Fremdvögeln - Zoe Schreiber - E-Book
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Zoe Schreiber

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Beschreibung

Daniela ist verheiratet, Mutter zweier Kinder und führt ein geordnetes Leben im Hamburger Vorstadtidyll. Ihrer Ehe aber mangelt es schon lange an Aufmerksamkeit und Leidenschaft. Während ihr Mann sich an den Wochenenden auf Motorrad-Trips begibt, treibt es sie auf der Suche nach amourösen Abenteuern in die Bars und Clubs der mondänen Eppendorfer High Society. Dienen diese kleinen Fluchten anfänglich noch dazu, ihr Leben ein wenig reizvoller zu gestalten, sorgen sie bald für mehr Aufregung, als ihr lieb ist. Eines Abends trifft sie auf eine flüchtige Jugendbekanntschaft. Daniela lässt sich mit Tom auf eine leidenschaftliche Affäre ein, in der sie sich mehr und mehr verliert. Hin- und hergerissen zwischen dem Wunsch nach emotionaler und erotischer Erfüllung und dem Bedürfnis nach Sicherheit und einem geregelten Leben, muss sie eine folgenschwere Entscheidung treffen …

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Seitenzahl: 504

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Zoe Schreiber

Fremdvögeln

Originalausgabe

© 2013 bei Hey Publishing GmbH, München

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlags wiedergegeben werden.

Ähnlichkeiten mit lebenden Personen sind rein zufällig.

Covergestaltung: ZERO Werbeagentur, München

Coverabbildung: FinePic®, München

ISBN 978-3-942822-36-7

www.heypublishing.com

www.facebook.com/heypublishing

KAPITEL 1

KAPITEL 2

KAPITEL 3

KAPITEL 4

KAPITEL 5

KAPITEL 6

KAPITEL 7

KAPITEL 8

KAPITEL 9

KAPITEL 10

KAPITEL 11

KAPITEL 12

KAPITEL 13

KAPITEL 14

KAPITEL 15

KAPITEL 16

KAPITEL 17

KAPITEL 18

KAPITEL 19

KAPITEL 20

KAPITEL 21

KAPITEL 22

KAPITEL 23

KAPITEL 24

KAPITEL 25

KAPITEL 26

KAPITEL 27

KAPITEL 28

KAPITEL 29

KAPITEL 30

KAPITEL 31 – Sechs Jahre später

Leseprobe: Auch andere Mütter haben schöne Söhne

1 Kapitel

2 Kapitel

KAPITEL 1

Ich wusste vom ersten Moment an, dass ich ihm verfallen würde. Dass ich verloren wäre, wenn er mich nur einmal küsste. Dass ich mich ihm ausliefern und nicht zögern würde, mein bisheriges Leben gegen die Wand zu fahren. Dass er mein Ruin sein würde. Ich wusste es nach dieser ersten Umarmung, die so gefühlvoll und innig war und so gar nicht zu seiner coolen Optik passte. Aber ich wollte es nicht wahrhaben, denn ich wollte ja nur ein bisschen fremdvögeln.

Wir waren in der „Insel“, einem Club an der Alster, in den ich schon zu Abi-Zeiten gegangen war. Damals hatte ich mich zu jung gefühlt. Heute, mit Mitte dreißig, schien ich hier genau richtig zu sein. Oder war ich schon zu alt, um in Nightclubs zu viel Sekt auf Eis zu trinken, selbstverliebt zu tanzen und zu flirten, was das Zeug hielt? Ein letztes Aufbäumen, bevor die magische 40 überschritten war, ein letztes Zucken der Fortpflanzungsorgane im Hormonrausch?

„Ich muss gehen“, sagte ich zu ihm. Er stand am Rand der Tanzfläche, nippte an einem Wodka Tonic und zog an einer Zigarette. Warum stand ich immer noch auf solche Typen? Seine Haare waren etwas zu lang, blond und fein. Er trug einen grauen Anzug zu Jeanshemd und Cowboystiefeln. Ich starrte auf das Schlangenmuster und die ramponierten Spitzen. Schon mit zwanzig hatte ich Jungs mit Cowboystiefeln gemocht. Hatte ich nichts dazugelernt?

„Sehe ich dich nächste Woche wieder?“, fragte er. Seine Augen, hellblau oder grau, so genau konnte ich das in dem Licht nicht erkennen, musterten mich intensiv. Ich zuckte mit den Schultern. „Mal sehen. Vielleicht gehen wir ins Bereuther.“

Ein Austausch von Banalitäten, ein Tänzeln an der Oberfläche.

Eine Blondine mit Endlosbeinen in einem engen Top, das ihre Brüste betonte, ging vorbei und warf ihm ein laszives Lächeln zu. Barbie sah aus, als hätte sie sich gern länger mit ihm unterhalten – was auch immer „unterhalten“ in Diskos wie dieser bedeuten mochte. Mich behandelte sie wie Luft. Schlimmer, wie luftleeren Raum.

„Na, dann“, sagte er und warf die Zigarette auf den Boden, wo er sie mit einer knappen Drehung seiner Stiefelspitze austrat. Unversehens breitete er die Arme aus, zog mich an sich und umarmte mich auf eine Weise, die mich in die Knie zwang. Zart, weich und fest zugleich, zärtlich und liebevoll, fast beschützend drückte er mich an seine breite Brust. Mit Stiefeln war er bestimmt über 1,90 Meter groß. Mein Gesicht sank an seinen Hals, der Geruch nach Rauch, einem herben Parfum, Wodka und einem schwachen Minzduft machte mich benommen. Darunter lag noch etwas anderes, ein vages, aber reizvolles Versprechen, über das ich nicht so genau nachdenken durfte. Ich vergrub meine Nase zwischen Anzugrevers und Haut. Sein Haar kitzelte mich in der Nase. Ich hätte Stunden so stehen können. Es war wie nach Hause kommen und ein Sprung in schwindelerregende Tiefen zugleich. Fast stiegen mir Tränen in die Augen. Warum hatte mich in den letzten 35 Jahren nie jemand so umarmt? Mich von ihm zu lösen kostete enorme Kraft. Tapfer lächelte ich ihn an.

„Bis dann.“

Er grinste zurück und fuhr sich durch die Haare. Vor fünfzehn Jahren waren sie noch viel länger gewesen. Meine alte Schulfreundin Britta und ich hatten ihn deshalb Blondie genannt. Blondie kam immer erst ins Madhouse, die damalige In-Disco, wenn es proppenvoll war oder wir schon los mussten, weil die letzte Bahn in die Vorstadt ging. Er kannte alle, die wichtig, cool und schön waren, wurde von jedem begrüßt und hatte sofort ein Getränk in der Hand, während wir konsequent vom Barkeeper ignoriert wurden. Im Schlepptau hatte er stets die hübschesten Mädchen. Uns Landeier nahm er gar nicht wahr. Aber Blondie war uns sowieso viel zu alt, und er gefiel uns auch nicht, denn er war kein süßer Junge wie die Sänger von Wham, Spandau Ballett oder Depeche Mode.

„Du musst los“, erinnerte er mich. „Oder willst du doch noch was trinken?“

Er trank sein Glas aus und gab dem Barkeeper ein Zeichen. Wie früher schien der nur darauf zu warten, dass Tom etwas bestellte.

„Nein, es ist schon viel zu spät für mich.“

Suchend sah ich mich nach Carina um, mit der ich hergekommen war. Ich erblickte sie auf der Tanzfläche, wo sie sich, scheinbar selbstversunken, in Wahrheit jedoch mit wohlkalkulierter Sinnlichkeit, zur Musik bewegte. Sie hatte das wirklich drauf. Einige Typen starrten sie an wie hungrige Wölfe, ein anderer tanzte sehr dicht neben ihr. Wenn ich tanzte, bemühte ich mich immer, sie unauffällig zu imitieren. Peinlich, wenn man es nie geschafft hatte, sich einen eigenen Tanzstil zuzulegen. Ich winkte ihr kurz zu, sie winkte zurück und wandte sich dann wieder ihrem Aufriss zu. Offenbar wollte sie noch bleiben. Noch einmal lächelte ich Tom an, der mir zum Abschied zuzwinkerte. Dann wankte ich so schnell ich konnte durch den Raum, der von Stimmengewirr, hysterischem Frauenlachen und den neuesten Dancefloor-Hits vibrierte, drängte mich durch alkoholisiertes Partyvolk, das an diesem x-beliebigen Donnerstag im Oktober feierte, als gäbe es kein Morgen. Oder jedenfalls keinen trüben Freitagmorgen mit Kater und Kopfschmerzen. Meine Beine waren so wabbelig, dass sie mich kaum auf meinen zu hohen Absätzen sicher und wenigstens halbwegs elegant zum Ausgang trugen. Ich konnte nicht fassen, dass diese Umarmung und dieses letzte Zwinkern mich so verunsichert hatten.

An der Garderobe löste ich meinen Mantel aus und verließ den Club. Der Türsteher nickte mir zu: „Bis nächste Woche.“ Das sagte er nur, weil ich mit Tom gekommen war, direkt aus dem Bereuther. Plötzlich kannte er mich, nachdem er mein schüchternes „Tschüss“ monatelang ignoriert hatte.

Durch matschiges Herbstlaub glitschte ich zu meinem Cabrio, schloss auf und ließ mich auf den Sitz fallen. Zwei Uhr, schon wieder viel zu spät. Mein Kopf summte wie ein ganzer Bienenstock und auf meinen Lippen lag der Geschmack von Zigaretten und Weißwein. Ich redete mir ein, dass ich noch fahren konnte. Dass ich nur von Toms Umarmung so durch den Wind war. Wahrscheinlich würde ich sowieso nicht kontrolliert werden. Das letzte Mal war ich angehalten worden, als ich meine Führerscheinprüfung gerade bestanden hatte. Ich schob mir ein Kaugummi in den Mund und startete den Wagen. Mein Handy piepste.

„Ich glaube, ich habe mich in dich verliebt. Tom.“

 Ich starrte das Display einige Sekunden an, bevor hinter mir ungeduldig gehupt wurde. Jemand wollte meinen Parkplatz übernehmen. Mit schwitzenden Händen packte ich das Lenkrad und fuhr los.

Ich sollte die SMS löschen, bevor ich nach Hause komme, dachte ich. Bevor sie Stefan findet. Kein Ehemann der Welt würde sich über eine solche Nachricht freuen.

Zu Hause, im idyllischen Sasel, im kreditfinanzierten Einfamilienhaus direkt im Alstertal, wartete meine Familie auf mich. Natürlich schliefen zu dieser Zeit alle. Meine zuckersüße Tochter Milena, neun, und mein entzückender Sohn Noah, vier, schon fast fünf Jahre alt.

Welches unbefriedigte Bedürfnis trieb mich eigentlich Woche für Woche „in die Stadt“, wie man bei uns im Vorort so sagte, nach Eppendorf, in eine Bar, in der hungrige Singles nach Liebesabenteuern Ausschau hielten, wo ich doch hier alles hatte?

Ich fuhr den Wagen ein wenig zu schwungvoll in den Carport und schrammte dabei an einem der Holzpfähle entlang. „Mist“, zischte ich. Das Licht, eigentlich von einem Bewegungsmelder aktiviert, ging nicht an, sodass ich mich im Dunkeln aus der Tür zwängen musste. Ich würde mir die Schramme morgen anschauen.

Die Eingangstür knarrte und ich stolperte über Schuhe, die verstreut im Flur lagen. Aus dem Schlafzimmer erklang Stefans sattes Schnarchen, und sofort meldete sich der gewohnte Groll, ein unterschwelliger Ärger, den ich länger mit mir herumschleppte, als ich zugeben wollte. Ich schlich ins Bad, schminkte mich ab und putzte mir die Zähne. Im Spiegel begegnete mir leicht verschwommen ein frecher Blick, gekrönt von einem gutgelaunten Funkeln. Oh ja, das Aufstehen in nicht ganz vier Stunden würde hart werden. Und ich würde Kopfschmerzen haben. Mich schlapp durch den Tag mit Haushalt und Kindern kämpfen. Aber es lohnte sich. Denn ich fühlte mich endlich wieder lebendig.

Der Fußboden war kalt. Ich tappte vorsichtig über die Fliesen im Flur, bog dann auf den nur unwesentlich wärmeren Parkett des Schlafzimmers ein. Wir heizten dort nie, aus Energiespargründen. Der 60er-Jahre-Bungalow war schlecht isoliert und man heizte buchstäblich aus dem Fenster. Es war stockdunkel. Das Schnarchen meines Ehemannes war einige Sekunden lang leiser geworden, als warte es ab, während ich mich vorsichtig unter die Bettdecke schob, und dröhnte nun wieder in voller Lautstärke los. Ich stopfte mir Ohropax in den Gehörgang, drehte mich auf die Seite und zog mir die Bettdecke über den Kopf.

KAPITEL 2

„Wann warst du denn gestern Abend zu Hause?“

Ich schmierte gerade das Schulbrot für Milena, die erörterungsbedürftige Sonderwünsche für den Belag hatte. Das gab mir einige Minuten, um zu überlegen. Wahrscheinlich hatte er mich nicht gehört. Das Schnarchen hatte überzeugend geklungen.

„So gegen eins. Genau weiß ich das nicht. Hab nicht auf die Uhr gesehen“, log ich. Er schluckte es anstandslos.

„Und, war es schön?“, erkundigte Stefan sich, während er genussvoll in sein Brötchen biss.

„Na ja“, wiegelte ich ab. „Wie immer. War ganz lustig. Carina ist natürlich länger geblieben.“

Er wusste, dass Carina unglücklich verheiratet war. Ihr Mann Sven hatte laufend Affären, vorwiegend mit jungen Aushilfen, die in ihrem Eiscafé jobbten, oder der jungen, hübschen Babysitterin. Sie blieben nur wegen der Kinder, die noch kleiner waren als unsere, und wegen des gemeinsamen Unternehmens zusammen. Angeblich hatten sie sich arrangiert. Auch Carina vergnügte sich außerehelich.

„Aha. Hoffentlich hast du nicht zu viel getrunken?“

„Nein. Nur zwei Weinschorlen. Aber zu viel geraucht.“

„Geht schon“, fügte ich knapp hinzu, als ich sein süffisantes Grinsen sah, und konzentrierte mich auf Noahs Proviant für den Vormittag. Ich sehnte mich danach, endlich alleine zu sein.

„Hast du meinen Schlüssel gesehen?“, fragte Stefan. Sachen zu verlegen und zu suchen war ein Hobby von ihm, in das er mich gern einbezog.

Ich zuckte die Schultern. „Wenn er nicht im Schlüsselkasten hängt, weiß ich auch nicht.“

Bevor Milena davon stürmte, drückte ich ihr die Dose mit den Pausenbroten in die Hand. Milenas Schule lag nur wenige hundert Meter entfernt. Oft nahm Stefan sie auf dem Weg zur Praxis mit. Das war ihr allerdings in letzter Zeit zu peinlich geworden.

„Welche Schuhe, welche Jacke?“, fragte sie. Ich wies auf die Halbschuhe und reichte ihr eine Steppjacke. Sofort verzog sie das Gesicht.

„Nee, die ist hässlich!“, beschied sie und rupfte einen kurzen Blouson vom Haken, der ihr ein wenig zu klein war. Dazu schlüpfte sie in ausgelatschte Turnschuhe. Mein Kopf dröhnte und ich hatte keine Lust, mich auf sinnlose Diskussionen einzulassen.

„Das sieht komisch aus!“, kicherte Noah, der sich an mich schmiegte.

Milena warf ihm einen bösen Blick zu. „Muss er nicht in den Kindergarten?“

Noah schüttelte den Kopf.

„Doch“, widersprach ich. „Heute ist ‚drinnen‘.“ Noah war in einem Waldkindergarten und hatte zwei Tage die Woche „draußen“ im Wald und zwei Tage „drinnen“ im Gebäude.

„Dann kann ich ja mit meinem unsichtbaren Computer spielen“, gab Noah befriedigt zurück.

Milena verdreht die Augen und packte ihren Ranzen. „Tschüss, Mama!“

Ich gab ihr schnell einen Kuss, bevor sie flüchten konnte. Dann verabschiedete ich mich von meinem Mann, der seinen Autoschlüssel endlich gefunden hatte. Er schmatzte mir einen flüchtigen Kuss auf die Wange.

Schon in der offenen Tür stehend sagte er: „Wird nicht so spät heute. Ich bin wahrscheinlich so gegen drei wieder da.“ Er knuffte Noah liebevoll zum Abschied.

„Dann wollte ich aber noch eine Runde fahren, meinst du, das geht?“

Sein Blick schweifte sehnsüchtig zur Garage. Zwei Motorräder, eins davon im nicht abgeschlossenen Reparaturzustand, besetzten den Stellplatz für das Auto. Nur die Fahrräder passten noch hinein – wenn sie Glück hatten.

„Klar“, sagte ich ergeben. Was sollte ich sonst sagen? Wenn ich mir die Abende in einer Bar um die Ohren schlug, konnte ich meinem schwer arbeitenden Mann ja wohl kaum die unschuldige Runde auf seinem geliebten Motorrad verbieten.

Nachdem ich Noah im Kindergarten abgeliefert und den Wochenendeinkauf erledigt hatte, kannte ich nur noch ein Ziel: mein Bett. Mein Kopf dröhnte. Die blöde Tablette hatte rein gar nichts bewirkt. Durch meine Adern pulsierten Restalkohol und Nikotin. Was den Abend zum lustvollen Versprechen gemacht hatte, hatte nun seinen schillernden Kokon der Täuschung verloren. Im grauen Oktobertageslicht wirkten die Stunden meiner Familienflucht geradezu absurd. Was tat ich da bloß? Und warum? Ich musste einen Dachschaden haben, wie meine ebenfalls verheiratete Freundin Tina gern sagte.

Mit ihrem Mann Holger hatte ich beinahe eine Affäre gehabt. Vorletztes Jahr hatte es zu knistern begonnen. Eigentlich hatte ich Holger bis dahin kaum wahrgenommen – nur als blondes, durchtrainiertes, aber etwas langweiliges Anhängsel von Tina. Dann feierten wir meinen 33. Geburtstag, ich trug ein schwarzes Kleid von Jil Sander, und Holger küsste mich fast auf den Mund. Plötzlich sah ich ihn zum ersten Mal wirklich und erblickte einen attraktiven Mann, neben dem Tina knittrig aussah. Auf einmal begannen meine Gedanken um ihn zu kreisen. Bei harmlosen Kaffee-und-Kuchen-Treffen samt Kindern bekam ich feuchte Hände. Wenn ich Tina zum Weintrinken abholte, hoffte ich, ihn zu sehen. Immer wieder gab es Blicke und Begrüßungsumarmungen, die einen Tick zu lange dauerten. Bei Stefans Geburtstag hockte ich fast die ganze Zeit auf der Sofalehne neben Holger, fast an ihn geschmiegt, während Stefan mit seinen Motorradfreunden am Esstisch über die schnellste Rennstrecke diskutierte. Zum Abschied folgte wieder eine innige Umarmung, die jeden hätte stutzig machen müssen. Es sah aber keiner. Nachts, weinbeduselt, schickte ich ihm eine Mail: „Can you feel it`s magic?“, anknüpfend an einen alten Song, und schämte mich am nächsten Tag dafür. Herzklopfend überwachte ich meinen E-Mail-Eingang. Nichts geschah. Ich hatte mich lächerlich gemacht.

Viel später begriff ich, dass Holger ein Feigling war. Vor dieser Einsicht folgten Monate inneren Aufruhrs. Als ich fast nicht mehr dran glaubte, hatte ich ihn zufällig am Telefon, als ich Tina sprechen wollte. Plötzlich wollte er mich sehen. Wir trafen uns in einer Bar in Winterhude. Es prickelte sofort. Er aß einen Antipasti-Teller im Stehen, ich bekam keinen Bissen herunter, sondern trank stattdessen zwei Gläser Wein. Dann packte ihn die Panik, weil er eine Bekannte von Tina zu sehen glaubte. Wir gingen zu meinem Auto. Als ich ihn zu Hause absetzte, schlug er vor, noch ein letztes Gläschen zusammen zu trinken. Naiv willigte ich ein. Oder wusste ich, was kam? Kaum hatten wir den Flur betreten, fiel er über mich her. Er küsste mich leidenschaftlich, biss mich in die Lippe, drängte mich an die Wand, umschlang mich, hob mich hoch, als wöge ich nichts, ich spürte seine sehnigen Rückenmuskeln. Hände überall, hochgezerrte Kleidungsstücke. Es fühlte sich wahnsinnig und gut an. Stufe für Stufe schob er mich die Treppe in den ersten Stock hoch, und bugsierte mich ins Schlafzimmer, legte mich auf das Ehebett. Ich würde meinen Mann erschießen, wenn er so etwas täte. Und es verstehen, wenn er dasselbe täte. Den Gedanken, dass ich neben meinem Mann auch meine Freundin betrog, verdrängte ich. Stattdessen wälzte ich mich mit Holger im Bett, alle Nervenenden aufgestellt, elektrisiert. Nur mit Mühe zog ich die Notbremse und schlief nicht mit ihm. Ein Teil meines Gehirns schien noch zu funktionieren und sagte mir, dass ich nicht schwanger werden dürfe, wo mein Ehemann doch sterilisiert war. Also besorgte ich es ihm mit der Hand. Nachdem er zum Orgasmus gekommen war – ich hatte keinen gehabt – gingen wir nach unten. Er trank ein Glas Saft und wünschte mir einen guten Heimweg, als wäre nichts gewesen. Zittrig stieg ich ins Auto. Kein Wort über ein Wiedersehen. Kein Wort über Gefühle. Wie ein Judas schlüpfte ich zu Hause ins Bett. Einmal noch sahen wir uns, knutschten in einem mexikanischen Restaurant. Arm in Arm fuhren wir durch Hamburg. Ich war wie auf Drogen. Dann verlief es wortlos im Sand. Ich konnte nicht fassen, was für ein Blödmann er war. Nicht einmal gesprochen hatten wir über den Status unserer Nicht-Beziehung.

Also ging ich wieder mit Tina Wein trinken, mit schlechtem Gewissen lud ich sie ein. Mein erster Ausflug ins Land des Ehebrechens war noch einmal glimpflich abgelaufen. Keiner war zu Schaden gekommen. Aber wenn die Dämme erst brechen, kann man der Flut kaum noch Einhalt gebieten. Innerlich Abbitte tuend, war ich reumütig zu Stefan zurückgekommen, der ja gar nicht gemerkt hatte, dass ich kurz davor gewesen war, ihn zu verlassen. Wochen und Monate vergingen, bis wieder die Unzufriedenheit über meine mittelmäßige Ehe in mir hoch kam. Sie trieb mich in Bars, mit Carina und ihren Single-Freundinnen. Ich genoss es, wenigstens einen Abend die Woche ein böses Mädchen zu sein – zumindest in meiner Fantasie. Ich könnte mich doch eigentlich glücklich schätzen. Eigentlich.

Während ich zwei Gläser Wasser in der Küche trank, starrte ich in unseren stillen, friedvollen Garten. Ich sehnte mich nach ungestörten Stunden nur für mich. Kein Schnarchen, keine Kinder, keine Haushaltspflichten, von der Praxisbuchführung ganz zu schweigen. Ich sehnte mich nach Schlaf und Vergessen. Aber ich konnte nie schlafen, einfach so. Auch wenn ich noch so kaputt und gerädert war.

Müde stellte ich das Glas in die Spüle, nahm mir aus dem Apothekerschrank einen Schokoriegel und ging ins Schlafzimmer. Nur die Jeans zog ich aus, bevor ich fröstelnd unter die Decke schlüpfte. Ich schloss die Augen und bemühte mich, das unentwegte Brausen meiner Gedanken zwischen Selbstvorwürfen, Rechtfertigungen und Verlangen zu ignorieren. Doch immer wieder kehrten sie zu Tom, seiner Umarmung und seiner SMS zurück. Ich würde wohl nicht wieder einschlafen können.

KAPITEL 3

Irgendwann war ich doch eingeschlafen. Als ich aufwachte, war mir schwindelig und übel. Dann schoss ich hoch: Noah! Ich stolperte in die Küche und sah auf die Backofenuhr. Erst zwanzig nach zwölf. Glück gehabt, noch zehn Minuten bis Kindergartenschluss. Ich wusch mir schnell das Gesicht, schlüpfte in Jeans und Schuhe und rannte zum Auto. Während ich die lange Auffahrt rückwärts hinunterfuhr machte ich mir Vorwürfe. Wenn ich wie eine ordentliche Mutter früh zu Bett gegangen wäre und den Vormittag mit Hausarbeit verbracht hätte, wäre das nicht passiert. Nur weil ich mir die Nächte in Bars um die Ohren schlug, hungrig auf die Blicke fremder Männer hoffend, war ich zu spät dran.

Zu allem Überfluss klingelte auch noch mein Handy. Ich warf einen nervösen Blick auf das Display, zwischen Panik und Freude schwankend. Konnte es Blondie sein? Tom, verbesserte ich mich. Aber es war mein Mann. Enttäuschung und Erleichterung mischten sich.

„Hallo?“

„Na, was machst du gerade?“

Ich hörte, wie er eine Zeitung umblätterte. Einerseits schien es lieb, dass er mich immer noch täglich anrief, andererseits verband er es meistens mit einer Kaffee-, Brötchen- und Zeitungspause, was bedeutete, dass er mich eigentlich nicht hörte.

„Ich hole Noah vom Kindergarten ab, wie immer um diese Zeit.“ Ich hörte, wie gereizt das klang.

Er biss krachend in ein Brötchen, kaute und schluckte. „Nicht erst um eins?“

„Freitags ist immer eine halbe Stunde früher Schluss“, gab ich zurück. Wieso konnte er sich das nie merken? „Und du, viel zu tun?“

„Heute Morgen eine größere Wurzelbehandlung, sonst nur Kleinkram. Sag mal, was haben wir eigentlich am Wochenende vor?“

Ich ahnte, worauf die Frage abzielte. „Wir treffen uns Samstag mit Birgit, Andreas und den Kindern. Wieso?“

„Och, schade.“

„Warum?“ Ich spürte altbekannten Ärger in mir aufsteigen. Mit Sicherheit fragte er nicht, weil er eine tolle Idee für uns hatte. Weil er Zeit mit mir oder unseren Kindern verbringen wollte.

„Na, ich dachte, ich könnte nochmal zum Nürburgring fahren. Sozusagen als Saisonabschluss.“

Motorradfahren, seine große Leidenschaft. Die einzige. Die Kinder, ich, die Praxis – wir waren Pflichten für ihn. Aber das Motorrad war die Kür, die große Liebe, das brachte sein Blut in Wallung und sein Herz zum Pochen.

„Ach, so.“

„Du hast doch nichts dagegen, oder?“

Hoffnung und Begeisterung schwangen in seiner Stimme mit. Warum fragte er überhaupt? War ich seine Mutter? Kam es mir zu, ihm etwas zu erlauben oder zu verbieten? Konnte man auf ein Motorrad eifersüchtig sein? Was wirklich wehtat war, dass er mir nicht halb so viel Leidenschaft entgegen brachte wie seinen Maschinen.

„Mach doch. Dann sage ich das Kaffeetrinken eben ab.“ Wieder ein einsames Wochenende mit den Kindern. Und genau das war es, was mich störte, was mich in Bars trieb, fort von ihm.

„Super, danke! Dann sag ich Jörn Bescheid, dass das klappt. Bis nachher, Schatz!“ Er konnte gar nicht schnell genug auflegen.

Ich bog auf den Parkplatz ab. Mein Sohn rannte mir entgegen. Er sah verweint aus. Ich nahm ihn in die Arme, drückte ihn fest an mich und steckte die Nase in sein weiches blondes Haar. Mein Baby, mein Süßer, mein Kleiner. Wie ich seinen Geruch liebte.

„Was ist denn los mit dir?“

„Julian hat mir die Schaufel weggenommen und mich gehauen“, jammerte er und zeigte auf einen Zweijährigen, der mindestens einen Kopf kleiner war als er. Der Zwerg grinste frech zu uns herüber.

„Aber der ist doch viel kleiner als du“, sagte ich und strich Noah über den Kopf. „Warum wehrst du dich denn nicht?“

„Ich kann doch keine Kleineren hauen“, gab er zu bedenken.

„Schon – aber halte doch die Schaufel nächstes Mal einfach fest und sag ihm deutlich, dass du sie nicht hergibst.“

„Dann holt er seinen großen Bruder“, entgegnete Noah und wies auf Christian, der mit fast sechs Jahren unangefochtener Anführer der Kindergartentruppe war.

Die Welt war eben ungerecht.

*

Mein Ehemann platzte fast vor guter Laune, als er nach Hause kam. Ich lag entkräftet auf dem Sofa und versuchte zu lesen, während aus beiden Kinderzimmern CDs dröhnten.

„Na, was machen die Mäuse?“, sagte er zur Begrüßung und gab mir einen schmatzenden Kuss auf die Wange. Ich verkniff mir die Antwort – es war ja deutlich zu hören.

„Ist noch Essen da?“

Schon stand er in der Küche und schaufelte den Rest der Reispfanne in sich hinein. Ich schleppte mich pflichtschuldig hinter ihm her.

„Soll ich es dir warm machen?“

„Nö, geht schon.“ Er warf einen Blick zur Uhr. „Ich muss noch was an der Kupplung machen, bevor Jörn kommt.“

Ich seufzte. Insgeheim hatte ich gehofft, er würde doch zu Hause bleiben. Wenn Jörn nicht gekonnt hätte, wäre Stefan auch nicht gefahren. Aber Jörn, ein Gesamtschullehrer, der optisch in den 80er Jahren stehen geblieben war, nur dass sein Haupthaar schütter wurde, nahm sich jede Freiheit. Naja, kein Wunder: Seine Frau hatte kurze Haare, war moppelig und immer vollkommen ungeschminkt in Birkenstocksandalen unterwegs. Da konnte man ja einsehen, dass Jörn fast jedes Wochenende flüchtete und die Erziehung seiner Blagen seiner Ehefrau überließ. Aber offensichtlich war ich ja für meinen Mann genauso unattraktiv. Jedenfalls war sein Interesse an mir seit Noahs Geburt merklich gesunken - seitdem fuhr er wieder exzessiv Motorrad.

Oder war ich es vielleicht nie gewesen? Ich erinnerte mich an die Anfangszeit unserer Beziehung: Wir lagen in meiner Ein-Zimmer-Wohnung auf dem Bett und streichelten einander. Der Fernseher lief nebenbei. Stefan wollte ihn nie ausstellen, sprach von einer „angenehmen Geräuschkulisse“. Anscheinend war schon damals der Sex mit einer zweiundzwanzigjährigen, willigen Blondine nicht interessant genug. Wir küssten uns, doch er schielte zum Bildschirm, auf dem gerade eine Wiederholung von Kojak lief.

„Guckst du etwa nebenbei fern?“, fragte ich erbost.

„Wo denkst du hin?“

Ich stellte das Gerät aus. „Das kann ja wohl nicht angehen!“, moserte ich.

„Komm wieder her!“

Er zog mich aufs Bett, das neben meinem Schreibtischstuhl das einzige Möbelstück im Zimmer war. Willig ließ ich mich sinken. Das Streicheln ging weiter, bis ich merkte, dass seine Hand immer dieselbe Bewegung auf meinem Rücken vollführte.

„Was ist denn?“

Er gähnte vernehmlich. „Tut mir Leid. Ich bin auf einmal sooo müde!“

Soviel zur Leidenschaft des Anfangs.

Zum Motorradfahren war er jedenfalls nie zu müde. Ich sah vom Küchenfenster aus zu, wie er pfeifend in der Garage herum räumte, um all das seltsame Spiel- und Werkzeug, das man für ein Wochenende auf der Rennpiste brauchte, im Anhänger zu verstauen. Die Kinder ließen sich nicht blicken. Erst als Jörn klingelte, kamen sie neugierig aus ihren Zimmern. Jörn winkte ihnen und mir lustlos zu, offensichtlich froh, dass ich ihm kein Gespräch aufdrängte, und stapfte mit Stefan in den Keller. Unten hörte ich sie fachsimpeln, aber da das Thema Motorrad eine ähnlich einschläfernde Wirkung auf mich hatte wie das Thema Sex auf meinen Ehemann, kroch ich entkräftet auf meine Couch zurück.

KAPITEL 4

Konnte es sein, dass mir mein Leben irgendwo abhanden gekommen war? Das fragte ich mich, nachdem Stefan und Jörn mit dem VW-Bus samt Motorradanhänger vom Hof gerollt waren. Zwei große Jungs, die zufällig Nachkommen produziert hatten, auf dem Weg zu ihrem Abenteuerspielplatz. Und Mami blieb schön zu Hause und passte auf Heim, Herd und Kinder auf. Der Abschied war entsprechend kühl ausgefallen. Ich hatte Stefan die Wange zum Kuss hingehalten und seine penetrant gute Laune ignoriert. Er hatte so getan, als merke er nicht, dass ich sauer war. Es gab sowieso nur noch Wangenküsse oder spitzmündige trockene Küsschen, keine leidenschaftlichen Zungenküsse mehr. Die Kinder hatten den Abschied ihres Vaters stoisch hingenommen. Ob er am Wochenende da war oder nicht schien sie nicht sonderlich zu interessieren. Meist quälte er sich sowieso nur auf mein Drängen in ihre Kinderzimmer, um lustlos Türmchen zu bauen. Bei jeder sich bietenden Gelegenheit verschwand er mal kurz im Wohnzimmer, um den aktuellen Rundenstand bei der Formel Eins – ersatzweise beim Motorrad- oder Radrennen – in Erfahrung zu bringen. Oder er sackte entkräftet auf dem Teppichboden zusammen, um ein Schläfchen zu halten. Nein, man konnte nicht sagen, dass er ein leidenschaftlicher Vater wäre. Es ging ihm um die Fassade: Da wurde vor Patienten, Bekannten und der weiteren Familie gern mit der schönen und intelligenten Frau und den niedlichen klugen Kindern geprahlt. Aber intern hielt sich die Begeisterung in Grenzen …

Trotzdem vermisste ich ihn.

Ich vermisste seine Leidenschaft, seine Hingabe. Moment. Wirklich seine? Oder Hingabe und Leidenschaft als solche? Machte ich mir nicht schon lange etwas vor? Wann war er denn überhaupt einmal richtig leidenschaftlich gewesen? War er eigentlich je in mich verliebt gewesen?

Und ich? Ich war auf dem besten Weg, eine frustrierte Hausfrau und Mama zu werden, die ihr eigenes Leben vergaß, deren Körper eintrocknete und deren Mundwinkel absackten. War ich überhaupt noch begehrenswert?

Mein Handy piepste, eine SMS. Noch war ich nicht wirklich mit der Technik vertraut, die schon wenig später das Gerüst meines Lebens darstellen würde. Ich wühlte das Gerät aus den Tiefen meiner Handtasche heraus, wo es zwischen Kekskrümeln und Bilderbüchern ein trostloses Leben fristete.

Tom. Mein Herz schlug schneller. „Hast du Lust, heut Abend etwas essen zu gehen?“ Sofort fühlte ich mich lebendig, mein Selbstmitleid verflüchtigte sich augenblicklich. Der Reiz des Verbotenen elektrisierte mich, sogar mein Kater war wie weggeblasen.

Lust ja, aber keinen Babysitter! Hektisch durchwühlte ich meine Schreibtischschublade – mein „Arbeitsplatz“ befand sich in einer Nische des Wohnzimmers, wo ich immer einen Blick auf die Kinder hatte – nach der Telefonnummer der Babysitterin. Tanjas Mutter meldete sich nach dem dritten Klingeln und holte ihre Tochter ans Telefon.

„Kannst du heute Abend auf die Kinder aufpassen? Ich weiß, es ist ein bisschen kurzfristig …“

„Tut mir leid, ich habe Musicalprobe“, flötete sie.

„Schade. Geht es wirklich nicht …?“ Meine Stimme klang schmeichelnd, fast bettelnd.

„Nein! Tut mir sehr leid.“

„Naja. Nicht so wichtig.“

„Na gut, dann komme ich Dienstag wieder!“, sagte Tanja. Dienstags gingen mein Mann und ich immer zum Tanzkurs, Standard-Latein. Ein Versuch, unsere Ehe zu beleben. Gemeinsam tanzen, hatten wir uns gedacht, wäre das richtige, um der Sinnlichkeit auf die Sprünge zu helfen. Hatte ich mir gedacht, um ehrlich zu sein, und dabei eher von Tango Argentino als von Standard geträumt.

Ich legte auf. Was tun? Meine Mutter fragen? Die konnte an einem Freitagabend so spontan garantiert nicht. Sie war immer schon Wochen im Voraus verplant, Theater, Tennis, Restaurant. Und Babysitten gehörte sowieso nicht zu den Dingen, die sie gern tat. Außerdem musste ich mir unangenehme Fragen gefallen lassen, wenn ich sie um Hilfe bat. Was ich denn ohne die Kinder tun wolle. Wo mein Ehemann denn sei.

Ich beschloss, meine Nachbarin zu fragen, ob ich nicht einfach das Babyfon bei ihr hinterlegen dürfte. Sie war zwar skeptisch, aber bereit.

„Gern! Acht Uhr? Wo?“, schrieb ich Tom schließlich zurück und kam mir unendlich verrucht vor. Zwei Abende hintereinander weggehen! Mein schlechtes Gewissen wegen der Kinder ignorierte ich einfach.

Was sollte ich nur anziehen? Ich probierte mindestens zehn Outfits an. Es sollte schlank machen, sexy aussehen, aber nicht zu bemüht, eher cool und lässig. Um zwanzig vor sieben hatte ich etwas gefunden, das mir gefiel. Schwarzes schlichtes Kleid, tiefer Ausschnitt, hohe Stiefel und offene Haare. Ich posierte vor dem Spiegel, drehte mich nach links und rechts. Perfekt!

„Mama! Mir ist schlecht …“

Ich stürzte aus dem Schlafzimmer, als ich Würggeräusche hörte, gerade noch rechtzeitig, um zu sehen, wie Milena sich auf den Teppich im Flur erbrach. Bandnudeln mit Spinat vermischt, der typische Kotzgestank, verströmt von einem kreidebleichen Kind.

„Ach, du Ärmste!“

Mit wenigen Schritten war ich bei ihr, half ihr ins Badezimmer und dabei, sich den Mund auszuspülen und das Gesicht zu waschen.

„Geht’s wieder?“, fragte ich.

„Weiß nicht.“ Sie schüttelte sich. Ich brachte sie zu Bett, servierte Fencheltee und stellte zur Not noch eine Schüssel neben sie, falls sich das Malheur wiederholte. Dann machte ich mich in meinem schwarzen Kleid ans Aufwischen.

Der Abend war gelaufen. In diesem Zustand konnte ich sie auf keinen Fall alleinlassen. Meine Euphorie war wie weggeblasen. Ich rief Tom schweren Herzens an.

„Tut mir leid, aber heute wird es nichts. Meine Tochter hat sich übergeben.“

Hatte ich ihm überhaupt gesagt, dass ich Kinder hatte? Jedenfalls ließ er sich kein Erstaunen anmerken.

„Macht doch nichts. Ist eben so mit Kindern“, erwiderte er gelassen.

„Ja“, sagte ich. Ich hätte heulen können vor Enttäuschung. Nur mit Mühe schaffte ich es, Milena nicht die Schuld an dem verdorbenen Abend zu geben.

„Wie geht’s ihr denn jetzt?“, fragte er. Ich hörte, wie er den Rauch seiner Zigarette ausblies.

„Eigentlich nicht so schlecht. Aber ich kann sie nicht allein lassen, wer weiß, ob es noch mal passiert.“ Ich machte eine Pause, fragte dann unsicher: „Verstehst du?“

„Nein, das geht natürlich nicht. Mach die Kleine schnell wieder gesund!“

Ich atmete auf. Er klang gar nicht nach dem coolen Typ mit spitzen Stiefeln und langen Haaren, der sich die Nächte in Clubs um die Ohren schlug, sondern wie ein verständnisvoller Vater.

„Schade, ich hätte dich gern gesehen.“

„Ein anderes Mal.“

„Ja.“

Wir verabschiedeten uns und legten auf.

Natürlich erholte Milena sich schnell. Es ging ihr gut, sie hatte schon wieder Appetit. Ich machte ihr etwas zu essen, fütterte Noah  und ging zu Bett. Allerdings nicht, ohne zuvor noch zwei Gläser Wein zu trinken und etliche Zigaretten zu rauchen, auf der Terrasse, nur in Gesellschaft meiner trüben Gedanken.

Stefan rief nicht mehr an.

KAPITEL 5

Als Stefan am Sonntagabend wieder kam, strotzte er vor guter Laune. Meine hingegen war auf dem Tiefpunkt. Er hatte das ganze Wochenende für sich gehabt und in Rennpausen ein-, zweimal pflichtschuldig angerufen, war aber nicht wirklich an den Geschehnissen zu Hause interessiert. Stattdessen erzählte er von Rundenzeiten und davon, in welchen Kurven er mit einem Knie auf dem Boden entlang geschrammt war. Im Hintergrund lärmten die Motorräder wie adrenalingeschwängerte Monsterhummeln. Ich konnte ihn kaum verstehen. Er mich noch viel weniger. Aber das lag nicht nur an der Lautstärke.

Ich saß mal wieder auf der Terrasse, ohne Wein, dafür mit Wasser und der ersten Zigarette des Tages. Den ganzen Sonntag über hatte ich mich kasteit. Ich hatte mit den Kindern eine Fahrradtour gemacht, war mit ihnen Eis essen gewesen – Milenas Bauch war wieder vollkommen in Ordnung. Nach einem langen Tag hatte ich den Kleinen noch gebadet und dann beide ins Bett gebracht.

Stefan stapfte um die Ecke, in seiner grün-rot-schwarzem Rennkombi, breitbeinig, den Helm in der Hand. Er strahlte, während ich griesgrämig die Mundwinkel nach unten zog.

„Hi! Na, wie geht’s?“

Mit kratzigen Bartstoppeln schrammte er mir über das Gesicht, als er versuchte, mich auf den Mund zu küssen. Ich drehte mich unter seinen Lippen weg.

„Wie soll es schon gehen? Super. War ein einsames Wochenende. Nur ich und die Kinder. Ich komme mir vor wie alleinerziehend!“, blaffte ich. „Hauptsache, du hattest Spaß!“

Ich wusste, dass das unfair war. Aber in diesem Moment konnte ich einfach nicht anders. Die Worte platzten förmlich aus mir heraus.

„Meine Güte, man könnte meinen, du hasst mich!“, erwiderte er heftig. „Nur weil ich mal nicht das mache, was du willst!“

„Was ich will?“, explodierte ich. „Als wenn es darum ginge. Du hast eine Familie, ist es da zu viel verlangt, Zeit mit ihr zu verbringen?“

„Tue ich doch! Bloß nicht an diesem Wochenende. Du bist so was von kleinkariert.“

„Ach, wann denn dann? Morgen bist du doch den ganzen Tag in der Praxis und siehst die Kinder auch nicht. Und was heißt hier eigentlich kleinkariert?“

Ich dämpfte meine Lautstärke. Vor den Kinderzimmern waren zwar Rollläden herabgelassen, die Fenster gingen aber zur Terrasse hin. Ich wollte nicht, dass sie zum Abschluss des vaterlosen Wochenendes unseren Streit mit anhören mussten.

„Ach so, klar, ich gehe ja immer in die Praxis, um mich dort selbst zu verwirklichen.“ Er betonte die letzten drei Worte genüsslich.

„Ist mir schon klar, dass das keine reine Selbstverwirklichung ist, aber immerhin hast du noch ein Leben! Erfolg, Anerkennung – und verdienst Geld!“

War das wirklich mein Problem? Dass ich mich minderwertig fühlte, weil ich nur mit den Kindern zu Hause hockte, trotz meines abgeschlossenen BWL-Studiums?

„Das ist schwer genug verdient“, zischte er und ließ sich neben mich auf die Bank fallen. „Das solltest du wissen! Sieh es mal andersherum: Du hast das Privileg, die Kinder aufwachsen zu sehen.“

„Wenn du schon die ganze Woche weg bist, sollte man ja meinen, dass du dich besonders auf die Zeit freust, wenn du sie sehen darfst. Stattdessen flüchtest du auf die Rennstrecke!“

Wir drehten uns im Kreis. Keiner wollte den anderen verstehen. Die Vorwürfe machten mich müde und mürbe.

„Darf ich nicht mal mehr ein Hobby haben? Willst du mich zu deinem Sklaven machen?“ Er sprang wieder auf und stampfte wütend auf der Terrasse herum.

„Bitte? Ich bin doch diejenige, die in Leibeigenschaft gehalten wird!“

Ich wollte jetzt doch ein Glas Wein trinken, nein, besser noch: Eine ganze Flasche. Er zerrte sich die Jacke von den Schultern und ließ sie zu Boden fallen. Darunter trug er ein durchgeschwitztes T-Shirt mit dem Aufdruck „Ich bin achtunddreißig, bitte helfen Sie mir aufs Motorrad.“

„Das ist mir alles zu blöd. Ich geh duschen. Gibt’s noch was zu essen?“

Er schob sich durch die Terrassentür und stampfte in seinen Motorradstiefeln über den Parkettboden Richtung Küche. Fassungslos starrte ich ihm nach und beobachtete, wie verkrusteter Dreck bei jedem Schritt von seinen Füßen fiel.

Die Woche ging dahin mit ihren üblichen Pflichten und Routinen. Kinder wecken, für die Schule fertig machen, sie zu ihren Hobbys fahren, Streit schlichten, Tränen trocknen, Einkaufen, Kochen, Waschen, Putzen. Wobei letzteres mangels akuter Antriebslosigkeit auf das Notwendigste beschränkt wurde. Einmal in der Woche fuhr ich zu Stefan in die Praxis, um dort seine Buchführung zu machen. Auch das war eine Rolle, in die ich mehr oder minder hinein gefallen war, als wir das Haus kaufen wollten, die Praxiseinnahmen zurückgingen und er eine Abrechnungshelferin entlassen musste. Über unseren Streit verloren wir kein Wort mehr.

In meinen erwachenden sexuellen Träumen hatte stets ein Arzt im weißen Kittel die Hauptrolle gespielt. Wählte ich daher einen angehenden Zahnarzt zum Mann, um diese Fantasien umzusetzen? Fest steht, dass Stefan eigentlich nicht in mein Beuteschema passte: Vor ihm waren es meist Jungs gewesen, die eine starke männliche Sinnlichkeit ausstrahlten. Sie trugen lange Haare, knutschen gern und viel und hatten schon mit 17 Jahren hundert Cocktails in ihrem Mixprogramm, während sie mich zum Rauchen und sexuellen Ausschweifungen verführten. Wie der besitzergreifende und extrem eifersüchtige Halbspanier, im Heim aufgewachsen und Staubsaugervertreter. Nachdem er mich vor dem Madhouse grundlos so heftig geohrfeigt hatte, dass mir das Trommelfell platzte, hatte ich genug. Der Nächste sollte vernünftig sein. Einer zum Heiraten und Kinder kriegen. So albern es klingt: Ich hatte Torschlusspanik.

Ich lernte Stefan in derselben Disko kennen. Er trug Jeansjacke, war dünn und Brillenträger. Ich fand ihn nichtssagend.

„Na, auch öfter hier?“, fragte er. Er trank eine Cola und gab vor, Zahnarzt zu sein. Als ich das nicht glaubte, sagte er: „Fast jedenfalls. Ich studiere Zahnmedizin.“

„Ich bin immer hier“, behauptete ich an dem Abend.

Dann verbrachte ich drei Monate an der Côte d’Azur als Au Pair. Als ich zurückkehrte, traf ich Stefan wieder. Er stand im Madhouse und sagte zur Begrüßung: „Du hast mich angelogen.“

„Bitte?“ Ich starrte ihn pikiert an.

„Du hast gesagt, du bist immer hier. Ich war jeden Samstag hier und hab dich nie getroffen.“

Langsam dämmerte mir, wer der Kerl war. Der Möchtegern-Zahnarzt mit der Cola. Heute trank er sogar ein Bier. Wie verwegen.

„Willst du auch eins?“ Er wackelte mit der Flasche.

Ich nickte. Schon damals mochte ich Bier nicht, fand es aber cool, an einer Flasche zu nuckeln. Zum Rauchen kam das auch besser als ein Longdrink.

Er sah eigentlich gar nicht so schlecht aus. Auf einmal gefiel mir das Akademische, der intellektuelle Touch an ihm. Dass er sich unser Gespräch so genau gemerkt hatte, beeindruckte mich.

„Gibst du mir deine Telefonnummer?“, fragte er zum Abschied.

Wir hatten nichts zu schreiben. Der Barkeeper sah uns nur verächtlich an, als wir ihn um einen Stift baten. Stefan wiederholte die Nummer zweimal. Wenn er sich die merken kann, gehe ich mit ihm ins Kino, dachte ich.

Am nächsten Tag rief er an.

Jahre später, wir waren schon verheiratet, hatten zwei Kinder und ein hoch belastetes Eigenheim, haben wir es ein, zweimal auf dem Behandlungsstuhl getrieben. Er gab den Arzt, ich die Patientin. Er trug seine weiße Hose, von der er nur den Reißverschluss öffnete. Ich war nicht so scharf, wie ich es sein wollte, übertünchte es aber mit umso leidenschaftlicher gespielter Begierde: „Los, Herr Doktor – besorgen Sie es mir endlich!“

Es war nicht schlecht. Aber manchmal ist es besser, wenn sich Fantasien nicht erfüllen.

KAPITEL 6

Was passiert in einer Ehe, die auf ihre Auflösung zusteuert? Ist sie wie ein leckgeschlagenes Schiff, das unweigerlich sinken wird, oder kann sie noch in der Werft repariert werden? Kann ein Blick, ein Gespräch, eine Berührung alles ändern? Oder viele Gespräche, unter professioneller Anleitung, eine Therapie, wie ich sie Jahre zuvor vorschlug?

Wir hätten zusammenbleiben können. Vielleicht hätten wir es auch sollen, der Kinder wegen, des Versprechens wegen. Immer, wenn Probleme auftraten, waren wir ein gutes Team, wenn Anfeindungen von außen auftauchten, Gefahren. Aber nicht, wenn alles dahin plätscherte. Dann suchten wir das Abenteuer, aber jeder für sich. Der eine auf der Rennstrecke, im Adrenalinrausch, die andere in der Bar, wo egostreichelnde Männerblicke und Endorphine lauerten.

„Lass uns eine Eheberatung machen“, hatte ich gebeten, als der Sex immer seltener und schaler, die wahren Gespräche immer weniger wurden.

„Warum das denn? Finde ich unnötig. Aber wenn du darauf bestehst.“ Er blätterte weiter in der Motorradzeitung, während er darauf wartete, dass die Tour de France übertragen wurde.

Ich bestand nicht darauf.

*

Eine wahre Berührung kann alles ändern. Nur kam diese nicht von Stefan.

Ich konnte nicht aufhören, an Tom zu denken. Erschwerend kam hinzu, dass ich ein obsessiver Charakter war. Egal welcher Gedanke, welches Gefühl sich in meinem Kopf festsetzte, er wuchs, wurde bestimmend, dominierte mich.

Am Donnerstag ging ich wieder ins Bereuther. Meine Freundin Carina hatte drei ehemalige Stewardessen-Kolleginnen mitgebracht, Nicole, Betty und Andrea. Sex and the City live in Hamburg. Ich bestellte eine Weinschorle, denn ich musste ja noch fahren. Die anderen drei tranken Wodka Red Bull.

Der Freund von Nicole kam immer mittwochs und sonntags zum Vögeln vorbei, sonst sahen sie sich kaum. Sie gingen nie essen, nie aus, nie war sie bei ihm. Dafür brachte er ihr von seinen zahlreichen Reisen immer Bulgari-Schmuck mit. Lief das schon unter Gefälligkeitsprostitution? Aber was wusste ich schon mit meinem biederen Leben im Vorort. Einem Leben, das ich so gewollt hatte, und das mir nun zu eng wurde wie ein eingelaufener Wollpullover, der zwickte und kratzte.

Andrea hatte sich gerade frisch die Brust vergrößern lassen. „Für Wurst-Fesche!“, lästerten die anderen, wenn sie auf dem Klo war, und starrten ihr dennoch neidisch ins Dekolleté, wenn sie zurückkam. Sie präsentierte ihre Brüste wie Trophäen.

„Wer?“ Ich war mal wieder nicht auf dem Laufenden.

„Na, ihr Kerl. Der hat eine Würstchenbude. Scheffelt ordentlich Geld“, klärte mich Carina auf.

Die dritte, Betty, hatte gar keinen Typen. Stattdessen träumte sie davon, endlich einen echten Flugkapitän aufzureißen, den sie schnellstens heiraten und mit ihm Kinder kriegen konnte. Ob sie den hier finden würde, war fraglich.

„Du musst unsere Geschichten aufschreiben!“ hatte Nicole gefordert, als Carina ihr, Betty und Andrea von meiner Schreiberei erzählt hatte. Ich grinste säuerlich, als die anderen drei mit einstimmten und mir klar wurde, dass jeder Part vergeben war und sie mich langweiliges Ehefrauchen nur als Protokollantin ihrer sexuellen Eskapaden wollten. Nicole ließ sich für Bulgari-Schmuck von ihrem dicklichen Investmentbanker vögeln, die andere ließ ihre Doppel-Ds von Wurst-Fesche befummeln, und Betty versuchte zu krampfhaft, sich ihren Piloten-Traum zu erfüllen.

Carina führte eine durch und durch unglückliche Ehe, deren erotisches Brachland sie nur überlebte, indem sie sich Trost gönnte. Also pflegte sie eine Mittwochvormittag-Vögelei mit einem Studenten.

„Mit einem Studenten?“, fragten die anderen entsetzt, als handele es sich um eine ansteckende Krankheit.

„Na, ja, er ist schon 28. Aber studiert halt noch. Jura. Es ist ein bisschen blöd, weil er in einer Studentenbude mit nur einem Zimmer haust. Aber Mittwoch ist sein Mitbewohner nicht da und ich gehe offiziell zum Sport. Dann lasse ich mich so richtig verwöhnen.“

Sie nahm einen großen Schluck und lächelte dem Barkeeper zu, der ihr ungefragt einen neuen Drink servierte.

„Ich verstehe sowieso nicht, warum du so einen Akt daraus machst, damit Lars nichts spitzkriegt“, sagte Andrea. „Der verarscht dich doch sowieso nach Strich und Faden.“

Lars hatte sie schon einmal mit der Babysitterin betrogen, einem 20-jährigen Mädchen, die Carina als Ersatzmama unter ihre Fittiche genommen hatte. Sie war der Überzeugung, dass es ein einmaliger Ausrutscher gewesen war. Alle anderen hingegen glaubten, dass es weiterlief.

„Genau, lass dich endlich scheiden!“, bekräftigte Andrea.

Carina seufzte. „Aber wenn ich mich scheiden lasse, bekomme ich kein oder höchstens nur sehr wenig Geld.“

„Wieso, ich denke, eure Eisdielen laufen so gut?“, warf ich ein. Sie prahlte immer mit den grandiosen Umsätzen des gemeinsamen Unternehmens.

Carina antwortete nicht, sondern wandte sich einem ihrer zahlreichen Bewunderer zu, die jeden Donnerstag wie die Motten zum Licht der Eppendorfer In-Bar zustrebten. Er lächelte und legte den Arm um sie, bevor er ihr einen neuen Drink bestellte.

Ich schaute mich um. Ein langer Bartresen, umlagert von den Reichen und Schönen der Stadt oder denen, die sich dafür hielten. Der Laden brummte. Es wurde getrunken und geraucht, was das Zeug hielt. Man versuchte, sich über den Lärm hinweg halbwegs sinnvoll zu unterhalten. Die Musik wurde gerade noch einmal lauter gedreht, die Barkeeper, die sich für Stars hielten, machten irgendeinen Firlefanz mit Shakern und Servietten. Im Bereuther arbeiteten nur die coolsten Barkeeper, jung, hip und sexy, eigentlich Schauspieler, Models oder Künstler in Spe. Sie wirbelten hinter der von allen Seiten zugänglichen Bar herum, schwangen Flaschen und Cocktailshaker, warfen mit Servietten, ignorierten die Geldsäcke, um die süßen Mädels – Stewardessen, Musicaldarstellerinnen, Models und Erbinnen – vorzuziehen. Wer es sich einmal mit ihnen verscherzte, konnte wochenlang nichts bestellen.

Da sah ich ihn plötzlich auf der anderen Seite der Bar. Tom. Mein Herz machte einen Sprung, Röte schoss mir ins Gesicht. Neben ihm stand die Blondine aus dem Club an der Alster. Lange hellblonde Locken, Claudia-Schiffer-Attitüde, ein blutrotes Outfit, das man nicht anders als gewagt bezeichnen konnte. Sie redete eindringlich auf ihn ein, den Mund dicht an seinem Ohr. Mir schoss mir ein Gefühl durch die Adern, das sich wie Eifersucht anfühlte. Oder ein erwachender Jagdtrieb? Er stand seitlich zum Tresen geneigt, einen Ellbogen aufgestützt. Weißes Hemd, nach hinten gekämmte Haare, Zigarette in der Hand. Manche Kerle brauchen einfach nur irgendwo zu stehen und zu rauchen, um sexy zu wirken.

Er sah mich nicht.

Ich murmelte etwas in Carinas Richtung, die mich sowieso nicht verstand, stürzte meine Weinschorle hinunter und schob mich zur Toilette vor. Dort war es noch heißer. Ich ließ mir kaltes Wasser über die Handgelenke laufen und starrte mich im Spiegel an. Für meine 35 war ich immer noch ganz hübsch, zumindest wurde das behauptet. Ich könnte als jünger durchgehen. Meine Wangen waren gerötet, ich spürte den Wein etwas.

„Herrgott, was machst du!“, sagte ich zu mir. Ich antwortete mir mit einem aufmüpfigen Blick. Hat bei mir eigentlich jemals irgendein Appell zur Mäßigung genützt?

Als ich herauskam, stand er neben der Tür. Er grinste. Ich lächelte, wie ich hoffte, cool und gelassen zurück.

„Na, sind die Kleinen wieder fit?“

„Schon lange. Wo ist deine Begleitung geblieben?“ Ich konnte es nicht lassen.

Er lachte auf. „Ach, du hast sie gesehen?“

„Sie war ja kaum zu übersehen. Schien ja ein sehr wichtiges Gespräch zu sein.“ Ich war mir selbst peinlich.

„Ach was, die will nur mit mir weggehen. Ich weiß auch nicht, wieso. Komm, was willst du trinken?“

Ich nahm eine weitere Weinschorle, die hier immer sehr groß und extrem lecker war. Er trank Wodka Tonic. Als er mir das Glas reichte, berührten sich unsere Hände. Er schaute mir tief in die Augen und zwinkerte mir zu. Seine Augen waren von einem irritierenden Blau. Ich dachte bisher, Zwinkern hätte etwas Onkelhaftes. Nicht bei ihm.

Weil es in der Bar so eng war, mussten wir dicht beieinander stehen. Wir plauderten über Belangloses. Was gibt es schon zu sagen, wenn die Hormone ihren Tanz aufführen? Wenn er sich aus der Höhe seiner 1,90 Meter zu mir hinab beugte, umwehte mich sein Duft wie ein laues Lüftchen und machte mich schier besinnungslos. Irgendein belangloser Herrenduft entfaltete sich bei ihm zu olfaktorischen Lockstoffen, gemischt mit Zigarettenrauch und Tom-pur. Meine Knie bebten. Ich war ein verdammtes Opfer. Und irgendwie hatte ich verpasst, dass es schon längst zu spät für mich war.

Ich hatte mal gelesen, dass Verlieben vor allem mit Geruch zu tun hat. Intuitiv erkennen wir, wer zu uns passt, irgendein archaisches Muster greift, das damit zu tun hat, dass sich gegensätzliche Genpools finden sollen, um gesunde Nachfahren zu zeugen. Durch die Pille wird dieses biologische Gesetz unglücklicherweise umgekehrt. Dann erschnuppern wir nicht mehr den Gegenpol, sondern den Gleichgesinnten zur Paarung.

War das der Grund für meine Ehe? Ich hatte damals die Pille genommen. Und auf Babybildern und Kleinkinderporträts sahen Stefan und ich uns geradezu verblüffend ähnlich. Hatte es daher bei uns in Krisenzeiten immer so gut geklappt, während wir in vermeintlich guten Perioden wie explodierende Galaxien auseinanderstrebten?

„Gehst du am nächsten Donnerstag mit mir essen?“, fragte Tom. „Dann musst du keine Ausrede für deinen Mann erfinden, wenn du weggehst.“

Ich überlegte. Ich will mich auf keinen Fall verlieben, hämmerte ich mir wieder ein. Das war mein Mantra. Ich wollte mit Stefan verheiratet bleiben, allein schon um der Kinder willen. Außerdem bot er mir die Sicherheit, die ich brauchte. Also wäre ein „Nein“ die richtige Antwort. Tom war zu gefährlich. Und in mich verliebt – angeblich.

„Gern!“, hörte ich mich stattdessen antworten. „Wo und wann?“

Die Begeisterung ließ meine Stimme höher klingen. Ich kiekste wie ein kleines Mädchen. Andererseits, sagte ich mir, war es doch nur ein harmloses Dinner. Das schon mal ausgefallen war, dem ich also schon zugestimmt hatte. Dass ich diese Woche über nicht mehr so sauer auf Stefan war wie zu dem Zeitpunkt, als ich der Verabredung zugestimmt hatte, spielte jetzt ja auch keine Rolle mehr. Zurechtgebastelte Logik.

„Um acht Uhr im Dexter‘s? Wir können uns aber auch irgendwo anders treffen, wenn du willst.“

„Nein, kein Problem, das finde ich. Was gibt’s denn dort zu essen?“

„Das ist ein amerikanisches Restaurant. Keine Angst, es gibt dort nicht nur Burger! Obwohl die auch sehr lecker sind.“

„Hört sich toll an.“

Ich schaute auf die Uhr. Schon fast ein Uhr. Die langbeinige Blondine hatte schon vor einer guten Stunde mit beleidigtem Blick das Weite gesucht.

„Ich muss los“, sagte ich bedauernd.

„Klar. Ist ja schon spät genug. Ich bring dich noch zum Auto. Wo stehst du?“

Zusammen verließen wir das Lokal. Wer uns sah, dachte vermutlich, Tom würde mich abschleppen. Der Weg zur Tür gestaltete sich als Spießrutenlauf, weil er noch von mindestens fünf Leuten angesprochen wurde. Katja winkte mir mit einem anzüglichen Grinsen zu. Ich lächelte zurück.

Auch der Türsteher wechselte ein paar Worte mit Tom, verabschiedete ihn mit einem „Bis morgen!“

„Bist du etwa jeden Abend hier?“, fragte ich.

„Na ja, nicht jeden. Aber da ich um die Ecke wohne, eigentlich gleich im nächsten Haus, ist das hier mehr oder weniger mein Wohnzimmer.“

Aha. Und statt einem gemütlichen Glas Wein vorm Fernseher gab es hier laute Musik und willige Frauen. Ich fing an, meine spontane Zusage zur Essenseinladung zu bereuen.

Schweigend gingen wir Richtung Isestraße, ich auf Abstand bedacht. Ich parkte unter der U-Bahnbrücke. Die Bahn polterte direkt an den schicken Altbauwohnungen vorbei, was das Wohnen hier nicht weniger teuer machte. Wenn ich – was selten genug vorkam – mit öffentlichen Verkehrsmitteln in die Stadt fuhr, versuchte ich immer, in die opulent ausgestatteten Wohnungen zu schauen, Blicke in fremde Leben zu erheischen.

„Woran denkst du?“, fragte Tom.

Er hatte sich schon wieder eine Zigarette angezündet. Mir fiel nichts Besseres ein als: „Wie viele rauchst du eigentlich so am Tag?“ Lieber hätte ich fragen wollen: „Mit wie vielen Frauen schläfst du eigentlich so pro Woche?“

Er grinste amüsiert. „Knappe Schachtel. Zu viel.“

„Ich rauche drei bis fünf Stück“, gab ich zurück. Toll, wie ich mit der Beherrschung meiner Sucht prahlte, ich Kontrollfreak.

„Na, da hast du wohl heute den Vorrat für morgen gleich mitgeraucht?“, bemerkte er. Tatsächlich hatte ich quasi eine Zigarette an der anderen angezündet, immer wenn Tom mir eine anbot.

„Gut aufgepasst. Zusammen mit Alkohol verliere ich die Kontrolle übers Rauchen. Und mit Zigaretten verliere ich die Kontrolle über den Alkohol.“ Und über mich selbst auch …

„Kannst du denn noch fahren? Sonst lass dein Auto lieber stehen und nimm dir ein Taxi!“

Seine Besorgnis schmeichelte mir. Aber was sollte ich Stefan sagen? Dass ich mir die Kante gegeben hatte und mich von einem langhaarigen Bombenleger, zu dem ich mich ausgesprochen hingezogen fühlte, in ein Taxi hatte verfrachten lassen? Wohl kaum. Außerdem waren es ja nur drei Weinschorlen gewesen.

„Klar!“ Ich hatte mein Auto, das sich zwischen zwei Porsche Cayenne versteckte, endlich gefunden. Harvestehude war wirklich nur von den Reichen und Schönen bevölkert – oder zumindest nur von den Reichen, den Autos nach zu urteilen.

Wir standen uns gegenüber und schauten uns an. Ich wusste nicht wohin mit meinen Händen. Es war einsam und dunkel, doch anders als im Club an der Alster, wo ich mich willig in seine Umarmung geschmiegt hatte, war ich nun befangen.

„Danke für den netten Abend und die Getränke“, sagte ich förmlich.

„Dafür nicht. War schön mit dir. Komm gut nach Hause“, gab er zurück. Sein Duft hüllte mich ein und machte mich ganz schwindelig. Er beugte sich vor und umarmte mich so vorsichtig, als wäre ich ein frisch geschlüpftes Küken. Ich saugte seine Nähe auf. Ich hätte noch die halbe Nacht so hier stehen können, löste mich aber wieder von ihm. Behutsam küsste er mich auf die Wange. Dabei fiel mir auf, dass er entweder frisch rasiert war oder wenig Bartwuchs hatte. Stefan kratzte abends schon wieder, wenn er sich morgens rasiert hatte.

Der Gedanke an Stefan ließ mich schnell ins Auto steigen. Plötzlich hatte ich es eilig, zu meiner hoffentlich fest schlafenden, nichts Böses ahnenden Familie zurückzukehren. Während sie selig schlummerten, trieb sich ihre Mutter und Ehefrau in dunklen Bars herum, aufgeheizt von Genussdrogen und verbotenen Gedanken.

Im Rückspiegel sah ich ihn dort stehen, in seinem weißen Hemd hatte er etwas Leuchtturmartiges. Er war so groß, dass ich mir neben ihm mädchenhaft zart vorkam … Ich stellte den CD-Player an, drehte voll auf und fuhr davon, ohne es mir noch einmal zu erlauben, in den Rückspiegel zu sehen.

KAPITEL 7

Die Woche ging schneller vorüber als gedacht. Milena lag drei Tage mit einer schweren Erkältung im Bett, ich maß Fieber, kochte Tee und Lieblingsessen, besorgte Zeitschriften und CDs, verabreichte Hustensaft und nötigte sie zu inhalieren. Mittwoch ging es ihr besser, Donnerstag wollte sie wieder zur Schule. Noah mit seinen Bombenabwehrkräften dank langem Stillen steckte sich nicht an. Dafür Stefan, obwohl er kaum Kontakt zu Milena gehabt hatte. Er hatte zwar kein Fieber, schniefte, hustete und litt jedoch um so heftiger. Nachts schnarchte er noch mehr als sonst, sodass ich ihn durch meine fast den gesamten Gehörgang ausfüllenden Ohropax immer noch deutlich hören konnte. Wenn ich nachts zum x-ten Mal erwachte, versuchte ich ihn dazu zu bewegen, sich vom Rücken auf die Seite zu drehen, was er im Halbschlaf mit unwilligem Murren quittierte.

Manchmal war ich so geschafft und wütend zugleich, dass ich ihn trat. Wachte er dann auf, wusste er meistens nicht, was ihn geweckt hatte, und drehte sich lammfromm um.

Am Donnerstagnachmittag stand ich wieder unschlüssig vor meinem Kleiderschrank, bevor ich mich für das Outfit entschied, das ich schon für unsere geplatzte Essensverabredung vorgesehen hatte.

Ich bereitete den Kindern ihr Abendbrot zu, aß selbst nur einen Joghurt. Während die Kinder sich um die Fernbedienung zankten – Milena setzte sich wie fast immer durch – verschwand ich im Schlafzimmer, um mich aufzuhübschen. Stefan rief an und sagte, dass er später käme. Normalerweise regte ich mich darüber oft auf, aber als er sagte: „Bin in zehn Minuten da, du kannst ja schon mal losfahren“, war ich erleichtert, ihn vorher nicht mehr sehen zu müssen. Ich wollte keine Fragen beantworten, er sollte mich nicht sehen … je weniger Möglichkeiten zu lügen, desto besser. Offiziell ging ich heute mit den Mädels essen.

Ich küsste die Kinder, die mich kaum ansahen, und fuhr los. Auf dem Weg in die Stadt versuchte ich mir einzubilden, jung und ungebunden zu sein, das Leben verheißungsvoll vor mir liegen zu haben. Als wenn die Weichen noch nicht gestellt wären und eine Vielzahl möglicher Wege offen stünden.

Erstaunlicherweise fand ich nach kurzem Suchen einen Parkplatz am Mittelweg. Hier, in einer von Hamburgs Top-Lagen, wohnte die Upper Class. Alle anderen statteten den Bars, Restaurants und Geschäften nur einen kurzen Besuch ab, um dann wieder zu verschwinden. Einst hatte ich davon geträumt, hier auch mal zu wohnen.

Als ich die Tür zum Dexter‘s öffnete, sah ich ihn sofort. Er saß an einem kleinen Tisch vor einer türkis gestrichenen Wand und spielte mit seinem Handy. Er trug ein verwaschenes Hemd und zerrissene Jeans, die langen Beine vorgestreckt, an den Füßen die unvermeidlichen Cowboystiefel, diesmal in Hellbeige – wie viele Paar hatte er eigentlich davon? Seine Haare schimmerten noch feucht vom Duschen. Er sah auf und lächelte mir entgegen. Ich fühlte mich falsch angezogen. Overdressed. Alle anderen Gäste trugen irgendetwas Lässiges, Jeans, Hemden, Blusen. Nur ich hatte ein schwarzes Kleid an und kniehohe, spitze Stiefel. Zu aufgetakelt, zu gewollt. Am liebsten wäre ich umgekehrt. Aber ich ging weiter auf ihn zu. Er erhob sich zur Begrüßung, küsste mich auf die Wange. Keine Umarmung, nur eine flüchtige Duftdusche. Wir setzten uns einander gegenüber.

Mir fiel auf, dass er etwas von einem Fuchs hatte, die Nase, das etwas spitze Gesicht. Auf einmal fand ich ihn gar nicht mehr so attraktiv. Er war kein schöner Mann, eher hatte er etwas Eigenes, Unverkennbares, das ihn von der Masse der einheitlich gestylten Bürohengste abhob, die sich sonst gern in Bars herumtrieben.

„Und, heute alle fit zu Hause?“

„Ja, gesund und munter“, gab ich zurück.

Er trank schon einen Caipirinha und winkte dem Barkeeper, um für mich auch einen zu bestellen. Wir rauchten und plauderten über dies und das, seine Arbeit, meine Kinder. Nur Stefan mieden wir, obwohl er wusste, dass ich verheiratet war. Bei unserem ersten längeren Flirt hatte ich reflexartig versucht, mich hinter Stefan und dem Image der braven Hausfrau, die einmal die Woche in die große Stadt durfte, zu verstecken. Hatte wohl nicht viel genützt. Langsam entspannte ich mich.

Als das Essen kam – er hatte eine Vorspeisenplatte für uns beide zusammen bestellt –, merkte ich den Alkohol schon. Es gab hauptsächlich frittierte Sachen, die alle gleich aussahen. Blumenkohl und Zwiebelringe in einer dicken, leicht muffig schmeckenden Teigkruste, scharfe Hähnchenteile und Spareribs, die man in seltsame Soßen stippte.

„Schmeckt es dir nicht?“, fragte er.

„Na ja, geht so, ist nicht so ganz mein Fall.“

„Das tut mir leid. Sollen wir was anderes bestellen?“ Dabei winkte er dem Barkeeper zu, der prompt zwei neue Caipis vor uns abstellte.

„Das bisschen, was ich esse, kann ich auch trinken!“, lachte ich.

Sein Handy piepte. Er warf keinen Blick aus Display.

„Willst du gar nicht wissen, wer dir schreibt?“, fragte ich.

„Nee, aber du scheinbar!“

Er öffnete die Nachricht und zeigte sie mir: „Sehen wir uns nachher? Absender: Brigitta.“

Bestimmt der B-Movie mit den langen blonden Haaren. Meine Stimmung verdüsterte sich.

„Hast du was mit der?“

„Ach was. Nicht wirklich. Das ist nur freundschaftlich.“

Ich erinnerte mich an das Telefonat, das wir Montag geführt hatten. Wir hatten ein bisschen herumgeflachst. Er war noch verabredet, sagte aber nicht, mit wem. Ich hatte ihn auf möglichen Drogenkonsum angesprochen und er hatte scherzhaft geantwortet, er träfe sich mit seiner Dealerin. Mir schwante, wer diese Dealerin war.

„Triffst du dich noch mit anderen Frauen?“, fragte ich in möglichst lockerem Tonfall.

„Na ja, mit der kleinen Blonden war ich eine Zeitlang zusammen. Nichts Ernstes. Sie war es sogar, die zu mir gesagt hat, ich solle doch mal zu dir hingehen, weil ich dich immer angeschaut habe.“

„Wie, deine Freundin schlägt dir so was vor?“

Ich trank mein Glas aus und nahm noch eine Zigarette aus der Packung.

„Zu dem Zeitpunkt lief da schon nichts mehr. Ich sagte dir ja, dass ich seit der Trennung von Anja nichts Festes habe.“

Er stieß den Rauch aus und beobachtete mich. „Noch einen?“ Er zeigte auf die leeren Gläser.

Ich zögerte. Mein benebelter Verstand sagte Nein, wurde aber von dem Strudel aus mehr Alkohol, mehr Zigaretten überstimmt. Ich nickte. Er zog mich unvermittelt auf dem Stuhl zu sich heran und küsste mich ganz zart auf die Lippen. Ich wehrte mich nicht.

„Ich konnte mich nicht mehr richtig verlieben, verstehst du?“ Er lächelte mich an, streichelte mir über den Unterarm, dessen Härchen sich sofort aufrichteten.

„Aha. Und mit dieser Brigitta, was ist nun mit der?“

„Nichts! Wir haben uns ein, zweimal gesehen, das war alles.“

Ich schielte auf sein Handy.

„Hier, du kannst es ruhig lesen, was sie mir geschrieben hat. Ist kein Geheimnis.“ Er klappte das Telefon auf, blätterte durch den Posteingang.

„Nein!“, wehrte ich ab, linste aber doch neugierig auf das Display. Die vorletzte SMS endete mit den Worten „ich wär jetzt auch gern in deinem arm.“ Ich schluckte. Mein Mund war trocken. Von wegen „nichts“!

„Na, zufrieden?“, fragte er.

„Klar“, gab ich mich cool. Eigentlich wollte ich nun nichts mehr trinken, in meinem Kopf sauste eine Achterbahn, die mich dunkel daran erinnerte, dass ich noch fahren musste. „Was meint sie denn mit dem letzten Satz?“

„Keine Ahnung.“

„Na, wenn sie ‚auch‘ schreibt, musst du ihr ja vorher dasselbe geschrieben haben, oder etwas ähnliches.“

Er zuckte die Achseln. „Kann mich nicht erinnern.“

Ich stütze mich auf dem Tisch ab und fixierte das übrig gebliebene Essen. Das meiste hatte er davon gegessen. Kein Wunder, dass er vom Alkohol nichts zu merken schien, während ich nahezu betrunken war. Die Champignons tanzten auf dem Teller. Ich schnappte mir einen davon und steckte ihn in den Mund. Kalt, aber gar nicht so übel, wenn man von der dicken Panade absah. Ich aß noch einen und noch einen. Amüsiert sah er mir zu.

„Noch Hunger?“