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NEUHARLINGERSIEL – VÖR WAT BÜST DU BANG? EIN HEIMTÜCKISCHES VERBRECHEN ... De Düvel ook! Das ist gar kein Brötchen, das da bei Sonnenaufgang im Wasser treibt. Hinnerk glaubt seinen Augen nicht zu trauen. Die Erscheinung entpuppt sich als bloßer Mors, der gerade mal so eben aus dem Wasser ragt. Die Einwohner sind entsetzt. Jeder erzählt eine andere Geschichte, wie die Tote umgekommen ist. Zu viele sind verdächtig, aber keiner hat etwas gesehen. Oder doch? Nur durch listiges Fragen kommen Oma Pusch und Rita der Sache näher. Doch Vorsicht: Die Tatwaffe bleibt scharf und ... ... KÖNNTE WEITERE OPFER FORDERN.
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Seitenzahl: 371
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Nané LénardFriesenLust
Im Verlag CW Niemeyer sind bereitsfolgende Bücher der Autorin erschienen:SchattenHautSchattenWolfSchattenGiftSchattenTodSchattenGrabSchattenSchwurSchattenSuchtSchattenGierSchattenZornSchattenQualFriesenNerzFriesenGeistFriesenSpielKurzKrimis und andere SchattenSeiten
Bibliografische Information der Deutschen NationalbibliothekDie Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet abrufbar über http://dnb.ddb.de© 2019 CW Niemeyer Buchverlage GmbH, Hamelnwww.niemeyer-buch.deAlle Rechte vorbehaltenUmschlaggestaltung: Carsten RiethmüllerDer Umschlag verwendet Motiv(e) von 123rf.comEPub Produktion durch CW Niemeyer Buchverlage GmbHeISBN 978-3-8271-8353-8
Nané LénardFriesenLust
Der Roman spielt hauptsächlich an allseits bekannten Orten der Nordseeküste,doch bleiben die Geschehnisse reine Fiktion. Sämtliche Handlungen und Charaktere sind frei erfunden. Alles darf nicht zu ernst genommen werden!
Für Agnes und Else
Über die AutorinNané Lénard wurde 1965 in Bückeburg geboren, ist verheiratet und Mutter von zwei erwachsenen Kindern. Nach dem Abitur und einer Ausbildung im medizinischen Bereich studierte sie später Rechts- und Sozialwissenschaften sowie Neue deutsche Literaturwissenschaften.Ab 1998 arbeitete sie als freie Journalistin. Von 2009 an war Lénard im Bereich Marketing und Redaktion für verschiedene Unternehmen tätig. Seit 2014 ist sie freiberufliche Schriftstellerin und verfasst neben Kriminalromanen auch Kurzgeschichten und Lyrik. Einige ihrer Werke wurden prämiert.Nané Lénard ist auf Lesungen, Buchmessen und in sozialen Netzwerken für ihre Fans präsent.Mittlerweile sind ihre SchattenThriller rund um die Kommissare Hetzer und Kruse sowie ihre heiter-skurrilen OstfriesenKrimis mit Oma Pusch im gesamten deutschen Sprachraum bekannt.
Prolog
Es war ein sonniger Tag Ende Mai. Hinnerk trödelte scheinbar teilnahmslos am Fähranleger herum. Mit der Fußspitze kickte er Zigarettenkippen weg, die irgendwelche blöden Umweltsünder einfach in die schöne Landschaft geschnippt hatten. Eine bodenlose Frechheit und Respektlosigkeit, wie er fand. Ja, er hätte sie aufheben müssen, wenn er schon so schimpfte, aber Hinnerk wollte nichts anfassen, was andere schon im Mund gehabt hatten, denn zum Händewaschen blieb jetzt keine Zeit mehr. Die „Spiekeroog I“ würde in Kürze ablegen. Gelegentlich lud man den alten, hinkenden Fischer ein, mit rüber auf die Insel zu fahren.
Umsonst, versteht sich.
Es war bekannt, dass er nur eine schmale Rente bekam und seinen Lebensunterhalt mit dem Sammeln von Pfandflaschen aufbesserte. Aber Hinnerk war überall beliebt. Er wusste eine Menge von den Höhen und Tiefen des Lebens und hatte immer Zeit zum Schnacken.
Heute war er nicht durch Zufall hier. Er hatte ein Auge auf Lina Hansen geworfen, die seit ein paar Jahren Witwe war. Ihren Mann hatte man im Gewächshaus unter den Radieschen begraben gefunden. Ermordet! Und das auch noch in einem Friesennerz. Was für ein schlimmes Schicksal.
Immer wieder versuchte er, Lina irgendwo zu begegnen. Hinnerk hoffte so sehr, angenehm aufzufallen.
Dass sie nach Spiekeroog zu ihrer Freundin fahren wollte, wusste er aus dem Kiosk von Oma Pusch. Also hatte er sich so lange am Anleger herumgetrieben, bis ihn der Kapitän endlich an Bord holte. Verschämt hatte er sich auf Deck in die Nähe der Witwe Hansen gestellt und ihr ein belangloses Gespräch aufgezwungen. Man sprach über das Wetter und den Fischfang ... doch plötzlich und unvermittelt geschah das, wovon Hinnerk seit Langem träumte:
Mit einem gellenden Schrei fiel Lina Hansen in die Arme des alten Fischers. Der war mit seinem Hinkebein allerdings nicht besonders standfest. Deswegen hielt er sich mit einer Hand reflexartig an der Reling der „Spiekeroog I“ fest, um das Schlimmste zu verhindern. Währenddessen drohte ihm Lina aus der anderen zu entgleiten. Eine hoffnungslose Situation. Hinnerk gab den Kampf gegen die Schwerkraft auf und sank so sanft wie möglich mit ihr zu Boden. Aus den Augenwinkeln versuchte er den Grund ihrer Ohnmacht herauszufinden. Er blickte durch das Metallgeländer zurück in Richtung Neuharlingersiel. Dann rieb er sich die Augen. Wenn es nicht so unwahrscheinlich gewesen wäre, hätte er geschworen, dass dort ein nackter Pöter zu sehen war, der am Pfahl der Fahrrinne aus dem Wasser guckte. De Düvel ook. Dabei hatte er doch noch gar nichts getrunken. Aber möglicherweise irrte er sich einfach nur, und die blasse Erscheinung war in Wirklichkeit ein Seehund, der sich sonnte, oder ein gestrandeter Wal.
Er sah sich um. Wenige Menschen waren auf Deck, aber die sahen woanders hin. Keiner eilte zu Hilfe. Es schien auch niemand außer ihnen beiden etwas bemerkt zu haben. Lina konnte er nicht fragen. Die kam gerade erst wieder zu sich. Dann jedoch begann sie zu stammeln:
„Hinnerk, ik hebb een Mors sehn, do an d’Pahl! Nu deih doch watt!“ Sie zeigte in Richtung Küste.
Der Fischer zuckte zusammen. Vor lauter Schreck sprach sie plattdeutsch. Nur, wenn sie auch einen Hintern entdeckt hatte, dann musste an der Sache was dran sein. Es konnten sich doch nicht zwei Menschen so verguckt haben. Aber er ließ sich nichts anmerken und tätschelte ihre Wange.
„Wie soll denn da ein Mors hingekommen sein?“, fragte er nachsichtig, weil er es immer noch nicht glauben wollte.
„Das weiß ich auch nicht, aber es war einer“, sagte sie bestimmt. „Ich hab die zwei Hälften genau gesehen und dat Geweih.“
Jetzt dachte Hinnerk wirklich, dass sie einen an der Waffel haben musste. Vielleicht vom Sturz. Denn sonst war sie ganz plietsch in der Birne.
„Ja, ja, sabbel du mi man watt för“, lachte er, „ein Mors mit einem Geweih drauf. Kann schon sein, dass der Düvel so aussieht, ein Arschgesicht mit Hörnern, aber da musst du die hochbetagte Marga fragen. Die kennt da was von. Ansonsten würde ich sagen: Wir trinken einen auf den Schreck! Dann vergehen auch die Gespenster im Kopp.“
Aber Lina schüttelte nachsichtig den Kopf. „Du bist ’n büschen von gestern, Hinnerk. Hast keine Ahnung von die junge Leut heutzutage. Ik meen een Tattoo, du Dösbaddel. Heißt Arschgeweih! Ich sage so ein schlimmes Wort ungern.“
„Äh“, entfuhr es Hinnerk, der ein Gesicht machte wie eine Kuh, wenn’s donnert, „das konntest du tatsächlich erkennen?“
„Ja, als das Wasser wegschwappte“, erklärte Lina. „Darum wurde mir auch schlecht, denn da muss ja dann wohl noch unten wer dranhängen an dem Mors. Und ich kann mir nicht vorstellen, dass der noch lebt.“
„Oder die“, wandte Hinnerk ein. „Es könnte auch eine Frau sein. Oder hast du schon mal von einem Mann mit einem Aaa... gehört?“ Er sprach das böse Wort nicht aus, weil sie es nicht mochte.
Lina schüttelte den Kopf. „Da kenn ich aber auch nix weiter von. Ich hab das nur mal im Fernsehen ...“ Sie stockte. „Mensch! Wir müssen doch die Polizei verständigen. Da ist jemand tot. Und vielleicht nicht von selbst, denn man hängt doch nicht freiwillig von alleine irgendwo mit dem Mors nach oben.“
„Polizei?“, fragte Hinnerk voller Panik. Er konnte auf keine guten Erfahrungen mit den Beamten zurückblicken. „Nee, nee, nachher ist das doch was ganz Harmloses oder ein Spaßvogel. Dann haben wir die da ganz umsonst hingeschickt und kriegen Ärger. Ich rufe Lotti an. Die soll mit ihrem Motorboot just nachgucken fahren. Macht sie bestimmt gerne.“
„Das kann ich mir vorstellen“, erwiderte Lina, „und bestimmt fährt meine Nachbarin Rita auch gleich mit. Die lungert doch eh immer bei ihr rum, als ob sie nichts zu tun hätte.“
„Gut möglich“, antwortete Hinnerk und kicherte. Er hatte mit den beiden schon so manchen Fall hier an der Küste gelöst. Auch den mit Fiete Hansen. Dann zog er sein Smartphone aus der Hosentasche und rief Lotti Esen alias Oma Pusch an.
Ein Urgestein
Jeder an der Küste kannte Oma Pusch. Sie war ein echtes Original, ein Unikum und gehörte zum Hafen von Neuharlingersiel wie die Perle zur Auster.
Die meisten von Ihnen werden bereits wissen, dass Oma Pusch die besten Rollmopsbrötchen der Welt macht, indem sie sie mit einem Spritzer Honig verfeinert. Wahrscheinlich ist Ihnen auch bekannt, dass sie mit den meisten Küstenbewohnern verwandt ist. Was sie uns jedoch noch immer verheimlicht, ist ihr genaues Alter, doch da sie 13 Enkel von fünf Kindern hat, bewegen sich die Spekulationen in einem überschaubaren Rahmen. Im Grunde genommen ist es auch gar nicht wichtig, sie auf eine exakte Zahl festzunageln, denn sie bleibt, was sie ist – eine flotte Dame mit einer kaum zu bändigenden Energie und einem Riecher für kriminelle Machenschaften.
Heute, an diesem wunderschönen Vormittag im Mai, saß sie mit ihrer Freundin Rita im Kiosk. Zwei Spinnen im Netz, die nicht auf das Geld der Touristen lauerten, sondern auf Tratsch und Neuigkeiten aller Art. Finanzielle Mittel hatte Oma Pusch genug aus der Lebensversicherung ihres letzten Mannes, in dessen Brustkorb mittlerweile die Fische schwammen, deren Vorfahren er hatte fangen wollen. Aber Fridtjofs Tod hatte sie lange überwunden. Mittlerweile turtelte sie mit dessen Bruder Enno, den sie früher so überhaupt nicht leiden konnte. Doktor Enno Esen war ein abgehalfterter Modearzt, dem die Herzen der Touristinnen nicht mehr so zuflogen, wie er es sich gewünscht hätte. Mit seinem leichten Bauchansatz und den halblangen weißen Haaren war sein Äußeres wahrlich nicht jedermanns Geschmack. Er hielt sich selbst für einen begnadeten Mediziner, aber um ein Müller-Wohlfahrt des Nordens zu werden, hätte er deutlich abspecken müssen. Das allerdings lag überhaupt nicht in seiner Absicht, denn er liebte alle sinnlichen Freuden.
Rita beäugte das Techtelmechtel zwischen Lotti und deren Schwager mit Argwohn. Für sie wäre es überhaupt nicht mehr infrage gekommen, sich mit einem Mann einzulassen, selbst wenn einer Interesse an ihr gezeigt hätte, behauptete sie zumindest. Sie war damit durch, wie sie zu jeder passenden und unpassenden Gelegenheit von sich gab, egal, ob sie zu diesem Punkt befragt wurde oder nicht.
Auch heute Morgen stand das Thema „Männer“ wieder auf dem Programm, denn es war sonst einfach noch nichts los am Neuharlingersieler Hafen. Niemand außer dem Kurdirektor war in Sicht und hatte Zeit zum Quatschen, aber der war längst weitergegangen. Rita war mit roten Bäckchen zurückgeblieben. Oma Pusch neckte sie deswegen.
Ansonsten war jeder der Anrainer mit sich selbst beschäftigt. Es musste alles bereitgemacht werden für die neue Saison. Doch den Damen im Kiosk ging nie der Gesprächsstoff aus. Über die Herren der Schöpfung gab es immer was zu sabbeln. Gerade als Rita und Oma Pusch darüber diskutierten, ob es sich noch lohnte, im Alter eine feste Partnerschaft einzugehen, klingelte das Smartphone der Kioskbesitzerin. Und damit änderte sich alles.
Oma Pusch sah auf’s Display. „Kenn ich nicht, die Nummer.“
„Na, dann geh doch endlich ran, und schon weißt du, wer es ist“, drängte Rita. „Gleich ist es weg.“
Oma Pusch zögerte. Normalerweise nahm sie nicht ab, wenn jemand Unbekanntes anrief, aber sie war froh, das Gespräch mit Rita beenden zu können, denn ihre Freundin hätte es in Kürze auf Enno gelenkt. Und das galt es dringend zu vermeiden. „Esen, wer spricht da?“, meldete sie sich ungeduldig.
„Lotti?“, schrie es aus der Muschel.
„Ja, wer sonst?“, brüllte Oma Pusch zurück. Schließlich war sie an ihr Telefon gegangen. Wer sie also anrief musste zwingend mit ihr rechnen. Was also sollte die blöde Frage?
„Hinnerk is hier, auf’er anderen Seite“, hörte Oma Pusch aus dem lauten Pfeifgeräusch heraus.
„Wo bist du? Ich kann dich kaum verstehen“, erwiderte sie.
„Das muss der Wind sein. Ich bin auf See“, erklärte Hinnerk.
Oma Pusch verstand nur Bahnhof. Sie hakte nach. „Erstens, was machst du da? Zweitens, was ist das für ein Anschluss und drittens, was willst du von mir?“ Sie stellte auf Lautsprecher, damit Rita auch etwas mitbekam.
„Ich fahr nach Spiekeroog rüber und rufe dich von meinem neuen Smartphone an“, berichtete Hinnerk. „Du kannst dir also die Nummer einspeichern. Und ...“
„Guck mal, ob du die Lina siehst“, unterbrach ihn Oma Pusch, „die wollte heute auch ...“
„Ja, die liegt hier neben mir. Und darum rufe ich auch an“, sagte Hinnerk.
Oma Pusch und Rita sahen sich mit großen Augen an. Lina und Hinnerk. Das war eine Sensation! Stoff für mindestens drei Wochen Tratsch.
„Ich wusste gar nicht, dass es da auch Kabinen gibt“, flüsterte Rita.
„Bist du noch dran, Lotti?“, fragte Hinnerk mit verzweifelter Stimme.
„Aber ja doch. Nun schieß endlich los!“, bat sie.
„Du wirst es nicht glauben, aber wir haben einen Mors gesehen“, berichtete er aufgeregt.
Die Freundinnen am anderen Ende der Leitung konnten sich das Lachen kaum verkneifen.
„Das soll bei so was vorkommen“, erwiderte Oma Pusch, aber Hinnerk verstand aufgrund des Windes nur Bruchstücke.
„Was sollen wir denn jetzt machen?“, wollte Hinnerk wissen.
„Die Büxen wieder hochziehen und den schrecklichen Anblick vergessen“, schlug Oma Pusch vor, während sich Rita kichernd auf die Schenkel schlug.
„Wir können den oder die doch da nicht einfach so mit dem nackten Mors nach oben hängen lassen“, wandte Hinnerk ein.
„Hä?“, überlegte Rita laut, „wie meint er das mit dem Hängen?“
„Na, im Wasser“, antwortete Hinnerk auf Ritas Frage. „Den muss einer an den Pfahl gebunden haben, da an der Rinne, wo die Fähre immer durch muss. Deswegen ist Lina auch ohnmächtig geworden.“
Jetzt wurden die beiden Damen hellhörig. Das klang ja noch interessanter, als wenn Hinnerk und Lina ein Schäferstündchen gehabt hätten.
„Ein Toter an der Fahrrinne?“, rief Oma Pusch verzückt.
„Ganz bestimmt, denn der Kopp is unter Wasser“, beschrieb Hinnerk die Situation.
„Und warum rufst du dann mich und nicht gleich die Polizei an?“, erkundigte sich Oma Pusch und zwinkerte Rita zu. Sie wussten genau, dass Hinnerk damit ein Problem hatte, aber es kam ihnen zugute. Sie wussten es also vor allen anderen.
„Ihr sollt erst mal nachsehen, ob das auch ja kein Klabauterspuk war“, erklärte Hinnerk. „Ich dachte, ihr fahrt eben kurz mit dem Motorboot raus und guckt euch das an. Deinen Neffen Oberkommissar hast du doch bestimmt im Handy eingespeichert und kannst ihn dann gleich vom Wasser aus anrufen. Von mir brauchst du nix zu sagen. Ihr seid halt einfach ein bisschen rumgeschippert an diesem schönen Frühlingstag.“
„Na, du hast ja Nerven“, stöhnte Oma Pusch gekünstelt. Im Geiste hatte sie längst den Motor angeschmissen. „Also gut, weil du’s bist.“
„Danke Lotti“, sagte Hinnerk erleichtert und legte auf.
Ein gutes Stündchen vorher
Kurdirektor Heinfried Feddersen legte die Hände entspannt auf seinen Schreibtisch. Er genoss die Ruhe vor dem Sturm. Der Mai war noch moderat von der Besucherrate her. Es gab kaum Aktionen und Attraktionen für die Gäste, also konnte er es gemächlich angehen lassen.
Nach seinem Morgenkaffee beschloss er, eine Runde zu drehen. So nannte er seinen Kontrollgang zum Hafen und zur Tourist-Information, bei dem es eher darum ging, frische Luft zu schnappen und menschliche Kontakte zu pflegen.
Die Sonne wärmte sein weißblondes Haar, das so hell war, wie man es sonst selten sah. Dazu hatte ihm die Natur dunkelbraune Augen gegeben, was ein seltener Umstand in dieser Kombination mit der Haarfarbe war. Interessanterweise war seine Haut lichtunempfindlich und von Sommersprossen verschont geblieben. Sein Aussehen hatte ihn zeitlebens attraktiv für die Damenwelt gemacht, wenn man auch zugeben musste, dass er den Zenit bereits weit überschritten hatte. Heinfried war ein wenig in die Breite gegangen und trug einen kapitalen Bauch vor sich her, der vor allem darauf zurückzuführen war, dass er Fleisch liebte. Ja, das war unglaublich für einen Kurdirektor an der Küste. Zu allem Überfluss war Fisch nicht wirklich sein Ding, doch das versuchte er geheim zu halten. Er aß ihn notgedrungen, wenn man ihn ihm irgendwo servierte und er es aus Höflichkeit nicht vermeiden konnte. Schon als Kind hatte er Gräten gehasst, wenn sie mit einem Bissen im Mund landeten. Dieses Gefühl eines ekeligen Fremdkörpers in etwas, das man eigentlich genießen wollte, verdarb ihm das ganze Essen und schließlich die Lust auf Fisch. Der Geschmack war für ihn mittlerweile einfach negativ besetzt, auch wenn man ihm Filet vorsetzte. Man konnte Heinfried also durchaus als heimlichen Meeresfrüchtehasser bezeichnen. Er hätte lieber Kurdirektor in Bayern werden sollen, wo es Haxen gab und man über Schweinsbraten philosophierte. Aber er war halt von hier und liebte den Landstrich bis auf die Meeresbewohner, falls sie auf seinem Teller lagen.
Mit Bauch voraus schlenderte er auf dem Kai entlang und schaute ins Hafenbecken. Ungefähr Dreiviertel, dachte er. Nicht mehr Ebbe, nicht ganz Flut, aber der Strömung nach zu urteilen auflaufendes Wasser. Hinten sah er die „Spiekeroog I“ liegen. Menschen tummelten sich am Anleger. Wahrscheinlich würde die Fähre bald in Richtung Insel auslaufen.
Gemächlich ging er weiter. Stolz, erhaben und mit der Selbstsicherheit eines Menschen, der wusste, dass er respektiert wurde. Hier in Neuharlingersiel war er jemand. Es war fast so, als würde ein Fürst seine Ländereien durchschreiten und seinen Blick in die Ferne schweifen lassen. Manche wichen ihm aus, andere grüßten devot. Nicht jeder mochte ihn. Aber Heinfried war das egal. Die meisten brauchten ihn irgendwann und sahen sich vor. Außerdem wusste er, dass erfolgreiche Menschen viele Neider hatten. Und er war schließlich wer! Seit einiger Zeit gehörte ihm das letzte Haus am westlichen Hafen, von dem aus er einen fantastischen Blick auf sein gesamtes Gebiet hatte – Strand, Hafen, Anleger, ja sogar auf das BadeWerk und die Tourist-Information, wenn er sich aus dem Klofenster hinauslehnte. Eine wahrhaft herrschaftliche Residenz, an die er einen großen Balkon hatte anbauen lassen, wo man ihm hätte huldigen können, wenn man es denn gewollt hätte. Wie es ihm gelungen war, diese Immobilie zu ergattern, blieb im Dunklen. Man vermutete aber, dass es nicht ganz mit rechten Dingen zugegangen war.
Aus den Augenwinkeln heraus sah er, dass Lotti Esen ihren Kiosk bereits geöffnet hatte. Im Grunde genommen fand er die Schwatzblase lästig, aber sie waren immerhin Nachbarn. Die alte Hafenkneipe „Dattein“, über der sie wohnte, lag nur einen Steinwurf von seinem Haus entfernt. Außerdem war es nicht geschickt, die Alte zum Feind zu haben, fand er. Viel besser gefiel ihm deren Freundin Rita, die wie ein gutmütiges Schaf frisch nach der Schur aussah. Soweit er wusste, war die auch schon lange alleinstehend. Möglicherweise könnte da was gehen, wenn er ihr schöntat. Dabei war ihm auch egal, ob sie etwas älter war als er. Hauptsache schlank, war seine Devise. Auch erfahrene Frauen hatten etwas zu bieten.
„Guten Morgen, die Damen“, sagte er lächelnd und lehnte sich lässig an den Tresen des Kiosks, „wie ist die Lage?“
„Noch wenig los, heute Morgen“, erwiderte Oma Pusch so freundlich sie konnte. Der aufgeblasene Gockel hatte ihr gerade noch gefehlt, aber er war immerhin Kurdirektor. Sie konnte es sich nicht leisten, ihn so zu behandeln, wie er es verdient hätte. Ruckzuck wäre ihre Sonderkonzession für den Kiosk Geschichte.
„Und wie geht es dir, Verehrteste“, wandte er sich an Rita.
Die wurde zu Oma Puschs Entsetzen rot.
„Ach, ganz gut soweit. Danke der Nachfrage“, flötete sie.
„Ich komme die Tage mal mit einem Sekt vorbei, dann können wir auf die neue Saison anstoßen“, schlug Feddersen vor.
Und während Oma Pusch im Geiste die Augen verdrehte und ihm am liebsten gesagt hätte, dass er sich seine Puffbrause in den Haare schmieren sollte, säuselte Rita ein schmachtendes „Au ja!“
„Willst du ein Rollmopsbrötchen?“, fragte Oma Pusch listig, weil sie wusste, dass er die grundsätzlich ablehnte.
„Nein danke“, antwortete Feddersen, dem sich der Magen umdrehte, wenn er an den essiggetränkten Fisch mit Honig dachte. „Mir steht jetzt eher der Sinn nach etwas Süßem.“ Er zwinkerte Rita zu.
Als Oma Pusch sah, wie Rita Heinfried entrückt anstarrte, trat sie ihr auf den Fuß. Es war unglaublich, dass ihre Freundin auf so eine blöde Anmache hereinfiel.
„Au“, rief Rita und strafte Lotti mit einem bösen Blick.
Heinfried machte ein erschrockenes Gesicht. „Ist was passiert?“
„Ach nee, sie ist nur traurig, dass du kein Brötchen willst. Für dich hätte sie auch extra viel Honig zwischen die Hälften geschmiert“, erklärte Oma Pusch.
„Ein andermal“, flötete Heinfried Feddersen und winkte beim Gehen.
„Du wirst doch nicht auf diesen notgeilen Bock abfahren?“, fragte Oma Pusch entsetzt, nachdem Feddersen außer Reichweite war. „Jeder hier weiß, dass der alles auf die Hörner nimmt, was nicht bei drei auf dem Baum ist.“
„Bin ich doch gar nicht“, maulte Rita beleidigt. „Du weißt genau, dass ich keinen Kerl mehr will. Aber ich finde ihn trotzdem charmant.“
„Sein Getue ist nur Masche“, warnte Oma Pusch.
„Tut trotzdem gut“, sagte Rita und grinste wieder. „Weißt du doch selber. Oder wie ist das bei dir und Enno?“ Sie streckte ihrer Freundin Lotti die Zunge raus.
Oma Pusch verdrehte die Augen.
Dann klingelte zum Glück das Telefon. Es bescherte den beiden Damen einen weitaus spannenderen Morgen, als sie erwartet hatten. Hinnerks Anruf kam ihnen wie eine Erlösung aus dem langweiligen Alltagstrubel vor. Endlich war etwas los. In Windeseile schlossen sie den Kiosk ab, hängten das Schild „Bin gleich wieder da“ hinaus und sausten zu der Stelle, an der Oma Puschs kleines Motorboot festgemacht war.
„Ein Mors“, kicherte Rita, „das muss ein Witz sein. Hinnerk will uns auf den Arm nehmen, glaube mir.“
„Das wagt er nicht“, erwiderte Oma Pusch. „Er könnte sich höchstens geirrt haben, aber wenn Lina in Ohnmacht gefallen ist, muss da was dran sein. Sie kippt immer um, wenn sie eine Leiche findet.“
„Stimmt“, gab Rita zu, „das war bei den letzten drei Mordfällen auch immer so. Weißt du noch, wo der am Mast baumelte, direkt vor deiner Nase?“
„Senil bin ich noch nicht“, sagte Oma Pusch und zwinkerte ihr zu. „Steig endlich ein, damit wir loskönnen.“
In Windeseile brausten die Freundinnen in Richtung Hafenausgang. Man konnte schon die Pfähle sehen, die den westlichen Bereich der Fahrrinne begrenzten und den Fähren einen Anhaltspunkt für die Route in Richtung Spiekeroog gaben. An einem dieser Holzpfeiler sollte nun der besagte Mors hängen. Sie zählten im Vorbeifahren mit. Als sie den fünften passiert hatten, wedelte Rita aufgeregt mit der rechten Hand und zeigte nach vorn. „Guck mal, da beim sechsten, da ist glaube ich was! Fahr langsamer!“
Oma Pusch drosselte die Geschwindigkeit. Ganz gemächlich schipperten sie weiter und näherten sich der Stelle. Viel konnte man nicht erkennen, aber das Wasser brach sich merkwürdig.
„Ich glaub, ich seh zwei lütje Hügel, aber ob das der Achtersteeven is?“, rief Rita und flüsterte weiter, „de Ritz is wohl unner Water.“
„Das liegt an der Flut“, sagte Oma Pusch und fuhr weiter ran. „Als Hinnerk dran vorbeigekommen ist, war sie noch nicht so hoch. Man müsste mal nachfühlen, ob es ein ...“
„Nicht mit mir“, entrüstete sich Rita, „das kommt überhaupt nicht infrage. Ich fasse das auf keinen Fall an. Und du tust es auch nicht.“
„Siehst du eine andere Möglichkeit, wie wir herausfinden können, ob das ein Allerwertester mit Anhang ist?“, fragte Oma Pusch.
„Nu sucht die auch noch das Anhängsel“, stöhnte Rita. „Ist es denn überhaupt ein Kerl?“
„Ich meine nicht das, na, du weißt schon was, sondern den Menschen, der unten dranhängen muss“, erklärte Oma Pusch. „Im Moment sehen wir nur zwei kleine fleischfarbene Hügelchen. Das könnte alles Mögliche sein, zum Beispiel zwei schwimmende Brustimplantate. Bevor wir die Kripo verständigen, müssen wir uns absichern, dass unsere Vermutung auch richtig ist. Wir können doch keinen Toten melden, wenn wir uns nicht vorher vergewissert haben, dass da auch einer ist.“
„Und wie stellst du dir das vor?“, erkundigte sich Rita.
„Möglichkeit eins, die du ja verworfen hast, wäre gewesen, dass einer da hinfasst“, sagte Oma Pusch.
„Wieso? Fass du doch hin“, schlug Rita vor.
Oma Pusch ignorierte diesen Einwurf. „Möglichkeit zwei, jemand setzt sich eine Taucherbrille auf und guckt unter die Wasseroberfläche. Das könnte allerdings unangenehm werden, weil wir nicht wissen, was da auf uns zukommt. Aber wir müssten im Grunde nicht zu dicht ran. Es würde reichen, wenn wir sehen, dass die Backen in Beine münden.“
„Und Möglichkeit drei?“, wollte Rita wissen.
„Ganz einfach, wir warten drei Stunden, dann müsste der Mors samt Rücken freiliegen, und wir haben uns zum Gespött gemacht, falls man uns dabei erwischt. Oder man verdächtigt uns sogar des Mordes, den wir begangen haben könnten, damit hier an der Küste endlich wieder was los ist. Du kannst es dir aussuchen.“
„Wir sollten einfach wieder von hier wegfahren und so tun, als sei nichts passiert“, überlegte Rita laut. „Dann haben wir mit nix was zu tun.“
„Ja klar“, erwiderte Oma Pusch, „uns hat auch mit Sicherheit niemand hier draußen gesehen, der sich später fragen wird, warum ausgerechnet wir hier in der Fahrrinne was zu suchen hatten.“
„Ich hab die Idee“, rief Rita auf einmal, „wir fahren einfach nach Spiekeroog und trinken dort einen Tee. Dann sind wir fein raus.“
Oma Pusch tippte sich an die Stirn. „Damit alles an uns vorbeigeht? Du willst wohl nicht wissen, was dahintersteckt? Falls das wirklich ein Mors ist, müssen wir tätig werden. Gib mir mal die Taucherbrille von da hinten aus dem Kasten. Du wirst es ja wohl nicht machen wollen.“
Rita schüttelte vehement den Kopf, bückte sich aber, öffnete die Kiste und reichte ihrer Freundin wortlos die Taucherbrille.
„Wir machen das so“, begann Oma Pusch. „Ich knie mich an den Rand und du hältst mich. Ich will nur eben einmal mit den Augen unter Wasser. Sobald ich die Bestätigung habe, dass da ein Mensch am Pfahl ist, ziehst du mich wieder rein. Verstanden?“
Sie setzte sich das unförmige Ding auf und sah damit aus wie ein Frosch. Rita hatte Mühe, ihr Kichern zu unterdrücken.
„Meinst du, du kannst auf die Entfernung unter Wasser was sehen?“, erkundigte sich Rita.
„Ich hoffe doch, denn ich will nicht zu nah ran. Das wirst du am besten verstehen“, antwortete Oma Pusch.
In Ritas Kopf geisterte das Wort „Leichengift“ und sie schauderte. „Okay, probieren wir es.“
Aber Oma Pusch sah überhaupt gar nichts. Die Nordsee war immer in Bewegung. Sedimente trübten das Wasser.
„Näher ran“, prustete sie, als sie wieder hochkam.
Rita gehorchte. Dann ließ sie ihre Freundin wieder unter die Oberfläche gucken, und Oma Pusch reckte sich. Dabei bekam sie Übergewicht, und sosehr Rita auch versuchte, sie festzuhalten, es gelang ihr nicht. Sonst wäre sie ebenfalls ins Wasser gefallen, und das wollte sie um jeden Preis vermeiden. Mit einem lauten Platscher versank Lotti Esen in der Nordsee, aus der sie schimpfend wieder auftauchte.
Rita zuckte mit den Schultern.
„Hilf mir rein“, meckerte Oma Pusch, denn die See war um diese Jahreszeit noch so kalt, dass sich einem die Fußnägel hochbogen.
„Konntest du was erkennen?“, wollte Rita wissen.
„Wie fürsorglich du bist, Teuerste“, beschwerte sich Oma Pusch, „aber ja, dass da ein nackiger Toter hängt, war nicht zu übersehen. Kopfüber nämlich, aber mit dem Rücken zu mir, wie ein Klappmesser. Ob Männlein oder Weiblein konnte ich nicht rausfinden. Zwischendurch dachte ich, ich höre was brummen. War aber wohl ein Irrtum.“ Sie wrang sich die Haare aus. Dann zog sie die feuchtkalten Klamotten bis auf die Unterwäsche aus.
„Willst du so deinen Neffen verständigen oder in den Hafen einfahren?“, fragte Rita verblüfft.
„Nee, bist du verrückt? Der kluge Seemann sorgt immer vor.“ Ganz unten aus der Kiste zog sie einen pinken Nickianzug und streifte ihn über. „Los, gib mir das Smartphone oder willst du mit Eike telefonieren?“
„Nee, Gott bewahre“, entfuhr es Rita, „die Schimpftiraden kannst du dir selber anhören, und ich bin gespannt, was er sagt, wenn er erfährt, was wir wieder entdeckt haben. Der glaubt uns nie im Leben, dass wir zufällig dort waren.“
„Na und?“, konterte Oma Pusch und wählte die Nummer ihres Neffen Oberkommissar Eike Hintermoser. „Ist doch egal, irgendjemand musste die Leiche ja finden oder wie lange hätte sie da noch hängen sollen? Der kann eher froh sein.“
Falls Sie sich über den komischen Namen wundern: Das hat seine besondere Bewandtnis. Eine von Oma Puschs Schwestern hat es doch tatsächlich gewagt, sich nach Bayern zu verheiraten.
Ein Frevel!
Eike Hintermoser war also so ein halber Migrant, als er sich entschloss, seinen Dienst an der Küste zu versehen. Wenigstens der Vorname war nordisch, wofür Oma Pusch dem Himmel dankte, denn durch eine Heirat konnte das bajuwarische Erbgut vertuscht werden, falls Eike den Nachnamen seiner Frau annahm. Und Hintermoser ging hier oben wirklich überhaupt nicht. Jedermann dachte sofort an die Alpen. Sogar seine Kollegen neckten ihn, nannten ihn heimlich Morsmoser oder MoMo. Wobei wir wieder beim Thema wären ...
...denn derselbe ging ans Telefon. „Oberkommissar Hintermoser am Apparat. Was kann ich für Sie tun?“
Oma Pusch guckte ungläubig und tippte sich an die Stirn. „Was soll das denn? Ich bin’s, deine Tante Lotti. Seit wann siezt du mich?“
„Oh Mist! Moin, Lotti, ich hab nicht auf’s Display geschaut“, erwiderte er, dann wurde sein Ton misstrauisch, „was willst du von mir? Du rufst mich doch nie an, es sei denn ... also, wo müssen wir hinkommen?“
„Nu mal langsam mit den jungen Pferden“, sagte Oma Pusch, die sich um das Überraschungsmoment betrogen fühlte.
„Männliche oder weibliche Leiche?“, fragte Eike, als ob sie nichts gesagt hätte.
„Woher sollen wir das wissen? So weit wollte ich nicht unter Wasser tauchen“, erklärte Oma Pusch. „Es guckt nur der obere Teil vom Mors raus.“
„Bitte was?“, erkundigte sich Oberkommissar Eike Hintermoser fassungslos.
„Nur die Pobacken, wie zwei Inseln“, erklärte sie. „Zuerst war ich mir nicht sicher, aber dann bin ich mit der Taucherbrille kurz mit dem Kopf unter Wasser gegangen. Also, das wollte ich zumindest, aber Rita konnte mich nicht halten. Egal, ich hab’s überlebt.“
„Wo zum Teufel seid ihr überhaupt?“, wetterte Eike, der es nicht fassen konnte.
„Wir sind in der Fahrrinne an Pfahl Nummer sechs“, gab Oma Pusch Auskunft. „Und jetzt fahren wir wieder zurück. Mir ist kalt. Ihr werdet den Toten schon finden. Wir haben eh nichts angefasst oder verändert, nur kurz geguckt. Den Rest müsst ihr schon machen. Dabei braucht ihr uns nicht.“
„Es ist wohl müßig zu fragen, was ihr da draußen in der Fahrrinne gemacht habt, oder?“, erkundigte sich Eike. „Ihr würdet mir sowieso nicht die Wahrheit sagen.“
„Wahrscheinlich nicht“, gab Oma Pusch zu, „aber eine Ausrede hätten wir natürlich parat. Willst du sie hören?“
„Nein“, sagte Eike entschieden. „Und nun macht, dass ihr da wegkommt, bevor euch noch irgendwas passiert.“ Ein bayrischer Fluch, den Oma Pusch nicht verstand, beendete das Gespräch.
„Puh, ich glaube, der ist sauer“, flüsterte Oma Pusch, „dabei haben wir doch gar nichts gemacht.“
„Genau!“, pflichtete Rita ihr bei. „Und wirklich gesehen haben wir auch nichts. Da müssten wir hier schon vor Anker gehen. Soll er doch froh sein, dass wir nicht noch abgewartet haben, bis der ganze Mors wieder zum Vorschein kam.“
„Eben“, erwiderte Oma Pusch, „mich ärgert es riesig, dass wir so wenig Rückschlüsse aus diesem Fund ziehen können. Im Grunde genommen wissen wir gar nichts. Nicht einmal heimliches Zuschauen ist uns möglich. Wir müssen das Feld räumen und zurückschippern, während die anderen ihre Arbeit verrichten.“
„Och“, gab Rita zurück, „es wird dir doch wohl hoffentlich gelingen, später bei Enno nachzubohren. Und bis dahin können wir uns doch was ausdenken und vage Vermutungen ausschmücken.“
„Was bleibt uns schon anderes übrig?“, sinnierte Oma Pusch und warf den Außenborder an.
Missmutig und nachdenklich fuhren die beiden Freundinnen wieder in den Hafen ein.
Am Marterpfahl
„Welcher Spinner hat sich denn so einen Mist ausgedacht?“, wetterte Doktor Enno Esen, seines Zeichens Rechtsmediziner.
Seitdem seine Praxis als Schickimicki-Modearzt nicht mehr so gut lief, bekam er nackte Touristinnen nur noch gelegentlich auf seinen Tisch. Nicht ganz das Gleiche wie im Bett, aber daran herumfummeln konnte er trotzdem, wenn auch auf andere Art und Weise. Er machte sich nichts aus toten Frauen. Sie mussten schon warm sein.
„Wollt ihr Taucher holen, um die Leiche zu bergen?“, befragte er den Kommissar weiter. „Und wie soll ich denn die Totenschau am Fundort vornehmen? Muss ich auch mit unter Wasser?“ Dazu hatte der etwas in die Jahre gekommene Arzt keine Lust.
„Nun beruhig dich wieder, Enno“, sagte Eike Hintermoser besänftigend, „ich hab erst mal den Hinrichsen rausgeschickt. Der soll die Stele bewachen und notfalls Sichtbares abdecken, wenn wer vorbeikommt. Wir warten, bis die Ebbe uns einen guten Blick auf das Geschehen verschafft. Und erst dann kommst du ins Spiel, okay?“
Enno brummte zustimmend. „Das hört sich schon besser an. Ich will wohl da mit meinen Fischerhosen herumwaten, wenn es sein muss, und von mir aus auch bei Niedrigwasser vom Boot aus tätig werden. Nur zum Tauchen, da kriegt ihr mich nicht. Wird denn eigentlich jemand vermisst?“
„Nicht dass ich wüsste“, erwiderte Eike, „aber das muss ja nichts heißen. Auf jeden Fall habe ich zu Hinrichsen gesagt, er soll uns jedes Mal in Kenntnis setzen, sobald das Wasser ein neues Detail freigibt. Ach, siehst du, und da klopft er auch schon an. Enno, ich muss leider Schluss machen. Ich melde mich.“
Ohne eine Antwort abzuwarten, drückte Eike auf sein Smartphone, beendete das Gespräch mit dem Rechtsmediziner und nahm gleichzeitig das von Martin Hinrichsen an.
Das „Rhabarberblattohr“, wie er seinen uniformierten Kollegen insgeheim aufgrund seiner abstehenden Ohren nannte, war von Haus aus etwas schusselig, aber unglaublich gutmütig. Von dessen älterem Kollegen Krischan Hansen konnte man das eher nicht behaupten. In Sichtweite seiner Pension war er bequem und brummig geworden. Man hätte fast meinen können, er habe bereits abgedankt. Deswegen nannte Eike ihn auch den „Kaiser“. Hochwohlgeboren war heute auf der Dienststelle geblieben, weil er sich den eigenen Mors nicht wegen eines anderen abfrieren wollte, der an einen Pfahl gebunden war, hatte er gesagt. Das überließ er gerne seinem jungen Kollegen.
„Hinrichsen, was willst du? Gibt’s was Neues?“, fragte Oberkommissar Eike Hintermoser.
„Jau, Chef, stell dir vor, der Mors guckt jetzt ganz raus und hat ein Arschgeweih bekommen. Ich bin mal umzu geschippert“, erklärte der Martin.
„Mann oder Frau?“, erkundigte sich Eike.
„Entweder oder!“, erwiderte Hinrichsen.
„Was anderes ist ja wohl auch nicht möglich“, sagte Eike und fasste sich an den Kopf. „Du kannst es noch nicht erkennen?“
„Haben denn Kerle Arschgeweihe?“, überlegte Hinrichsen laut. „Nee, tut mir leid, ich kann nicht sehen, ob der Mors bestückt ist. Das Gehänge klebt entweder am Pfahl oder da ist keins.“
„Dann werden wir wohl warten müssen, bis die Leiche abgenommen wird. Aber in einem gebe ich dir recht: Männer tragen keine Arschgeweihe.“
„Es sei denn, einer ist saumäßig schwul“, kicherte Hinrichsen. „Ich könnte ja mal ins Wasser fassen, ob da Holz ist.“
„Der ganze Pfahl, an dem die Leiche hängt, ist aus Holz. Da brauchst du nirgendwo unwies rumzufingern“, bestimmte Eike. „Untersteh dich! Lass erst mal die SpuSi ...“
„Chef, ich sprach nicht von der Fahrrinnenbegrenzung. Ich dachte an das Holz vor der Hütten, wenn du verstehst, was ich meine“, unterbrach ihn Hinrichsen.
„Nee, das lass mal sein. Es kommt gleich ein Taucher, der Nahaufnahmen macht“, erklärte Eike. „So wichtig ist das außerdem nicht. Wir werden es eh bald wissen. Und nun zu deiner Frage: Einen Vermisstenfall haben wir nicht reinbekommen, seitdem du auf dem Wasser Wache hältst. Ansonsten hättest du es wohl mitgekriegt.“
„Stimmt“, bestätigte Hinrichsen, „aber in der Dreiviertelstunde hätt sich ja was tun können. Nichts für ungut, Chef. Ich leg dann mal wieder auf.“
„Schick mir trotzdem schon mal ein Foto von dem Tattoo“, bat Eike und verabschiedete sich.
Krank
Kurdirektor Heinfried Feddersen schlenderte auf seinem Rundgang auch immer gerne in der Tourist-Information vorbei, die direkt in dem Gebäude beheimatet war, in der sich auch das BadeWerk befand. Es war quasi seine letzte Station, bevor er wieder in sein Büro ging, das sich im selben Gebäude, aber ein Stockwerk höher, befand.
Heute Morgen machte er allerdings ein ungläubiges Gesicht, denn an der Stelle von Frieda Flidjens saß sich die fette Berta ihren Hintern breit.
„Moin, Frau Steffens, was machen Sie denn heute hier?“, fragte er. „Wo ist denn Frau Flidjens?“
„Hat sich vorhin krankgemeldet, Herr Kurdirektor“, gab Berta Auskunft, „da bin ich eingesprungen. Moin.“
„Ja, vielen Dank“, sagte Feddersen, „ich wundere mich nur. Gestern schien sie noch ganz fit zu sein.“
Berta zuckte mit ihren voluminösen Achseln und widmete sich wieder ihrem Bildschirm.
„Wie lange wird sie denn ausfallen?“, erkundigte er sich.
Berta blickte erneut auf. „Keine Ahnung. Wird ja auf der Krankmeldung stehen, denke ich.“
„Können Sie sie denn solange vertreten, oder muss ich mich um jemand anderen bemühen?“
„Nee, das klappt schon“, beruhigte ihn Berta, „wer anders kennt sich hier ja auch nicht aus.“
Feddersen ließ seinen Blick über die Auslagen schweifen. Es gab Tassen, Tücher und Nordseekrimis. Einige spielten direkt vor der Haustür. Über manchen Titel musste er grinsen. Das eine Buch sah aus wie ein zusammengelegter Friesennerz und hieß auch so. Als er es in die Hand nahm, fand er, dass es sich genauso gummiert anfühlte wie eine dieser Regenjacken. Ein anderer Krimi hatte den delikaten Titel „Sand in der Kimme“. Herrlich! Wer kannte das nicht, der schon einmal an einem Strand gelegen hatte? Belustigt ging er zur Treppe, hielt dann aber inne.
„Eine Frage noch“, sagte Feddersen, „was sagten Sie vorhin? Hat sie selbst angerufen?“
Die dicke Berta nickte mit ihren drei Doppelkinnen.
„Hat sie irgendwas gesagt? Ich meine, warum sie krank ist“, hakte er nach.
„Migräne, glaube ich, oder Magen-Darm. Jedenfalls irgendwas mit Übergeben“, informierte Berta den Kurdirektor, der nun auch nicht viel schlauer war und grübelnd die Treppe weiter hochging.
Er hoffte, dass Frieda nur kurz unpässlich war.
Wieder im Kiosk
„Es macht mich ganz wuschig, dass wir da draußen nicht mehr herausgekriegt haben“, seufzte Oma Pusch und lehnte sich auf ihren Tresen. Von dort aus hatte man einen guten Blick. „Ich glaube, die haben extra Taucher angefordert. Siehst du da hinten die zwei Froschmännchen? Ach, und guck mal, Enno in Fischerhosen. Er sieht aber nicht gerade begeistert aus. Sag jetzt nichts Unüberlegtes, er kommt auf uns zu.“
„Sollen wir unwissend tun?“, fragte Rita leise.
„Das nimmt er uns sowieso nicht ab, vor allem, wenn er erst mit Eike spricht“, zischte Oma Pusch noch schnell zurück, bevor ihr Schwager den Kiosk erreichte. „Sei trotzdem vorsichtig!“
„Moin, die Damen“, flötete Doktor Enno Esen, der davon überzeugt war, eine faszinierende Neuigkeit präsentieren zu können. „Wenn ihr wüsstet, was sich da draußen auf dem Meer zugetragen hat ...“
„Meinst du den Mors am Pfahl?“, fragte Oma Pusch gelangweilt.
Enno machte große Augen. „Also, wie kannst du das denn jetzt schon wissen? Ich war ja selbst noch nicht mal da.“ Er grinste.
„Wir schon“, sagte Rita triumphierend.
„Ach, wech doch“, gab Enno zurück und lachte jetzt. „Es wird sich unser Neffe Eike verquatscht haben. Ist er überhaupt auch mein Neffe?“
„Wohl kaum“, erwiderte Oma Pusch.
„Nicht mein Neffe oder nicht verquatscht?“, erkundigte sich Enno.
„Beides“, kam es aus dem Mund von Rita und Oma Pusch gleichzeitig.
Enno wusste gar nichts mehr, auch nicht, was er von diesen beiden Weibern halten sollte. „Meiner Meinung nach hat sonst nur Hinrichsen Kenntnis davon. Er hält Pfahlwache. Wie also soll die Nachricht zu euch gekommen sein? Er wird doch wohl kein Maulwurf sein und mit euch unter einer Decke stecken?“
„Gar nicht, nichts von allem“, sagte Oma Pusch mit frechem Grinsen, „wir haben den Mors gefunden. Stell dir mal vor!“
Nun war Enno baff. „Davon hat Eike gar nichts erzählt.“
„So wichtig ist es ja auch nicht. Wir haben bis auf das Arschgeweih sowieso nichts weiter gesehen“, erklärte Oma Pusch.
„Ich weiß nichts von einem Arschgeweih.“ Enno war perplex. „Und wieso seid ihr da draußen in der Fahrrinne unterwegs?“, erkundigte er sich mit strengem Blick.
„Wir dachten, ein Seehund hätte sich am Pfahl verfangen“, flunkerte Rita. „Den wollten wir retten.“
Enno tippte sich an die Stirn. „Das könnt ihr der alten Marga erzählen, aber nicht mir. Aber mir ist es auch egal, wenn ihr nicht ehrlich zu mir seid. Erwartet dann nur bitte auch von mir nicht, dass ich euch noch mal in irgendetwas einweihe.“
Das lief entschieden schief, fand Oma Pusch und ruderte zurück. „Na ja, du weißt schon, der Hinnerk und die Lina haben den Mors beim Vorbeifahren von der Fähre aus gesehen. Und Hinnerk hat es doch nicht so mit der Polizei. Darum hat er uns gebeten, nachzuschauen. Er war sich nicht sicher, ob er sich geirrt hatte oder nicht.“
„Geht doch“, kommentierte Enno mit einem Nicken, „wieso diese Heimlichkeiten?“
Die beiden Damen grinsten verlegen.
„Ist doch nur wegen Hinnerk“, sagte Rita. „Er will da nicht reingezogen werden. Das haben wir ihm versprochen.“
„Dann können wir uns darauf verlassen, dass du uns in die Ermittlungen mit einweihst? Ich meine, jetzt, wo wir so ehrlich waren“, wollte Oma Pusch wissen.
„Ich euch?“, fragte Enno entrüstet. „Nie im Leben! Da kann ich ja gleich die Presse dazu bitten. Gib mir lieber ein Rollmopsbrötchen. Auf nüchternen Magen kann ich schlecht an Wasserleichen arbeiten.“
Wortlos und wütend, dass er sie reingelegt hatte, schmierte Oma Pusch ihrem Schwager ihre Delikatesse und klatschte sie ihm auf den Tresen. „Pass auf, dass du nicht daran erstickst! Hier wird dich niemand mit Mund-zu-Mund-Beatmung retten.“ Dann drehte sie sich um und ignorierte ihn. Sie war nicht an der Nase herumzuführen! Das würde sie ihn schon spüren lassen.
Unter Wasser
Wenn man nicht warten will, bis das Meer wegen der Ebbe Dinge freigibt, dann muss man einen Taucher bemühen. In diesem Fall hatte es sich Klaas Joosten von der Wasserschutzpolizei nicht nehmen lassen, selbst tätig zu werden. Sie waren alle heiß darauf gewesen, mal wieder etwas Spektakuläres zu erleben und nicht bloß verirrte Touristen von Sandbänken zu befreien oder Schmuggelware aufzustöbern. Eine Wasserleiche, die hatte irgendwie einen morbiden Charme. Man ekelte sich ein bisschen, war aber zugleich fasziniert und neugierig. Klaas hatte den Einsatz souverän zur Chefsache erklärt. Er freute sich darauf, endlich mal wieder tauchen zu können. Das musste schon ewig her sein. Verwaist hing sein Neoprenanzug am Haken und fristete ein trauriges Dasein. Dem würde er nun ein Ende bereiten. Lässig nahm er das Kleidungsstück mit einem Schwung ab und setzte sich auf einen Stuhl. Dann begann sein Martyrium. Ein Mann Ende der Fünfziger neigte dazu, seine Form zu verändern. Es war gar nicht nur das Gewicht. Nein, die Mitte schien irgendwie aus dem Leim gegangen zu sein. Das bemerkte er jedoch erst, als er halb drin war. Am Hintern war Platz, vorne klaffte der Reißverschluss gut zehn Zentimeter. Klaas raufte sich die Haare und war froh, dass gerade keiner seiner Kollegen um die Ecke kam. Er hätte sich zum Gespött der Truppe gemacht. Aber was nun? Es gelang ihm beim besten Willen nicht, den Bauch nach unten und hinten zu schieben, wo noch Luft war. Blieb also nur die Alternative: Luft anhalten und Bauch einziehen. Er durfte sich keine Blöße geben. Nach zwei Versuchen hatte er es geschafft. Misstrauisch sah er in den Spiegel. An den Storchenbeinen, am Mors und in der Schulterpartie war reichlich Spiel, aber mittig sah er aus wie eine Presswurst. Ich muss das kaschieren, dachte er bei sich und sah sich um. Da ihm nichts anderes ins Auge fiel, entschloss er sich, die Flossen vor den Corpus „ZuDicki“ zu halten und schnell zum Fundort aufzubrechen. Auf dem Weg zum Boot bereute er es fast, den Einsatz übernommen zu haben. Er bekam schlecht Luft. Das würde unter Wasser nicht besser werden, befürchtete er. Aber vielleicht dehnte sich das Neopren-Gewebe etwas, wenn es feucht wurde. Darauf hoffte er zumindest. Und er hatte recht. Kaum dass er untergetaucht war, überkam ihn ein befreiendes Gefühl. Klaas war froh, auf das Boot verzichtet zu haben und gleich am Fähranleger hinab ins Meer gestiegen zu sein. Die Nordsee war trüb, denn sie bewegte sich ständig und wirbelte Sedimente auf. Klaas störte das nicht. Genüsslich passierte er mit seinen Flossen die Hafenausfahrt, schaltete seine starke Lampe ein und zählte linksseitig die Pfosten, die mehr oder weniger von Muscheln besiedelt waren. Bei Nummer sechs machte er Halt. Mittellanges, blondes Haar wogte vor seinen Augen hin und her. Darüber waren ein Hals und eine Schulterpartie zu sehen, die in einen Rücken mündete. Den Rest hatte das Wasser längst freigegeben. Klaas tauchte mit einem Prusten auf und versetzte Martin Hinrichsen so einen Schreck, dass dieser zurückwich und über eine Kante stolperte.
„Mensch, Klaas, kannst du mich nicht vorwarnen?“, wetterte er, als er wieder hochkam und rieb sich seinen Hinterkopf.
„Wenn du mir verrätst wie“, sagte Klaas Joosten und zuckte mit den Schultern. „Du wusstest doch, dass ich komme.“
„Schon, aber nicht wann“, brummte Martin weiter. „Hast du denn was Interessantes entdeckt?“
„Noch nicht, ich wollte mich ja erst zu erkennen geben“, erwiderte Klaas mit einem Augenzwinkern und sah sich den Mors, der inzwischen samt Arschgeweih aus dem Wasser ragte, genauer an. Dann setzte er die Taucherbrille auf und schüttelte beim Abtauchen den Kopf. Er konnte nicht verstehen, wieso sich die Leute mit giftigen Farben so verunstalten ließen und auch noch Geld dafür bezahlten. Seinen Kindern hatte er das strikt verboten, nachdem er einen Artikel in einer Medizinfachzeitschrift gelesen hatte. Nach und nach fotografierte er den Körper. Eine Frau, wie er seitlich am Brustansatz sehen konnte. Sie war wie ein Klappmesser an den Pfahl gebunden worden. Ihr Kopf lag quasi auf den Knien. Jemand hatte Kabelbinder und Klettbänder verwendet, um sie in diese Position zu bringen. Das Gesicht war nicht zu erkennen. Klaas machte weitere Detailaufnahmen vom Rumpf sowie den Extremitäten und tauchte dann auf.
„Ist weiblich“, sagte er zu Hinrichsen, nachdem er das olle Ding vom Sauerstoffschlauch endlich aus dem Mund hatte. Etwas ungelenk schwang er sich ins Boot. Das war früher auch schon mal besser gegangen, dachte er bei sich. „Hast du Kaffee da?“
Hinrichsen schüttelte den Kopf.