Frontal - John Scalzi - E-Book
SONDERANGEBOT

Frontal E-Book

John Scalzi

0,0
11,99 €
Niedrigster Preis in 30 Tagen: 11,99 €

-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Ein Zukunftsthriller vom Autor der Bestseller »Krieg der Klone« und »Kollaps« Kennen Sie Hilketa? Bei dieser Sportart gehen die Spieler mit Schwertern und Hämmern aufeinander los. Das Hauptziel des Spiels: Erbeute den Kopf deines Gegners und befördere ihn durch die Torpfosten. Für gewöhnliche Menschen wäre ein solcher Sport unmöglich. Aber alle Spieler sind »Threeps«, roboterartige Körper, die ferngesteuert werden. Alles ist erlaubt. Bis ein Starathlet, der einen solchen Threep steuert, während eines Spiels zu Tode kommt. Ist es ein Unfall oder Mord? Die beiden FBI-Agenten Chris Shane und Leslie Vann werden zu Hilfe gerufen, um die Wahrheit aufzudecken. Bald verschlägt es sie auf die dunkle Seite des Erfolgssports Hilketa, bei dem Vermögen gemacht und verloren werden und bei dem Spieler wie Macher alles tun, um zu gewinnen – auf dem Feld und außerhalb. Ein in sich abgeschlossener Roman aus derselben Zukunftswelt wie »Das Syndrom«. »John Scalzi ist der unterhaltsamste und zugänglichste SF-Autor unserer Zeit.« Joe Hill

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB

Seitenzahl: 413

Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



John Scalzi

Frontal

Roman

Aus dem Amerikanischen von Bernhard Kempen

FISCHER E-Books

Dieses Buch ist in Dankbarkeit den Redaktions- und Produktionsmitarbeitern bei Tor Books gewidmet, die wie Rockstars daran arbeiteten, nachdem es buchstäblich im allerletzten Moment abgegeben wurde.

Vielen Dank, Leute! Ihr habt Wunder gewirkt, und ich liebe euch. Bitte erwürgt mich nicht.

Und den Redaktions- und Produktionsmitarbeitern, die weltweit an meinen Büchern arbeiten: Ihr seid der Grund, dass meine Bücher ihre Leser finden. Danke für das, was ihr für mich tut.

Der Tod des Duane Chapman

Der Hilketa-Athlet wollte in seinem letzten Spiel Eindruck machen. Doch dann tat er etwas Unerwartetes.

von Cary Wise

Sonderbericht für die Hilketa News

 

Als Duane Chapman auf dem Hilketa-Spielfeld starb, war ihm bereits zweimal der Kopf abgerissen worden.

Dass es zum dritten Mal passierte, war selbst für Hilketa ungewöhnlich, obwohl das Ziel des Spiels darin besteht, einem ausgewählten Gegner den Kopf abzureißen und diesen dann in ein Tor am Ende des Spielfelds zu werfen oder zu tragen. Der von den Kampfrichtern bediente Computer in der Spielzentrale – die man für dieses Freundschaftsspiel zwischen den Boston Bays und den Toronto Snowbirds provisorisch in einer Luxusloge eingerichtet hatte – sollte unter den Verteidigern auf dem Platz zufällig jemanden auswählen, der für die jeweilige Runde der »Sündenbock« war: ein Spieler, dessen Kopf sich der Angriff holen sollte, während die übrigen Verteidiger die Gegner mit ihren Körpern und den im Spiel erlaubten Waffen abwehrten. Bei elf Spielern auf jeder Seite war es ungewöhnlich, das ein bestimmter Spieler mehr als ein- oder zweimal die Rolle des Sündenbocks übernehmen musste.

Aber das entscheidende Wort ist hier »zufällig«. Manchmal kam es durch den Wurf des elektronischen Würfels einfach dazu, dass ein Spieler dreimal in einem Spiel ausgewählt wurde. Eine spätere Überprüfung des Spielcomputers erwies, dass er nicht manipuliert worden war. Er wählte Chapman völlig willkürlich zum ersten, zum zweiten und zum dritten Mal aus.

Und es war auch keineswegs eine schlechte Wahl. Chapman war nicht der Starspieler der Boston Bays, denn diese Ehre gebührte Kim Silva, die soeben einen 83 Millionen Dollar schweren Fünfjahresvertrag mit dem Tabellenführer der Northeast Division unterzeichnet hatte, und er war auch kein Spezialist wie Wesley Griffith, der dafür bekannt war, seine schwerfälligen Panzer-Threeps wie gelenkige Scout-Modelle aussehen zu lassen.

Tatsächlich war Chapman der Alleskönner der Bays, ein Hansdampf auf allen Positionen und in allen Threep-Modellen, auch wenn er in keinem Bereich ein Meister war. »Man kann ihn überall in jedem Modell aufstellen, und er macht seinen Job«, sagte David Pena, der Manager der Bays, bei der abendlichen Pressekonferenz nach dem Spiel. »Man denkt sofort an ihn, wenn es um den typischen Teamplayer geht.«

Außerdem hatte sich Chapman während seiner drei Spielzeiten in der North American Hilketa League den Ruf erworben, ein ausgefuchster Sündenbock zu sein – jemand, der das Spiel in der »Capo«-Phase über die vierminütige Zeit bringen konnte und die Möglichkeiten des gegnerischen Teams einschränkte, seinen Kopf zu erwischen. Solche strategischen Spielmanöver konnten für Fans sehr frustrierend sein, die gekommen waren, um Blut zu sehen – künstliches Blut, aber dennoch Blut –, doch für einen gewieften Manager wie Pena ließ sich diese Fähigkeit dazu einsetzen, dem Gegner den Wind aus den Segeln zu nehmen, ihn zu Fehlern und ungünstigen strategischen Entscheidungen zu verleiten.

Das alles war recht offensichtlich, als Chapman zum ersten Mal der Sündenbock war, und zwar in der vierten Runde der ersten Halbzeit. Silva von den Bays hatte das Spiel mit einem Knalleffekt gestartet, als sie Toby Warner, dem Sündenbock der Snowbirds, in der ersten Minute den Kopf abriss und während der »Coda«-Phase einen schnellen Vorstoß in das Toronto-Territorium anführte. Sie rannte in nur siebenunddreißig Sekunden durch die Pfosten und erzielte mit diesem Außentor zehn Punkte.

Die Snowbirds antworteten mit einem starken Gegenzug und enthaupteten Gerard Mathis von den Bays in zwei Minuten, doch das Handgemenge von drei Minuten und achtundvierzig Sekunden während der Coda und das daraus resultierende Innentor brachte Toronto nur sechs Punkte ein. Obwohl die Birds die Bays beim nächsten Capo schlugen, wobei Nat Guzman den Kopf auf ihrer Schulter behielt, brauchten sie immer noch fünf Punkte, um die Führung zu übernehmen.

Als Chapman in der nächsten Runde als Sündenbock ausgewählt wurde, wussten er und Pena das zu verhindern. Stattdessen zog sich Chapman, der auf der Mitte des Feldes positioniert war, zum Tor der Bays zurück, und Pena ordnete ein Manöver an, das der geschichtsinteressierte Manager gern als einen »Agincourt« bezeichnet. Er drängte die Snowbirds in eine Gasse, die sie zu ihrem Opfer führte.

Laurie Hampton und Ouida Kimbrough von den Bays benutzten die Armbrüste, um Conception Rayburn und Elroy Gil auszuschalten, die beiden besten Kopfjäger von Toronto, und die übrigen Spieler der Bays verwickelten die Snowbirds in einen Nahkampf, so dass Chapman, der in einem Standard-Threep unterwegs war, mühelos den Panzer-Tanks von Brendon Soares und September Vigil davonlaufen konnte.

Als Chapman zum zweiten Mal die Rolle des Sündenbocks übernahm, sollte er nicht so viel Glück haben. In der ersten Runde der zweiten Halbzeit schnappte sich Rayburn, der später eingestand, wütend über den vorausgegangenen Armbrusttreffer gewesen zu sein, ein Schwert statt seines ansonsten bevorzugten Hammers. Er schlich sich an Jalisa Acevedos Tank und Donnell Mesas Krieger vorbei und hielt genau auf Chapman zu, um ihm in der Rekordzeit von zwanzig Sekunden seit Beginn der Capo-Phase den Kopf abzureißen. Vierzig Sekunden später wagte Rayburn ein Obertor, und Chapmans Kopf flog in den Korb, womit die Snowbirds den höchstmöglichen Wert von achtzehn Punkten erzielten und bequem in Führung gingen.

Bei anschließenden Interviews erzählte Rayburn den Medien, Chapman hätte wegen der Schmerzen herumgebrüllt, als der Kopf seines Threeps abgetrennt wurde. »Davon habe ich mich nicht stören lassen«, sagte er. »Ich dachte, er wollte mich ablenken, wie man es eben macht, wenn man der Sündenbock ist. Außerdem geht es darum, dass der Sündenbock Schmerzen hat. Deshalb lassen wir die Schmerzempfindlichkeit eingeschaltet.«

Damit hatte Rayburn etwas Wichtiges gesagt. Die Regeln der North American Hilketa League verlangen, dass alle Spieler eine gewisse Schmerzempfindlichkeit ihrer Threeps beibehalten – mindestens fünf Prozent der üblichen Sensibilität. Die meisten Spieler stellen ihre Spiel-Threeps irgendwo zwischen fünf und zehn Prozent ein, mit dem Argument, dass ein gewisser Grad an Schmerzempfindlichkeit – auch weit unterhalb der Schwelle, die man als wirklich schmerzhaft empfinden würde – die Spieler in der Realität verankert und sie daran erinnert, dass ihre Threeps nicht unverwüstlich sind und es kostspielig ist, sie zu warten und zu reparieren.

Als Chapmans Kopf nach der Runde wieder auf seinen Threep montiert wurde, ging er als Erstes zu Pena hinüber und meldete eine Anomalie seines mechanischen Körpers. Pena verwies ihn an Royce Siegel, den leitenden Teamtechniker der Bays.

»Er sagte, er würde stärkere Schmerzen als sonst empfinden«, erklärte Siegel in der Pressekonferenz nach dem Spiel. »Eine Diagnose des Threeps ergab allerdings keine Probleme.« Siegel pingte daraufhin Alton Ortiz an, Chapmans Pfleger, der seinen Körper in Philadelphia versorgte. (Im Gegensatz zu den meisten seiner Teamkollegen ließ Chapman seinen Körper wegen einer Autoimmunerkrankung nicht zu Spielen mitreisen. Er steuerte seinen Threep aus der Ferne über eine gesicherte Verbindung, um Zeitverzögerungen zu minimieren.) Auch Ortiz konnte nichts Ungewöhnliches feststellen. Chapman kehrte für die nächste Runde auf den Platz zurück, diesmal im Angriff.

Als er gefragt wurde, warum er Chapman nach der gemeldeten erhöhten Schmerzempfindlichkeit nicht auswechselte, antwortete Pena nur: »Weil er nicht darum gebeten hat.«

Warum hat er nicht darum gebeten? Dafür gibt es mehrere mögliche Gründe. Der erste ist, dass Chapman es auf zusätzliche Bonuspunkte abgesehen hatte, um seinen Vertragswert zu erhöhen. Auch wenn es nur ein Freundschaftsspiel war und die Wertungen nicht in die Saisonstatistiken eingingen, hatten sie Einfluss auf seine Vertragsquoten. Mit anderen Worten, er wollte möglichst schnell seine Einkommenssituation verbessern.

Der zweite Grund war der, warum die Bays und die Snowbirds überhaupt in der Hauptstadt spielten. Die NAHL war dabei, nach Washington, D.C., sowie nach Philadelphia, Austin und Kansas City zu expandieren, und würde am Ende der Spielzeit neue Teams zusammenstellen. Für einen Spieler wie Chapman wäre diese Rekrutierung vielleicht eine Chance, in einem dieser neuen Teams eine wichtigere Rolle zu übernehmen. Beim Spiel in Washington war fast die gesamte Führung der NAHL zugegen, neben mehreren potentiellen neuen Lizenznehmern und Investoren, darunter auch Marcus Shane, der Liebling von Washington, und die voraussichtlichen Manager und Trainer. Chapman hatte möglicherweise gedacht, wenn er im Spiel blieb, wäre das die beste Gelegenheit, ihre Aufmerksamkeit auf sich zu lenken und bei der Rekrutierung einen besseren Stand zu haben.

Und dann war da noch der dritte Grund, wie Kim Silva es nach dem Spiel auf den Punkt brachte. »Man spielt auch mit Schmerzen weiter. Immer.«

Das ist natürlich für jeden Athleten in jeder Sportart ein Mantra. Aber es gilt noch viel mehr für die Hilketa-Spieler. Sie wissen, dass sie gleichzeitig mehr und weniger als der durchschnittliche Sportler sind, denn sie sind außerdem Hadens. Sie gehören zu jenem kleinen Prozentsatz von Bürgern, deren Körper inaktiv ist, während sich ihr Geist frei durch die Welt bewegen kann, sowohl im Onlinetreffpunkt der Agora als auch in der Offline-Welt, durch die sie sich in ihren Threeps bewegen.

Es sind diese Threeps – Maschinen, die deutlich besser und effizienter als menschliche Körper konstruiert sind –, die viele, auch professionelle Athleten, die keine Hadens sind, zu der Behauptung verleitet haben, Hilketa-Sportler wären eigentlich gar keine Sportler, sondern eher so etwas wie berühmte Videospieler.

Naturgemäß wurmt das sowohl die Hilketa-Athleten als auch die Fans des Spiels und viele Hadens. Wenn Rennfahrer als Sportler betrachtet werden, sollte für Hilketa-Spieler dasselbe gelten. Aber wenn man irgendeinen Hilketa-Athleten fragt, wird er oder sie sagen, dass die Sportart durchaus etwas Körperliches hat. Selbst wenn ihre eigenen Körper sich nicht rühren können, erfordert es große physische und psychische Anstrengung, die Threeps über die neunzig Minuten eines Spiels zu steuern (ganz zu schweigen vom Training und anderen Tätigkeiten, die damit zusammenhängen). Es ist harte Arbeit. Sie spüren die Mühen und die Erschöpfung. Und wenn die Schläge schnell und hart kommen, spüren sie den Schmerz. Den realen Schmerz des realen Sports.

Aber sie wissen, wie viele Menschen abstreiten würden, dass dieser Schmerz real ist. Also spielen sie weiter, entschiedener als sonst, entschiedener, als es andere Sportler vielleicht tun würden, einfach aus Prinzip.

Aus irgendeinem oder allen diesen Gründen kehrte Chapman auf das Feld zurück.

Erfahrene Spielbeobachter erkannten sofort, dass mit Chapman irgendetwas nicht in Ordnung war. Die ESPN-Kommentatorin Rochelle Webb wies darauf hin, wie er bei der nächsten Offensive hinter den übrigen Bays zurückfiel. »Chapman bleibt im Verteidigungsfeld, wo man ihn normalerweise nicht sieht«, sagte sie. Dave Miller, der Hilketa-Reporter der Washington Post, bemerkte in der Liveübertragung vom Spielfeld, dass Chapman sich die Armbrust als Waffe ausgesucht hatte. »Das hat er ansonsten vielleicht drei- oder viermal im Laufe seiner Karriere getan«, merkte Miller dazu an, »möglicherweise, weil er nicht einmal die breite Seite einer Scheune treffen würde.« Miller hatte recht. Chapman schoss einen Bolzen auf Sonia Sparks von den Birds ab und verfehlte sie meilenweit.

An einem normalen Abend wäre Chapmans Mangel an Kampfgeist vielleicht die Top-Story des Spiels gewesen – oder zumindest ein hinreichender Grund für Pena, in den sauren Apfel zu beißen und ihn vom Feld zu nehmen –, aber genau zu dem Zeitpunkt, als Chapman entschied, sich im Hintergrund zu halten, demonstrierte Silva, warum die Bays ihr ein fürstliches Gehalt zahlten. Bei den folgenden zwei Angriffen machte sie zwanzig Punkte und wehrte im Alleingang den Versuch von Elroy Gil ab, ein Obertor zu erzielen.

Während dieses bemerkenswerten Runs achtete fast niemand auf Chapman, und jene, die es taten, beschränkten sich in ihren Bemerkungen auf Nebensächliches, auf farbige Ausschmückungen an den Rändern der Hauptattraktion.

Und dann wurde Chapman zum dritten Mal der Sündenbock.

Anfangs sah es danach aus, als würde Chapman das tun, was er immer tat, wenn er der Sündenbock war: sich ducken, ausweichen, über das Feld rennen, um das Spiel über die Zeit zu bringen.

Dann sah Dave Miller von der Post etwas Ungewöhnliches. »Chapman verlangt eine Auszeit? Im Hilketa gibt es keine Auszeiten.«

»Chapman streckt Rayburn die Hände entgegen«, sagte Webb auf ESPN, als der Toronto-Star ihn angriff. »Es sieht aus, als wollte er sagen: ›Tu mir nichts.‹«

Rayburn tat ihm nichts. Als Chapman sich vor ihm zurückzog, stieß er mit September Vigil zusammen, einem der Panzer von Toronto.

Mit einem kolossalen Panzerarm drückte Vigil Chapmans Threep an sich.

Mit dem anderen packte sie zu und riss ihm den Kopf ab.

»Ich wusste nichts davon«, sagte Vigil anschließend, und jeder, der nicht glaubt, dass Threeps Emotionen ausdrücken können, hat Vigil einfach nicht unter ihrer Maske gesehen, während sie offensichtlich schockiert dasaß. »Duane schrie, als ich mir seinen Kopf holte, aber wir alle schreien, wenn das passiert. Wir sollen sogar schreien. Man will den Gegenspieler ablenken und verwirren. Ich dachte, er wollte mich in meiner Konzentration stören.«

Vigil ließ sich nicht stören. Sie warf den Kopf Rayburn zu, der mit dem Run acht Punkte machte.

Inzwischen war Siegel klar, dass mit Chapman irgendetwas nicht stimmte. »Ich bekam einen Anruf aus Alton, von Duanes Pfleger, der mir sagte, sein Herzschlag und seine Hirnaktivität würden durch die Decke gehen«, erklärte Siegel. »Ich rief seine Körperwerte mit meiner Brille auf und konnte das bestätigen. Alton brüllte mich an, dass ich ihn vom Threep trennen soll. Er war davon überzeugt, dass damit etwas nicht in Ordnung war. Aber es war nicht der Threep. Oder falls doch, konnte ich keinen Hinweis darauf erkennen.« Trotzdem zog Siegel den Stecker des Threeps.

Aus Sicht der Zuschauer und der anderen Spieler war nichts Ungewöhnliches geschehen. Wenn Verbindungsprobleme oder größere Beschädigungen auftraten, kam es gelegentlich vor, dass Spieler von ihren Threeps getrennt wurden. Während der Neuaufstellung des Teams fuhr ein Wagen aufs Feld und schaffte den kopflosen Threep unter vereinzeltem Applaus fort. Pena wechselte Warren Meyer als Ersatz für die verbleibenden Minuten des Spiels ein. Nichts deutete darauf hin, dass Duane Chapman 140 Meilen entfernt plötzlich um sein Leben kämpfte.

Es war ein Kampf, den er wenige Minuten vor dem Ende des Spiels, das die Bays mit 58 zu 41 gewannen, verlieren sollte. Pena wurde von Alton Ortiz informiert, während die letzten Sekunden liefen.

Nach einem Spiel machen sich die Athleten normalerweise sofort auf den Weg zum Pressezentrum, um Interviews zu geben, und wechseln bestenfalls schnell in ihre persönlichen Threeps. Dazu kam es diesmal nicht. Stattdessen wurden die Bays und die Snowbirds, die noch in ihren Spieler-Threeps steckten, in den Umkleideraum geschickt, wo Pena und die Snowbird-Managerin Linda Patrick ihnen leise die Nachricht von Chapmans Tod überbrachten.

Fast alle Spieler der Bays und der Snowbirds entzogen sich dem Presserummel nach dem Spiel und kehrten benommen nach Hause zurück. Nur Pena, Siegel, Silva, Rayburn und Vigil blieben, um sich den Reportern zu stellen, die inzwischen unabhängig voneinander von Chapman gehört hatten.

»Wir wissen noch nicht, was geschehen ist«, antwortete Pena während der Pressekonferenz, als er gefragt wurde, wie Chapman gestorben war. Er sagte, es würde Tage oder möglicherweise Wochen dauern, bis man herausgefunden hatte, aus welchem Grund ein ansonsten gesunder Haden-Athlet so plötzlich gestorben war. Die Polizei von Washington und die Gerichtsmedizin würden die Sache untersuchen, genauso wie die FBI-Abteilung für Haden-Angelegenheiten und der Sportverband selbst.

Als man von Pena wissen wollte, welche Auswirkungen Chapmans Tod auf die League haben würde, musterte der Manager den Reporter, der die Frage gestellt hatte, wie ein störendes Insekt. »Im Moment ist mir das völlig schnuppe«, sagte er.

Die richtige Antwort, aber die Frage war durchaus berechtigt. Das Freundschaftsspiel zwischen den Bays und den Snowbirds war als Werbung für die am schnellsten wachsende größere Sportart in Nordamerika gedacht gewesen. Im folgenden Jahr sollten vier neue Lizenzen vergeben werden, und Vertreter aus China, Russland und Deutschland nahmen daran teil, mit Blick auf die Gründung einer oder mehrerer internationaler Verbände in Europa und Asien. Was mit Silva als Hauptattraktion der League eigentlich ein Triumph für Hilketa hätte sein sollen, wurde nun vom ersten Tod eines Athleten überschattet.

Und Chapman, der auf eine Starkarriere als Hilketa-Spieler gehofft hatte, gelangte schließlich aus einem anderen, viel tragischeren Grund in die Rekordtabellen.

»Es ist unglaublich«, sagte der sichtlich bewegte Pena kurz vor Ende der Pressekonferenz. »Aber es ist auch so typisch Duane. Er gab alles für das Spiel. Alles für die League. Er wollte nie das Feld verlassen.«

Er verließ es nicht. Bis er das Feld für immer verließ.

1

Fast hätte ich den Tod von Duane Chapman verpasst.

Aber zu diesem Zeitpunkt wusste ich es noch gar nicht. Ich wusste nur, dass ich zu spät zum »besonderen Erlebnis eines Freundschaftsspiels« kommen würde, an dem ich zusammen mit meiner Mutter und meinem Vater teilhaben sollte. Die North American Hilketa League wünschte sich sehr sehr sehr, meinen Dad als Minderheitsinvestor für die künftige Washington-Lizenz zu gewinnen, und glaubte, sie könnte das schaffen, wenn sie ihn einlud, das Spiel in einer Luxusloge zu verfolgen.

Ich hatte diesbezüglich so meine Zweifel. Dad war bestens mit Luxuslogen vertraut, als ehemaliger Basketballspieler und als derzeitiger Immobilienmilliardär, und sah darin nichts Außergewöhnliches, aber ich wusste, dass meine Mitbewohner, allesamt Hilketa-Fans, grün vor Neid waren, weil ich das Spiel besuchen durfte. Das traf sogar wortwörtlich auf die Zwillinge Justin und Justine zu, die in den letzten drei Tagen die LED-Ausstattung ihres Threeps so eingestellt hatten, dass er mich jedes Mal grün anblinkte, wenn ich an ihnen vorbeiging. Ich persönlich fand das ein bisschen übertrieben.

Ich hatte das Haus rechtzeitig verlassen, um es bis zum Beginn des Spiels zu schaffen, aber der öffentliche Nahverkehr hatte andere Pläne mit mir. Die erste halbe Stunde des Spiels verbrachte ich in einer U-Bahn, umgeben von zunehmend beunruhigten Passagieren.

Wo bist du?, textete meine Mutter mir, sobald das Spiel begonnen hatte.

Stecke in der U-Bahn fest, sendete ich zurück. Der Zug hat vor 15 Minuten angehalten. Wir mustern uns gegenseitig und überlegen, wen wir als Erstes essen sollen.

Ich glaube, du musst dir keine Sorgen machen, erwiderte sie.

Sei dir da nicht zu sicher, sendete ich. Mir scheint, dass hier einige auf die Akku-Energie meines Threeps scharf sind.

Wenn du überlebst, versuch, dich zu beeilen, textete Mom. Dein Vater wird von deutschen Geschäftsleuten umschwärmt, und ich muss nett zu Pressevertretern sein. Ich weiß, dass du so etwas auf keinen Fall verpassen willst.

Ich habe gehört, dass da auch noch ein Spiel laufen soll, gab ich zurück.

Ach wirklich?, antwortete sie.

Irgendwann beschloss der Zug, sich doch wieder in Bewegung zu setzen, und zehn Minuten später war ich auf dem Weg zum Stadion, schlängelte mich zwischen anderen Nahverkehrsopfern hindurch, damit ich wenigstens noch die zweite Halbzeit zu sehen bekam. Einige Leute trugen das Weiß und Blau der Boston Bays, andere das Lila und Grau der Toronto Snowbirds. Der Rest hatte sich für das Burgunderrot und Gold der Washington Redhawks entschieden. Warum auch nicht? Schließlich waren wir hier in Washington, D.C.

»Ich kann Ihnen helfen«, sagte eine Platzanweiserin und winkte mich herüber. Die Frau hatte nur noch wenig zu tun, weil die meisten Besucher bereits im Stadion waren. Ich ließ meinen Ticketcode auf meinem Brustmonitor aufleuchten, und sie scannte ihn.

»Luxusloge, sehr hübsch«, sagte sie. »Sie kennen den Weg?«

Ich nickte. »Ich war schon mal hier.«

Die Platzanweiserin wollte gerade etwas erwidern, als hinter uns Unruhe aufkam. Ich blickte mich um und sah einen kleinen Haufen Demonstranten, die skandierten und Transparente schwenkten. HILKETADISKRIMINIERT stand auf einem Schild, LASSTUNSAUCHMITSPIELEN auf einem anderen. NICHTEINMALDIEBASKENMÖGENHILKETA verkündete ein drittes. Die Demonstranten wurden von der Stadionsicherheit abgedrängt, was ihnen gar nicht gefiel.

»Diesen Spruch verstehe ich gar nicht«, sagte sie zu mir.

»Welchen?«

»Den mit den Basken.« Sie sprach das Wort mit einem langen »a« wie in »Basketball« aus. »Die anderen sind klar. Alle Hilketa-Spieler sind Hadens, und diesen Leuten« – sie deutete auf die Demonstranten, unter denen kein Haden war – »passt das nicht. Aber was bedeutet dieses eine Schild überhaupt?«

»Das Wort ›Hilketa‹ stammt aus der baskischen Sprache«, sagte ich. »Es bedeutet ›Mord‹. Einige Basken mögen es nicht, dass es in diesem Zusammenhang benutzt wird. Sie denken, dass es sie in keinem guten Licht erscheinen lässt.«

»Warum?«

»Keine Ahnung. Ich bin kein Baske.«

»Jeder hat ein Wort für ›Mord‹«, sagte die Platzanweiserin.

Ich nickte nur und schaute den zurückweichenden Demonstranten nach. Ein paar sahen mich und skandierten lauter. Anscheinend waren sie der Meinung, dass ihre Probleme meine Schuld waren, weil ich ein Haden war. Einige von ihnen trugen Brillen und starrten mich auf eine Weise an, die darauf hindeutete, dass sie entweder eine Aufnahme von mir speicherten oder versuchten, meine öffentlichen Daten abzurufen.

Allerdings befand ich mich in einem neuen Threep, und ich machte meine Daten nicht öffentlich, wenn ich nicht arbeitete. Also viel Glück, Leute. Ich dankte der Platzanweiserin und ging ins Stadion.

Es war eine große Luxusloge, zu der ich unterwegs war. Darin hatten ein paar Dutzend Leute Platz, außerdem ein Büfett und eine vollbestückte Bar. Im Prinzip war es ein Hotelkonferenzraum mit Blick auf ein Spielfeld.

Ich blickte mich um und suchte nach meinen Eltern. Als Erstes fand ich Dad, was nicht allzu überraschend war. Als ehemaliger NBA-Spieler überragte er in den meisten Situationen alle anderen Anwesenden. Und als Marcus Shane, einer der berühmtesten Menschen der Welt, wurde er üblicherweise von vielen bedrängt.

Wie auch hier – zwei konzentrische Ringe aus Bewunderern hatten sich um ihn angeordnet. Die Leute hielten Getränke in den Händen und schauten verzückt zu ihm auf, während er irgendeine Geschichte erzählte. Mit anderen Worten, es war Dads natürlicher Lebensraum.

Er winkte mir zu, als er mich sah, aber er winkte mich nicht zu sich herüber. Ich wusste, was das bedeutete. Er war bei der Arbeit. Ein paar der Leute, die ihn umringten, schauten sich nach der Person um, der er zugewinkt hatte. Als sie jedoch nur einen anonymen Threep sahen, wandten sie ihre Aufmerksamkeit wieder meinem Vater zu. Das war für mich völlig in Ordnung.

»Ah, gut. Hier, nehmen Sie das«, sagte jemand und hielt mir ein Glas hin.

Ich blickte auf und sah einen Anzugträger mittleren Alters. »Wie bitte?«, fragte ich.

»Ich habe es ausgetrunken«, sagte er und schwenkte das Glas.

»Gut. Herzlichen Glückwunsch.«

Der Mann musterte meinen Threep. »Sie gehören doch zum Catering, oder?«

»Eigentlich nicht.« Ich überlegte, ob ich ihm meine FBI-Identifikationsdaten zeigen sollte, um mich dann an der folgenden Verunsicherung zu ergötzen.

Doch bevor ich dazu kam, tauchte jemand mit weißer Bluse und Schürze auf. »Ich übernehme das«, sagte er und nahm dem Anzugträger das Glas ab.

Er brummte. »Und bringen Sie mir noch eins. Jack und Coke.« Dann entfernte er sich in Dads Richtung.

»Tut mir leid«, sagte der Mitarbeiter des Caterings.

»War nicht Ihre Schuld.« Ich blicke mich im Raum um. »Aber interessant.«

»Was?«

»Eine Luxusloge voller Nicht-Hadens, die wegen eines Haden-Spiels hier sind, und sobald der Kerl einen Threep sieht, will er ihm als Erstes sein Glas in die Hand drücken.« Ich deutete mit einem Nicken auf das Glas, das der Caterer entgegengenommen hatte.

»Ich bringe ihm lieber einen frischen Drink«, sagte der Caterer.

»Tun Sie das. Und bemühen Sie sich, nicht hineinzuspucken.«

Der Caterer grinste und entfernte sich.

Ich ging zur Glaswand hinüber, die den Innenraum der Luxusloge vom Balkon trennte, und trat durch die Tür. Draußen stellte ich mich ans Geländer und nahm den Lärm der Zuschauer in mich auf. Falls die Größe der Menge etwas zu bedeuten hatte, war es eine gute Idee der League, nach Washington expandieren zu wollen. Das Stadion war bis in die obersten Reihen besetzt.

»Ich weiß immer noch nicht, wie das abläuft«, sagte ein Mann neben mir zu einem anderen Mann, der neben ihm stand.

»Es ist gar nicht so kompliziert«, sagte der andere Mann und zeigte auf das Spielfeld, auf einen Threep, dessen Kopf von blinkenden roten Lichtern umgeben war. »Dieser Threep ist der Sündenbock. Das ist der Spieler, dem das andere Team den Kopf abreißen will. Die Gegner versuchen, seinen Kopf zu kriegen, während sein Team versucht, sie daran zu hindern.«

»Und wenn sie den Kopf haben, versuchen sie, ihn zwischen den Torpfosten hindurchzuschießen.«

»Schießen, werfen oder hindurchtragen, ja.«

»Und alle haben Schwerter und Hämmer und Schläger …«

»Das ist so, weil dieser Scheiß einfach Spaß macht.«

Der eine Mann dachte einen Moment lang darüber nach. »Warum ›Sündenbock‹?«

Der andere Mann setzte zu einer Erklärung an, aber ich ging wieder hinein, um nach Mom zu suchen.

Die ich auf einem der Sitze mit Blick aufs Spielfeld fand, mit einem Drink in der Hand und einem gezwungenen Lächeln auf dem Gesicht, während irgendein junger und übertrieben begeisterter Typ sie vollquatschte. Ich erkannte das Lächeln als das, was für Mom die Alternative zu einem Mord war. Ich ging zu ihr hinüber, um sie vor dem nervigen Typ zu retten und um den nervigen Typen vor ihr zu retten.

»Chris, endlich!«, sagte Mom, als ich näher kam. Ich beugte mich vor, um ein Küsschen auf die Wange in Empfang zu nehmen. Dann drehte sie sich zu ihrem Sitznachbarn herum. »Das ist Marvin Stephens. Er arbeitet für die PR-Abteilung der League.«

Stephens erhob sich und streckte mir eine Hand entgegen, die ich schüttelte. »Ich freue mich wahnsinnig, Sie kennenzulernen, Chris«, sagte er. »Ich bin ein großer Fan.«

»Ich wusste gar nicht, dass FBI-Agenten Fans haben«, erwiderte ich.

»O nein, nicht von Ihrer Arbeit beim FBI«, sagte Stephens und sah mich dann mit leicht erschrockenem Ausdruck an, weil ihm gerade ein Fauxpas unterlaufen war. »Ich meine, ich bin davon überzeugt, dass Sie beim FBI gute Arbeit leisten.«

»Danke«, erwiderte ich trocken.

»Ich meinte, als Sie jünger waren.«

»Ach so, Sie meinen, als ich für meine Berühmtheit berühmt war.«

»So würde ich es nicht ausdrücken.« Stephens’ Gesicht zeigte wieder den erschrockenen Ausdruck. »Ich meine, Sie waren ein Symbol für alle Hadens.«

Ich überlegte, ob ich Stephens noch ein wenig zusetzen sollte, um herauszufinden, wie viele Variationen seines erschrockenen Ausdrucks ich aus ihm herauskitzeln konnte. Aber das wäre nicht sehr nett gewesen.

Außerdem hatte er nicht unrecht. In jungen Jahren war ich tatsächlich ein Symbol für alle Hadens gewesen, das Aushängeschild für eine ganze Gruppe von Menschen, die durch eine Krankheit in ihren Körpern isoliert waren und Maschinen und neuronale Netzwerke benutzten, um sich in der Welt zu bewegen, wie auch ich es tat und immer noch tue. Das Leben als Aushängeschild war eine nette Sache, bis es das nicht mehr war. Weshalb ich damit aufhörte und stattdessen zum FBI ging.

All das hätte ich Stephens erklären können, der immer noch dastand und zunehmend besorgt wirkte, weil er soeben in ein Fettnäpfchen getreten war. Stephens wollte mir nur ein Kompliment machen, genauso wie viele andere Leute, denen versehentlich eine Bemerkung herausrutschte, dass ich ja nun zur »Was macht eigentlich?«-Kategorie der Prominenz gehörte, und dann dachten, dass es eine schlimme Sache war und keineswegs etwas, das ich erhofft und beabsichtigt hatte.

Doch das hätte Zeit gebraucht und wäre auf ein langes Gespräch von der Art hinausgelaufen, die nicht gut zu einem Sportereignis passte.

»Das war ich«, sagte ich. »Danke für die Anerkennung.«

Stephens entspannte sich und nahm wieder Platz.

»Marvin hat mir gerade das Hilketa-Spiel erklärt«, sagte Mom und zeigte hinaus auf das Feld, wo die Bays und die Snowbirds mit Nahkampfwaffen aufeinander losgingen. »In allen Details.«

»Es ist ein aufregendes Spiel«, sagte Stephens zu mir. »Sind Sie ein Fan?«

Ich zuckte mit den Schultern.

»Chris hat sich als Kind mehr für Videospiele interessiert«, warf Mom ein.

»Auch Hilketa ist ein Videospiel«, sagte Stephens. »Die NAHL sponsert sogar mehrere virtuelle Veranstaltungen, um unseren Athleten beim Training zu helfen und neue Talente aufzuspüren. Sowohl Hadens als auch Nicht-Hadens.«

»Ich habe draußen ein paar demonstrierende Nicht-Hadens gesehen«, bemerkte ich. »Sie schienen nicht den Eindruck zu haben, dass sie in der League gut repräsentiert sind.«

»Nun ja, es gibt da eine Qualifizierungslücke«, sagte Stephens. »Bei der Navigation von Threeps sind Nicht-Hadens immer noch weit abgeschlagen. Es geht um die Reaktionszeit.«

»Ach ja?«

»Zumindest ist das die offizielle Erklärung.« Stephens hatte schon wieder diesen erschrockenen Gesichtsausdruck, als ihm bewusst wurde, was er gesagt und wie er es gesagt hatte. Ich fragte mich, wie lange er diesen Job schon machte. »Ich meine, das ist der Grund. Es ist nicht nur ein Vorwand. Die NAHL ist auch für qualifizierte Athleten offen, die keine Hadens sind.«

»Gut zu wissen.«

»Es ist nur so, dass es sehr schwierig ist, Threeps zu steuern. Sie wissen das …« Er zeigte auf mich beziehungsweise meinen Threep. »Ohne neuronales Netzwerk erfordert es sehr viel Geschick und Aufmerksamkeit, mit einem Personentransporter zurechtzukommen.« Stephens deutete auf das Spielfeld, wo ein Panzer-Threep von Toronto gerade unter lautem Jubel einen Bays-Spieler mit den Fäusten verprügelte. »Als ich mit diesem Job anfing, steckten sie mich in eine VR-Ausrüstung, und ich sollte einen Panzer-Threep über ein freies Feld steuern, damit ich ein Gefühl dafür bekomme, was die Spieler leisten.«

»Hat es geklappt?«, fragte ich.

»Ich bin gegen eine Wand gelaufen«, gestand Stephens ein. »Mehrere Male. Ich bekam das Ding einfach nicht in den Griff. Also überrascht es mich nicht, dass wir noch keine Nicht-Hadens haben, die das Spiel auf einem professionellen Niveau beherrschen. Das ist der eine Bereich, in dem die Hadens uns anderen gegenüber im Vorteil sind.« Wieder der erschrockene Blick. »Also, ich meine, nicht der einzige Bereich …«

Mom warf mir einen Blick zu, bevor sie Stephens ansah und das Eis in ihrem Glas klimpern ließ. »Wären Sie so nett und füllen meinen Drink nach?«, fragte sie, und Stephens überschlug sich beinahe, um nach dem Glas zu greifen und sich aus der Situation herauszuretten.

»Er macht einen netten Eindruck«, sagte ich und beobachtete, wie er zum Barkeeper hinüberstürmte.

»Er hat keine Ahnung«, sagte Mom. »Ich bin mir sicher, er wurde mir zugeteilt, weil er der einzige Apparatschik war, den die League erübrigen konnte, um den Babysitter für die Gattin des Mannes zu spielen, dem sie Geld aus der Tasche ziehen wollen.« Sie deutete mit einer Kopfbewegung in Dads Richtung, der einen neuen Ring aus Bewunderern um sich versammelt hatte. »Wahrscheinlich dachten sie, dass er relativ wenig Schaden anrichten würde.«

»Wissen sie nicht, wer du bist?«, fragte ich.

»Sie wissen, dass ich Marcus’ Frau bin.« Mom machte eine Handbewegung, die ihre etwas elegantere Version eines Schulterzuckens darstellte. »Falls ihnen entgangen ist, was ich sonst noch bin, ist das ihr Problem.«

Meine Mutter – Jacqueline Oxford Shane, im Vorstand von Shane Enterprises, geschäftsführende Vizepräsidentin der National Haden Family Association, unerbittliche Spendensammlerin und Sprössling einer der ältesten Familien Virginias mit den meisten politischen Verbindungen, die eine Affäre mit dem gegenwärtigen Vizepräsidenten hatte, bevor sie meinen Vater kennenlernte und heiratete. Gerüchten zufolge bereute es der Vizepräsident bis heute, dass er sie gehen ließ. Ich wäre nicht hier, wenn sie bei ihm geblieben wäre.

Ich deutete mit einem Nicken auf Dad. »Und wie macht er sich so?«

»Bestens«, sagte Mom. »Er ist ganz in seinem Element.«

»Sein ›besonderes Erlebnis eines Freundschaftsspiels‹ wird anscheinend durch internationale Geschäftsleute beeinträchtigt.«

»Du hast doch nicht geglaubt, wir wären hierzu eingeladen worden, weil die League deinen Vater beeindrucken will, oder?«, sagte Mom und zeigte auf die Geschäftsleute. »Wir wurden eingeladen, damit er sie beeindrucken kann.«

»Heißt das, Dad wird in das neue Lizenzteam investieren?«, fragte ich.

Mom zuckte wieder auf ihre Art mit den Schultern. »Wir schauen uns die Zahlen an.«

»Und wie sehen sie aus?«

Bevor Mom antworten konnte, erschienen zwei Herren, die sich leicht verbeugten. Dann sagte der eine etwas auf Japanisch.

»Mr. Fukuyama bittet um Entschuldigung für die Störung und möchte sich erkundigen, ob Sie ein Hilketa-Spieler sind«, sagte der andere Mann, offensichtlich der Dolmetscher.

Ich wusste, was Mr. Fukuyama gesagt hatte, weil mein interner Translator es mir übersetzt hatte, sobald er registrierte, dass der Mann mich nicht auf Englisch ansprach.

Ich stand auf und erwiderte die Verbeugung. »Bitte sagen Sie Mr. Fukuyama, dass ich bedauerlicherweise keiner bin.«

»Dieser Roboter ist kein Spieler«, erklärte der Dolmetscher ihm auf Japanisch.

»Verdammt«, sagte Fukuyama. »Mir wurde versichert, dass ich auf dieser Reise Spieler kennenlernen würde. Wie sie darauf kommen, ich könnte in eine asiatische Hilketa-Liga investieren, wenn sie nicht einmal ihre Versprechungen einhalten, ist mir unbegreiflich.«

»Vielleicht werden Sie nach dem Spiel einen Athleten treffen«, sagte der Dolmetscher.

»Das will ich hoffen.« Fukuyama nickte in meine Richtung. »Lassen Sie sich trotzdem von diesem Roboter ein Autogramm geben. Ich habe meinem Enkel versprochen, ihm eins von einem Spieler mitzubringen.«

»Aber er ist kein Spieler«, sagte der Dolmetscher.

»Mein Enkel wird den Unterschied nicht erkennen.«

Der Dolmetscher griff in eine Anzugtasche und zog ein kleines Notebook und einen Stift hervor. »Bitte, ein Autogramm?«, fragte er auf Englisch.

»Selbstverständlich«, sagte ich, nahm den Stift entgegen und signierte auf dem Notebook. Dann fügte ich unter meinem Namen den Satz »Ich bin kein Hilketa-Spieler« auf Englisch hinzu. Ich schloss das Notebook und gab es dem Dolmetscher zurück.

Fukuyama und er verbeugten sich und gingen.

»Du bist berühmt«, sagte Mom mit einem Augenzwinkern zu mir.

»Das ist schon um Längen besser als vorhin. Kaum kam ich in die Loge, hat mir jemand ein leeres Glas hingehalten.«

»Wer hat das getan?«

»Der da …« Ich zeigte auf den Anzugträger, der sich inzwischen in den äußeren Ring der Bewunderer rund um meinen Vater eingereiht hatte.

»Ach, der«, sagte Mom. »Den habe ich kennengelernt. Ein kleiner Kriecher.«

»Du hattest, bevor wir unterbrochen wurden, über die Zahlen der League gesprochen«, versuchte ich, sie von dem kriecherischen Anzugträger abzulenken. »Du wolltest mir sagen, wie sie aussehen.«

»Grenzwertig.«

»Aha, so gut?«

»Die NAHL bezeichnet sich selbst gern als am schnellsten wachsende Sportart in Nordamerika«, antwortete Mom. »Aber alle anderen bedeutenden Sportarten gibt es schon seit Jahrzehnten, also ist das hauptsächlich Marketing. Die Besucherzahlen und das Merchandising entwickeln sich nach oben, aber die League gibt auch eine Menge aus. Dein Vater will mehr über das Gewinnversprechen bei einer Investition in das Lizenzteam wissen.«

»Du meinst, du willst mehr darüber wissen.«

»Wir beide wollen mehr darüber wissen«, erwiderte sie. »Der League scheint einfach nicht klar zu sein, dass dein Vater und ich miteinander reden.«

»Das kann nur gut ausgehen.«

»Wir werden sehen.« Mom blickte zu mir hoch, als hätte sie sich plötzlich an etwas erinnert. »Wo ist Leslie?«, fragte sie. »Ich dachte, sie hätte überlegt, dich zu begleiten.«

»Sie ist beschäftigt«, sagte ich. »Leslie« war in diesem Fall Leslie Vann, meine Partnerin beim FBI, wo wir der Abteilung für Haden-Angelegenheiten angehörten.

»Sie ist beschäftigt? Womit?«

»Das Sonnenlicht zu meiden. Es ist Sonntag, Mom.«

Dazu schnaufte Mom dezent. »Leslie braucht weniger lange Nächte, Chris.«

»Ich werde ihr von deinem Angebot erzählen, die Rolle ihrer Lebensberaterin zu übernehmen.«

»Vielleicht mache ich diesen Job sogar. Leslie ist reizend« – und hier musste ich innerlich grinsen, denn während des Jahres, das ich bisher mit ihr zusammengearbeitet hatte, war sie genau ein einziges Mal mit dem Adjektiv »reizend« beschrieben worden, und zwar jetzt – »aber sie ist ziellos.«

»Sie mag es ziellos.«

»Ja, gut. Wenn es sie glücklich macht. Schau mal, da kommt das Problemkind zurück.« Sie zeigte auf Stephens, der sich mit einem neuen Drink für Mom näherte.

Lautes Gebrüll ertönte von den Tribünen herüber. Nicht weil Mom ihren Drink bekam, sondern weil Duane Chapman auf dem Spielfeld der Kopf abgerissen worden war.

Mom verzog das Gesicht. »Ich hasse es, wenn das passiert.«

»Mit dem Spieler ist alles in Ordnung«, versicherte Stephens ihr. »Es sieht brutal aus, aber es ist ein Threep-Körper. Der Spieler und sein wirklicher Kopf sind absolut unversehrt. Schließlich ist er ein Haden.«

Meine Mutter sah Stephens ausdruckslos und schweigend an.

»Was Sie, äh, natürlich wissen«, fügte Stephens unbeholfen hinzu.

Mom starrte ihn weiter ausdruckslos an.

»Gut, ich werde mal bei meiner Chefin nachfragen, ob sie mich für irgendwas braucht«, sagte er und stürmte erneut davon.

Mom blickte ihm nach und wandte ihre Aufmerksamkeit wieder dem Hilketa-Spielfeld zu, auf dem Duane Chapmans kopfloser Threep am Boden lag. Unterdessen wurde sein Kopf vom gegnerischen Team über den Platz fortgetragen, Meter um Meter, Schlag um Schlag.

»Es beunruhigt mich, einen kopflosen Threep-Körper auf dem Feld liegen zu sehen«, sagte sie. »Dabei muss ich an dich denken.«

»Keiner meiner Threeps hat jemals den Kopf verloren«, gab ich zu bedenken.

»Da war die Sache, wo du mit deinem Fahrrad vor diesen Laster geraten bist«, warf Mom ein. »Als du acht Jahre alt warst.«

»Eigentlich kann man nicht davon sprechen, dass mein Threep in diesem Fall den Kopf verloren hat. Es war eher so, dass er von einem Laster überfahren und dabei zerstört wurde und alles verloren hat.«

»Genau das ist der springende Punkt«, sagte Mom. »Threeps sind nicht dafür gebaut, dass sie Körperteile verlieren.«

Ich zeigte auf das Feld, wo die Snowbirds und die Bays buchstäblich mit Schwertern und Streithämmern aufeinander losgingen. »Diese Threeps schon«, sagte ich. »Enthauptungen und abgetrennte Gliedmaßen steigern die Dramatik des Spiels.«

Wie um diese Feststellung zu unterstreichen, schlug ein Snowbird brutal auf einen Bay ein und hackte ihm einen Arm ab. Der Bay reagierte, indem er seinen Hammer auf den Threep-Schädel des Snowbird niedersausen ließ. Dann rannten beide Spieler dorthin, wo sich Duane Chapmans Kopf befand. Der Schlagabtausch ließ die Menge noch lauter jubeln.

Mom verzog wieder das Gesicht. »Ich bin mir nicht sicher, ob mir dieses Spiel gefällt.«

»All meine Mitbewohner sind davon begeistert«, sagte ich. »Als sie erfuhren, dass ich zum Spiel gehe, schmiedeten sie Pläne, wie sie mich töten und mein Ticket stehlen könnten. Sie sind Fans.«

»Aber dir gefällt es nicht besonders, nicht wahr?«, fragte Mom. »Du hast mit den Schultern gezuckt, als Stephens dich fragte, ob du ein Fan bist. Und ich kann mich nicht erinnern, dass du dich in jungen Jahren dafür interessiert hättest.«

»Basketball war mir lieber.«

»Richtig so«, sagte Mom. »Basketball war für unsere Familie eine gute Sache. Aber das ist nicht die Frage.«

Ich hielt inne und versuchte eine Antwort zu formulieren.

Die Langversion würde folgendermaßen lauten:

Ich leide unter dem Haden-Syndrom. Als ich mich infizierte, war ich so jung, dass ich keine Erinnerungen mehr an die Zeit davor habe. Das Haden-Syndrom bedeutet, dass man im eigenen Körper gefangen ist – das Gehirn arbeitet tadellos, aber der Körper nicht. Von Haden ist etwa ein Prozent der globalen Bevölkerung betroffen, und in den USA sind es eine halbe Million Menschen oder, anders gesagt, ungefähr die Bevölkerung von Kentucky.

Man kann nicht zulassen, dass die Bevölkerung von Kentucky in den eigenen Köpfen isoliert lebt, und erst recht nicht, wenn eins der Opfer des Syndroms Margaret Haden war, die damalige First Lady, nach der die Krankheit benannt ist. Also legten die Vereinigten Staaten und andere Länder die Grundlagen für ein technologisches »Mondflugprogramm«, um implantierbare neuronale Netzwerke zu entwickeln, mit denen Hadens kommunizieren können, für ein Onlineuniversum namens »Agora«, einen Ort, an dem wir als Gemeinschaft existieren können, und für androidenartige »Personentransporter«, die besser als »Threeps« bekannt sind, in denen wir herumlaufen und mit Nicht-Hadens auf nahezu gleichwertiger Basis interagieren können.

Ich sage »nahezu gleichwertige Basis«, weil, nun, Sie wissen schon. Menschen sind, wie sie sind. Bedauerlicherweise behandeln viele jemanden, der wie ein Roboter aussieht, nicht ganz genauso wie jemanden, der wie ein durchschnittlicher Mensch aussieht. Betrachten Sie den Kriecher im Anzug, der mir sein Glas reichte, sobald ich durch die Tür hereinspazierte, als Beispiel für solche Menschen.

Aber nicht nur das, denn Threeps sind buchstäblich Maschinen. Trotz der Tatsache, dass sie im Allgemeinen darauf angelegt sind, im üblichen Rahmen menschlicher Kraft und Beweglichkeit zu funktionieren, sind Threeps für gewöhnlich von sportlichen Betätigungen ausgeschlossen. Sie haben einen Arbeitskollegen als Threep im Softballteam Ihres Büros? Kein Problem. Als Halbspieler bei den Nationals? Auf gar keinen Fall. Ja, es gab Gerichtsverfahren. Wie sich herausstellte, sind Threeps in den Augen des Gesetzes nicht dasselbe wie menschliche Körper. Im Prinzip sind sie so etwas wie Autos.

Also gibt es Hilketa. Das ist eine richtige Sportart, die von Leuten betrieben werden soll, die in Threeps gegeneinander antreten, und damit läuft es auf Haden-Athleten hinaus. Und es ist eine recht populäre Sportart, auch für (eigentlich sogar gerade für) Nicht-Hadens, was bedeutet, dass die Hadens, die den Sport betreiben, außerhalb der Haden-Gemeinschaft zu echten Berühmtheiten geworden sind. Nach nur einem Jahrzehnt seit der Gründung kann die NAHL in den USA und Kanada achtundzwanzig Teams in vier Ligen ins Feld schicken. Während der regulären Saison hat ein Spiel durchschnittlich 15000 Zuschauer, von denen 95 Prozent Nicht-Hadens sind, und die Athleten verdienen Millionen und hängen als Poster in Kinderzimmern. Das zählt, nicht nur für die Hadens, sondern für alle anderen, denen etwas an ihnen liegt.

Als ich beobachtete, wie Duane Chapmans Kopf zwischen den Torpfosten hindurchflog und den Snowbirds acht Punkte einbrachte, dachte ich natürlich, der Grund, warum Hilketa so populär ist, wäre die Tatsache, dass die Spieler durch simulierte Enthauptungen und Gefechte mit Nahkampfwaffen punkten. Es ist ein Gladiatorenkampf im Team auf einem Footballfeld mit einem nerdigen Punktesystem. Es hat all die Gewalt, die sich jede andere Teamsportart wünscht, sich aber nicht erlauben kann, weil dann tatsächlich Menschen sterben würden.

Damit werden die Spieler zu etwas gemacht, das anders ist als ein gewöhnlicher Mensch. Und auch das zählt, sowohl für die Hadens als auch für alle anderen, denen etwas an ihnen liegt.

Im Prinzip ist Hilketa für die Hadens gleichzeitig Sichtbarmachung und Verfremdung.

Also ist es kompliziert.

Zumindest für Hadens. Für Nicht-Hadens ist es cool, wie sich Threeps gegenseitig die Köpfe abreißen.

»Ich finde es okay«, war die Antwort, die ich schließlich meiner Mutter gab.

Sie nickte, nahm einen Schluck von ihrem Drink und zeigte dann auf das Feld. »Was geht da unten vor sich?«, fragte sie. Nachdem eine Runde beendet war, wurde Duane Chapmans kopfloser Threep auf einen Wagen geladen und vom Platz gebracht. Von der Ersatzbank der Bays wurde ein anderer Threep ins Spiel geschickt.

Bevor ich antworten konnte, erhielt ich einen internen Anruf von Tony Wilton, einem meiner Mitbewohner. »Bist du im Stadion?«, wollte Tony von mir wissen.

»Ja. In einer VIP-Suite.«

»Ich hasse dich.«

»Du solltest mich bemitleiden. Hier treiben sich hauptsächlich Anzugträger aus der Wirtschaft herum.«

»Dein Leben fasziniert mich. Wie auch immer, du solltest auf den Haden-Feed des Stadions zugreifen, wenn du kannst.«

»Warum?«

»Weil mit Duane Chapman etwas ziemlich Seltsames abgeht. Wir schauen auf dem kostenpflichtigen Haden-Kanal zu. Eine Weile ist er da und dann eine Weile nicht.«

»Er wurde vom Platz gebracht. Zumindest sein Threep.«

»Richtig. Aber die Statistiken und Vitalwerte der Spieler sollten während des ganzen Spiels live übertragen werden, ob sie nun auf dem Platz sind oder nicht. Bei allen anderen Spielern lassen sich die Werte abrufen, nur nicht bei ihm. Die Leute reden darüber. Ich möchte wissen, ob unser Feed vielleicht einfach nur gestört ist.«

»Ich schaue mal«, sagte ich. »Anschließend melde ich mich zurück.« Ich trennte die Verbindung und wandte mich wieder Mom zu, die meinen kurzen Moment der Ablenkung bemerkt hatte.

»Alles in Ordnung?«, fragte sie.

»Ich muss etwas überprüfen«, sagte ich. »Einen Moment.«

Sie nickte.

Ich öffnete die Haden-Perspektive auf das Spiel.

Das Spielfeld, das zuvor nur grün und leer gewesen war, wurde plötzlich von Daten überflutet.

Daten von den Spielern, vom Platz und von den Seitenlinien. Daten über das gerade laufende Spiel. Daten über das Spielfeld. Daten über das Stadion und die Zuschauer. Aktuelle Daten, historische Daten, Projektionen, die auf den Echtzeitdaten basierten und von einer KI verarbeitet wurden, und Zuschauerreaktionen.

Diese Daten und das eigentliche Spiel konnten aus jedem beliebigen Winkel angezeigt werden, von der Ich-Perspektive bis zur Sicht der Spieler. Dank der überwältigenden Anzahl von Kameras rund um das Spielfeld und der Menge an Daten, die alle Lücken ausfüllten, die den Kameras entgingen, konnte man praktisch auf den Platz treten, während das Spiel im Gange war, und sich mit dem Hintern mitten ins Geschehen setzen.

Das ist die Haden-Perspektive auf das Spiel.

Selbstverständlich war diese Perspektive nicht nur für Hadens zugänglich. Das wäre nicht nur diskriminierend, sondern auch schlecht fürs Geschäft bei einer Sportart, deren Fanbasis ihren Schwerpunkt unter Nicht-Hadens hat. Die Leute zahlten extra für die Haden-Perspektive, und es wäre dumm, den Zugang auf nur ein Prozent aller potentiellen Fans zu beschränken. Selbst auf den Tribünen im Stadion funkelten die Brillen auf den Gesichtern der Nicht-Haden-Zuschauer, während sie sich die Daten des Haden-Feeds in den Augapfel überspielen ließen.

Es wurde »Haden-Perspektive« genannt, weil das User-Interface im Hinblick auf Hadens entwickelt worden war – für Menschen, die es gewohnt waren, in einer alternativen elektronischen Realität zu leben, die auf Nicht-Hadens wie eine chaotische Überfrachtung mit Daten wirkte, was für Hadens jedoch nur die Entsprechung einer normalen Tabelle war. Nicht-Hadens konnten sie benutzen und betrachten, aber sie war nicht für sie gedacht. Sie mussten einfach so gut wie möglich damit zurechtkommen.

Paradoxerweise wurde genau das zu einem Verkaufsanreiz für die Haden-Perspektive. Es wirkte »exotisch« auf Nicht-Hadens, und es vermittelte ihnen das Gefühl, sie würden einen Einblick bekommen, wie es war, einer von uns zu sein, wenn sie Zugang zu den tieferen Aspekten unseres Lebens und Erlebens erhielten.

Und, ja, schon klar. So war es, genau wie es im Taco Bell so ist, als würde man in einem kleinen Dorf mitten in Quintana Roo leben. Andererseits hat Taco Bell Tausende von Filialen. Also, was soll ich dazu noch sagen?

In der Haden-Perspektive rief ich die Spielerstatistiken und Vitalwerte der Boston Bays auf.

Tony hatte recht: Alle Daten für sämtliche Bays-Spieler waren da, bis ins kleinste Detail – jede mögliche Statistik zum Spiel, von den gelaufenen Metern bis zum Grad der Beschädigung, die ein Threep erlitten hatte, und wo er sie erlitten hatte und wie knapp jemand davor gestanden hatte, ein Körperteil zu verlieren oder völlig abgeschaltet zu werden – bis hin zu allen erdenklichen persönlichen oder historischen Daten, ob sie nun relevant waren oder nicht. Ganz zu schweigen von Gesundheitsdaten, einschließlich Herzfrequenz und in beschränktem Umfang neurale Aktivitäten.

Was auf den ersten Blick seltsam erscheinen mag. Denn Haden-Athleten spielen Hilketa in ihren Threeps und nicht in ihren tatsächlichen Körpern. Doch die Threeps verfügen über einen vollständigen sensorischen Input und Output. Ein Haden empfindet, was der Threep empfindet, und das hat einen Einfluss auf das Gehirn. Und wie alle anderen Menschen werden auch Hadens körperlich von ihrem emotionalen Zustand beeinflusst. Unser Herz rast, wenn wir voll in Aktion sind. Unsere Hirnaktivität ist gesteigert, wenn wir Gefahr oder Wut spüren. All das war abrufbar.

Und all das war für jeden einzelnen Spieler der Boston Bays abrufbar.

Außer für Duane Chapman. Seine Werte waren nirgendwo aufzufinden.

Ich ging mehrere Minuten zurück, als Chapman auf jeden Fall noch auf dem Platz gewesen war. Sein Datenfenster war da, aber darin waren keine Daten mehr. Jemand hatte Chapmans Werte aus dem Feed gelöscht, und zwar rückwirkend.

Was ziemlich dumm war. Bestimmt hatten Tausende von Menschen die Daten der Haden-Perspektive zur privaten Verwendung aufgezeichnet. Was sie eigentlich nicht tun sollten. »Die von der North American Hilketa League zur Verfügung gestellten Datenfeeds sind das ausschließliche Eigentum der NAHL und dürfen ohne ausdrückliche Genehmigung der NAHL und ihres Führungsgremiums auf keine Weise aufgezeichnet oder gespeichert werden«, wie es in der Standardklausel hieß. Aber die Leute taten es trotzdem. Was auch immer die NAHL zu löschen versuchte, war mit Sicherheit bereits in der Agora und anderen Onlineplattformen geteilt worden.

Aber sie hatten es trotzdem getan. Und dafür musste es einen guten Grund geben.

Ich blickte zu Dad hinüber, der von Menschen umringt wurde, und sah, wie ein paar der Leute von Apparatschiks gepackt und aus dem Kreis der Bewunderer meines Vaters gezerrt wurden. Bei einigen ließ ich eine Gesichtserkennung laufen. Es waren hohe Tiere der NAHL.

Einer von ihnen, der sich vorbeugte, um zu hören, was der Apparatschik ihm ins Ohr flüsterte, bemerkte, dass ich ihn beobachtete. Er kehrte mir den Rücken zu. Kurz darauf ging er durch die Tür hinaus, gefolgt von mehreren anderen.

»Oh-oh«, sagte ich laut.

»Was gibt es?«, fragte Mom und blickte zu mir hoch.

»Ich glaube, auf dem Spielfeld ist gerade etwas richtig Schlimmes passiert.«

»Mit dem Spieler, dem der Kopf abgerissen wurde?«

»Ja«, antwortete ich. »Die Informationen über ihn wurden aus dem Haden-Feed gelöscht, und mehrere Funktionäre der NAHL haben soeben die Loge verlassen.«

»Das ist nicht gut«, sagte Mom.

»Ich bin mir nicht einmal sicher, ob es überhaupt legal ist«, sagte ich.

»Die Loge zu verlassen?«

»Nein.« Ich sah meine Mutter an, um zu entscheiden, ob sie einen Witz gemacht hatte. Offenbar nicht. Sie versuchte nur, das zu verarbeiten, was ich zu ihr sagte. »Daten aus dem Feed zu entfernen oder sie gar zu manipulieren. Wenn es ein offizieller Datenstream der League ist, sind sie gesetzlich verpflichtet, die Informationen zu dokumentieren.«

»Was bedeutet das?«

»Das bedeutet, dass es möglicherweise Arbeit für mich gibt«, sagte ich und öffnete eine Verbindung zu meiner Partnerin.

Sie ließ sich Zeit, bis sie mir antwortete. »Es ist Sonntag, du Arschloch«, sagte Leslie Vann, als sie den Anruf schließlich entgegennahm.

»Tut mir leid«, sagte ich. »Aber ich glaube, wir werden ein paar Überstunden machen müssen.«

»Was ist passiert?«

»Ich glaube, einem Hilketa-Spieler ist gerade etwas Schlimmes zugestoßen.«

»Mein Gott«, murmelte Vann. »Das ist doch der eigentliche Sinn des verdammten Spiels!«

»Nicht diesmal«, sagte ich. »Es dürfte sich um einen besonderen Fall handeln.«

Vann brummte und legte auf. Sie war unterwegs. Ich kehrte in die Luxusloge zurück, wo ich sah, wie sich die PR-Leute auf die potentiellen Investoren stürzten.

2

»Das sieht nach einer Menge Spaß aus«, sagte Vann, als sie zu mir trat. Um uns herum in den Korridoren des Stadions herrschte Chaos, während Apparatschiks der League die möglichen Investoren zu Gesprächen in private Räume drängten und Polizisten sowie Wachschützer des Stadions die Zuschauer dirigierten, die über den Tod von Duane Chapman schockiert waren, und Pressevertreter auf der Suche nach Storys überall herumflitzten.

»Bist du auf dem aktuellen Stand?«, fragte ich.

»Auf dem Weg hierher habe ich vom Tod des Spielers erfahren. Es gab eine Liveübertragung der Pressekonferenz. Hast du sie dir angehört?«

Ich nickte. »Das heißt, ich habe es getan, während ich versucht habe, irgendjemanden zu finden, der mit mir redet.«

»Wurdest du ausgeschlossen?«

»Nicht direkt. Ich wurde nur einfach nicht beachtet, während die Leute an mir vorbeirannten.«