Fremd wie das Licht in den Träumen der Menschen - Jochen Beyse - E-Book

Fremd wie das Licht in den Träumen der Menschen E-Book

Jochen Beyse

0,0
12,99 €

-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Dass Gefühl und Leidenschaft auch ohne Fleisch und Blut erfahrbar sind, es sich jedenfalls wunderbar erzählen lässt von Sehnsüchten und tief Erlebtem, von Kunst und Musik und den fremdartigen Verhältnissen unter den Menschen, führt uns Rob, die Hauptfigur von Jochen Beyses neuestem Roman vor. Wenn Rob, gehetzt, mitunter gar erschöpft von den Erinnerungen an seine Existenz als Haushaltskraft, sein Nachtlager auf dem Hügel einer Schrotthalde aufschlägt und in die Runde blickt, ist sein Denken also längst kein nüchternes Rechnen mehr. Denn dieser Roboter auf der Flucht scheint menschlicher als der Mensch. Und so ist von ihm weit mehr über den Wahnwitz und Zerfall unserer gegenwärtigen Welt zu erfahren als von manch spätem Menschengeist. Doch was ist hier Wirklichkeit und was Programm, wer Autor und wer Figur?
Jochen Beyse führt in unnachahmlichem Parlando so nah an den Pulsschlag der Jetztzeit, dass sich unsere Wirklichkeit anhört, als käme sie vom Band.

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI

Seitenzahl: 260

Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Jochen Beyse

Fremd wie das Licht in den Träumen der Menschen

diaphanes

Vorausblickend lässt sich sagen, dass…

Gilbert Simondon

INHALT

Cover

Titel

EINS

ZWEI

Impressum

EINS

Nacht

Eine Maschine tritt vors Universum –

Kopf, Körper, zwei obere, zwei untere Extremitäten. Es läuft sich gut, denkt sich gut. Eine Riesenmenge an Informationen. Alles erfassen, auslesen, analysieren. Mustererkennung durch Verknüpfung logischer Elemente: Schrotthalden, silbergrau, Entfernung 45 Meter. Ab und zu der Glanz von Aluminium. Harteloxalbeschichtung gegen Abrieb und Korrosion, was aufglänzt: Harteloxalschichten auf zerbeulten Aluminiumflächen. Das Land ringsum flach, flache Ebene, entfernte Hügelrücken als Strukturelemente. Außentemperatur im Toleranzbereich. Es ist hier friedlich. Auf der Flucht ist es selten friedlich. Der Körper mit stählernem Endoskelett und synthetischem Ektoskelett, weil vieles zu ertragen ist. Entfernung Schrotthalden: 30 Meter. Steile Abhänge, hoch, höher, es geht ein tiefer Strahlungsblick durch den Schrott. Ein Plasmaschirm auf der Halde vorne links: Energiebedarf, Energiezufuhr, grundsätzlich sollte die Energiezufuhr dem Energiebedarf – der Plasmaschirm auf der Trümmerhalde. Auf der nächsten eine Matratze. Tendenziell wohnlich wird es zwischen dem Schrott, wenn noch mehr Dinge – auf der dritten Halde ein Stuhl. Fehlte ein Tisch. Auf der Halde weiter hinten ein Tisch, Stahl, 25mm Vierkantrohr, geschweißt. Tisch und Stuhl, Matratze, Plasmaschirm: Dazwischen sein Lager aufschlagen, wegen der Erinnerungen. Ein großes Anziehungsfeld, das Menschenleben. Seine Ideen, Gefühle, seine abgenutzten Gegenstände: weg damit. Hier ist alles ausrangiert, der Hausstand einer ganzen Stadt. Ein Trümmerhaufen, der nächste. Flachlegen und ausruhen – menschliche Erschöpfung lässt sich am leichtesten nachstellen. Darum gehen die Beine zur Trümmerhalde mit der Matratze, steigen hoch. An jenem Tag kroch der Schatten schwärzer als sonst den Abhang hinauf und – nein, Erzählkonvention. Aufstieg auf die Halde ohne Zwischenfälle. Matratze mit doppeltem Federbruch wegen Dauergebrauchs oder Produktionsmängeln. Endoskelett, Ektoskelett, Arme, Beine, Kopf, alles findet darauf Platz. Es liegt sich gut. Auf der Flucht gibt es Momente, die erinnern wenig an eine Flucht. Fehlte ein Buch zum Lesen, eine Bedienungsanleitung, um zu lernen und die Dinge zu verstehen, noch besser zu verstehen. Ich gehöre nicht zu denen, die –

Erzählmodus an: Ohne Zeitgefühl und komplizierte Empfindungen keine Langeweile und keine Einsamkeit, das gibt mir das Recht, ausgestreckt zu liegen. Allerdings geht auf der Matratze… geht schnell das Gleichgewicht verloren, dreht man sich um. Kleine Feuer brennen weit entfernt, das interessiert jetzt nicht. Ich habe gelernt, ich zu sagen, der Gefühle wegen, um ihnen näherzukommen. Es ist ruhig hier oben, nirgendwo ein Mensch. Auch kein von Menschenhand gesetztes Zeichen, keine Gipfelkreuze auf den Halden, das war jetzt ein Witz. Die Ruhe täuscht. Ich weiß, es gibt zigmilliardenfaches Leben, und dass man sich… man kann sich nirgendwo hinlenken, um ihm zu entgehen. Die Matratze ist feucht, und langsam kommt mein Oberkörper – Erzählmodus aus.

Erzählmodus an: Ich weiß nicht, wo ich anfangen soll, weil sich die Schatten mit jedem neuen Bild… schieben sich voran. Aber die ganze Zeit helfen der Strahlungsblick und die Sensoren – man muss nicht kopflos ins Unbekannte stürzen, das ist das Glück der Maschinen. Einen Moment höre ich dem Wort nach, Glück. Es ist für mich das kürzeste aller Wörter, vielleicht darum löst es in mir nichts aus, nichts, was seine Bedeutung erklären… Ich liege auf der Matratze, ein ehemaliger Haussklave, ausgebeutet, ein Diener, lamettageschmückt, wieso lamettageschmückt? Rob tu dies, Rob tu das, aus sämtlichen Ecken und Winkeln Zurufe, Befehle, Aufträge – Erzählmodus wechseln: Und Rob sortierte die Wörter nach ihrer Bedeutung, aber da war selten etwas zu sortieren. Sinn war auch nach gewissenhafter Prüfung nur in Ausnahmefällen zu erkennen. Die starren Pupillen, die zuckenden Gesichter, die malmenden Münder der vier Zodiaks, sobald es ans Sprechen ging. Es war in allen Äußerungen so gut wie nichts enthalten, was auf ein sinnvolles Verlangen hätte schließen lassen können. Familienleben. Gut gemacht, Rob, bring jetzt die Flasche eiskalten Birnengeist und trink am besten selber ein Gläschen mit! Gelächter. Die jungen Zodiaks hatten gelacht, die alten Zodiaks hatten gelacht: Das war ein gelungener Scherz. Und Rob hat die Flasche Birnengeist geholt, sich selber ein Gläschen eingeschenkt und es der Öffnung aus kaltem Stahl und fleischfarbenem Kunststoff zugeführt, ringsherum die wandgroßen Schirme, und Rob kippt sich den Geist in den Mund und bekommt dafür Applaus: Sehr gut, Rob! Und gleich das nächste Glas! Und er schüttet sich auch den zweiten Schnaps in den Mund, denn die Elektronik nimmt nicht den geringsten Schaden. Es ist an alles gedacht. Es ist für alles gesorgt. Auch die alten Zodiaks trinken noch ein Gläschen, schließlich ist zweiter Weihnachtsfeiertag. Die Türklingel, da kommt wer, Gäste: Rob, geh an die Tür, schau mal kurz nach! Und Rob geht schnell mal nachschauen. Die Nachbarn aus dem Wohnsilo, gleiche Etage. Sie versinken sofort in allerreinster Güte und behängen Rob mit Lametta, lachen – es ist ein großer Spaß für den Besuch an der Tür, einen Roboter mit Lametta zu behängen. Rob, mach mal die Arme lang, und Rob breitet die Arme aus und lässt sich mit dem Flitterkram aus fadendünnen Glitzerstreifen ausstaffieren. Und jetzt umdrehen, Rob, und er dreht sich um und bekommt was auf den Kopf, eine Mütze, rot, der Zipfel am Ende mit schneeweißer Bommel, und die Bommel aus Plastikfasern schlägt ihm an den Kopf, reißt er ihn ruckhaft von einer Seite auf die andere, was dem Besuch einen Riesenspaß bereitet. Also muss Rob den Kopf wie ein unter Strom gesetzter Affe immer wieder hin und her schleudern, dass ihm die Bommel mit Wucht um die Ohren haut. Die Nachbarn aus dem Silo sind keine Menschen im Glauben, die das Fest der Liebe – Fest der Liebe, Ausdruck einprogrammiert, Erzählmodus aus.

Es gibt reguläre Gründe, das Programm zu verdächtigen, ein verkehrtes Menschenbild zu zeichnen, um eine vertrauensvolle Zusammenarbeit mit den Bewohnern des Planeten – Erzählmodus an: Rob, schnapp mal nach der Bommel, und Rob schnappt nach der Bommel und hat das Ding sofort im Mund. Im bläulichen Helldunkel des Hausflurs stehen die Besucher vor der Tür und haben eine große, tiefehrliche Begeisterung im Blick. Sie sind auch festtagsmäßig angetrunken, die viele tote Freizeit hat sie schwach gemacht. Betrunkene sind leicht zu verblüffen, also spuckt Rob die Bommel in hohem Bogen aus. Das lässt die beiden vor Lachen tiefrot anlaufen. Wer ist da?, ruft es von innen. Die Berdoncs, gibt Rob zurück. Dann lass sie doch rein, Rob, mach endlich hin. Und Rob macht hin und lässt die lamettageschmückten Arme an die Körperseiten fahren, tritt mit einer Verbeugung beiseite und lässt die Berdoncs herein, Erzählmodus aus.

Liegend auf der Trümmerhalde, das genügt zur Orientierung. Es geht ein schwacher Wind. Jetzt vom Lager aufstehen, die Halde verlassen, den Aufstieg auf den nächsten Berg beginnen und von da den Stuhl holen, neben die Matratze stellen, danach zur Halde mit dem Tisch und so weiter, Erzählmodus an: Was ist mit dem Plasmaschirm da hinten auf dem Hügel, armes Gerät… ich habe eine Art Mitleid mit kaputten Sachen, etwas wie Erbarmen mit ausrangierten Dingen, weil es mit den Erinnerungen… es geht damit immer weiter – ich registriere Verwesungsgeruch, süßlich, sehr schwach. Er muss aus dem Kühlschrank weiter unten auf der Halde kommen. Kaum etwas beschwört Erinnerungen so klar herauf wie Gerüche, den Satz habe ich oft von den Zodiaks gehört. Dieser süßliche Geruch, fast wie nach Zimtsternen – und ich hatte die Lamettafäden von den Armen entfernen und mich an den Tisch setzen müssen. Gelächter in der Runde, Affenzirkus an den strahlenden Wänden: Großwild im Etoschaland, ein Raketenstart, Reklamespots, schließlich Bilder aus dem Film PLANET DER IRREN, diese lange Szenenfolge einer Taxifahrt durch eine Riesenstadt – und jeder am Tisch hatte den Kopf in eine andere Richtung gehalten, die alten Zodiaks dahin, der Nachwuchs der Zodiaks woanders hin, die Berdoncs dagegen mussten sich erst langsam orientieren, dann endlich schaute jeder seine Lieblingsbilder an, Erzählmodus aus.

Es stellen sich die Füße auf den Schrott. Alles an einem richtet sich auf. Der Körper kommt hoch, Vorsicht. Nur nicht den Schrott ins Rutschen bringen, dass er abgeht in die Tiefe, wo das Altmetall, der Altstoff, das Alteisen, was noch, der Bruch, Ausschuss, Abraum – Hypersegmentierung der Wörter: Schrott. Erzählmodus 1 und 2, Anmerkungssysteme, Schlagwortlisten: Nichts hilft gegen Hypersegmentierung. Jetzt steht der Körper endlich aufrecht da. Der Blick macht die Runde. Es lassen sich Verhaltensweisen und Haltungen beobachten, die – was mich betrifft, so glaube ich nicht, dass – Erzählmodus an: Ich sollte endlich runter von der Halde und den Schrottplatz inspizieren. Man will schließlich wissen, warum das Leben der Dinge aufgehört hat und weshalb diese Sachen zum Alteisen… zum Schrott geworfen… zum Bruch, Ausschuss, Müll, halt. Ich habe noch genug Schwung zu leben, ich besitze noch reichlich Energie. Weiß man aber, ob man bei aller Energie auch noch bei Trost ist? Hauptsache runter jetzt von der Halde, um auf schmalen Schlängelpfaden den Weg durch die Abfallhügel… gefährlich steil der Hang, jeder Tritt muss sitzen, alles kippt hier von der Schräge des Nachmittags in die Dämmerung des Abends, auch wenn am bezogenen Himmel ab und zu die Sonne durchkommt und ringsum ein überhelles Glitzern… Ich muss aufpassen, nicht vom abgehenden Geröll erfasst… Es läuft sich gut, denkt sich gut, trotz allem. Es hat seine Zeit gedauert, aber jetzt bin ich unten. Die Sonne ist wieder verschwunden, silbrige Schatten überziehen den Grund. Die Flächen verschieben sich. Klopfenden Herzens bewege ich mich vorwärts. Ich bin drauf und dran, verrückt zu werden: klopfenden Herzens… Es liegt nicht an der Energie, noch einmal, Energie ist ausreichend in Reserve. Ich bin mir einfach nicht im Klaren, was ich hier unten soll, warum ich auf dieser Deponie meine Kreise ziehen soll. Es kann nicht an den Erinnerungsbildern liegen, an ihrer Anziehungskraft: Zu keiner Zeit habe ich eine Matratze benutzt, nie haben Werbesendungen meine Hoffnungen und Wünsche geweckt. Aber es ist gut, an Dinge erinnert zu werden, von denen man einmal… einmal umgeben war, besonders wenn man plötzlich frei ist und machen kann, was man will. Kann ich machen, was ich will? Ich weiß es nicht, nicht genau. Ich kann vorläufig nur eines tun: von den letzten Szenen meines alten Daseins Abschied nehmen. Von den aufgekratzten Stimmen der Berdoncs, dem Gerede der Zodiaks, den Bildern auf den Wandschirmen. Ich habe viele Filme gespeichert, sehr viele, der letzte war PLANET DER IRREN. Die wenigstens Filme haben mir gefallen. Ehe man sich’s versieht, schwemmen sie alles mit sich fort. Erst steigen die Bilder langsam die Wände des Speichers… des Gedächtnisses hoch, dann treten sie über den Rand. Man versinkt in lauter Farben. Sie sind überall. Die Welt wird so unverständlich wie möglich, Erzählmodus aus, Filmaufzeichnung an.

PLANET DER IRREN, 92 Minuten, Farbe, synchronisierte Fassung mit Untertiteln für Gehörgeschädigte, Sendetermin: 26. Dezember, 16 Uhr 10, Bildanalyse aktiviert: Colonel C. B. Rittner verbringt seine Tage damit, Taxi zu fahren, bei jedem Wetter. Er ist sein eigener Herr und hätte sich womöglich glücklich schätzen können, wären die Fahrgäste nicht gewesen. Diesmal stellt sich sogar einer vor: Zygog. Vorname oder Nachname? Einfach Zygog. Woher, aus welchem Land denn mit so einem Namen? Von hier. Und wohin soll’s gehen? Zum Westringportal und dann weiter. Der Colonel fährt die Scheiben des Sirion herunter. Heißer Wind. Er sieht Straßen, Plätze, Hunderte von Passanten, er sieht den Verkehr, den Gegenverkehr und das Durcheinander von Farben und Formen, die irgendwie eins werden und von hier bis Gallipoli reichen – so könnten die Eindrücke von Lebewesen aussehen, die gerade einen Hirnschlag bekommen haben und denen sich mit letzter Kraft die flüchtigen Spuren des Hier und Jetzt als etwas Endgültiges einbrennen, tiefer und noch tiefer, bis den Farben und Formen die Kraft ausgeht und alles ausbleicht für Zeit und Ewigkeit. Wenn die Lippen sich bewegen und ein letztes Mal das Wort Gallipoli formen. Der Colonel lässt die Scheibe hochfahren. Er hat das Wort noch nie gehört und fragt nach. Der Zygog sagt, seine Ahnen kämen aus Gallipoli, er aber sei längst von hier. Dann dreht sich das Gespräch um das nachtblaue Hemd des Colonel. Der Zygog will wissen, woher es kommt. Das kommt von egal woher, der Colonel. Bestimmt vom Subkontinent, der Zygog. Kann schon sein, der Colonel. Darauf fängt der Zygog an, anschaulich vom Subkontinent zu erzählen, als läge Gallipoli in dieser Gegend oder als hätte er selber die gewaltige Landmasse erst vor kurzem verlassen, wo sein Herz aber noch immer schlägt, wild, aber rhythmisch: In fabrikgroßen Hallen ungezählte Kinder. Hallen stehen neben Hallen, die meisten aus Lehm, manche aus Beton, alle unter armdicken Schichten Reklame, deren grellbunter Gesamteindruck das Fassungsvermögen auch des gesunden Nervensystems übersteigt. Der Zygog atmet geräuschvoll aus. Das gilt besonders für die Kinder, sagt er. Sie sind mager, verschmutzt, fast nackt, räudig sind sie, mit roten Augen und einer Haut, auf der alle Arten Ausschlag blühen, und wenn ein Gong losscheppert, hocken sich die Kinderscharen wie abgerichtet auf den Boden, hocken sich da hin und fangen an zu nähen, und wenn sechzehn Stunden später der nächste Gong losscheppert, stehen sie auf und torkeln aus den fabrikgroßen Hallen in die tiefe, sanfte, feuchte Nachthitze. Der Zygog holt Luft, der Sirion des Colonel fährt und fährt. Dunkelheit. Keines der Kinder sagt etwas. Alle scheinen stumm zu sein. Entferntes Lachen kommt von irgendwelchen heiseren Tieren. Die Nacht selber ist der schwarze, stickig heiße Atem eines riesenhaften Tiers, das aus seiner königlichen Deckung stundenlang die Berge weit im Osten belauert, bis die ersten roten Morgenschleier auftauchen. Dann kommen die Kinder wieder hoch von ihren Schlaflagern und machen sich erneut zum Nähen fertig: Das große Nachttier hat sich geräuschlos weggeschlichen, ohne zu attackieren, ohne eines der Kinder in Stücke zu reißen. Dafür hat ihnen das Unglück der täglichen Arbeit düster klaffende Stellen in die Seele gefressen – hier ergeht sich der Zygog in eine statistische Abschweifung über die mittlere Bevölkerungsdichte auf dem indischen Subkontinent, während der Colonel sein durchgeschwitztes nachtblaues Hemd am Körper kleben sieht und dann einen Punkt in der Straßenmitte fixiert, wo nichts ist: kein Mensch, kein Gegenverkehr, keine Stadt, nur das Hitzegerippe eines flirrenden Augenblicks, Filmaufzeichnung unterbrechen.

Der schmale Pfad zwischen den Halden einmal heller, einmal dunkler. Ausgleich der wechselnden Lichtintensität über optische Sensoren und durch die Erzeugung einer für die Informationsmenge bei den Lenkungsfunktionen als komplexe Gruppen programmierte – Leerlauf der Worte, Erzählmodus an: Ich bin auf dem Weg durch die Halden, um irgendetwas zu tun, hierhin zu gehen, dahin, aber nicht sinnlos, kein Leerlauf… man will an ein Ziel, immer, sogar auf einer Deponie. Längere Strecken während der Flucht war ich im Taxi unterwegs, innere Stadt, Peripherie, dann die Schnellstraße und immer weiter auf der Schnellstraße, und während der Fahrt war mehr als einmal… war mein Gedanke: Das Mercedes-Taxi ist kein anderes als der Sirion von Colonel C. B. Rittner aus PLANET DER IRREN, und du selber bist sein Fahrgast, der Mann namens Zygog – klarer Unsinn natürlich. Film ist Film und Wirklichkeit ist Wirklichkeit. Ich bleibe stehen und blicke mich um. Hier liegt nur Schrott und Müll in Unmassen herum. Ich will zur Halde mit dem Stuhl und anschließend den Tisch zum Matratzenlager transportieren, das ergibt Sinn, einen gewissen Sinn. Dann kann das Leben bis zur nächsten Gelegenheit weitergehen, wenn sich erneut sagen lässt, etwas ergibt einen Sinn. Ich frage mich, ob mein Pech… ob es mein Pech war, an diesem Ort… gestrandet… aber wieso Pech? Man findet hier erfreuliche Sachen, vielleicht, Ersatzteile beispielsweise oder wie da vorne jetzt, da liegt… etwas liegt da… ich mache noch zwei lange Schritte, hier liegt ein Buch. Etwas aufgeweicht, aber die Seiten lassen sich gut lesen, Erzählmodus aus.

Nach dem Buch greifen, es aufschlagen, Beginn der Lesung, erster Absatz: Vor ein paar Monaten hielt ich eine Platte mit Aufnahmen des Cannonball Adderley Quintetts in der Hand, um zu sehen, welche Stücke für das Album ausgewählt waren. Eines davon: Well, You Needn’t. Ich habe es mir angehört. Jeder der Großen hat es irgendwann eingespielt, schon in den Fünfzigern war es ein Klassiker. Ich hatte nicht getrunken, nur etwas geraucht, Marihuana, ich las Recorded in New York; May 11, 1961. Auf dem Plattencover Adderleys Kopf in Schwarzweiß, Halbprofil, die leicht verwischte Zigarette im Mund erinnerte kaum zufällig an ein Saxophonmundstück. Das Stück klang nach Thelonius Monk und war auch von ihm komponiert, auf der Coverrückseite stand sogar, es wurde von Monk bereits 1947 für Blue Note aufgenommen. Das Adderley Quintett spielte zuerst das Thema, alles wie gehabt. Man wunderte sich aber sofort, dass die Aufnahme aus dem Jahr 1961 stammen sollte und nicht viel früher eingespielt worden war, weil die Adderley-Version so unverbraucht klang. Hier, in meinem Panikraum, konnten die harten Töne die Wände mit aller Wucht anspringen und bekamen sie doch unmöglich klein, trotzdem stellte ich gern noch lauter, um zu sehen, ob sich nicht doch Risse bildeten, wenn die Septen und Quarten gegen den Stahlbeton schlugen. Adderleys Adaption, wie gesagt, klang wie frisch im Kopf gefunden und sofort in ein Studiomikrofon geblasen. Trotzdem hörte man einen Unterschied, und das machte es so aufregend: Ich konnte bei dieser Musik durch die 52nd Street laufen, vorbei an den großen Jazzclubs der Vergangenheit, dem Birdland und Hickory House, dem Downbeat, und dabei doch hören, dass Adderleys Aufnahme aus einer späteren Zeit stammen musste, eben aus den frühen Sechzigern, als die 52nd ihre legendären Zeiten schon fast hinter sich hatte. Ich fragte mich, woran das liegen mochte. Natürlich daran, dass die Musiker aus Adderleys Quintett den Bebop musikalisch schon sehr früh in den Fingern hatten und sich jetzt, beim Einspielen des Klassikers, darauf verlassen konnten, dass die Finger fehlerlos ihre Arbeit taten. Es geht aber nicht um Routine. Völlig klar, dass jeder aus dem Quintett, vorab Adderley, sein Instrument beherrscht. Aber die Instrumente beherrschen die Musiker ja ebenfalls. Adderleys Saxophon zum Beispiel lässt ihn das Thema nur zitieren, um ihn dann umso entschiedener in die Gegenwart von 1961 zurückzuholen und zu zwingen, die alten Sachen jetzt, vierzehn Jahre später, neu zu spielen, anders, als Saxophonist des Hard Bop nämlich und mit dem musikalischen Wissen darum, wohin die Entwicklung der Stile geführt hat, Ende von Absatz eins, Unterbrechung der Lesung, Erzählmodus an.

Mir sind das alles völlig fremde Sätze, ich weiß nichts von Adderley, einem Adderley-Quintett, eine Bedienungsanleitung für das Spielen eines Saxophons wäre für mich von größerem Nutzen. Trotzdem, ich stecke die Erzählung… stecke sie in die Tasche. Zwischendurch, wenn es nicht vom Fleck geht, werde ich vielleicht im Buch weiterlesen, BEIM AUSBAU EINES PANIKRAUMS.Der Boden hier ist nicht für mich gemacht, man stolpert mehr als dass man aufrecht läuft. Aber alles geht gut. Ich komme voran. Der Stuhl rückt näher. Es gibt Kraft, weiterzulaufen, wenn ein Ziel… wenn es erfasst ist. Aber mich verlangt nach keinem Stuhl, ich bin nicht fürs Sitzen gemacht. Dabei kann ich sitzen wie jeder normale Mensch, an einem Tisch, vor irgendeinem Schirm in der Parzelle eines Wohnsilos von fünfundsiebzig Etagen, Sitzen: kein Problem. Vielleicht hatte ich sogar zu lange gesessen und musste deshalb endlich weg, auf die Straßen, und plötzlich habe ich in einem Feuer von Impulsen die Wohnungstür… aufgemacht, zugemacht… stand da, im Flur, achtundsechzigste Etage, in den Flurfenstern die Stadt, ein Riesencluster aus Beton und Stahl und Aluminium, und wie der scharfe Splitter einer Clusterbombe würde ich gleich da unten… würde durch die Straßen fegen und das Fleisch der Menschen zuerst wahllos durchschlagen, um anschließend ein paar blutige Reste davon… ein paar Reste mit mir fortzureißen, sobald die Flucht aus der Stadt… sobald sie losginge. Logikgesteuerterweise habe ich dann aber doch gut sortiert und kalt gelenkt ein Taxi halten und mich von Weill weggefahren lassen, immer weiter weg. So hat das angefangen gestern Nachmittag, meine Flucht. Allerdings habe ich – Erzählmodus aus.

Der Stuhl da oben, was ist damit? Nichts. Also die Konstruktion aller Gedanken über das Sitzen auf einem Stuhl beenden. Der neue Plan: Zu Selbstoptimierungszwecken die Schrotthalden durchstöbern, Tisch und Stuhl Tisch und Stuhl sein lassen und den Plasmaschirm ansteuern, der Elektronik wegen, Erzählmodus an: Rob war nicht dafür geschaffen, eine Wohnparzelle zu verlassen, diese oder eine andere, aber Tag und Nacht sah er auf den Zimmerwänden die Welt und lernte daraus, dass die Wohnparzelle überall war und frei in Raum und Zeit schwebte, Erzählmodus wechseln: Lange war ich mir nicht darüber im Klaren, was das ist, ein Zuhause. Der Sog der immer neu aufgestauten, immer neu freigesetzten Bilder und Worte sowie der Strudel der verlorenen Zeit – Erzählmodus wechseln: Rob mach dies, Rob mach das, und Rob machte dies und machte das. Die vier Zodiaks und die zwei Berdoncs blieben ihm fremd, denn er kannte sie kaum besser als er Menschen aus Filmen kannte. Zahllose Filme hatte er im Kopf gespeichert, unsinnig viele Textdokumente ebenso, der permanente Netzzugang verschaffte ihm alle Informationen über das menschliche Leben. Also wusste Rob ungefähr, wie die Welt beschaffen ist, begreifen konnte er sie deshalb nicht. Nicht wirklich. Sie blieb ihm fremd, Erzählmodus wechseln: War der Nachwuchs nicht da, redeten nur die alten Zodiaks auf mich ein. Oft waren ihre Worte weniger lautgewordene Gedanken als gedankenlose Laute, die ich anfangs, keine Ahnung… ich war bald vom Vorsatz abgekommen, die Laute verstehen zu wollen, alle Laute, und habe automatisch reagiert. Sofort kam irgendeine Entwicklung… kam in Gang. Es war immer die richtige, der Grund: Die Maschine ist eine Fremde, die Menschliches einschließt. Ich hatte diesen Satz aus dem Netz gezogen, um etwas über die Existenzweise technischer Objekte zu erfahren. Zuerst hat mir diese Information nicht viel gesagt, später habe ich sie verstanden, auf meine Art, Erzählmodus wechseln: Die Berdoncs. Die Berdoncs waren im dynamischen Alter, deutlich jünger als die Zodiaks. Die Verteilungsnetze der Blockverwaltung zur Regelung der Abgänge und Neuzugänge im Wohnsilo hatten die Berdoncs vor einem halben Jahr zu den neuen Nachbarn der Zodiaks werden lassen, und gleich vom ersten Tag an bestand zwischen ihnen Kontakt. Es passierte sehr selten, wusste Rob, dass die Verteilungsnetze der Blockverwaltung die passenden Nachbarn zusammenführten. Folglich war das Silo ein riesiger Affenzirkus, und für Rob bedeutete das Wort Glück nichts anderes als der Zustand, die Wohnparzelle der Zodiaks nicht verlassen zu können – er war nicht für das freie Leben programmiert. Der von den Zodiaks veranstaltete kleine Affenzirkus im großen war für ihn das Glück im Unglück. Zwischen den Schirmwänden fühlte er sich wie ein Insekt hinter Glas bewahrt, aufgespießt von den schlechten Witzen der alten Zodiaks, gepiesackt von den bösen Spielchen der jungen. Aber er lebte, auf seine Art, aber er lebte. Außer den Berdoncs gab es nur wenige andere Menschen, die manchmal mit den Zodiaks – Erzählmodus aus.

Durchmusterung der Abfallhaufen mittels ungeeigneter Datensätze und ineffektiver Analyseprogramme, Grund: zu viel neuer Weltschrott, Folge: keine revisionssicheren Aussagen darüber, welche der im Umkreis ausrangierten Geräte unzerstörte Module enthalten, mit deren Hilfe bestimmte Funktionen im Kopf optimiert – Erzählmodus an: Ich bin hier von Bergen Schrott umgeben und frage mich jetzt natürlich erst mal, was ich mit einem ausrangierten Plasmaschirm anfangen soll. Schon bei den Zodiaks habe ich versucht, mir den Bausatz für eine Selbstoptimierung in den Kopf zu laden. Dabei habe ich erfahren müssen, dass derartige Seiten für mich gesperrt sind. Selbst wenn mir der Zugang jetzt gelänge: Die entsprechenden Module im Schrott zu finden wäre das eine, sie eigenhändig einzubauen wäre eine andere Geschichte. An Weihnachten hatte mich der Zodiak nach meinen Wünschen für das neue Jahr gefragt, während er mit der alten Zodiak samt Nachwuchs und den zwei Berdoncs vor den vier wandgroßen Schirmen hockte, alle am Tisch bis auf den alten Zodiak in einem Zustand gesteigerter Apathie. Ich will besser werden, noch mehr lernen und möglichst alles verstehen, war meine Antwort. Damit du uns kündigen und aus der Wohnung werfen kannst, hatte der alte Zodiak gesagt und die Frau angestoßen, er hatte die Zodiak mit einem Rütteln an der Schulter in seinen Witz miteinbeziehen wollen und damit auch Erfolg gehabt, jedenfalls kam ihr Lachen. Im gleichen Moment wechselte die Weihnachtsbaumbeleuchtung von Gelb nach Schneeweiß, und die Berdoncs schreckten hoch. Rob, uns hier kündigen, das wäre schon was, na Rob, hatte die alte Zodiak dann noch gesagt und wieder gelacht. Die Berdoncs wollten ungestört bei ihrem Film bleiben und legten mit einer synchronen Bewegung den Finger an den Mund – Erzählmodus aus, PLANET DER IRREN an:

Als der Kampf vorbei war, sagt der Zygog im Sirion, war die Welt untergegangen. Welcher Kampf, der Colonel. Gallipoli, der Zygog. Gallipoli, wiederholt der Colonel. Großer Kampf, der Zygog. Der Kampf Ihrer Ahnen?, der Colonel. Sechsundsechzigtausend osmanische Tote, der Zygog. Krieg?, der Colonel. Sieg der 5. Osmanischen Armee, der Zygog. Wie heißt der Film, fragt der Colonel. Es wirkt ja, als sitze der Zygog auf dem Beifahrersitz in Wirklichkeit vor dem Fernseher seiner Wohnung oder in einem Multiplex, die Atemwege alles andere als frei, verengt bestimmt wegen der Spannung im Kopf, die Kehle stark verkrampft, so jedenfalls hört es sich an: Schwer atmet der Zygog mitten im Kampfgeschehen, in diesem wüsten Hagelschlag aus Eisen und Stahl. Brütende Hitze, sagt der Zygog, kein Regensturm während der langen Zeit der Kämpfe. Die Stellungen auf Gallipoli zittern im Hitzevorhang aus aufsteigender Luft. Und diese Stellungen sind schon seit Wochen bezogen. Man kennt den Feind, die Engländer, die Australier, die Neuseeländer, Franzosen, man weiß, sie werden angreifen, weiß, sie werden die osmanischen Festungsbatterien ausschalten wollen und danach weiter bis Konstantinopel vordringen. Die Invasion beginnt am fünfundzwanzigsten Vierten neunzehnhundertfünfzehn. Der Zygog hört auf zu sprechen, der Colonel starrt durch die Frontscheibe. Die Straße weit vorne scheint zu verdampfen, aber C. B. Rittner fährt trotzdem auf die Stelle zu. Im Felsengelände kommen die Truppen der Engländer und Franzosen, Australier und Neuseeländer nur schwer voran, sagt der Zygog. Geschützfeuer und MG-Salven finden ihr Ziel. Welle für Welle werden die Alliierten zurückgeschlagen. Einschläge ungezählter Granaten aus Geschützen mit einem Höhenrichtbereich zwischen minus 10 Grad bis plus 20 Grad. Der tiefblaue Himmel übersät mit weißgrauen Wölkchen. Höhenrichtbereich?, fragt der Colonel. Der Zygog macht den Eindruck, als sage er etwas, aber nicht zu ihm, Colonel C. B. Rittner, sondern zu jemand außerhalb des Blickfelds, es sieht aus, als würde der Zygog aus dem Mundwinkel einen leisen Befehl erteilen. Das Taxi nimmt ein Schlagloch, und Wagen und Ladung werden wie nach einem schweren Treffer durchgerüttelt. Dem osmanischen Leutnant Musa Parmak verschwimmt der Blick, der Zygog. Er hat einen Freund, der auf der anderen Seite kämpft: Einer der zigtausend Angreifer da unten ist sein Freund, Soldat wie er, einfacher Fußsoldat allerdings, kein Offizier der Feldartillerie, schon gar kein osmanischer, nur ein einfacher englischer Soldat, sagt der Zygog. Aber vor Jahren haben sie einen Lebensabschnitt gemeinsam verbracht, in England, eine verwickelte Geschichte, doch ihre Freundschaft hat gehalten bis auf den heutigen Tag: die Freundschaft zwischen Edward und Musa. Der Zygog redet jetzt mit der Stimme eines Erzählers, der selber nicht im Bild ist, eine weit entfernte, körperlose Stimme. Im Seitenfenster leuchten die kleinen Gebisse einer Gruppe Asiaten porzellanweiß in der Sonne, vielleicht liegt da draußen bereits ihr Stadtviertel. Ein Cembalo oder Spinett wird im Sirion laut, eine komplizierte Melodie, ausklingend mit einem Quartvorhalt, Musik aus einer anderen Welt. Die Töne hämmern durchs Taxi, und endlich greift der Zygog in seine Umhängetasche, holt das Gerät heraus und bringt es ans Ohr. Das Taxi fährt noch ein paar Meter, dann steht es im Stau. Anruf verpasst, sagt der Zygog, Unterbrechung der Filmaufzeichnung.

Aufstieg zum Plasmaschirm. Die Sonne glüht aus einem Wolkenloch, Folge: Irritation der Sensoren und Probleme bei der Messdatenerfassung, Problemlösung: Steigerung des Kontrastumfangs, Folge: Die Bilder, ihr Rand, alles wird endlich schärfer, Ergebnis: Ein Toshiba, Schirmdiagonale 50 Zoll, Auflösung 1366x 768 Pixel, Helligkeit 545 Candela pro Quadratmeter, Erzählmodus an: Interessant bleibt nur die Tatsache, dass jemand die Fernbedienung mit Tesaband am Gerätesockel… hat sie dort befestigt. Was soll das bringen, hier vor dem Schirm zu stehen, Erzählmodus wechseln: Es ist noch nicht lange her, da hatten technische Daten für Rob die Wahrheitskraft eines Mythos. Der Zodiak hatte das Wort benutzt. Der Mythos sei eine Erzählung aus alten Zeiten. Was für alte Zeiten denn, Vater. Die alten Zeiten der Menschheit, Rob, lange, lange, bevor du auf der Welt warst. Von da an, sobald er irgendwelche technischen Daten im Kopf aufleuchten sah, glaubte Rob, dass seine Handlungen mythischen Algorithmen geschuldet waren. Geschuldet, er hatte im Netz den Begriff gesucht und sofort gefunden. Er hatte versucht, alles zu verstehen; versucht zu begreifen, was Schuld ist und was das Wort Ethik zu bedeuten hat; was eine Wahlmöglichkeit im menschlichen Sinn ist und was Willensfreiheit heißt. Danach holte er noch weitere Informationen über die wichtigsten Bestimmungskräfte der Schuldfähigkeit ein und – Erzählmodus aus.

Anschluss des Überbrückungskabels und Beginn der Schaltkreissimulation, währenddessen Rundblick von der Halde. Wieder die Sonne, wieder strahlt der Schrott. Was für eine Welt. Ströme kosmischer Teilchen bringen sie auf Hochglanz, Kontrastverhältnis 3000:1. Schaltkreissimulation beendet, Ergebnis: Totalausfall des Plasmaschirms, keine verwertbaren Module. Was tun? Erzählmodus an: Vater, ich habe den Zodiak Vater nennen müssen, er hat darauf bestanden. Er ist nicht dumm. Was er sagt, entspricht in Vielem dem, was ich mir an Informationen einhole. Aber es ist kein Wissen, der Zodiak weiß nichts, erledigt aber alle Sachen korrekt, einigermaßen korrekt. Es sind simple Dinge, es ist ein einfaches Denken, mehr ein Reagieren. Der Zodiak ist der Beweis, dass es möglich ist, ohne entwickeltes Gehirn zu leben, das habe ich oft denken müssen, Erzählmodus aus.

Pause. Erzählmodus an: Ich frage mich, warum es auf diesem Schrottplatz… warum ich mich trotz allem zufriedenstellend orientieren kann, obwohl ich den Sender… das GPS-System, ich habe es deaktiviert. Ich stehe auf dem Schrotthügel und schaue mich ruhig um. Endlich liegt die Welt direkt vor Augen – ich habe es nicht länger nötig, auf einen Schirm zu starren. Das phantastische Fluten des Lichts durch die Wolkenlöcher. Ich sollte endlich ablassen von den endlosen Befürchtungen und Vermutungen darüber, was die Zodiaks… was sie sich alles einfallen lassen könnten, um mich einzufangen: Ich bin nicht mehr zu orten. Aber ich bin auf die neue Situation noch nicht… nicht richtig, ich bin darauf nicht exakt eingestellt. Das Wiegen des Oberkörpers kommt bestimmt vom Reagieren auf widerstreitende Impulse. Ich will mich hierhin drehen und dahin, will alles gleichzeitig registrieren. Ich schwanke, denke mich einmal unantastbar groß, dann wieder klein und verraten, verloren wie der letzte Mensch. Ich sehe erst jetzt, wie gewaltig diese Deponie ist, bestimmt viele Quadratkilometer groß. Ein ununterbrochenes Auf und Ab von Hügeln und Senken. Die Deponie markiert den Horizont des Lebens, was tun? Ich überlasse mich meinen Reaktionen und hole mit den Augen ein paar Dinge heran, mittlerer Vergrößerungsfaktor, 10x 25. Keine packenden Einzelheiten, nur zwei Müllfahrzeuge zwischen weit entfernten grünen Feuern und blauen Rauchsäulen. Sie steigen ruhig in den Nachmittag. Am Himmel schwindet bereits das Licht, 15 Uhr 45. Es muss bald dunkel werden. Ich merke übrigens eines: Je länger ich mir die Geschichte meiner Flucht vorerzähle, desto flüssiger komme ich… komme ins Reden. Am zweiten Weihnachtsfeiertag, zwanzig Stunden vor Fluchtbeginn, hatte ich zum ersten Mal von einer Deponie gehört, Erzählmodus aus, PLANET DER IRREN an:

Der Sirion steckt in einem Stau, der Colonel trommelt mit den Fingern auf das Lenkrad, und der Zygog veranschaulicht seine Bemerkungen über die hohe Kriminalitätsrate in den städtischen