Frl. Ursula - Heiner Link - E-Book

Frl. Ursula E-Book

Heiner Link

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Beschreibung

«Meine Herren», rufen die Herren und pfeifen durch die Zähne, wenn ihnen eine Frau gefällt. Die Gier hat sie im Griff, dabei könnten sie fast wunschlos glücklich sein in ihrem Reihenhaus am Münchner Stadtrand mit Familie, Freiluftgrill, Doppelgarage. Sie sind es aber nicht, die wild gewordenen Schürzenjäger, die Heiner Link in seinem letzten Buch hochkomisch und tiefschwarz beschreibt.

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Seitenzahl: 199

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Heiner Link

Frl. Ursula

Ihr Verlagsname

Mit einem Nachwort von Norbert Niemann

Über dieses Buch

«Meine Herren», rufen die Herren und pfeifen durch die Zähne, wenn ihnen eine Frau gefällt. Die Gier hat sie im Griff, dabei könnten sie fast wunschlos glücklich sein in ihrem Reihenhaus am Münchner Stadtrand mit Familie, Freiluftgrill, Doppelgarage. Sie sind es aber nicht, die wild gewordenen Schürzenjäger, die Heiner Link in seinem letzten Buch hochkomisch und tiefschwarz beschreibt.

Über Heiner Link

Heiner Link, geboren 1960, veröffentlichte unter anderem den Roman «Hungerleider», die Humoresken «Affen zeichnen nicht» und das Internet-Tagebuch «Mein Jahrtausend». Er starb 2002 bei einem Motorradunfall.

Inhaltsübersicht

Umsonst strecke ich ...1,2,31. Kapitel2. Kapitel3. KapitelEditorische NotizDer letzte LinkNachwort

Umsonst strecke ich meine Arme nach ihr aus, morgens, wenn ich von schweren Träumen aufdämmere …

 

J.W. VON GOETHE

1,2,3

1

Scherers erster Verkehr

Der erste Versuch sei misslungen, sagte Scherer. Er habe sich im Alter von sechzehn Jahren dazu ein Mädchen namens Gabi Oberpollinger ausgesucht, gleichaltrig und in ihn verliebt. Er habe diese Liebe natürlich nicht erwidert, denn Gabi Oberpollinger sei nicht besonders hübsch gewesen. Genauer gesagt habe sie kein hübsches Gesicht gehabt. Der Körper sei allerdings perfekt gewesen. Es habe, so Scherer, zunächst mehrere heimliche Intimitäten auf einer hölzernen Pritsche im Schrebergartenhäuschen ihres Vaters gegeben, bevor er sie schließlich zu sich nach Hause gebeten habe, wo er sein Bett mit schweren Frotteehandtüchern ausgelegt habe, starke Blutungen einkalkulierend.

 

Gabi Oberpollinger sei damals pünktlich eingetroffen und habe sich von ihm, der nur einen Bademantel trug, vollständig entkleiden lassen. Man habe sich aufs Bett gelegt und sofort in eindeutiger Art und Weise berührt, sei schließlich ohne nennenswerte Verzögerung in Stellung gegangen und habe die Vereinigung vollziehen wollen, was aber nicht gelungen sei. Gabi Oberpollinger habe schließlich Hand angelegt, um ihm den Weg zu weisen, worauf er auf ihren Unterbauch ejakuliert habe. Dies sei insgesamt zweimal passiert. Er habe den Versuch schließlich mit der Vermutung abgebrochen, Gabi Oberpollinger sei nicht richtig gebaut. Aber das sei natürlich Unsinn gewesen, sagte er, sie habe sich drei Monate danach von einem dreißigjährigen Gerüstbauer entjungfern lassen, sei auch sofort schwanger geworden und lebe heute als allein erziehende Mutter von drei Kindern in der Nähe von Murnau.

 

Verschwinde! Im Supermarkt der Gefühle kann so ein Wort leicht untergehen. Man nimmt es nicht wahr, wie man zum Beispiel Schimmelkäse nicht wahrnimmt, wenn man ihn nicht mag. Oder meinetwegen Innereien, weil man sich aus unbestimmten Gründen davor ekelt. Verschwinde! Wo habe ich dieses Wort zuletzt gehört? Richtig: in Nachbars Garten. Ein Hund, genauer gesagt ein Hündchen, stand in Nachbars Garten und machte Anstalten, am Rhododendron zu urinieren. Vielleicht, um sich zu erleichtern. Vielleicht auch, um ein neues Revier zu markieren. Jedenfalls nicht zur Freude meiner Nachbarin.

 

Das eigentlich erste Mal sei in einem Schwabinger Lokal passiert, so Scherer. Mit einer Kellnerin namens Jutta, einige Jahre älter und einen Kopf größer als er. Scherers Beschreibung nach musste es sich um eine außergewöhnlich hübsche Person gehandelt haben; er verwendete einschlägige Adjektive. Des Weiteren ließen Scherers Ausführungen darauf schließen, dass die halbe Stadt das letzte Hemd dafür gegeben hätte, mit dieser Frau zu kopulieren, Nämliche sich allerdings stets sehr kühl, kontrolliert und distanziert zu verhalten wusste.

 

Selbstverständlich hätte ich das Hündchen in unserem Garten gewähren lassen. Niemals wäre mir das Wort Verschwinde! über die Lippen gekommen. Ich habe ja noch nicht mal etwas gegen die Ameisen unternommen, die sich in unserer Küche breit machten. Bis hinein in eine schlampig verschlossene Ketchupflasche, in der ihnen eine perfide Mischung aus Branntweinessig, Glukosesirup, Zucker und Lycopin den Garaus machte, fanden sie den Weg. An dem von meiner Frau ausgelegten Gift gingen sie nicht ein. Unternimm endlich etwas, hieß es schließlich von allen Seiten. Selbstverständlich auch vonseiten der Schwiegermutter.

 

Seinen Angaben zufolge musste es eine Märznacht im Jahre 1979 gewesen sein. Wenn er sich recht erinnere, sei das Europäische Währungssystem gerade in Kraft getreten. In dieser Nacht also musste er in dieser Schwabinger Kneipe gestanden haben, und zwar am Ende des Tresens, von wo aus er Juttas Beine anhimmelte, mit einer gewaltigen Erektion in der Hose und einem Glas Bourbon Cola mit Eis in der Hand. Er war 16 Jahre und neun Monate alt und ein, wie er es ausdrückte, «milchgesichtiges Bürschchen». Auf ihn, ausgerechnet auf ihn, soll das Objekt der Begierde ein Auge geworfen haben. Ihn und nur ihn habe sie den ganzen Abend angelächelt und einmal im Vorbeigehen sogar ins Gesäß gekniffen.

 

Scherer räumte ein, dass er es selbst kaum glauben konnte, die Angebetete ihn aber schließlich tatsächlich gebeten habe, mit nach hinten in einen Lagerraum zu gehen, um beim Transport von Coca-Cola-Kisten behilflich zu sein. Im Raum befindlich, habe sie allerdings keinerlei Anstalten gemacht, sich den amerikanischen Brausegetränken zuzuwenden, sie habe sich stattdessen weit über einen Tisch nach vorne gebeugt und «irgendwie herumgekramt». Durch diese Verrenkung habe der äußerst knapp bemessene Minirock nicht mehr verdecken können, dass sie kein Höschen trug. Er könne nicht mehr genau sagen, wie lange er unschlüssig gewesen sei und woher er schließlich den Mut genommen habe, hinter die Dame zu treten und diese sachte am Oberschenkel zu berühren.

 

Die Menschen, Leute muss man ja eigentlich sagen, scheinen nichts anderes zu tun zu haben, als Anordnungen und Aufforderungen zu erlassen. Wenn ich darüber nachdenke, nimmt es merkwürdige, ja groteske Züge an. Das Bild eines Menschen kommt mir in den Sinn. Das Bild eines Menschen, der auf rätselhafte, aber zweifellos gewaltsame Art und Weise umgebracht wird. Langsam, quälend langsam nimmt das Bewusstsein dieses Menschen ab. Ein Mord geschieht. Ein Serienmord. Komplexe Motive wären zu klären, wäre die Anzahl der Mörder in diesem Fall nicht größer als die Anzahl der Kriminalkommissare. Die Leute sterben eben, heißt es. Widerspruch zwecklos, heißt es. Ameisen sind gegen Ameisengift resistent, heißt es. Letzteres wusste ich. Dass sie in Ketchup verenden, hätte ich nicht gedacht.

 

Besagte Jutta habe die zarte Berührung ihres Oberschenkels akzeptiert und auch weitere Erkundungen hingenommen. Es habe ein wenig gedauert, bis er sich zu ihrem Geschlechtsorgan vorgetastet habe, er sei aber dann sogleich mit zwei Fingern in sie eingedrungen und habe Erregung festgestellt. Zu seiner vollkommenen Überraschung sei er von ihr schließlich mit den Worten «Mach schon, mach schnell» aufgefordert worden, sie zu penetrieren. Zum erfolgreichen Vollzug des Geschlechtsverkehrs habe es allerdings der Mithilfe eines leeren Bierträgers bedurft, da seine Partnerin, wie bereits geschildert, erheblich größer war als er und außerdem hohes Schuhwerk trug. Die Dauer des dann folgenden Aktes schätzte Scherer auf maximal 20 Sekunden.

 

Was wäre ein Leben ohne Überraschungen, heißt es. Aber das Volk hat eben immer eine Antwort parat. Das Volk hat schon immer Antworten entwickelt, mehr Antworten, als es Fragen gibt. Mehr Antworten, als es je Fragen geben wird, genauer gesagt. Wem gehört dieser Hund?, schrie die Nachbarin und jagte das Tier mit einem Besen. Wem gehört dieser Scheißköter? Die Leute benehmen sich eben nicht anständig gegenüber den Tieren. Vielleicht wären dem Rhododendron ein paar Blätter abgefault. Wäre das wirklich so schlimm gewesen? Ist es nicht sehr gewöhnlich, einen fremden Hund nicht im eigenen Garten zu dulden?

 

Scherer meinte, in 20 Sekunden könne sie unmöglich zum Höhepunkt gekommen sein. Sie habe den Raum auch sofort und kommentarlos verlassen. Er habe sich nach einer kurzen Reinigung mit einem Papiertaschentuch eine Kiste Cola geschnappt, um nicht mit leeren Händen wieder im Lokal aufzutauchen. Jutta habe das seiner Einschätzung nach zwar nicht als Geste registriert, sei aber den Rest des Abends freundlich zu ihm gewesen. Ganz so, als ob nichts geschehen wäre. Und ganz so habe sie sich auch an allen folgenden Abenden verhalten. Sie habe ihm allerdings nicht mehr ins Gesäß gekniffen, von einem weiteren Verkehr ganz zu schweigen.

 

Sie werden es nicht glauben, meine Nachbarin hat sich verchromte Steckdosen einbauen lassen. Im ganzen Haus, sogar im Keller. Einen kaum neun Monate alten Parkettboden ließ sie erneuern, weil er ihr nicht mehr gefiel. Und ihr Mann, mein Nachbar, besaß ein Fahrrad für sechstausend Euro. Ich kriege das alles mit, weil das Haus das Nachbarhaus ist. Anonymität kann man sich schon wünschen, das Landratsamt allerdings spricht von drei Meter Abstand zur Grundstücksgrenze, das wären dann sechs Meter von Hauswand zu Hauswand, von Terrasse zu Terrasse. Dass man derart zusammenrücken muss, hat doch tatsächlich mit den Grundstückspreisen zu tun. Allerdings gilt der 3-Meter-Abstand nicht für Doppelhäuser.

 

Natürlich habe er, Scherer, in den folgenden Wochen versucht, Jutta anzusprechen. Aber es sei nicht einmal mehr zu einem Gespräch gekommen. Dies habe zu einer ungeheuren Depression seinerseits geführt. Er habe geradezu das Gefühl gehabt, sie eventuell vergewaltigt zu haben. Scherer griff sich an die Stirn, welche er auch runzelte. Ausgerechnet zu diesem interessanten Zeitpunkt erschienen unsere Frauen auf der Terrasse, und Scherer musste unterbrechen. Meine Tochter trug unser Hauskaninchen mit meinen Arbeitshandschuhen an der Brust und zeigte es Scherer. Ein äußerst aggressives Tier, das zu versorgen ich mich immer weigerte. Nicht nur wegen der Beißwütigkeit, sondern auch, weil ich den Sinn eines Kuscheltieres grundsätzlich anzweifle. Er streichelte es nicht. Ich weiß nicht, ob es Intuition war, ich denke, er war zu abwesend für eine zärtliche Geste. Er war jedenfalls noch nicht am Ende und wartete ruhig ab, bis wir wieder allein waren.

 

Wer diese Frau, meine Nachbarin, Margit Scherer, einmal dabei beobachtet, wie sie zum Beispiel einen Sack Torf aus dem Kofferraum ihres BMW Z3 ihr Grundstück hineinträgt, weiß, dass mit ihr irgendetwas nicht in Ordnung ist. Sie hat aber gute Beine, das darf nicht verschwiegen werden. Wir Männer, mein Nachbar und ich, meine ich, hatten kaum etwas miteinander zu tun, denn Scherer war schließlich Geschäftsmann und viel unterwegs, und man weiß ja, dass es Geschäftsleute nicht einfach haben, dass sie keine Zeit haben und so weiter. Wenn ich einmal fünf Minuten Zeit habe, pflegte er des Öfteren über den Gartenzaun zu brüllen, widme ich sie sofort meiner Familie, das sollte heißen seiner Frau und diesem 7-jährigen Rotzlöffel mit französisch klingendem Vornamen, der angeblich sein Sohn ist.

 

Er habe sie geliebt. Natürlich nicht anfangs. Anfangs habe er nur diverse Körperteile geliebt, anfangs sei sein Interesse an Jutta rein sexueller Natur gewesen. Aber dann sei völlig überraschend das Gewünschte eingetreten, und das habe sogleich das Ende der Beziehung bedeutet. Er habe sie sogar sehr geliebt. Ihre abweisende Haltung habe ihm geradezu körperliche Schmerzen verursacht. Ein ganzes Jahr, und das sei damals eine lange Zeit gewesen, habe er sich um kein anderes Mädchen gekümmert. Seine Freunde hätten schon begonnen …

 

Lieber Scherer, unterbrach ich ihn, ich bin nicht dein Beichtvater.

 

Darum geht es nicht, sagte er. Er habe sie letzte Woche zufällig getroffen. Auf dem Golfplatz.

 

Sie habe ihn gar nicht erkannt, er dagegen sei sich sofort sicher gewesen und habe sie direkt angesprochen und auf einen Kaffee eingeladen. Man habe sich bestens verstanden und einige Stunden im Clubhaus verbracht. Finanziell, so Scherer, gehe es ihr allem Anschein nach gut. Scherer meinte, er habe sich natürlich sofort ausgemalt, mit ihr zu schlafen. Der Gedanke, mit ihr zu schlafen, sei ein unmittelbarer gewesen, er habe von dem Moment des Wiedersehens an nichts anderes gedacht, und obwohl er nicht wirklich an den erfolgreichen Abschluss seiner Bemühungen geglaubt habe, sei es schließlich so weit gekommen.

 

Ich kann mich noch gut daran erinnern, wie Scherer beim Bau unserer Häuser mit seiner grässlichen Golfhose auf der Baustelle stand und Anweisungen gab. Er war, gelinde gesagt, nicht sehr beliebt bei den Arbeitern. Es macht eben keinen guten Eindruck, wenn man, ganz offensichtlich vom Golfclub kommend, mit einem dicken Mercedes vorfährt und mit Bauplänen und Meterstab bestückt eine anständige polnische Maurerkolonne in Aufruhr versetzt. Und Scherer war unerbittlich. Wenn eine Mauer nicht auf den Zentimeter genau da stand, wo sie laut Bauplan hätte stehen müssen, ließ er sie einreißen und neu aufmauern. Die polnischen Arbeiter mussten die Schikanen hinnehmen, urinierten dafür aber schamlos in seine auf der Baustelle deponierten Gummistiefel. Macht hat Grenzen.

 

Es bildeten sich ein paar Kumuluswolken, und meine Frau brachte das marinierte Fleisch aus dem Haus. Scherers Frau, die meiner Frau gefolgt war, stellte sich dicht neben mich, der ich in der Glut stocherte. Sie sagte, sie liebe Männer, die Feuer machen können. Dann verschwanden die Damen wieder, und Scherer konnte fortfahren.

 

Man habe noch ein leichtes Essen zu sich genommen, soweit er sich erinnere, Salat mit Joghurt-Dressing. Im Verlauf der Mahlzeit habe er sie schließlich direkt auf seinen Wunsch angesprochen, woraufhin sie ohne zu zögern geantwortet habe, sie würde nicht allzu weit vom Golfplatz entfernt wohnen. Auf ihren Wunsch habe man ihren Wagen genommen, BMW 3er-Reihe, neuwertig, gute Ausstattung, Firmenfahrzeug. Allerdings höchstens mittlere Führungsebene, sagte er. In der Wohnung habe er nichts Auffälliges bemerkt, eine relativ schlichte 3-Zimmer-Wohnung. Erwähnenswert wäre vielleicht das zu einem Fitnessraum umgebaute Kinderzimmer. Man habe Champagner zu sich genommen, sagte Scherer, zusammen fast eine ganze Flasche. Sie habe einen nervösen Eindruck gemacht. Er habe schließlich im Bad urinieren müssen. Anschließend habe er Jutta völlig nackt auf dem Bett vorgefunden, die Beine weit gespreizt. Es sei schon ein wenig direkt gewesen, aber er habe sich vor ihr in aller Ruhe entkleidet, und dann habe er sich aufs Bett und über sie begeben; und dann sei er in sie eingedrungen.

 

Dominik, Scherers Sohn, bolzte seinen Adidas-WM-Ball vehement in unsere frisch angepflanzte Thujenhecke. Er hatte schon allerlei Schaden angerichtet, ohne dass Scherer auch nur ein Wort gesagt hätte. Seine Frau hatte ein- oder zweimal aus unserem Wohnzimmer herausgekeift, kurz und lustlos. Und natürlich ohne jede Wirkung. Sie hatte aber gute Beine. Überhaupt war sie eine recht ansehnliche Person.

 

Anschließend, so Scherer, habe sie geweint. Er habe natürlich versucht, sie zu beruhigen.

 

Das nenne ich eine Grillparty!

Erster Versuch an Frl. Ursula

Wann war es, ich glaube im Winter 1984. Als erster Mensch schwebte der Amerikaner Bruce McCandless ohne jede Sicherheitsleine frei im All, 24 Steuerdüsen an seinem Anzug sorgten für eine Beschleunigung von bis zu 2 km/h im freien All. In ebenjenem Jahr strich ich mit etwa derselben Geschwindigkeit durch einen Supermarkt und suchte nach Ölsardinen. Ich glaube mich daran zu erinnern, dass mich meine Niederlagen beschäftigten.

 

Ich fiel einer Verkäuferin auf. Ein ausgesprochen hübsches Mädchen. Sie sprach mich an. Ob sie mir helfen könne, fragte sie mich. Der gestärkte grellweiße (Ariel) Arbeitskittel lag straff auf ihrem Busen. Auf dem Namensschild, das über der linken Brust angeheftet war, stand «Frl. Ursula». Sie lotste mich zum Ölsardinenregal, das heißt, ich hatte die Ehre, hinter ihr herzugehen. Bitte schön, sagte sie und lächelte mich an.

 

Was hatte ich damals für ein Fahrzeug, richtig, einen Käfer. Es war kalt und das Auto war alt, ich erinnere mich. Ich musste auch an jenem Tag etwas vom Starthilfespray Caramba in den Vergaser sprühen, konnte den Wagen schließlich mit einer Aufsehen erregenden Stichflamme starten und in Gang setzen. Und an der nächsten Kreuzung schon rutschte mir ein Steuerberater von hinten in den Wagen, und das brachte von der Versicherung dreimal so viel, wie der Käfer überhaupt gekostet hatte, 900 Mark. Sie merken, ich spreche von einem Glückstag.

 

Ich frequentierte also von nun an regelmäßig diesen Supermarkt, aber ich hatte keine Strategie. Alles, was mir einfiel, war, Ölsardinen zu kaufen. Ich weiß nicht mehr, worauf ich wartete, auf ein Wunder oder ein Unglück, oder auf beides zusammen, jedenfalls schien nichts davon einzutreten, und irgendwann sah ich ein, dass es so nicht weitergehen konnte. Ich glaube jedenfalls, mich daran zu erinnern, dass ich mich in die Gemüseabteilung zurückzog und mir, in Speisepilzen kraulend, einen selbstbewussten Satz zurechtlegte. Ich glaube allerdings auch, mich daran zu erinnern, dass mir eine entsprechende Umsetzung nicht vergönnt war, darf aber melden, dass sich Frl. Ursula trotzdem von mir zum Essen einladen ließ. Die Art meines Vortrages muss doch derart gewesen sein, dass ihr Entschluss an wärmster Stelle ratifiziert wurde.

 

Nun gut, um Frl. Ursula abzuholen, lieh ich mir von Joe, der eigentlich Johann hieß, dessen 2,8 l Ford Capri in Martini-Formel-1-Lackierung aus. Weniger, um damit anzugeben, einfach deshalb, weil mein Käfer nicht mehr lief. Beim Schalten Zwischengas bitte schön, sagte Joe, ich lass mir von dir nicht das Cosworth-Getriebe ruinieren. Die jungen Menschen waren eben schon in den 8oern sehr markenbewusst. Das Fahrzeug hatte übrigens auch einen bekannten Markenrennauspuff, der Markenname ist mir allerdings heute nicht mehr erinnerlich. Sehr wohl aber das Zwischengasgeräusch. Der Vollständigkeit halber muss ich erwähnen, dass das Fahrzeug mit einem Überrollbügel ausgestattet war, mit Schalensitzen (Recaro, glaube ich), Sechspunktgurten und sonstigem Rennsportzubehör. Frl. Ursula fühlte sich sichtlich unwohl. Meine Erklärungsversuche scheiterten jedenfalls am Zwischengaslärm.

 

Aber wir hatten ja ein nettes und ruhiges italienisches Lokal gewählt, wo ich vom zuständigen Kellner mit einem unterwürfigen «Prego, Signore» einen sehr intimen Zweiertisch direkt neben den Toiletten zugewiesen bekam. Der Kellner hatte mich sehr kurz gemustert, dann der Signora den Mantel abgenommen und schließlich mir, der ich gar nicht erst gefragt wurde und der ich die Lederjacke deshalb unkomplizierterweise einfach anbehielt, diesen Tisch zugewiesen. Frl. Ursula setzte sich und sah mich fragend an. Ich fing sofort an zu schwitzen.

 

Mein Budget lag bei unvorstellbaren 50 Mark, und der Kellner setzte noch einen drauf. Er ging mit der Signora die Karte rauf und runter, und so bestellte die Signora eine Vorspeise, ein Nudelzwischengericht, ein Fleischhauptgericht, sehr teuren Wein und dazu Mineralwasser in merkwürdig aussehenden Flaschen, und da sie dann zögerte, musste ich natürlich auch noch für eine Nachspeise plädieren und gleichzeitig eine Magenverstimmung vortäuschen. Ich bestellte Pizzabrot für mich. Und eine kleine Cola. Cola bietet sich ja bei Magenproblemen an. Der Kellner würdigte mich keines Blickes. Sie liebe es, gut zu essen und zu trinken, sagte Frl. Ursula, und sie schickte eine fragende Bemerkung hinterher, die sich auf mein sinnliches Leistungsvermögen bezog. Ich benetzte in heller Aufregung meine Lippen, mit der Coca-Cola. So sparsam es ging, versteht sich.

 

Der Kellner schien nun seine Aufgaben vollständig zu vernachlässigen. Mehrere Pärchen betraten das Lokal bei völlig freier Platzwahl. Genauer gesagt, es konnte völlig willkürlich in den Weiten des Lokals Platz genommen werden, ohne dass dieser Gnom auch nur ansatzweise eingeschritten wäre. Vielmehr kümmerte er sich um die Signora an meinem Tisch. Noch einen Cappuccino? Einen Grappa vielleicht, Signora?

 

Die Kommunikation mit Frl. Ursula verlief übrigens schleppend.

 

Was machst du denn so?

Student.

Aha.

 

Ach, ich esse so gerne, sagte sie. Und dieser Wein ist einfach vorzüglich. Ich war unkonzentriert, und wann immer ich mich nach vorne beugte, um etwas zu sagen, stand der Kellner am Tisch: Signora, haben Sie einen Wunsch?

 

Beim Stand von 72 Mark 20 begab ich mich stark gekrümmt auf die Toilette, suchte dort fieberhaft alle Taschen nach Bargeld ab, fand nichts, das heißt 20 ungarische Forint. Ich versuchte mich durch das Toilettenfenster ins Freie zu zwängen, um den Ford Capri nach Bargeld abzusuchen, wobei ich mir meine Lederjacke ruinierte.

 

So war das, in Zeiten des Bargeldes.

 

Frl. Ursula half großzügig aus, hinterließ Emile, dem Kellner, ihre Telefonnummer, und ich gab auf der Fahrt nach Hause kräftig Zwischengas.

Scherers Anwalt

Irgendetwas hatte dieser Grillabend mit Scherer in mir ausgelöst. Ich dachte zunächst an eine besondere Depression und erhöhte die Johanniskrautdosierung um das Vierfache. Dann natürlich um das Zehnfache. Ohne jede Wirkung. Stellen Sie sich bitte einen dieser dunkelbraun gebeizten hölzernen Baumarktgartenstühle vor, die man hie und da zum Schnäppchenpreis von 69,90 erstehen kann. In einem solchen saß ich also auf unserer Terrasse, ein Glas Whisky Sour in der Hand, Schweißperlen auf der Stirn. Es war ein relativ windstiller Sommerabend. Nichts regte sich. Scherer sprach direkt und ohne jede Vorwarnung durch die noch nicht ganz zusammengewachsene Thujenhecke. Und ich verschüttete mindestens die Hälfte meines Whisky Sour.

 

Na! Gönnt man sich noch ein Gläschen?

 

Das Ärgerliche des Verschüttens.

Das Gefühl, irgendwie ertappt zu sein.

Ertappt worden zu sein.

 

Also, das wäre ja ein ganz fabelhafter Abend gewesen, wirklich ganz fabelhaft, er wolle sich nochmals bedanken und bei dieser Gelegenheit fragen, ob ich Golf spielen würde.

 

Wie gesagt: Es deutete alles auf eine Katastrophe hin.

 

Nun, das wäre ausgesprochen schade, denn er sei Vorsitzender eines Golfclubs, und da gebe es eine kleine Männerrunde, zu der ich bestimmt gut passen würde. Er habe mindestens drei neuwertige Schlägersätze im Keller, sozusagen zur freien Verfügung. Er würde mir gerne einen überlassen. Des Weiteren sprach er von Schnupperkursen, geselligen Abenden, wies außerdem darauf hin, dass mir – ich zitiere wörtlich – ein wenig mehr Kontakt mit der Außenwelt nicht schaden könne. Schließlich meinte er, ich könne es mir ja mal überlegen. Er wartete einen Moment, ließ aber schließlich die von seinen haarigen Händen auseinander gehaltenen Pflanzen einfach wieder zusammenfallen. Überleg es dir, sagte er, und dann hörte ich seine Terrassentür einschnappen.

 

Meine Frau schlief in unserem Wohnzimmer mit offenem Mund vor dem Fernseher. Ich konnte sie durch das Wohnzimmerfenster sehen. Kein schöner Anblick. Sie schien sich zu entspannen. Sie machte natürlich auch Geräusche, die bis ins Freie zu hören waren. Ich ging sofort ins Haus und überlegte einen Moment, schloss die Tür zur Außenwelt, verdunkelte unser Wohnzimmer, schließlich zog ich die Flasche Wodka so vorsichtig wie möglich aus dem Barfach, schlich in mein verkabeltes Arbeitszimmer und gab mich einem Godzilla-Film hin. Wenn mich eines entspannt, ist es ein Godzilla-Film.

 

Zwei Tage später saß ich in Scherers Auto. Scherer sagte: Du wirst es nicht bereuen. Den Schnupperkurs hatte ich mit einiger Mühe verweigert. Meine Zusage war auch insgesamt sehr zögerlich und unverbindlich gewesen. Scherer hatte sich auf der Fahrt zum Golfclub tatsächlich bemüht, die Runde interessant zu reden. Es werde nicht ständig über Golf gesprochen, da gäbe es ja auch noch andere Themen, sagte er. Und das war keineswegs untertrieben.

 

Sie sind alle frigide, sagte Scherer. Er überlegte eine Weile. Im Grunde genommen sind sie zur Frigidität verdammt. Die einzig wirkliche Macht der Frauen ist die der sexuellen Verweigerung, sagte er. Ich schwieg, Scherer lächelte. Wahrscheinlich purer und andauernder Frust, sagte Dr. Ulf Seybold, der mit am Tisch saß. Seybold war Scherers Anwalt und ihm zudem freundschaftlich verbunden. Er war ein großer, hagerer Enddreißiger mit starkem Haarausfall und einer Warze auf dem linken Mittelfinger. Überhaupt, so Seybold, wäre es völlig lächerlich, sich heutzutage noch auf dem freien Markt umzusehen. Kranke Hirne allenthalben, er wisse genau, wovon er spreche. Er habe in seiner bisherigen Karriere mit exakt 52 Mandantinnen verkehrt. Von der 19-jährigen Abiturientin bis hin zur 53-jährigen Chefsekretärin wäre da alles dabei gewesen, was man sich nur vorstellen könne. Alle krank, sagte er. Alle wollen sie heiraten. Die Jüngeren wollen ein Haus und Kinder, die Älteren teure Kleider und Luxusurlaube. Es gebe natürlich auch die Ehrgeizigen, fügte er hinzu, diejenigen, die 16 Stunden am Tag in einer Werbeagentur schuften. Die, so Seybold, wollen einen adäquaten Partner, der auch keine Zeit fürs Leben hat.

 

Scherer lachte.

 

Und dann erzählte Seybold die Geschichte von Mary. Jene Mary, eine ausgesprochen attraktive Studentin der Kunstgeschichte, sei eines Tages mit einem kleinen Problem in seiner Kanzlei aufgetaucht. Sie habe ihm ohne Umwege oder gar falsche Scham erklärt, als Gelegenheitsprostituierte tätig zu sein. Im Zuge dieser Beschaffungsmaßnahme habe sie sich gegen Zahlung von DM