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Stell dir vor, du lebst in einem fremden Land. Stell dir vor, dort passiert dir Unaussprechliches. Langsam beginnst du, dich von diesem Trauma zu erholen. Und dann lernst du genau in dieser Zeit jemanden kennen – und die alten Wunden reißen wieder auf. So erging es Susan, Autorin und Kolumnistin aus Deutschland, die ein überschaubares Leben in Marrakesch führte. Von einem Tag auf den anderen änderte sich für sie alles. Als sie ein Jahr später Steve in ihrem Lieblingsclub trifft, muss sie Entscheidungen treffen. Entscheidungen, die keiner der beiden vorher geahnt hatte.
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Seitenzahl: 253
Veröffentlichungsjahr: 2020
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Frikadellen für Marrakesch
Stell dir vor, du lebst in einem fremden Land.
Stell dir vor, dort passiert dir Unaussprechliches. Langsam beginnst du, dich von diesem Trauma zu erholen. Und dann lernst du genau in dieser Zeit jemanden kennen – und die alten Wunden reißen wieder auf.
So erging es Susan, Autorin und Kolumnistin aus Deutschland, die ein überschaubares Leben in Marrakesch führte. Von einem Tag auf den anderen änderte sich für sie alles.
Als sie ein Jahr später Steve in ihrem Lieblingsclub trifft, muss sie Entscheidungen treffen. Entscheidungen, die keiner der beiden vorher geahnt hatte.
Hanna Jakobi ist ein Pseudonym
Hanna Jakobi
Frikadellen für Marrakesch
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar.
Impressum
© 2020 Hanna Jakobi Verlag & Druck: epubli - ein Service der neopubli GmbH, Berlin
1. Auflage
Alle Rechte vorbehalten.
e Für Karin, Nicole und Birgit f
Vielen Dank für Eure Hilfe!
Kapitel 1
Susan stand vor dem Spiegel und versuchte zum xten Mal, einen vorzeigbaren Lidstrich unter ihr rechtes Auge zu ziehen. Wie lange war es her, als das selbstverständliche Handgriffe für sie waren? Sie erinnerte sich nicht. ›Sich anmalen‹, wie sie es nannte. Um solche Äußerlichkeiten bemühte sie sich nur, wenn es gar nicht anders ging.
Die Vorbereitung zu diesem Abend forderte ihr Überwindung ab. Ihre Arme waren längst wie Blei. Das Geschminke strengte sie an. Angezogen hatte sie sich auch noch nicht. Wirklich motiviert hätte man nichts an ihr nennen können.
Ihre Freunde, die Therapeutin und diese lästigen Stimmen in ihrem Kopf hatten ja recht: Sie durfte sich nicht immer einsperren. Es musste Schluss sein. Schluss mit dem Gefängnis, das sie sich selber baute.
Das Intercom neben der Vordertüre piepte. Mit einem halb angemalten Auge spurtete sie, in Unterwäsche, zur Sprechanlage.
»Wir – sind – es! Bist – du – fertig?«
Susan schüttelte grinsend den Kopf. Sigi brüllte jedes Wort einzeln! Dem ITler war das altertümliche Sprechdings suspekt! Sie konnte ihn vor ihrem inneren Auge sehen, wie er, den Hörer am Tor weit von sich gestreckt, versuchte, in die Muschel zu plärren. Auch ohne die Anlage hätte man jedes Wort bis zu ihr rauf verstanden.
Das Lachen war der Kick, den sie brauchte – Sie waren da! Ihre drei Chaotenfreunde warteten vor dem Tor auf sie!
»Gebt mir fünf Minuten!«
Sie wollte gerade auflegen, um ihr rechtes Auge fertig zu malen, als es in dem Kasten an der Wand noch einmal knackte.
»Können wir kurz rein?«
»Äh, nö, Yasid hat Hasan schon rausgelassen. Ich denke ihr wartet besser kurz vorm Tor.«
Sie steckte den Hörer auf die Halterung an der Wand und verschwand im Bad.
Kaum zehn Minuten später schnappte sie sich im Vorbeigehen Jacke und Tasche und flitzte, allerdings mit gebührender Vorsicht, die Vordertreppe hinunter.
Die Stufen hatten sich in den Jahrzehnten, die das Riad genutzt wurde, in der Mitte gesenkt. Wenn man nicht aufpasste, war man verdammt fix unten.
In dem engen Innenhof strahlte ihr abendliche Kühle entgegen. Hasan lag in seiner Ecke und kaute an einem Knochen. Sein beachtliches Gebiss hatte dem Teil gehörig zugesetzt. Als er Susan sah, sprang er auf und trabte auf sie zu. Hasan, ihr Wachhund – er war im Dienst.
Susan klopfte dem Mastiff auf die muskulöse Flanke. Hasan ließ sie gewähren, schaute kurz hechelnd zu ihr hoch.
»Alles klar«, sagten seine Augen, »ich pass’ auf dich auf, Susan!«
Sie war deutlich entspannter, seit das Tier bei ihnen lebte. Sie mochte Hunde, wenn auch nicht unbedingt Kampfhunde solchen Ausmaßes. Aber mit ihm kam sie sich beschützt vor, immerhin in den eigenen vier Wänden.
Nach dem Erlebnis vor inzwischen über einem Jahr hatte sie sich wochenlang nicht mehr vor die Türe getraut. Selbst in ihrer Wohnung im ersten Stock war sie kaum zur Ruhe gekommen. Nach Monaten mit Evas Hilfe, lief es inzwischen aber wieder halbwegs normal.
Vor dem Haus war Sigis ungeduldiges Hupen zu hören.
Am Tag hätte man das aus dem ganzen Straßenlärm kaum herausgehört. Aber jetzt am Abend war es rund um das Haus erheblich leiser. Nach Sonnenuntergang, wenn das Gebet des Imam verhallt war, kehrte Stille in diesen Teil der Medina. Der ganze Rummel konzentrierte sich nachts dann in und um den Souk, der hunderte Meter weiter Richtung Zentrum lag. Zumindest hier, in dem Komplex in dem Susan das Riad gemietet hatte, verschwand das Getümmel nach dem Abendgebet. Es war einsame – friedvoller. Wenn das auch täuschte. Jedenfalls das mit dem Frieden. Die Atmosphäre am Abend war mit ein Grund, warum sie lange verbissen um den Hof gefeilscht hatte. Seit dem letzten Jahr aber, war ihr die Leere der Gassen, in denen sie nachts nun jeder streunende Köter aus dem Schlaf schreckte, eher ein Graus.
Vor dem Haus tönte wieder die Hupe.
»Tja Hasan, dann werd’ ich mal – auch dir einen schönen Abend mein Lieber.«
Sie kraulte dem Hund hinter dem Ohr, zog die Riegel des wuchtigen Holztores auf und entsperrte die beiden unpassend modern anmutenden Sicherheitsschlösser. Sie war schon halb durch die Türe, als Yasid aus dem Haus gestürmt kam und ihr zuwinkte.
»Geh’ Du nur Fräulein, Yasid macht fertig hier.«
Seine Augen blitzten sie an.
Susan winkte zurück, dankte ihm mit einem Kopfnicken und ging zu ihren Freunden ans Auto. Hoffentlich schloss er ordentlich hinter ihr zu.
Sigi saß auf dem Fahrersitz – wen wunderte es, er gab in ihrer Truppe den Ton an – und trommelte mit seinen Fingern auf das Lenkrad.
»Frauen ... Muss man immer warten.« Er grinste zweideutig in den Rückspiegel. Durch die heruntergekurbelte Seitenscheibe hauchte sie ihm einen Kuss auf die Wange. Ralf war inzwischen gentlemanlike vom Beifahrersitz aufgesprungen. Er nahm sie leicht verkrampft in den Arm – Küsschen rechts, Küsschen links – und bot ihr seinen Sitzplatz neben dem Fahrer an. Susan winkte ab, quetschte sich lieber zu Brigid auf die Rückbank.
»Schön, dass du wieder mitkommst!«
Brigid umarmte sie herzlich. Ihre Augen strahlten. Das taten sie im Grunde ständig und bei jedem. Heute freute sie sich aber ehrlich, dass ihre Busenfreundin mit an Bord war.
»Geht es dir gut?«
Susan nickte lächelnd. Gut war entschieden übertrieben. In Wirklichkeit fühlte sie sich nicht einmal ok. Nicht annähernd. In Wirklichkeit war ihr speiübel. Spät abends, und im Dunklen. Da war es noch immer eine Überwindung für sie aus dem Haus zu gehen. Aber es musste sein. Sie musste sich wieder daran gewöhnen. Üben. Immer und immer wieder. Sie konnte sich nicht ihr Leben lang verstecken und wegsperren. Das Dreckspack, das ihr das angetan hatte, hatte auch keiner hinter Gitter gesetzt.
»Zum Fishavi, die Damen?«
Eine rein rhetorische Frage vom Fahrersitz.
Die vier gingen immer ins Fishavi.
Der Club hatte reichlich Vorteile. Zum einen zahlte man keinen Eintritt. Gut, dafür waren die Preise für Getränke und Essen gesalzen, aber das Essen halbwegs ordentlich gemacht und für Clubverhältnisse das Geld wert. Das war der zweite Vorteil vom Fishavi – es gab dort nicht nur zu trinken. Auch keine brüllende Musik wie in den meisten anderen Clubs, um sich die ganze Nacht die Seele aus dem Leib zu schütteln. Man konnte gepflegt essen und ohne sich anzuschreien, Konversation betreiben. Die Sitznischen waren geschickt von der Tanzfläche abgeschirmt, dass man sich nicht über den Lärm der Musikanlage hinweg anbrüllen musste. Was sonst in den Nischen geschehen durfte, mochte für einige, vor allem heimliche, einheimische Pärchen ein weiterer Vorteil sein. Was im Fishavi passierte, blieb im Fishavi. Hier war quasi alles erlaubt.
Der Club galt über die Grenzen der Stadt hinaus als der Schmelztiegel der Kulturen, die in Marrakesch aufeinandertrafen – Einheimische, Europäer, ein paar Russen, ab und an ein Ami. Nur – und das war einer der größten Vorteile des Fishavi – Touristen gab es hier nicht. Die wären zwar vor Verzückung geschmolzen – in die breiten Sessel hineingeschmolzen, hätten sie die Chance bekommen, das Innere der Location auch nur zu sehen. Aber Touris waren unentspannt. Wie hektische Trüffelschweine, die mit ihren Nasen unablässig aufgeregt durch den Dreck suhlten.
Touris machten die Atmosphäre kaputt. Und von Atmosphäre gab es im Fishavi genau die richtige Dosis: Orientlook, aber ohne Plüsch und Samtkissen, erdige Farbkombis, die einen vom Hinsehen allein, in wenigen Sekunden ins 1001 Nachtfeeling katapultierten. Das wahre Marokko in moderner Aufmachung, das Alte, das mit ganz viel Seele und Humphrey Bogart-Sehnsuchtsflair neben Weltoffenheit und guter Mucke.
Und ins Fishavi kam nicht jeder rein. Man musste schon jemanden kennen. Am besten jemanden, der mit Abdul persönlich war. Abdul, der Zweimeterkoloss mit dem sanften Schlafzimmerblick, dem der Club gehörte.
Abdul hatte irgendwann einmal einen Computer gebraucht, besser so ein IT-Netzwerk, das seine Lokale, die er im gesamten Lande verstreut betrieb, mit dem Fishavi verband. Der Club hier in Marrakesch war sein Hauptsitz, seine Residenz. Kassensystem, Buchhaltung, oder das was er unter Buchhaltung verstand. Automatisierte Einkaufslisten und Abrechnungen – sowas brauchte Abdul damals. Und da war Sigi ins Spiel gekommen. Der arbeitete in einem dieser Softwareunternehmen, die Datenautobahnen durch die ganze Welt zogen. Und Sigi war für Nordafrika, für Marokko, zuständig.
Sein bester Freund aus Studientagen, Ralf, war aktuell von seinem Unternehmen, das irgendwelche Speichereinheiten für Computer herstellte, nach Fes geschickt worden, um dort Anlage und Arbeiter in Form zu bringen. Ralf war fasziniert von der marokkanischen Kultur und angenervt von der Arbeitsmoral seiner Bewohner. Wenn einer über seinen Job schimpfte, war es Ralf.
Ralf lernte Brigid auf einem Firmenempfang der deutschen Botschaft kennen, in der sie als Übersetzerin arbeitete und Susan kannte Brigid noch aus Deutschland.
Susan selbst war schon lange überzeugter Orientfan. Durch unzählige Reisen und Recherchen zum Experten rangiert, bat sie ihr Verlag, einen Reiseführer über das Land zu schreiben. Vom Insider aus erster Hand, quasi. Dafür hatte ihr der Verleger das Haus in der unteren Medina ein halbes Jahr auf Spesen zur Verfügung gestellt.
Susan hatte es in Marrakesch so gefallen, dass sie geblieben war. Inzwischen lebte sie vier Jahre hier. Die beiden Letzten davon auf eigene Kosten. Der Veröffentlichungstermin des Reiseführers ließ sich irgendwann nicht mehr länger hinauszögern.
Ihre Kolumne in einer bekannten Frauenzeitschrift verkaufte sie mit Sigis Hilfe unverschämt gewinnbringend. Mit den Einnahmen daraus musste sie sich keine grundsätzlichen Gedanken mehr um ihre finanzielle Situation machen. Ihr letzter Roman schlug dazu einigermaßen ein, sodass sie eine gewisse Summe zurücklegen konnte – wenn das Werk es auch nicht auf irgendeine Bestsellerliste geschafft hatte. Ihr neues Projekt lag nahezu fertig in der Schublade, aber eben nur nahezu. Momentan konnte sie von der Überarbeitung, dem letzten Feinschliff für die Veröffentlichung, nur träumen. An Arbeiten, die auch nur ein Minimalmaß an Konzentration verlangten, war erst langsam wieder zu denken. Ihre Lektorin stand ihr deshalb inzwischen regelmäßig zweimal die Woche mit einer Email auf den Füssen.
Der Verlag und ihre Fans warteten, und sie hing oft tagelang in diesem beschissenen, inneren Gefängnis fest. Die Türe wollte und wollte sich nicht öffnen. Sie kämpfte mit übermächtigen Dämonen, die ihr den Tag schwer und viele Nächte zur Qual machten. Auch wenn es aufwärtsging. Ihr fehlte langsam die Geduld mit sich selbst.
Sie war froh, wenigstens für ihre Kolumne termingerecht liefern zu können. Ideen gab es für die frechen Aphorismen und spritzigen Anekdoten genug. In den vergangenen Jahren hatte sie en masse Texte für ihre Spalte in dem Magazin, das alle zwei Wochen erschien, auf Vorrat geschrieben. Die schickte sie nun nach und nach an die Redaktion. Wenigstens, das bekam sie noch einigermaßen hin.
Kapitel 2
Sigi lenkte den blauen Mini auf einen freien Parkplatz neben der Disko. Beim Aussteigen hörten sie bereits die dumpfen Bässe aus dem Fishavi wummern. Susan liebte den Club.
Sigi hatte eine der raren Lücken am voll geparkten Straßenrand ergattert. Sein Mini brauchte wenig Platz. Kaum war sie aus dem Auto, wanderten Susans Blicke in alle Richtungen. Ihr Magen krampfte sich zusammen. Es war eine bescheuerte Idee, hierher zu kommen.
Susan nahm die anderen Wägen surreal wahr. Sie kam sich beobachtet vor. Es schien ihr, als wäre hinter jedem, säße in jedem Auto einer, der sie anstarrte. Jede ihrer Bewegungen wurde registriert, als ob die Fahrzeuge selbst sie mit ihren Scheinwerferaugen hämisch begaffen. Brigid bemerkte Susans Anspannung und hakte sich bei ihr ein.
»Traumzeithimmel!«, raunte sie ihr lasziv ins Ohr und legte den Kopf in den Nacken.
Stimmt. Keine Wolke. Die Nacht lag über ihnen wie die Glaskuppel einer Schneekugel. So eine die man in der Hand schütteln konnte, damit es in ihr Plastikflocken schneite. In Marrakesch gab es natürlich keinen Schnee, nur Sand. Und in diesem Viertel hätte es Dreck, eine Menge Dreck, geschneit, hätte man es in eine Glaskugel gepackt.
Der Club lag einige Kilometer außerhalb. Weder Abgase, noch der Rauch aus den Kohlefeuern der Straßenstände störten hier die Sicht auf die Sterne.
Susan folgte Brigids Blick nach oben.
Es war eine außergewöhnliche Nacht. Vielleicht empfand sie das so, weil sie trotz ihrer klammernden Angst stolz auf sich war. Sie hatte sich aus ihrem Riad getraut. Nach Sonnenuntergang.
Die Sterne blinkten und der Wind rauschte in den Blättern der ungepflegten Palmengruppe am Straßenrand. Es klang, als raunten sie ihr Glückwünsche für ihren Mut zu.
Solche Nächte drängten einen regelrecht, zu erkennen, wie klein, wie unbedeutend, man war. Als Mensch mit seinen ganzen Menschenproblemen – mitten in diesem unendlichen Universum. In solchen Nächten war kein Platz zum Hadern. In solchen Nächten wurden Helden gezeugt.
Susan lächelte Brigid zu und legte ihren Kopf an ihre Schulter. Sie war dankbar, dass ihre Freundin so starrköpfig auf ihr Mitkommen beharrt hatte.
Während sie den Eingang des Clubs ansteuerten, hielt sich auch Ralf dicht an ihrer Seite. Bei jedem Schritt stießen ihre Arme ein wenig aneinander. Ralf spielte den edlen Ritter. Ganz unauffällig. Aber er spielte es mies. Sie konnte sich vorstellen, worum sich die Gespräche drehten, wenn sie nicht dabei war. Was in den letzten Wochen die Regel war.
Der Türsteher schaute wie immer äußerst grimmig. Reagieren würde er deutlich gemäßigter, hätte jemand Stress gemacht. Sie ließ er wortlos ein. Man kannte sich. Sie waren nicht zum ersten Mal hier. Ein freundliches Lächeln hatte sein Diensteifer aber auch für sie nicht.
Die Freunde hielten auf ihren Stammplatz an der kurzen Seite der Tanzfläche zu. Niemand wäre auf die Idee gekommen, in eine andere Richtung zu laufen. Die Clique saß immer dort.
Sigi kannte im Fishavi Gott und die Welt und brauchte eine Weile, bis er sich durch alle Hände geschüttelt und alle Rücken geklopft hatte. Ralf ging unterdessen mit den beiden Frauen zu ihrem Platz.
Ein befreundetes Pärchen und ein einzelner Kerl saßen in ihrer Nische. Susan kannte das Pärchen flüchtig. Den Mann hatte sie vorher noch nicht gesehen. Brigid umarmte und küsste in sämtliche Richtungen. Ralf gab brav die Hand. Susan nickte den dreien zu, verzog sich lieber auf die Bank hinter dem langen Holztisch. Sie hielt den üblichen Anstandsabstand, den man zu denen, die man nicht näher kannte, hielt. In diesem Fall war der Unbekannte der Singlekerl. Das nahm sie jedenfalls an. Er saß ohne Begleitung am Tisch.
Von ihrem Platz aus hatte sie die komplette Tanzfläche im Blick. Die Kissen auf der Bank, die lieber gleich ein Sofa geworden wäre, waren enorm und hatten – zu Susans Freude entgegen dem sonstigen Einrichtungstrend des Clubs – Troddeln an jeder Ecke. Man versank so schön darin.
Sigi hatte ausreichend Hände geschüttelt, kam zu ihnen herüber und packte Brigid an den Hüften. Er schleppte sie auf die Tanzfläche, ohne sich auch nur ein einziges Mal hingesetzt zu haben.
Dem DJ war nach Techno.
Pang – Pang – Pang.
Erstmal alle Herzen in Gleichklang schalten.
Pang – Pang – Pang.
Hoffentlich dauerte sein Anfall nicht lange, dachte Susan. Ihr Fall war dieser Musikstil ja nicht. Dafür war sie zu alt. Der Bass (mehr war es im Grunde ja nicht) erinnerte sie an das Trommeln afrikanischer Eingeborener auf einem dieser mystischen Dorffeste. Stampfende Baströckchen mit sonst nix ums Lagerfeuer herum. Klischee? Vielleicht. Live hatte sie einen original Afrodance nie erlebt.
Pang – Pang – Pang.
Schwoof – taa ta ta – taa ta ta
Ein geschickterer Übergang wäre denkbar gewesen.
Versöhnlichere Klänge für ihre Ohren.
Discofox.
ABBA – Dancing Queen.
Brigid und Sigi waren in ihrem Element.
Eins – zwei – tapp.
Und nochmal: Eins – zwei – tapp
Überall: Eins – zwei – tapp.
Schwedischer Pop unterm marokkanischen Sternenzelt.
»Susan – willst du?«
Ralf hielt ihr seine Hand hin.
Upps, sie hatte ihn bei dem ganzen Pang-Pang zuvor glatt vergessen. Er stand neben dem Tisch, hatte sich nicht gesetzt.
»Ach nö, lass mal, ich möchte erst was essen. Später? Ok?!?«
Ihr war klar, dass sie Ralf damit den Abend ein bisschen vermieste, hatte momentan aber keine Lust auf eins – zwei – tapp. Sie machte es sich zwischen den Kissen bequem. Gedankenverloren zog sie die bunten Quasten durch ihre Finger.
Ihr Kellner kam an den Tisch und stellte vor den Single- Mann einen Teller mit Pommes und etwas, das aussah wie der Versuch eines Schnitzels auf Deutschniveau. Susan starrte amüsiert auf den grandiosen Fleischfetzen.
Im Fishavi gab es ja fast alles. ›Alles‹ im Bezug auf die kulinarische Ausrichtung (und da gehörte für Abdul eigentümlicher Weise ›deutsches Schnitzel‹ ohne jegliche Kompromisse dazu), ›fast‹ im Bezug auf Schweinefleisch. Wienerschnitzel aus Kalb? Ja! Schwabenschnitzel aus Schwein? Nein! Da hörte selbst für ihn der Spaß auf. Couscous, Curry, Sushi, ein gediegenes Wasserpfeifchen, durchaus auch fragwürdigeren Inhalts, seinetwegen das ein oder andere leichte Mädel – sie und ihr Eigenmarketing wurden geduldet, solange der Umsatz stimmte. Auch mit Alkohol hatte der überzeugte Moslem kein Problem. Er musste ihn ja nicht selber trinken. Was wer im Fishavi tat oder zu sich nahm – Abdul hielt sich raus. Nur Schwein kam ihm nicht rein. Currywurst und Schweinshaxe fehlten auf seiner Karte. Und Kalb kannte er nicht. Die Turboscheibe Fleisch, die (ganz deutsch) links und rechts über den Teller hing, bestand aus Kuh, einer sichtbar betagten.
Susan bestellte Mangolassi und Gemüsecouscous. Für die scharfe Soße, die sie über die Nudelkrümel schütteten, hätte sie sterben können. Je nachdem, wer Dienst in der Küche schob, lag das durchaus im Bereich des Möglichen.
Über der Tanzfläche spie jetzt eine gewaltige Spiegelkugel passend zum ABBA-Song ihre tausend künstlichen Sterne an die Wände des Clubs. Susan blinzelte ins Lichtergewirr.
Weit, weit darüber funkelten ihre echten Brüder – durch das Blitzer-Glitzer der Lichtshow unseligerweise im Moment nicht auszumachen.
Das Fishavi konnte das komplette Dach einziehen, irgendwohin wegrollen, dass man in ihm im Grunde in einer ausladenden Freiluftanlage mit Indoor-Mobiliar saß. Der Nachtwind strich dann darüber und wirbelte einem ab ausreichend Beauforts die eigenen Gedanken und Sehnsüchte durcheinander. Das war der Hauptgrund, warum sie alle soweit aus der Stadt heraus hierher kamen.
Susan legte den Kopf auf die Sofabanklehne und versuchte, die Sterne hinter den Glitzerlichtern zu erkennen. Der Himmel war heute klar wie das frisch gefrorene Eis eines Bergsees.
Jetzt war sie hier, fast im Freien und das bei Nacht. Durch die Menschen um sie herum abgeschirmt, begann sie zu entspannen und den Abend zu genießen. Sie hoffte, dass das Dach heute geöffnet bliebe.
Manchmal drohte ein Sandsturm (was selten der Fall war) oder ein richtiger Sturm mit Gewitter und Regen (was im Grunde nie der Fall war). Dann drückte jemand auf einen Knopf und Fishavis Überdachung schwebte wie ein fliegender Teppich binnen Minuten zurück an seinen Platz. Darunter verwandelte sich die Luft aber schnell in einen kaum atembaren Mief, dass man an solchen Abend besser die Location wechselte. In dieser Nacht war damit nicht zu rechnen.
Sie war hier.
Susan wippte und summte aus ihrem Kissenberg heraus zur Musik mit. Die Stücke der schwedischen Band, die der DJ jetzt rauf und runter jubelte, hatte man im Kopf. Da sang das Hirn ohne Zutun, ob man wollte oder nicht.
Der Singlemann neben ihr säbelte immer hektischer an seinem Fleischfransen. Es bedurfte handwerkliches Geschick für dieses Gericht. Das Fleisch war genauso zäh, wie es aussah. Auf jedem, dem kleinsten Bissen, den er dem Teil mühsam abgerungen hatte, kaute er ewig herum. Messer und Gabel führte er dabei grazil und zielsicher, eine Fähigkeit, die bei der Allgemeinheit heutzutage ja inzwischen weniger zur Grundausstattung gehörte.
Susans Augen verzogen sich voll Mitgefühl. Er erwiderte ihren Blick mit Schulterzucken.
»Zweimal gestorben die Kuh!«, meinte er, zwischen zwei Bissen.
»Ja, Fleisch können sie hier nicht besonders gut. Höchstens geschmort.«
»Isst du nichts?«
»Ich hab’ gerade erst bestellt. Aber ich mag sowieso kein Fleisch.«
»Hm.« Er nickte, versuchte es mit dem nächsten Bissen. Nachdem er das Stückchen in den Mund geschoben hatte, legte er das Besteck genervt, aber akkurat auf zehn Uhr- Stellung auf den Teller.
»Braucht man gute Zähne.« Sie lachte ihn amüsiert an. Der Mann hielt sich seine Hand entschuldigend vor den Mund, nickte nur. Mit vollem Munde redet ... Selten gut erzogen!
Der Kellner kam mit dem Lassi, knallte es wort- und blicklos vor sie auf den Tisch. Singlemann und Susan tauschten Blicke und beidseitig belustigtes Schulterzucken über das unfreundliche Tun der Bedienung.
Für’s Erste ausgetanzt, kamen Sigi und Brigid zurück an den Tisch. Vor Anstrengung waren ihre Gesichter knallrot, Schweiß stand auf ihrer Stirn. Die Nacht hatte die Luft nicht wirklich abgekühlt. Die massiven Steinwände schickten die Tageswärme zurück zur Tanzfläche.
»Oh, Susan, darf ich mal?«
Mit einem Rutsch schüttete Sigi ihr Lassi in sich. Mit einer Handbewegung rief er gleichzeitig den unterkühlten Kellner heran. Als der endlich in seine Richtung blickte, hob er das Glas auf Kopfhöhe und deutete mit Zeige- und Mittelfinger darauf. Zwei Mal neu, bitte!
»Ihr habt Euch schon bekannt gemacht?«
Brigid war zu Susan und Singlemann auf die Bank gerutscht. Sie drängte sich beim Hinsetzen so eng an sie, dass Susan nichts anderes übrigblieb, als näher zu ihrem Nachbarn aufzuschließen.
»Bekanntgemacht? Äh, so gut wie, ja!?!«
Susan sah Brigid an. Der Typ neben ihr begann eben einen weiteren chancenlosen Angriff auf sein Schnitzel und hörte ihnen nicht zu.
»Nicht? Ja also: Steve, das ist Susan, Susan – Steve!«
Sie nickte dem Kauenden zu. Steve also. Hätte sich das geklärt.
Der Kellner stellte die neuen Getränke vor die beiden Frauen. Diesmal mit Blickkontakt, was hieß, er sah sie so angepisst an, als hätte er die Mangos in seiner Freizeit persönlich für sie pflücken müssen.
»Dem kneift der Sack im Frack!«, kommentierte Sigi den Blick der Frauen und tänzelte im Discofox Grundschritt von einem Fuß auf den anderen. Nicht nur einmal klaute er dabei Pommes von Steves Teller.
»Muß ja schlecht um die IT- Branche stehen ...« Ralf rutschte zu ihnen auf und beobachtete Sigi kopfschüttelnd Steves Pommes kauen.
»Komm, lass uns den tanzen!«
Brigid schmiss sich auf Ralf, um ihn sofort wieder von der Bank zu schieben. Sie war zum Tanzen hier, nicht zum Quatschen! Aus dem Soundsystem dröhnte jetzt etwas Bekanntes aus den 80ern. Duran Duran oder so. Susan erinnerte der Song daran, dass sie, als er damals ganz frisch herausgekommen war, eine furchtbare Dauerwelle gehabt hatte. Schulterpolster waren zu der Zeit der letzte Schrei gewesen. Die hatte sie aus den Oberteilen immer herausgeschnitten. Die riesigen Plastikohrringe, die einfach jede damals hatte, hatte sie geliebt. Ein paar mussten noch in einer dieser Schubladen, die man maximal zweimal im Jahr öffnete, liegen.
»Ich hab’ Susan versprochen...«, versuchte Ralf Brigid abzuwimmeln.
Susan schüttelte rasch den Kopf. Geht nur! Sie hatte immer noch keine Lust zum Tanzen. Lieber saß sie, tief in ihre Kissen gekuschelt, und sah in die Lichter über ihr. Sie überlegte, ob es sich schickte, nun, da Brigid ihr nicht mehr so dicht auf die Pelle rückte, so nahe bei diesem Steve zu sitzen. Ihre Oberschenkel berührten sich beinahe.
Ralf versuchte weiter, Brigids Annäherung zu entkommen, stand aber auf. Eben kam der Kellner mit ihrer Portion Couscous an ihren Tisch. Die perfekte Ausrede, nicht auf die Tanzfläche zu müssen. Just in time sozusagen. Susan rieb sich grinsend die Handflächen und schlüpfte aus ihrer Polsterladung. Voll Vorfreude auf das Essen, wickelte sie die einsame Gabel aus der Papierserviette, die das Flair von Stoff täuschend echt nachbildete. Steve nickte ihr ein »Guten Appetit wenigstens für dich« zu und schob endgültig seinen Teller von sich.
Brigid hatte es schließlich doch geschafft, Ralf zum Tanzen zu überreden, und zog ihn hinter sich her unter den Spiegelball. Sigi, ihr eigentlicher Tanzpartner hatte durch die blinkenden Lichter am anderen Ende des Raumes schon wieder einen Bekannten entdeckt, dem er noch nicht die Hände geschüttelt hatte, und tigerte in dieser Richtung davon.
Susan amüsierten die drei immer wieder. Sigi, Brigid und Ralf. Diese drei Chaoten waren inzwischen ihre besten Freunde.
Sigi und Brigid waren kein Paar. Nicht außerhalb der Tanzfläche. Früher wollte Sigi einmal etwas von Brigid und noch früher sie von ihm. Irgendwie hatten sie sich zeitlich nie einigen können, mit dem Was-vom-andern-wollen, so wurde nichts aus ihnen. Manchmal stimmte das Timing einfach nicht.
Beide hatten aktuell andere Partner und lebten mit ihnen in temporär durchaus befriedigenden Beziehungen. Es traf sich äußerst gut, dass diese beiden so überhaupt nichts von Mucke, Clubs und der ›Zappelei‹ hielten, also blieben sie lieber zu Hause. Keiner war auf irgend jemanden böse und Sigi und Brigid hatten ihren Spaß auf der Tanzfläche. Manche Lösungen waren simpel.
»Und? Hast du aufgegeben? Vom Schnitzel besiegt?«
Susan lächelte Single-Steve zu.
Sie hatte sich entschlossen, doch etwas abzurücken, um ihm beim Essen nicht versehentlich den Ellenbogen in die Seite zu rammen.
»Ja, aber passt schon. Ich hatte vorher schon was Kleines.«
Sie machte sich hungrig über ihren Couscous und die Soße her. Aus den Augenwinkeln beobachtete sie diesen Steve. Journalistisch. Etwas hatte ihre Trüffelschwein- Schreibernase anspringen lassen. Etwas war seltsam an diesem Kerl. Susan konnte nur noch nicht einordnen, was es war. Beim Sprechen nickte sein Kopf immer ein wenig vor und zurück und irgendwie kam er ihr fehl am Platz vor. Aber so, wie sie sich begrüßt hatten, kannte er Brigid und Sigi.
»Kommst du öfters her?«
Da! Da war es wieder: Vor und zurück. Zweimal. Er machte das in jedem Satz.
»Ab und an, letzte Zeit nicht mehr so.«
In letzter Zeit.
Mit ihrer eigenen Antwort vertrieb es schlagartig die Konzentration auf den Mann neben ihr.
Widerliches Kribbeln jagte Susan den Rücken hinab, als hätte jemand eine ganze Ladung Eiswürfel in ihren hinteren Ausschnitt geschüttet.
»Stopp!«, befahl sie ihrem Bewusstsein. So, wie es ihr Eva gezeigt hatte.
Nicht weiter erinnern oder denken! Weg mit diesen Gedanken! In diesem Moment hatten sie keine Daseinsberechtigung. Besser schnell irgendetwas sagen.
»Und du? Ich hab dich, glaube ich, noch nie hier gesehen.«
»Gut möglich. Ich gehe nicht so oft aus. Mir reichen die Leute bei meiner Arbeit.«
Pffff – ausatmen! Die Panikattacke hatte sie für den Moment abgewehrt. In der extremen Wachheit, die folgte, dämmerte es ihr, was so eigenartig an diesem Steve war!
Es war nicht dieses Vor und Zurück.
Es war sein Hals.
Er hatte einen enorm langen Hals.
Nicht giraffenartig. Irgendwie anders. Sie überlegte, an wen oder was er sie erinnerte. Irgendetwas nicht Alltägliches war es. Sie kam nur nicht darauf, was.
Steve nahm sich eine Pommes, die inzwischen sicher kalt war, mit den Fingern von seinem Teller. Als hätte er sich über sein eigenes Tun erschrocken, erstarrte er in der Bewegung und ließ den Kartoffelstreifen auf den Teller zurückfallen.
Da – jetzt fiel es Susan ein: Gottesanbeterin!
Er hatte etwas von einer Gottesanbeterin.
Nicht nur sein langer Hals, auch wie er die Hand nach vorne klappte. Das erinnerte sie an das Insekt.
Was sagte man denen gleich nochmal nach?
Dass sie die Männchen nach dem Sex auffraßen. Oder war es während? Sie wusste es nicht mehr genau.
Aber Steve war ja ein Kerl, kein herausragend männlicher, aber immerhin eindeutig ein Kerl. Taten männliche Gottesanbeterinnen, also Gottesanbeter auch was Besonderes oder hatten sie beim Liebesakt einfach das Nachsehen? Vielleicht sollte sie einmal eine Kolumne darüber schreiben: Männliche Gottesanbeterinnen und ihr Arschkarten-Sexfinale!
Susan verdrehte innerlich die Augen über sich selbst. Welche Gedanken kamen ihr an dem Abend denn noch? Es war eindeutig an der Zeit, dass sie in ein geregeltes Sozialleben zurückfand. Was hatte er gesagt? Irgendwelche Leute in seiner Arbeit.
»Was arbeitest du denn, wenn dich Leute nerven? Bei Sigi? Auch so ein Kellerbüro-Nerd oder bist du einer von den Normalsterblichen?«
Steve lächelte. War es das erste Mal, dass er das tat? Sie erinnerte sich nicht. Dabei sah er nett aus, wenn er es machte. Das mit dem Lächeln.
»Nein, nein, ich bin keiner von den Tastenheinis. Ich habe Sigi bei meinem Job kennen gelernt, das stimmt. Aber im Restaurant. Ich bin in der Gastronomie.«
Ach so, das erklärte natürlich, warum er keine große Lust hatte, in der Freizeit auch noch an so einer Location herum zu hängen. Der Abend war dann wohl eher eine Ausnahme. Er lächelte noch immer. Gepflegte Zähne.
»Und was machts Du dann, wenn du frei hast?«
Oh Gott, war sie aufdringlich. Sie fragte ihn schon wieder etwas. Vielleicht wollte er sich nicht unterhalten, wenn ihm Menschen in seiner Freizeit lästig waren. Das hatte er eben ja deutlich gesagt.
Das nervige Prickeln in ihrem Nacken nahm wieder zu. Ihr Hals schmerzte. Trotzdem nicht das Gespräch ins Stocken geraten lassen! Egal wie. Atmen! Susan, du musst atmen! Ein – aus. Immer weiter.
Sie spürte, wie sie sich entspannte. Ihr Unterbewusstsein signalisierte, dass von Steve keine Gefahr aus gehen würde. Oder doch? Die Ratio stritt noch mit ihrem Bauch darüber. Für’s erste also Atmen! Ein – aus.
»Ach, ich bin zum Beispiel gern im Majorelle, von Laurent, kennst Du die Anlage? Ich liebe das Ambiente dort. Ich hab’ eine Jahreskarte.«
Susan nickte. Ja, den Garten mit den wunderbaren blauen Kacheln, den Brunnen und anderen Wasserflächen mochte sie auch. An die zwanzig Mal war sie sicher schon dort gewesen.
»Oder ins Ourika Tal, aber dann ganz früh. Wenn noch keine Touris dort sind. Da fahre ich auch gerne hin. Oder Wandern im Atlas und sowas. Ich hab’ ein Quad, da komm ich hin, wo sonst niemand ist. Sowas mach’ ich eigentlich eher, als in Clubs gehen. Lieber was mit Stille ...«
Er war also doch auf Kommunikation eingestellt. Und er lächelte wieder. Der DJ hatte die Regler auf Anschlag hochgedreht. »Hyper Hyper« brüllte Scooter durch den Raum. Susan guckte schief. Das war wieder nicht ihr Musikstil.