Freude im Herrn - Arend Remmers - E-Book

Freude im Herrn E-Book

Arend Remmers

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Beschreibung

Eine Auslegung zum Philipperbrief Der Brief an die Philipper ist einer der persönlichsten und wärmsten Briefe des Neuen Testaments. Die kurzen Abschnitte über die Erniedrigung und Erhöhung des Herrn Jesus sowie über sein Kommen gehen sehr zu Herzen. Ebenso die kurzen Berichte über den Autor und seine Mitarbeiter. Der Brief hat auch eine ausgesprochen praktische Zielsetzung. Er zeigt uns, dass "die Lehre des Christus" keine Theorie ist, sondern in allen Umständen des Lebens in der Kraft des Heiligen Geistes verwirklicht werden soll und kann. Nicht zuletzt ist dieser Brief aus dem 1. Jahrhundert auch eine Herausforderung für jeden Christen im 21. Jahrhundert. Denn es wird deutlich: Für den Schreiber, den erfahrenen Paulus, war das Leben nur Christus. Und er ließ sich durch nichts von seinem Ziel abbringen - Christus zu gewinnen. Der Brief entstand in der Gefangenschaft in Rom. Umso erstaunlicher ist es, dass er mehr als alle anderen Briefe des Neuen Testaments von der Freude spricht. Diese gründliche Vers-für-Vers-Auslegung will unsere Freude im Herrn anfachen.

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AREND REMMERS

FREUDE IM HERRN

EINE AUSLEGUNG ZUM PHILIPPERBRIEF

Christliche Schriftenverbreitung

Postfach 10 01 53, 42490 Hückeswagen

1. Auflage 2014

© by Christliche Schriftenverbreitung, Hückeswagen

ISBN: 978-3-89287-229-0

www.csv-verlag.de

INHALT

Abkürzungen

Einleitung

1. Empfänger, Verfasser und Entstehungszeit des Briefes

2. Thema und Zweck des Briefes

3. Inhaltsübersicht

Kapitel 1

Gruß (V. 1.2)

Die Freude des Apostels (V. 3–8)

Ein Wunsch (V. 9–11)

Die Gefangenschaft fördert das Evangelium (V. 12–14)

Verbreitung des Evangeliums (V. 15–20)

Christus das Leben – das Sterben Gewinn (V. 21–26)

Würdig des Evangeliums wandeln (V. 27–30)

Kapitel 2

Ermahnung zu Einmütigkeit und Demut (V. 1–4)

Das Beispiel Christi (V. 5–8)

Erhöhung und Verherrlichung Christi (V. 9–11)

Ermahnung zum Gehorsam (V. 12.13)

Ermahnung zur Lauterkeit (V. 14–16)

Geistliche Freude (V. 17.18)

Die beabsichtigte Sendung des Timotheus (V. 19–24)

Epaphroditus, der Überbringer des Briefes (V. 25–30)

Kapitel 3

Beschneidung oder Zerschneidung? (V. 1–3)

Der Werdegang von Paulus (V. 4–9)

Christus gleichgestaltet (V. 10.11)

Christus das Ziel (V. 12–14)

Aufruf zu hingebungsvollem Wandel (V. 15–17)

„Feinde des Kreuzes des Christus“ (V. 18.19)

Himmlische Stellung und Hoffnung (V. 20.21)

Kapitel 4

Aufruf zu Einigkeit und Abhängigkeit (V. 1–9)

Freude und Dank (V. 10–20)

Grüße und Schluss (V. 21–23)

ABKÜRZUNGEN

AT

Altes Testament

d. h.

das heißt

d. i.

das ist

eig.

eigentlich

griech.

griechisch

hebr.

hebräisch

Kap.

Kapitel

n. Chr.

nach Christi Geburt

NT

Neues Testament

o.

oder

S.

Seite

s.

siehe

TR

Textus Receptus

u.

a.und andere

usw.

und so weiter

V.

Vers

v. Chr.

vor Christi Geburt

vgl.

vergleiche

w.

wörtlich

z. B.

zum Beispiel

EINLEITUNG

1. Empfänger, Verfasser und Entstehungszeit des Briefes

Der Name der Stadt Philippi geht zurück auf König Philipp II. von Mazedonien (359–336 v. Chr.), den Vater Alexanders des Großen und Gründer der Stadt. In neutestamentlicher Zeit war Philippi eine römische Kolonie und das Zentrum des östlichen Teiles von Mazedonien.

Der Apostel Paulus besuchte Philippi auf seiner zweiten Missonsreise (ca. 51–54 n. Chr.) zum ersten Mal (Apg 16,12–40). Durch seine Predigt kam zunächst die Purpurhändlerin Lydia mit ihrem Haus zum Glauben an den Herrn Jesus. Als Paulus dann einen dämonischen Wahrsagegeist von einer Magd austrieb, entstand ein Volksaufruhr; Paulus und sein Begleiter Silas wurden ausgepeitscht und ins Gefängnis gebracht. Auf wunderbare Weise kam auch der Leiter des Gefängnisses mit seinem ganzen Haus zum Glauben (Apg 16,16–34). So entstand die erste örtliche Versammlung auf europäischem Boden (es ist jedoch nicht auszuschließen, dass in Rom zu dieser Zeit bereits eine Versammlung existierte).

Nach kurzem Aufenthalt zog Paulus weiter. Er ließ jedoch Lukas in Philippi zurück (vgl. den „wir“-Abschnitt bis Apg 16,16 mit dem „sie“-Abschnitt ab Apg 16,40). Auf seiner dritten Missionsreise (ca. 54–58 n. Chr.) kam Paulus nochmals von Ephesus nach Mazedonien und wohl auch nach Philippi (Apg 20,1; 2. Kor 2,13). Er zog dann weiter nach Griechenland und machte auf der Rückreise Station in Philippi, wo Lukas sich der Reisegesellschaft wieder anschloss (Apg 20,6).

Kaum hatten sie Jerusalem erreicht, kam es zu einem Zusammenstoß mit Juden, die den Christen feindlich gesinnt waren. Paulus wurde gefangen genommen und verbrachte zwei Jahre in Cäsarea. Da er sich in einer Gerichtsverhandlung auf den Kaiser berief, wurde er als Gefangener nach Rom gesandt, wo er zwei weitere Jahre in „Untersuchungshaft“ gehalten wurde. Von dort wird er den Brief an die Philipper geschrieben haben.

Nach seiner erhofften Freilassung aus der römischen Gefangenschaft könnte er während seiner Reise nach Mazedonien (1. Tim 1,3) noch einmal in Philippi gewesen sein, bevor er einige Zeit später in die zweite Gefangenschaft geriet, die im 2. Timotheusbrief vorausgesetzt wird. Den Wunsch und die Hoffnung, die Philipper noch einmal wiederzusehen, drückt er in unserem Brief jedenfalls mehrere Male aus (Kap.1,25.26; 2,24; 4,1).

Zwischen den Gläubigen in Philippi und Paulus bestand von Anfang an ein enges, liebevolles Verhältnis. Er erinnert in seinem Brief daran, dass er nach seinem Aufenthalt in Mazedonien nur von ihnen materielle Unterstützung empfangen hat (Kap.4,15–16). Kurz vor der Abfassung des Briefes war Paulus wieder eine Gabe der Philipper übermittelt worden, und zwar durch Epaphroditus. Nachdem dieser inzwischen durch Gottes Hilfe eine schwere Krankheit überwunden hatte, wurde er von Paulus beauftragt, seinen Brief nach Philippi zu überbringen (Kap.2,25–27; 4,18).

Die Tatsache, dass Paulus der Verfasser dieses Briefes ist, wurde nie ernstlich in Zweifel gezogen. Über den Abfassungsort sind in neuerer Zeit jedoch verschiedene Vermutungen (z. B. Ephesus oder Cäsarea) geäußert worden. Aber die traditionelle Auffassung, dass Paulus diesen Brief aus seiner Gefangenschaft in Rom geschrieben hat (wie auch die Briefe an die Epheser, die Kolosser und an Philemon), hat doch das größere Gewicht. Paulus spricht in diesem Brief vom „Prätorium“ (Kap.1,13), das heißt wohl von der kaiserlichen Leibgarde, und von den Gläubigen „aus dem Haus des Kaisers“ (Kap.4,22). Außerdem äußert er die Hoffnung, dass er bald seine Freiheit wiedererlangen würde (Kap.1,25–26; 2,24). Der Brief wird daher gegen das Ende seiner (ersten) zweijährigen Gefangenschaft in Rom, um das Jahr 63, geschrieben worden sein. Schon Polykarp von Smyrna (ca. 70–155), Irenäus (ca. 140–202) und Clemens von Alexandrien (ca. 150–215) zitieren diesen Brief als paulinisch.

2. Thema und Zweck des Briefes

Der Brief an die Philipper ist einer der persönlichsten und wärmsten Briefe des Neuen Testaments. Er enthält keine ausführlichen lehrmäßigen Darlegungen über die christliche Wahrheit. Die kurzen, zu Herzen gehenden Abschnitte über die Erniedrigung und Erhöhung des Herrn Jesus (Kap.2,5–11) und über die Verwandlung der Gläubigen beim Kommen des Herrn (Kap.3,20–21) dienen nur der Verdeutlichung und Untermauerung des Gedankengangs. Gerade diese Abschnitte enthalten jedoch Mitteilungen, die wir sonst nirgends finden, und sind daher besonders wertvoll.

Dieser Brief ist auch ein ausgesprochen praktischer Brief, der uns zeigt, dass „die Lehre des Christus“ keine Theorie ist, sondern in allen Umständen des Lebens in der Kraft des Heiligen Geistes praktisch verwirklicht werden soll und kann. Aus der sicherlich nicht angenehmen Gefangenschaft in Rom schreibt Paulus einen Brief, in dem der Herr Jesus Christus den zentralen Platz einnimmt und in dem er mehr als in allen anderen Briefen von Freude spricht. Die Worte „Freude“ und „sich freuen“ kommen in jedem Kapitel vor, zum Teil sogar mehrmals:

Kapitel1

Vers 4:„Gebet mit Freuden“

Vers 18:Freude über die Predigt des Evangeliums (2×)

Vers 25:Freude im Glauben

Kapitel2

Vers 2:Freude des Paulus über die Philipper

Vers 17:Freude des Paulus und Freude mit den Philippern

Vers 18:Freude der Philipper und Freude mit Paulus

Vers 28:Freude der Philipper über Epaphroditus

Vers 29:Aufnahme mit Freude

Kapitel3

Vers 1:Freude im Herrn

Kapitel4

Vers 1:Die Philipper als Freude und Krone des Paulus

Vers 4:„Freut euch in dem Herrn allezeit! Wiederum will ich sagen: Freut euch!“

Vers 10:Freude im Herrn über die Philipper

Der Grund der Freude des gefangenen Apostels lag jedoch nicht in diesseitigen, irdischen oder gar weltlichen Dingen. Seine Freude hatte ihren Ursprung in dem Herrn Jesus. Das machte den gefangenen Paulus glücklich und frei. Er brachte alles in seinem Leben, auch seine jetzige Gefangenschaft, in Verbindung mit seinem Herrn und nahm alles, was ihm begegnete, aus Seiner Hand an.

Deshalb kann der Brief an die Philipper ein Brief der Erfahrungen genannt werden. Diese Erfahrungen sind jedoch nicht die eines schwachen, in seinem Leben häufig versagenden Christen, wie es leider bei uns so oft der Fall ist. Nein, es sind die Erfahrungen eines im Glauben gereiften Christen, eines „Vaters in Christus“ (vgl.1. Joh 2,13.14). Er ist in Christus, seinem Herrn, zur Ruhe gekommen und findet in Ihm allein seine vollkommene Freude. Die Namen des Herrn Jesus Christus werden fünfzigmal, das heißt verhältnismäßig häufiger als in den übrigen Briefen, erwähnt. Das Wort „Sünde“ kommt dagegen in diesem Brief überhaupt nicht vor.

Bei aller gegenwärtigen Freude im Herrn ist der Blick des Paulus nach vorn, in die Zukunft, gerichtet. Sein Lebensinhalt ist Christus und das Sterben ist daher für ihn Gewinn (Kap.1,21). Er erinnert uns damit an das Volk Israel im Alten Testament, von dem wir am Ende des 4. Buches Mose und im 5. Buch lesen, dass es alle Schwierigkeiten und Erfahrungen der vierzigjährigen Wüstenwanderung hinter sich hatte, aber noch nicht im verheißenen Land Kanaan angekommen war. Nach der Begebenheit mit der ehernen (kupfernen) Schlange gelangte Israel in ein Land von „Wasserbächen“ (4. Mo 21,10–18; 5. Mo 10,7). Das Volk genoss damit – bildlich ausgedrückt – die „Freude des Heiligen Geistes“ in der Wüste. Am Anfang des 5. Buches Mose hält der Verfasser einen Rückblick auf die vergangene Zeit und lenkt den Blick des Volkes Israel dann auf das vor ihm liegende Land Kanaan, von dem es noch durch den Jordan getrennt war.

So freut sich auch Paulus im Philipperbrief in seinem Herrn und blickt zugleich auf das vor ihm liegende Ziel, während er sich noch auf der Erde, das heißt – bildlich betrachtet – in der Wüste befindet. Auch die Errettung wird hier daher als etwas Zukünftiges gesehen (Kap.1,19; 3,20). – Im Unterschied hierzu werden die Gläubigen im Kolosserbrief so betrachtet, als seien sie bereits durch den Jordan gezogen und im Begriff, das verheißene Land, die geistlichen Segnungen, in Besitz zu nehmen (Kol 3,1–3). Der Jordan ist ein Bild des Todes und der Auferweckung Christi und unserer Einsmachung mit Ihm darin. Der Epheserbrief geht noch weiter: Dort sind die Gläubigen gleichsam im Land Kanaan angekommen. Sie werden nicht nur als mit Christus auferweckt gesehen, sondern als in Ihm mitsitzend in den himmlischen Örtern, das heißt im vollen Besitz und Genuss des ganzen geistlichen christlichen Segens (Eph 1,3; 2,6).

Im Philipperbrief ist der Kernvers des ersten Kapitels der Vers 21: „Das Leben ist für mich Christus“, das heißt, Christus ist Lebensinhalt und -zweck.

Der Hauptvers des zweiten Kapitels ist Vers 5: „Diese Gesinnung sei in euch, die auch in Christus Jesus war“, das heißt, Christus in Seiner Erniedrigung als Mensch auf der Erde ist das Vorbild des christlichen Lebens.

Der wichtigste Abschnitt in Kapitel 3 umfasst die Verse 7–14, wo Christus in der himmlischen Herrlichkeit als das Ziel des Lebens vorgestellt wird.

Schließlich zeigt Kapitel 4,13: „Alles vermag ich in dem, der mich kräftigt“, dass Christus auch die Kraft und Stärke des Glaubenden ist.

Das einzig Negative in der Versammlung zu Philippi war eine gewisse Uneinigkeit. Paulus geht in liebevoller Weise in Kapitel 1,27; 2,2–4 und 4,2 darauf ein.

3. Inhaltsübersicht

I.Philipper 1,1–11: Einleitung: Gruß, Dank und Bitte

Gruß 1.2; die Freude des Paulus 3–8; sein Wunsch (V.10: „damit ihr prüfen mögt, was das Vorzüglichere ist“) 9–11

II.Philipper 1,12–26: Persönliche Umstände des Paulus (Christus, der Lebensinhalt)

Seine Gefangenschaft fördert das Evangelium 12–14; Freude über die Verbreitung des Evangeliums, sei es „aus Streitsucht“, sei es „aus Liebe“ 15–20; „Denn das Leben ist für mich Christus, und das Sterben Gewinn“ 21–26

III.Philipper 1,27–2,18: Aufruf zu Einigkeit und Treue (Christus, das Vorbild)

„Wandelt nur würdig des Evangeliums des Christus“ 1,27–30; liebevolle Ermahnung zur Einmütigkeit und Demut 2,1–4; das Beispiel Christi (V.5: „Denn diese Gesinnung sei in euch, die auch in Christus Jesus war“) 5–8; die Erhöhung und Verherrlichung Christi 9–11; Ermahnung zum Gehorsam 12.13; Ermahnung zur Lauterkeit (V.15: „ihr scheint wie Lichter in der Welt, darstellend das Wort des Lebens“) 14–16; himmlische Freude 17.18.

IV.Philipper 2,19–30: Timotheus und Epaphroditus

Die beabsichtigte Sendung des Timotheus 19–24; die Sendung des von schwerer Krankheit genesenen Epaphroditus 25–30

V.Philipper 3,1–21: Warnung und Beispiel (Christus, das Lebensziel)

Christus oder Gesetz (V.3: „Denn wir sind die Beschneidung, die wir durch den Geist Gottes dienen und uns Christi Jesu rühmen und nicht auf Fleisch vertrauen“) 1–3; der Werdegang des Paulus: erst Gesetz 4–6, dann „die Vortrefflichkeit der Erkenntnis Christi Jesu“ 7.8; nicht Gesetzes-Gerechtigkeit, sondern die Gerechtigkeit aus Gott 9; Christus gleichgestaltet werden 10.11; Christus das Ziel 12–14; Appell zu geistlichem Wachstum 15–17; Warnung vor „Feinden des Kreuzes Christi“ 18.19; himmlische Stellung und Hoffnung der Gläubigen (V.20: „Denn unser Bürgertum ist in den Himmeln, von woher wir auch den Herrn Jesus Christus als Heiland erwarten“) 20.21

VI.Philipper 4,1–9: Aufruf zu Einigkeit und Abhängigkeit

Feststehen 1; Evodia und Syntyche zur Einigkeit ermahnt 2–3; Freude im Herrn 4; Milde 5; das Gebet und seine Folge (V.7: „der Friede Gottes“) 6.7; Erwägen und Tun (V.9: „der Gott des Friedens“) 8.9

VII.Philipper 4,10–23: Freude und Dank (Christus, die Lebenskraft)

Freude über die empfangene Gabe 10; Genügsamkeit von Paulus (V.13: „Alles vermag ich in dem, der mich kräftigt“) 11–13; Lob für die Philipper 14–18; Lobpreis Gottes 19.20; Grüße und Segenswunsch 21–23

KAPITEL 1

Gruß(V.1.2)

Vers 1:Paulus und Timotheus, Knechte [o.: Sklaven] Christi Jesu, allen Heiligen in Christus Jesus, die in Philippi sind, mit den Aufsehern und Dienern:

Anders als in den Briefen an die Römer, Korinther, Galater, Epheser und Kolosser bezeichnet Paulus sich hier (wie auch in den Briefen an die Thessalonicher) nicht als Apostel. Er stellt sich mit Timotheus, der wohl sein engster und vertrautester Mitarbeiter war, auf eine Ebene und bezeichnet diesen und sich selbst als „Knechte“ (griech.douloi „Sklaven“) Christi Jesu. Sie dienten Ihm, dem jetzt zur Rechten Gottes verherrlichten Menschen Christus, der einst in Niedrigkeit auf der Erde erschien, um Gott zu offenbaren, Ihm als wahrer Knecht zu dienen und das Erlösungswerk zu vollbringen.

Als Adressaten werden zunächst „alle Heiligen in Christus Jesus, die in Philippi sind“ genannt. Der Brief ist demnach nicht an die Versammlung als solche gerichtet (vgl. 1. u. 2. Kor; 1. u. 2. Thes). Und doch kommt in dieser Anrede der Gedanke an die Gesamtheit der Gläubigen an diesem Ort, die ja die örtliche Versammlung bilden, zum Ausdruck. Vergessen wir in unserer Zeit der Zerrissenheit und Trennungen nie, dass zur weltweiten Versammlung Gottes „alle Heiligen in Christus Jesus“ gehören! Und nicht nur das: Auch die Versammlung Gottes an einem bestimmten Ort besteht aus „allen Heiligen in Christus Jesus“, die dort wohnen. Wenn auch in der Praxis nicht alle dem biblischen Muster des Versammlungslebens folgen, darf doch unsere „Liebe zu allen Heiligen“ nie aufhören (Eph 1,15; Kol 1,4; Phlm 5).

Jeder wahre Gläubige ist ein Heiliger. Die biblische Bedeutung von „heilig“ ist: abgesondert für Gott. Durch die vom Heiligen Geist bewirkte Heiligung werden Menschen, die fern von Gott sind, zum Glauben an das Erlösungswerk Christi geführt (1. Pet 1,2). Dadurch werden sie „Heilige [o.: Geheiligte] in Christus Jesus“ (vgl.1. Kor 1,2). Das heißt: Alle wahren Gläubigen sind heilige, aus der Welt für Gott abgesonderte Menschen, die Er „in Christus“ mit Wohlgefallen betrachtet. Sie sind ja alle mit Ihm, Seinem geliebten Sohn, einsgemacht und in Ihm angenehm gemacht vor Gott.

Die praktische Heiligung baut auf dieser grundsätzlichen Heiligung und Heiligkeit auf. Wenn wir also in 1. Petrus 1,15 aufgerufen werden: „Wie der, der euch berufen hat, heilig ist, seid auch ihr heilig in allem Wandel!“, dann werden wir nicht aufgefordert, nach einer Heiligkeit zu streben, die wir noch nicht besitzen. Wir werden aufgerufen, uns in der Heiligkeit zu bewahren, die wir durch Gottes Gnade und Liebe empfangen haben.

Erst nach den „Heiligen in Christus Jesus“ wird eine bestimmte Gruppe unter ihnen erwähnt: die „Aufseher und Diener“. Diese vom Heiligen Geist berufenen und von Menschen bestellten Männer standen nicht über ihren Glaubensgeschwistern, sondern waren ihnen als Vorbilder und Hilfen gegeben (1. Pet 5,1–3). Der Philipperbrief ist der einzige Brief des Neuen Testaments, in dem die Aufseher (oder Ältesten, vgl.Apg 20,17.28; Tit 1,5.7) und Diener in der Anrede erwähnt werden. Sie werden im Wort Gottes von den geistlichen Gaben unterschieden, die der verherrlichte Herr den Seinen zur Erbauung Seines ganzen Leibes, ohne örtliche und zeitliche Einschränkung, gibt (Eph 4,11.12). Im Unterschied zu den Gaben der Evangelisten, Hirten und Lehrer bekleideten die Aufseher/Ältesten und Diener/Diakone in der Anfangszeit der Versammlung auf den jeweiligen Ort beschränkte Ämter, zu denen sie von den Aposteln oder deren Beauftragten ernannt wurden (Apg 6,3–6; 14,23).

In der Zeit des Neuen Testaments gab es wahrscheinlich überall in den Versammlungen solche Aufseher/Älteste und Diener/Diakone, die für die göttliche Ordnung in den Versammlungen verantwortlich waren. Das wird besonders in Apostelgeschichte 14,23 deutlich, wo es heißt: „Als sie ihnen aber in jeder Versammlung Älteste erwählt hatten, beteten sie mit Fasten und befahlen sie dem Herrn an, an den sie geglaubt hatten“ (vgl.Apg 20,17; 1. Tim 3; Tit 1,5; Jak 5,14). In den Versammlungen in Judäa gab es von Anfang an Älteste. Schon im Judentum gab es diese Stellung ja bereits. Gläubige Männer mit geistlicher Einsicht und Autorität konnten die Aufgabe in den Versammlungen weiter ausüben (vgl.2. Mo 3,16; Esra 5,5; Lk 7,3; Apg 11,30; 15,4). Die Tatsache, dass in einem Brief keine Ältesten und Diener erwähnt werden, besagt daher nicht unbedingt, dass es sie an diesem Ort nicht gab. Im Brief an die Epheser werden zum Beispiel die dortigen Ältesten nicht genannt, wohl aber in Apostelgeschichte 20,17. Die Ältesten oder Aufseher hatten mehr geistliche Aufgaben, die Diener dagegen mehr äußerliche. Gemeinsam sorgten sie für die Ordnung und das Wohl der Versammlung, zu der sie gehörten.

Obwohl die Aufseher und Diener hier wie selbstverständlich genannt werden, finden wir weder in diesem Brief, den Paulus ja bereits als Gefangener in Rom verfasste, noch in seinen späteren Briefen (an Timotheus und Titus) irgendeinen Hinweis auf eine Fortführung oder Fortsetzung dieser Ämter nach seinem Heimgang. Das sollte denen zu denken geben, die heute für die Wahl oder Einsetzung von Ältesten und Dienern plädieren und dies für unabdingbar halten.

Schon relativ bald nach dem Abscheiden der Apostel und ihrer Generation wurden diese im Anfang von Gott gegebenen und notwendigen örtlichen Ämter mit den Gaben der Evangelisten, Hirten und Lehrer vermischt, die vom Herrn ohne örtliche und zeitliche Einschränkung für Seinen ganzen Leib gegeben werden (Eph 4,11–13). Obwohl es im Neuen Testament nur ein Amt von Ältesten oder Aufsehern gibt, wurden aus den Ältesten (griech.presbyteros) „Priester“, aus den Aufsehern (griech.episkopos) „Bischöfe“. Außerdem wurden auch die Diener (griech.diakonos) zu „Diakonen“. So bildete sich schon im 2. Jahrhundert n. Chr. die kirchliche Ämterhierarchie heraus. Diese entbehrt jedoch jeglicher Grundlage im Neuen Testament. Während der Herr Jesus noch immer und überall die geistlichen Gaben zum geistlichen Aufbau Seiner Versammlung schenkt, hat heute niemand mehr die Autorität zur offiziellen Ernennung von Ältesten oder Aufsehern, obwohl die in diesen Bereich fallenden Aufgaben von dazu befähigten Männern an den einzelnen Orten erfüllt werden können und sollen.

Die Aufseher und Diener werden hier erst an zweiter Stelle genannt. Das zeigt, dass es in diesem Brief nicht um die Ordnung in der Versammlung geht. Im Gegenteil, das Ewige steht vor dem Zeitlichen. In der ewigen Herrlichkeit wird es keine Aufseher und Diener, aber auch keine Gaben mehr geben, sondern nur Erlöste und Heilige, obwohl das, was hier für den Herrn Jesus getan worden ist, bei Gott nie in Vergessenheit geraten wird.

Vers 2:Gnade euch und Friede von Gott, unserem Vater, und dem Herrn Jesus Christus!

Wie fast alle seine Briefe beginnt Paulus auch den an die Gläubigen in Philippi mit dem Wunsch: „Gnade und Friede“. Der Brief an die Epheser endet auch damit (Eph 6,23.24). Dieser Wunsch ist ein Zeichen des geistlichen Interesses und der brüderlichen Liebe, die Paulus seinen Geschwistern entgegenbrachte. Gnade und Frieden bilden gewissermaßen den „Mutterboden“ für unser praktisches Glaubensleben. Wenn sie uns fehlen, ist es schlecht um uns bestellt. Da kann dann nichts Gutes gedeihen.

Dass es hier wirklich um ganz praktische Dinge geht, wird uns schnell klar. Die errettende Gnade Gottes hatten die Gläubigen in Philippi ja bereits kennengelernt; diese brauchte Paulus ihnen nicht mehr zu wünschen. Was er ihnen jedoch wünschte, war das Bewusstsein der Gnade Gottes, in der sie standen, sowie die praktische Betätigung der Gnade zueinander und zu den Verlorenen in ihrem täglichen Glaubensleben (vgl.Kol 4,6; Heb 12,15).

Ebenso ist es mit dem Frieden. Die Gläubigen in Philippi kannten den Frieden mit Gott aufgrund ihres Glaubens an den Erlöser (s.Röm 5,1), aber den Frieden Gottes in ihren Herzen und den Frieden untereinander benötigten sie immer wieder von neuem – ebenso wie wir (vgl.Kap.4,7; Eph 4,3)!

Sowohl Gnade als auch Frieden kommen von „Gott, unserem Vater, und dem Herrn Jesus Christus“. Es sind also auf keinen Fall menschliche Charaktereigenschaften oder Bemühungen. Ihre Quelle ist Gott und in vollkommener Weise sind sie im Leben des Herrn Jesus zum Ausdruck gekommen. Er sprach „Worte der Gnade“ und genoss allezeit den inneren Frieden, den Er einmal „meinen Frieden“ nennt (vgl.Lk 4,22; Joh 14,27).

Wenn wir unser eigenes Glaubensleben unter die Lupe nehmen, werden wir feststellen, wie angebracht, ja notwendig dieser liebevolle Wunsch des Apostels auch für uns ist.

Die Freude des Apostels(V.3–8)

Ein besonderes Kennzeichen der Briefe des Paulus sind die Danksagungen für die Gläubigen, an die er schrieb. Nur den Brief an die Galater beginnt er ohne jeden Ausdruck des Dankes. Die Gründe dafür gehen aus dem Brief hervor.

Verse 3.4:Ich danke meinem Gott bei all meiner Erinnerung an euch allezeit in jedem meiner Gebete, indem ich für euch alle das Gebet mit Freuden tue,

Gewöhnlich fand Paulus genügend Anlass zum Danken. Er lebte in inniger Gemeinschaft mit seinem Gott und Vater und dem Herrn Jesus. Wenn diese Gemeinschaft echt ist, führt sie nicht nur zu persönlicher Freude, sondern bewirkt ein tiefes Interesse für andere Kinder Gottes und damit auch die Fürbitte für sie. Sie sind ja Kinder desselben Vaters und Gegenstände derselben göttlichen Liebe. Wir sind uns wohl kaum der Bedeutung und des Wertes bewusst, die die Danksagung und das Gebet für die Geschwister im Glauben besitzen. Wenn wir die verschiedenen Stellen betrachten, an denen wir zu anhaltendem Gebet aufgefordert werden, wird uns dies wohl klarer (vgl.Röm 12,12; Eph 6,18; Phil 4,6; Kol 4,2; 1. Thes 5,17). Paulus selbst ist uns darin ein Vorbild. Er dankte Gott allezeit und in jedem seiner Gebete für das, was er bei den Philippern sah.

Zugleich erwähnt er hier zum ersten Mal die Freude. Hier ist es seine eigene Freude, die seine Gebete für die Gläubigen in Philippi begleitete. Sie erfüllte ihn so sehr, dass er nicht anders konnte, als sie später in diesem Brief auch den Philippern zu wünschen (Kap.3,1; 4,4).

Um das richtig zu verstehen, müssen wir uns daran erinnern, dass Paulus sich nicht in angenehmen Umständen befand. Er war jetzt als Gefangener in Rom. Sein früherer Dienst für den Herrn war ihm versagt. Und doch war er nicht niedergeschlagen oder entmutigt. Im Gegenteil, der Brief bezeugt von Anfang an die Freude, die dieser Gefangene in seinem geliebten Herrn empfand. Sie stärkte ihn nicht nur in den unangenehmsten Umständen, sondern hob ihn darüber hinaus, und zwar so sehr, dass er in der Lage war, andere Gläubige zu ermuntern und für sie zu beten.

Vers 5:wegen eurer Teilnahme [o.: Gemeinschaft;griech.koinōnia] an dem Evangelium vom ersten Tag an bis jetzt,

Paulus hatte einen besonderen Grund zum Danken und zur Freude über die Philipper: ihre „Teilnahme an dem Evangelium vom ersten Tag an bis jetzt“. Sie hatten nicht nur an das Evangelium zu ihrer eigenen Rettung und Segnung geglaubt, sondern sie hatten von Anfang an auch ein tiefes Interesse daran, dass diese gute Botschaft weitergetragen wurde, und zwar insbesondere vom Apostel Paulus. Das Evangelium nimmt im ersten Kapitel dieses Briefes einen wichtigen Platz ein: Es kommt sechs Mal vor (V.5.7.12.16.27 [2×]). Die verschiedenen Aspekte, unter denen es jeweils gesehen und erwähnt wird, zeigen, dass Paulus sich bewusst war, wie sehr das alles die Philipper interessierte.

Die Teilnahme der Philipper am Evangelium beschränkte sich nicht auf dessen Verkündigung. Sie interessierten sich für alle Bereiche, Fragen und Probleme in Verbindung mit dem Evangelium und dessen Verkündigern. Das war wahre Gemeinschaft mit dem Evangelium und mit Paulus, dem vom Herrn besonders auserwählten Gefäß zur Verbreitung der guten Botschaft in der ganzen Welt.

Zeigt uns dies alles nicht, was die Wahrheit von der „Einheit des Geistes“ (Eph 4,3) und deren Bewahrung in der Praxis bedeutet? Wahrscheinlich erkennen wir die Wahrheit als solche durchaus an, aber wie sieht es um ihre Verwirklichung aus? Ist sie uns nicht bereits teilweise verloren gegangen? Aber wenn auch die Versammlung Gottes als Ganzes sich in einem schwachen Zustand befindet, können wir doch dem Vorbild, das uns hier gezeigt wird, folgen und die gleichen Empfindungen der Liebe für Geschwister haben, die weit von uns entfernt sein mögen, vielleicht sogar auf anderen Kontinenten und den dortigen Missionsgebieten.

Vers 6:indem ich eben darin guter Zuversicht bin, dass der, der ein gutes Werk in euch angefangen hat, es vollenden wird bis auf den Tag Jesu Christi;

Angesichts dieser deutlichen Ergebnisse, die die Gnade Gottes in den Gläubigen in Philippi hervorgebracht hatte, konnte Paulus „guter Zuversicht“ sein. Ganz anders war es bei den Korinthern, wo er viel Fleischliches sah, aber doch auf die Treue Gottes vertraute, oder gar bei den Galatern, um die er Furcht hatte, ob er nicht etwa vergeblich an ihnen gearbeitet hatte, und nur im Blick auf den Herrn Jesus Vertrauen zu ihnen gewann (1. Kor 1,8. 9; Gal 4,11; 5,10). Hier gründete sich sein Vertrauen zwar auch auf Gottes Handeln, aber er sah bei den Philippern eine Herzenseinstellung, die in Übereinstimmung mit Gott war. Sie lebten in Gemeinschaft mit Gott und mit dem Evangelium. Dadurch war ihr Wandel ein offenbares Zeugnis des Wirkens Gottes in ihnen. Wenn Paulus sich in Dankbarkeit und Liebe an alles erinnerte, was sie für den Herrn Jesus und auch für ihn selbst getan hatten, dann war er voll guter Zuversicht, dass Gott Sein Werk, das Er durch Seinen Heiligen Geist in ihnen begonnen hatte, auch vollenden würde, so dass am Tag Jesu Christi die Frucht zu Seiner Verherrlichung und zu ihrem eigenen Segen sichtbar werden würde. – Übrigens: Der „Tag Jesu Christi“ ist nicht die öffentliche Erscheinung Christi mit den Seinen, die „Tag des Herrn“ genannt wird, sondern der Zeitpunkt, an dem die Erlösten kurz nach ihrer Entrückung vor dem „Richterstuhl des Christus“ offenbar werden. Dann wird „einem jeden sein Lob werden von Gott“ (vgl.V.10; Kap.2,16; 1. Kor 4,5; 2. Kor 5,10; 2. Tim 4,8).

Auch in Kapitel 3,15 bringt er eine ähnliche Zuversicht zum Ausdruck, wenn er vom Wachstum im Glauben spricht. Er ermahnt die einen, an ihrer „vollkommenen“ (oder: „erwachsenen“) Gesinnung im Blick auf den Wettlauf hin zu Christus droben festzuhalten; die anderen, die noch nicht so weit gewachsen sind, tröstet er damit, dass Gott ihnen dies offenbaren würde. Das Letztere hätte er nicht tun können, wenn er nicht von ihrer Liebe zu Christus und von ihrer Aufrichtigkeit überzeugt gewesen wäre.

Darüber hinaus enthalten die Worte „dass der, der ein gutes Werk in euch angefangen hat, es auch vollenden wird“ einen weiteren Trost. Sie zeigen uns, dass Gott nie eine halbe Sache macht. Wenn Er Sein gutes Werk in einer Seele begonnen hat, dann wird Er es auch vollenden – trotz aller Schwachheit auf unserer Seite. „Der Herr kennt, die sein sind“(2. Tim 2,19) – auch wenn wir manchmal die Frucht nicht sehen, die doch zu einem Leben aus und mit Gott gehört.

Vers 7:wie es für mich recht ist, dass ich dies über euch alle denke, weil ihr mich im Herzen habt und sowohl in meinen Fesseln als auch in der Verteidigung und Bestätigung des Evangeliums ihr alle meine Mitteilnehmer der Gnade seid.

Die Teilnahme an (eigentlich: die Gemeinschaft mit) dem Evangelium war nicht eine plötzlich aufflammende, kurze Begeisterung. Sie war eine feste, herzliche Gewohnheit der Gläubigen in Philippi, und zwar von Anfang an, wie wir gesehen haben (V.5). Auch waren es nicht nur einige von ihnen, die so dastanden, sondern alle (V.3.4). Deshalb konnte Paulus nochmals unterstreichen, dass die positiven Gedanken, die er soeben geäußert hatte, richtig waren.

Seine Überzeugung gründete sich jedoch nicht darauf, dass er sie „im Herzen“ hatte, wie in verschiedenen Bibelübersetzungen zu lesen ist, sondern darauf, dass die Philipper ihn in ihren Herzen hatten. Sprachlich gesehen ist die abgelehnte Übersetzung zwar möglich, nicht aber im vorliegenden Zusammenhang. Das Vertrauen von Paulus gründete sich nicht auf seine eigenen Empfindungen, sondern auf die für ihn deutlich erkennbare Zuneigung der Briefempfänger. Deren Herzenshaltung zeigte sich darin, dass sie auch jetzt, wo Paulus im Gefängnis war, fest zu ihm und seinem Dienst im Evangelium standen. Sowohl im Blick auf seine Gefangenschaft als auch im Blick auf die Verteidigung und Bestätigung des Evangeliums waren sie auch jetzt alle seine „Mitteilnehmer der Gnade“.

Einige Christen schämten sich offenbar, mit einem im Gefängnis sitzenden Apostel in Verbindung gebracht zu werden (vgl.2. Tim 1,8.16), nicht aber die Philipper. Ihre Herzen schlugen für Paulus nicht nur, solange er bei ihnen und in Freiheit war, sondern auch in seiner Abwesenheit und Gefangenschaft. Sie nahmen die mit seiner Gefangenschaft verbundene Schande und Schmach nicht zum Anlass, sich von ihm abzuwenden, sondern sie wurden dadurch nur umso mehr bestärkt, „Mitteilnehmer der Gnade“ zu werden. Derselbe Gott und dieselbe Gnade, deren Werkzeug der Verkündigung („Verteidigung1 und Bestätigung“) Paulus war, bewirkte in den Philippern die innige innere und äußere Teilnahme daran. Diese Gemeinschaft war für den gefangenen Paulus so wertvoll und wichtig, dass er sie hier nochmals dankend erwähnt.

Wie viel geistlicher Schaden ist schon durch unbegründetes negatives Reden über Diener des Herrn entstanden! Auch der Apostel Paulus musste dies erfahren, wie wir in den Briefen an die Korinther und die Galater sehen können. Aber bei den Philippern war es dem Widersacher nicht geglückt, das feste Band der Liebe und Gemeinschaft, das sie mit Paulus verband, zu zerstören, auch dann nicht, als er gefangen war.

Der Apostel Paulus war in seinem Dienst ständig zur „Verteidigung des Evangeliums“ berufen. So war es gegenüber den Galatern, bei denen das Gesetz eingeführt werden sollte, und aus ähnlichem Grund in Jerusalem auf dem sogenannten „Apostelkonzil“ (Apg 15). So war es später in Jerusalem, wo die Juden die Einbeziehung der Nationen in die Verkündigung ablehnten (Apg 21u.22), und so war es auch jetzt in Rom vor dem kaiserlichen Gerichtshof.

Vers 8:Denn Gott ist mein Zeuge, wie ich mich nach euch allen sehne mit dem Herzen [eig.: mit Eingeweiden] Christi Jesu.

Kaum ein anderer Brief des Neuen Testaments enthält so viele positive Äußerungen über die Empfänger wie der an die Philipper. Ihre Herzen waren in der Liebe zum Herrn und im Eifer für Ihn auf das Engste mit Seinem Diener in der Ferne verbunden. Für den Schreiber im Gefängnis war dies eine große Ermunterung.

Nun wendet Paulus sich jedoch seiner eigenen Person zu. Das Erste, was er den Philippern mitteilt, ist seine Sehnsucht nach ihnen. Dabei ruft er Gott zu seinem Zeugen an. Warum tut er das? Wohl einfach deshalb, weil die bisher erwähnten Tatsachen von vielen Menschen bezeugt werden konnten (vgl.1. Thes 2,10), er jetzt aber weit von seinen geliebten Geschwistern entfernt ist. Zudem spricht er von seinen innersten Gefühlen für sie. Dafür gab es keine menschlichen Zeugen. Aber Gott, der allein das Herz aller Menschenkinder kennt (1. Kön 8,39), war Zeuge, wie sehr Paulus sich nach den Philippern sehnte (vgl.Röm 1,9; 2. Kor 1,23; 1. Thes 2,5).

Paulus sehnte sich „mit dem Herzen Christi Jesu“ nach ihnen. Wie schon aus der oben gegebenen Übersetzung ersichtlich, steht in Vers 8 ein anderes Wort (griech.splanchna) für „Herz“ als in Vers 7 (griech.kardia). Es bedeutet eigentlich „Eingeweide“ (vgl.Apg 1,18), wird aber an anderen Stellen im Neuen Testament durch „Inneres“ (2. Kor 6,12), „innerliche Gefühle“ (2. Kor 7,15; Phil 2,1) und „Herz“ (Lk 1,78; Kol 3,12; Phlm 7.12.20; 1. Joh 3,17) wiedergegeben. Auch das Alte Testament kennt bereits diese Bedeutung von „Eingeweide“ (hebr.me‘im), zum Beispiel in Psalm 40,9 („Herz“) und Hohelied 5,4 („Inneres“). Dieser Ausdruck weist mehr auf die inneren Gefühle hin als das gewöhnliche Wort für „Herz“. – Wie sehr muss Paulus in seinen Empfindungen mit Christus Jesus, seinem Herrn, verbunden gewesen sein, dass er sich so ausdrückte! Er fühlte ähnlich wie der Herr Jesus, der auch mehrmals „innerlich bewegt“ war (griech.splanchnizomai; vgl.Mt 9,36; 14,14; 15,32; 20,34).

Ein Wunsch(V.9–11)

Vers 9:Und um dieses bete ich, dass eure Liebe noch mehr und mehr überströme in Erkenntnis und aller Einsicht,

Jetzt nennt Paulus einen besonderen Gebetsgegenstand (vgl.V.4): Er betrifft nicht das äußerliche Wohlergehen der Philipper, sondern ihr geistliches Wachstum. Paulus weiß um ihre brüderliche Liebe, die er selbst erfahren hat. Aber er sieht hier die göttliche Liebe im weitesten Sinn, ohne irgendeine Einschränkung (vgl.1. Joh 4,19). Sein Gebetswunsch ist nun nicht nur, dass diese Liebe noch überströmender wird, sondern dass sie in „Erkenntnis2 und aller Einsicht3“ wächst. Was bedeutet das? Wenn wir Stellen wie Epheser 1,8 („in aller Weisheit und Einsicht“) und Kolosser 1,9 („erfüllt … mit der Erkenntnis seines Willens in aller Weisheit und geistlicher Einsicht“) zum Vergleich heranziehen, verstehen wir besser, dass es hier um mehr als ein Wachsen in der Liebe geht. Die Liebe Gottes, die durch den Heiligen Geist auch in ihre Herzen ausgegossen ist (Röm 5,5), soll nicht nur als von Herzen kommend tätig sein, sondern von Erkenntnis und Einsicht gekennzeichnet sein und gerade darin mehr und mehr überströmen.

Manche Kinder Gottes haben eine große Liebe zum Herrn Jesus, meinen aber – vielleicht unbewusst –, Erkenntnis und Einsicht in die Gedanken Gottes seien nicht so wichtig. Dadurch können sie jedoch in ihrem Glaubensleben in ungeahnte Schwierigkeiten geraten. Gewiss ist alles Tun ohne die Liebe wertlos, wie wir in 1. Korinther 13,1–3 lesen. Aber Gottes Wille ist, dass unsere „Liebe mehr und mehr überströme in Erkenntnis und aller Einsicht“.

Zum ersten Mal in diesem Brief werden wir hier auf die Wichtigkeit geistlichen Wachstums aufmerksam gemacht. Erkenntnis allein ergibt jedoch noch kein Wachstum. Ohne wahre Liebe führt sie sogar zu Überheblichkeit. „Die Erkenntnis bläht auf, die Liebe aber erbaut“ (1. Kor 8,1). Nur in enger Verbindung mit der Liebe und ihrer göttlichen Quelle können wir wirkliche Fortschritte in der Erkenntnis und der Einsicht bezüglich der Gedanken Gottes machen. Doch nie könnte ein Gläubiger sagen: Jetzt habe ich die vollkommene Erkenntnis und Einsicht erreicht. Solange wir auf der Erde sind, werden wir wie die Philipper aufgefordert, „dass eure Liebe noch mehr und mehr überströme in Erkenntnis und aller Einsicht“. Erst in der Herrlichkeit des Himmels werden wir (ganz) erkennen, wie auch wir (ganz) erkannt worden sind (1. Kor 13,12).

Verse 10.11:damit ihr prüfen mögt, was das Vorzüglichere ist, damit ihr lauter und ohne Anstoß seid auf den Tag Christi, erfüllt mit der Frucht der Gerechtigkeit, die durch Jesus Christus ist, zur Herrlichkeit und zum Preise Gottes.

Zunahme der Liebe in Erkenntnis und aller Einsicht ist jedoch nicht das eigentliche Ziel. Sie ist vielmehr Voraussetzung für weitere Schritte des Glaubenslebens in Gemeinschaft mit dem Herrn. Diese werden jetzt beschrieben.

Als erster Schritt folgt: „… damit ihr prüfen mögt, was das Vorzüglichere ist.“ Paulus denkt hier gar nicht an das Böse, die Sünde.4 Er ist davon überzeugt, dass die Gläubigen in Philippi den Wunsch haben, ihrem Herrn in Hingabe zu dienen. Er wünscht, dass sie in der Lage sind, zu prüfen, was das Vorzüglichere ist, um es dann auch zu tun.

Das Verb „prüfen“ (griech.dokimazō) hat eine weitgefächerte Bedeutungsskala („unterscheiden“ Röm 2,18; „beurteilen“ Lk 12,56; „erproben“ 1. Kor 3,13; „für gut befinden“ Röm 1,28usw.). Es beinhaltet also sowohl den Gedanken der Prüfung als auch der Anerkennung. Ähnlich ist es bei „das Vorzüglichere“ (griech.diapherōn), das als Verb ursprünglich „hindurchtragen“ (Mk 11,16) bedeutet, dann aber auch „unterscheiden“ (1. Kor 15,41); als Partizip hat es die Bedeutung „vorzüglicher“ (Mt 6,26; 10,31). Das heißt, es ist dasjenige, was sich in positivem Sinn von anderen Dingen unterscheidet und sich daher bei einer Prüfung als ausgezeichnet erweist.

Die Römer werden aufgefordert, zu prüfen, „was der gute und wohlgefällige und vollkommene Wille Gottes ist“, und die Epheser, „was dem Herrn wohlgefällig ist“ (Röm 12,2; Eph 5,10). Aber den Philippern stellt Paulus keinen so absoluten Maßstab vor. Von ihnen erwartet er, dass sie in der Lage sind, unter verschiedenen Möglichkeiten, dem Herrn zu dienen, die „vorzüglichere“ zu erkennen und zu tun! Das ist nur möglich, wenn sie in engster Gemeinschaft mit Ihm leben.

Welch ein Unterschied zu solchen Gläubigen, für die es schon schwierig ist, Recht und Unrecht, Gut und Böse zu unterscheiden! Wie groß auch der Unterschied zu solchen, die meinen, wenn sie bestimmte offensichtliche Sünden meiden, würden sie ihrer „Christenpflicht“ genügen. Wie oft hört man auch die Reaktion: „Ich sehe hierin oder darin nichts Böses.“ Eine solche Einstellung ist weit vom hier gegebenen Maßstab entfernt. Wie ganz anders ist es, wenn Christus, der in uns lebt, uns zu dem aufrichtigen Wunsch führt, Seine wunderbaren Wesenszüge, soweit wir sie im Licht Gottes erkennen, in unserem täglichen Leben zu offenbaren! Um dahin zu gelangen, genügen in vielen Fällen oft die Fragen: „Wie würde der Herr Jesus jetzt handeln?“, oder: „Was würde Er dazu sagen?“

Als nächsten Schritt nennt Paulus: „… damit ihr lauter und ohne Anstoß seid auf den Tag Christi.“ Den „Tag Jesu Christi“, der wohl dieselbe Zeit betrifft, hat er bereits in Vers 6 erwähnt. Er hat das Vertrauen zu den Philippern, dass sie, wenn sie seine vorige Bitte erfüllen, im Blick auf diesen Zeitpunkt, an dem ihr ganzes Leben als Gläubige offenbar werden wird, „lauter und ohne Anstoß“ dastehen werden. Mancher Leser mag sich fragen: Wie ist das möglich? Kennen wir nicht alle aus Erfahrung die Wahrheit der Worte des Jakobus: „Wir alle straucheln oft“ (Jak 3,2)? Und warum ist das so? Weil wir uns zu wenig der Gegenwart Gottes bewusst sind und nicht immer an der Hand unseres Herrn und Meisters wandeln. Nur Seine Nähe und Gemeinschaft kann uns bewahren. Das meint auch Johannes, wenn er schreibt: „Meine Kinder, ich schreibe euch dies, damit ihr nicht sündigt“ (1. Joh 2,1).

Wir haben durch die neue Geburt Leben aus Gott empfangen, wir besitzen den Heiligen Geist als Führer und das Wort Gottes als Richtschnur. Außerdem hat der Herr Jesus den Seinen zugesagt: „Siehe, ich bin bei euch alle Tage“ (Mt 28,20). So gibt es von Gottes Seite keinen Grund für unser Versagen. Seine Schatzkammern des Segens und der Hilfe stehen uns offen und wir brauchen nur zuzugreifen. Wenn wir achtlos und gleichgültig sind und unser Fleisch nicht beständig richten, versagen wir. Wenn wir uns aber auf die unermessliche Gnade und Liebe Gottes stützen, können wir glücklich unseren Glaubensweg gehen und den Tag Christi ohne Furcht erwarten. Das erhoffte Paulus auch von den Gläubigen in Philippi.

Die Worte „lauter“ und „ohne Anstoß“ beinhalten, dass in einer Person nichts Verwerfliches zu finden ist. „Lauter“5 bezieht sich auf uns selbst, „ohne Anstoß“ dagegen auf unseren Umgang mit anderen.

Schließlich wünschte Paulus, sie an jenem Tag in der Herrlichkeit „erfüllt mit der Frucht der Gerechtigkeit, die durch Jesus Christus ist, zur Herrlichkeit und zum Preise Gottes“ zu sehen. Die Frucht der Gerechtigkeit wird mehrmals im Neuen Testament erwähnt.6 Die „Früchte eurer Gerechtigkeit“ (2. Kor 9,10) sind die Liebesgaben der Korinther als Beweise ihrer praktischen Gerechtigkeit (vgl.Mt 6,1). Die „friedsame Frucht der Gerechtigkeit“ (Heb 12,11) ist das Ergebnis, wenn wir die Zucht Gottes annehmen und daraus lernen. Wir genießen dann den Frieden des Herzens und leben in praktischer Gerechtigkeit (vgl.Jes 32,17). Die „Frucht der Gerechtigkeit“ (Jak 3,18), die denen gesät wird, die Frieden stiften, ist Same und Frucht zugleich. Frieden und Gerechtigkeit sind hier die praktischen Kennzeichen des Gläubigen. Im Herrn Jesus haben sie ihren vollkommenen Ausdruck gefunden (vgl.Röm 14,17; Ps 85,11).

An dieser Stelle blickt Paulus jedoch voraus auf den Tag Christi, an dem er die Gläubigen gern „erfüllt mit der Frucht der Gerechtigkeit“ sehen möchte. Auch hier handelt es sich um die praktische Gerechtigkeit der Gläubigen in ihrem irdischen Leben, und die Frucht ist alles, was daraus hervorkommt. Der Herr Jesus ist dabei Quelle und Maßstab zugleich. Die Frucht der Gerechtigkeit dient zur Verherrlichung und zum Lob Gottes in Ewigkeit. Paulus wünscht, dass die Philipper damit „erfüllt“ sein möchten wie ein Baum, der reiche Frucht trägt.

Die Gefangenschaft fördert das Evangelium(V.12–14)

Nun kommt Paulus zum ersten Hauptteil seines Briefes. Gleich zu Anfang informiert er die Gläubigen in Philippi über sein persönliches Wohlergehen. Auch darin kommt seine innige Gemeinschaft mit ihnen zum Ausdruck. Doch er klagt nicht über seine misslichen Umstände. Er macht weder sich selbst noch anderen Vorwürfe darüber, dass er vor Jahren nach Jerusalem gegangen ist und dort verhaftet wurde, sondern teilt als Erstes mit, dass seine „Umstände mehr zur Förderung des Evangeliums geraten sind“.

Verse 12.13:Ich will aber, dass ihr wisst, Brüder, dass meine Umstände [eig.: das mich Betreffende] mehr zur Förderung des Evangeliums geraten sind, so dass meine Fesseln in Christus offenbar geworden sind in dem ganzen Prätorium und allen anderen,

Satan, der Feind des Evangeliums, hatte bereits die Tötung des Apostels Jakobus bewirkt. Danach hatte er versucht, auch Petrus zu beseitigen, allerdings vergeblich (Apg 12,1–17). Ebenso stand er hinter der Gefangennahme von Paulus. Durch die „Stilllegung“ dieses auserwählten Werkzeuges Gottes hoffte er, der Ausbreitung des christlichen Glaubens großen Schaden zuzufügen. Denn wer würde schon einer Botschaft glauben, deren bekanntester Verkündiger im Gefängnis saß? Paulus befand sich jetzt nahezu vier Jahre in Haft: zwei Jahre in Cäsarea und fast zwei weitere Jahre in Rom (Apg 24,27; 28,20).

Doch Gott trug Sorge dafür, dass Sein Diener nicht mit der Masse der in Haft sitzenden Kriminellen in einen Topf geworfen wurde. Er führte die „Umstände“ von Paulus so, dass sie sogar „mehr zur Förderung des Evangeliums“ beitrugen. Es wurde mehr und mehr bekannt, dass Paulus nicht wegen irgendwelcher Verbrechen, sondern um Christi willen im Gefängnis war. Seine Ketten bezeichnet er deshalb als „Fesseln in Christus“, und an anderer Stelle nennt er sich der „Gefangene Christi Jesu“ und der „Gefangene im Herrn“ (Eph 3,1; 4,1; in beiden Fällen steht für „gefangen“ im Griechischen „gebunden“). Unter der Vorsehung Gottes konnte während der Gefangenschaft des Paulus um des Herrn Jesus und Seiner Versammlung willen das Evangelium jetzt an Orte und zu Menschen gelangen, die auf andere Weise nicht erreicht worden wären. Vergessen wir dabei auch nicht, dass Paulus einige der bedeutendsten und schönsten Briefe (an die Epheser und Kolosser) aus der Gefangenschaft schrieb.

Aus Apostelgeschichte 28,16.30 wissen wir, dass Paulus in seiner Gefangenschaft in Rom gewisse Freiheiten genoss. Diese konnte er zur persönlichen Weitergabe des Evangeliums benutzen. Dadurch waren seine „Fesseln in Christus offenbar geworden … in dem ganzen Prätorium“. Hier ist mit dem Prätorium die Prätorianergarde gemeint, die aus neun Kohorten zu je tausend Soldaten bestand. Sie war vom Kaiser Augustus zum Schutz des kaiserlichen Hauses aufgestellt worden. In ihren Kasernen befand sich wohl auch ein Gefängnis. So wurden die Soldaten, die Paulus bewachten, mit dem Evangelium bekannt. Dadurch gelangte die Botschaft der Errettung sogar bis zum kaiserlichen Hof, von dem Paulus den Philippern Grüße ausrichtet (Kap.4,22). Ja sogar darüber hinaus („und allen anderen“, oder: „und an allen anderen Orten“) wurden die Person und das Erlösungswerk Christi bekannt, um dessentwillen Paulus in Haft saß.

Vers 14:und dass die meisten der Brüder, indem sie im Herrn Vertrauen gewonnen haben durch meine Fesseln, viel mehr sich erkühnen, das Wort Gottes zu reden ohne Furcht.

Doch damit nicht genug. Zwar nicht alle, aber „die meisten der Brüder“ hatten ihr Verhalten sehr zum Positiven geändert. Dafür gibt es verschiedene Erklärungsmöglichkeiten:

1.Waren sie früher in Anwesenheit des großen Apostels zurückhaltend und still gewesen, so gab ihnen seine Haft jetzt Gelegenheit, ihre vielleicht in den eigenen Augen geringen Gaben mit größerer Freimütigkeit auszuüben.

2.Vielleicht waren auch solche dabei, die zunächst durch die Gefangennahme von Paulus niedergeschlagen waren, jetzt aber wieder mehr auf den Herrn vertrauten.

3.Möglicherweise denkt Paulus jedoch an Brüder, die sich zunächst seinetwegen geschämt hatten, als ob er ein Übeltäter wäre, jetzt aber im Blick auf seine Gefangenschaft Mut gefasst hatten und zuversichtlich geworden waren. Sie hatten inzwischen erkannt, dass der Grund seiner Gefangenschaft eigentlich eine Ehre war.

Die letzte Erklärung scheint die geeignetste zu sein. Wie die Fußnote der Elberfelder Übersetzung zu diesem Vers sagt, hatten die Brüder „hinsichtlich meiner Fesseln Vertrauen gewonnen“. Was für eine geistliche Großherzigkeit zeigt sich in diesen Worten! Paulus beklagt sein Schicksal durchaus nicht, sondern freut sich darüber, dass andere jetzt mit mehr Freimütigkeit das tun, was ihm verwehrt bleibt.

Alle Furcht haben sie abgelegt, denn sie „erkühnen sich“ (oder: „wagen“, griech.tolmaō), „das Wort [Gottes] zu reden ohne Furcht“. Es ist schwer, zu entscheiden, ob es „das Wort“ oder „das Wort Gottes“ heißen muss, da beide Lesarten von vielen und wichtigen Handschriften bezeugt sind. Es gibt auch ohne den Zusatz keinen Zweifel, worum es sich handelt. So heißt es schon vom Herrn Jesus: „Und er redete zu ihnen das Wort“ (Mk 2,2; 4,33), und Seine Jünger folgten Ihm darin (Apg 11,19; 14,25).

Die nahezu zwei Jahrtausende der Geschichte des christlichen Glaubens haben gezeigt, dass in Zeiten der Verfolgung oft mehr Menschen zum Glauben geführt werden als in Zeiten des Wohlergehens. Treue Christen, die um ihres Herrn willen leiden, sind schon immer die besten Zeugen Christi gewesen. Außerdem spornen sie andere offenbar mehr zum Zeugnis an als solche, die in Wohlstand und Frieden leben.

Verbreitung des Evangeliums(V.15–20)

Vers 15:Einige zwar predigen den Christus auch aus Neid und Streit, einige aber auch aus gutem Willen;

Der Gefängnisaufenthalt von Paulus hatte jedoch nicht nur positive Auswirkungen. Neben denjenigen, die „im Herrn Vertrauen gewonnen“ hatten (V.14), gab es Männer, die früher wahrscheinlich ebenso wenig in Erscheinung getreten waren, jetzt aber, wo Gott in Seinen unergründlichen, aber vollkommenen Wegen diesen mächtigen Zeugen der Gnade beiseitegenommen hatte, plötzlich aus schlechten Beweggründen aktiv wurden. Es waren neidische und streitsüchtige Gläubige, die seine Abwesenheit ausnutzten, um sich selbst hervorzutun und seine Freude zu schmälern.

Diese Menschen waren keine „falschen Apostel“ wie diejenigen, vor deren schädlichem Einfluss die Korinther gewarnt werden mussten (2. Kor 11,4.15). Ihre Botschaft war auch kein „anderes Evangelium“, wie es die „falschen Brüder“ predigten, die sich in Galatien eingeschlichen hatten und von Paulus verflucht wurden (Gal 1,6–9; 2,4). Dreimal sagt Paulus hier von diesen Männern, dass sie Christus predigen oder verkündigen (V.15.17.18). Dabei nennt er den Herrn Jesus zweimal „den Christus“. Dieser Titel schließt gewöhnlich die ganze Wahrheit über den verherrlichten Christus zur Rechten Gottes und über Seine Versammlung ein (vgl.Eph 1,20–23; 4,20; Kol 2,6). Darüber konnte Paulus sich trotz allem freuen. Aber die Motive und die Gesinnung der Prediger waren kein Anlass zur Freude. Neid veranlasste sie wohl dazu, den Apostel bei ihren Zuhörern herabzusetzen und sich dadurch selbst hervorzutun. Aus Lust am Streiten versuchten sie möglicherweise, sich durch Unterschiede bei der Verkündigung des Evangeliums in Widerspruch zu dem gefangenen Apostel zu setzen.

Ein ganz anderes Motiv offenbarten jedoch diejenigen, die Christus „aus gutem Willen [griech.eudokia]“ verkündigten. Dieser Ausdruck wird sonst mit „Wohlgefallen“ oder „wohlgefällig“ übersetzt (Mt 11,26; Lk 2,14; Röm 10,1; Eph 1,5.9; Phil 2,13; 2. Thes 1,11). Oft handelt es sich dabei um das Wohlgefallen Gottes. Das ist auch hier nicht von der Hand zu weisen, denn die gute Absicht dieser Verkündiger des Evangeliums war doch, ihrem Auftraggeber in allem wohlzugefallen. Bei einer solchen Gesinnung gibt es keinen Platz für Neid und Streit.

Es ist oft nicht einfach und manchmal sogar gefährlich, die Motive eines anderen zu beurteilen. Umso wichtiger ist es daher für jeden Diener des Herrn (und das sind im Grunde ja alle Erlösten), die eigenen Motive im Licht des Herrn – gleichsam unter Seinem alles durchdringenden Auge – ständig zu überprüfen. Dann wird Er uns zeigen, ob Neid und Streit oder guter Wille hinter unseren Worten und Taten steht.

Wenn aber, wie in diesem Fall, die Resultate offensichtlich sind, darf auch ein klares und notwendiges Urteil nicht durch das Argument beiseitegeschoben werden, man dürfe niemals Motive beurteilen. Be-urteilen ist nicht gleichbedeutend mit Ver-urteilen oder Richten. Durch ein klares geistliches Urteil kann oft größerer Schaden bei einzelnen Geschwistern und in der ganzen Versammlung abgewendet werden.

Verse 16.17:diese aus Liebe, da sie wissen, dass ich zur Verteidigung des Evangeliums gesetzt bin; jene verkündigen den Christus aus Streitsucht, nicht lauter, wobei sie meinen Fesseln Trübsal zu erwecken gedenken.7

In diesen beiden Versen beschäftigt Paulus sich weiter mit den beiden Gruppen von Verkündigern, jetzt aber in umgekehrter Reihenfolge. Er beginnt mit denjenigen, die „aus gutem Willen“ predigten. Sie taten es zugleich „aus Liebe“ und hatten damit dasselbe Motiv wie Paulus, der den Gläubigen in Korinth geschrieben hatte: „Die Liebe des Christus drängt uns“ (2. Kor 5,14). Die Liebe ist das wahrhaft göttliche Motiv für ein segensreiches Wirken. Gepaart mit der Wahrheit bewahrt sie uns auch vor jeder Abweichung (vgl.Eph 4,15). Außerdem war diesen Verkündigern zutiefst bewusst, dass ihr Vorbild, der Apostel Paulus, gerade wegen des Evangeliums und dessen Verteidigung im Gefängnis saß (s.V.7).

Die anderen dagegen, die Christus „aus Neid und Streit“ verkündigten (V.15), taten es „aus Streitsucht, nicht lauter“. Neid und Streit waren die sichtbaren Ergebnisse, Streitsucht und unlauteres Wesen die tiefer liegenden Wurzeln ihres Handelns. Ihre Absicht dabei war, die Trübsal, die Paulus in der Gefangenschaft zu erdulden hatte, womöglich noch zu vergrößern.

Nur scheinbar wird also das in Vers 15 Gesagte in den Versen 16 und 17 wiederholt. In der ersten Aussage werden mehr die sichtbaren Fakten geschildert, in der zweiten die Hintergründe. Das wird durch die verwendeten Präpositionen bestätigt. In Vers 15 ist „aus“ ein anderes Wort (griech.dia, das den Grund oder das Motiv angibt) als in den Versen 16 und 17 (griech.ex, das den Ursprung, den Charakter oder den Grundsatz bezeichnet).

Vers 18:Was denn? Wird doch auf alle Weise, sei es aus Vorwand oder in Wahrheit, Christus verkündigt, und darüber freue ich mich, ja, ich werde mich auch freuen;

Doch die unaufrichtigen, streitsüchtigen Verkündiger bewirkten das Gegenteil von dem, was sie beabsichtigten, denn Gott stand auf der Seite Seines treuen Dieners und lenkte dessen Blick nach oben. Im Gegensatz zu diesen armseligen, selbstsüchtigen Predigern freute Paulus sich über jede Verkündigung des Evangeliums des Christus, gleichgültig, aus welchen Beweggründen sie geschah.

Sehen wir nicht eine ähnliche Haltung bei Mose, als Josua ihn bat, Eldad und Medad entgegenzutreten? Diese beiden Männer gehörten zu den siebzig Ältesten, waren jedoch nicht mit den übrigen aus dem Lager hinausgegangen. Aber auch sie weissagten wie die anderen. Mose entgegnete Josua auf seine Forderung: „Eiferst du für mich? Möchte doch das ganze Volk des Herrn Propheten sein, dass der Herr seinen Geist auf sie legte!“ (4. Mo 11,29).

Als Johannes bei einer Gelegenheit sagte: „Meister, wir sahen jemand Dämonen austreiben in deinem Namen, und wir wehrten ihm, weil er dir nicht mit uns nachfolgt“, antwortete der Herr ihm: „Wehrt nicht; denn wer nicht gegen euch ist, ist für euch“ (Lk 9,49. 50).

Auch Paulus war nicht betrübt oder gar aufgebracht, weil man ihm persönlich Schaden zufügen wollte. Seine eigene Person stellte er ganz zurück. Er identifizierte sich so sehr mit dem Herrn Jesus und Seinem Werk, dass jede Verkündigung des Evangeliums, wodurch Menschen errettet wurden, für ihn ein Anlass zur Freude war. Die Gründe für die Verkündigung mochten noch so verwerflich sein – wenn Christus verkündigt wurde, war und blieb die Reaktion von Paulus: „Darüber freue ich mich, ja, ich werde mich auch freuen.“ Das heißt, es war nicht eine augenblickliche Aufwallung, sondern eine tiefe, beständige Freude darüber, dass die Botschaft des Heils in Christus verkündigt wurde.

Daraus kann jedoch nicht abgeleitet werden, Paulus hätte die verwerflichen Motive derer, die ihm im Gefängnis Trübsal zu erwecken suchten, gutgeheißen. Dagegen spricht die klare Unterscheidung in seiner Beschreibung der beiden Gruppen von Brüdern. Auch jetzt unterlässt er es nicht, das noch einmal hervorzuheben. Die einen predigten „aus Vorwand“, die anderen „in Wahrheit“. Er ertrug die persönlichen Zurücksetzungen ohne Groll und freute sich über die Verbreitung der guten Botschaft, aber die schlechten Motive der Verkündiger verurteilte er. Um es einmal klar und verständlich auszudrücken: Auch wenn er die Möglichkeit dazu gehabt hätte, wäre es ihm nicht in den Sinn gekommen, diejenigen zu unterstützen, die in falscher Gesinnung Christus predigten.

Angesichts der vielen Spaltungen in der Christenheit und trotz allem Trennenden bleibt jede klare Verkündigung von Buße, Bekehrung und Glauben an den Herrn Jesus ein Anlass zur Freude und ein wichtiges Gebetsanliegen. Aber eine uneingeschränkte Zusammenarbeit von Christen unterschiedlicher Gruppierungen entbehrt jeder biblischen Grundlage. Einheit im biblischen Sinn kann nur über Demütigung und Trennung von jeder Art des Bösen erreicht werden. Möchten wir uns diese Gesinnung schenken lassen! „Darum, so spricht der Herr: Wenn du umkehrst, so will ich dich zurückbringen, dass du vor mir stehst; und wenn du das Kostbare vom Verachteten absonderst, so sollst du wie mein Mund sein. Jene sollen zu dir umkehren, du aber sollst nicht zu ihnen umkehren“ (Jer 15,19).

Vers 19:denn ich weiß, dass dies mir zum Heil [o.: zur Errettung] ausschlagen wird durch euer Gebet [eig.: Bitten, Flehen] und durch Darreichung des Geistes Jesu Christi,

Paulus war in seinem tiefsten Innern davon überzeugt, dass dies alles ihm „zum Heil [o.: zur Errettung] ausschlagen“ würde. Damit meinte er nicht seine ewige Errettung, deren er sich vollkommen sicher war. Sie konnte ebenso wenig in Gefahr kommen wie durch irgendwelche menschlichen Bemühungen abgesichert werden. Wie die nächsten Verse zeigen, bezieht die Errettung sich hier auf die Situation, in der Paulus sich befand, und auf den endgültigen Sieg Christi über alle Feinde.8

Der Herr lenkte seinen Blick weg von den Umständen, die er in diesem Brief mitteilt, und richtete seine Gedanken mehr und mehr auf Ihn selbst. Das allein war die Quelle der Freude, von der Paulus hier so häufig spricht. Auch die Gebete der Gläubigen in Philippi und die vermehrte „Darreichung des Geistes Jesu Christi“ trugen dazu bei, dass er sich über den sicheren Sieg Christi freuen konnte, anstatt sich durch Satan niederdrücken oder einschüchtern zu lassen. Das „Gebet“ (oder: das Bitten, Flehen) seiner Geschwister in Philippi waren der Ausdruck ihrer innigen Gemeinschaft mit dem Herrn Jesus und mit ihm. Die „Darreichung des Geistes Jesu Christi“ (das heißt wohl: die ständige Mitteilung der Gesinnung des Herrn) führt in erster Linie zur Abhängigkeit von Ihm, darüber hinaus aber auch zu allem, was für das Glaubensleben nötig ist (vgl.Eph 4,16).

Vers 20:nach meiner sehnlichen Erwartung und Hoffnung, dass ich in nichts werde zuschanden werden, sondern mit aller Freimütigkeit, wie allezeit, so auch jetzt Christus erhoben werden wird an meinem Leib, sei es durch Leben oder durch Tod.

Paulus trug eine sehnliche Erwartung und Hoffnung in sich. Während „Hoffnung“ ein sehr häufiger Begriff im Neuen Testament ist, kommt die hier genannte „sehnliche Erwartung“ (griech.apokaradokia) nur noch in Römer 8,19 vor. Das Wort bedeutet ursprünglich „Erwartung mit vorgestrecktem [o.: aufgerichtetem] Kopf“. In solch einer intensiven inneren Haltung erwartete und hoffte Paulus, dass er in nichts beschämt werden würde, sondern in jeder Hinsicht Freimütigkeit empfangen würde, damit Christus auch weiterhin durch ihn groß gemacht und verherrlicht würde (vgl.Lk 1,47). Dass er auch hier nicht an die Gewissheit seines Heils denkt, braucht wohl kaum erwähnt zu werden. Er spricht von seinem Aufenthalt im Gefängnis in Rom. Aber er dachte nicht nur an sein Leben, sondern auch an den Tod, den er praktisch vor Augen hatte. Wenn er vor dem Kaiser erscheinen musste, konnte das für ihn den Tod bedeuten. Menschlich gesehen, war seine Zukunft sehr unsicher. Er spielt auf diese Tatsache mehrmals in diesem Brief an (Kap.1,22.30; 2,17; 3,10). Die Hoffnung auf eine Freilassung war gering (s.V.25). So standen die beiden Alternativen Leben und Tod vor seinem inneren Auge.

Wenn ihm das Leben geschenkt würde, könnte er möglicherweise weiterhin das Evangelium verkündigen und den Versammlungen nützlich sein. Sollte er jedoch sterben, dann konnte er auch im Märtyrertod für seinen Herrn ein Zeugnis ablegen. In jedem Fall war es sein Wunsch, dass Christus an seinem Leib erhoben würde, sei es nun durch Leben oder Tod.

Christus das Leben – das Sterben Gewinn(V.21–26)

Vers 21:Denn das Leben ist für mich Christus, und das Sterben Gewinn.

Dieser gewichtige Vers enthält die Erklärung für das Vorhergehende. Im Originaltext stehen die Worte „für mich“ am Anfang des Satzes. Ob Paulus damit einen Unterschied zu anderen Gläubigen andeuten will? Wir wissen es nicht. Für ihn jedenfalls war Christus der Lebensinhalt und demzufolge das Sterben Gewinn.

„Das Leben ist für mich Christus“ ist durchaus nicht dasselbe wie die Worte in Kolosser 3,4: „Christus unser Leben“, oder in Galater 2,20: „Christus lebt in mir.“ In diesen beiden Versen werden Tatsachen genannt, die für jeden wahren Christen gültig sind. Für jeden von neuem Geborenen gilt, dass Christus sein Leben geworden ist und geistlich in ihm lebt.

Etwas ganz anderes ist es jedoch, wie Paulus sagen zu können: „Das Leben ist für mich Christus.“ Für ihn war Christus der Inhalt seines Lebens auf der Erde. Wir gehen wohl nicht zu weit, wenn wir sagen, dass Paulus darin alle Übrigen überragt. Seit ihm der verherrlichte Christus auf der Straße nach Damaskus begegnet war, hatte sich sein Leben radikal geändert. Alles, was ihm vorher wichtig gewesen war, erschien jetzt in einem neuen Licht und musste völlig verblassen vor der Herrlichkeit, der Gnade und Liebe seines Herrn. Deshalb hatte er um Seinetwillen alles eingebüßt und achtete es nun für Dreck (Kap.3,8). Er wollte nur noch eins: Christus folgen, Ihm dienen und Ihn erwarten. Das war sein neuer Lebensinhalt geworden. Und es ist wahrlich der einzige würdige Lebensinhalt, in Ihm die Quelle aller Freude zu finden, die zu einer freudigen Nachfolge und einem hingebungsvollen Dienst führt.

Ist Paulus nicht auch hierin ein Vorbild für uns? Er sagt ja selbst mehr als einmal: „Seid meine Nachahmer“ (Kap.3,17; vgl.1. Kor 4,16; 11,1). Lasst uns nicht entgegnen: Paulus steht zu weit über uns; ihn nachzuahmen ist unmöglich! Denn wenn er in 1. Thessalonicher 1,6 in dem Ausdruck „unsere Nachahmer“ auch seine Mitarbeiter einschließt, sehen wir, dass er doch nicht so ganz allein in seinem vorbildlichen Leben für seinen geliebten Herrn dastand. Möchten diese Worte auch uns dazu ermuntern, Christus mehr und mehr zum Inhalt unseres Lebens zu machen! Es ist der Mühe wert.

Wenn Christus für Paulus der Lebensinhalt war, dann war es nur folgerichtig, zu sagen: „und das Sterben Gewinn“. Solange er auf der Erde lebte, besaß er alles nur im Glauben und damit in einem gewissen Abstand. Aber in der Gegenwart des Herrn würde der Glaube nicht mehr nötig sein. Bei Ihm zu sein ist daher etwas Besseres, als an Ihn zu glauben. Um dorthin zu gelangen, gibt es nur zwei Möglichkeiten: entweder Sein Kommen zur Entrückung oder das Sterben. Dass Paulus hier nur die zweite Möglichkeit erwähnt, zeigt seine Bereitschaft, für seinen Herrn auch den Tod auf sich zu nehmen.9 In einem späteren Kapitel nennt er beide Möglichkeiten: den Tod und das Kommen des Herrn (Kap.3,10.20).

Paulus bringt durch die Worte „und das Sterben Gewinn“ auch den Unterschied zwischen den Gläubigen und den Ungläubigen – und vielleicht manchen anderen Gläubigen – zum Ausdruck. Für den Ungläubigen ist der Tod der größte Verlust, denn dann sind alle seine Bestrebungen und Tätigkeiten auf der Erde mit einem Schlag beendet. Nicht bewusst ist er sich allerdings der ernsten Tatsachen, dass es dann kein Entrinnen vor dem ewigen Gericht mehr gibt und dass er blindlings „ins Geschoss rennt“ (Heb 9,27; Hiob 36,12