Freunde machen gesund - Ulrike Scheuermann - E-Book

Freunde machen gesund E-Book

Ulrike Scheuermann

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Beschreibung

Sozialkontakte sind DER Schlüssel zum gesunden langen Leben! Ulrike Scheuermann zeigt mithilfe der wichtigsten wissenschaftlichen Studien zu dem Thema: Zwischenmenschliche Beziehungen sind gesünder als frisches Gemüse. Nicht etwa der Sport, nicht das Bio-Gemüse oder das Nichtrauchen halten uns Menschen an erster Stelle langfristig gesund. Die Qualität unseres Soziallebens mit stabilen, unterstützenden Beziehungen und das Eingebundensein in eine Gemeinschaft entscheidet darüber, wie lange wir gesund und glücklich leben werden. Einsamkeit dagegen macht psychisch und körperlich krank. Sie möchten ein starkes Immunsystem? Gesund alt werden? Pflegen Sie Ihre Sozialkontakte. Sie wollen einen fitten Geist? Ein zufriedenes Leben ohne Stress? Vertiefen Sie Ihre Freundschaften und kümmern Sie sich um Ihre Eltern und Großeltern. In ihrem neuen Buch argumentiert die gefragte Psychologin für tiefgehende, substanzielle und innige Beziehungen. Sie erklärt zum einen, warum sie so essenziell für unser gesundes Leben sind. Dies beschreibt sie für die verschiedenen Beziehungsarten wie Freundschaft, Partnerschaft, Eltern-Kind, Familie, Arbeitsbeziehungen und private Gruppenzusammenhänge. Dabei bezieht sie die Bindungsforschung und die kulturellen und gesellschaftlichen Einflüsse mit ein. Zum anderen zeigt sie, wie wir Beziehungen vertiefen, unsichere Bindungen festigen und Beziehungsvermeidung beenden. Außerdem bietet sie ein praktisches Programm, mit dem man mit 5 Beziehungsprinzipien die eigenen Beziehungen auf eine neue gesunde Ebene heben kann: die Ebene der Verbundenheit, der gegenseitigen Hilfe und der Zusammengehörigkeit. Die Kernbotschaft: In guten sozialen Beziehungen liegt der wichtigste Schlüssel zum gesunden, zufriedenen und stressfreien Leben.

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Seitenzahl: 356

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Ulrike Scheuermann

Freunde machen gesund

Die Nummer 1 für ein langes Leben: deine Sozialkontakte

Knaur eBooks

Über dieses Buch

Gute sozialen Beziehungen sind DER Schlüssel zum gesunden langen Leben Anhand aktueller Studien belegt die Psychologin, was noch viel zu wenig bekannt ist: Gesunde Ernährung, Nichtrauchen oder Sport haben nicht den größten Einfluss auf unsere Gesundheit! Stattdessen stehen an erster Stelle für ein langes Leben unsere Sozialkontakte. Sichere, stabile Beziehungen und die Integration in eine Gemeinschaft sorgen für psychisches und körperliches Wohlbefinden. Scheuermanns Fazit: Es ist wichtiger als alles andere, gute Beziehungen zu pflegen, denn »Freunde machen gesund«.

Inhaltsübersicht

Widmung

Alles ist Beziehung

Fast mittendrin: Der Geschmack von Gemeinschaft

Der Kern unseres Menschseins

Weltweiter Kontaktmangel

Gemeinsam geht es uns automatisch besser

Was in diesem Buch vorkommt

Es gibt nicht DIE Lösung

EIN LANGES JUNGES LEBEN

Frühling, im Jahr 2017. [...]

80 Jahre gutes Leben

Gesünder als frisches Gemüse

Die Kraft der Metastudien

»Sozial« macht gesünder als alles andere

Sozialkontakte zahlen auf alles ein

Warum machen Sozialkontakte so gesund?

Unser blinder Fleck

Gesund und glücklich

Mehr als ein Gesundheitsfimmel

Gesundheit macht am glücklichsten

Auch Sozialkontakte machen zufrieden

EINSAM

Das Paradox der Einsamkeit

Die drei Einsamkeiten

Der soziale Schmerz

Der Sinn des Einsamkeitsgefühls

Einsamkeit stresst Körper und Geist

Depression, das Volksleiden der Moderne

Die Einsamkeitsspirale

Möglichst früh abspringen

Der fragmentierte Schlaf

Die nächtliche Emotionstherapie

Der Blick aufs soziale Ganze

Höherer Status, mehr Kontakte

Die Deutschen sind nicht so einsam

Unser soziales Kapital

Die Kraft aus der Stille

Wie wir Erholung und Inspiration finden

Warum wir das Alleinsein brauchen

Das soziale Gehirn

Unser soziales Denken, fast ständig aktiv

Unser Riesengehirn

Der Kontakt zu sich selbst und anderen

GEMEINSAM

Die Beziehungskreise, Orientierung im Netz

Von 1,5 bis 150 – jeder Kreis zählt

Bloß kein schlechtes Gewissen

Ein Freund pro Tag

Bewegliche Beziehungen – es herrscht ein Kommen und Gehen

Freundschaft, in allen Beziehungen

Die Kostbarkeit der Freundschaft

Fünf Freunde für ein gutes Leben

Ein oder zwei – der entscheidende Unterschied

Die Beziehung zum Tier

Überall Freunde, selbst auf der Straße

Gemeinschaft verbindet

Virtuell in Kontakt

Der soziale Wandel, in vollem Gange

Soziale Trends in neue Richtungen

Verwandtschaft und Freundschaft

Jung bleiben beim Altwerden

Bohnenstangen und Patchwork: Familienstrukturen verändern sich

Paarbeziehungen, in Bewegung

Paare sind nicht dauerhaft zufriedener

Die Grenzen verschwimmen

Eine neue Definition von Exklusivität

Single auf Dauer

Wohnen, anders als gewohnt

Der Trend zum Alleinwohnen

Wohngemeinschaft light

EINS

Soziale Heilung durch gesunde Beziehungen

Die Beziehung wirkt

Die Möglichkeiten erweitern

Die 6 Beziehungsprinzipien

Beziehungsprinzip 1: Hilfe – helfen hilft

Hilfe macht gesund

Helfen hilft allen

Gegenseitige Hilfe stärkt die Beziehung

Je näher, desto hilfreicher

Informationen im großen Kreis

Welche Hilfe passt

Dankbarkeit, die Alleskönnerin

Beziehungsprinzip 2: Empathie – mitfühlend antworten

Wie Empathie hilft und heilt

Empathie hilft nicht immer

Vorsicht, ansteckend

Empathie ausdehnen

Beziehungsprinzip 3: Intensität – rein in die Emotionen

Nervenzellenwachstum – je intensiver, desto mehr

Intensiver fühlen, besser erinnern

Intensität – heute statt gestern

Wenn’s zu viel wird – Emotionen regulieren

Schenken ist eine gute Sache, meistens

Beziehungsprinzip 4: Lernen – sich miteinander entwickeln

Sich weiterentwickeln

Der Spiegel zur Selbsterkenntnis

Lernen ist wie Atmen

Öffnungsbereit werden

Den Selbstwert stärken

Beziehungsprinzip 5: Entspannte Zeit

Gemeinsam ist der Normalzustand

Soziale Zeit – wie oft und wie lange?

Das Internet klaut Zeit

Gemeinsam essen verbindet

Tratschen erlaubt – der soziale Kitt

Das Gemeinsamsein genießen

Zusammen jung bleiben – die Uhr zurückdrehen

Beziehungsprinzip 6: Nähe – all das Zwischenkörperliche

Berührungen unter Freunden und Fremden

Wer berührt wo?

Das Streicheln der Haut

Berührungsmangel lässt sich abmildern

Physische Nähe schlägt digitalen Kontakt

Was kann digitaler Kontakt überhaupt?

In guter Gesellschaft

Ein neuer Fokus aufs Gemeinwohl

Die Übungen

Lernen per Buch, mit Schreibdenken

Die Basistechniken: Schreibsprints und Denkskizzen

Der Kontakt – Kontakte gestalten

Wie bin ich – introvertiert oder extravertiert?

Die Einsamkeitsspirale – kennen und abspringen

Das Alleinsein – den leeren Raum gestalten

Das Beziehungsnetz – abbilden

Das Wohnen – gestalten

Wem ich helfe – wer mir hilft

Wie lebe ich Empathie?

Die Emotionen – intensivieren

Die Emotionen – beruhigen

Das Lernen – von anderen

Die entspannte Zeit – gemeinsam genießen

Die soziale Zeit – einschätzen

Die Nähe – fühlen

Das Ganze lohnt sich

Dank

Literaturverzeichnis

Für meine Freundinnen und Freunde

PROLOG

Alles ist Beziehung

Wir schlafen in Sechserzimmern in einem alten Fachwerkhaus in der Lüneburger Heide. Auf dem Weg zu den Toiletten hört man vom anderen Etagenende die Stimmen der Jungs. Die meisten Mädchen tragen schon BHs und sind größer als ich. Tagsüber trainieren wir. Aufschläge, Schmettern, Pritschen, Blocken. Ich bin keine Leuchte im Volleyball, aber grundsätzlich kann ich spielen. Was für mich aber hier vor allem zählt: Ich bin mit dabei.

Ich, das ist eine 14-jährige schüchterne, unsichere Spätentwicklerin, die ihre Tage noch nicht hat und gerade auf die Idee gekommen ist, dass ihre Frisur mit dem geraden Pony nicht so ganz up to date ist. Ich bin mit anderen Dingen beschäftigt als die anderen Mädchen meines Alters: Wie schlage ich den Hemdkragen so hoch, dass er die aufgekratzte Haut am Nacken verbirgt, wenn ich die Blicke von anderen hinter mir spüre? Wie halte ich zumindest mein Gesicht und die Hände einigermaßen ekzemfrei? Meine Kortisonsalben habe ich für diesen Zweck immer dabei. Vor dem Einschlafen ziehe ich unter der Bettdecke meine Gipsröhren über die Arme, um mich am Kratzen zu hindern und morgens einigermaßen unversehrt aufzuwachen.

Nach 3 Tagen regnet es immer noch. Niemanden stört das, denn wir sitzen ohnehin immer zusammen im Aufenthaltsraum. Es gibt eine Musikanlage mit 2 riesigen Boxen. Samira und Jan sind unsere DJs und wir diskutieren darüber, welche Songs wie oft gespielt und was wir abends hören werden. Die anderen sitzen in Sofaecken über Karten- oder Brettspielen. Nach dem Abendessen machen wir uns schick. Anja hat ein professionell aussehendes Schminktäschchen mit integriertem Spiegel und trägt nacheinander Lidstrich und verschiedene Lidschatten aus einer Palette auf.

Ich gebe mir einen Ruck. »Könnte ich vielleicht deinen Kajalstift benutzen?«

Sie reicht ihn mir und mustert mein Gesicht. Ich schäme mich. Aber sie sagt nur: »Hier, nimm auch noch Mascara. Sieht bestimmt gut aus bei dir.«

»Ah, danke.«

Sie dreht mich so zur Lampe, dass Licht auf mein Gesicht fällt.

»Ach komm, ich mach mal was.« Ein bauschiger Rougepinsel streicht über meine Wangen, und ich muss die Augenlider halb offen halten, damit sie meine Wimpern tuschen kann.

»Und jetzt die Lippen.«

Es scheint ihr Spaß zu machen. Das Lipgloss hat Erdbeeraroma. Danach gucken wir zusammen in den Spiegel. Ich sehe ausdrucksvoller aus und meine Lippen glänzen. Ich muss lachen.

»Ist das nicht zu doll?«

»Nein, du siehst super aus mit deinen schönen großen Augen.«

»Ja, und du hast ein tolles Lachen«, sagt Bettina, die hinter uns im Spiegel auftaucht.

»Danke.«

Ich könnte die Welt umarmen. Ich soll super aussehen? Normalerweise bin ich schon froh, wenn man meine kaputte Haut nicht bemerkt. Doch an diesem Abend taue ich auf und tanze sogar zu den angesagten Songs, bei denen alle auf den Beinen sind. Meine Bewegungen kommen mir hölzern vor, aber ich tanze. Dann fallen wir über Erdnussflips und Apfelsaftschorle her, auf einer Sportreise gibt es kein Bier. Micha macht ständig Witze, über andere, aber vor allem über sich selbst. Wir krümmen uns vor Lachen. Zurück auf den Zimmern geht es um die lässigsten Jungs, wer welchen gut findet, dass Merle und Jan vielleicht zusammenkommen, und alle lachen, als ich Marie mit ihrem lasziven Blick nachahme. Ich bin dabei, fast mittendrin. Bin glücklich.

Als wir am Samstagabend wieder in Berlin ankommen, sehe ich aus dem Busfenster auf die Traube von Elternköpfen herunter, die auf ihre Kinder warten. Auch mein Vater ist da. Gleich werden wir zu Hause sein. Ich spüre ein Ziehen in meiner Brust. Es wird anders sein.

Am Abend erzähle ich begeistert von der Reise, und meine Eltern und meine Schwester hören den Geschichten von Jugendlichen zu, die sie nicht kennen. In der Nacht werde ich trübsinnig und weine. Ich weiß nicht, warum.

Fast mittendrin: Der Geschmack von Gemeinschaft

Heute weiß ich, warum ich damals nach der Reise in ein Loch gefallen bin. Die Volleyballfahrt hatte mich aufgewühlt und mir einen Geschmack von Gemeinschaft vermittelt, den ich mir für mein weiteres Leben wünschte. Bis dahin bestand meine Welt neben der Schule aus gleichmäßig verlaufenden Tagen mit Eltern und Schwester, Flötenunterricht und Draußensein. Nur selten kamen Gäste zu Besuch. Nach der Schule sagte ich zu meiner Mutter: »Alles so viel!«, Carola und ich verzogen uns in unsere Zimmer und lasen Bücher. Carola schrieb Geschichten über Pferde und Hunde. Ich sägte Sperrholz, schnitzte Figuren, experimentierte mit Ton, Emaille und Speckstein und sammelte abends die UHU-Klebstoffreste von den Fingern. Das Werkbuch für Mädchen, ein 400-seitiges Grundlagenwerk für den Werk- und Kunstunterricht, war die Bibel meiner Kindheit. Draußen kannten wir jeden Baum, der sich zum Klettern eignete. Wir liehen uns Hunde von den Nachbarn aus und streiften stundenlang über den Teufelsberg und durch den Berliner Grunewald. Abends blieb der Fernseher aus, denn wir hatten keinen. Vor dem Schlafengehen deckte ich den Käfig meines Wellensittichs Seppel mit einer Decke ab. Manchmal zwitscherte er noch eine Weile weiter.

Jahrzehnte später, um einen eigenen Entwicklungsweg, viel Berufserfahrung und umfassendes psychologisches Wissen reicher, weiß ich: So still, unsicher und vielleicht merkwürdig ich als Jugendliche auf die anderen gewirkt haben mag – bei der Volleyballfahrt konnte ich mich mit ihnen verbunden fühlen, weil ich merkte, dass alle willkommen waren. Niemand lästerte über andere. Es herrschte eine fröhliche, liebevolle Stimmung.

Als Psychologin habe ich mich intensiv mit Beziehungsgestaltung von Einzelnen und Gruppen beschäftigt – und andere bei dieser Entwicklung begleitet. Ich bin heute fast immer locker und mit großer Freude mit anderen Menschen im Kontakt. Ich bin lustig geworden und lache unglaublich gerne mit. Begegnungen erfüllen mich mit tiefer Freude, Dankbarkeit, sogar Ehrfurcht, und abends schreibe ich oft auf meinen eigenen Rat hin Tagebuch über das, was ich mit anderen Menschen erlebt habe.

Heute kann ich sagen: Wir können immer zumindest innerlich verbunden mit anderen sein. Wir können in Gemeinschaft sein, ohne besonders oder wichtig tun zu müssen, ohne Selbstzweifel und Scham – in der Form, die uns entspricht.

Ich will Ihnen keine Heldengeschichte von mir erzählen à la »Früher war alles schlimm, heute supergut – Sie können es also auch schaffen«. In dieser Weise von meinem Einzelfall auf andere zu schließen, wäre unredlich. In der Wissenschaft ist solch ein Fehlschluss ein klares No-Go. Ich kann jedoch guten Gewissens auf Grundlage der aktuellen Forschungslage sagen, dass ein »Überlernen« bisheriger Denk-, Fühl- und Verhaltensweisen in viel größerem Ausmaß möglich ist, als man bis vor ein paar Jahrzehnten noch dachte. Gehirnstrukturen verändern sich bis zum letzten Lebenstag. Deshalb finden Sie in diesem Buch wissenschaftlich fundierte Erkenntnisse darüber, wie Menschen gut zusammenleben können. Erkenntnisse, die Sie für sich probieren können. Was auch immer Sie auswählen, es wird Sie verändern. Nehmen Sie einfach, was für Sie passt. Es gibt nie nur den einen richtigen Weg.

Ich habe nicht vergessen, wie es ist, wenn man sich draußen fühlt. Wohl alle kennen solche Erfahrungen. Sie sind äußerst schmerzhaft. Trotzdem ist es wichtig, dass wir uns ab und zu an sie erinnern. Dann werden wir andere dazuholen, weil wir um ihren Schmerz wissen. Dieses Reinholen von einsamen und isolierten Menschen gehört zu einer sozialen Gemeinschaft dazu. Verbundenheit können wir von beiden Seiten fördern, das ist enorm wichtig.

Und so fasste ich den Entschluss, der seit Jahren in mir gereift war: Ich muss mein nächstes Buch darüber schreiben. Ein grundlegendes Buch darüber, wie wir gut verbunden sein können. Geborgen und aufgehoben in vielfältigen und unterschiedlichen Beziehungen und in einer Gemeinschaft. Für den einen sind das 3 engste Vertraute, mit denen man sich fast täglich austauscht. Für eine andere sind es 70 berufliche und private Kontakte am Tag, bei denen es hoch hergeht.

Wenn wir gut verbunden sind, blühen wir auf, es fördert unsere Gesundheit und unser Glück. Warum das so ist und wie es funktioniert, darum geht es in diesem Buch. Unsere Sozialkontakte gehören auf die Nummer 1 unserer Prioritätenliste für ein langes, gesundes, glückliches Leben. Kümmern wir uns darum!

Der Kern unseres Menschseins

Was ich im Laufe der Recherche und inneren Auseinandersetzungen zu und mit Beziehungen entdecke, ist fast überwältigend. Allein schon die wissenschaftlichen Erkenntnisse überraschen mich immer neu, obwohl ich ständig über soziale Beziehungen lese. Je tiefer ich in das Thema einsteige und mehr davon verstehe, wie alles zusammenhängt, desto deutlicher wird mir, was wir alles noch nicht wissen, selbst wenn wir Beziehungen vielleicht nie abschließend ergründen werden. Nicht durch Erfahrung, denn es treten immer neue Menschen in unser Leben und mit jedem, jeder ist es anders. Nicht durch Menschenkenntnis – jemand wirkte doch so zuverlässig, aber nun entfernt er sich wieder, und man versteht nicht, warum. Nicht durch die beste Forschung – es kommen ständig neue Erkenntnisse hinzu. Das heißt, wir sollten uns lebenslang damit beschäftigen, denn alles in unserem Leben ist Beziehung.

Unser Gehirn ist nur deshalb so riesig im Verhältnis zu unserem vergleichsweise kleinen Körper, weil wir den Löwenanteil davon für unsere hochkomplexen Beziehungsfähigkeiten brauchen.1 Dieses Gehirn nutzt sogar alle Zeiten des Alleinseins, um an andere Menschen zu denken, es denkt ständig sozial.2 Doch nicht nur am und im Gehirn sieht man, dass Beziehungen den Kern unseres Menschseins ausmachen. Man sieht es auch an den Auswirkungen unserer Sozialkontakte: Sie machen uns glücklich, jung und gesund. Und das sind gut erforschte und verlässliche wissenschaftliche Erkenntnisse.

Weltweiter Kontaktmangel

»Wir haben keine guten Zeiten, aber dafür sind unsere Mitmenschen gut dabei«, textet mitten im zweiten Lockdown im Januar 2021 eine polnische Kollegin von mir per WhatsApp. Ich finde, das ist ein passendes Fazit der Corona-Jahre 2020 und 2021. Überall auf der Welt haben Menschen, vielleicht zum ersten Mal, sogar physisch gespürt, was es bedeutet, im Kontaktmangel leben zu müssen. Enkelkinder wurden ihren Großeltern entwöhnt, Künstlerinnen, Hoteliers, Veranstalterinnen arbeitslos, beste Freunde waren unerreichbar. Unfreiwillig mit sich allein zu bleiben, das war nicht länger der Schmerz der 7 Prozent der einsamen Menschen, die das schon kannten, sondern ein Mangel, der uns alle betraf – ob jung oder alt, lustig oder ernst, schüchtern oder draufgängerisch.

Doch im Dunkeln sieht man die Sterne. Corona hat uns in der Erschütterung unserer menschlichen Verbindungen auch ihre Kostbarkeit deutlich gemacht. Im schönen, hellen Frühling 2020 dachten die meisten: »Na, dann telefonieren oder zoomen wir halt ’ne Weile.« Mit dem zweiten und dritten Lockdown wurde die Zeit aber sehr lang. Und kalt. Ein Nebel der Entfremdung sickerte durch die Kontakte. Freunde seit anderthalb Jahren nicht mehr umarmt. Die Hand der Mutter nicht gehalten, uns beim Vater nicht mehr eingehakt. Wie auch? Es gab kein Schulterklopfen, keinen Handschlag, kein Umarmen bei der Begrüßung. Dabei sind all diese Berührungen schon Gold wert für unsere Gesundheit.

Wir können körperliche Nähe eine Weile durch Sicht- und Augenkontakt oder digitalen Kontakt überbrücken. Nur aus der Ferne winken, freundlich gucken, lachen, sich etwas zurufen: Das geht. Doch wir können nicht ewig von einer Umarmung aus dem letzten Jahr zehren. Wir brauchen die originale Erfahrung. Berührungen sind eine Basis unseres Menschseins.

Wir sollten jetzt aus den Corona-Erfahrungen so viel wie möglich darüber lernen, wie wir unsere Beziehungen gestalten können. Anders. Inniger. Tiefgehender. Anstatt einfach zum business as usual zurückzukehren, froh, dass die schwierige Zeit überstanden ist. So können wir auch die Bitterkeit über diese Zeit abstreifen und uns sagen: Es war nicht alles umsonst.

Gemeinsam geht es uns automatisch besser

Wenn ich erzähle, dass ich ein Buch über Beziehungen schreibe, denken viele an Paarbeziehungen. Klar: Der Ratgeber-Buchmarkt und die Forschungsliteratur sind voll von allem rund um die Paarbeziehung. Wie man den Märchenprinzen oder die Traumfrau findet, Paarkonflikte durchsteht, die Leidenschaft erhält, zusammen bleibt trotz Verliebtheit in jemand anderen. Eifersucht, enttäuschte Erwartungen, Trennung. In der partnerschaftlichen Beziehung projizieren viele ihre Wünsche auf die eine Person. Womit diese Beziehung auf Dauer meist überfordert ist und irgendwann beendet. Wir kennen die Zahlen: Rund 36 Prozent der Ehen in Deutschland werden geschieden. Wie oft sich Paare trennen, die nicht verheiratet waren, ist nicht erfasst.3 Aber allein auf 3 Eheschließungen kommt also etwa eine Scheidung.

Deshalb ist es sinnvoll, bei Beziehung an mehr zu denken als an die Paarbeziehung. Stellen Sie es sich wie ein dichtes Beziehungsnetz vor, denn für Zufriedenheit und Gesundheit sind unsere vielfältigen Sozialkontakte ausschlaggebend. Das geht bei der intensiven Beschäftigung mit »Partnerschaft« leicht verloren. Dann laufen unsere Sozialkontakte oft eher als beiläufige Themen mit, insbesondere, wenn wir einen festen Partner, eine Partnerin haben. Freunde treffen? In Ruhe telefonieren? Ach, grad so viel zu tun. Man sieht sich alle paar Monate mal, oder ist es sogar schon ein Jahr her?

Ein stabiles soziales Netz aber hilft Ihnen sogar, sich vom alltäglichen Stress zu erholen. Wer kommt schon darauf, dass die Überlastung, die man gerade erlebt, an zu wenig Kontakt liegen könnte? Wir sind andauernd angestrengt und schieben es auf die Arbeit. Wir sind depressiv und ängstlich und denken, es ist das aktuelle Problem. Wir haben Schlafstörungen und vermuten die Sorgen als Ursache dahinter. Dabei – so wissen wir heute – sind unsere Sozialkontakte der Schlüssel zu einem guten Leben. Ein dichtes und tragfähiges Beziehungsnetz ist das Mittel gegen Stress, Depression, Angst und Schlafprobleme. Es ist der Geheimtipp für ein starkes Immunsystem. Der Weg zu Glück und Erfolg. Je nachdem, wie man Erfolg definiert.

Im Wertesystem unserer Leistungsgesellschaft ist Erfolg häufig gleichbedeutend mit beruflicher Karriere, herausragenden Leistungen, viel Geld, hohem Status, Berühmtheit, eigenem Haus. »Alles außer gewöhnlich« ist vielfach die wichtige Botschaft. Wer erzählt voller Inbrunst bei einem Small Talk: »Ich habe 5 wunderbare Freunde«? Dabei sollten wir genau das sagen. Denn wir sind, was wir im Kontakt mit anderen Menschen sind. »Freunde« ist dabei ein Schlüsselwort. Es steht in diesem Buch übrigens für jedes Geschlecht, auch jenseits des binären Verständnisses von Mann und Frau. Ich habe versucht, die Vielfalt der Geschlechter sprachlich abzubilden, aber an einigen Stellen gelingt es mir nicht ganz. Auch unsere Beziehungen sind mitunter nicht eindeutig, dazu passt das, und Sie wissen ja nun, dass ich immer alle meine.

 

Freunde. Das sind alle jene, denen wir uns verbunden fühlen, in Familie und Verwandtschaft, Nachbarschaft, unterschiedlichen Gemeinschaften, bei der Arbeit, in der Paarbeziehung und in Freundschaften. Freundschaftliches schwingt in allen Beziehungsformen mit: Auch die Partnerin kann eine Freundin sein. Auch der Partner kann ein Freund sein, mit dem man als verschworenes Team auf Reisen Abenteuer erlebt und der uns zur Seite steht. Oft ist auch mit Kindern Freundschaft möglich. Freunde sind unsere engsten Vertrauten, die wir häufig sehen oder einmal im Jahr treffen. Auch die Kolleginnen im Team, die wir uns nicht aussuchen, können Freunde werden. Die Aktionsgruppe im Ehrenamt, die anderen Trainierenden. Alle sind »Freunde«.

Sie bilden das Netz, in das eingewoben wir durch unser Leben gehen. Es ist lebendig und verändert sich. Es gibt uns Impulse und Lernaufgaben, sodass wir uns entwickeln können und durch Erfahrungen klüger und reifer werden. Es hält uns mehr als alles andere gesund und fit. Geistig, emotional, körperlich. In diesem Netz findet all das statt, wodurch wir uns entfalten: Liebe und Emotionalität, Nähe, Berührungen, Wärme, Geborgenheit. Sicherheit, Ruhe, Beruhigung, Empathie, Entspannung im Zusammensein. Gegenseitige Unterstützung, Hilfe. Lernen, wachsen, sich entwickeln.

Wir brauchen keine Anti-Aging-Supermedizin. Je weniger wir danach suchen, desto mehr Zeit haben wir für das, was uns wirklich jung und gesund hält. Allein dadurch, dass Sie Beziehungen wichtiger nehmen, ein Buch wie dieses lesen, anders in die Gesichter um sich gucken, ruckelt sich schon vieles neu zurecht. Die Hirnforschung hat es gründlich untersucht: Wenn wir in Gemeinschaft mit anderen sind, geht es uns automatisch besser.

In der Wissenschaft sind Ihre Sozialkontakte längst auf Platz Nummer 1. Jetzt sind Sie dran. Für Ihre Gesundheit, für Ihr Glück und für ein langes Leben.

Was in diesem Buch vorkommt

Zunächst stelle ich Ihnen hier vor, was die Wissenschaft über »Ein langes junges Leben« im Zusammenhang mit Sozialkontakten weiß und warum und wie unsere Sozialkontakte gesund machen.

Im zweiten Teil »Einsam« vermittle ich Ihnen Erkenntnisse aus der Einsamkeitsforschung über die verheerenden Folgen gefühlter Einsamkeit und sozialer Isolation, damit Sie die Anzeichen bei sich und anderen erkennen und rechtzeitig aus der Einsamkeitsspirale herauskommen können. Sie müssen nicht in Einsamkeitstrübsal verfallen. Es gibt auch ein gutes Alleinsein, und das kann eine wunderbare Quelle für Inspiration, Erholung und Selbstfindung sein.

Im dritten Teil »Gemeinsam« finden Sie viele Ideen, neue Trends und hoffentlich verlockende Angebote auf Basis wissenschaftlicher Studien, die Ihnen dabei helfen, Ihr Beziehungsnetz dichter zu weben und sich so in Ihren Beziehungskreisen zu bewegen, wie es Ihnen entspricht.

Im vierten Teil »Eins« lernen Sie wissenschaftlich fundierte Wege zu mehr Verbundenheit kennen. Dabei helfen Ihnen 6 Beziehungsprinzipien, die nachweislich Beziehungen verbessern und vertiefen.

Danach finden Sie noch Übungen zum Ausatmen, die ich so nenne, weil sie Ihnen helfen, das, was Sie beim Lesen im übertragenen Sinne eingeatmet haben und für sich passend finden, auszuatmen, indem Sie es in Ihr Denken integrieren und in Ihrem Alltag umsetzen. Denn erst durch Ein- und Ausatmen wird ein Lernprozess vollständig.

Es gibt nicht DIE Lösung

Früher fühlte ich mich bei meinen Büchern in einem Dilemma: Einerseits will ich Sachbücher schreiben. Denn wenn ich ein richtig gutes Sachbuch lese, das mir neue Erkenntnisse aus Wissenschaft und Praxis vermittelt, bin ich aufgerüttelt und manchmal über Monate, sogar Jahre, tief beeindruckt. Ich begeistere mich für die neuen Gedanken, wende sie an, beobachte mein Leben anders und gehe im Selbsterforschungsmodus durch meinen Alltag. Mann und Sohn, Freundinnen und Freunden, Familie erzähle ich die »Best of«-Ausschnitte, und manchmal schwappt die Begeisterung über in mein eigenes Leben. Solche Bücher will ich schreiben.

Andererseits will ich auch Bücher verfassen, die Ihnen helfen, neue Erkenntnisse in Ihr Leben zu integrieren und von den Auswirkungen zu profitieren. Mein wissenschaftliches Herz sagt: »Nimm das Wissen, das ich hier vermittle, und mach selbst etwas draus.« Als Psychologin denke ich: »Es wäre schon hilfreich, konkrete Hinweise für Entwicklung zu geben«, aber gleichzeitig auch: »Du glaubst doch selbst keinen Ratgebern, die mit ihren 5 oder 12 Schritten den garantierten Erfolg versprechen«. Denn jeder Mensch und seine Lebensbedingungen sind einzigartig.

Heute denke ich, dieses Dilemma gelöst zu haben, indem ich als wissenschaftsorientierte Psychologin aus der Wissenschaft berichte und Ihnen als praktisch tätige Psychologin Wege vorschlage, nicht aber vermeintlich allgemeingültige Ratschläge für die Umsetzung gebe. Sie wollen gesünder und glücklicher lange leben. Dafür sollten Sie Ihre Beziehungen besser gestalten. Es ist nur menschlich, dass wir uns die eine, klare Lösung dafür erhoffen. Vielleicht sogar eine »Wenn-dann-Anleitung« mit Tipps, etwa: Wenn du deinem Partner mehr Freiraum lässt, wird er bei dir bleiben. Oder: Erst, wenn du dich selbst liebst, kannst du andere lieben. Das kennen Sie wohl schon, und es mag verlockend klingen. Doch weder das Leben allgemein noch Ihre persönliche Entwicklung funktionieren so einfach. Es gibt nicht den einen Schlüssel zur Lösung aller Probleme. Dafür sind wir zu einzigartig, ist unser Inneres zu vielschichtig, sind unser Umfeld und das Leben zu bunt.

Folgen Sie mit mehr Wissen und meiner Erfahrung als Psychologin, die ich Ihnen vermittle, Ihrem eigenen inneren Kompass: Sie wissen und fühlen dann am besten, was für Sie geht, wohin Sie wollen.

Viele Selbstheilungslehren, die darauf abzielen, psychische Probleme loszuwerden, machen meiner Ansicht nach falsche Hoffnungen, man könne alle seine Probleme mit dieser oder jener Methode und kraft eigener Gedanken, Techniken oder Haltungen allein beheben. Doch eine Methode welcher Art auch immer muss genau zu Ihrem Problem, zu Ihrer Situation, zu den Ursachen und eben Ihnen passen.

Eine Bekannte von mir wandte einnmal voller Euphorie eine Erfolg versprechende Methode gegen Angst an, die sie in einem Buch gefunden hatte. Als das bei ihr nicht funktionierte, warf sie sich ihre mangelnde Disziplin bei der Anwendung vor und fühlte sich noch schlechter als vorher. »Bei den anderen funktioniert es doch. Was mache ich falsch?« Sie kam nicht auf die Idee, den methodischen Ansatz oder das Setting ohne Begleitperson anzuzweifeln. Eine Studie von Richard Redding von der Chapman University of California belegt: Nur rund 50 Prozent der Selbsthilferatgeber bereiten die Lesenden auf die Möglichkeit vor, dass die angegebenen Verfahrensweisen vielleicht nicht die richtigen sein könnten und dass es durchaus Rückschläge geben kann.4

Es gibt starke Kräfte, die jenseits von Methoden wirken, wenn Menschen miteinander in Beziehung treten. Borwin Bandelow, Professor für Psychiatrie und Vorsitzender der Deutschen Gesellschaft für Angstforschung, schildert, wie die Linderung von Problemen zum Beispiel auf den Placeboeffekt zurückgeführt werden kann: Begleitperson und Hilfesuchende glauben gemeinsam an die Wirksamkeit einer Behandlungsweise. Was wirkt, ist aber vor allem die Beziehung zu der Therapeutin oder dem Coach, inklusive des Vertrauens, der Zuwendung und Hoffnung. Das positive Ergebnis wird aber fälschlich der Methode zugeschrieben. Es kann auch eine kurzzeitige Besserung der Symptome eintreten, die sich später wieder relativiert. Auch die Tendenz zur Mitte spielt mitunter eine Rolle: Wenn man mit seinen Problemen Hoch- und Tiefpunkte erlebt und Hilfe sucht, wenn es einem gerade besonders schlecht geht, ginge es einem mit hoher Wahrscheinlichkeit auch ohne die Behandlung bald wieder besser.5

Noch ein Beispiel für einen Fehlschluss: In Statistiken zeigte sich, dass Männer nach der Heirat einen Einkommensschub erleben. Die Folgerung hieß also: »Ein Mann muss nur heiraten, dann wird er reich …« Heute wissen wir durch bessere Daten und Auswertungsverfahren, dass Männer einfach nur in einer Lebensphase heiraten, in der ihr Einkommen ohnehin gerade steil ansteigt.6 Die Wissenschaft hilft uns dabei, von subjektiver Wahrnehmung und Erfahrung zu verallgemeinerbaren Aussagen zu kommen. Das brauchen wir, um über Vermutungen und Placeboeffekte hinauszukommen.

Ich stelle Ihnen in diesem Buch große Studien mit zum Teil Hunderttausenden von Teilnehmenden vor. Es sind viele Metastudien darunter, die eine Menge andere Studien zu derselben Fragestellung analysieren und zusammenfassen. Und auch Langzeitstudien, die seit 40, 60 oder sogar 80 Jahren laufen. So kommt man zu verlässlichen Ergebnissen. Wie diesem hier:

Freunde: Sie machen gesund. Jung. Glücklich.

 

Seit meiner Volleyballfahrt als selbstunsichere Jugendliche ist vieles passiert. Ich freue mich riesig darauf, Ihnen in diesem Buch davon zu erzählen.

TEIL1

EIN LANGES JUNGES LEBEN

Was die Wissenschaft weiß

Frühling, im Jahr 2017. Draußen ist es noch dunkel. Seit ich gelernt habe, dass Menschen unterschiedliche Schlaf-wach-Rhythmen haben, finde ich es nicht mehr blöd, dass ich schon um 5 Uhr auf bin, anders als die meisten anderen. Heute recherchiere ich um die Uhrzeit im Internet. Lande bei einem gerade veröffentlichten TED-Vortrag einer kanadischen Psychologin und Journalistin, Susan Pinker.7 Ich sehe ein Balkendiagramm mit Faktoren, die die Lebenserwartung erhöhen – das sind die üblichen Verdächtigen: nicht Rauchen, kein Alkohol, gute Ernährung, Grippeimpfung, Bewegung. Aber was steht da ganz oben? Jetzt bin ich noch wacher als ohnehin schon.

»Soziale Integration«, das sei die Nummer 1 für ein gesundes langes Leben. Fast gleichauf mit Nummer 2, noch etwas Soziales: »nahe Beziehungen«. Was? Vor Ernährung? Vor Abnehmen und Sport? Na ja, man muss ja nicht alles glauben. Aber die TED-Konferenzen sind ein renommiertes Format, wo man geprüfte Inhalte findet. Und dann fällt mir ein anderes Forschungsergebnis aus einer der längsten Langzeitstudien der Welt wieder ein; das Fazit des aktuellen Studienleiters Robert Waldinger hat sich mir tief eingeprägt: Ein gutes Leben besteht aus guten Beziehungen.

Ich höre weiterhin in Pinkers Vortrag, dass eine Forschungsgruppe Menschen dazu befragte, welche Faktoren sie für ein langes Leben für wichtig halten. Die Befragten stuften die beiden sozialen Faktoren auf den hintersten von 11 Plätzen ein. Das ist folgenschwer. Denn wenn man glaubt, Sozialkontakte seien für ein langes Leben nicht so wichtig, werden wir uns weiterhin für ein langes Leben auf Ernährung, Bewegung, Nichtrauchen fokussieren.

Als Nächstes frage ich mich, ob Sozialkontakte für uns allgemein auf den hinteren Plätzen rangieren, oder ob sie nur in Bezug auf Gesundheit als nebensächlich eingeschätzt werden. Ich finde dazu eine repräsentative Umfrage vom Institut für Demoskopie Allensbach aus dem Jahr 2020 unter 23000 Deutschen über 14 Jahre. In den persönlichen Interviews stand auf die Frage »Was halten Sie persönlich im Leben für besonders wichtig?«8 als Antwort auf Platz 1: »Gute Freunde, enge Beziehungen« (85,4 %), auf Platz 2: »Für die Familie da sein« (80,2 %), auf 3: »Glückliche Partnerschaft« (74,9 %) und auf 4: »Unabhängigkeit und Selbstbestimmtheit« (70,1 %). Auf Platz 7 dann schon wieder die Beziehungen, nämlich: »Kinder haben« (59,5 %). Erst ziemlich weit abgeschlagen, auf Platz 9, kommt »Erfolg im Beruf« (52,1 %). Auch eine repräsentative Studie des renommierten Zukunftsforschers Horst Opaschowski mit 3000 Deutschen weist nach, dass mitten im ersten Corona-Jahr 2020 »Beziehungsreichtum« zum neuen Wohlstand als einer der wichtigsten Werte der Deutschen aufgestiegen ist.9

Soziale Beziehungen rücken seit Jahren mehr in den Fokus unserer Werte, bisher aber wohl weniger aufgrund der Motivation, gesund und lange zu leben. Zum Glück sind wir gut darin, das wirklich Wichtige zu erkennen – und in Bezug auf unsere Beziehungen können wir vermuten, dass wir durch Corona noch besser geworden sind. Dennoch habe ich den Eindruck, dass die Beziehungen jenseits von Partnerschaft und Familie im Alltag bis heute eher nur mitlaufen. Wie viel Zeit wenden wir für unsere Freunde auf? Warum beschäftigen wir uns viele Stunden mit dem Handy, statt diese Zeit für echte Kontakte zu nutzen? Wie steht es mit den Kolleginnen, den Leuten aus der Sportgruppe, den Nachbarn? Mit jeder Person, der wir auf der Straße oder an der Käsetheke begegnen?

Ein Blick auf die Uhr. Fast 7. Morgen früh werde ich weiter recherchieren.

80 Jahre gutes Leben

1938 ging es los.10 Der Harvard-Mediziner Arlie Bock, erster Leiter der sogenannten »Grant-Studie«, stellte sein Forschungsteam an der Harvard Medical School für Erwachsenenentwicklung an der Ostküste der Vereinigten Staaten zusammen und startete mit 268 männlichen Studenten eine Studie über Faktoren für Glück und Gesundheit. Die Grant-Studieist eine Kostbarkeit, denn sie ist eine der umfassendsten Längsschnittstudien, die je durchgeführt wurden. Etwas später, 1940, initiierten Sheldon und Eleanor Glueck die verwandte »Glueck-Studie« mit 456 jungen Männern aus den Armenvierteln Bostons. Die Forschenden waren auf die großartige Idee gekommen, die insgesamt 724 Menschen von Jugend an bis ins hohe Alter bei ihrer Lebensgestaltung zu beobachten und eine Vielzahl von Daten über das körperliche und geistige Wohlbefinden der Männer zu sammeln. Während des College-Abschlusses, während des gesamten Arbeitslebens, während Ehe, Elternschaft, Krieg, Lebenskrisen und Alter fragten sie: Was macht ein gutes Leben aus? Was trägt dazu bei, bis ins hohe Alter gesund und glücklich zu leben?

Alle 2 Jahre – und zusätzlich alle 5 Jahre mit einer detaillierten Abfrage medizinischer Daten – befragten sie die Männer in ihrer Wohnung zu ihrer Arbeit, ihrem Familienleben und ihrer Gesundheit. Sie untersuchten sie medizinisch, filmten sie im Gespräch mit ihren Frauen und sprachen mit ihren Kindern. Fragebögen, Krankenakten, Blutbilder, Gehirnscans – alles wurde gesammelt. Über 80 Jahre läuft diese längste Längsschnittstudie der Welt über das Leben von Menschen, und sie geht mit ihren über 2000 Kindern in der Studie der zweiten Generation weiter. Seit 15 Jahren auch endlich mit Frauen.

Über lückenlose Daten für eine so lange Periode zu verfügen, ist ein großer Glücksfall für die Wissenschaft, auch wenn am Anfang die Frauen fehlten. Aber kann man nicht einfach Leute zu einem einzigen Zeitpunkt intensiv befragen: »Was macht Sie gesund und glücklich?«? Leider würde man so nichts Aussagekräftiges herausbekommen. Denn das wird nur eine subjektive Rückschau. Im Rückblick auf unser Leben verändern wir die Fakten, heben hervor, was wir persönlich für bedeutsam halten, lassen anderes unter den Tisch fallen. Ist jemand der Meinung, eine glückliche Kindheit gehabt zu haben, wird er sich an die lustigen Sonntagsausflüge mit den Eltern erinnern. Ist jemand noch heute wütend auf den gewalttätigen Vater, wird dieser die Erinnerungen beherrschen. Nur wenn man zu vielen Zeitpunkten des Lebens Personen befragt oder untersucht, kann man subjektive Meinungen vermeiden.

Erste Ergebnisse der Studie wurden 1977 von George E. Vaillant, der die Studie mehr als 30 Jahre leitete, in seinem Buch Adaptation to Life veröffentlicht. Sie waren damals eine Sensation: Vor allen anderen Einflussfaktoren sind es gute Sozialkontakte, die zu Zufriedenheit, Gesundheit und einem langen Leben führen und Körper und Gehirnfunktionen schützen. Dabei kommt es weniger auf eine hohe Zahl der nahen Beziehungen an. Man braucht auch nicht unbedingt eine feste Partnerschaft. Es zählt vielmehr die Qualität der Kontakte.11 Es geht um stabile, nahe, liebevolle Beziehungen, in denen man sich aufeinander verlassen kann. Füreinander-da-Sein und das Gefühl des Aufgehoben-Seins sind ausschlaggebend. Der Psychologe Robert Waldinger, der vierte und aktuelle Studienleiter, beschreibt dieses Gefühl so: Es gibt Menschen, die man mitten in der Nacht anrufen würde, wenn man Angst hat und jemanden braucht, der vorbeikommt. Und so lautet sein Resümee: »Ein gutes Leben besteht aus guten Beziehungen.«12

Bei diesen männlichen Teilnehmern gab es die, die sich einsam fühlten und sozial isoliert lebten, oder unzufrieden verheiratete Paare, zum Beispiel mit ständigen Konflikten ohne viel Liebe. Die Unglücklichsten waren diejenigen, die einsam waren. Sie tranken, hatten eine Depression oder andere psychische Krankheiten. Sie wurden eher dement; Gehirnfunktionen wie das Gedächtnis verschlechterten sich früher. Körperlich wurden sie schneller »alt und gebrechlich«, brauchten länger, um sich von Krankheiten zu erholen und wurden eher krank, litten außerdem mehr unter Schmerzen, und diese Teilnehmer starben früher.13

Auf der anderen Seite gab es diejenigen Teilnehmer, die mit 50 am zufriedensten in ihren Beziehungen waren und gut sozial eingebunden in Familie, Freundschaften und andere Gemeinschaften: Sie waren die gesündesten und glücklichsten im Alter von 80 und 90 Jahren. Sie lebten zudem länger als diejenigen in weniger guten Beziehungen oder mit Einsamkeit.

Ein beeindruckendes Ergebnis. Doch während ich mich in die Harvard-Studien vertiefte, nagte ein Zweifel an mir. So wertvoll die Daten über diesen langen Zeitraum auch sind, so ist es dennoch nur eine einzelne Studie mit US-amerikanischen jungen Männern ab 1938. Da ist die andere Hälfte der Menschheit nicht mit diesem langen Untersuchungszeitraum repräsentiert. Auch nicht andere Bevölkerungsgruppen, andere Nationen, Kulturen.

Es gibt inzwischen aber weitere Ergebnisse aus Langzeitstudien, die sich mit den Auswirkungen des Lebensstils auf Gesundheit, Wohlbefinden und Glück beschäftigen. Und zum Glück gibt es Julianne Holt-Lunstad. Denn sie wollte mehr. Vor allem mehr Studien.

Gesünder als frisches Gemüse

Julianne Holt-Lunstad ist eine amerikanische Psychologin und Neurowissenschaftlerin an der Brigham Young University, USA. Sie kennt von klein auf die Kraft enger Verbindung mit den Menschen um sie herum.14 Als viertes von 6 Kindern war sie umgeben von vielen Familienangehörigen in einer weitverzweigten Familie. Auf der Grundlage dieser Erfahrungen und der bisher bekannten Forschungsergebnisse wollte sie mehr über den Zusammenhang zwischen sozialen Bindungen und Gesundheit herausfinden.Ihre Arbeit stieß in den 2000er-Jahren noch auf wenig Resonanz. Dennoch gelang es ihr, gemeinsam mit ihren Kollegen Timothy B. Smith und Bradley Layton eine Metaanalyse zu initiieren. Ein großes Vorhaben.

Die Kraft der Metastudien

Bei einer Metaanalyse fassen die Forschenden mehrere bereits bestehende Studien und Studienergebnisse zahlenmäßig zusammen und werten sie statistisch mithilfe verschiedener Methoden aus. Jede einzelne Studie ist wie ein Puzzleteil, das für sich genommen nur eine geringe Aussagekraft besitzt. Fügt man sie jedoch zusammen, entsteht ein großes Bild mit hoher Aussagekraft.

Holt-Lunstad begann, mit ihrem Team nach der richtigen und qualitativ hochwertigen Forschungsliteratur zu suchen. Da es ihnen um die langfristigen Auswirkungen von Sozialkontakten auf Gesundheit und Sterblichkeit ging, suchten sie Studien, die Antworten auf die Frage geben konnten: »Verringern starke soziale Kontakte unser Risiko, früh zu sterben?«

2010 fanden sie zuerst 11124 potenziell relevante Forschungstexte. Sie und ihr Team gossen sie alle durch ein theoretisches Sieb und schlossen dabei nach und nach die Publikationen aus, die zu unterschiedlich waren, bei denen die Datenqualität zu gering war oder die nicht genau zu ihrer Fragestellung passten. Übrig blieb die Literatur, die vergleichbar und qualitativ hochwertig war. Am Ende waren es 148 Studien mit über 308000 Teilnehmenden, die über einen Zeitraum von durchschnittlich 7,5 Jahren begleitet wurden und die sie für ihre Metaanalyse nutzen konnten. Zwar stammten 68 Studien aus den USA, aber es gab auch welche aus Kanada, Nordeuropa, China, Israel, Japan und Taiwan.15

In akribischer Feinarbeit werteten Holt-Lunstad und ihre Leute die 148 Studien aus. Sie kamen zu einem Ergebnis, das weltweit in Wissenschaftskreisen Furore machte.

»Sozial« macht gesünder als alles andere

Hier ist das eindeutige Ergebnis, das mich zum Titel dieses Buches Freunde machen gesund geführt hat:

Wir leben im Schnitt länger, wenn wir gut in ein soziales Netzwerk eingebettet und in stabilen und glücklichen Beziehungen sind. Die beiden wichtigsten Faktoren, um lange gesund zu leben, sind 2 Mal »Gute Sozialkontakte«. Soziale Integration in eine Gemeinschaft zeigte sich dabei sogar als noch etwas wichtiger, dicht gefolgt davon, dass man einzelne engste Vertraute hat, die einen unterstützen.

Genauer gesagt: Auf Platz 1 steht die soziale Integration. Hier geht es um das Gemeinschaftsgefühl und die Frage, wie man sich mit anderen in ein soziales Ganzes eingebunden fühlt. Spielen Sie Doppelkopf oder Boule, tanzen Sie Tango oder treffen Sie sich in einem Buchklub, singen Sie in einem Chor? Wechseln Sie mit der Nachbarin ein paar Worte über das Wetter oder die Kinder? Diese Verbundenheit mit Ihren Sozialkontakten gehört zu den stärksten Faktoren, die voraussagen können, wie lange Sie leben werden. Auf Platz 2, fast gleichauf, liegen stabile nahe Beziehungen. Das sind die Menschen, die Sie aus dem Bett klingeln, wenn Sie verzweifelt sind, und vor denen Sie sich trotz Scham öffnen können. Die den Arzt rufen, wenn es Ihnen schlecht geht, und die Sie im Krankenhaus besuchen.

Und nun kommt der Bezug zum langen Leben: Wenn Sie gute soziale Bindungen haben, haben Sie eine 50 Prozent größere Wahrscheinlichkeit, lange zu leben, im Vergleich zu Personen mit unzureichenden sozialen Kontakten. Und das unabhängig von anderen Ausgangsfaktoren: Wenn also eine Person einen Herzinfarkt hatte und starke soziale Beziehungen hat, sind ihre Chancen auf ein langes Leben um 50 Prozent besser als bei einer anderen Person mit Herzinfarkt, aber ohne gute Beziehungen. Genauso lebt ein gesunder Mensch mit guten sozialen Beziehungen länger als einer ohne gute soziale Beziehungen. Soziale Beziehungen beeinflussen damit die Langlebigkeit viel mehr als andere Risikofaktoren für Sterblichkeit wie Übergewicht oder körperliche Untätigkeit.16

Was bedeutet das für uns? Wir können uns fragen: Sind meine Sozialkontakte gut genug? Habe ich genug Freunde? Sind andere um mich herum zu einsam? Es entstehen sicher auch Fragen wie: Wie kann ich herausfinden, womöglich sogar messen, ob ich gute Sozialkontakte habe? Auch Zweifel können aufkommen: Könnte es sein, dass Ursache und Wirkung andersherum sind? Dass Menschen übergewichtig sind oder Kette rauchen und dadurch – oder zufällig – auch sozial wenig eingebunden? Aber das hatte Holt-Lunstad in ihrem Studiendesign bedacht und Variablen wie Alter, Geschlecht und anfänglicher Gesundheitszustand herausgerechnet. Der schützende Effekt stabiler Sozialkontakte blieb konstant über alle diese Variablen hinweg erhalten.

Das heißt: Alle möglichen Arten von Gemeinschaft und Freundschaft erzeugen ein Kraftfeld gegen Krankheit und Tod. Die Kraft der Sozialkontakte ist zum Beispiel ein wichtiger Grund dafür, dass Menschen, die sozial engagiert sind, seltener an Demenz erkranken. Sozial gut eingebundene Frauen mit Brustkrebs haben eine 4 Mal bessere Aussicht, ihre Krankheit zu überleben, als diejenigen, die nicht auf ein gutes soziales Netz zurückgreifen können.17 Oder warum Männer nach einem Schlaganfall wesentlich besser vor einem weiteren Schlaganfall geschützt sind, wenn sie sich jemandem anvertrauen. Hier sind die emotionale Verbundenheit und das Vertrauen sowie die Öffnungsbereitschaft ausschlaggebend.18 Genauso ist das übrigens auch bei unseren Primaten-Verwandten. Die Anthropologin Joan Silk weist nach, dass weibliche Paviane mit mindestens 3 Freundinnen einen niedrigeren Cortisolspiegel im Speichel – und damit einen niedrigen Stresslevel – aufweisen. Sie leben länger und haben mehr überlebende Nachkommen.19

Sehen wir uns die einzelnen Faktoren, die Holt-Lunstad fand, genauer im Überblick an:

1. Soziale Integration in die Gemeinschaft ist der Gewinner unter den Faktoren, die ein langes gesundes Leben wahrscheinlich machen.

2. Nahe, stabile und unterstützende Sozialkontakte liegen fast gleichauf mit Faktor Nummer 1. Einer dieser nahen Kontakte ist schon gut, doch besser für ein langes junges Leben wären 3 bis 5 Menschen, auf die Sie sich wirklich verlassen können.

3. Wenig bis gar nicht rauchen: Wenig meint hier weniger als 15 Zigaretten am Tag. Noch besser ist es natürlich, überhaupt nicht zu rauchen, aber auch dann ist die Wirkung guter Sozialkontakte stärker.

4. Nichtraucher, Nichtraucherin werden: Aufhören zu rauchen, wenn Sie vorher viel geraucht haben, ist der viertstärkste Faktor für ein langes Leben.

5. Wenig Alkohol: Gleich, ob Sie getrunken und nun aufgehört haben oder ob Sie ohnehin nur mäßig trinken – es schützt Sie vor frühzeitigem Sterben.

6. Grippeimpfung schützt mehr vor frühzeitigem Sterben als Sport.

7. Training und Reha-Maßnahmen nach einem Herzinfarkt sind zwar wichtig, aber nicht ganz so entscheidend für die Vorhersage des Sterberisikos.

8. Sport zu treiben ist ebenfalls wichtig für ein langes Leben, aber eben erst an achter Stelle.

9. Kein Übergewicht: Man muss sich wegen seines Übergewichts nicht so ganz schlimme Sorgen machen. Man stirbt nicht so leicht dadurch, wie viele meinen.

10. Behandlung von Bluthochdruck – Medikamente: Das sagt erst an zehnter Stelle etwas darüber aus, wie lange wir leben werden.

11. In sauberer Luft zu leben ist zwar auch gut, sagt jedoch ebenfalls erst nachrangig voraus, wie lange wir leben werden.

Sozialkontakte zahlen auf alles ein

Diese Ergebnisse verunsichern, denn sie werfen alles über den Haufen, was wir bisher gelernt haben. Stimmt es denn wirklich nicht mehr, dass vollwertige, überwiegend pflanzenbasierte Ernährung entscheidend für unsere Gesundheit ist, wie namhafte Autoren schreiben?20Bewegungsarmut macht nicht so viel aus, und wie ist es mit Schlafmangel? Einer der weltweit führenden Schlafforscher, Matthew Walker, beschreibt Schlaf als einen »der wichtigsten und zugleich unterschätztesten Aspekte eines gesunden, langen und glücklichen Lebens«.21

Prinzipiell haben die Autoren dieser Aussagen auch nicht unrecht. Aber zum einen sind Metastudien hoch aussagekräftig, weil sie so viele von den uns bekannten wissenschaftlichen Erkenntnissen überschauen und vergleichen, und zum anderen ist Holt-Lunstad sogar 2 Mal im Abstand von 5 Jahren zu demselben Ergebnis gekommen: Ein gutes soziales Netz ist einer der schwerwiegendsten Faktoren für unsere Gesundheit und ein langes Leben.

Ein weiterer Beweis dafür, dass gute Beziehungen Platz 1 und 2 für ein langes Leben belegen, sind auch die Harvard-Studien, die ich vorgestellt habe. Sie sind durch ihre lange Laufzeit und die riesige Datenmenge sehr verlässlich. Beide Studien sind ausgesprochen gut abgesichert.

Eine gesunde Ernährung ist natürlich gesundheitsfördernd, aber sie ist es erst recht, wenn man das Essen mit anderen gemeinsam genießt. Man kann eine Sportskanone sein oder sich zumindest täglich viel bewegen; wenn einem ein Freund bei einer Krankheit beisteht, lebt man wahrscheinlich noch länger. Und auch genug Schlaf ist ein wichtiger Gesundheitsfaktor. Aber wenn man sich nicht einsam fühlt, schläft man noch besser.

Wir können also sagen, dass unsere Sozialkontakte unfassbar wichtig für ein langes junges Leben sind, weil gute Beziehungen die Basis sind, auf der sich die Wirkung der anderen Faktoren voll entfalten kann. Am besten ist es, wenn Sie andere gesunde Verhaltensweisen, etwa Nichtrauchen, gute Ernährung und Bewegung, mit einem aktiven Sozialleben kombinieren.