Freundschaft im Abseits - Gerd Knebel - E-Book

Freundschaft im Abseits E-Book

Gerd Knebel

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Beschreibung

Die beiden könnten nicht unterschiedlicher sein. Tanja, Journalistin und Feministin, und Bowling, ehemaliger Skinhead und Ex-Knacki. Sie gehen sich ganz schön auf die Nerven, aber brauchen beide Geld. Also gründen sie ein Detektivbüro. Ihre Erwartungen sind hoch, doch das Ergebnis ist frustrierend: So gut wie niemand möchte mit ihnen arbeiten. Alles scheint hoffnungslos, bis ein Auftrag nicht nur Geld in die Kasse spült, sondern zusätzlich ihre Beziehung auf den Kopf stellt. Schwungvoll, laut und ausgesprochen unkonventionell: Das ist der neue Roman von Gerd Knebel vom Erfolgsduo BADESALZ. Unterstützt und gecoacht wurde er dabei von der Mehrfach-Autorin, Musikerin und Comedienne Claudia Brendler.

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Gerd Knebel

Freundschaft im Abseits

Herodot-Verlag

Zum Inhalt:

Die beiden könnten nicht unterschiedlicher sein. Tanja, Journalistin und Feministin, und Bowling, ehemaliger Skinhead und Ex-Knacki. Sie gehen sich ganz schön auf die Nerven, aber brauchen beide Geld. Also gründen sie ein Detektivbüro. Ihre Erwartungen sind hoch, doch das Ergebnis ist frustrierend: So gut wie niemand möchte mit ihnen arbeiten. Alles scheint hoffnungslos, bis ein Auftrag nicht nur Geld in die Kasse spült, sondern zusätzlich ihre Beziehung auf den Kopf stellt.

Der Verlag weist ausdrücklich darauf hin, dass im Text enthaltene externe Links vom Verlag nur bis zum Zeitpunkt der Buchveröffentlichung eingesehen werden konnten. Auf spätere Veränderungen hat der Verlag keinerlei Einfluss. Eine Haftung des Verlags ist daher ausgeschlossen.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

1. Auflage

© 2023 Mentoren-Media-Verlag,

Königsberger Str. 16, 55218 Ingelheim am Rhein

E-Book-Herstellung: Zeilenwert GmbH, Rudolstadt

Autorenfoto: Fotostudio Claudia Bornemann

Umschlagsgrafiken: Freepik – Wellensittich (katerina51), Gummipuppe (welovegraphicss), Skulptur eines Körpers (freepik), Füße & Stadtkarte eines Detektivböroraums (macrovector), Goldbarren (beadbird2000)

eISBN: 978-3-98641-115-2

Alle Rechte vorbehalten. Vervielfältigung, auch auszugsweise, nur mit schriftlicher Genehmigung des Verlages. Sämtliche Inhalte in diesem Buch entsprechen nicht automatisch der Meinung und Ansicht des Mentoren-Media-Verlages.

www.herodot-verlag.de

Alle in diesem Buch genannten Äußerungen zu Personen und Instanzen des öffentlichen Lebens sowie Personengruppen entsprechen nicht automatisch der persönlichen Meinung des Autors und des Mentoren-Media-Verlages. Gesellschaftliche und politische Ansichten sowie Einstellungen stehen daher nicht repräsentativ für den Standpunkt beider, sondern werden für die Figurenentwicklung sowie die Abbildung der gesellschaftlichen Gegenwart mithilfe von satirischen Mitteln genutzt, um den entsprechenden Diskurs zu fördern.

Liebe Leserinnen und Leser,

dieses Buch enthält neben derber Wortwahl auch Elemente, die potenziell triggern können. Deshalb folgt eine Triggerwarnung.

Achtung: Diese enthält Spoiler für die gesamte Handlung des Buches!

Triggernde Inhalte sind: Diskriminierung, Rassismus und Nationalsozialismus, sexueller Missbrauch, Selbstmord, Sexual- und Fäkalsprache, Fetischismus, Gewalt, Mord, Alkoholkonsum, Homophobie.

Bitte beachtet dabei, dass mithilfe von Sprache, stilistischen Mitteln sowie Stereotypen und Klischees gesellschaftliche und politische Themen und Spannungsverhältnisse bearbeitet und reflektiert werden.

Wir wünschen uns für euch alle das bestmögliche Leseerlebnis. Bitte achtet deshalb auf euch selbst und eure Gefühle!

Euer Herodot-Verlag

Inhaltsverzeichnis

Kapitel 1: Lieber nach vorn schauen

Kapitel 2: Der erste Auftrag

Kapitel 3: Skulpturen in Gefahr

Kapitel 4: Sturmnacht

Kapitel 5: Der Traummann

Kapitel 6: Kurznachrichten

Kapitel 7: Masken und Männer

Kapitel 8: Die Stunde der Wahrheit

Kapitel 9: Füße aus Gold

Kapitel 10: Channeling

Kapitel 11: Der Angler am See

Kapitel 12: Der Wolf

Kapitel 13: Die Vermarktung der eigenen Geschichte

Kapitel 14: Kurznachrichten

Kapitel 15: Im Rausch der Energien

Kapitel 16: Zehn Fragen

Kapitel 17: Die Qualität der Zeit

Kapitel 18: Fragen und Antworten

Kapitel 19: Wiedersehen mit Freunden

Kapitel 20: The Point of No Return

Kapitel 1

Lieber nach vorn schauen

Tanja, 23. Januar 2020

Das glaub ich jetzt nicht! Das glaub ich jetzt einfach nicht! Ich konnte nichts anderes denken als diesen einen Satz, immer wieder, in Endlosschleife. Doch es half nichts, änderte nichts. Ich hatte den Summer schon gedrückt, gedacht, es wäre der Paketbote mit dem Buch von Marshall Rosenberg, bestellt vor mindestens drei Tagen. Für drei Euro fünfzig, ohne Porto. Und wer kam stattdessen die Treppe herauf? Bowling, der einen anderen Typen vor sich herstieß. Den hatte ich mit Sicherheit nicht bestellt. Dieser Kerl kam mir gleich bekannt vor, doch wusste ich nicht woher, nur, dass es eine unangenehme Bekanntschaft war.

»Hoppla!« Bowling verpasste dem Kerl einen weiteren Stoß, hielt ihn gleich darauf am Kragen fest. Der wehrte sich nicht, winselte nur. Unscheinbar. Mickrig. Strähnige, dünne Haare. Schon viel Grau im Braun. Trotzdem wahrscheinlich jünger als ich, auf jeden Fall jünger als Bowling, der seine Schildkappe ins Gesicht gezogen hatte und den Kerl – Jackett, Hemd mit Blutflecken, geplatzte Lippe – direkt zu mir schleppte, ihm einen Schubs gab und ihn wieder festhielt, im letzten Moment, bevor er umkippte. Gelernt war gelernt! »So, das ist er.«

»Guten Morgen.« Cool bleiben, einfach nur cool bleiben. Bowling begegnete man am besten mit Höflichkeit, damit konnte er schlecht umgehen. »Waren wir verabredet?«

»Oh Mann!« Bowling schubste den Winselnden in meine Richtung. »Das ist der Arsch, der mit dem Auto, weißt schon. Als du mit dem Rad … der Arsch, der dich … na, sag noch mal«, er zog den Kerl zu sich heran, »sag doch, wie hast du sie gleich genannt?«

In diesem Moment erinnerte ich mich. Vor ein paar Tagen. In einer Seitenstraße in Höchst. Als ich mit dem Rad vom Bordstein heruntergefahren war, im Regen, war ich abgeschmiert, auf die Straße geraten, einem Auto in die Quere gekommen, der Fahrer hatte bremsen müssen. Der hatte dann das Fenster heruntergelassen und den Kopf nach draußen gestreckt.

»Na los, wiederhol deinen Satz! Sie hat’s mir erzählt, du Wichser! Sie ist mit dem Rad nur den Bordstein runtergekommen, sonst nichts, und du hast dich aufgespielt und hast gerufen: ›Da vorn ist ’ne Ampel, da kannst du bei Grün über die Straße, du blöde, blonde …‹ Na, was war das Wort mit V noch? Wir wollen das von dir hören!«

»Schreibt man das nicht mit F?«

Eine rhetorische Frage. Ich war mir in diesem Moment ganz sicher, dass man Fotze mit F schrieb, Rechtschreibreform hin oder her. Unabhängig von meinem Deutsch-Leistungskurs und abgebrochenem Germanistikstudium … das tat hier nichts zur Sache. Doch dieser mickrige Typ schoss dann wirklich den Vogel ab.

»Ich glaub, das geht beides.«

Ganz kurz wünschte ich mir, Bowling würde ihm jetzt wirklich in die Fresse hauen. Gleich darauf fragte ich mich, wie ich mir überhaupt so was wünschen konnte? Ich war, verdammt noch mal, gegen Gewalt! Und immer noch blond. Kein graues Haar. Du blöde, blonde … Wie bescheuert war das denn? Mir hatte es gefallen, dass dem Arschloch das aufgefallen war.

»Du machst den Mund nur auf, um dich zu entschuldigen, ist das klar?« Bowling schüttelte den Kerl nun heftiger, und ja, ich fand es okay. Oder fast gut. Dann lächelte er. »Siehst du, ich habe ihn ausfindig gemacht. Nur aufgrund deiner Beschreibung des Autotyps und ein paar Äußerlichkeiten. Ich würde sagen, ich hab’s drauf, oder ich bin der Meisterdetektiv.«

Genau in diesem Moment klingelte der Paketbote. Natürlich drückte ich auf den Summer. Er kam herauf, komplett ungerührt, vielleicht hatte er schon ganz andere Sachen erlebt als einen kleinen Hirschkampf zweier Männer vor der Tür einer Frau. Der mickrige Kerl, der in Sachen Fotze so tolerant oder indifferent war, dass er zwei Schreibweisen zuließ, wischte sich mit der freien Hand etwas Blut von der Lippe. Bowling hielt ihn fest am Kragen. Der Paketbote ließ mich unterschreiben, gab mir das verpackte Buch und wünschte uns einen schönen Tag.

»Was liest du?«, fragte Bowling. »Lass mich raten. Irgendwas von Marx? Oder diesem Förster, der die Welt rettet?«

»Nein, Marshall Rosenberg. Weißt du doch. Gewaltfreie Kommunikation.«

»Apropos gewaltfrei.« Bowling verpasste dem Typen einen Tritt. »So, du entschuldigst dich jetzt und verpisst dich. Und wir beide, Tanja, gehen einen Kaffee trinken. Ich hab nämlich eine Überraschung. Wegen dem Büro.«

»Wegen des Büros! Genitiv. Stirbt aus, sollte aber unter Artenschutz gestellt werden.«

Da glotzten mich alle drei Männer an. Übrigens würde sich meine Annahme später als richtig herausstellen. Duden.de. Nur mit F. Keine andere Schreibweise.

Wir hätten den Kaffee auch bei mir trinken können, aber Bowling wollte mich einladen, also liefen wir ein Stück die Straße herunter, vorbei an den kleinen weißen Ex-Arbeiterhäuschen und den Vorgärtchen, die alle exakt gleich aussahen, bis zum cooleren Teil von Bornheim. Cool, weil: Parkplatzprobleme, Altbauhäuser, ein mehr oder weniger hippes oder wahlweise auf alt getrimmtes Café neben dem anderen. Wir gingen direkt in das erste Café, und gleich an der Theke saß Frank und las die Frankfurter Rundschau. Ich wäre fast rückwärts wieder hinausgegangen, aber Bowling war schon vorgeprescht. Frank und ich nickten uns zu und natürlich konnte er dabei seinen Blick nicht von Bowling lassen. Die Schildkappe, die prollige Bomberjacke und darunter das T-Shirt mit irgendeinem Bandnamen, auf Englisch, aber mit gotisch anmutenden Lettern … sicher eine Skinhead-Band. Um den Eindruck zu vervollständigen, griff sich Bowling dann auch noch die BILD-Zeitung aus dem Ständer und breitete sie aus. Er wusste eben genau, wie er mich provozieren konnte, wann er mir peinlich wurde.

»Was willst du mit der Blöd-Zeitung?«

»Sei mal offen, stehen doch interessante Sachen drin.« Auf der Rückseite ein riesengroßer Aufmacher mit Geflüchteten. Flüchtlinge, schrieb die BILD. Frank hatte sich wieder seiner Rundschau zugewandt. Was immer er jetzt von mir dachte, ich wollte es nicht wissen. Und wir kannten uns nicht gut genug, dass ich es ihm einfach hätte erklären können: Pass auf, Bowling ist einfach jemand, der bei mir hängengeblieben ist, ein Ex-Freund einer Freundin meiner Schwester. Wir sehen uns hin und wieder. Und so verrückt es klingt, wir haben ein paar Gemeinsamkeiten. Unter anderem kommen wir beide aus dem Gallusviertel. Jeder weiß, was das heißt. Mir sieht man es nicht mehr an, ihm schon. Ja, ich weiß, er kann einen wahnsinnig machen mit seiner Scheißprovokation.Wenn er wenigstens seine Kappe abgenommen hätte. Diese prollige Kappe. Obwohl, vielleicht wäre er mir ohne Kappe noch peinlicher.

Ich beugte mich zu Bowling vor, die Stimme gedämpft. Nicht provozieren lassen, immer bei mir selbst und meinen Gefühlen bleiben! Das würde Marshall Rosenberg mir zumindest raten.

»Was ist eigentlich los mit dir, Bowling? Erst bringst du mir diesen Kerl, okay, das war auch … na ja, irgendwie …«

»Süß von mir?«

»Irgendwie ganz geschickt von dir, wollte ich sagen. Aber auch ein bisschen aggressiv. So an der Grenze, oder?«

»Ich weiß auch nicht, hin und wieder kommt meine alte Aggressivität hoch.«

»Das hab ich gemerkt.«

»Tut mir leid.«

»Hoffentlich.«

Warum mussten diese Kekse zum Cappuccino auch immer so klein sein? Warum konnte Bowling keinen Moment stillsitzen? Zum Glück stand Frank jetzt auf und verschwand Richtung Toilette. Bowling klappte die BILD-Zeitung zusammen.

»Ist das einer von deinen tollen linken Freunden?«

Ruhig bleiben. Auf keinen Fall durfte ich Bowling irgendwelche politischen Anschuldigungen ins Gesicht klatschen.

»Nein, ein Kollege. Schreibt fürs Journal. Nützlicher Kontakt.«

Bis jetzt jedenfalls. Scheiße. Aber egal, was meinen Job betraf, war es seit einiger Zeit dermaßen schlecht gelaufen, dass ich mir Bowlings verrückte Idee zumindest angehört hatte. Darüber nachgedacht hatte ich auch. Ich hatte mich sogar im Netz umgesehen, was für Voraussetzungen man brauchte, um ein Detektivbüro zu gründen. Erstaunlich wenige. Und Bowling wusste das genau.

Ich sagte so ruhig und freundlich wie möglich: »Weißt du, wenn wir wirklich zusammen diesen Detektivjob machen wollen, oder wie immer wir es nachher nennen werden, sollten wir schon drauf achten, mit den Leuten … na ja … achtsam umzugehen.«

»Mit welchen Leuten?«

»Unseren Kunden, verdammt noch mal, stellst du dich jetzt so dumm oder bist du’s wirklich?«

»Sieh an, du kannst es ja noch.«

»Was kann ich?«

»Fluchen wie ein Rohrspatz.«

Er nahm die Kappe ab, fuhr sich über den rasierten Schädel, setzte sie wieder auf. Ich ließ den winzigen Keks in den Cappuccino fallen.

»Seit wann fluchen Rohrspatzen? Was ist das überhaupt für ein Ausdruck, von deiner Oma oder woher?«

»Zu meiner Zeit fluchten die noch. Heute sind sie ja leider ebenso vom Aussterben bedroht wie dein Genitiv.«

»Oh, du hast wohl das neue Buch von Peter Wohlleben gelesen.«

Zuzutrauen wäre es ihm. Er hatte einfach manchmal solche Anwandlungen, zugeben konnte er es aber nie.

»Also, Mädchen, pass auf, der Rohrspatz …«

»Steck dir dein Mädchen sonst wohin!«

In diesem Moment kam Frank zurück. Bowling nahm in aller Ruhe einen Schluck von seinem Ingwertee und hielt die Tasse mit abgespreiztem Finger hoch.

»Pass auf, sehr geehrte Dame. Der Rohrspatz ist der Trivialname für den Drosselrohrsänger. Und der saß früher gerne im Schilfrohr und stieß Warnrufe aus. Für triviale Ohren klang das wie Schimpfen. Belegt seit dem 18. Jahrhundert.«

»Oh, du hast wohl heimlich ein Germanistikseminar besucht? Etymologie?«

»Das hab ich von diesem Bastian … weiß nicht mehr, der mit dem Duden. Der war mal bei Markus Lanz.«

»Sick, dieser Sprachpopulist. Bei Lanz, dem Lackaffen. Passt.«

Ich gebe zu, ich sagte es auch deshalb, um Frank zu signalisieren, dass ich Bowlings Vorlieben, Einstellungen und Ansichten nicht teilte, dass wir nicht auf einer Wellenlänge und schon gar kein Paar – was für eine Vorstellung! – waren.

Bowling lehnte sich zurück und verschränkte die Arme über diesen verdächtigen Runen auf seinem T-Shirt.

»Ach, ihr Linken habt eben immer Probleme mit Menschen, die nicht so vergammelt aussehen wie Anton Hofreiter von den Grünen.«

»Sag mal … geht’s noch? Vergammelt, das klingt ja wie … scheiße, das klingt wie mein Vater.«

Frank faltete die Rundschau zusammen, warf uns einen verächtlichen Blick zu und ging nach vorn an die Theke zum Zahlen.

»Sorry, Digga«, Bowling grinste, »versteh ja, dass so ein junges It-Girl von 48 nichts mit solchen Steinzeitausdrücken anfangen kann.«

Und da hatte er mich so weit.

»Was soll das, warum spielst du auf mein verficktes Alter an?«

»Verfickt, soso, ist dein Alter wirklich so verfickt? Soweit ich weiß, hasst du doch diese ganzen Tinder-, Parship- und was weiß ich für Bums-mich-Apps. Daher geh ich mal davon aus, dass es bei dir zurzeit nicht allzu verfickt zugeht. Oder sehe ich das etwa falsch, hast du etwa einen Neuen?«

»Fick dich, Bowling!«

Ich wollte seinen Ingwertee eigentlich nicht vom Tisch fegen, doch es war zu spät. Großer Aufstand, alles drehte sich um und die Bedienung, ein junger Hipster um die 20 und mit femininen Zügen, guckte ganz erschrocken, kam aber schnell mit Handfeger und Lappen.

Okay, so hatte ich mir unser Gespräch über die Gründung eines Detektivbüros nicht vorgestellt. Und vielleicht kannte ich Bowling doch nicht so gut, wie ich dachte.

Plötzlich musste ich wieder an diesen einen Abend denken. Bei Eva, der Freundin meiner älteren Schwester. Eva hatte eine Vorliebe für Ex-Knackis gehabt und irgendwo zwischen der Bockenheimer Warte und dem Westend gewohnt, wo die letzten Studenten-WGs sich noch irgendwie gehalten hatten – schließlich waren es die Neunziger gewesen und das ganze Westend voller Yuppies. Das Gegenprogramm in Evas Küche: ein dunkler Holztisch vom Flohmarkt, das Geschirr auf Kellerregalen – und irgendwer hatte seine Zigarettenkippe in ein halb volles Weinglas geschmissen. Ich war damals gerade Erstsemester an der Uni gewesen, Eva dagegen eine Lehrerin um die 30 an der Gesamtschule Bockenheim Süd. Alle auf dieser Feier (oder Fete oder was es auch immer gewesen war) waren älter als ich gewesen. Manche, wie Bowling und Eva, viel älter. Ehrlich gesagt wusste ich nicht mehr genau, wie ich zu der Einladung gekommen war. Vielleicht hatte das Universum damals gewollt, dass Bowling und ich uns kennenlernten. Das hätte zumindest meine Schwester gesagt, die damals schon leicht esoterisch gestört gewesen war.

Der Junge mit der Kehrschaufel war erst mit dem Handfeger, dann mit dem Lappen über die Scherben in der Teepfütze gefahren und trug nun die Kehrschaufel weg. Bowling packte seine Ellenbogen auf den Tisch.

»Pass auf, Mädchen. Bevor du hier den Laden auseinandergenommen hast, wollte ich dir was sagen. Übrigens danke, dass du mir den heißen Tee nicht über die Eier …«

»Ist gut. Sag schon!«

»Ich habe ein Büro für uns. Mietfrei.«

Wir fuhren mit meinem Auto nach Sossenheim. Bowling hatte keins und sollte seinen Führerschein auch erst in einem Monat wieder bekommen. Ein Auto, einen Führerschein, ein tadelloses polizeiliches Führungszeugnis, ein Telefon und möglichst eine gute Kamera, all das brauchte man, um eine Detektei zu gründen. Deshalb hatte mich Bowling überhaupt gefragt. Was heißt gefragt, er hatte mich bekniet und von seiner Erfahrung schwadroniert: Erfahrung als Wachmann, Kampfsporttrainer, vor allem aber als Ex-Krimineller. Das wäre Gold wert, hatte er betont. Einen Ex-Kriminellen lege nämlich so schnell keiner mehr rein. Und dann hatte er auch noch immer wieder behauptet: »Detektiv kann jeder werden. Das ist leicht verdientes Geld.« Und ja, er hatte recht. Nur blöd, dass ich alles hatte und er nichts. Auto, Führerschein, tadelloses Führungszeugnis ohne Knasteintrag, Fotoausrüstung – schließlich war ich Journalistin, auch wenn ich kaum Aufträge hatte – und perfekte Kenntnisse der deutschen Sprache in Wort und Schrift. Was, laut meiner Recherche im Internet, ganz besonders zu beachten war, wenn man ein Detektivbüro gründen wollte. Der Detektivbericht nach einer Beschattung – oder bei was auch immer der Job noch mit sich bringen würde – sollte akribisch und korrekt sein und genau mit Fotos dokumentiert werden. Gut fotografieren konnte auch nur ich als erfahrene Journalistin, es wurde Zeit, dass Bowling endlich etwas beisteuerte. Ein Büro also, eine Firmenadresse. Eine Privatwohnung war zu unseriös für eine Detektei, auch das hatte ich aus dem Netz gefischt.

Eine Zeit lang fuhren wir schweigend. Fast jede Ampel zwischen Bornheim und Sossenheim war rot. Bowling schaute aus dem Fenster und ich dachte daran, dass mein Journalistenjob so schlecht lief, dass man ihn eigentlich nicht mal mehr Job nennen konnte. Mein Ex-Pressekollege und Bekannter Frank würde mich jetzt garantiert auch nicht mehr irgendwo empfehlen. Und dafür hätte ich Bowling eben im Café am liebsten eine geknallt. War es wirklich eine gute Idee, mit jemandem ein Detektivbüro zu eröffnen, dem man für jede zweite Bemerkung eine scheuern wollte? Wir bretterten über eine hässliche Brücke, deren Straßenbelag sicherlich in den letzten 20 Jahren nie erneuert worden war, und dann lotste mich Bowling durch Rödelheim, bis wir am anderen Ende an einem versifften Kiosk und einem Aldi-Markt mit trostlosem Parkplatz herauskamen.

»Sossenheim«, sagte ich, »ganz so schlimm hab ich’s mir dann doch nicht vorgestellt.«

»Ach, geh mir nicht auf den Sack. Ganz in der Nähe ist übrigens dieses besetzte Haus, vegane Küche für alle und diese ganze Scheiße, so was bieten die an, und dabei veranstalten die Punkkonzerte mit Bands, die alle Dackelblut oder noch schlimmer heißen. Linksautonomes Wohnprojekt, das sind doch deine Freunde!«

»Und wo fahren wir jetzt hin, zu deinen Freunden?«

»Eher Ex. Einrichtung ist fast komplett. So, hier, du kannst in der Einfahrt stehenbleiben.«

Ein Häuserblock, ein Fabrikgelände und so ein Kraftmeier-Studio, hinter dessen Fenstern ein paar Typen mit Zuhältergesicht Gewichte stemmten. Daneben ein Autohandel, ein Barankauf, ein paar Garagen, Schrottautos, ein türkischer Metzger, Hammelhälften im Schaufenster, daneben irgendein Lager. Bowling stieg aus, riss eine der Garagentüren auf. Klar, dass ich fassungslos war.

»Eine … Garage?«

»Was hast du erwartet, eine Villa wie bei deinem Ex?«

»Es war keine Villa, nur eine Wohnung.«

»Aber was für eine. Fünf Zimmer?«

»Drei.«

Okay, für eine Garage war es echt nicht so schlecht. Der Schreibtisch war groß. Mit einem Laptop. Davor ein riesiger, schwarzer Chefsessel. Der Teppichboden – Alter! Eine Garage mit verranztem Teppichboden! Außerdem standen Instrumente und Boxen herum, eine Trommel, eine Gitarre oder eher ein Bass, das Ding hatte auf jeden Fall nur vier Saiten. Die Boxen strömten einen ziemlichen Mief aus, nach Kippen und Bier. Bowling schwor, dass das Zeug demnächst abgeholt werden würde.

»Ist alles geklärt. Sei mal positiv, das ist unser Luxusbüro, unsere offizielle Adresse. Der Laden läuft.«

»Seit wann hat eine Garage eine Adresse?«

»Nilgün hat hier einen Briefkasten, kriegen wir, die wohnt ja nicht hier.«

»Nilgün?«

»Die Tochter von diesem Schächter oder wie das heißt.«

»Das heißt bei den Türken auch Metzger, und …«

»Er ist halb Kurde.«

»… und ich bin Vegetarierin.«

»Weiß ich doch. Steht ja auch nicht Metzger drauf, sondern Detektivbüro. Jetzt brauchen wir nur noch ’nen Firmennamen und dann kannst du deine ganzen Ex-Pressekollegen vollballern mit Anzeigen. Internet haben wir hier auch, und das ist so schnell, wie du gar nicht gucken kannst. Mäuschen, also los, wie heißen wir?«

»Noch mal Mäuschen und du bekommst …«

»BoTa!«

»Was?«

»Detektivbüro BoTa – für schnelle Lösungen. Diskret und professionell.«

»BoTa? Du meinst …«

»Unsere Vornamen, genau.«

Das war der Moment, als ich mich in den Chefsessel fallen ließ. Die ganze Zeit hatten wir uns gegenübergestanden wie Kämpfer im Ring. Der Sessel war verstaubt, eine Wolke stieg hoch.

»BoTa.« Ich musste husten. »Klingt wie ’ne neue Kampfsportart. Krav Maga. Hapkido. BoTa.«

»Ja, genau! Hauptsache auf die Fresse.«

»Diskret und professionell.«

»Du hast es, Baby!«

Er tigerte im Raum herum. Ich hustete mir die Lunge weg. Scheißstaub, und nirgendwo ein Lappen!

»Wo hast du den Sessel her?«

»Vielleicht besser, du weißt es nicht. Kaffee? Ach nee, geht nicht, die Maschine ist noch nicht da. Kriegen wir auch noch, total geile Maschine, mit der kannst du auch ins Weltall fliegen. Du bist also … einverstanden mit dem Namen?«

Ich wollte mir gerade an die Stirn tippen, da fiel mir Rosenberg wieder ein. Mit ständiger Negativität konnte man nicht weiterkommen. Vor allem nicht, wenn es um etwas ging. Durchatmen, das Gesagte des Gegenübers aufnehmen, ihm entgegenkommen.

»Diskret und professionell. Damit bin ich einverstanden, das klingt gut. Pass auf: Detektivbüro TaBo. Beschattung, Überwachung, Konfliktmanagement. Diskret und professionell.«

»TaBo? Was soll das sein, ein veganer Swingerclub? Tofuficken? Und Konfliktmanagement, was soll das denn heißen?«

Gut, soweit zum Entgegenkommen. Blieb nur noch eins: Ich zog den Autoschlüssel aus der Hosentasche.

»Wer hat hier den Führerschein?« Ich ging langsam auf die Tür zu, zählte die Schritte, eins, zwei, ich hatte ja nichts zu verlieren – wer wollte denn unbedingt ein Detektivbüro aufmachen? –, drei, vier. »Und das Führungszeugnis?« Viereinhalb, fünf. Wir hätten es in diesem Moment noch lassen können, ich konnte mein Geld auch anders verdienen, es würde irgendwie …

»Okay. Einverstanden. TaBo. Detektivbüro TaBo. Für schnelle Lösungen. Oder, wart mal: Detektivbüro TaBo. Bei Mord Anruf – und dann die Telefonnummer. Einfach auf den Punkt.«

»Das tägliche Brot für Detektive ist aber …«

»Klugscheißerin! Es kommt drauf an, wie du wirbst, Baby.«

Nach einer Stunde heftigen Kampfes waren wir uns einig. Konfliktmanagement blieb drinnen. Die schnellen Lösungen auch. Es gab zwei Telefonnummern, eine von Ta, eine von Bo. Die von Ta stand als erste in der Anzeige, was sonst.

Während ich die Mails an alle Ex-Kollegen und Freunde von der Presse schickte, übrigens auch an Frank, tigerte Bo nervös im Raum herum und machte mich wahnsinnig mit seiner Unruhe. Falls wir jemals Büroarbeit haben sollten, dann würde ich sie allein erledigen. Bo durfte gerne in den Außendienst. Wobei ich eher nicht glaubte, dass man ihn allein in den Außendienst lassen sollte.

Als ich nach Hause kam, sah ich das Päckchen von heute Morgen im Flur liegen. Kaum hatte ich das Buch ausgepackt, war ich den Tränen nahe. Marshall Rosenberg. Die alte Ausgabe, zum Glück für ganz wenig Geld, mit Gebrauchsspuren, na und? Ich blätterte in dem Buch, alles war so vertraut, aus einer anderen Zeit. Damals, ewig her, hatten mir Bowling und Eva eine Westerngitarre geschenkt, nachdem ich meinen ersten Vortrag über gewaltfreie Kommunikation erlebt hatte und völlig geflasht gewesen war, dass Marshall Rosenberg nebenher noch ein paar Lieder auf der Gitarre gespielt hatte. »Auf der«, das rieb mir Bowling ständig unter die Nase, »ist in all den Jahren noch kein einziger Akkord erklungen.« So geschraubt konnte er manchmal reden. Okay, es stimmte. Aber vielleicht würde ja demnächst mein zukünftiger Detektivkollege Bowling mal eins seiner alten Nazilieder oder Skinhead-Songs auf dieser vergessenen, gewaltfreien Westerngitarre schrubben. Zumindest hätte ich dann einen Grund, ihm eine zu knallen. Marshall Rosenberg würde es eh nicht mehr erfahren, und wenn doch, würde er mir aus dem Himmel zurufen: Ruhig noch eine, Tanja, er hat es verdient. So war das halt mit den Theorien. Etwas zu wissen, hieß noch lange nicht, dass man es auch im Alltag umsetzen konnte. Wir sollten es zusammen lesen, Bowling und ich. Wie sollte das denn sonst funktionieren mit dem Detektivbüro?

Obwohl ich mir die allergrößte Mühe gab, ein gewaltfreier Mensch zu sein, passierte es mir immer wieder, dass ich Leute blöd anmachte, okay, anbrüllte. Und ein bisschen mehr. Der Kerl mit der »blonden Fotze« zählte nicht, da ich da nur auf dem Fahrrad vor mich hingeflucht und ihn angebrüllt hatte … die Beleidigungen waren nötig gewesen! Einen anderen Typen, der mich mal hatte angrabschen wollen, hatte ich gestoßen, hätte ihn auch getreten, wenn er nicht abgehauen wäre. Notwehr. Zählte eigentlich auch nicht. Das mit der asozialen Mutter war aus Mitleid passiert. Es war halt mit mir durchgegangen, als die im Supermarkt ihrem Kind wiederholt ins Gesicht geschlagen hatte. Das kleine Mädchen war komplett rosa angezogen gewesen. Rosa Pulli aus Nickistoff mit einem Hasen vorn drauf und rosa Strumpfhosen. Und die Mutter das gespuckte Klischee, bis zum Hals tätowiert und auf eine schwabbelige Art übergewichtig. Das Mädchen hatte wegen irgendwelcher Gummibärchen oder anderem Süßkram genervt, und die fette Kuh: Bamm! Mitten in dieses eh schon verheulte Kindergesicht. Und gleich noch mal. Also hatte ich ihr auch eine geknallt, um ihr zu zeigen, wie sich das anfühlte. Sie anzuzeigen, hatte ich auch gedroht. Am liebsten hätte ich das kleine Mädchen mit nach Hause genommen. Aber die verdutzte Mutter hatte ihr Kind schon gepackt und war abgezogen. Alle um uns herum hatten mich anglotzt, das Geglotze hatte mich dann nur noch wütender gemacht. Später hatte ich mich gefragt, ob ich sofort die Polizei hätte holen müssen. Aber Gewalt beantwortete man eigentlich nicht mit Gewalt, und auch eine Anzeige wäre Gewalt gewesen. Was wäre passiert, wenn man der Mutter das Mädchen weggenommen hätte? Längerer Heimaufenthalt vermutlich. Ich hatte damals noch mit meinem Ex zusammengewohnt. Ihm hatte ich nichts erzählt, obwohl ich an dem Abend völlig am Ende gewesen war.

Bowling hätte mich verstanden. Bowling kannte sich mit Gewalt ziemlich gut aus. An dem Abend in Evas Küche hatten wir bis zum Morgengrauen über Gott und die Welt geredet – irgendwann sogar über Bowlings gottlose Vergangenheit. Er hatte mit drei anderen Skins einen Punker halb tot geschlagen, dafür war er in den Knast gekommen. Wie sollte man auf so was klarkommen? Gleich darauf hatte er dann aber auch von seiner Reue erzählt, die ihm sein ganzes verdammtes Leben bleiben würde, und beschrieben, was er nach dem Knast alles in Bewegung gesetzt hatte, um die Tat wieder gutzumachen. Soweit das überhaupt ging: Sozialprojekte, Vorträge an Schulen, anderen aus irgendwelchen Scheißstadtvierteln immer wieder seine Geschichte erzählen … Seine Reue war echt. Das hatte ich an diesem Abend direkt gewusst und das wusste ich auch jetzt noch. Eben deshalb, weil ich mich mit der falschen Reuenummer und überhaupt mit Schlägern bestens auskannte. Bei uns zu Hause wurde auch ab und zu geflennt und bereut, und dann ging es lustig von vorn los.

Ich knüllte das Packpapier zusammen, stopfte es in den Altpapiermüll in der Küche und nahm Rosenbergs Buch mit zum Bücherschrank, wo schon die anderen Bücher von ihm standen. Das gute alte Buch, so schlicht, noch nicht mit einem so anbiedernden Sozialpädagogentitel wie: Wir können das klären. Nein, einfach nur: Gewaltfreie Kommunikation – Eine Sprache des Lebens. Mein gutes altes Exemplar, in dem ich so viel angestrichen hatte, stand noch in der Wohnung meines Ex. Und da sollte es auch bleiben. Er sollte es ruhig auf dem Zweitbuchmarkt verkloppen. In dieser Wohnung, die eigentlich unsere Wohnung war, aber plötzlich nur noch seine, hatte ich eine Menge Zeug zurückgelassen. Ich wollte lieber nach vorn schauen. Ich wusste noch genau, welche Stellen ich angestrichen hatte. Zum Beispiel das Gedicht von Ruth Bebermeyer am Ende des Vorwortes. Die letzten Zeilen kannte ich immer noch auswendig:

Wenn es so schien, als würde ich dich niedermachen,

Wenn du den Eindruck hattest, du wärst mir egal,

Versuch’ doch bitte, durch meine Worte

hindurch zu hören

Bis zu den Gefühlen, die wir gemeinsam haben.

Kapitel 2

Der erste Auftrag

Bowling, 4. Februar 2020

Verdammt, warum hatte ich mich nur von Tanja zu dieser Detektivbüroidee hinreißen lassen? Ich wusste doch genau, dass so eine Scheiße auf mich zukam. Aber was machte man nicht alles, wenn man keinen Plan hatte. Das kannte ich von früher: Hatte man keinen Plan, beschloss man trotzdem einen Plan, war er noch so unsinnig und aussichtslos. Hauptsache, man war nicht planlos.

Dazu kam, dass Tanja irgendwas hatte, was mir zuvor noch nie begegnet war. Ich hatte immer nur Freundschaften und Beziehungen zu eher schwachen, unsicheren Frauen gehabt, die froh gewesen waren, so einen harten Kerl wie mich an ihrer Seite zu haben. Harter Kerl. Wenn die gewusst hätten, was wirklich immer in mir abging. Was war denn überhaupt schon ein harter Kerl? War es hart, sich in aller Öffentlichkeit am Sack zu kratzen, dazu auf den Boden zu spucken und bei jeder Bedrohung Prügel anzudrohen? War das wirklich ein harter Kerl? Zumindest glaubten das ja viele, die da draußen so breitbeinig wie möglich durch die Gegend liefen. Dabei waren es in Wirklichkeit alles arme Würstchen, schwach, empfindlich und so dünnhäutig, dass sie bei dem kleinsten Dreck sofort an die Decke gingen und zuschlugen. Von wegen harter Kerl! Ich war selbst extrem empfindlich und dünnhäutig. Dünnhäutig, schon ein komisches Wort, aber irgendwie musste man ja diesen Zustand der Gereiztheit beschreiben, wobei ich dünnnervig eigentlich passender fände – oder schlicht und einfach nur dumm. Denn Menschen, die sich wegen der geringsten Kleinigkeit aufregten, dann zuschlugen und sich damit ihr ganzes Leben versauten, waren unabhängig von ihrer Dünnhäutigkeit in allererster Linie erst mal dumm. Genauer gesagt: Saudumm, so wie ich es war. Wenn es doch nur nicht so viele Dinge gäbe, die einen immer wieder aus der Haut fahren ließen … dann wäre alles halb so schlimm.

Egal, ich wollte mich bemühen, ruhiger zu werden, auch wenn es mir nicht leicht fallen würde, da musste ich mir nichts vormachen. Mir nicht, aber Tanja. Mit der ich hier seit Stunden in ihrer scheißkleinen unbequemen Öko-Karre saß, vor diesem hässlichen 60er-Jahre-Mietshaus. Nur, um von einem spießigen Fremdgänger ein paar sogenannte In-flagranti-Bilder zu schießen, also, wie er aus dem Haus von seiner Geliebten kam. Ausgerechnet auch noch in Königstein! Super, warum hatten wir eigentlich nicht gleich ein Paparazzi-Büro aufgemacht? Wenn die mich angerufen hätten, scheiße, da hätte ich gesagt: Macht euren privaten Scheiß doch allein. Fickt doch halb Königstein. Von vorn und von hinten und sonst wo.

»Ich wollte einen Mord, verdammt noch mal.«

Jetzt drehte sie sich um.

»Wie meinst du das?«

»So, wie ich es sage. Ich will einen richtigen Fall und nicht stundenlang in einem halbschwulen Hybridauto sitzen, um eins der größten Arschlöcher des Taunus zu observieren. Detektivarbeit habe ich mir echt anders vorgestellt.«

»Hui, immerhin hast du schon ein weiteres Fremdwort gelernt, observieren, toll, du machst dich. Und hör verdammt noch mal auf, schwulenfeindliche Ausdrücke zu verwenden!«

Wenn die wüsste, dass Chui auf Russisch Schwanz hieß. Haha. Das klang wie Hui und sollte man möglichst nicht zu den falschen Leuten sagen.

»Hast wohl ’nen Duden heute Morgen gefrühstückt.«

Oh, aus welcher lahmen Comedyshow hatte sie das denn? Nein, ich ahnte schon, von wem.

»Nee, ich habe gestern Abend mal kurz an deinem Abi geleckt, Mäuschen.«

»Noch mal Mäuschen, Bowling, und es schallert. Und zwar fürchterlich, verstanden?«

Das glaubte ich ihr nicht, mochte ich aber.

»Sorry, war blöd, hast recht, trotzdem nervt’s mich wie die Sau, hier im Dunkeln vor dem Haus zu stehen, nur um drauf zu warten, dass dieses Immobilienarschloch aus der Wohnung dieser Instagram-Schlampe kommt.«

»Du weißt doch gar nichts über sie! Was soll also das Macho-Getue, nach dem Motto: Er ist der coole Hengst oder was, nur weil er Kohle hat, oder wie? Und sie die Schlampe? In welcher Welt lebt ihr eigentlich, ihr Kerle?«

»Er? Er geht mir am Arsch vorbei. Was mir aber nicht am Arsch vorbeigeht, ist, dass wir hier schon seit Stunden in deiner Karre sitzen, es immer kälter wird und ich mir hier die Eier abfriere, während er sie da drinnen geleckt bekommt.«

»Würdest du jetzt bitte mal deinen YouPorn-Kanal abschalten, mir wird schlecht?!«

»Aber ist doch so, Tanja. Apropos Abschalten oder Einschalten: Vielleicht können wir doch mal kurz die Heizung …«

»Nein, dann müsste ich den Motor anlassen, Bubi. Große Sprüche, aber nicht in der Lage, mal ein bisschen zu frieren. Über Eier reden, aber keine haben … Ach, egal, ich möchte mir weder die Eier von diesem reichen Idioten vorstellen noch deine. Geht das in deine rasierte Birne rein oder brauchst du’s als Wadentattoo?«

Ich wusste, dass sie jetzt grinste. Hätte ich ihr das bloß nie mit dem Wadentattoo erzählt. Je mehr man von sich erzählte, umso verletzbarer wurde man, hatte ich zumindest irgendwo mal gelesen. Keine Ahnung, wo, vermutlich beim Arzt, in der Apotheken Umschau oder bei Paolo Coelho. Egal, zu spät. Ich würde zukünftig vorsichtig sein mit dem, was ich ihr von mir erzählte.

»Ja, verstanden, beruhig dich.«

»Erst du.«

Sie saß so gerade, als würde sie heimlich eine Yoga-Übung machen.

»Weißt du was?«

»Was?«, fragte sie, immer noch in dieser Yoga-Haltung.

Gleich war Schluss damit, wetten?

»Wenn er zum Beispiel seiner Frau ab und zu mal ’ne teure Cellulitis-Creme kaufen würde, dann müsste er sich vielleicht keine Jüngere mehr suchen.«

Oha, sie atmete. Tief ein und wieder aus.

»Super witzig! Fast intellektuell, Bowling. Wohl gestern Nacht wieder zu viele Serdar-Somuncu-Videos gesehen? Auf den stehst du doch, oder?«

»Es muss doch einen Grund geben, warum er seine Frau betrügt, oder?«

»Bei Kerlen wie dem hängt der Grund zwischen den Beinen, fertig. Kennst du doch, oder?«

»Hab’s kapiert, Alice. Trotzdem frag ich mich, was uns das hier bringen soll.«

»Kann ich dir sagen.«

»Dann sag’s schon.«

»2.500 Euro.«

»Was? Habe ich richtig gehört? 2.500 Euro?«

»Ich kann dir’s gerne auch noch in Pfund oder Yen umrechnen, wenn du magst.«

»Du hast seiner Alten echt 2.500 Euro abgeknöpft, nur dafür, dass wir ihren Mann hier in flagranti mit oder in seiner Tussi erwischen und Bilder davon schießen, wie er gerade mit offenem Hosenstall aus der Haustür rauskommt?«

»Die Zweieinhalb gibt’s auch ohne offenen Hosenstall, übertreib nicht immer so, Bowling. Wie spät ist es eigentlich?«

Diese Öko-Karre hatte noch nicht einmal eine funktionierende Uhr. Vom Radio ganz zu schweigen.

»Kurz vor fünf. 2.500 Euro. Wow! Dafür kann er sie von mir aus ruhig noch ’ne Runde vögeln. Die Nacht ist eh im Arsch für uns.«

»Du bist so ein Depp, unglaublich … Pscht … siehst du?«

Ja, das Licht im Treppenhaus war angegangen. Vielleicht passierte jetzt endlich was.

»Das könnte passen. Seine Frau hat gesagt, er kommt in letzter Zeit immer gegen halb sechs nach Hause. Von hier ist es gut eine halbe Stunde bis zu seiner Villa, habe es gecheckt. Halt dich bereit! Hast du die Kamera?«

»Was machen wir, wenn er uns sieht?«

»Dann küsst du mich.“

»Spinnst du?«

»Du sollst doch nur so tun, umarme mich einfach und leg deinen Kopf an meinen.«

»Okay. Das krieg ich gerade so hin.«

»Und dabei knipst du vorsichtig über meine Schulter, aber ohne Blitz, verstanden?«

»Bin ja nicht blöd.«

»Achtung!«

Die Tür ging auf. Der Typ kam gerade auf uns zu, als wären wir sein Taxi. Also los, Tanja und ich umarmten uns. Ich mochte ihr Parfüm (oder war das Deo?), nur war das Ganze ein bisschen zu nah, alles, na egal, und … jetzt.

»Du Idiot, ich habe doch gesagt, ohne Blitz!«

Sie mochte also Serdar Somuncu nicht. Dabei hatte der ziemlich viel in der Birne. Mehr als ihr Ex. Der wollte auch Comedian werden. Quatsch, eigentlich Unternehmensberater. Gleichzeitig gab er immer damit an, wo er überall schon gelebt hatte, London und irgendwo in Schweden, deswegen war er noch lange nicht lustig. Keine Ahnung, warum ich ausgerechnet daran dachte. Wenn niemand redete, musste ich immer ziemlich schnell denken. Und viel. Auch viel Scheiße. Hauptsache, es war was los in der Birne. Wann es wohl hell werden würde? Und wo fuhren wir jetzt eigentlich hin? Ich musste nachher noch ins Training, Probeunterricht geben. Selbstverteidigung für Frauen. Schnupperunterricht wollte ich das nicht nennen. Was dachte man sich bei diesem Namen? Es roch sowieso schon immer so komisch in der Halle …

»So still? Dir fällt wohl nichts mehr ein?«

Ich sollte lieber schweigen.

»Sonst redest du doch wie ein Wasserfall, ha, wie alle drei Niagarafälle zusammen, bevor sie ausgetrocknet sind, weil das Klima …«

»Die sind nicht ausgetrocknet, das waren die Victoriafälle. Und das war nur ein Fake.«

»Haha, hast du dein umfassendes Wissen aus dem N-TV, der Focus oder der BILD?«

Die Ampel war rot, das hatte sie nicht gesehen. Einer von uns sollte möglichst den Führerschein behalten.

»Wie wär’s, wenn du ein bisschen langsamer …«