FriesenGlut - Nané Lénard - E-Book + Hörbuch
NEUHEIT

FriesenGlut E-Book und Hörbuch

Nané Lénard

4,0

Der Titel, der als Synchrobook® erhältlich ist, ermöglicht es Ihnen, jederzeit zwischen den Formaten E-Book und Hörbuch zu wechseln.
Beschreibung

Wat’n Vörloop … Hemelheergott, Neuharlingersiel! De Hell is explodert! Oh weh, so’n Schrick! Eine Rauchsäule auf Langeoog und das am frühen Morgen … Oma Pusch weiß sofort, dass das ein schlechtes Omen ist. Und sie soll recht behalten, denn nur kurze Zeit später muss sie am Hafen Erste Hilfe leisten. Dass es der Camper vom Stellplatz dann doch nicht schafft und seine Ehefrau verschollen bleibt, wundert die Hobbyermittlerin ebenso wenig wie die Leiche im Sieltief. Doch das ist nur der Anfang einer unglaublichen Geschichte, in der ihre Freundin Rita und sie alles geben, um den schrecklichen Ereignissen auf die Spur zu kommen. Und eins ist dabei nicht nur der hochbetagten Marga klar: De Düvel hett alltid sin Hand in d’ Spill!

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern
Kindle™-E-Readern
(für ausgewählte Pakete)

Seitenzahl: 395

Das Hörbuch können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS

Zeit:8 Std. 45 min

Sprecher:Nané Lénard

Bewertungen
4,0 (1 Bewertung)
0
1
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Alles darf nicht so ernst genommen werden!

Im Verlag CW Niemeyer sind bereits folgende Bücher der Autorin erschienen:SchattenHautSchattenWolfSchattenGiftSchattenTodSchattenGrabSchattenSchwurSchattenSuchtSchattenGierSchattenZornSchattenQualSchattenSchuldSchattenSchneeFriesenNerzFriesenGeistFriesenSpielFriesenLustFriesenSchmutzFriesenFlutFriesenWitzFriesenBissKurzKrimis und andere SchattenSeitenWeihnachtsanektötchen aus dem Weserbergland

Der Roman spielt hauptsächlich in bekannten Regionen, doch bleiben die Geschehnisse reine Fiktion. Sämtliche Handlungen und Charaktere sind frei erfunden.Bibliografische Information der Deutschen NationalbibliothekDie Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet abrufbar über https://www.dnb.de© 2024 CW Niemeyer Buchverlage GmbH, Hamelnwww.niemeyer-buch.deAlle Rechte vorbehaltenUmschlaggestaltung: C. RiethmüllerDer Umschlag verwendet Motiv(e) von 123rf.comEPub Produktion durch CW Niemeyer Buchverlage GmbHeISBN 978-3-8271-9773-3

Nané LénardFriesenGlut

Für Tamara

Prolog

Oma Pusch (siehePersonenregister am Ende des Buches) traute ihren Augen nicht. Da stand sie doch eben noch an ihrem Dachfenster in der Küche und ahnte nichts Böses …

Es war ein herrlicher Frühlingstag kurz vor Pfingsten. Sie wollte einfach den Augenblick genießen, während sich die Sonne vor Neuharlingersiel in der Nordsee spiegelte. Alles schien in Ordnung zu sein. Die Möwen kreischten wie immer. Irgendwo tuckerte ein Schiffsmotor, und von ferne schlich sich das Tuten eines großen Pottes in ihr Ohr. In der Hand hielt sie – wie sollte es anders sein – einen Ostfriesentee, mit Sahne und Kluntje. Ein perfekter Wohlfühlwachmacher! Das Gebräu dampfte in ihrer Hand, während sie aus ihrer Dachluke aufs Meer blickte und vor sich hinträumte.

Doch mit einem Mal gab es einen irre lauten Knall, der sie zusammenzucken ließ. Fast zur selben Zeit bahnte sich eine enorme Rauchsäule über Langeoog ihren Weg in den Himmel. Tausend Dinge schossen der Hobbyermittlerin durchs Hirn. Da war auf der einen Seite ihre Tochter, die eine Arztpraxis auf der Insel betrieb, aber auch ihre Freunde Martin von Schlechtinger und dessen Frau Annemarie. Oma Pusch hatte plötzlich ein ganz ungutes Gefühl. Doch diese Eruption aus der Hölle sollte nur das Zeichen für eine Reihe schrecklicher Ereignisse sein. Wie sagte man so schön: ein Omen!

Eine Bombe?

Oma Pusch stellte ihre Teetasse ab. Die Hälfte hatte sie ohnehin bei der Explosion in ihrem Spülbecken verschüttet. Es war jetzt keine Zeit mehr zum Teetrinken, ja, sie fand nicht mal welche, um ihre Freundin Rita anzurufen. Kopflos und voller Sorge lief sie die Stufen der Hafenkneipentreppe im „Dattein“ hinunter, über der sie ihre Wohnung hatte. Sie war einfach so losgerannt. Noch in Puschen erreichte sie den Kai unter der Hafenpromenade und lief in Richtung Anleger. Vielleicht wusste man da schon was.

Obwohl er in Sichtweite lag, musste Oma Pusch eine Runde um den Hafen herumlaufen, da sie leider nicht übers Wasser gehen konnte und es keine Brücke gab. Atemlos gelangte sie zunächst zum Ostanleger. Dort befand sich ein kleiner Wohnmobilstellplatz, den der alte Fischer Hinnerk während der Saison betreute, und der wusste eigentlich immer was. Doch diesmal hatte Oma Pusch Pech.

„Moin, Lotti“, freute er sich, als er sie entdeckte, machte dann aber ein besorgtes Gesicht. „Boah, hast du das gesehen? Die Insel ist explodiert. Meinst du, das war ’ne Bombe?“

„Moin, nee, eher nicht, aber ich hoffte eigentlich, du könntest mi wat vertellen“, seufzte sie.

„Dat was de Düvel“, krächzte es plötzlich von der Seite. Die alte Marga tauchte auf, ohne dass man ahnte, woher die fast Hundertjährige gerade mit ihrem Rollator gekommen war. „Een Pott ut de Hell is hooggeiht! Daar waar all Sünners bullern.“

Wider Willen musste Oma Pusch lachen. Die Vorstellung, dass ein Kochtopf voller gequälter Sünder in der Hölle hochgegangen sein sollte, war wirklich zu köstlich.

„Mann, ich hab hier echt andere Sorgen“, stöhnte der alte Fischer und hinkte zu einem der Wohnmobile. „Drei Tage darf man hier nur stehen, und der da“, er zeigte auf einen Kastenwagen, „der Kerl hat schon überzogen. Wahrscheinlich ist er auf Spiekeroog. Wenn der morgen nicht aufmacht oder verschwunden ist, lasse ich ihn abschleppen.“

„De Düvel is allerwegens“, mahnte Marga, was so viel bedeutet wie: Der Teufel ist überall. Und das wusste sie genau.

Dann schob die Hochbetagte ab.

Oma Pusch überlegte, ob das auch für Nordseeinseln oder Wohnmobile galt. So ein Teufel steckte ja manchmal auch in jemandem drin, der dann Böses machte. Aber sie verwarf den Gedanken. Margas Spinnereien steckten schon an. Es musste doch nicht hinter allem immer eine kriminelle Tat lauern …

„Ich komm noch mal wieder“, rief sie Hinnerk zu und rannte am Sportboothafen vorbei zum Anleger, denn dort war schon die Spiekeroog IV zu sehen, kurz vor dem Ankern.

Es musste doch wahrlich mit dem Teufel zugehen, wenn die an Bord noch nichts wussten, obwohl sie Funkverkehr hatten.

In ihrer Eile nahm unsere Kioskbesitzerin Charlotte Esen, genannt Lotti oder Oma Pusch, keine Rücksicht auf aussteigende Passagiere. Sie hatte nur eins im Kopf: schnellstmöglich zu Kapitän Thorbjörn Janssen zu gelangen.

„Huhu, Lotti“, rief Lina Hansen ihr zu, als sie sich vorbeidrängte und dabei einen Schlappen verlor.

Oma Pusch winkte nur und war schon um die Ecke.

Kopfschüttelnd hob Lina den Plüschpuschen auf und steckte ihn in ihre Tasche, aus der es wohlig brummte. Was sollte das denn, dass die Lotti nicht stehen blieb? Und wieso rannte sie hier in Hausschuhen rum? War die Freundin ihrer Nachbarin Rita jetzt plemplem geworden? Dem kleinen Schoßhündchen Luzi, den Lina immer mit sich in einer Tragetasche herumtrug, gefiel das neue Spielzeug. Es war weich, roch herrlich nach Schweißmauken und lud daher zum Knabbern ein.

Oma Pusch schleuderte kurz vor der Brücke auch noch den zweiten Pantoffel vom Fuß. Die waren eh fällig, reif für die Mülltonne und barfuß lief es sich allemal besser. Dann stürmte sie durch die Tür. Dort stieß sie auf einen verdutzten Thorbjörn, der – etwas beleibt – tatsächlich wie ein Bär aussah oder mit seinem roten Rauschebart auch als Vollblutwikinger durchgehen konnte. Er war einer ihrer Stammkunden und wusste ihre Rollmopsbrötchen mit Pfiff zu schätzen.

„Na, na, na“ sagte er gutmütig und lächelte. „So in Eile, die Dame, mir leckere Rollmopsbrötchen zu bringen. Ich wär doch nachher auch zum Kiosk gekommen.“

Oma Pusch schnappte nach Luft. Sie war nicht mehr die Jüngste.

„Nee … äh … Langeoog, die Explosion“, sie hustete, „wisst ihr da was?“

Thorbjörn lachte schallend und hielt sich den Bauch.

„War ja klar, Lotti, dass es dir nur darum gehen konnte, wieder ermittlerisch tätig zu werden.“ Sein Blick wanderte unweigerlich nach unten zu ihren nackigen Zehen. „Aber muss ich mir Sorgen machen? Läuft der Kiosk so schlecht, dass du untenrum blank gehen musst, oder ist das die neue Mode?“ Er grinste frech. „Wegen Langeoog kann ich dir wenig helfen. Fiddi von der anderen Fähre funkte nur, dass da wohl ein Gebäude in die Luft geflogen ist. Ich schätze aber, das wird sich bald rumsprechen. Wirst dich wohl in Geduld üben müssen.“

Oma Pusch bedankte sich, aber Thorbjörn sah ihr an der Nasenspitze an, dass sie nicht zufrieden war. Bevor er jedoch ein weiteres Wort sagen konnte, war Lotti Esen schon wieder davongeflitzt. Auf dem Kai fand sie sogar ihren Lammfellpuschen wieder und steckte ihn ein. So schlecht war er noch gar nicht, dachte sie, und vielleicht fand sie den zweiten auch noch. Der allerdings war längst in Linas Tasche den Zähnen von Luzi zum Opfer gefallen.

Als Oma Pusch zum Kurzzeit-Wohnmobilstellplatz zurückkehrte, turtelte Lina gerade mit Hinnerk. Da hatte der den säumigen Camper samt des Knalls doch glatt für einen Moment vergessen. Die beiden schien es nicht weiter zu interessieren, dass da auf der weiter westlich liegenden Insel etwas in die Luft gegangen war. Als sie jedoch entdeckte, was da aus Linas Tasche ragte, wäre sie selbst gerne explodiert. Unfassbar! Da kaute doch der räudige Mistköter am Fell ihrer Pantoffelhacke. Sie sog einmal tief die Luft ein und zählte bis zehn. Dabei erkannte sie mit wehmütigem Blick, dass da nichts mehr zu retten war. Unkommentiert wollte sie das Ganze jedoch nicht lassen.

„Schmeckt’s?“, fragte sie den Mischling, der in ihren Augen wie ein Marabu aussah, was kein Kompliment war. „Hier, nimm den zweiten auch noch. Kann man jetzt eh nichts mehr mit anfangen.“

„Oh“, sagte Lina und sah Oma Pusch verlegen an. „Der lag da auf der Fähre auf den Stufen, und ich dachte …“

„Schon gut“, zischte Oma Pusch. „Ich kauf mir neue.“

„Wenn der Fiffi da schon beigeht, war das wohl auch bitter nötig“, gab Hinnerk seinen Senf dazu und schmunzelte.

Niemand wollte das Thema weiter vertiefen. Es entstand ein Moment der Stille, wenn man das bei Seewind, Möwengeschrei und Meeresrauschen so sagen wollte. Dennoch drang etwas in ihre Ohren. Ein Pochen vielleicht, schwach und arrhythmisch.

„Hört ihr das?“, fragte Oma Pusch.

„Ja“, kam von Hinnerk und gleichzeitig ein „Nee“ von Lina.

Der knabbernde Luzi war zu nah an ihrem Ohr.

„Könnte es ein Klopfen sein?“, überlegte Oma Pusch laut. „Vielleicht klopft wer an die Tür von dem Wohnmobil?“

Sie zeigte auf den verwaisten Camper, von dem der alte Fischer vorhin gesprochen hatte.

Hinnerk spitzte die Ohren und hielt eins direkt an den Wagen. „Das müsste doch lauter sein“, gab er zu bedenken. „Ich hab doch da vorhin angeklopft. Guck mal: So!“

Er hämmerte mit der Faust dagegen und lauschte dann.

Wieder vernahmen sie ein leises Geräusch, das schwer einzuschätzen war.

„Könnte doch sein, dass da einer drin liegt und Hilfe braucht“, führte Oma Pusch an.

„Nee, das glaube ich nicht, die waren zu zweit“, erklärte Hinnerk. „Ein Ehepaar aus Bayern. Wenn einem von beiden was passiert wäre, hätte der andere doch Hilfe holen können.“

Oma Pusch zuckte mit den Schultern. „Ist ja deine Verantwortung“, stellte sie fest. „Aber ich denke, dein neuer Job ist bald Essig, wenn man dir unterlassene Hilfeleistung vorwerfen wird.“

Schlagartig wurde Hinnerk puterrot im Gesicht. „Menno, ich habe doch … Was soll ich machen?“

Oma Pusch stöhnte. „Laat mi mol maaken! Ich rufe meinen Neffen, Oberkommissar Eike Hintermoser, an. Der soll da aufmachen. Wir können die Tür schließlich nicht einfach so von selbst aufbrechen.“

„Machst du doch sonst auch“, winselte Hinnerk. „Du weißt genau, dass ich mit der Polizei nix am Hut habe.“

Oma Pusch ignorierte den Einwurf und versuchte, durch die Fenster des Wohnmobils zu sehen, aber die waren getönt. Man erkannte rein gar nichts.

„Oh nee, nich schon wieder eine Leiche“, rief Lina und dachte an den verblichenen Bertil Bolle vom letzten Jahr. Ihr wurde ganz schummerig. „Was bin ich froh, dass ihr nicht mal probiert, ob sich die Schiebetür öffnen lässt.“

„Genau das machen wir jetzt“, sagte Oma Pusch und warf Lina einen anerkennenden Blick zu.

Dann zog sie am Öffner, der butterweich nach- und den Weg ins Innere freigab, als sie ihn nach links schob. Jedenfalls fast, denn auf dem Boden im Gang lag eine bedauernswerte Gestalt.

Lina wollte den Blick auf die Glatze missverstehen.

„Nee, nee, der Mann lebt noch“, rief Oma Pusch schnell, damit Luzis Frauchen nicht wieder aus den Latschen kippte. Sie selbst hatte nicht mal welche an, aber ein Mensch – tot oder lebendig – hätte unsere Hobbyermittlerin eh nicht umgehauen. Nun aber war schnelles Handeln angesagt. Aus dem Mund des Bayern kam nur noch ein schwaches Röcheln. Fast meinte sie, dass er etwas sagen wollte.

„Los, Hinnerk! Nun steh da nicht rum wie Piksieben! Ruf endlich die Rettung“, schnauzte sie den ollen Fischer an.

Es dauerte fast eine Viertelstunde, bis Hilfe vor Ort war. Die Minuten waren wie eine zähe Masse zerronnen, wie immer, wenn man auf etwas wartete. Da zeigte sich, dass Zeit tatsächlich relativ war. Währenddessen hatte Oma Pusch ihr Möglichstes gegeben und dem inzwischen bewusstlosen Mann sogar eine Herzmassage verpasst.

„Sag mal, wieso roch das im Wohnmobil nach faulen Eiern?“, erkundigte sich Hinnerk verwundert.

„Das ist mir doch jetzt egal“, fauchte Oma Pusch. „Ich gebe alles, um deinen Kunden hier am Leben zu erhalten.“

Lina war das Szenario trotzdem zu viel gewesen. Sie hatte sich mit Klein Luzi und Lottis abgelatschten Puschen auf den Weg nach Hause gemacht. Sicher war sicher. Außerdem musste sie doch ihrer Nachbarin Rita von den Geschehnissen berichten. Die war schließlich Oma Puschs Busenfreundin.

„Du, der ist ganz still geworden“, zischte Hinnerk mit einem Mal von der Seite, als endlich das Martinshorn in der Ferne zu hören war.

Oma Pusch hielt inne und fühlte den Puls des Mannes. Dann seufzte sie. Im selben Augenblick fuhren Notarzt und Rettungswagen vor. Sie gab den Weg frei und beobachtete gemeinsam mit Hinnerk, wie die Sanitäter alle Register zogen, um den Touristen wiederzubeleben. Leider hielten sie die Türen geschlossen, nachdem sie ihn in den Wagen gebracht hatten, und fuhren los in Richtung Wittmund, weswegen keiner der Umstehenden mitbekam, wie die Sache ausging. Mittlerweile hatte sich eine Traube von Schaulustigen gebildet, die sich nur zögerlich auflöste, obwohl eigentlich gar nichts mehr los war.

„Kein Blaulicht, kein Horn. Sieht wohl nich gut aus“, flüsterte Hinnerk irgendwann in Oma Puschs Ohr und riss sie aus ihren Gedanken.

Die saß immer noch wie benommen auf einem der Poller.

„Ich hab aber keine Verletzungen gesehen“, fügte er noch hinzu, als sie so gar nicht reagierte.

„Ich auch nicht“, erwiderte sie und seufzte, „aber das hilft uns ja nicht weiter. Wir wissen weder, was er hatte, noch, was passiert ist.“

„Können wir uns auch nich weiter drum kümmern“, sagte er und ging zum Wohnmobil. „Aber was ist mit der Frau? Und was mache ich mit dem Camper? Der kann ja nu auch nich ewig hier stehen bleiben.“

Als Hinnerk die Tür des Wagens wieder schließen wollte, stutzte er. Dann steckte er seinen Kopf hindurch und schnüffelte.

„Also, du kannst mir sagen, was du willst, aber hier müffelt es, als hätte der Düvel einen Furz gelassen. Komm doch mal her, Lotti.“

Mühsam raffte sich unsere Kioskbesitzerin auf und folgte dem Fischer. Dann hielt sie selbst ihren Rüssel ins Innere.

„Ja, pfui Teufel, du hast recht“, rief Oma Pusch laut. „Faule Eier oder Schlimmeres müssen da drin sein. Dabei war der Mann doch noch gar nicht tot.“

„Entschuldigung“, mischte sich ein Campingnachbar besorgt ein. „Wenn es so riecht, könnte es ein Leck in der Gasversorgung sein. Sind denn die Flaschen abgedreht?“

„Um Himmels willen!“, fluchte Hinnerk. „Woher soll ich das wissen. Ich habe keine Ahnung, wo sich die befinden.“

„Darf ich vielleicht helfen?“, erkundigte sich der Nachbar. „Dann wissen wir es gleich.“

Hinnerk nickte und trat ein paar Schritte zurück. Bei Gas konnte man ja nie wissen. Glücklicherweise waren auch die Hecktüren des Kastenwagens nicht verriegelt.

„Dachte ich es mir doch“, hörten sie, während sich der Mann hinter einer kleinen Tür damit beschäftigte, das Ventil zu schließen.

„So was kann leicht nach hinten losgehen. Im wahrsten Sinne des Wortes“, orakelte er. „Ich hoffe, der Eigentümer des Wohnmobils kommt durch.“ Er hatte die Rettungsaktion sorgenvoll beobachtet.

Hinnerk und Oma Pusch ließen ihn im Ungewissen. Sicher wussten sie ja selbst nicht, ob ihre Vermutung stimmte, dass es die Sanitäter nicht mehr eilig gehabt hatten, weil es nicht mehr nötig gewesen war.

„So viel Gas ist doch gar nicht in so einer kleinen Flasche“, brabbelte Oma Pusch vor sich hin und ließ Hinnerk samt Helfer einfach stehen.

Okay, das hier war augenscheinlich kein Mord gewesen, eher Dusseligkeit, aber die Sache hätte hochgehen können. Und eine zweite Explosion an diesem Tag wäre zumindest verwunderlich gewesen.

Grübeln

Der arme Hinnerk blieb also mit dem freundlichen Helfer stehen und war innerlich in Unruhe. Solche Komplikationen konnte er bei seinem neuen Sommerjob nicht gebrauchen. Er hatte gedacht, dass er nur herumschlendern, Müll leeren, nach dem Rechten sehen und abkassieren konnte. Fertig, aus! Aber dass er sich nun um einen verwaisten Wagen von sechs Metern Länge kümmern sollte, damit hatte er nicht gerechnet. Nun, vielleicht würde die Ehefrau, Freundin oder – wie sagte man da unten so schön – das Gspusi des Hinterwäldlers wieder auftauchen. Den hatte er schon bei der Ankunft kaum verstanden. Hinnerk fragte sich, wie es einem gelingen konnte, mit einem Socken im Mund zu sprechen. Wenigstens hörte sich das bajuwarische Gebrabbel so an. Für ihn klang es genauso ausländisch wie das Gekrächze von Oma Puschs Papagei Ronny, nur in einer anderen Variante. Die Tussi konnte sich jedenfalls auf was gefasst machen, wenn er sie zu Gesicht bekam.

„Brauchen Sie mich noch?“, fragte der Campingnachbar und riss Hinnerk aus seinen Gedanken.

„Im Moment nicht, danke“, sagte der alte Fischer, „aber wenn noch mal was ist, melde ich mich.“

„Okay, wir sind aber nur noch bis morgen hier“, erklärte der Mann, „dann sind unsere drei Tage um.“

„Ich könnte ein Auge zudrücken, weil sie uns geholfen haben“, flüsterte Hinnerk leise. „Bleiben Sie ruhig noch. Ist ja Vorsaison.“

„Oh, das ist aber sehr nett von Ihnen“, freute sich sein Gegenüber. „Ich bin übrigens der Rudi. Wenn du heute Abend ein Bier mittrinken willst, komm einfach rum.“

„Hinnerk“, erwiderte der Platzwart und zeigte auf sich selbst. „Auf ein Bier schlender ich gerne hier vorbei.“ Dann winkte er zum Abschied.

Beinahe hätte er übersehen, dass da in Windeseile eine Frau mit kunterbuntem Fahrrad auf ihn zugerast kam. Rita! Im letzten Moment konnte sie stoppen und sprang aus dem Sattel.

„Ham wir etwa einen neuen Mord?“, wollte sie keuchend wissen. „Los, raus mit der Sprache! Und wo ist Lotti?“

Wider Willen musste er lachen.

„Danke, dass du mich nicht über den Haufen gefahren hast“, antwortete er, „aber ich muss dich enttäuschen. Von Mord ist hier keine Rede. Wir wissen noch nicht mal, ob wer wirklich tot ist. Tja, und die gute Lotti ist daraufhin abgedampft. War wohl nicht interessant genug. Ich denke, du findest sie im Kiosk.“

Ernüchtert zuckte Rita mit den Schultern, stieg wieder auf und radelte einmal rund um den Hafen herum. Das war zwar eigentlich unerwünscht, aber da nur wenige Menschen unterwegs waren, tat sie es trotzdem. Am Kiosk ihrer Freundin hielt sie an und parkte ihren Drahtesel. Dann stürmte sie durch die Tür.

„Moin, Rita“, sagte Oma Pusch, nicht gerade bester Laune, und hantierte an der Kaffeemaschine herum. Überall passierte was, und sie wusste nichts von den Hintergründen. Oder die Sache gab nichts her.

„Moin, Lotti, sitzt dir was quer?“, erkundigte sich Rita, die die Situation sofort richtig einzuschätzen wusste, kaum, dass sie durch die Tür war.

„Ich grübele“, gab Oma Pusch zu. „Aber ich komme zu keinem Ergebnis, weil ich nicht genug über solche Sachen weiß.“

„Vielleicht kann ich dir helfen?“, hakte Rita vorsichtig nach.

„Wohl nicht“, vermutete Oma Pusch, „denn ich glaube, dass du kein Profi im Campen bist.“

„Also, ich bin früher mal mit meinen Eltern zelten gewesen …“, begann sie.

Aber Oma Pusch winkte ab.

„Ich meine richtiges Camping mit so einem lieferwagenähnlichen Gefährt, wo Bett, Bad und Küche drin sind“, erklärte sie, „also quasi eine Ferienwohnung auf vier Rädern.“

„Nee, damit kenne ich mich wirklich nicht aus“, bedauerte Rita. „Aber kannst du mir erst mal sagen, worum es geht?“

„Setz dich“, bat Oma Pusch, schenkte ihrer Freundin Kaffee ein und erzählte ihr, was am Morgen so alles passiert war. Rita bekam immer größere Augen und starrte auf den Boden.

„Was ziehst du denn jetzt zu Hause an?“, fragte sie. „Der Fiffi wird die Pantoffeln doch nicht wieder rausrücken, und wenn doch, sind sie bestimmt hin.“

„Ist das deine größte Sorge?“, erkundigte sich Oma Pusch und lachte jetzt.

„Klar, ich will doch nicht, dass du kalte Füße kriegst“, beteuerte Rita.

„Erstens hab ich dicke Socken und zweitens brauche ich die mit Lammfell erst wieder im Herbst“, erklärte Oma Pusch. „Die viel dringendere Frage ist aber doch: Warum stirbt einer in seinem eigenen Wohnmobil, nur weil das Gas aufgedreht ist? Das muss es doch beispielsweise, wenn man kochen will. Und würde das einfach so ausströmen, dann ginge das gesamte Gefährt in die Luft, sobald du den Herd anmachst. Irgendetwas stimmt da also nicht.“

„Wir müssen wen fragen, der sich damit auskennt“, schlug Rita vor.

„Komm mit“, sagte Oma Pusch, „ich wüsste wen.“

Schnurstracks verließen die beiden Frauen den Kiosk und gingen in Richtung Campingplatz, wo Hobby-Hotte schon seit Jahrzehnten in seinem Wohnwagen hauste.

Heute schafften sich die Leute für teuer Geld Tiny-Häuser an, aber Hotte hatte es schon immer gewusst: Das Beschränken auf ein Minimum machte maximal glücklich! Er besaß einen Dauerstellplatz direkt hinter dem Deich an einem ruhigen Ort und hatte über die Jahre immer mal auf ein moderneres Modell gewechselt. Wenn einer alles über das Campen wusste, war es Hotte. Und so klopften sie gegen Mittag an die Tür seines Wohnwagens.

Hotte weiß Bescheid

„Moin!“, sagte Hotte im Türspalt und gähnte. „Ewig nich gesehen, Lotti!“ Er kratzte sich seinen Bart. „Was verschafft mir das Vergnügen?“

„Ich dachte, du kämst mal wieder vorbei auf ein Rollmopsbrötchen“, erwiderte Oma Pusch.

„Und deswegen bist du hier, mit Begleitung? Hättest ja der Einfachheit halber auch eins mitbringen können.“ Er lachte laut.

Dabei entwich ihm hinterrücks ein Lüftchen, was Oma Pusch wieder auf den eigentlichen Grund ihres Besuches brachte.

„Ich brauche deine fachliche Expertise in puncto Campen“, erklärte Oma Pusch. „Hast du in deinem Wohnwagen auch Gas zum Kochen?“

„Nicht nur zum Kochen, Lotti, sondern auch zum Heizen oder zum Betreiben des Kühlschranks“, betonte Hotte.

„Ach“, wunderte sich Oma Pusch, „und geht das bei dir auch mit Flaschen oder bist du auf dem Campingplatz irgendwo angeschlossen?“

„Fest angeschlossen bin ich nur mit Strom“, berichtete Hotte. „Gas kriege ich in Flaschen, und die kannst du entweder auffüllen lassen oder tauschen, je nachdem.“

„Wie viel passt denn in so eine Flasche rein?“, erkundigte sich Rita.

„Nu kommt man erst mal nach drinne“, bat Hotte, der eher spärlich bekleidet war. Womöglich war er erst vor Kurzem aus dem Bett gefallen. „Kaffee?“

„Nee, nee, lass man“, antwortete Oma Pusch und Rita nickte. „Wir wollen dich auch nicht lange stören. Uns hat es nur gewundert, wieso es in einem Lieferwagen nach faulen Eiern riecht, nur weil die Gasflaschen nicht zugedreht worden sind.“

„Lieferwagen? Ach, ihr meint so einen Kastenwagen“, beantwortete sich Hotte seine Frage selbst. „Das sind schon richtige Wohnmobile mit allem Drum und Dran. Natürlich gibt es noch die sauteuren, aufgemotzten. Nach oben hin gibt es preislich keine Grenzen, aber diese kleinen, flotten haben im Grunde genommen alles, was so ein Luxusteil auch hat.“

Die beiden Frauen nickten.

„Bei den Kastenwagen sind die Gasflaschen meist am Heck hinter einer kleinen Tür. Zwei Stück passen da rein mit 22 Kilo Flüssiggas. Komprimiert halt. Das ist schon eine ganze Menge.“

„Ja, und wie geht das nun? Du drehst einfach auf, und dann?“, hakte Oma Pusch nach.

„Ganz einfach“, begann Hotte, „du drehst hinten die Flasche auf, das Gas kann in die Leitungen strömen, und wenn du dann beispielsweise kochen willst, drückst du hier den Drehknopf am Herd runter und gleichzeitig die Piezozündung. Schon hast du eine Flamme wie auf einem stinknormalen Gasherd. Guck mal: So!“ Hotte tat wie beschrieben, und schon tanzten kleine blau-orange Flämmchen vor ihren Augen.

„Okay“, sagte Oma Pusch, „kann man die auch auspusten?“

Hotte sah sie verwundert an.

„Wieso das denn?“

„Nehmen wir mal an, es will sich jemand umbringen“, überlegte Oma Pusch laut, „dann bräuchte er doch nur die Flamme auszublasen, und das Gas würde weiter ausströmen.“

„Unmöglich“, wusste Hotte, „wegen der thermoelektrischen Zündsicherung. Sobald die Gasflamme brennt, wird ein Element aufgeheizt, das Spannung erzeugt und das Ventil öffnet. Sobald die Wärmequelle ausfällt, löst sich die Spannung und das Sicherheitsventil wird mit Hilfe einer Feder geschlossen. Zack! Nix mit Vergasen im Wohnmobil. Du hast vielleicht komische Fragen.“

„Lotti wollte wohl nur sichergehen, dass einem nix passiert, falls zum Beispiel der Wind in den Herd reinfährt“, versuchte Rita abzumildern. „Kann doch leicht passieren, falls man das Fenster offen hat. Das mit dem Suizid war nur ein blödes Beispiel. Stimmt’s, Lotti?“

„Natürlich“, bestätigte unsere Hobbyermittlerin, „wenn man sich mit dem Gedanken trägt, so ein Gefährt auszuleihen, will man doch Bescheid wissen.“

„Ach so“, sagte Hotte erleichtert, „dann ist ja gut. Nee, Lottchen, da musst du dir keine Sorgen machen. Solange die Leitungen intakt sind, kann nix passieren, und damit das gewährleistet ist, gibt es immerhin die turnusmäßige Gasprüfung.“

„Das beruhigt mich außerordentlich“, kam es zufrieden von Oma Pusch. Sie stand auf.

„Wo soll es denn hingehen?“, erkundigte sich Hotte noch, während er die Damen zur Tür geleitete.

Oma Pusch sah ihn verdutzt an.

„Nach Bayern wollen wir“, plapperte Rita dazwischen, denn das war das Erste, was ihr einfiel.

„Genau“, kam nun auch von Oma Pusch, „und noch mal vielen Dank für die Informationen. Hast was gut bei mir. Falls du mal wieder am Hafen bist, lade ich dich herzlich auf ein Rollmopsbrötchen der Extraklasse ein.“

„Immer gerne wieder, Lotti, sofern du noch Fragen hast, melde dich einfach bei mir! Weißt ja, wo du mich finden kannst.“ Hotte winkte zum Abschied an der Tür und verschwand dann wieder im Inneren seiner Behausung.

Als Oma Pusch und Rita außer Hörweite waren, flüsterte die Kioskbesitzerin ihrer Freundin ins Ohr, obwohl niemand lauschen konnte.

„Versuchter Mord, Rita! Das war ein Mordversuch, glaube mir! Jemand wollte dem Mann im Wohnmobil ans Leder und niemand ahnt etwas davon. Das müssen wir ändern!“

Gegen Windmühlenflügel

Die Frühlingssonne wärmte schon, als Oma Pusch mit Rita in Richtung Kiosk ging. Es würden so kurz vor Pfingsten sicher auch schon einige Urlauber vor Ort sein.

„Könntest du eben bei Hinrichs ein paar Brötchen holen?“, fragte Oma Pusch ihre Freundin. „Dann würde ich schon den Kiosk aufschließen und alles vorbereiten. Beim Schmieren und Kaffeekochen überlegen wir uns dann, wie wir weiter vorgehen wollen.“

„Nun mal langsam mit den jungen Pferden“, versuchte Rita sie zu bremsen. „Wenn ich dich richtig verstanden habe, weißt du bislang nicht einmal, ob der Verletzte noch lebt. Denkst du nicht, das müssten wir erst mal herausfinden?“

„Natürlich müssen wir das!“, zischte Oma Pusch ihr zu, „aber allein der Versuch, jemanden umzubringen, ist strafbar. Wir werden also auf jeden Fall ermitteln. Willst du, dass einer so mir nichts, dir nichts einfach davonkommt?“

„Auf keinen Fall“, stimmte Rita zu. „Ich fürchte nur, es wird schwierig werden, überhaupt jemanden zu mobilisieren, der das ebenso als Verbrechen ansieht. Momentan – jedenfalls nachdem, was du mir berichtet hast – könnte das Ganze schlichtweg als Unfall durchgehen. Du müsstest schon einen stichhaltigen Beweis bringen, dass jemand die Leitungen absichtlich beschädigt oder Ventile manipuliert hat. Irgendwas in der Art. Sonst wird sich nichts regen auf der Dienststelle in Esens.“ Sie sah Oma Pusch bedauernd an. „Du kennst doch deinen Neffen und seine Truppe. Manchmal muss man sie erst überzeugen, bevor sie einen Finger rühren. Also, wie stoßen wir sie drauf, dass sie tätig werden?“

Oma Pusch machte ein nachdenkliches Gesicht.

„Siehst du“, fuhr Rita fort. „Das ist das Erste, womit wir uns beschäftigen sollten. Ich geh dann mal Brötchen holen.“

Grübelnd schloss Oma Pusch den Kiosk auf und klappte den Tresen hoch. Ob Hobby-Hotte ein eventuelles Leck in der Gasleitung finden würde? Das war die eine Frage, aber ob er des Nachts mit ihr ein fremdes Wohnmobil betreten würde, selbst wenn es nicht verschlossen war, eine andere. Es war schon heikel, das überhaupt jemandem vorzuschlagen, mit dem man nicht richtig dicke war.

Die Sache würde auch nicht ganz ungefährlich sein, denn um den Schaden zu finden, wäre es notwendig, die Gasflaschen wieder aufzudrehen. Dann jedoch strömte es auch wieder ins Wageninnere. Ganz wohl war ihr bei dem Gedanken nicht. Wer konnte schon wissen, wie schnell es einen umbrachte? Sie wollte ungern bei der Suche nach der Todesursache selbst ins Gras beißen.

„Na, schon einen Schlachtplan?“, fragte Rita und schwenkte die Tüte mit den Brötchen.

„Noch nicht wirklich“, gab Oma Pusch zu.

„Aber ich hätte eine Idee“, erwiderte Rita. „Den Hinnerk kannst du nicht gebrauchen. Was das Technische angeht, hat er keine Ahnung. Hobby-Hotte würde ich nicht einweihen. Bleibt nur Enno. Der kennt sich zwar eher mit einer anderen Art von Schläuchen aus, aber so eine Ader ist auch nicht viel anders als eine Gasleitung. Es geht schlimm aus, wenn beide leck sind.“

„Was für ein Vergleich“, stöhnte Oma Pusch. „Das meinst du doch nicht ernst, oder?“

„Absolut!“, bestätigte Rita. „Vor allem kann er gleich lebensrettende Maßnahmen einleiten, wenn du beim Durchschnüffeln des Innenraums bewusstlos wirst.“

„Super Vorstellung“, schimpfte Oma Pusch. „Mund-zu-Mund-Beatmung von einem Rechtsmediziner. Am Ende kann er das gar nicht, weil es bei seinen Patienten nicht mehr notwendig ist.“

„Erinnere dich, dass er früher der Top-Allgemeinmediziner für scharfe Touristinnen war“, sagte Rita und grinste. „Da wird er so manche Wiederbelebung mit allem Komfort praktiziert haben, egal, ob die Dame es nun nötig hatte oder nicht.“

„Pfui Spinne!“, kam es gepresst aus Oma Puschs Mund. Daran wollte sie so überhaupt nicht denken. Die Vergangenheit war vorbei. Dass Rita sie damit auch immer ärgern musste. Wahrscheinlich genoss sie es förmlich, dieses Kopfkino heraufzubeschwören, weil sie auf den Rechtsmediziner eifersüchtig war. „Am liebsten wäre es mir, wenn die Kripo den Campingwagen inspizieren würde, aber das werden wir nicht hinkriegen. Wenn ich meinen Neffen Herrn Oberkommissar anrufe, geigt der mir höchstens eins.“

„Du, ich hab die Idee!“, freute sich Rita. „Es handelt sich doch um ein Fahrzeug aus Bayern. Ich hab noch Weißwürste im Tiefkühler, falls da nicht noch welche im Wohnmobil sind. Damit locken wir ihn. So nach dem Motto: Verwaister, bajuwarischer Kastenwagen hat noch das Nationalgericht an Bord, das sonst verdirbt.“

„Du spinnst, Rita“, antwortete Oma Pusch. „Echt jetzt, das ist voll dämlich!“

Rita sah zerknirscht zu Boden.

„Was ist dämlich?“, erkundigte sich Hinnerk, der sich ungesehen am Tresen angelehnt hatte. Für ihn war Mittagspause.

„Ach, nichts“, antwortete Oma Pusch lapidar. „Wir glauben nur, dass wir es da auf deinem Stellplatz mit einem Mordversuch zu tun haben.“

Hinnerk lachte kurz und tippte sich dann an die Stirn.

„Wenn hier am Hafen partout nix los ist, müsst ihr euch wohl einen Mordfall herbeisuchen. Koste es, was es wolle. Ein Rollmopsbrötchen bitte!“

„Ich schmier dir gleich eins mit Chili“, drohte Oma Pusch.

„Von Versuch könnte übrigens keine Rede sein“, berichtete Hinnerk. „Ich hab in Wittmund im Krankenhaus angerufen, weil ich wegen des Wohnmobils Bescheid wissen wollte. Tja, leider hat deine Wiederbelebung nichts mehr genutzt. Der Kerl ist hin und seine Frau ist weder bei mir noch im Krankenhaus wieder aufgetaucht.“

Oma Pusch machte große Augen.

„Wie bist du denn an diese Informationen rangekommen? Normalerweise kriegen die nur Familienangehörige“, wunderte sie sich.

„Och“, sagte Hinnerk verlegen, „mit einer klitzekleinen Notlüge. Ich hab so getan, als wäre ich der Bruder und hab mich dann auch nach meiner ,Schwägerin‘ erkundigt. Also, die Frau dieses Bayern ist wie vom Erdboden verschwunden. Das ist doch komisch.“

„Dat was de Düvel“, krächzte es von unterhalb. Die olle, hochbetagte Marga reckte ihren Hals und kam halb bis zur Nase hinter dem Tresen zum Vorschein.

Wir übersetzen lieber wieder ins Hochdeutsche!

„Ihr wisst doch, ihr Lütten, dass der Teufel überall ist. Und wenn wer vom Erdboden verschwunden ist, dann kann er leicht in die Hölle gefahren sein. Ihr ahnt gar nicht, was in der Nacht so alles passiert.“

Rita verdrehte im Kiosk die Augen. Die Alte hatte ihr gerade noch gefehlt.

„Hm“, murmelte Oma Pusch. „Das können wir uns doch zunutze machen. Wir melden, äh, ich meine, du, Hinnerk, meldest die Dame als vermisst. Und ich wette, da kommen sie endlich aus Esens, um den verwaisten Kastenwagen zu untersuchen, vor allem, weil der Besitzer jetzt tot ist.“

„Nicht mit mir“, jaulte Hinnerk. „Ihr wisst genau, dass ich mit der Polizei nix zu tun haben will.“

„Oh, doch“, sagte Oma Pusch mit Nachdruck. „Wer Platzwart ist, hat auch Verantwortung, und der wirst du jetzt schleunigst nachkommen. Sonst kannst du das Rollmopsbrötchen getrost vergessen. Nein, du bekommst sogar nie mehr welche von mir“, drohte sie noch.

„Hinnerk, ich würd das machen“, gab die Hochbetagte ihren Senf dazu. „Sonst musst du damit rechnen, dass Lottis geballter Zorn über dich kommt. Und ich wüsste echt nicht, was mir lieber wäre: der oder das Feuer der Hölle.“

Da hatte die Olle etwas Wahres ausgesprochen.

„Na gut“, lenkte der alte Fischer ein, „aber erst brauche ich eine Grundlage für meinen Magen, dann rufe ich an.“

Vermisst

Fischer Hinnerk und die betagte Marga kauten noch genüsslich, als just ganz zufällig – wer hätte es geahnt – Oma Puschs Neffe Eike um die Ecke kam.

Das war Pech für den armen Fischer, denn der verschluckte sich vor Schreck derart an einer Zwiebel, dass er vom Husten ganz rot wurde.

„Dem hängt was in der Strotte“, kicherte die Seniorin und hielt sich an ihrem pinkfarbenen Rollator fest, der wegen seiner Metalliclackierung in der Sonne glänzte. „Wahrscheinlich ein Alibi, weil er was nich ausspucken will.“

Oberkommissar Eike Hintermoser ignorierte das Gewäsch der Ollen. Sie ging ihm schon seit Jahren mit ihrem Quasseln auf die Nerven. Das lag unter anderem an seinen Genen. Er war nämlich kein astreines Nordlicht, vom Ursprung her. Oma Puschs Schwester war doch glatt nach Bayern ausgewandert, nachdem sie sich in einen Bazi verliebt hatte. Tja, und Eike war eben das Produkt dieser Nord-Süd-Allianz: Ein Mischling, nicht Fisch, nicht Fleisch. Mittlerweile hatte er sich aber ganz gut eingelebt. Oma Pusch trug sich sogar mit der Hoffnung, dass die blonde Küstenschönheit Nele Freese von der Spurensicherung mit ihm angebandelt hatte. Offiziell wusste man noch nichts, doch die Möwen pfiffen es von den Masten, äh, beziehungsweise von den Dächern der Kutter oder den Bänken der Deiche.

Jetzt allerdings hatte er eigentlich nur seine Mittagspause mit einem Rollmopsbrötchen bei einem Blick aufs Meer verbringen wollen, doch es sollte anders kommen.

Während Oma Pusch ihm eins schmierte, trat Hinnerk von einem Bein auf das andere, und das sah bei ihm absolut komisch aus. Seine eine Haxe – wie man in Bayern so schön sagen würde – war nämlich ein ganzes Stück kürzer geworden. Eine bedauerliche Unfallfolge nach tückischem Seegang beim Fischfang. Fast wäre Hinnerk damals koppheister gegangen. Praktisch im letzten Moment war sein Bein in eine Spalte unter der Reling gerutscht und dort eingeklemmt worden, sodass ihn das Meer nicht verschlingen konnte wie Fridtjof einstmals, Oma Puschs verblichenen Ehemann. Den hatten längst die Fische gefressen, die er hatte fangen wollen. Eine Ironie des Schicksals!

Na ja, jedenfalls hampelte der Hinnerk so vor dem Kiosk herum, weil er nicht wusste, wie er das mit dem verwaisten Wohnmobil jetzt zur Sprache bringen sollte, dass es aussah, als vollführe ein Derwisch seinen wildesten Tanz.

„Musst du so herumhampeln?“, fragte Eike Hintermoser den Fischer grinsend. „Hast du etwa Hummeln im Mors?“

„He will di wat vertellen“, flüsterte die olle Marga von unten. Sie hatte sich mittlerweile auf ihren Rollator gesetzt.

„Soso, Hinnerk“, hakte Oberkommissar Eike nach, „dann schieß mal los! Wo drückt denn der Schuh?“

„Mit meinen Flunken hat das nix zu tun, eher mit einem Wohnmobil“, berichtete Hinnerk und bekam einen roten Schädel, als ob er irgendetwas verbrochen hätte.

„Okay“, erwiderte Eike, „hab schon gehört, dass du jetzt einen auf Platzwart machst, aushilfsweise. Ist doch viel besser, als immer nur Flaschen einzusammeln.“

„War auch ein schönes Zubrot zu meiner Rente“, gab der alte Fischer zu, „und ich war selbstständig. Aber sei’s drum. Ich hab da so ein Problem mit einem Wagen ohne Besitzer.“

„Das verstehe ich nicht“, wunderte sich Eike, „irgendwie muss es doch da hinten zum Hafen gekommen sein, und die Leute werden sich doch auch bei dir angemeldet haben.“

„Schon“, bestätigte Hinnerk, „aber nun sind sie fort. Der Mann ist tot und die Frau verschwunden, und dieses Gefährt hätte längst weg sein sollen. Es nimmt mir einen guten Platz direkt am Meer weg. Der hätte schon mehrfach weiterverkauft werden können.“ Wieder trat er unruhig auf der Stelle herum.

„Nun mal schön der Reihe nach“, bat Eike und nahm sein Rollmopsbrötchen entgegen.

Auch Seniorin Marga biss ein weiteres Mal genüsslich in ihren Fischhappen. Das war gut, denn dabei konnte sie schlecht sprechen und hielt glücklicherweise für einen Moment die Klappe.

„Also das war so“, begann Hinnerk. „Vor einigen Tagen kam ein Ehepaar aus Bayern an. Ganz sympathisch, muss ich sagen. Ich gab ihnen einen schönen Platz für ihr Wohnmobil mit Blick direkt aufs Meer. Anton Wachtlmayr und seine Frau Resi zahlten sofort in bar und legten mir noch einen ordentlichen Schein drauf, weil sie so dicht am Wasser stehen durften.“ Er hielt inne. Hatte er jetzt was Falsches gesagt? Nicht dass man ihn wegen Bestechung anzeigen würde. „Äh, also das war Trinkgeld. Ich bekam es rein zufällig. Damit hatte ich nicht gerechnet.“

„Und wieso ist der jetzt tot?“, erkundigte sich Eike. Er war gut drauf und hatte den Schalk im Nacken. „Wollte ihm jemand seinen Standplatz abspenstig machen, und er hat sich gewehrt?“

„Nee, wir dachten erst an Herzinfarkt oder so, aber dann hat sich herausgestellt, dass die Gasleitung ein Leck hat.“

Spontan hörte Eike auf zu kauen.

„Wie bitte?“, fragte er mit bohrendem Blick.

Oma Pusch schaltete sich ein und berichtete von dem Klopfen.

„Wir mussten drin nachsehen, und es war ja auch offen“, erklärte sie. „Ich habe sofort lebensrettende Maßnahmen eingeleitet. So sagt ihr doch immer so schön. Leider hat es nichts genutzt. Der Anton Wachtlmayr ist im Krankenhaus verstorben.“

„Und wie kommt ihr auf die Sache mit dem Gas?“, wollte Eike wissen.

„Faule Eier!“

„Höllenfurz!“

„’n Düvelspuup!“, kam es gleichzeitig von den drei Frauen. Marga flog dabei ein kleines Stückchen Zwiebel aus dem Mund. Sie kaute nämlich noch.

„Es hat fies nach was Widerlichem gerochen“, übersetzte Hinnerk, „und der andere Camper, der gehört hat, dass wir uns darüber unterhalten haben, hat sofort Bescheid gewusst. Zum Glück konnte er uns auch helfen, die Gasbuddeln abzudrehen, sodass wenigstens nix mehr rauskam. Hätte ja auch in die Luft gehen können, die Campingscheese.“

„Und warum sind wir nicht verständigt worden?“, fragte Eike entrüstet. „Ist dir nicht mal der Gedanke gekommen?“

„Doch, schon“, gab Hinnerk zu, „aber ich dachte …“

„Das solltest du lieber anderen überlassen“, schimpfte Eike.

„Ja, aber Lotti meinte …“, fuhr er fort.

„Ich hatte Bedenken, dass du unsere Befürchtungen nicht ernst nehmen würdest“, erklärte Oma Pusch bestimmt.

Oberkommissar Eike Hintermoser schüttelte den Kopf.

„Was für Befürchtungen?“, hakte er nach und wusste die Antwort natürlich.

„Na, was wohl? Mord!“, kam es vorwurfsvoll von Oma Pusch. „Wieso sollen sonst die Leitungen an so einem modernen und neuen Wagen von allein kaputtgehen? Da muss einer dran herumgefuhrwerkt haben.“

„Mein liebes Tantchen“, begann Eike etwas zu zuckersüß, „ob Unfall oder Mord, sollte schon der Kripo überlassen bleiben. Dazu müsste man sie aber rufen. Ich fasse es nicht, dass ihr so lange gewartet habt, bis ich zufällig hier vorbeikam, um zu Mittag zu essen. Ich hab doch heute Morgen den Notruf per Funk mitgekriegt. Das ist Stunden her! Unglaublich! Wir konnten ja nicht hellsehen, was dahintersteckt.“

„Und wer kann denn ahnen, dass ihr es nicht abtut?“, sagte Oma Pusch kleinlaut. „Außerdem habe ich auch erst eben gehört, dass der Wichtlmayr gestorben ist.“

„Wachtlmayr“, korrigierte Hinnerk sie.

„Meinetwegen“, antwortete Oma Pusch. „Na, dann tu jetzt nicht lange rum und verständige die Spurensicherung. Schließlich ist dessen Frau auch noch verschwunden. Wir wollten sie eigentlich gerade als vermisst melden.“

„Und wenn es doch alles nur Zufall ist?“, wandte Rita ein.

„De Düvel scheißt immer auf den größten Haufen“, gab die Hochbetagte ihren Senf dazu. „Und wenn ich ,Gas‘ und ,Tod‘ und ,vermisst‘ höre, denn kommt bestimmt noch Mooord dazu.“

Eike stöhnte. Das war ihm alles zu viel.

„Du kommst mit!“, befahl er Hinnerk. „Und du bleibst hier im Kiosk, bis du befragt wirst, Tantchen!“

Dann stolzierte er kopfschüttelnd davon, den alten Fischer im Schlepptau, der unwillig hinter ihm herhinkte.

Hinnerk, der Dussel

„Ist jetzt irgendwie nach hinten losgegangen“, sagte Oma Pusch seufzend. „Wir wollten doch nur helfen.“

„Es kommt nicht immer alles so an, wie es gemeint ist“, versuchte Rita ihre Freundin zu beruhigen.

„Der Junge hat ganz schön viel Temperament“, fand die alte Marga. „Wird Zeit, dass der in feste Hände kommt, damit ihm die Flügel gestutzt werden.“

„Im Grunde genommen hat er ja recht“, lenkte Oma Pusch ein. „Wisst ihr, ich wollte von Anfang an, dass jemand ermittelt. Mir kam die Sache gleich komisch vor, aber es war halt alles etwas vage. Nun geht es seinen Gang.“

„Hm, da muss doch bestimmt jetzt auch Enno involviert werden“, überlegte Rita laut. „Schließlich muss untersucht werden, ob der Fichtlmayr am Gas gestorben ist.“

„Wachtlmayr“, korrigierte Oma Pusch.

„Ich will denn mal wieder“, krächzte Marga und räusperte sich. „Wo denn wohl nur die Frau von dem toten Fuchtlmayer abgeblieben ist?“, sagte sie noch im Gehen.

„Wachtlmayr!“, riefen ihr die Freundinnen nach.

Aber Marga winkte ab. „Ich hab es nich so mit die ausländischen Namen“, rief sie noch, „aber mir schwant Schlimmes. Kinners, das war noch nicht des Düvels letzte Tat!“

„Immer dies Geunke“, stöhnte Rita.

„Wahrscheinlich hat sie auch noch recht“, fügte Oma Pusch hinzu. „Wir haben doch überhaupt keine Ahnung von dieser Frau. Wir wissen nicht, wie sie aussieht oder wie alt sie ist. Da können wir schlecht nach ihr suchen.“

„Hinnerk weiß das bestimmt“, war sich Rita sicher. „Der muss sie doch bei der Anmeldung gesehen haben.“

Aber die beiden sollten sich irren. Als der alte Fischer den Händen der Kripo endlich entronnen war und sich wieder an den Tresen lehnte, schüttelte er den Kopf.

„Nee, die Frau von dem hab ich nicht zu Gesicht gekriegt“, erklärte er. „Die war im Wagen sitzen geblieben.“

„Dann müssen wir den Camper von nebenan fragen“, schlug Oma Pusch vor, „ihr wisst schon, der, der uns den Tipp mit der Gasflasche gegeben hat.“

Hinnerk nickte und schaute dann bedröppelt drein. „Hat er bestimmt, aber der ist weg, und nun fragt mich nicht nach dem Kennzeichen.“ Er rollte mit den Augen. „Da hab ich schon von Eike mein Fett weggekriegt.“

„Das verstehe ich nicht“, wunderte sich jetzt Oma Pusch. „Du als Platzwart musst doch jeden notieren, allein schon für die Buchführung.“

Hinnerk trat von einem Bein aufs andere und wurde rot.

„Sag jetzt nicht, du hast zwischendurch was in die eigene Tasche gesteckt“, drohte Oma Pusch.

„Nur das eine Mal“, gab Hinnerk zu, „und auch nur, weil ich Lina was schenken wollte.“

„Das ist doch kein Grund für krumme Sachen“, sagte Rita und schüttelte den Kopf. „Wenn Lina das wüsste, würde sie dein Präsent überhaupt nicht annehmen.“

„Ich mach’s auch nie wieder“, bettelte Hinnerk um Absolution.

„Mann, das ist echt Mist, dass wir den nicht mehr fragen können“, brummte Oma Pusch, „aber vielleicht hat der Tote Fotos von seiner Holden im Wagen.“

Rita lachte. „Ich habe noch nie Familienbilder an den Wänden von Reisemobilen oder Wohnwagen gesehen, aber man lernt ja nie aus.“

„Dann bleibt uns nur eins“, konstatierte Oma Pusch. „Wir müssen auf dem Platz herumfragen, und ich weiß auch schon, wie wir das listig anstellen können, ohne aufzufallen.“

„Wie denn?“, fragten Rita und Hinnerk wie aus einem Mund.

Oma Pusch grinste. „Wir gehen mit einem Tablett rum und servieren Kostproben unserer Rollmopsbrötchen!“

„Das ist genial“, sagte Hinnerk und auch Rita nickte anerkennend.

„Und weil du was gutzumachen hast“, säuselte die Kioskbesitzerin, „trägst du das Tablett.“

„Als Platzwart?“, insistierte der olle Fischer, doch ein Blick von Oma Pusch ließ ihn schweigen und sich in sein Schicksal fügen.

Spannende Spuren

Schnell waren die Häppchen geschmiert und der Kiosk geschlossen worden. Bewaffnet mit zwei Tabletts machten sich die drei auf zum Stellplatz am Hafen.

„Ich rede“, bestimmte Oma Pusch, damit nichts durcheinandergeriet, „ihr schweigt und lächelt freundlich. Aber erst mal machen wir noch einen lütten Abstecher ins Wohnmobil des Todes.“

Rita und Hinnerk war überhaupt nicht wohl bei dem Gedanken.

„Mensch, Lotti, ich würd dat lassen“, bat Hinnerk sie.

„Wieso, denkst du, der Eike ist noch drin?“

„Nee, der ist wieder los, die Spurensicherung verständigen und so, hat er jedenfalls gesagt. Aber ich verwette meinen Mors, dass sie anrücken, kaum dass du drin bist.“

„Ermittlerrisiko“, zischte Oma Pusch, „ein ganz kleines, denn ich hab doch euch. Ihr steht draußen Schmiere.“ Sie grinste. „Mit den frisch Geschmierten. Niemand wird was vermuten. Passt nur auf, dass euch die Möwen nicht die Leckerbissen vom Tablett fischen oder draufklackern.“

Oma Pusch öffnete die Schiebetür und stieg in den „Pössl“. Das ging nicht so einfach, weil sie nicht wusste, wie man die Trittstufe ausfahren konnte. Also musste sie sich ganz schön ins Zeug legen, um mit einem Riesenschritt reinzukommen. Damit man sie nicht bei den Recherchen beobachten konnte, zog sie die Tür leicht wieder zu, ohne sie komplett zu schließen. Dann sah sie sich um und zog ihre Seidenhandschuhe an, die sie seinerzeit bei der Hochzeit von Lina und Fiete Hansen getragen hatte. Sicher war sicher!

Endlich hatte sie die Gelegenheit, auch mal in die Schränke zu spitzeln. Es war schon verwunderlich, wie viel in so ein Gefährt hineinpasste. Im Grunde genommen war das eine minimalistische Ferienwohnung auf vier Rädern. Herd und Spüle hatte man mit Glasplatten abgedeckt. Praktisch, denn so konnte man bei Nichtbenutzung etwas darauf abstellen. Gegenüber befand sich die Sitzgruppe. Sie bestand aus einer kleinen Bank und den umgedrehten Fahrer- und Beifahrersitzen. Man konnte wirklich sagen, dass das gemütlich aussah. Weniger verlockend war allerdings, was sie entdeckte, als sie sich unter den Tisch bückte. Jemand hatte etwas Rotes unterhalb der Sitzfläche an das Holz der Bank geschmiert. War das Blut? Schwer zu sagen. Schnell machte sie ein Handyfoto, denn sie wollte sich im Fahrzeug nicht zu lange aufhalten.

Beim Blick ins Bad musste sie schmunzeln. Das war wirklich lütt. Sie schnüffelte in die Luft und wunderte sich, dass gar nichts nach Duftstoffen oder Schlimmerem stank. Normalerweise roch doch so eine Chemietoilettenkassette immer, wenn auch nicht immer gleich – je nach Füllstand der Benutzung. Aber hier roch gar nichts. Komisch. Sie öffnete den Klodeckel und blickte nicht in eine Schüssel, sondern auf einen Plastiksack, der unterhalb der Brille festgespannt zu sein schien und nach unten durchhing. Okay, wie putzig, dachte Oma Pusch. Hier hatte jemand sein Klo zum Mülleimer umfunktioniert. Das mochte einerseits praktisch sein, hatte aber zur Folge, dass man auch nachts öffentliche Toiletten aufsuchen musste. Für Menschen ab einem gewissen Alter undenkbar, denn da meldete sich die Blase wenigstens einmal. Ansonsten war hier alles wie üblich: Waschbecken mit Unterschrank, kleiner Spiegelschrank und die normalen Badutensilien. Mittels Aluschiebetür konnte man den Raum verschließen. Die konnte allerdings auch als Raumteiler genutzt werden, stellte Oma Pusch interessiert fest, als sie sie bewegte.

Mit einer Vierteldrehung wandte sie sich anschließend zum Bett um. Da gab es nichts Verdächtiges zu entdecken. In den Oberschränken darüber waren Klamotten verstaut. Links die vom Mann, rechts eindeutig die einer Frau. Plötzlich hatte Oma Pusch eine geniale Idee. Sie zog eine Hose und eine Bluse heraus, um in die Etiketten zu gucken. Ah, Hosengröße 21 und die Bluse war mit 42 ausgezeichnet. Das war ein Anfang, denn es sagte ihr zwei Dinge. Die Dame war klein, so um die 160 Zentimeter, weil sich die Hose als Kurzgröße entpuppt hatte. Die 21 entsprach der 42. Nun wusste Oma Pusch mehr. Die Frau, die vermisst wurde, war weder schlank noch dick, hatte aber etwas auf den Hüften und „vor der Hütten“, wie man so schön sagte, und war um die einssechzig groß. Als sie dann noch zwei lange, braune Haare fand, vervollständigte sich das Bild der Unbekannten.

Von draußen klopfte es leise.

„Komme gleich“, antwortete Oma Pusch gerade eben so laut, dass es vor dem Wagen zu hören war.

„Ich hab ein ungutes Gefühl“, raunte Hinnerk zurück, „du bist schon viel zu lange da drin.“

Oma Pusch warf noch einen Blick in den Kühlschrank. Wie zu erwarten fand sie Weißwurstsenf und Weizenbier. Ihr Blick wanderte zu ihren Füßen. Sie stand auf einer Platte mit einem Loch darin und hatte zunächst keine Ahnung, was darunter sein mochte. Beim Anheben entdeckte sie eine Duschwanne.

Wieder klopfte es sachte, doch die Stimme von Hinnerk wurde drängender.

„Lotti, nu sieh zu!“

Er hatte ja recht, dachte die Hobbyermittlerin, obwohl sie gerne noch weiter herumgeschnüffelt hätte. Sie seufzte, schob die Tür des Kastenwagens ein Stück weit auf und sprang hinaus. Hinnerk schloss sie wieder.