Friesenmilch - Sandra Dünschede - E-Book

Friesenmilch E-Book

Sandra Dünschede

4,8

Beschreibung

Eine Putzfrau findet Dr. Scholz tot in seiner Praxis. Schnell ist die Todesursache geklärt: ein vergifteter Joghurt der ortsansässigen Meierei in Niebüll. Bei seinen Ermittlungen erfährt Kommissar Thamsen, dass die Molkerei erpresst wird. Doch wer steckt hinter den Drohungen und dem Giftanschlag? Der Sohn des Meiereibesitzers und einige Mitglieder einer Aktivistengruppe geraten ins Visier der Polizei. Doch keiner der Ermittlungsansätze führt zur Lösung des Falls und der Druck wächst rasant, als es ein weiteres Opfer gibt.

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Sandra Dünschede

Friesenmilch

Ein Fall für Thamsen & Co.

Impressum

Bisherige Veröffentlichungen im Gmeiner-Verlag:

Knochentanz (2015), Friesenschrei (2015), Friesenlüge (2014), Friesenkinder (2013), Nordfeuer (2012), Todeswatt (2010), Friesenrache (2009), Solomord (2008), Nordmord (2007), Deichgrab (2006)

Personen und Handlung sind frei erfunden.

Ähnlichkeiten mit lebenden oder toten Personen

sind rein zufällig und nicht beabsichtigt.

Besuchen Sie uns im Internet:

www.gmeiner-verlag.de

© 2016 – Gmeiner-Verlag GmbH

Im Ehnried 5, 88605 Meßkirch

Telefon 0 75 75 / 20 95 - 0

[email protected]

Alle Rechte vorbehalten

1. Auflage 2016

Lektorat: Claudia Senghaas, Kirchardt

Herstellung: Julia Franze

E-Book: Mirjam Hecht

Umschlaggestaltung: U.O.R.G. Lutz Eberle, Stuttgart

unter Verwendung eines Fotos von: © DutchScenery – Fotolia.com

ISBN 978-3-8392-4924-6

Widmung

Für Mama, die immer da ist, wenn ich sie brauche

1. Kapitel

Routinen machten Erna Wetzel glücklich. Mehr noch – sie brauchte die bekannten Rituale ihres Alltags geradezu zum Überleben. Eisern klammerte sie sich an den gewohnten Tagesablauf wie ein Ertrinkender an einen Rettungsring. Durch den Tod ihres Mannes Fritz vor gut vier Jahren war Erna heftig aus der Bahn geworfen worden. Nur sehr langsam war es ihr gelungen, zu sich selbst und in die Welt an sich zurückzufinden. Feste Regeln und Gesetze, immer gleiche Abläufe hatten ihr geholfen, einen Rahmen aufzubauen, in dem sie Sicherheit, ja sogar Geborgenheit empfand.

Daher stand sie auch heute, wie jeden Tag in den vergangenen drei Jahren, um 5 Uhr auf, warf sich ihren Morgenmantel über und schlurfte in die Küche. Noch ein wenig schlaftrunken stellte sie die Kaffeemaschine an, die sie am Abend zuvor bereits mit Wasser und der entsprechenden Dosis Kaffeepulver gefüllt hatte. Als das gurgelnde Geräusch des Gerätes erklang, schlappte sie ins Badezimmer und machte sich fertig für den Tag. Sie wusch Gesicht und Hände, sprühte ein wenig Deo unter ihre Achseln, cremte sich ein und kämmte sich das graue, aber noch volle wellige Haar. Gerade als der letzte Tropfen durch den Kaffeefilter in die Kanne fiel, betrat Erna Wetzel die Küche, nahm die ebenfalls am Vorabend bereitgestellte Tasse und goss sich von der dampfenden braunen Flüssigkeit ein. Aus dem Kühlschrank nahm sie den Teller mit den Marmeladenschnitten und entfernte die Frischhaltefolie. Punkt halb sechs saß sie am Küchentisch und frühstückte wie jeden Morgen. Während sie genüsslich kaute und das schon leicht trockene Brot mit Kaffee herunterspülte, ging sie in Gedanken ihre nächsten Schritte durch. Abräumen, Tasse, Teller und Besteck spülen, das Mittagessen aus der Tiefkühltruhe zum Auftauen herausholen, Zähne putzen, Jacke, Schal, Mütze, Handschuhe anziehen.

Exakt um zehn vor sechs trat sie aus dem Haus. Dunkelheit und feuchte Kälte empfingen sie. Schnell drehte sie den Haustürschlüssel herum, steckte ihn in das kleine Seitenfach ihrer Handtasche und trippelte den Plattenweg zur Straße hinunter. Um diese Uhrzeit waren so gut wie keine anderen Leute unterwegs. Der Gehweg war noch nicht gestreut, daher bemühte sich Erna, möglichst vorsichtig den zum Teil glatten Steig entlangzutapsen. Bloß nicht ausrutschen und hinfallen. Ein Oberschenkelhalsbruch in ihrem Alter – das war kein Spaß. Wer wusste, ob sie sich davon erholen würde. Außerdem brachte solch ein Sturz ihre Routine durcheinander, und das war nicht gut. Gar nicht gut. Zum Glück war ihr Weg nicht weit. Normalerweise brauchte sie nur fünf Minuten, aber durch die Wetterverhältnisse erreichte sie die Praxis von Dr. Scholz heute erst zwei Minuten vor sechs – um 6 Uhr war Arbeitsbeginn. Erna Wetzel putzte seit etwa drei Jahren die Praxisräume ihres Hausarztes. Er hatte ihr die Stelle angeboten, hatte ihr gesagt, dass es ihr sicherlich helfen würde, einer Aufgabe nachzugehen nach Fritz’ Tod, und er hatte recht behalten. Seit Erna für den Allgemeinmediziner arbeitete, war es bergauf mit ihr gegangen. Nicht nur körperlich und mental, auch finanziell konnte sie den Verdienst gut gebrauchen, denn die Witwenrente war klein und reichte gerade mal für Miete, Nebenkosten und Lebensmittel. Große Sprünge konnte sie zwar nun auch nicht machen, aber hin und wieder ein neues Kleidungsstück oder ein Besuch in ihrem Lieblingscafé waren durchaus drin.

Den Schlüssel zu den Praxisräumen hielt sie schon bereit, als sie vor die Tür trat. Eilig steckte sie ihn ins Schloss – doch was war das? Es ließ sich gar nicht aufschließen, weil – Erna ruckelte an dem Schlüssel hin und her – gar nicht abgesperrt war. Hatte Dr. Scholz vergessen abzuschließen? Freitags ging er eigentlich immer früher, meist zusammen mit den Angestellten. Oder war ihr Arbeitgeber bereits in der Praxis? Hatte es vielleicht einen Notfall gegeben? Mit zitternder Hand drückte Erna Wetzel die Klinke hinunter und schob die Tür einen Spaltweit auf.

»Hallo?« Sie lauschte in die Stille. »Dr. Scholz?« Sie trat von einem Fuß auf den anderen. »Renate?« Ihre Rufe blieben alle unbeantwortet. Wahrscheinlich hat Herr Doktor nur nicht abgesperrt. Er ist ja manchmal auch ein bisschen schusselig, versuchte Erna sich zu beruhigen und betrat den Flur, von dem die Anmeldung, das Wartezimmer und zwei Behandlungsräume abgingen. Immer noch ein wenig zittrig tastete sie nach dem Lichtschalter. Der grelle Schein schmerzte in ihren Augen. Sie brauchte einen Moment, dann blickte sie sich um und atmete kurz darauf geräuschvoll aus. Alles war wie immer. Erleichtert bog sie um die Ecke und quetschte sich am Empfangstresen vorbei in das dahinterliegende Zimmer, das als Aufenthaltsraum für die Angestellten diente. Sie stellte ihre Tasche auf den linken Stuhl, zog sich Mantel, Handschuhe, Mütze und Schal aus und legte alles fein säuberlich dazu. An einem Haken an der Wand hing ein bunter Blümchenkittel. Erna warf ihn sich über und schlüpfte dann aus den dicken Winterstiefeln in die leichten Plastikpantoffeln, die ordentlich nebeneinander unter dem Kleiderhaken standen. Schnell noch aus der Abstellkammer Staubsauger, Eimer, Reinigungsmittel und Wischmopp geholt, schon legte Erna Wetzel los. Wie immer begann sie mit ihren Arbeiten im Sozialraum, putzte sich dann durch den Empfangs- und Wartebereich. Sie arbeitete gründlich, aber zügig. Trödeln oder gar eine Pause, kam für Erna nicht infrage. Dafür wurde sie schließlich nicht bezahlt. Außerdem musste sie in zwei Stunden mit der Praxis fertig sein, denn dann kamen die ersten Patienten zur Blutabnahme. Sie wechselte das Putzwasser, nachdem sie den Flur gewischt hatte, und holte dann den Staubsauger, der noch im Wartezimmer stand. Wie einen störrischen Hund zog sie das Gerät hinter sich her. Mit dem Ellenbogen drückte sie die Klinke zum ersten Sprechzimmer herunter und stieß die Tür mit dem Fuß auf. Mit der linken Hand tastete sie nach dem Lichtschalter, während sie mit rechts den Staubsauger schon durch die Tür bugsierte. Wieder flammte es hell im Raum auf, und Erna zuckte zusammen. Aber auch nachdem ihre Augen sich an die Lichtverhältnisse gewöhnt hatten, blieb sie wie angenagelt stehen, den Blick starr auf den Schreibtisch des Doktors gerichtet.

Dort saß Dr. Scholz zusammengesackt in seinem Ledersessel. Das Kinn war ihm auf die Brust gesunken, seine Augen waren geschlossen. Ob er schlief? »Dr. Scholz?« Ihre Stimme war mehr ein Krächzen als eine verständlich artikulierte Frage. Erna räusperte sich. »Dr. Scholz?« Der Mediziner reagierte nicht. Was sollte sie tun? Sich umdrehen und stillschweigend den Raum verlassen? So tun, als habe sie nicht bemerkt, dass er schlief? Und wenn er gar nicht schlief? Erna schluckte. Langsam, sehr langsam bewegte sie sich auf den Schreibtisch zu. Angestrengt versuchte sie, ein Atmen zu hören, doch das Rauschen in ihren Ohren übertönte alles. Hinzu kam ihr hämmernder Herzschlag, der in ihrem Kopf widerhallte. »Dr. Scholz?« Sie stand nun direkt vor ihm. Seine Haut wirkte bleich und wächsern, und irgendwie roch es eigenartig. Ob der Geruch von dem halb leeren Joghurtbecher stammte, der auf dem Tisch vor Dr. Scholz stand? Erna rümpfte unweigerlich die Nase, streckte dann aber ihre Hand nach dem Arzt aus. Mit leicht zitternden Fingern fasste sie den Mann am Arm. Dr. Scholz reagierte nicht, und als Erna ihn ein wenig rüttelte, rutschte er leicht zur Seite. »Huch!« Sie sprang förmlich rückwärts, immer den Arzt im Visier. Doch der rührte sich nach wie vor nicht, und Erna ahnte langsam, warum. Sie eilte an den Empfangstresen, griff nach dem Telefon und wählte die Nummer des Notrufs. Der kurze Augenblick, bis ihr Anruf entgegengenommen wurde, erschien ihr wie eine Ewigkeit. Tausend Gedanken sausten durch ihren Kopf, keinen konnte sie greifen. Ihr war schwindlig und sie stützte sich am Tresen ab, als sie endlich eine Stimme hörte. »Ja, hallo«, stotterte sie in den Hörer, »hier Praxis Dr. Scholz in Niebüll, Erna Wetzel. Ich, ich glaube, der Herr Doktor ist tot.«

2. Kapitel

»Nun komm schon, Lotta. Wir müssen los!« Dirk Thamsen stand in der Haustür und wartete auf seine Tochter, die nach ihrer Kindergartentasche suchte. »Dann muss es heute eben mal ohne gehen.«

Das kleine, blonde lockige Mädchen blickte ihn mit tränengefüllten Augen an und schüttelte den Kopf. Er wusste, sie würde ohne den rosa Beutel mit der kleinen Prinzessin drauf das Haus nicht verlassen und er deswegen zu spät auf die Dienststelle kommen. Dabei lag jede Menge Arbeit auf seinem Schreibtisch, denn am Freitag hatte er bereits früher Feierabend gemacht, da Dörte für ein verlängertes Wochenende nach Düsseldorf gefahren war, und er sich um Lotta hatte kümmern müssen. Ebenso wie jetzt, denn seine Freundin kam erst am Nachmittag vom Rhein zurück. Eigentlich kein Problem, denn Lotta ging bereits in den Kindergarten – allerdings nicht ohne ihre pinke Tasche.

»Wo hast du sie denn am Freitag hingetan?« Thamsen durchforstete die völlig überfüllte Garderobe. Jacken, Mäntel, ein Stockschirm und etliche Taschen von Dörte, doch nirgends blinkte das rosa Täschchen zwischen all dem Zeugs. »Vielleicht in deinem Zimmer?« Dirk schaute seine Tochter eindringlich an, doch die schluchzte nur vor sich hin. »Oder im Auto? Bestimmt im Auto!« Lotta setzte sich endlich in Bewegung. Thamsen atmete auf, da klingelte sein Handy. Flüchtig warf er einen Blick auf das Display, ehe er das Gespräch annahm.

»Bin unterwegs, Ansgar. Lotta hat …« Er stockte plötzlich und schwieg. »Gut«, entgegnete er nach ein paar Augenblicken. »Ich komme.«

Er steckte das Handy ein und schloss die Haustür ab. Lottas Tasche lag nicht im Auto, doch er hatte keine Zeit, weiter danach zu suchen. Energisch schnallte er seine Tochter im Kindersitz an und versuchte, ihr Geheule zu ignorieren. Zum Glück war es nicht weit zum Kindergarten, ansonsten hätte Thamsen wahrscheinlich einen Gehörsturz erlitten. Lotta schrie mittlerweile aus voller Kehle, da konnte selbst die Soundanlage seines Wagens nichts dagegen ausrichten. Er trat das Gaspedal voll durch, um dieser nervenzerrenden Fahrt möglichst schnell ein Ende zu bereiten.

Die Erzieherin in der Frühbetreuung bedachte ihn mit einem vorwurfsvollen Blick, als er seine Tochter wenig später immer noch schreiend in der Kita ablieferte. Entschuldigend zuckte er mit den Schultern. »Muss zum Einsatz.« Er gab Lotta einen Kuss, betonte, dass ihre Mama sie später abholen würde, und eilte wieder zum Wagen. Laut seinem Kollegen hatte es einen Leichenfund gegeben, da wollte er möglichst schnell vor Ort sein.

Das Erste, was er erblickte, als er in die Straße, in der die Praxis von Dr. Scholz lag, einbog, war ein Leichenwagen. Die Rettungskräfte, die man sicherlich zuvor gerufen hatte, schienen bereits abgerückt. Für die ist der Fall erledigt, wenn der Tod festgestellt ist, dachte Thamsen.

Für uns beginnt die Arbeit nun erst. Der Notarzt hatte den Verdacht geäußert, dass Dr. Scholz nicht aufgrund einer natürlichen Todesursache verstorben war, und daher die Polizei verständigt. Ansgar Rolfs hatte neben Thamsen bereits die Kripo in Husum und die Spurensicherung benachrichtigt und sicherte nun den Fundort der Leiche, der zugleich auch als Tatort in Betracht kam. Solange sie nicht wussten, wie der Allgemeinmediziner umgekommen war, mussten sie in alle Richtungen denken. »Ich habe beim Staatsanwalt eine Obduktion beantragt. Wenn die Spusi nachher hier fertig ist, dann bringt der Bestatter den Leichnam gleich nach Kiel in die Rechtsmedizin.« Thamsen nickte, während er sich ein paar Handschuhe überstreifte. »Und kommt aus Husum auch jemand her?«

»Nö, nicht solange nicht feststeht, ob wir es mit einem Mord zu tun haben.«

»Typisch«, zischte Thamsen und folgte Rolfs in den Behandlungsraum. Dort befand sich die Leiche des Praxisinhabers nach wie vor auf dem Stuhl an seinem Schreibtisch.

»Haben die den überhaupt untersucht?« Dirk runzelte die Stirn.

Sein Mitarbeiter trat neben den Toten. »Na ja, dem sieht man ja eigentlich an, dass der nicht so ganz lebendig ist, oder? Außerdem riecht der auch schon ein bisschen.« Ansgar Rolfs hob den Kopf des Toten leicht an. Auf dessen Brustbereich waren Spuren von eingetrocknetem Erbrochenen erkennbar.

»Der Notarzt meinte, das könnte auf eine Vergiftung hinweisen.« Thamsen trat etwas näher an den Schreibtisch. Erst jetzt nahm er den ekelhaften Geruch, der sich mit dem süßlichen Verwesungsduft vermischte, wahr. »Hat er gesagt, seit wann der hier sitzt?«

»Den Todeszeitpunkt können wir nur grob einkreisen. Die Sprechstundenhilfe hat aber gesagt, dass Dr. Scholz am Wochenende nie in der Praxis war. Also können wir davon ausgehen, dass der Tod irgendwann zwischen Freitagabend 17 Uhr, da ist die Mitarbeiterin nämlich nach Hause gegangen, während Dr. Scholz noch einen Bericht fertig diktieren wollte, und heute früh bis zu seinem Auffinden eingetreten ist. Ich würde jedoch eher früher, wahrscheinlich sogar noch auf den Freitagabend, tippen, denn die Leichenstarre hat sich meiner Ansicht nach bereits wieder gelöst. Jedenfalls ist die Verwesung schon in vollem Gange.« Er schnüffelte geräuschvoll, während Thamsen beeindruckt nickte.

»Und wer hat den Toten gefunden? Die Sprechstundenhilfe?«

Rolfs schüttelte den Kopf. »Nee, die Putzfrau.«

»Klassiker«, kommentierte Dirk den Fall und ließ seinen Blick über den Schreibtisch wandern. Dort lagen einige Röntgenbilder und ein Diktiergerät neben einem aufgeklappten Laptop. »Und was ist das?« Ansgar Rolfs nahm den Joghurtbecher, der zwischen den anderen Sachen auf der Tischplatte stand hoch. »Küstentraum«, las er die Aufschrift laut vor. »Geschmacksrichtung Erdbeere. Lecker.« Thamsen verstand zwar nicht, wie sein Mitarbeiter neben der verwesenden Leiche zu solchen Äußerungen fähig war. Er hatte eher Mühe, das Frühstück in seinem Magen unter Kontrolle zu halten.

»Soll die Spusi sich anschauen«, bestimmte er. »Wo ist die Putzfrau?«

»Im Sozialraum.«

3. Kapitel

»Niklas’ Durchfall wird immer schlimmer«, bemerkte Haie, als Tom noch leicht schlaftrunken die Küche betrat.

»Und du meinst nicht, das hängt mit der anstehenden Mathearbeit in dieser Woche zusammen?« Tom ließ sich auf einen Stuhl am Frühstückstisch plumpsen.

»Glaub ich nicht.« Haie nahm den pfeifenden Wasserkessel vom Herd und goss einen Magen-Darm-Tee für sein Patenkind auf. »So was kann man doch nicht drei Tage simulieren. Er hat ja richtige Krämpfe.«

»Okay, ich schau mal nach ihm.« Tom erhob sich leicht seufzend, nahm den Teebecher, den Haie ihm hinhielt, und schlurfte ins Kinderzimmer. Niklas lag mit glühenden Wangen im Bett und schaute ihn mit schmerzverzerrtem Gesicht an. »Hast du etwa Fieber?« Tom stellte den Tee auf den schmalen Nachttisch und legte seine Hand auf die Stirn des Kindes. Die Berührung schien Niklas zu schmerzen, er zuckte zusammen. Hm, überlegte Tom. Ob es doch ernster war, als er gedacht hatte? Eigentlich war er davon ausgegangen, Niklas spiele ihnen sein Unwohlsein vor, damit er nicht in die Schule musste. Rechnen war nicht gerade seine Leidenschaft, mit Zahlen stand er auf Kriegsfuß, und Mathearbeiten bereiteten dem Jungen seit der ersten Klasse Bauchweh. Daher hatte Tom die Magen-Darm-Probleme seines Sohnes bisher nicht wirklich ernst genommen, doch der Kopf des Kleinen glühte förmlich.

»Macht Dr. Scholz noch Hausbesuche?«, fragte Tom Haie mit einem sorgenvollen Unterton in der Stimme.

»Keine Ahnung. Musst du mal anrufen und dich erkundigen.«

»Gut, wo ist die Nummer?«

»An der Pinnwand über deinem Schreibtisch.« Haie folgte seinem Freund ins Büro und wies auf den Zettel mit den Kontaktdaten des Hausarztes.

»Nur der Anrufbeantworter«, erklärte Tom, nachdem er die Nummer gewählt und kurz gewartet hatte.

»Ist der in Urlaub?«

»Nee, angeblich noch keine Sprechstunde.«

»Was?« Haie blickte zur Uhr. »Ist doch schon gleich halb neun.«

»Egal«, beschloss Tom, »ich fahre einfach hin. Wahrscheinlich haben die vergessen, den Anrufbeantworter auszuschalten. Ziehst du Niklas warm an? Ich mache mich dann schnell fertig.« Ohne eine Antwort abzuwarten, flitzte Tom ins Bad.

Nach einer Katzenwäsche verfrachtete er seinen Sohn auf den Rücksitz seines Wagens. Haie reichte ihm zusätzlich noch eine Wolldecke, in die er Niklas fest einmummelte. Der Junge stöhnte leicht, und Tom begann zu schwitzen. Eilig klemmte er sich hinters Steuer und gab Gas. Über den alten Außendeich fuhr er Richtung Niebüll und behielt dabei Niklas im Rückspiegel im Auge.

Als er in den Osterweg einbog, stutzte er. Wieso stand vor der Praxis seines Arztes ein Leichenwagen? Er verringerte das Tempo, stoppte am Straßenrand. Was war denn hier los? Er sah Ansgar Rolfs aus der Praxis treten und dem Bestatter zuwinken, der sich mit einem Kollegen in Bewegung setzte. Gemeinsam trugen sie einen grauen Metallsarg in die Praxis. Tom schluckte, drehte sich kurz zu Niklas um, der während der Fahrt eingeschlafen war, dann stieg er aus. Vor dem Eingang hatte sich eine kleine Menschentraube gebildet. »Was ist denn passiert?«, erkundigte er sich bei einem grauhaarigen Mann, der auf Zehenspitzen versuchte, einen Blick auf das Geschehen zu erhaschen. »De Doktor is dod.«

»Waaaas?« Tom lief es eiskalt den Rücken hinunter. »Wie denn, was ist denn …?«

Der ältere Herr zuckte mit den Schultern. »Aber wenn de Polizei kümmt … is he vielleicht nich unbedingt an Herzversagen gestorben.«

»Frau Wetzel, ich weiß, das ist nicht leicht für Sie.« Thamsen blickte auf die schluchzende ältere Dame, die zusammengesunken auf einem Stuhl im Sozialraum der Praxis saß. »Aber Sie müssen versuchen, sich zu erinnern.«

Erna Wetzel nickte zaghaft. »Es war nicht abgeschlossen«, wisperte sie. Thamsen fuhr sich mit der Hand über sein Kinn. Die Tatsache, dass die Praxis nicht verriegelt war, als Erna Wetzel am Morgen zur Arbeit gekommen war, fand er nicht verwunderlich angesichts des toten Arztes am Schreibtisch. Wenn er die Praxis am Freitagabend nicht mehr verlassen hatte – und danach sah es momentan aus – dann war klar, dass die Tür nicht zugesperrt worden war. »Und sonst? Irgendetwas Ungewöhnliches?«

Erna Wetzel schüttelte den Kopf. »Nein, alles wie immer. Bis ich ins Behandlungszimmer …« Sie schlug die Hände vors Gesicht. »Der arme Herr Doktor. Er war doch noch so jung.«

Da hat sie recht, dachte Dirk Thamsen, doch der Joghurtbecher, das Erbrochene und die Äußerung des Notarztes wiesen darauf hin, dass Dr. Scholz keines natürlichen Todes gestorben war. Hatte da vielleicht jemand nachgeholfen? Thamsen äußerte seinen Verdacht laut.

»Mord?« Erschrocken sprang Erna Wetzel von ihrem Stuhl auf. »Aber wer sollte denn so etwas getan haben? Dem lieben Herrn Doktor!«

Die Putzfrau konnte ihm nicht weiterhelfen, stellte Thamsen fest. Ohnehin war es besser, erst einmal die Ergebnisse der Obduktion abzuwarten, ehe er die Leute aufscheuchte. Eventuell gab es eine natürliche Erklärung für den Tod des Arztes, obwohl ihm sein Bauchgefühl etwas anderes sagte.

»Mein Kollege fährt Sie nach Hause«, schloss er die Befragung der schluchzenden Alten und wandte sich an die Sprechstundenhilfe, die mit gehetztem Blick hinter dem Empfangstresen stand. »Ist Ihnen etwas aufgefallen?« Die blonde Frau schüttelte stumm den Kopf. »Gab es Probleme in der letzten Zeit? Mit Patienten oder jemandem vom Personal?«

»Nein«, presste die Mitarbeiterin hervor.

»Privat?«

»Hören Sie«, empörte die Frau sich plötzlich, »ich habe keine Ahnung, wer meinem Chef etwas angetan haben könnte.« Sie stemmte die Hände in die Hüften und holte Luft. »Außerdem schnüffle ich nicht in den Privatangelegenheiten von Dr. Scholz. Was denken Sie eigentlich von mir?«

»Okay«, versuchte Thamsen, die Blonde zu beruhigen. »Ich dachte nur …« Ja, was eigentlich hatte er gedacht? Dass einer Mitarbeiterin auffallen würde, wenn der Arbeitgeber Probleme hatte? Wenn es Beschwerden, Drohungen gab? Oder der Chef vielleicht anders als sonst wirkte? Ja, eigentlich nahm er an, man würde derlei Veränderungen oder Konflikte bemerken, wenn man zusammenarbeitete. Aber vielleicht hatte es tatsächlich keine Hinweise gegeben? Niemanden, mit dem der Arzt im Clinch lag, der ihm beispielsweise einen Behandlungsfehler vorwarf. Einfach nichts? Thamsen betrachtete die blonde Frau, die zwischenzeitlich puterrot angelaufen war.

»Nun gut, aber Sie können mir sicherlich sagen, ob es Angehörige gibt«, ließ er die Sache auf sich beruhen.

Die Angestellte räusperte sich. »Ja, eine Tochter. Die lebt in Humtrup.«

»Und sonst?«

»Niemanden.«

»Gut, schreiben Sie mir die Adresse der Tochter auf?«

Ohne die Antwort abzuwarten, ging er zurück in den Behandlungsraum, wo Ansgar Rolfs mit einem Kollegen der Spurensicherung sprach. Die Bestatter warteten im Flur.

»Das dauert hier doch noch eine Weile«, erklärte sein Mitarbeiter, als er Thamsen sah.

»Okay, dann fahre ich zu der Angehörigen.« Zwar gehörte das Überbringen von Todesbotschaften nicht unbedingt zu Dirks Lieblingsaufgaben in seinem Job, aber er hatte auch wenig Lust, hier zu stehen und zu warten, bis alle Spuren gesichert waren. Das Ergebnis würde er ohnehin morgen in dem Bericht lesen können. Er verabschiedete sich von Rolfs und den Kollegen, ließ sich von Dr. Scholz’ Mitarbeiterin den Zettel mit der Anschrift der Tochter reichen und eilte aus der Praxis. Die Menschenmenge vor dem Eingang nahm er gar nicht wahr, wohl aber, dass jemand seinen Namen rief. Suchend blickte er sich um und erkannte schließlich ein bekanntes Gesicht zwischen all den Schaulustigen.

»Tom, was machst du denn hier?« Eigentlich war der Freund wenig sensationslüstern. »Ist Haie etwa auch hier?« Dirk ließ seinen Blick über die Menge schweifen. »Nein, nein. Ich wollte mit Niklas in die Sprechstunde.«

»Oh«, entfuhr es Thamsen, »ist er krank?«

Tom nickte. »Magen-Darm.«

»Na, dann fährst du besser ins Krankenhaus«, empfahl Dirk. »Hier gibt es jedenfalls in der nächsten Zeit keine ärztliche Hilfe.«

»Hab schon gehört, Dr. Scholz ist tot.«

»Ja, und wie es aussieht, ist er nicht freiwillig aus dem Leben geschieden.«

4. Kapitel

Haie bereute, nicht mit nach Niebüll gefahren zu sein. Sein Bauchgefühl sagte ihm, dass da irgendetwas nicht stimmte. Warum ging in der Praxis des Hausarztes niemand ans Telefon? Auch jetzt nicht? Er hatte bereits mehrere Male die Nummer von Dr. Scholz gewählt, aber nach wie vor sprang dort nur der Anrufbeantworter an. Seltsam. Tom hatte sich auch nicht gemeldet, und an sein Handy ging er nicht ran.

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

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