Angst war meine größte Stärke geworden: Ich wusste endlich, für was ich wirklich kämpfte. Aus freien Stücken. Weil ich das so entschieden hatte und nicht, weil es mir seit meiner Kindheit von meinen Eltern eingetrichtert worden war.
Ich kämpfte für mein Land Altara. Für die Drachenreiter. Für Sy. Für meine Welt.
Ich wollte die Dubhar vernichten, indem ich ihre Geheimnisse aufdeckte. Ob als Drachenreiterin oder als normaler Mensch, das war mir dabei momentan recht egal. Bloß musste ich dafür erst mal überleben.
Ich winkte erneut und unterdrückte gerade noch den Drang, auf dem unebenen Hang auf und ab zu hüpfen. Zu meiner Enttäuschung drehte der Drache jedoch seine Kreise in entgegengesetzter Richtung und setzte sogar dazu an, von mir fortzufliegen.
Notgedrungen schoss ich einen einzigen Magiestrahl in die Luft und hoffte und betete, dass er von den wilden Drachen übersehen wurde. Falls sie kamen, konnte ich mich hoffentlich schnell genug im Spalt in Sicherheit bringen. Womöglich war das auch gar nicht nötig, denn der Drache drehte sich zu mir herum! Er hatte mich gesehen!
Jetzt winkte ich noch wilder und weinte vor Erleichterung, als er zu mir geflogen kam.
Tatsächlich dauerte es fast eine gefühlte Ewigkeit, bis der Drache einen halbwegs machbaren Platz zum Landen fand, zu dem ich auch hinklettern konnte. Die ganze Zeit hatte ich panische Angst, dass uns die wilden Drachen attackieren würden, doch die ließen uns dankenswerterweise in Ruhe. Ab und zu flogen sie über uns hinweg, um zu schauen, was wir da trieben, und sahen von Angriffen ab.
Ich stürzte beim Versuch, zu meinen Rettern zu gelangen, fast ab und kam schließlich schweißgebadet bei ihnen an. Es war ein großer, dunkelgrüner Drache mit dunkelbraunen Schlieren auf Bauch und Flügelmembranen. Ein nervöses Untier, das mich aus feurigen Augen misstrauisch musterte. Auf seinem Rücken saßen zwei Männer: ein etwas jüngerer mit rabenschwarzen, für einen Drachenreiter ungewöhnlich kurz geschorenen Haaren und ein älterer mit Glatze. Der jüngere schwang sich vom Drachenrücken und hielt sich so lange an den Schuppen fest, bis er sicher neben mir auf dem unebenen Grund stand.
»Drachenreiterin Caja?«, fragte er mich und erweckte damit mein unterschwelliges Bauchgrummeln zu neuem Leben. Erst jetzt fiel mir wieder ein, was Sy ursprünglich geplant hatte: Er wollte mich für tot erklären, sodass ich unauffällig abtauchen und recherchieren konnte. Die Prinzessin von Altara wäre mit mir gestorben, allerdings auch die Drachenreiterin. Der Plan ging nun nicht mehr auf, doch was nützte er uns in Anbetracht der Gefahr, in der Sy sich befand?
»Die bin ich«, sagte ich und unterdrückte mit großer Mühe den Drang, den mir unbekannten Mann vor Erleichterung zu umarmen. Völlig erschöpft ließ ich mich vor seinen Füßen auf den Boden sinken und hielt mich dabei an viel zu losen Steinen fest, um irgendwie Halt zu finden.
Der Drachenreiter sah sich suchend um und runzelte die Stirn. »Wo ist Sy? Wo ist euer Drache?«
»Eleni … unser Drache … das ist kompliziert. Sy ist tief im Berg gefangen und kommt da nicht raus.« Knapp fasste ich unser Problem zusammen, woraufhin der ohnehin nervöse Drache noch unruhiger wurde. Sich mit mehreren Schwärmen wilder Drachen anzulegen, endete fast immer tödlich.
Der jüngere Drachenreiter sah hoch zu dem älteren, dessen Stirnrunzeln sich vertiefte. Sie tauschten einen Blick miteinander, den ich zu enträtseln versuchte und daran scheiterte. »Er kommt nicht allein raus?«, fragte er mich im Anschluss.
»Sy ist so gut wie tot, wenn wir ihm nicht helfen. Wir sind seine einzige Option, um zu überleben.«
»Sein Drache ist zu den wilden Schwärmen zurückgekehrt? Der Dreiklang ist zerstört?«
»Ja. Eleni wird uns nicht retten können.«
Kaum hatte ich das gesagt, geschah etwas ausgesprochen Seltsames. Der Ältere nickte dem Jüngeren zu und schwang sein Bein über den Drachenrücken, um sich vorsichtig neben uns runterzuhangeln. Er war bulliger als sein Magiepartner, mindestens doppelt so breit wie ich und überragte mich um etwa einen Kopf. Sein dunkler Blick lag abschätzend auf mir, und die Art und Weise seiner Musterung missfiel mir sehr.
»Gut«, sagte er – und schlug mich brutal nieder.
Etwas stimmte nicht. Bis gerade eben hatte ich immer das Gefühl gehabt, hier irgendwie rauszukommen. Ich musste mich nur ein wenig ausruhen, dann würde ich schon einen Weg für Caja und mich finden. Jetzt allerdings schreckte ich hoch.
Ein Bild war in meinem Kopf aufgetaucht. Eine blutende Caja, ein zerbrechendes Herz, eine Hilfe suchend ausgestreckte Hand. Was zur Hölle …?
Unsanft schlug ich mir den Kopf an der viel zu niedrigen Decke an und sah für einen Moment Sternchen. Verdammt. Die Höhle. Der finstere Gang. Da war was gewesen. Bis vor Kurzem hatte Caja neben mir gesessen und auf mich eingeredet, damit ich wach blieb. War nicht so ganz gelungen, schätzte ich.
Caja!
Hektisch blickte ich mich um, entdeckte im Halbdunkel des Ganges aber nur jede Menge Steine und eine einsame Spinne, die sich bei meinen Bewegungen rasch verzog.
»Caja?«, flüsterte ich und erschrak, wie brüchig meine Stimme klang. Wie die von einem Sterbenden. Mist. Elenis Verlust hatte mir kurzzeitig den Boden unter den Füßen weggezogen, und ich hatte mich tief in mich selbst zurückziehen müssen, um das verkraften zu können. Ich spürte die Abwesenheit meines Drachen wie das düsterste Loch in meinen Gedanken. Ein Abgrund, der mich sofort einsaugen würde, sobald ich ihm zu nahe kam. Also hielt ich Abstand und zwang meinen Verstand in die Realität.
Wo war Caja, verdammt noch mal?
Auf magischer Ebene fand ich sie leider nicht mehr, was kaum überraschend war. Unser Dreiklang war zerfasert, und ich spürte ihre Magie nur dann, wenn sie sich direkt neben mir befand. Jetzt gähnte daneben ein ähnliches Loch wie das von Eleni. Cajas Fehlen in meinem Magiegefüge. Diese Leere reichte nicht wie bei meinem Drachen bis in meine tiefste Seele, aber zumindest bis zum Herzen, was ungefähr genauso aufwühlend war.
Als sich reine Panik an mich heranschlich, drängte ich sie mit aller Macht zurück und zwang mich zu einer ruhigen Atmung. Denk nach! Mein Magen grummelte leise vor sich hin. Seit mehreren Tagen hatten wir nichts zu essen gefunden. Der Geschmack in meinem Mund war unbeschreiblich. Wenigstens gab es Wasser, selbst wenn das beinahe absurd eklig schmeckte. Als würde man Asche trinken.
»Caja«, rief ich meine Freundin erneut und kam mühsam auf die Knie, dehnte vorsichtig den Rest meines Körpers, um die bleierne Schwere in den Knochen loszuwerden. Ich musste Caja finden. So weit konnte sie schließlich nicht weggekrabbelt sein. Diese Höhle war winzig, und der Ausgang wurde von mehreren Dutzend Drachen bewacht. Sie hatte hoffentlich nicht das Unmögliche gewagt, oder? Mist!
Entschlossen kroch ich den schmalen Gang entlang, um in die Drachenhöhle blicken zu können. Mein Puls raste, als ich mich auf das Schlimmste gefasst machte. Sofort drängte sich das Bild, das mich geweckt hatte, in meine Gedanken: die blutende Caja und das zerbrechende Herz. Hoffentlich war es meiner Fantasie entsprungen und nicht von einer magischen Verbindung als letzter Abschied geformt worden. Derlei Bilder hatte Eleni mir in schöner Regelmäßigkeit geschickt, wenn sie meine frisch erwählte Partnerin gern gelyncht hätte. Häufig bildeten sie aber die Realität ab. Eleni hatte sie mir vermittelt, um mir etwas zu sagen.
Eine Ziege stand für Hunger. Wasser für Durst. Sonne für die Aufforderung, sofort loszufliegen. Schwarzer Dunst für die Dubhar. Ein sich kratzendes Tier dafür, dass sie ihre Schuppen nervten. So was in der Art, oft in Kombination. Ich hatte im Lauf der Zeit gelernt, ihre Symbole wie eine eigene Sprache zu entschlüsseln.
Eine blutende Caja … hatte Eleni mir das Bild geschickt?
Um ein Haar wäre ich dem Abgrund meiner zerfetzten Seele zu nahe gekommen. Ausgerechnet die Angst um meine Partnerin bewahrte mich davor. Krampfhaft blieb ich in der Realität und reckte den Hals, um besser in die Herzhöhle blicken zu können. Felsen. Sandstrand. Zwei oder drei Drachen, die dösend nebeneinander kauerten. Einer trank gierig und grummelte drohend, um die rangniederen fernzuhalten.
Keine Frauenleiche. Kein Blut. Keine Spur von Caja.
War das jetzt gut oder schlecht?
Ich blieb eine ganze Weile so liegen und beobachtete die Drachen in der Höhle, suchte nach Hinweisen auf den Verbleib von Caja, aber da war nichts. Rein gar nichts. Schließlich gab ich auf und kroch in das Dunkel der Höhle zurück. Blass erinnerte ich mich an etwas, das sie mir mehrmals ins Ohr geflüstert hatte. Irgendwas mit Spalt. Gab es womöglich einen zweiten Ausgang?
Da es mittlerweile noch dunkler um mich herum geworden war, tastete ich mich an der Wand entlang. Es dauert lange, bis ich es bemerkte. Da war ein Spalt! Ab sofort war ich hoch konzentriert, um die Breite des Risses abzuschätzen, und beugte mich so weit hinein, wie ich konnte. Mehrmals rief ich Cajas Namen in den Gang, doch niemand antwortete mir. Mit neuem Elan begann ich, die Ränder abzubrechen. So wie es aussah, hatte Caja das bereits vor mir versucht, allerdings mit weniger Erfolg.
Als ich den Eingang so weit verbreitert hatte, dass ich hindurchpasste, kam die Ernüchterung. Ja, ich konnte jetzt ein kleines Stück hinein, dann war aber an der nächsten Stelle Schluss. Der gesamte Gang war zu schmal für meine breiten Schultern. Ich fluchte eine ganze Weile vor mich hin und hatte Mühe, rückwärts wieder herauszukommen. Wenigstens war ich mir endlich halbwegs sicher, wo meine Partnerin steckte: Sie hatte versucht, über diesen Ausgang Hilfe zu holen. Hoffentlich war ihr dabei nichts geschehen.
Eine tiefe Unruhe setzte in mir ein. Ich kannte das Gefühl, allerdings hatte ich es immer für ein Echo von Elenis Gedanken gehalten. Ihre Art, mir zu vermitteln, dass Vorsicht geboten war, dass ich diesem oder jenem nicht trauen durfte oder dass ich auf eine Katastrophe zuschlitterte. Genau diese Empfindung wütete jetzt quer durch mein Innerstes. Da Eleni fort war, kam es diesmal eindeutig aus mir selbst. Eine Art Instinkt, der mir zuschrie, dass ich nicht auf Caja warten durfte.
Blieb die entscheidende Frage, wie zur Hölle ich das anstellen sollte!
Die nächsten Stunden konzentrierte ich mich, ging gedanklich sämtliche Möglichkeiten durch, wog meine Erfolgschancen ab und verwarf so ziemlich alles. Schließlich legte ich mich flach in den Ausgang zur Herzhöhle und beobachtete die Drachen beim Schlafen. Konnte ich mich im Dunkeln an ihnen vorbeischleichen? Meine Magie so tief in mir vergraben, dass sie unbemerkt blieb?
Durch Elenis Verschwinden in meinem Magiegefüge war ich so geschwächt, dass das sogar eine Option war. Zum Glück erholte ich mich langsam davon. Der Schlaf der letzten Tage hatte mir gutgetan, die Angst um Caja trieb mich zur Höchstform an.
Als mich ein Drache zehn Minuten später bemerkte und drohend auf die Höhle zukam, machte er damit jede Hoffnung auf ein unbemerktes Entkommen zunichte. Die Drachen wussten, dass ich hier war. Es hatte immer einer ein Auge auf den Ausgang. Unmöglich, an ihnen vorbeizukommen.
Also musste ich umdenken. Vielleicht konnte ich den Gang, den Caja benutzt hatte, magisch irgendwie verbreitern? Nein. Das überstieg momentan meine Kräfte. Selbst in guter Verfassung wäre das eine kaum zu bewältigende Aufgabe gewesen. In meinem jetzigen Zustand war es undenkbar.
Ich robbte zurück in die Tiefe des Berges, bis mein mich bewachender Drache das Interesse verlor und sich niederließ, um weiterhin zu dösen. Trotzdem machte ich mir nichts vor: Das Untier wollte mich bloß in Sicherheit wiegen. Sobald ich nur einen Fuß in die Herzhöhle setzte, würde er mich in einen Aschehaufen verwandeln. Verdammt.
Ich war kurz davor, den für mich viel zu schmalen Gang doch auf magische Weise anzugehen, als ich etwas spürte. Da ich in der Vergangenheit ständig die Raids für alle Drachen und ihre Reiter eröffnet hatte, war das an meiner Magie nicht spurlos vorübergegangen. Die Kraft der anderen war tief in mich hineingesickert. Besonders die von meiner Schar war mir beinahe so vertraut wie die von Caja. Wir hatten über Jahre viel miteinander durchgemacht und uns über Tausende von Raids verbunden. Blairs vorsichtige Annäherung spürte ich daher sofort, vermutlich wollte sie mich auch wissen lassen, dass sie zu mir kam.
Ohne weiter nachzudenken, kroch ich wieder auf den Ausgang zur Herzhöhle zu und entdeckte gleich darauf einen sich eher dahinschleppenden Drachen. Trotz der Dunkelheit erkannte ich umgehend, dass die Drachendame nur noch aus Haut und Knochen bestand. Ihre Magie war so gut wie verbraucht, und dass sie überhaupt noch lebte, war eine Überraschung für mich und lag lediglich an ihrer Willenskraft. Seit dem Tod ihrer zwei Reiter hatte sie sich vermutlich kaum ernähren können, denn die wilden Drachen ließen sie nicht aus dem für sie lebensnotwendigen Quellwasser trinken.
Auch jetzt wurde sie weggebissen, als sie an einem dunkelgrünen Drachen zu nahe vorbeischwankte. Sie strauchelte und fing den Sturz in letzter Sekunde ab. Obwohl ich Blair absolut verachtete, zollte ich ihr in diesem Moment trotzdem Respekt. Sie war zäh, das musste ich ihr lassen.
Mit angehaltenem Atem sah ich ihr dabei zu, wie sie den mich beobachtenden Drachen passierte und sich dann etwa zwei Meter vom Höhleneingang entfernt zu Boden sinken ließ. Eine lebendige Schutzmauer für mich vor den Blicken der übrigen Drachen. Mein Bewacher grollte, war aber zu faul, um sich mit Blair anzulegen. Außerdem wirkte sie in keiner Weise bedrohlich, eher halb tot.
Als ich jedoch in ihre Augen blickte, revidierte ich diesen Eindruck. Blair funkelte mich mit ihrem typischen Trotz herausfordernd an. So etwas wie Genugtuung lag darin.
Sie wusste, dass ich feststeckte – und sie war hier, um mir das entweder unter die Nase zu reiben oder …
»Vergiss es«, sagte ich halblaut zu ihr, damit es nicht die gesamte Höhle mitbekam. »Ich nehme dich nicht in den Dreiklang.«
Da wir nicht miteinander verbunden waren, empfing ich keine richtigen Bilder von ihr, aber dank der alten Raid-Verknüpfung erreichte mich zumindest ein diffuses Gefühl von … Tod und Hoffnung.
Sie gab mir zu verstehen, dass sie meine einzige Gelegenheit war – und ich ihre.
Ohne es zu wollen, begann ich, in meinem Entschluss zu wanken. Blair galt als Verbrennerin. Sie nahm starke Menschen in ihren Dreiklang auf und labte sich an deren Magie. Sobald sie genug Energie aufgesogen hatte, ermordete sie ihre Reiter für ihre Freiheit und flog davon. Warum sie ständig zum Herzsee zurückkehrte, um sich dort einen Platz im Gefüge der wilden Drachen zu erkämpfen, blieb mir ein Rätsel. Da sie es nie schaffte, musste sie nach einer Weile wieder zu den Drachenreitern zurück, und der Kreislauf begann erneut.
Nach Conns Tod hatte ich mir geschworen, ihr keinen neuen Reiter zu gönnen. Sie hatte einmal zu oft gemordet und die Strafe verdient, die sie selbst gewählt hatte: den Tod durch Verhungern.
Verdammte Prinzipien.
Mit einem Seufzen lehnte ich mich an die kalte Wand. Mein ganzer Körper zitterte, weil ich so erschöpft und gleichzeitig völlig durchgefroren war. Ich musste hier weg, das war klar. Vielleicht konnte ich einen oder zwei weitere Tage durchhalten, aber danach sah es für mich übel aus.
Der Gedanke rüttelte mich wach. Ich kroch zurück in die Höhle und wagte es schließlich, mich mit Magie in dem verlassen wirkenden Gang umzusehen. Sofort antworteten mir böse grummelnde Drachen. Das klang fast so, als würden sie sich neben oder unter mir befinden. Den Gerüchten nach lebten die Drachen hauptsächlich in der Höhle am Herzsee und an den Stränden direkt davor. Ihre Eier legten sie jedoch tief im Berg ab. Womöglich gingen von der Herzhöhle eine Menge andere Gänge ab, die rechts, links und unter mir an meinen grenzten. Den Zorn brütender Drachenmütter wollte ich mir auf keinen Fall zuziehen, aber ich brauchte Gewissheit. Sorgfältig ließ ich meine Magie wandern, bis sie mir das Gefühl von Freiheit vermittelte. Das bedeutete, dass der Gang nach draußen auf die andere Seite des Berges führte. Eine gute Nachricht. Leider war auf diese Art der Suche wenig Verlass. Magie zeigte in der Regel unklare Empfindungen, die ich auch falsch interpretieren konnte.
Also gab es einen Ausgang, den Caja vermutlich genommen hatte. Blöd nur, dass ich ihr nicht folgen konnte. Nachdenklich lehnte ich mich in der Dunkelheit des Ganges gegen die eisige Wand und dachte nach. Blairs Anwesenheit lag schwer auf meinen Gedanken. Sie drängelte sich mit solcher Vehemenz an mich, dass ich mich regelrecht belästigt fühlte. Bislang war mir nicht mal klar gewesen, dass Drachen so etwas zu tun vermochten. Dass sie eine magische Verbindung mit ihren Reitern eingingen und anschließend ständig in deren Geist herumspukten, kannte ich natürlich. Aber ein fremder, mit mir kommunizierender Drache, der nicht durch eine Rune an mich gebunden war?
Ich verdrängte sie aus meinem Geist und bemühte mich um volle Konzentration. Das Ergebnis meiner Überlegungen war ernüchternd. Blair war tatsächlich meine beste Überlebensstrategie. Blieb die Frage, ob ich den Pakt mit diesem teuflischen Drachen überlebte. Wenn sie beschloss, mich mit Flammentod zu überziehen, würde ich das kaum verhindern können. Auf der anderen Seite war ich magisch so stark, dass ich sie eine Weile allein ernähren konnte – immer vorausgesetzt, dass ich zügig zu Kräften kam und sie nicht so ausgezehrt war, wie sie von außen wirkte.
Ich wog ein letztes Mal meine Möglichkeiten ab, dann kroch ich zum Ausgang zur Herzhöhle und starrte die Drachendame an, die weiterhin an der gleichen Stelle lag.
»Ich bin bereit für einen Pakt«, sagte ich halblaut zu ihr. »Wehe, du machst mir das Angebot lediglich, um mich auszusaugen. Ich bin ein gefährlicher Gegner und gebe nicht kampflos auf. Willst du mir ans Leder, werde ich dich mit in den Abgrund reißen. Wir gehen diese Verbindung ein, weil keiner von uns eine Wahl hat. Das heißt auch, dass wir einander nicht töten werden. Verstanden?«
Blair blinzelte nicht mal, während sie mich in Grund und Boden starrte. Zustimmung sah anders aus. Ich runzelte die Stirn und überlegte, was sie noch von mir erwartete.
Gedanklich ging ich durch, was ich über sie wusste. Wie sie sich in der Vergangenheit verhalten hatte, und worauf das hier hinauslief.
»Dein Freiheitsdrang ist enorm. Du hasst es, von den Reitern abhängig zu sein. Vermutlich fühlst du dich wie eine Gefangene. Für ein solch stolzes Geschöpf wie dich ist das bestimmt ein großes Problem«, überlegte ich laut. Sie blinzelte, was ich als Zustimmung auffasste. Ansonsten ließ sie sich weiterhin nichts anmerken.
»Wir sind gleichwertige Partner in dieser Verbindung«, sagte ich aufs Geratewohl. »Hilfst du mir jetzt, werde ich dir das hoch anrechnen. Ich garantiere dir, dass ich dich nicht als reines Reittier betrachte, sondern als ein hochintelligentes Geschöpf, das sich mit mir auf Augenhöhe befindet. Wenn du das Ende unserer Verbindung verlangst, werde ich dich persönlich in die Herzhöhle bringen und uns bis zum Wasser vorkämpfen, damit du daraus trinken und den Dreiklang auflösen kannst, ohne mich zu töten. Einverstanden?«
Der Drache brummte als Zustimmung und blinzelte gleich zweimal. Den herausfordernden Blick hatte ich mir gewiss nicht eingebildet. Sie erwartete, dass ich meinen Worten Taten folgen ließ.
Einen Moment haderte ich mit mir und meiner Entscheidung. All die Jahre hatte ich mich an Elenis Anwesenheit in meinem Kopf gewöhnt. Ihr hatte ich in allen Belangen vertraut. Unser Dreiklang hatte auf gegenseitigem Respekt und absoluter Hingabe gefußt. Bei Blair musste ich hingegen höllisch aufpassen. Sie verfolgte eigene Ziele, die ich erst durchschauen musste. Was zog sie immer wieder in die Höhle zurück? Warum gab sie die Sicherheit der Drachenreiter auf, um bei den wilden Drachen um ihr Überleben kämpfen zu müssen? Sie hatte hier keine Zukunft, keinen Rückhalt, keine Chance.
Sobald sie kräftiger geworden war, befand ich mich in Lebensgefahr. Das war mir absolut bewusst, und dennoch hatte ich keine Wahl. Ich musste mich auf sie einlassen, selbst wenn ich damit die letzte Hoffnung verlor, Eleni jemals wieder zurückzugewinnen.
Mein Drachenweibchen war schon einmal zu mir zurückgekehrt. Sobald ich Blair annahm, hatte ich diese Möglichkeit ausgeschlossen. Das schmerzte sehr, vor allem, weil sich alles in mir nach der alten Verbindung zu Eleni sehnte. Nach dem Halt, den sie mir gegeben hatte. Nach der Liebe, die mir Kraft und Geborgenheit vermittelt hatte, wann immer ich zu straucheln drohte.
Entschlossen füllte ich dieses Loch mit dem festen Willen, zu überleben. Ich musste Caja finden. Ich musste der Drachennation berichten, was wir herausgefunden hatten.
Und vor allem musste ich Blair als neuen Drachen anerkennen und für mich gewinnen. Falls ich die Kontaktaufnahme mit ihr überhaupt überlebte.
Ein letztes Mal atmete ich tief ein, dann zog ich meinen Dolch aus dem Stiefel und schnitt mir quer über die Handfläche.
»Hiermit besiegele ich den Drachenpakt zwischen dem Drachen Blair und mir, dem menschlichen Reiter Sylin Werdas.«
Ich kämpfte mit aller Gewalt um mein Bewusstsein. Mein ganzer Körper sirrte vor Panik. Wenn ich nicht bald den Nebel im Kopf vertrieb, war ich so gut wie tot. Da waren die Reiter gewesen. Der Drache. Vermeintliche Sicherheit.
Von wegen.
Der ältere Reiter hatte mich niedergeschlagen. Jetzt lag ich mit gefesselten Armen quer auf einem Drachenrücken. Es war kalt um mich herum, und die Bewegungen unter mir versprachen nichts Gutes. Wir flogen.
Mühsam blinzelte ich und bemühte mich um klare Sicht. Hauptsächlich sah ich grüne Schuppen, ein mit schwarzem Leder bekleidetes Bein und einen muskulösen Männerrücken, der vor mir aufragte. Zumindest vermutete ich das, denn viel erkennen konnte ich aus dieser Position nicht. Starke Arme hielten mich eine Spur zu fest. Der Reiter sicherte mich auf dem Drachenrücken und sorgte gleichzeitig dafür, dass ich mich kaum rühren konnte. Offenbar war ich gefangen genommen worden.
Die Frage war, ob ich das als Drachenreiterin oder als Prinzessin von Altara war. Verdammt. Eigentlich hatte ich gehofft, dass sich die Machthaber der Zitadelle weiterhin auf meine Seite stellen würden. Der Hohepriester Gerwen hatte mich gehen lassen, damit ich Sy als Magiepartnerin unterstützen konnte. Anscheinend hatte er seine Meinung geändert. Aber was war mit Sy?
Der Gedanke ließ sofort neue Kraft in meine Knochen sickern. Sy! »Was tut ihr?«, murmelte ich mit halb geschlossenen Augen gerade so laut, dass mich der Drachenreiter hinter mir hören konnte. Sie hatten mich in die Mitte genommen, sodass ich auf dem Bauch liegend zwischen ihnen eingequetscht war.
»Wir erfüllen unseren Auftrag«, antwortete der Drachenreiter ruppig.
»Sy … ihr müsst ihn retten!«
»Sy ist tot.«
Die Art, wie er das sagte, ließ pure Angst durch meinen Körper schießen. Es war eine Feststellung. Kein Hauch von Unsicherheit darin, sondern so, als wäre er sich absolut sicher.
»Nein!«, protestierte ich und wurde für den Geschmack meiner Bewacher etwas zu munter. Der hinter mir sitzende Reiter drückte mich brutal auf die Schuppen seines Drachen. Ich wand mich trotzdem. »Er ist nicht tot! Ihr müsst ihn retten! Ohne ihn wird die Drachennation nicht mehr lange gegen die Dubhar bestehen. Das wisst ihr genau! Wieso lasst ihr ihn zurück?«
»Wir lassen ihn nicht zurück. Was denkst du von uns? Wir sind Drachenreiter. Natürlich haben wir uns rückversichert. Ich bin durch den Spalt geklettert und habe nachgesehen. Er war tot, Caja. Sein Körper war schon eiskalt. Vermutlich haben ihn die Kälte und der Verlust seines Drachen erledigt. Die Leiche konnte ich nur nicht bergen, weil sie zu groß für den Spalt gewesen ist.«
Ich wand mich so lange, bis ich zumindest auf der Seite lag. Sein Gesicht sah ich trotzdem nicht, aber der Stimme nach saß der Jüngere hinter und der Ältere vor mir. Ich meinte, zu spüren, dass er sich einen Hauch anspannte. »Du lügst«, sagte ich schwach.
»Nein. Ich lüge nicht. Sy wäre unsere beste Chance gewesen, um die nächste Zeit zu überleben. Er ist tot. Wir konnten ihn nicht retten.«
Ich schwankte in meiner Überzeugung, vor allem, weil der jüngere Drachenreiter von seinen eigenen Worten dermaßen überzeugt wirkte. Sy … nein! Das durfte nicht wahr sein! Das konnte nicht sein! Das … oder doch?
Nur mit größter Mühe rang ich die aufsteigende Verzweiflung nieder und vor allem die Trauer, die gierig ihre Krallen in mein Herz schlagen wollte. Sys Verlust wäre nicht nur für die Drachennation tragisch. Nein. Sys Tod konnte auch mich in die Knie zwingen.
Ich hatte mich Hals über Kopf in diesen besonnenen, unfassbar charmanten Mann verliebt. Seine bestimmende und zugleich sanfte Art hatte mir Halt in den finstersten Momenten meines Lebens gegeben und mir Hoffnung geschenkt, als alles in mir zu zerbrechen drohte. Er war mein Anker in dieser finsteren Welt gewesen. Der Grund, mir neue Ziele zu suchen.
Eines davon beinhaltete, den Rest meines Lebens an seiner Seite zu verbringen. Als seine Gefährtin. Seine Partnerin. Womöglich auch als die Frau, die er liebte. Und jetzt sollte dieser Mann tot sein?
Bevor mich die Trauer überspülte, drehte sich der ältere Drachenreiter zu dem jüngeren um. »Halt sie fest. Wir gehen runter.«
Der Satz weckte Entschlossenheit in mir. Überlebenswillen. Hastig reckte ich den Hals, um an den Drachenschwingen vorbei nach unten sehen zu können, leider war der Winkel dafür ungünstig. Ich sah lediglich Wolkenfetzen.
»Was habt ihr mit mir vor?«, fragte ich bange.
»Das siehst du gleich.« Der jüngere packte mich wie aufgefordert fester, woraufhin ich mich aufsetzen wollte, doch das wusste er zu verhindern. »Liegen bleiben«, schnauzte er mich an.
»Ich bin eine Drachenreiterin«, fauchte ich zurück und überwand dank meines Zorns die innere Starre, die mich angesichts von Sys Tod zu erfassen drohte. Solang mir niemand seine Leiche präsentierte, konnte ich an sein Überleben glauben, sonst würde ich das nicht verkraften. An mir hing jedoch die Rettung dieser Welt, also musste ich tapfer sein. »Du hast mich mit Respekt zu behandeln. Warum bin ich gefesselt? Was soll das?«
Der jüngere ignorierte mich. Kein gutes Zeichen. Stattdessen spürte ich, wie der Drache zur Landung überging, denn ich wurde gegen den vor mir sitzenden Reiter gepresst. Es ging abwärts.
Mein Herz schlug immer schneller. So wie sich die zwei Reiter verhielten, würde mir der bevorstehende Anblick nicht gefallen. Was planten sie mit mir? Zunächst sah ich Felsen, die rund um mich herum aufragten. Vermutlich Ausläufer des Drachengebirges. Ganz kurz meinte ich, eine Zinne der Zitadelle zu erkennen, doch sie verschwand hinter einem Hügel.
Verdammt. Die Zitadelle hätte mich zwar beunruhigt, aber nicht so sehr wie die Erkenntnis, dass man mich in den Bergen aussetzen wollte. Was suchten wir hier?
Die Antwort bekam ich, als der Drache in eine steile Kurve überging, um innerhalb eines Tals auf dem Boden zu landen.
Ich entdeckte ein kleines Heer. Schwer bewaffnete Krieger mit Speeren und Schwertern auf nervös herumtänzelnden Pferden. Ein blutrotes Wappen, das mir das Blut in den Adern gefrieren ließ. Banain.
Ich brauchte kein Genie zu sein, um meine schlimmsten Befürchtungen bestätigt zu sehen. Da wartete Illian auf mich, seine unwillige Braut.
Er hatte mich vor dem Überfall der Dubhar mitnehmen wollen. Der Hohepriester Gerwen war sogar bereit gewesen, mich zu übergeben und Sys und meinen Dreiklang aufzulösen, allerdings hatte er nicht mit Elenis Zorn gerechnet. Der Drache hatte alles dafür getan, um durch die magische Kuppel zu gelangen. Vermutlich wäre ihr das tatsächlich gelungen, doch dann waren die Dubhar aufgetaucht, und Gerwen musste seinen Fehler selbst einsehen. Er bestätigte mich im Dreiklang, damit ich zusammen mit Sy und Eleni gegen die gefährlichste Bedrohung dieser Welt kämpfen konnte.
Jetzt schien er meinen Nutzen erneut infrage zu stellen. Illian hatte mich bestimmt ein weiteres Mal für sich beansprucht und Gerwen seinem Willen stattgegeben. Ein Problem weniger, um das er sich kümmern musste.
Der Drache war gelandet. Raschelnd zog er die Flügel rechts und links an seinen Körper und achtete sorgsam darauf, uns nicht zu zerquetschen. Erst dann stapfte er los und hielt auf die wartende Reiterei zu. Die Pferde drehten prompt durch, weswegen der vordere Reiter seinen Drachen schließlich stoppte. Das war das Startzeichen für den jüngeren, mich vom Drachenrücken zu ziehen.
Mit auf dem Rücken gefesselten Händen konnte ich mich nicht selbst abfangen und kam mehr als unsanft unten auf. Eigentlich brach ich mir nur deshalb nicht die Nase, weil mich mein Bewacher vor einem Sturz auf den Kopf bewahrte. Kaum hatte ich mich gefangen, schob er mich auf die Wartenden zu, während der zweite Reiter nun ebenfalls abstieg.
Daraufhin gab ich alles. Ich wehrte mich. Ich stemmte die Fersen in den Boden. Ich warf mich gegen ihn und versuchte, ihn von den Beinen zu ziehen. Um ein Haar wäre mir das auch gelungen, doch dann kam ihm der ältere Drachenreiter zu Hilfe. Vier starke Hände sorgten dafür, dass ich mich kaum rühren konnte und trotz meiner Gegenwehr an meinem Bestimmungsort ankam.
Die Pferde tänzelten weiter nervös und rollten mit den Augen. Als brave Schlachtrösser ließen sie sich aber so weit lenken, dass sie rechts und links zur Seite auswichen, um einem Mann auf einem nachtschwarzen Pferd Platz zu machen. Er zügelte das Tier direkt vor uns und stieg ab.
Illian.
Gegen die nun aufkommende Panik war ich machtlos. Ich ließ sie kurz zu, bevor ich sie in Wut verwandelte. Ein letztes Mal versuchte ich alles, um dem Griff meiner Bewacher zu entkommen. Als das nicht funktionierte, konzentrierte ich mich auf meinen eigentlichen Gegner.
Der König von Banain hatte sich vor mir aufgebaut und sah mir bei meinen erfolglosen Bemühungen mit vor der Brust verschränkten Armen zu. Als er bemerkte, dass ich aufgab und ihn stattdessen anfunkelte, breitete sich ein triumphales Grinsen auf dem vernarbten Gesicht aus. Ein in dunkles Leder gewandetes Ungeheuer mit stahlverstärkten Schutzbereichen und sehr viel Gold. Auf seiner Brust prangte das Wappen von Banain: ein mit Efeu umrankter Schutzschild aus Holz, in dem drei Pfeile steckten.
»So sieht man sich wieder, Prinzessin«, sagte er genüsslich. »Wie schön, dass du noch am Leben bist.«
»Schade, dass Ihr es auch noch seid!«
»Wie ungehörig für eine Prinzessin von Altara.« Missbilligend schnalzte er mit der Zunge. »Derlei Flausen werde ich dir wohl austreiben müssen.«
»Glaubt nicht, dass Ihr mich auf diese Weise einschüchtern könnt. Ich bin eine Drachenreiterin – und als solche verlange ich, mit meinem Oberhaupt zu sprechen. Bringt mich zu Hohepriester Gerwen.«
Natürlich rechnete ich keine Sekunde damit, dass Illian meinem Wunsch entsprach, aber versuchen musste ich es zumindest. Sein verächtliches Lachen sagte allerdings genug.
»Du bist keine Drachenreiterin mehr, kleine Prinzessin.«
Oh, wie sehr mich seine ständige Betonung bezüglich meines Titels nervte. Vermutlich spürte er genau das und nutzte ihn aus Bosheit besonders häufig. Der Mann konnte mich besser lesen als viele andere um mich herum, und das hieß: Ich musste vorsichtiger sein, um ihm weniger über mich zu verraten.
Tief durchatmend straffte ich mich und beschloss, die Gegenwehr zunächst zu unterlassen. Mein unwilliges Verhalten stachelte den König nur weiter auf. »Und jetzt?«, fragte ich beinahe freundlich.
»Jetzt fliegen die beiden anwesenden Drachenreiter zu deinen Eltern, um sie nach Banain einzuladen. Wir haben eine Hochzeit zu feiern.«
»Ich bin mir sicher, dass die beiden Besseres zu tun haben, als Eure Botengänge zu erledigen.« Kaum hatte ich das gesagt, sah ich aus den Augenwinkeln den älteren Reiter nicken.
»Betrachtet das als erledigt, König Illian von Banain.«
Ungläubig sah ich ihn an. »Ihr zwei seid eine Schande für das gesamte Drachenvolk.«
Der Ältere erwiderte meinen bohrenden Blick eher gelassen. »Und du bist sein Untergang, wenn wir nichts dagegen unternehmen. Halt dich zukünftig von der Zitadelle fern. Von allen Drachenreitern. Ab sofort bist du wieder an dem Platz, an dem du sein solltest. Tu uns also den Gefallen und heirate Illian, um den Frieden zwischen Banain und Altara zu sichern. Dein Land zu beschützen, ist deine Pflicht, egal ob als Drachenreiterin oder als Prinzessin. Deshalb sei nicht länger ein Feigling und stell dich deiner von Geburt an bestimmten Verantwortung.«
Wie sehr mich seine Worte verletzten, ließ ich mir hoffentlich von außen nicht anmerken. Leider fiel mir auf die Schnelle keine passende Erwiderung ein, sodass ich meinen Gesprächspartner lediglich böse anfunkelte. Illian rettete mich vermutlich eher unabsichtlich, indem er sich in unsere Unterhaltung einmischte.
»Wo ist Sy? Was ist mit Eleni?«
»Der Dreiklang hat sich aufgelöst. Sy ist tot«, antwortete der ältere Drachenreiter.
»Sicher?«
»Ja. Wir sind sicher.«
Illian brummte zufrieden und ruckte mit dem Kopf. Offenbar seine Art, auf stumme Weise Befehle zu erteilen. Zwei Wachen traten hervor, um meine Bewacher von ihren Aufgaben abzulösen. Sie packten mich rechts und links an den Oberarmen und wollten mich wegzerren, doch so schnell ließ ich das nicht zu.
Während die Drachenreiter auf ihr Untier zuhielten, rief ich ihnen wütend nach: »Ihr seid die wahren Verräter am Drachenvolk. Einen der Euren sterbend zurückzulassen, ist ein Verbrechen, das nicht ungestraft bleiben wird.«
»Lebt wohl«, antwortete der ältere der Drachenreiter eher gelangweilt und saß dabei auf. Der jüngere sah ein letztes Mal zu mir zurück, einen Hauch Bedauern im Blick. Dann folgte er seinem Magiepartner und hob gleich darauf mit seinem Drachen ab.
Wir duckten uns instinktiv, weil er zunächst knapp über uns hinwegstrich, ehe er an Höhe gewann und hinter dem nächsten Berghang aus meinem Sichtfeld verschwand.
Mich ließ er schutzlos und allein bei meinem schlimmsten Feind zurück.
Nur mit größter Anstrengung drängte ich das Gefühl völliger Hilflosigkeit nieder und wandte mich an Illian, der mich keine Sekunde aus den Augen gelassen hatte. Vermutlich labte er sich an meiner offensichtlichen Niederlage.
»Ich bekomme, was ich will. Immer!«, informierte er mich prompt.
»Schön für Euch. Für den Moment mag das so aussehen, aber gewöhnt Euch nicht an derartige Triumphe. Ich gedenke, Euch ordentlich zu nerven.« Das klang mutiger, als ich mich fühlte, doch um zu überleben musste ich mir jetzt ganz schnell eine dicke Schutzschicht antrainieren. Das hier würde meine Feuerprobe werden. Entweder ich überlebte sie – oder ich verlor mich selbst. Mich und meine Würde.
Illian näherte sich mir wie ein wildes Tier und griff nach meinem Arm. Ich war zu langsam, um ihm auszuweichen. Er bohrte seine Finger in meine Haut. Tiefer und tiefer. Dabei kam er mir viel näher als mir lieb war. »Zunächst lade ich dich in aller Form in mein Reich ein. Bereit, die Größe von Banain kennenzulernen?« Sein Grinsen zeigte mir, dass das eindeutig doppeldeutig gemeint war. Mir brach der Schweiß aus.
»Ich werde Euch nur folgen, weil ich Eure Geheimnisse ergründen will«, erklärte ich großspurig.
»Und weil du gefesselt bist und keine Wahl hast«, erwiderte Illian trocken.
»Eine Nebensächlichkeit, die es zu überwinden gilt.«
Damit brachte ich den König zum Lachen, was ich ganz bestimmt nicht beabsichtigt hatte. Auf keinen Fall wollte ich mich in seinen Augen als Hofnärrin oder nette Gesprächspartnerin etablieren. Als ein erheiterndes Geschöpf, das seinem Zeitvertreib diente. Ich musste eine Gegnerin für ihn bleiben, sodass er mich nicht zerquetschte, sobald er sich langweilte.
»Wie ich sehe, habt Ihr den vernichtenden Angriff der Dubhar ohne Schaden überlebt«, merkte ich hastig an, um sein Lachen zum Verstummen zu bringen. »Seid Ihr rechtzeitig in Deckung gegangen und habt den Kopf eingezogen?«
Das amüsierte Funkeln wandelte sich, wie von mir geplant, augenblicklich in Feuer und Glut. »Banain scheut niemals einen Kampf, aber in diesem Fall waren die Dubhar lediglich an dir und deinem Magiepartner interessiert und nicht an uns. Ach ja. Mein herzliches Beileid für das Verscheiden deiner großen Liebe. Wie gut, dass ich sogleich seinen Platz in deinem Bett einnehmen darf.«
Meine Reaktion überraschte selbst mich. Da er sich ahnungslos etwas zu weit zu mir heruntergebeugt hatte, gelangte er auf diese Weise in meine Reichweite. Ich gab ihm eine so deftige Kopfnuss, dass vermutlich nicht nur mein Schädel dröhnte. Illian keuchte hörbar auf und wollte mir im Affekt eine Ohrfeige verpassen, stoppte sich jedoch kurz vor meiner Wange. Stattdessen tätschelte er sie.
»Danke für die Erinnerung, dass selbst ein gut verschnürtes Kätzchen zuweilen kleine Wunden schlagen kann. Diesmal hast du Glück. Da ich nicht mit einer grün und blau geschlagenen Braut durch meine Hauptstadt reiten will, verzichte ich darauf, dich auf deinen Platz zu verweisen. Diese Güte gewähre ich allerdings nicht mehr lange. Also los. Wir haben einen weiten Weg vor uns und keine Zeit zu verlieren. Es gilt, eine Welt zu erobern.«
Er bedeutete einem Untergebenen, ihm sein Pferd zu bringen. Das nervöse Tier zierte sich zunächst, in meine Nähe zu kommen, und tänzelte vor mir herum. Illian ergriff die ihm hingehaltenen Zügel und rief den Hengst mit einem brutalen Ruck zur Räson. »Er riecht noch die Drachenmagie an dir«, erklärte er mir, als ob ich das nicht selbst wüsste. »Doch keine Angst. Das wird bald verflogen sein, und du wirst wieder die kleine Prinzessin sein, die du vor deinem Ausflug warst.«
Er schwang sich aufs Pferd und reichte mir eine Hand, die ich mit gefesselten Armen natürlich nicht ergreifen konnte. Ganz davon abgesehen, dass ich gewiss nicht vor ihm sitzen wollte. »Entweder du reitest bei mir mit oder wir schleifen dich den gesamten Weg von hier bis Banain hinter uns her.«
»Ich dachte, Ihr wollt eine gesunde Braut präsentieren. In dem Fall gebt mir gefälligst ein eigenes Pferd.«
»Träum weiter.« Er nickte dem Mann rechts neben mir zu, der mich an meiner Hüfte packte und mich mit ganz viel Schwung halb auf das vor mir zurückweichende Pferd hievte. Ich nutzte die Gelegenheit, um Illian, so fest es eben ging, zu treten. Der boxte mir daraufhin seitlich in die Nierengegend und sorgte dafür, dass ich kurzfristig jeden Kampfgeist verlor. Letztlich saß ich trotz meiner Bemühungen rittlings vor ihm, woraufhin er seine kräftigen Arme um mich legte und seinem Pferd die Fersen in den Bauch rammte.
»Dann auf nach Banain. Wir haben eine Hochzeit zu feiern«, feixte er und trieb den Hengst in viel zu schnellem Tempo über den unebenen Stein. Vermutlich wollte er nicht nur seinem Reittier, sondern auch mir damit zu verstehen geben, dass er das Sagen hatte.
Da es mit auf dem Rücken gefesselten Händen eine Kunst war, das Gleichgewicht zu halten, wäre ich ohne seinen Halt garantiert vom Pferd gesegelt. Dass Illians Körper dabei unangenehm an mir rieb und meine Finger Stellen berührten, die ich niemals berühren wollte, machte es noch sehr viel schlimmer.
»Trau dich nur«, flüsterte er mir ins Ohr, da ihm wohl ebenfalls etwas Ähnliches in den Sinn gekommen war. »Pack zu. Ich mag es hart und brutal.«
Natürlich packte ich nicht zu. Was hätte es mir gebracht, außer dass er mich vom Pferd auf den Stein gestoßen hätte? Nein. Derlei Herausforderungen musste ich zukünftig überhören, um ihn nicht weiter aufzustacheln. Jetzt, da ich mich in seiner Gewalt befand, galt es, jede einzelne Handlung zu überdenken.
Also übte ich mich im Ignorieren und konzentrierte mich stattdessen auf meine Umgebung, um mich abzulenken. Mich in meine Gedankenwelt zu flüchten, das wagte ich nicht, denn die sah finster aus. Mir war durchaus bewusst, was mir in Illians Reich bevorstand, nur war das nicht einmal das Schlimmste.
Die Angst um Sy war es, die mich zu zerstören drohte. War er wirklich tot? Hatte ich ihn sterbend in einer Höhle zurückgelassen? Ich hatte mich nicht mal von ihm verabschiedet, weil ich mir so sicher gewesen war, wieder zu ihm zurückzukommen. So sicher!
Ein weiterer Fehler in einer Reihe von vielen. Den Drachenreitern nur eine Sekunde zu vertrauen, war dumm gewesen. Wie hätte ich aber auch ahnen können, dass sie mich direkt zu Illian brachten?
Dass die Priesterschaft mich loswerden wollte, war nicht sonderlich überraschend. Aber Sy? Wieso hatten sie nicht mal versucht, ihn zu retten? Das war unvorstellbar und erschütterte mich mehr als Illians Nähe.