Frozen Souls - Jennifer Dreams - E-Book

Frozen Souls E-Book

Jennifer Dreams

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Beschreibung

Durch eine zufällige Berührung sieht Juna plötzlich vereinzelt Menschen, die blau schimmern. Sie denkt, es wäre Einbildung, doch eines Abends verfolgen sie bewaffnete Männer und sie muss flüchten. Von da an wird sie in eine ihr bisher verborgene, gefährliche Welt gerissen und trifft per Zufall auf einen arroganten, abweisenden Typen. Obwohl er ihr tierisch auf die Nerven geht, wird er zu ihrer einzigen Überlebenschance. Was hat es mit diesen blau schimmernden Menschen auf sich? Wieso kribbeln seit dieser Berührung ihre Hände? Warum weiß fast niemand davon, wenn es doch direkt vor den Augen der Menschheit abläuft? Und wieso ergreift dieser Typ jede Chance, sie fertigzumachen? Das sind alles Fragen, die ihr früher oder später auf ihrer Reise quer durch die USA beantwortet werden. Hoffentlich.

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Seitenzahl: 539

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Impressum

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie­.

Detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://www.d-nb.de abrufbar.

Alle Rechte der Verbreitung, auch durch Film, Funk und Fern­sehen, fotomechanische Wiedergabe, Tonträger, elektronische Datenträger und ­auszugsweisen Nachdruck, sind vorbehalten.

© 2024 novum publishing

ISBN Printausgabe: 978-3-99146-403-7

ISBN e-book: 978-3-99146-404-4

Lektorat: Solaire Hauser

Umschlagfoto: Mariakray | Dreamstime.com

Umschlaggestaltung, Layout & Satz: novum publishing gmbh

www.novumverlag.com

Prolog

Es klopfte einmal an der Tür, bevor ein junger, großer, attraktiver Mann im Türrahmen erschien. „Sir“, sagte er und zog damit die Aufmerksamkeit eines älteren Herren auf sich, der an seinem Schreibtisch saß und verschiedenste Dokumente vor sich liegen hatte. Er schielte über seine Brille zu dem jungen Mann hoch und runzelte dabei die Stirn. Erwartungsvoll und zugleich ungeduldig forderte er mittels einer Handgeste den jungen Mann auf, sein Anliegen zu offenbaren. Der junge Mann holte tief Luft, bevor er seinem Boss schlechte Nachrichten übermittelte. „Wir haben sie verloren. Sie hat den letzten Eingriff nicht überlebt.“ Es dauerte eine lange Sekunde, bis das Gesagte angekommen war. Der ältere Herr wurde wütend, griff nach dem Erstbesten, was er fand, und warf es an die Wand, wo es in etliche Stücke zerschellte und in noch kleineren Teilen auf dem Boden liegen blieb. „Verflucht noch mal!“, schrie er, stützte seinen Kopf in die Hände und rieb sich müde die Schläfe.

„Was ist mit Plan B?“, wollte er von dem jungen Mann wissen. „Sir“, antwortete dieser leicht nervös, stellte sich aber aufrechter hin. „Das war Plan B.“Schockiert sah der ältere Herr vom Schreibtisch auf. Seine Augen schwirrten im Raum umher, auf der Suche nach einer Lösung.

Er zog eine Schublade seines Schreibtisches auf und wühlte rasch durch die ganzen Dossiers, die er dort verstaut hatte. Als er endlich fündig wurde, lächelte er siegessicher und klatschte das Dossier auf den Tisch. „Schließen Sie die Tür und setzen Sie sich“, forderte er den jungen Mann auf.

Dieser schluckte, da er befürchtete, dass er ihn als leitender Forschungschef entlassen würde, da er bei den letzten Versuchen kläglich gescheitert war. Noch nie war jemand in solch jungen Jahren wie er überhaupt in einer Führungsposition gewesen. Er hatte sich alles schwer erarbeitet und war der Beste auf seinem Gebiet. Nur ungern würde er diesen Job verlieren. Sobald er sich schweren Herzens auf den Stuhl gesetzt hatte, begann der ältere Herr zu sprechen.

„Wissen Sie, wieso ich mir keine Namen meiner Angestellten merke?“, fragte er mit einem undefinierbaren Blick. „Weil wir ersetzbar sind, Sir?“, antwortete sein Gegenüber vorsichtig. Sein Puls beschleunigte sich, während der ältere Herr seine Krawatte zurechtrichtete und ihn anlächelte. Er sah ihn das erste Mal seit Jahren lächeln. „Ja, ganz genau. Aber Sie …“, begann er und zeigte mit dem Zeigefinger auf den jungen Mann. „Sie haben Mumm, mir direkt in die Augen zu sehen und mir zu sagen, was Sache ist. Das hat bis jetzt noch nie jemand getan, der eine höhere Anstellung hat.“

Der junge Mann wusste nicht, in welche Richtung dieses Gespräch verlaufen sollte und hielt angespannt den Atem an. Er wollte nicht gefeuert werden. Er wollte hier weiter arbeiten und seinen Boss in dieser Sache weiterhin unterstützen. Schließlich hatte er doch nichts anderes in seinem Leben. Seit seiner Geburt hatte sein Vater ihn zu dem erzogen, der er jetzt war.

„Sehen Sie“, unterbrach der ältere Herr seine Gedanken und breitete das Dossier vor ihm aus. „Ihr Fehlschlag ist nicht weiter schlimm. Wenn wir keine Person mehr finden, wissen wir, dass wir freie Fahrt haben. Dann steht uns niemand mehr im Weg.“ Der alte Mann lächelte böse. „Sir, was ist, wenn wieder eine solche Person zum Vorschein kommt?“, hakte der junge Mann nach, voller Sorgen, dass jemand ihrem Vorhaben in die Quere kommen könnte. „Dann will ich, dass Sie sich in das Leben dieser Person einnisten. Sie sind ein attraktiver junger Mann, Sie sollten keine Probleme haben. Werden Sie ihr Mann oder bester Freund oder was auch immer!“, befahl er.Der junge Mann nickte lächelnd, denn es gefiel ihm, wie sein Boss dachte. „Gut, dann können Sie gehen.“ Mit diesen Worten wurde der junge Mann aus dem Büro komplimentiert und stand auf. Als er die Türklinke in der Hand hatte, hielt ihn sein Boss noch kurz auf. Er hatte seine Brille abgelegt und rieb sich die Augen, bevor er wieder aufblickte. „Wie heißen Sie?“Der junge Mann lächelte, sah ihn an und antwortete, erfreut darüber, dass der Boss sich für ihn interessierte.

„Jack Porter, Sir“, sagte er, bevor er die Tür zuzog und den Korridor entlangging, bis er nach ein paar Verzweigungen in einen absolut sterilen Bereich gelangte.

1

Panisch rannte ich, so schnell ich konnte in den Gassen East New Yorks von Schatten zu Schatten, in der Hoffnung, dass mich niemand entdeckte.Ich wusste nicht, was los war, aber als ich vor dem Restaurant gestanden hatte, bei dem ich verabredet war, sah ich von Weitem, wie ein paar Männer in schicken Anzügen verstohlen in meine Richtung zeigten und auf mich zukamen. Als einer der Männer unauffällig eine Pistole aus seinem Gürtel zog, schrillten die Alarmglocken in meinem Kopf und ich rannte so schnell wie möglich vor ihnen weg. Ich kannte mich nicht so gut aus, da ich erst vor ein paar Jahren hierhergezogen war, um näher bei meinem Verlobten zu sein. Hauptstraßen kannte ich gut, doch all die Seitengassen hatte ich stets ignoriert, wie ein kleines Kind, das von den Eltern ermahnt wurde, dass dort düstere Dinge geschahen. Jetzt verfluchte ich mich dafür, mich nicht auszukennen.

Seit heute Mittag, als ich einen Mann per Zufall berührt hatte, geschahen seltsame Dinge. Er hatte mich noch blöd angemacht, dass ich meine Hände bei mir behalten solle. Tja, seit da kribbelten meine Handflächen ununterbrochen und einige Leute begannen komisch blau zu schimmern. Erst hatte ich den Verdacht, dass mir jemand Drogen untergejubelt hatte und ich nun auf einem Trip war. Aber das hätte doch schon längst wieder nachlassen sollen.Nun zog ich die Kapuze meiner Jacke tiefer ins Gesicht, sodass mich niemand erkennen konnte und mischte mich mitten unter die Menschenmasse, die glücklicherweise vor mir auf einer belebten Straße auftauchte. So unauffällig wie möglich lief ich mit der Masse mit. Fast schon verzweifelt suchte ich mein Handy in meiner Handtasche und hätte beinahe laut gejubelt, als ich es endlich fand. Zum Glück besann ich mich im letzten Moment eines Besseren, denn das hätte genau die Aufmerksamkeit dieser Männer auf mich gezogen. Schnell tippte ich ein paar Zahlen ein und ließ es klingeln. Nach dem zehnten Piep sprang automatisch der Anrufbeantworter an und ich fluchte leise vor mich hin. Wieder wählte ich dieselbe Nummer und ließ es klingeln. Doch wieder hob keiner ab. „Verdammte Scheiße! Nimm das verfluchte Handy ab …!“, fluchte ich laut vor mich hin.„Kann ich behilflich sein?“, sprach mich jemand an, der mein Fluchen nicht überhört hatte. „Nein, schon gut, danke“, antwortete ich, seine Hilfe ablehnend, und lächelte ihn einmal kurz an, sodass er sich keine Sorgen machen musste. „Mein Verlobter geht bloß nicht ans Telefon“, fügte ich hinzu, während ich wieder in meiner Tasche kramte. Dann sah ich hoch, weil ich keine Antwort bekam, doch der Mann, der mich angesprochen hatte, war nicht mehr da und ich wusste nicht, wieso ich ihm das überhaupt erzählen wollte. Nochmals versuchte ich es, tippte die Nummer ein und ließ es klingeln.

Da ich nicht wusste, wohin ich sollte, geschweige denn, wie ich hier wegkommen wollte, versuchte ich, einen Weg zurückzufinden. Vielleicht war es auch bloß Einbildung, dass mich diese Männer verfolgten? Vielleicht war ich wirklich auf Drogen? Die Menschenmasse begann sich plötzlich aufzulösen, es wurden immer weniger Leute. Und da sah ich sie. Die Männer, wie sie weiter vorne nach jemandem Ausschau hielten. Ich wusste, dass ich jetzt so unauffällig wie möglich sein sollte, aber irgendwie konnte ich nicht anders als einen dieser Männer anzustarren. Er kam mir irgendwie bekannt vor. Aber woher?

Als hätte er meinen Blick gespürt, schaute er hoch und entdeckte mich. Schnell rief er seine Männer zusammen und zeigte auf mich. Diese bewegten sich sofort in meine Richtung und ich machte auf der Stelle kehrt und zwängte mich durch die mir entgegenkommende Menschenmenge. Jemand rempelte mich an und ich wäre fast zu Boden gestürzt, wäre ich nicht in der Menge eingeklemmt gewesen. Panisch schob ich mich zwischen den Menschen hindurch und wagte kurz einen Blick zurück, was ich sofort bereute. Er war direkt hinter mir! Keine Sekunde später ergriff er mich und zog mich an sich. In seinem Würgegriff gefangen, schleppte er mich aus der Menge hinaus und ich war unfähig, eine Bewegung gegen seinen Willen zu tun. Ich wollte schreien, um die Aufmerksamkeit der Menschen auf mich zu lenken, doch es gelang mir nicht. Kein Ton fand den Weg aus meinem Mund und so kam es, dass keiner der Menschen das Geschehen beachtete, da jeder vertieft in seine eigenen Gedanken gefangen war.

„Todd, ich hab sie“, sprach der Mann in den Funksender, den er im Ohr trug.

In einer dunklen Seitengasse blieben wir endlich stehen. Es war alles andere als angenehm, in seinem Würgegriff zu laufen. Als ein dunkler Van vorne an der Seitengasse stehen blieb und die Seitentür aufschwang, wusste ich, dass sie mich entführen wollten. Verzweifelt kramte ich schneller in meiner Tasche und ergriff endlich, was ich gesucht hatte. Mein Pfefferspray! Durch einen überraschenden, nicht ganz gelungenen Tritt in seine Kronjuwelen konnte ich mich von dem Mann losreißen und sprühte ihm das Pfefferspray ins Gesicht. „Ah!“, schrie er wütend und versuchte mich zu packen, doch er konnte nichts mehr sehen. Seine Augen wurden rot und schwollen an und Tränen verschleierten seine Sicht. Schnell rannte ich weg von ihm und den Männern, weg von dem Van, weiter hinein in die dunkle Gasse.

Eine Wand tauchte vor mir auf und schnitt mir den Weg ab. Verdammt! Es war eine Sackgasse. Ohne Zeit zu verlieren, scannte ich die Umgebung ab und suchte einen anderen Weg. Die Schatten erschwerten mir die klare Sicht und spielten mit meiner Angst. Dann sah ich ein paar Holzkisten, versteckt hinter einer dunklen Nische, die optimal aufeinandergestapelt waren, sodass ich aufs Dach klettern konnte. Ohne zu zögern, ignorierte ich meine Angst und begann zu klettern. Auf halbem Weg hörte ich, wie die Männer angeschrien wurden, dass sie ihre faulen Ärsche bewegen und nach mir suchen sollten.

Obwohl es Krach machte, kickte ich gegen die letzte Kiste, damit sie nicht zu mir hochkommen konnten. Triumphierend lächelte ich, als die Männer zu mir nach oben schauten und keinen Weg fanden. Doch ich hatte mich zu früh gefreut. Einer der Männer holte Anlauf, rannte auf die Kisten zu und hob ab, sobald er auf der obersten ankam. Knapp konnte er sich an der Dachkante festhalten, die unter seinem Gewicht knarzte, und zog sich mühsam nach oben. Als ich das sah, überzog sich mein Körper mit Gänsehaut. Damit hatte ich definitiv nicht gerechnet. Schnell rannte ich auf die andere Seite des Daches und suchte nach einem Ausweg. Tatsächlich führte eine Feuerleiter die Wand hinab, doch weiter unten sah ich, dass es wieder eine Sackgasse war. Da konnte ich nicht hin, ansonsten würde ich in den Fängen dieser Männer landen.

Als ich gerade verzweifelt aufgeben wollte, sah ich ein offenes Fenster auf der anderen Seite der Mauer, in das ich springen konnte. Die Mauer war aber relativ weit weg von dem Haus, auf dem ich stand.Was ist wohl hinter dieser Mauer? Ich hatte keine Zeit, darüber nachzudenken, denn wenn ich nicht wollte, dass mein Verfolger sah, wohin ich floh, musste ich jetzt springen. So schnell ich nur konnte, rannte ich übers Dach und sprang kräftig ab, in der Hoffnung, dass ich es bis zur Mauer schaffte. Pures Adrenalin schoss durch meine Adern und berauschte mich. Knapp schaffte ich es zur Mauer und noch knapper gelang es mir, mich festzuhalten. Schnell stemmte ich mich nach oben und schwang mich auf die Mauer. Der Schwung war zu grob und so verlor ich meinen Halt an der Wand und stürzte auf die andere Seite. Verzweifelt versuchte ich Halt zu finden, während ich die Mauer hinunterschlitterte. Doch ich fand keinen und landete unsanft auf meinen Füßen, was ein ekliges Knacken mit sich zog und Schmerz durch meinen Körper jagte. Mit großer Mühe gelang es mir, dem schmerzerfüllten Schrei, der sich in meinem Hals bildete, keinen Weg nach draußen zu gewähren. Behutsam verlagerte ich mein Gewicht auf einen Fuß und stellte erleichtert fest, dass er nicht gebrochen war. „Sie ist nicht da!“, hörte ich plötzlich wieder die Stimme des Mannes, der mich vorher gefasst hatte, was mich aufhorchen ließ. „Sie muss wohl über die Mauer gesprungen sein!“, rief ihm ein anderer Mann zu. „Unserem Informanten zufolge sollte sie keine Sportskanone sein! Aber ja, wir überprüfen es!“, schrie er wieder zurück.Mir lief es kalt über den Rücken, als ich das hörte. Sie waren mir auf der Spur!Die Mauer entlang und schön im Schatten, damit sie mich nicht gleich entdeckten, humpelte ich, so schnell es ging weg von diesem Ort. Durch das ewige Pochen in meinem Fuß atmete ich nicht richtig und bekam Seitenstechen. Dieser Informant, wer immer das auch war, hatte recht, ich war keine Sportskanone. Es war schon eine Meisterleistung, was ich heute Abend geschafft hatte. Aber so war das nun mal, wenn es um das eigene Leben ging.

Nach einer Weile hörte ich die Männer plötzlich wieder. Sie waren noch nicht nah genug, als dass sie mich entdeckt hätten, aber das wollte ich auch nicht riskieren. Bei der nächsten Möglichkeit schlich ich um die Ecke und tat dies ein paar Mal, bis ich selbst die Übersicht verloren hatte und nicht mehr wusste, wo ich war.

Als ich mein Handy aus der Tasche nahm, sah ich, dass der Akku fast leer war. Es sollte aber noch für einen kurzen Anruf reichen. Schnell tippte ich wieder dieselbe Nummer ein wie zuvor und hielt es ans Ohr. Nach dem dritten Piep hob dann doch endlich mal jemand ab. „Hallo?“, hörte ich seine Stimme am anderen Ende. „Na endlich“, entfuhr es mir erleichtert. „Du weißt nicht, wie …“ Doch weiter erzählen konnte ich nicht, denn der Akku war endgültig leer. Frustriert warf ich mein Handy auf den Boden, hob es aber wieder auf und ging weiter. Durch die Schutzhülle hatte es glücklicherweise keinen einzigen Kratzer abgekriegt.

Nach zwei weiteren Abzweigungen fand ich mich auf einem riesigen Parkplatz wieder. Ich konnte nicht sagen, wo das war, da ich wirklich keine Ahnung hatte, wo zur Hölle ich mich gerade befand. Ich hoffte, dass ich wenigstens noch in New York war. Da ich mich doch recht erschöpft fühlte, war ich der Meinung, dass ich mir einen Unterschlupf suchen sollte. Bevor ich mich daran machte, bei einem Auto nach dem anderen zu überprüfen, ob es wirklich abgeschlossen war, fiel mir ein ganz bestimmtes ins Auge. Ich konnte meinen Blick nicht mehr davon abwenden und bewunderte diese Schönheit, wie sie da mit solch einer Anmut, mitten auf dem Platz, zwischen den anderen Autos stand. Was der Informant dieser Männer bestimmt nicht wusste, war, dass ich der totale Autofreak war. Denn das wusste genau niemand, außer mir selbst.

Fast schon ehrfürchtig näherte ich mich dieser Schönheit eines Autos. Es war ein neuer Ford Mustang Shelby GT500. Ganz sanft strich ich mit meinen Fingern über den seidenfeinen, dunkelroten Lack und biss mir mit einem Lächeln auf die Lippen. Meine Finger wanderten zum Türgriff und zogen einmal daran. Das Auto war verschlossen, was wirklich keine Überraschung war. Perfekt, dachte ich mir. Dann kann ich gleich meine neu erlernte Fähigkeit testen. Als die Ruhe in Person zog ich eine Haarnadel aus meinen Haaren, welche sowieso schon zerzaust waren, und begann das Schloss zu öffnen. Sobald sich der Riegel nach oben schob, machte mein Herz einen Freudensprung.

Die Freude jedoch hielt nicht lange an, da ich die Männer schon wieder hörte. Sie hatten eben den Parkplatz betreten und suchten nach mir. Mit Taschenlampen leuchteten sie um sich herum, zwischen den Autos hin und her. Zum Glück hatten sie mich noch nicht entdeckt und so schlüpfte ich leise ins Auto und verriegelte die Tür von innen. Schnell ließ ich mich unters Armaturenbrett sinken, legte meine schwarze Jacke über mich und verharrte dort, bis die Männer am Auto vorbei waren. Als einer der Männer direkt neben dem Auto stehen blieb, hielt ich angespannt die Luft an. Nur mein Herzschlag war zu hören, welcher nach meinem Geschmack um einiges zu laut war. „Da ist sie nicht!“, schrie einer, der weiter weg war. „Sie muss in die andere Richtung gerannt sein, denn Todd sieht sie auch nicht und er wäre ihr sonst entgegengekommen!“, antwortete der Typ, der neben dem Auto stand und lief langsam weg.Zur Sicherheit wartete ich noch einige Minuten länger, bevor ich erleichtert die Luft aus meinen Lungen weichen ließ und endlich wieder normal atmete. Gerade als ich hervorkrabbeln wollte, blieb mein Blick an jemandem hängen, der plötzlich lässig auf der Rückbank saß. Verunsichert hielt ich mitten in meiner Bewegung inne und starrte ihn gebannt an. „Hat dir niemand beigebracht, dass man nicht in fremde Autos steigt?“, sagte er und musterte mich neugierig und zugleich feindselig.

2

„Lebst du hier drin?“, stellte ich eine Gegenfrage, ohne auf seine einzugehen, als ich einige Kleider und eine Decke auf dem Rücksitz entdeckte. „Gewissermaßen“, antwortete er knapp und kletterte nach vorne auf den Fahrersitz. Durch das Mondlicht, welches nun sein Gesicht erhellte, konnte ich ihn jetzt besser sehen. Er hatte kurze, verwuschelte braune Haare. Seine Augen, die mich misstrauisch musterten, stachen in einem tiefen, klaren Blau hervor. An seiner rechten Augenbraue zog sich eine Narbe zum Auge hinunter. Er hatte eine normale Statur, sah trainiert aus und ich schätzte ihn auf etwa 1 Meter 80, also um einiges größer als ich.

Ich dagegen hatte hellbraune Haare, grün-braune Augen, war nicht wirklich groß oder kräftig und hatte, wie ich es nannte, kleine Reserven an meinem Bauch. Obwohl da nicht wirklich viel Fett war. Er war nur nicht so flach wie bei all den Models, die man in den Zeitschriften und im Fernsehen sah.

„Was tust du hier?“, fragte er mich, während er mich weiterhin musterte. „Keine Ahnung. Diese Männer hatten mich mit Waffen verfolgt“, antwortete ich wahrheitsgemäß. „Was wollten die von dir?“, fragte er mich weiter und ich sah ihm an, dass er noch eine Menge an Fragen hatte. „Keine Ahnung“, seufzte ich. „Du wirst von Männern, die eine Waffe bei sich haben, verfolgt und du weißt nicht, wieso?!“, entfuhr es ihm verärgert. Er glaubte mir nicht, das sah ich ihm an. „Wer hat dich geschickt?“, fragte er und schien schon fast paranoid zu werden, als er sich schnell umsah, ob da noch jemand war. „Niemand. Ich sag die Wahrheit. Seit heute Mittag geschehen komische Dinge und als ich vor dem Restaurant gewartet habe, kamen diese Männer auf mich los.“ „Steig aus dem Wagen!“, forderte er mich verärgert auf. Ich vermutete, dass er mir nicht glaubte und mich daher loswerden wollte. „Nein! Ich bleibe hier, solange ich will!“, entgegnete ich trotzig und drückte mich fester in den Sitz. Er rollte genervt mit den Augen und seufzte, als er merkte, dass ich nicht aussteigen würde.„Wie heißt du?“, fragte er mich, sobald er sich ein wenig beruhigt hatte. „Juna. Juna Evans“, stellte ich mich ihm vor. „Und wie heißt du?“ „Was ist heute Mittag geschehen?“, fragte er und wich damit geschickt meiner Frage aus. Ich hätte nicht gedacht, dass er mir wirklich zugehört hatte und war nun umso überraschter, sodass ich fürs Erste meine Frage vergaß. „Naja … das mag vielleicht verrückt klingen …“ Ich fühlte mich plötzlich unbehaglich und fing an, im Handschuhfach herumzustochern. „Was soll das werden?“, fuhr er mich an, doch da hatte ich schon gefunden, was ich gesucht hatte. Den Fahrzeugausweis. Dieses Auto war zugelassen auf einen gewissen James Smith. „Du siehst nicht aus wie ein James Smith“, bemerkte ich trocken. „Ach nein?“ Er sah mich mit hochgezogener Augenbraue an. „Nein“, meinte ich bloß und er kramte nach seinem Portemonnaie und zog seinen Führerschein hervor.

Er hielt ihn mir hin, schön darauf bedacht, das Foto mit den Fingern zu überdecken. Schnell schnappte ich nach dem Ausweis und betrachtete ihn näher. Es war tatsächlich sein Foto und dieser Name darauf zu sehen. „Du siehst für mich noch immer nicht aus wie ein James Smith“, sagte ich und betrachtete den Ausweis kritisch. „Tja, da bist du die Erste, die dieser Meinung ist“, bemerkte er kühl. „Und jetzt steig aus, ich will meine Ruhe!“ Seine Augen funkelten feindselig, als ich ihn überrascht ansah.

„Mann, bist du ein Arsch …“, grummelte ich vor mich hin. „Hast du wenigstens ein Handy oder Ladegerät, das ich mir schnell borgen kann?“, fragte ich ihn, bevor ich ausstieg. „Nein“, antwortete er eiskalt und wartete, bis ich ausstieg. „Der gehört mir“, sagte er noch, bevor er sich den Ausweis schnappte. Als sich unsere Hände kurz berührten, hätte ich schwören können, dass dieses Kribbeln in meiner Handfläche stärker wurde. Und als ich zu ihm aufsah, sah ich gerade noch, wie er seine Überraschung hinter seinem eiskalten Pokerface versteckte.

„Was war das?“, fragte ich ihn. „Was war was?“, meinte er und tat so, als hätte er nichts bemerkt. „Bist du psychisch angeknackst oder was?“, fuhr er mich an und zeigte mir den Vogel. „Was soll das?“, fragte ich perplex, da ich nicht wusste, was ich falsch gemacht hatte. „Wen willst du denn anrufen? Auf dich wartet bestimmt niemand“, sagte er abschätzig sodass ich fürs Erste baff war. Dann wurde ich wütend. Was denkt sich dieser Kerl eigentlich, wer er ist?!„Das sagt genau der Richtige. Dich würde nicht mal eine taube Frau ertragen, so wie du mit ihr sprechen würdest!“ Ich öffnete die Wagentür, setzte einen Fuß auf den Boden und drehte mich noch zu ihm, bevor ich ausstieg und sagte: „Ich wollte meinen Verlobten anrufen, du griesgrämiges Arschloch!“

Kaum war ich draußen, schlug ich die Tür mit voller Wucht zu, was mir selbst am Herzen schmerzte und stapfte wütend davon. Ich trat so fest auf meinen Fuß, dass dieser prompt wieder begann zu schmerzen und so wurde aus diesem Stapfen ein Humpeln. „Soll der bleiben, wo er ist. So ein riesiger Arsch kann mich mal“, schimpfte ich vor mich hin. Stur lief ich immer weiter, ohne ein einziges Mal zurückzuschauen. Ich wollte nicht, dass dieser Typ sich sonst noch was einbildete. Am Ende des Parkplatzes entdeckte ich meine Rettung. Erleichtert atmete ich auf und ein Lächeln umspielte meinen Mund. Eine Telefonkabine stand allein und verlassen in der Gegend und bettelte sichtlich darum, dass ich sie benutzte.

Mein Kleingeld zusammenkramend lief ich auf sie zu und warf die Münzen ein. Mit zittrigen Händen hob ich den Hörer ab und tippte wieder die gleiche Nummer. „Hallo?“, erklang die Antwort am anderen Ende bevor es richtig geklingelt hatte. „Jack!“, entfuhr es mir erleichtert, als ich seine Stimme hörte. „Juna? Wo bist du?“, fragte er mich. „Ich weiß nicht so genau. Jack, ein paar Männer haben mich verfolgt und ich hab keine Ahnung, warum …“, begann ich zu erzählen. „Wo bist du?“, stellte er erneut die Frage. „Ich komme dich holen.“ „Ich weiß nicht genau … auf einem riesigen Parkplatz“, beschrieb ich vage. „Warte dort, ich komme“, war alles, was er dazu sagte, bevor mein Guthaben für das Gespräch aufgebraucht war. Erleichtert, endlich abgeholt zu werden, setzte ich mich auf die Motorhaube des nächsten Autos und wartete.

Plötzlich fielen Schüsse und rissen mich aus meinen Gedanken. Einer der Schüsse ging knapp an mir vorbei, denn ich konnte den Luftzug deutlich spüren. Die Männer von vorhin waren zurück! So schnell ich konnte, ließ ich mich von der Motorhaube fallen und kauerte mich hinter den Wagen. Doch hier bleiben konnte ich nicht, wenn ich nicht von ihnen entführt werden wollte. Ich kroch zum nächsten Auto, rollte unten durch und rannte so schnell ich konnte weg von der Gefahr.Die Schüsse kamen immer näher, denn ich war nicht wirklich schnell mit meinem verletzten Fuß. In letzter Sekunde duckte ich mich hinter einem Auto, bevor die Kugeln mich trafen. Das Auto schirmte zum Glück alles ab und ich kroch schnell zum nächsten. Es tat mir bloß leid um die Leute, deren Autos nun durchlöchert waren.Irgendwo weit hinten hörte ich das Aufheulen eines V8-Motors und quietschende Reifen. Innerlich verfluchte ich mich, dass ich nicht eher auf die Idee gekommen war, ein Auto aufzubrechen und damit abzuhauen. Nein, ich musste natürlich ausgerechnet in ein Auto steigen, das schon besetzt war. Mit quietschenden Reifen kam ein Mustang direkt neben mir zum Stillstand. Es war der Typ von vorhin, der mich aus seinem Auto geschmissen hatte.

„Steig ein!“, schrie er mir zu, während er die Beifahrertür öffnete. Mein Inneres sträubte sich dagegen, aber ich rannte dennoch auf den Wagen zu. Kaum saß ich auf dem Sitz, fuhr er auch schon los und raste den Männern davon. Er schlängelte sich gekonnt zwischen den Reihen hindurch, driftete aus der Ausfahrt, als hätte er noch nie etwas anderes gemacht und ordnete sich schön auf der Straße ein. Fahren konnte er, das musste ich ihm lassen. Beeindruckt blickte ich zu ihm hinüber und sah sein selbstgefälliges Grinsen, sodass ich es sofort bereute, ihn so angestarrt zu haben. „Gefällt dir, was?“, musste er es mir auch noch selbstverliebt unter die Nase reiben. „Nein, das war meine Erleichterung, dass du uns nicht gegen die nächste Wand gefahren hast“, gab ich schlagfertig zurück. Danach hing jeder seinen Gedanken nach und es war still. „Hast du ihn erreicht?“, unterbrach er die Stille. „Oh, shit“, entfuhr es mir, als er mich daran erinnerte, dass mein Verlobter mich holen wollte. Der Nicht-James neben mir versuchte ein Grinsen zu unterdrücken und tat so, als müsste er sich auf die Straße konzentrieren. „Das habe ich total vergessen. Wir müssen zurück, er wartet bestimmt auf mich!“ Ich versuchte, nach dem Lenkrad zu greifen, damit er umkehrte. Er schlug energisch meine Hand weg und sah mich wütend an. „Greif nie wieder mein Lenkrad an, wenn ich fahre!“, fuhr er mich an. Sein Blick hätte mich auf der Stelle getötet, wenn das tatsächlich möglich wäre.

Sprachlos über seine Reaktion, lehnte ich mich wieder in meinen Sitz zurück und sah aus dem Fenster, schön darauf bedacht, ihn zu ignorieren. „Du wirst vorerst ohne ihn auskommen müssen“, unterbrach er wieder einmal die Stille. Fassungslos drehte ich den Kopf in seine Richtung, doch er sah stur geradeaus, ohne auch nur die kleinste Emotion preiszugeben.

Nach einer weiteren halben Stunde des Schweigens bog er plötzlich in eine Seitenstraße ein und schaltete den Motor aus. „Also gut. Was für Talente hast du?“, fragte er mich aus heiterem Himmel. „Wie bitte?“ Ich verstand absolut nicht, warum er das wissen wollte. „Kannst du schießen, rennen, tarnen, kämpfen?“, zählte er verschiedene Sachen auf. Es dauerte eine Weile, bis ich verstand, was er wissen wollte. „Ich kann fahren“, war alles, was ich dazu sagte und er fing an zu lachen, nachdem er mich erst emotionslos angeschaut hatte.

„Ja klar und ich kann Ballett“, sagte er, immer noch lachend. Als er meinen „Echt jetzt?“-Blick sah, lachte er noch heftiger. „Kämpfen kannst du nicht, ansonsten hättest du dich den Männern gestellt. Rennen kannst du auch nicht wirklich besonders gut“, fing er an aufzuzählen und erntete einen mörderischen Blick meinerseits. „Aber mit dem Tarnen und Schießen könnte es was werden.“ Mit hochgezogener Augenbraue erwiderte ich seinen Blick „Wofür soll das gut sein?“„Damit du überlebst“, sagte er mit vollem Ernst. „Überleben?“, entgegnete ich und verstand überhaupt nichts mehr. „Ja, überleben. Oder was denkst du, wieso dich diese Männer suchen und auf dich schießen?“, antwortete er genervt.

Als er meine Hand fassen wollte, zog ich sie von ihm weg und sah ihn mit hochgezogenen Augenbrauen an. „Keine Sorge, du bist bei Weitem nicht die Erste, die ich an der Hand halten würde. Und wenn ich das wollte, hätte ich es schon längst getan“, sagte er eiskalt, mit einem ebenso eisigen Lächeln im Gesicht, als er mir in die Augen sah. Das hatte gesessen …! Eine noch erniedrigendere Beleidigung ging kaum noch. „Na schönen Dank auch“, sagte ich und funkelte ihn wütend an. Ich schaute aus dem Fenster, um ihm nicht zu zeigen, wie sehr mich das verletzt hatte, obwohl ich ihn ja gar nicht kannte. „Ich wollte dir was zeigen, aber schön, dann lassen wir das“, meinte er sichtlich genervt. „Warum sprichst du jetzt mit mir, wenn du mich vorher loswerden wolltest?“, fragte ich und funkelte ihn an. „Süß, wie du versuchst, wütend zu sein.“ Er schmunzelte belustigt und fing sich einen noch böseren Blick ein. „Da du anscheinend auch so eine bist, ist es quasi Pflicht, dass wir zusammenhalten“, sagte er. Ihm schien diese Sache nicht zu gefallen. „Da ich eine was bin?“, fragte ich, denn er verwirrte mich immer mehr. Doch anstatt etwas zu sagen, streckte er bloß seine Hand zu mir herüber und sah mich auffordernd an. „Du kannst auch meinen Arm berühren, wenn du dich nicht traust“, sagte er und sah mich dabei mit einem verschmitzten Lächeln provozierend an. Dies ließ ich mir nicht gefallen und legte zum Trotz meine Hand in seine.

Kaum hatte ich das getan, spürte ich wieder dieses Kribbeln in meiner Handfläche. Aus Reflex wollte ich die Hand zurückziehen, doch er schloss seine Hand um meine und hielt sie fest. Bevor ich ihn böse anfunkeln konnte, sah er mich eindringlich an und begann zu erklären. „Dieses Kribbeln ist nicht normal. Es gibt ein paar wenige Leute, die diese besondere Gabe besitzen. Sie wird bei einigen durch ein Ereignis oder einen speziellen Gedanken ausgelöst. Bei den anderen kommt sie nie zum Vorschein. Ich weiß nicht, was genau der Auslöser ist. Man spürt es das erste Mal, wenn man jemanden berührt hat, sei es zufällig oder bewusst. Und dann sieht man auf einmal Leute, die komisch zu schimmern beginnen und man wird plötzlich verfolgt.“ „Woher weißt du das?“, fiel ich ihm ins Wort und er funkelte mich böse an, weil ich ihn unterbrochen hatte. „Weil ich genau dasselbe erlebt habe“, antwortete er monoton. „Ich habe dieselbe verfluchte Gabe.“

„Was ist das für eine Gabe?“, wollte ich von ihm wissen. „Eine, die dir alles nimmt, was dir jemals wichtig war.“ Ich hörte den Schmerz, der sich in seiner Stimme versteckte. Sein Gesicht war stahlhart und verriet nichts, weshalb ich nicht wusste, ob ich mir das nur eingebildet hatte. „Wir können, wie ich es nenne, ‚gefrorene Seelen‘ sehen und wieder ‚auftauen‘.“

„Also das heißt, dass diese schimmernden Leute gefrorene Seelen haben?“, fragte ich, um sicherzugehen, dass ich es richtig verstanden hatte. Als er nickte, stellte ich eine weitere Frage.

„Und das Kribbeln in der Hand?“ „Das spürst du, wenn du jemanden auftaust oder wie bei mir, wenn diese Person die gleiche Gabe besitzt.“ „Warum haben diese Leute denn eine gefrorene Seele? Und warum werden wir gejagt?“, sprudelte es nur so aus mir heraus. „Es gibt auch welche, die die Gabe haben, die Seelen einzufrieren. Sie stärken sich sozusagen mit deren Gefühlen. Sie saugen alles aus, bis eine kalte Hülle aus Nichts zurückbleibt. Dann wandeln diese Leute emotionslos durch die Welt.“ „Also sozusagen wie Dementoren bei Harry Potter“, stellte ich den Vergleich her, was mir einen ziemlich entgeisterten Blick von Nicht-James einbrachte. „Nein. Ja. Wir sind keine Zauberer und nicht bei Harry Potter, aber ja, so in etwa. Nur dass die Bösen die Seele nicht aus dem Körper saugen und sie nicht anders aussehen als wir.“

Ausnahmsweise hatte ich nichts dazu zu sagen und wartete, bis er weitersprach. „Irgendjemand mit viel Geld hat eine Organisation gegründet, der sich diese Sauger anschließen und Mensch um Mensch aussaugen. Er hat auch normale Menschen, die sein Vorhaben unterstützen und sich ihm anschließen. Ich habe keine Ahnung, wer der Kopf dieser Organisation ist, was die vorhaben und wie viele Mitglieder sie hat. Was ich aber weiß, ist, dass es immer mehr gefrorene Seelen gibt und die Jagd auf unseresgleichen machen.“

Irgendwann, als er lange auf seine Hand sah, bemerkte ich, dass meine Hand noch immer in seiner lag und er sie festhielt. Gegen meinen Willen musste ich mir eingestehen, dass es sich ungewöhnlich gut anfühlte. Seine große Hand, wie sie meine sanft umfasste und sie wärmte. Dann spürte ich, dass er mich ansah und als ich zu ihm aufblickte, grinste er mich wissend an und ich entzog ihm empört meine Hand. „Zu spät, ich weiß, dass du es genossen hast“, rieb er mir unter die Nase. „Einbildung ist auch’ne Bildung“, erwiderte ich, rollte mit den Augen und sah wieder einmal aus dem Fenster.

„Das heißt, dass diese Männer wussten, dass ich diese Gabe besitze?“, schlussfolgerte ich nach einer Weile der Stille. Nicht-James nickte bloß und schaute aus dem Fenster. „Woher?“„Na endlich stellst du die richtige Frage“, sagte er und tat dabei übertrieben begeistert. „Jemand hat dich ganz genau beobachtet, als er den Verdacht hatte, dass du eine von uns bist.“ Als er mir das sagte, fröstelte es mich bei dem Gedanken daran, dass mich jemand so genau beobachtete.

Schweigend fuhren wir weiter und jeder hing seinen Gedanken nach. „Du musst ihn vergessen“, unterbrach er wieder die angenehme Stille. „Ich habe nicht an ihn gedacht“, murmelte ich in meine Hand, auf der ich meinen Kopf aufgestützt hatte. Tatsächlich hatte ich darüber nachgegrübelt, ob ich bei der Waschmaschine den Timer gestellt hatte. „An einen anderen? Mich?“, sagte er neckend und grinste mich frech an. Gegen meinen Willen musste ich lächeln, verneinte aber. Er merkte, wie erschöpft ich war und bot mir an, dass ich auf die Rückbank krabbeln und versuchen sollte zu schlafen. „Okay, aber ich tu es, weil ich wirklich müde bin und nicht, weil du es mir vorgeschlagen hast“, kommentierte ich, damit er bloß nicht auf den Gedanken kam, dass ich ihm gehorchte. Kaum hatte ich mich hingelegt, was überraschend bequem war, dauerte es keine fünf Minuten, bis ich eingeschlafen war.

***

Atemlos schrak ich auf und griff geschockt nach dem Nächstbesten, das in der Nähe war und mir Halt gab. Ich hatte einen schrecklichen Traum gehabt, dass ich verfolgt wurde und Menschen plötzlich begannen zu leuchten. Sobald ich mich endlich beruhigt hatte, sah ich, dass ich den Arm von Nicht-James gepackt hatte und seufzte verzweifelt auf. Scheiße, es war kein Traum …!

Er hatte sich nach hinten gelehnt und sah mir in die Augen. Anscheinend hatte er mich wecken wollen. Lange sagten wir nichts und starrten uns bloß an, bis es langsam unangenehm wurde. Erst dann bemerkte ich, dass wir angehalten hatten. Wir parkten bei einem Motel, an einem Ort, den ich nicht kannte. „Ich dachte, du möchtest dich vielleicht frisch machen“, fand er als Erster seine Stimme. „Ja, danke“, entfuhr es mir, als ich nach vorne kletterte und die Beifahrertür öffnete. „Ich hole währenddessen was zu essen“, informierte er mich, bevor ich auch schon draußen war.

So schnell es ging, lief ich zur Damentoilette, ohne dass es nach einer Flucht aussah. Sobald sich die Tür hinter mir schloss, stützte ich mich auf dem Waschbecken ab. Jetzt konnte ich mich nicht mehr beherrschen und die Tränen flossen meine Wangen hinunter. Es waren keine Tränen der Trauer, sondern der Verzweiflung und des Frusts. Es war ein Moment der Schwäche, den ich nicht zu lange hatte hinauszögern können. Ich wollte nicht, dass er dachte, ich hätte geweint. Die Tränen aus dem Gesicht wischend, blickte ich hoch in den Spiegel, der schon ziemlich verblichen war, aber trotzdem genügte, um mir zu zeigen, wie schrecklich ich aussah.

Schweißperlen klebten mir noch auf der Stirn von diesem schrecklichen Traum, den ich in letzter Zeit immer öfter hatte. Nun wusste ich, dass es diese leuchtenden Menschen wirklich gab. Meine Augen hatten gerötete Ränder und meine Haare standen auf allen Seiten ab. Mit zittrigen Händen drehte ich den Hahn auf und spritzte mir frisches Wasser ins Gesicht. Danach wusch ich mich notbedürftig und rollte meine brustlangen Haare zu einem Dutt zusammen.

Einigermaßen zurechtgeordnet wagte ich mich wieder nach draußen und ging auf den Mustang zu. Als ich näher kam, sah ich, dass der Kofferraum offen war und er dahinter stand. Bevor ich beim Auto angelangt war, trat er mit nacktem Oberkörper hervor. „Oh hey, ich hab Kleider gefunden. Diese sollten dir passen“, sagte er und warf mir ein paar Kleider zu. Gerade noch so gelang es mir, die Kleider aufzufangen, bevor sie auf dem Boden landeten. Ich war zu abgelenkt davon, dass er ohne ein Shirt vor mir stand. Sein Oberkörper war gut trainiert und zeigte klare Strukturen. Unter seiner rechten Brust kam eine Narbe von der Seite her zum Vorschein. Sobald ich mich dabei ertappte, dass ich ihn anglotzte, errötete ich umso mehr, als sich unsere Blicke trafen und er mich angrinste. „Mach den Mund zu, du sabberst“, musste er es mir auch noch unter die Nase reiben. Ohne etwas darauf zu sagen, wendete ich mich ab und sah mir die Kleider, die er mir mitgebracht hatte, genauer an.

Er hatte mir eine dunkelgraue Leggins in meiner Größe und ein Shirt mitgebracht. Beim Shirt stockte mir der Atem und ich konnte sein Lachen schon hören. „Bauchfrei? Echt jetzt?!“, fragte ich ihn fassungslos, als ich mich zu ihm umdrehte und das Shirt hochhob. Mein Blick musste das Tüpfelchen auf dem i gewesen sein, denn er prustete los und beruhigte sich nur schwer wieder. „Das war nur Spaß. Hier hab ich noch ein anderes“, sagte er und lachte mich dabei noch immer aus, hielt mir aber das andere Shirt hin. Es war ein luftiges, blaues Oberteil mit Spaghettiträgern. Das gefiel mir schon viel besser und ich kletterte ins Auto, um mich umzuziehen.

Kaum war ich fertig, öffnete er auch schon die Tür und guckte zu mir nach hinten. „Bereit?“, fragte er, während er mich musterte. „Wohin gehen wir?“, wollte ich wissen, obwohl ich ahnte, dass er es mir nicht verraten würde. „Siehst du, wenn wir dort sind“, war seine Antwort, die ich erwartet hatte. „Wie lange fahren wir noch?“ „Noch eine Weile“, gab er zu und wollte sich hinter das Lenkrad setzen.

„Nein, vergiss es“, wies ich ihn ziemlich bestimmt zurecht. „Du hast noch nicht geschlafen, also leg dich hin, ich fahre.“ „Aber du kennst den Weg nicht“, protestierte er. Ich wusste, dass es ihm nicht geheuer war, dass jemand anderes sein Auto fuhr. „Keine Sorge, ich geb gut auf ihn acht“, versicherte ich ihm, krabbelte nach vorne, strich liebevoll übers Lenkrad und grinste ihn an. Lange sah er mich bloß an und wägte seine Optionen ab. „Na gut“, gab er sich schlussendlich geschlagen. „Folge dieser Straße für 100 Meilen.“ „Alles klar“, sagte ich und grinste ihn siegessicher an. „Keine Angst, du wirst es nicht bereuen.“ „Das tu ich jetzt schon“, murmelte er und begab sich auf die Rückbank. Sobald er seine Augen geschlossen hatte, wagte ich durch den Rückspiegel einen Blick zu ihm. Er sah so friedlich aus im Schlaf. Überhaupt nicht wie ein überhebliches, selbstverliebtes Arschloch. Meine Gedanken aus dem Kopf schüttelnd, konzentrierte ich mich vollends auf die Straße und genoss das beflügelnde Gefühl, das mir dieses Auto verlieh.

3

Nach zwei Stunden Fahrt fiel mir auf, dass eine dunkle Mercedes-Limousine uns folgte. Wann immer ich langsamer wurde, reduzierte der Fahrer hinter mir ebenfalls das Tempo, um mir nicht zu nahe zu kommen und wenn ich schneller wurde, beschleunigte er ebenso, um mich nicht aus den Augen zu verlieren. Um zu testen, ob mein Gefühl richtig war, fuhr ich in eine Einfahrt für ein Motel und als die Limousine mir folgte, fuhr ich einfach weiter. „Wach auf!“, rief ich und schüttelte meinen Reisebegleiter. Er schrak hoch und war sofort bereit, sich zu verteidigen. „Wir kriegen Besuch“, informierte ich ihn und deutete nach hinten. „Dieser Mercedes folgt uns seit einiger Zeit mit stetigem Abstand.“ „Rutsch mal rüber“, forderte er mich auf, nachdem er etwas Unverständliches gegrummelt hatte. Doch bevor ich protestieren konnte, fielen die ersten Schüsse und ich drückte automatisch aufs Gas. Nicht-James hatte dies nicht kommen sehen und flog zurück auf die Rückbank.

Sobald er sich gefasst hatte, wühlte er unter der Bank und zog ein Präzisionsgewehr hervor. „Woher hast du das?“, fragte ich überrascht, doch er ignorierte meine Frage. „Fahr in die nächste Ortschaft, wir müssen sie abhängen!“, schrie er mir bloß zu, krabbelte nach vorne, hielt das Gewehr aus dem Fenster und zielte auf den Beifahrer in der Limousine hinter uns.

Währenddessen trat ich aufs Gas, schön darauf bedacht, nicht zu ruckartig zu fahren, damit er nicht danebenschoss. Der erste Schuss fiel und kurz darauf drehte er sich zu mir. „Fahr schneller, sie kommen näher!“, schrie er mir zu. Als er mir das sagte, schaltete ich alles um mich herum ab und fuhr. In meinem Kopf legte sich ein Schalter um und brachte die Rennfahrerin in mir hervor. Jetzt gab es nur noch mich, das Auto und die Straße. Ich trat fester auf das Gaspedal und fuhr auf eine Abzweigung zu. „Juna!“, schrie mein Beifahrer neben mir entsetzt und klammerte sich an seinem Sitz fest. Als wir nahe genug an der Abzweigung waren, ging ich vom Gas, schaltete ein paar Gänge herunter, damit ich nicht zu schnell in die Kreuzung fuhr und driftete perfekt in die andere Straße.

Kaum war das Auto wieder gerade, trat ich erneut aufs Gas und blickte zu meinem Beifahrer hinüber. Ich konnte nicht anders als ihn anzugrinsen, als ich sah, wie er mich mit großen, überraschten Augen anstarrte. Seine normale Gesichtsfarbe schien langsam wieder zurückzukommen. „Die nächste rechts“, lotste er mich, als die nächste Abzweigung auf uns zukam. Diesmal war er gewappnet und ließ mich mein Ding durchziehen. „Die nächste links“, gab er mir weiterhin Anweisungen und ich tat wie geheißen. Dies ging ein paar Abzweigungen so weiter, bis eine alte Frau gemütlich über die Straße spazierte und ich gezwungen war, eine andere Route zu nehmen, wenn ich sie nicht überfahren wollte. „Was soll das?! Wir müssen da lang!“, schrie er mich an. „Ich weiß, aber da war’ne Oma auf der Straße!“, fauchte ich ihn an und suchte einen anderen Weg.

Nach ein paar weiteren Abzweigungen hatte ich unsere Verfolger endlich abgehängt. Ich bog in eine schmale Straße ein und wollte erleichtert aufatmen, als sie plötzlich vor uns auftauchten. „Verdammt! Wie können die wissen, wo wir sind?!“, stieß ich verzweifelt hervor, legte den Rückwärtsgang ein und fuhr. Kaum war ich wieder auf der Hauptstraße, legte ich den ersten Gang ein und trat aufs Gas. Rauch qualmte von den Reifen und versperrte den Verfolgern die Sicht. „Halt an!“, befahl mir Nicht-James und etwas an seinem Ton ließ mich genau dies tun. Die Räder kamen noch nicht mal zum Stillstand, da hatte er schon die Tür geöffnet und ein Bein draußen.

Er legte sich auf den Boden und stand mit etwas in der Hand wieder auf. „GPS-Sender“, grummelte er und warf ihn in den Mülleimer an der Straße. „Weiter“, war alles, was er sagte, als er wieder einstieg und ich fuhr wortlos weiter. Die Verfolger hatten noch immer keine freie Sicht und dadurch, dass die anderen Fahrer auf der Straße ebenfalls nichts sahen, versperrten diese ihnen den Weg. „Wie kam das dorthin?“, traute ich mich nach ein paar Abzweigungen zu fragen. Er wusste keine Antwort darauf, also schwieg er eine Weile.

„Auf dem Parkplatz …“, entfuhr es ihm überrascht. „Als er direkt neben dem Auto stand. Die wussten, dass du in diesem Auto warst.“ „Aber wie?“, fragte ich mich selbst. „Die nächste rechts und dann gleich links“, wies er mir den Weg, bevor er eine Gegenfrage stellte. „Wer weiß, dass du so Auto fährst?“ „Niemand“, antwortete ich wahrheitsgetreu. „Dein Verlobter?“, hakte er nach, doch ich schüttelte bloß den Kopf und bog rechts ab. „Nein, ich hab’s ihm nie erzählt.“ „Wo hast du gelernt, so zu fahren?“, versuchte er weiter herauszufinden, wie die darauf kommen konnten. „Mein Vater hat es mir beigebracht. Früher saß ich auf seinem Schoß, als ich noch zu klein war, um selbst zu fahren. Und sobald ich übers Lenkrad sehen konnte, saß er daneben und gab mir Anweisungen“, erklärte ich ihm, bei dieser Erinnerung lächelnd, bis ich mich fragte, wieso ich ihm das überhaupt erzählte. „Vielleicht haben sie es durch ihn erfahren“, mutmaßte er weiter. „Nein. Mein Vater ist an dem Tag, als ich 17 wurde, gestorben“, sagte ich und mein Lächeln erlosch komplett. „Tut mir leid“, meinte er entschuldigend und aufrichtig.

„Warum hast du es deinem Verlobten nie erzählt?“, fragte er weiter. „Naja, das war Papas und mein kleines Geheimnis. Nicht mal meine Mutter weiß davon.“ Ich schmunzelte bei der Erinnerung daran, wie wir uns damals versprochen hatten, dass das unser kleines Geheimnis war. „Also vertraust du lieber mir dieses Geheimnis an als deinem zukünftigen Mann“, schlussfolgerte er. „Wow, den musst du ja höllisch lieben“, fügte er sarkastisch hinzu. Ich tat so, als würde ich mich auf die Straße konzentrieren, aber insgeheim beschäftigte mich seine Aussage extrem. Er hatte recht, ich war im Begriff, diesen Mann zu heiraten, aber vertraute lieber einem Fremden mein Geheimnis an anstatt ihm.

„Halt schnell an“, unterbrach er mein Grübeln und ich bremste ab. Er stieg aus und joggte in die Bäckerei gleich an der Straße. Was zum Teufel will er dort? Leicht nervös schaute ich mich immer wieder um und hoffte, dass diese Männer nicht wieder auftauchten. Doch das war zu schön, um wahr zu sein, denn genau als Nicht-James wieder aus dem Laden kam, bogen sie in unsere Straße ein. Schnell ließ ich die Scheibe herunter. „Nicht-James, lauf!“, schrie ich so laut ich konnte und mein Begleiter schmunzelte über den Namen, schaute sich aber alarmiert um und entdeckte unsere Verfolger. Er rannte zum Auto und griff nach der Tür, genau in dem Moment, als ein Schuss erklang. Die Menschen auf der Straße schrien hysterisch und rannten in alle möglichen Richtungen, da sie nicht wussten, von wo der Schuss kam. Nicht-James stöhnte vor Schmerz auf und ließ sich auf den Sitz fallen. „Fahr“, stieß er zwischen zusammengepressten Zähnen hervor. Ohne zu zögern fuhr ich los und schlängelte uns zwischen den Gassen durch, bis ich sie abgehängt hatte. Dann endlich schaute ich zu meinem Beifahrer und sah, dass er am Bauch getroffen worden war. Blut durchtränkte sein Shirt und er hielt sich die Wunde zu. „Halb so schlimm, ist nur ein Streifschuss“, winkte er die Sache ab. „Fahr in dieses Parkhaus“, wies er mich an und zeigte mit zitterndem Finger auf ein Gebäude drei Straßen weiter.

Im Parkhaus nahm ich wie geheißen den am besten versteckten Parkplatz und stieg aus. Nicht-James wühlte schon im Kofferraum herum, bevor ich überhaupt die Tür geöffnet hatte. Als er fündig geworden war, grinste er triumphierend. „Was ist?“, fragte ich verwundert. „Du hast jetzt einen Job zu erledigen“, sagte er und hielt mir Nadel und Faden hin.

Ungläubig sah ich von seiner Hand in sein Gesicht. „Nein, vergiss es!“, lehnte ich diese Aufgabe ab. Ich wollte nicht mit einer Nadel in seinem Körper herumstochern.

„Wenn du es nicht tust, mach ich es selber“, entgegnete er schulterzuckend und fing an, den Faden einzufädeln. „Okay, okay, ich tu es ja“, gab ich nach und streckte die Hand aus, um mir die Nadel und den Faden zu nehmen. „Willst du nicht was, um draufzubeißen?“, fragte ich ihn, während ich konzentriert den Faden einfädelte. „Nein“, war alles, was er dazu sagte. Mit leicht zittrigen Händen näherte ich mich seiner Wunde und stach in seine Haut. Stich für Stich nähte ich die Wunde zusammen und Nicht-James zuckte kein einziges Mal zusammen.

Als die Wunde endlich zusammengenäht war, atmete ich erleichtert auf, denn es hörte langsam wirklich auf zu bluten. „Danke“, sagte er, zog sein Shirt aus und wühlte im Kofferraum nach einem frischen. Es war schwer, meinen Blick von seinem Oberkörper zu reißen, wobei die Wunde oder die Narben, die er besaß, nicht einmal der Grund waren. Zum Glück schaffte ich es diesmal, wegzuschauen, bevor er seinen Kopf zu mir drehte und ich setzte mich wieder auf den Fahrersitz.

„Wir sollten weiter“, sagte er, als er sich neben mich setzte. „Danke, dass du mich daran erinnerst“, konnte ich mir eine sarkastische Bemerkung nicht verkneifen und fuhr los. Diesmal hatten wir Glück und unsere Verfolger hatten uns nicht mehr gefunden.Als wir wieder auf dem richtigen Weg waren, schwiegen wir eine Weile. Ich hing meinen Gedanken nach, während mein Beifahrer versuchte zu schlafen.

„Du glaubst mir den Namen wirklich nicht“, riss er mich aus meinen Gedanken. Kurz blickte ich zu ihm hinüber und sah ein verschmitztes Lächeln, was mein Herz einen Aussetzer machen ließ, ich aber nie zugeben würde. „Nein“, lächelte ich zurück. Er grinste und schüttelte den Kopf. Danach schwieg er wieder für eine Weile und schaute aus dem Fenster.

„Darren“, sagte er plötzlich und sah mich erwartungsvoll an. Doch ich war zu vertieft in meine Gedanken gewesen, sodass ich nicht realisierte, was er mir damit sagen wollte. „Mein richtiger Name ist Darren Hunter“, wiederholte er seinen Namen, als er kapierte, dass ich eine lange Leitung hatte. „Freut mich, Darren“, entgegnete ich und lächelte ihn an, bevor ich mich wieder auf die Straße konzentrierte.

4

Endlich schienen wir unserem Ziel näher zu kommen, denn Darren meinte, er hätte genug geschlafen und wäre wieder fit genug zum Fahren, auch wenn er nicht danach aussah. Ohne Widerrede stieg ich aus und setzte mich auf den Beifahrersitz, obwohl ich am liebsten noch länger gefahren wäre. Schließlich hatte er mich mit seinem Mustang fahren lassen, was ihn eine riesige Überwindung gekostet hatte. Nach einer weiteren halben Stunde fuhren wir in Delmont, Pennsylvania eine Zufahrt entlang, kurz bevor die anderen Häuser auftauchten.Diese Einfahrt war riesig, denn wir mussten eine weitere Minute fahren, bevor das Haus zwischen den Bäumen überhaupt in Sicht kam. Das Haus selbst hatte eine normale Größe, nicht überaus bombastisch, wie man es von solch einer Zufahrt erwarten würde. Neben dem Haus stand eine Scheune mit einem riesigen Tor, die halb so groß war wie das Haus selbst.

„Willkommen in meinem Zuhause“, stellte er dieses Haus vor. „Du wohnst hier?“, fragte ich ihn verblüfft. „Nein, nicht wirklich. Es gehörte meinen Eltern und ich hab es geerbt. Ich benutze es höchstens drei Mal im Jahr“, erklärte er, als ich ihn ungläubig ansah. „Warum?“, fragte ich, denn mir schien nicht klar zu sein, weshalb er nicht immer hier war. „Weil ich, genau wie du, auf der Liste dieser Männer stehe. Ich kann nicht zu lange an einem Ort bleiben.“Dazu hatte ich nichts mehr zu sagen. Er hatte recht, mein altes Leben konnte ich nicht mehr führen. „Ist es dann nicht gefährlich, immer wieder hierher zu kommen?“, fragte ich, denn diese Frage beschäftigte mich. Ein kleines Lächeln erschien in seinem Gesicht und er schüttelte den Kopf. „Schon vergessen, die suchen mich und bestimmt keinen James Smith.“ „Und die schöpfen keinen Verdacht?“, hakte ich nach, denn mich ließ dieses Gefühl nicht los, dass die nicht so schnell lockerlassen würden. „Nein. Dieses Haus gehört jetzt einem James Smith, der es kontaktlos gekauft hatte und nun viel auf Reisen ist.“ „Wow, clever von dir“, sagte ich und staunte ein kleines bisschen. „Naja, man muss einfallsreich sein, wenn man überleben will“, erwiderte er und zuckte bloß mit den Schultern.

Er kramte einen Schlüssel hervor, öffnete die Tür und ließ mir den Vortritt. Neugierig trat ich ein und sah mich um. Mich empfing ein schöner Eingangsbereich mit angrenzender Gästetoilette. Unter einem Bogen hindurch ging es in den Flur, der sich in verschiedene Richtungen aufteilte.

Nach vorne ging es zur Küche und dem Wohnzimmer, welches riesig und offen war. Dank der großen Verglasung in den Garten schien es schier endlos zu sein. In einer Ecke stand ein Kamin in eine Steinmauer gefasst, in dem schon frisches Holz lag und darauf wartete, angezündet zu werden. Von der hohen Decke hing ein majestätischer Kronleuchter direkt über dem großen Esstisch. Die vielen dunkelbraunen Einzel- und Zweiersessel standen in einem Kreis und bildeten eine gemütliche Sitzgelegenheit um einen wunderschönen gläsernen Couchtisch herum. Ich war so überwältigt von dem Raum, dass ich nicht bemerkte, dass es hier keinen Fernseher gab.

In die andere Richtung des Flurs befanden sich ein Badezimmer, mit einer Badewanne, einem Waschbecken und einer Toilette, und drei Schlafzimmer, die jeweils ein Queen-Size-Bett, einen Nachttisch und eine antike Kommode beinhalteten.

Die Treppe, die in den oberen Stock hinaufführte, hätte ich fast übersehen. Sie war extrem gut getarnt und auf den ersten Blick nicht sichtbar. Oben angekommen, empfing mich ein Vorraum, an dessen Wänden Regale gefüllt mit Büchern, Bildern und allerlei Dingen standen. Jeweils links und rechts vom Raum befand sich eine Tür. „Du kannst hier schlafen“, sagte Darren, führte mich in den linken Raum und ich trat ein.

In diesem Zimmer befand sich, wie in den Zimmern unten, ebenfalls ein Queen-Size-Bett, ein Nachttisch und eine Kommode. Ein großes, bodentiefes Fenster ermöglichte einen wunderschönen Ausblick in den Garten und den Wald dahinter. „Keine Angst, keiner sieht rein, die Scheiben sind getönt“, erklärte er schnell, als ich zu ihm hinüberblickte. In diesem Zimmer befand sich eine weitere Tür, die in ein eigenes Badezimmer führte. Der dunkle Marmorboden war ein schöner Kontrast zu den hellen Wänden. Die Badewanne befand sich genau unter einem langen Panoramafenster.

„Ich lass dir kurz Zeit, um dich frisch zu machen, danach müssen wir dich trainieren.“ Mit diesen Worten verabschiedete er sich aus dem Zimmer. „Was ist mit dem anderen Zimmer?“, fragte ich und deutete in die Richtung der anderen Tür. „Das ist mein Zimmer“, sagte er schroff und sein Ton verriet, dass er keinen Besuch in seinem Zimmer wollte. Deshalb nickte ich bloß und drehte mich zum Fenster um.

Ich wusste nicht, wie lange ich so dagestanden hatte, aber mein Bauchgefühl sagte mir, dass ich mich schleunigst frisch machen sollte. Also huschte ich kurz in die Wanne und duschte rasch. Keine fünf Minuten später stand ich in ein Frotteetuch eingewickelt vor dem Waschbecken und trocknete meine Haare notdürftig. Auf dem Bett lagen frische Kleider, die ich anziehen konnte. Wann hat er die gekauft? War er hier drinnen, als ich duschen war?! Ich wusste nicht wieso, aber irgendwie beunruhigte es mich, dass er hier war, als ich nackt in der Wanne lag. Schnell zog ich die Kleider, die mir nebenbei bemerkt perfekt passten, an und ging hinunter ins Wohnzimmer.

Darren war draußen im Garten und machte gerade einen Liegestütz nach dem anderen. Schon fast unsicher darüber, was er mit mir vorhatte, trat ich nach draußen und zog somit seine Aufmerksamkeit auf mich. „Ich dachte schon, du kommst nicht mehr“, bemerkte er und grinste mich frech an, ohne dabei sein Training zu unterbrechen. „Ich konnte mich nicht vom Fenster losreißen“, gestand ich ihm, da es unnötig erschien, es zu leugnen. „Dachte ich mir“, kommentierte er bloß und zählte die letzten Liegestütze. „98 … 99 … 100. Also dann, können wir?“ Er schien kein bisschen erschöpft zu sein und ich nickte bloß. Er fing an zu joggen und winkte mich zu sich, weil ich noch keinen Schritt getan hatte.Ich hasse Joggen … Widerwillig setzte ich dann doch einen Fuß vor den anderen und fing an zu joggen.

Nach fünfzehn Minuten meldete sich ein vertrauter Freund, wenn es um Sport ging. Seitenstechen. „Ich kann nicht mehr“, keuchte ich und verlangsamte mein Tempo, bis ich normal ging. „Ist das dein Ernst?“, fragte er ungläubig. Ich nickte bloß und zuckte mit den Schultern. „Oje, du bist wirklich ’ne Niete in Sport … Wie hast du es geschafft, diese Männer abzuhängen?“, fragte er verwundert. „Da ging es um mein Leben“, kommentierte ich trocken und warf ihm einen wütenden Blick zu, da ich spürte, wie er sich innerlich über mich lustig machte. „Es geht nicht immer um Sport“, sagte ich, verdrehte die Augen und machte mich auf den Rückweg. „Und wie willst du überleben? Mit Betteln?!“, rief er wütend. Ich wusste nicht, ob ich Sorge in seiner Stimme gehört hatte oder ob ich mir das nur eingebildet hatte. „Bis jetzt hat es immer irgendwie geklappt“, fauchte ich ihn an und schritt davon. „Ja, lauf doch davon und lass dich schnappen!“, schrie er mir nach und ich zeigte ihm meinen Mittelfinger, ohne mich umzudrehen. „Mach das noch mal und …“, fing er an zu drohen, unterbrach sich aber selbst, als ich den Finger nochmals zeigte. Plötzlich hörte ich schnelle Schritte und drehte mich um, nur um festzustellen, dass er wutentbrannt auf mich zurannte. In seinen Augen sah ich etwas Gefährliches, was bestimmt nichts Gutes verhieß und bekam Angst. Schnell drehte ich mich um und rannte davon. „Darren! Lass das!“, schrie ich in der Hoffnung, dass er sich bloß einen Spaß erlaubte. Doch er reagierte nicht. Panik stieg in mir hoch und dann nahm ich die Beine in die Hand und rannte, so schnell ich konnte. Leider war es nicht schnell genug, denn er holte mich immer weiter ein. Mein Freund, das Seitenstechen, meldete sich auch schon wieder, doch diesmal ignorierte ich ihn und suchte krampfhaft nach einer Lösung. Als ich den Luftzug spürte, der entstand, als Darren knapp an mir vorbeirannte, pumpte pures Adrenalin durch meine Adern. Abrupt blieb ich stehen und rannte sofort in die andere Richtung. Bis Darren reagiert hatte, war ich schon zwischen den Bäumen verschwunden. Doch ich wusste, dass er mich bald einholen würde und so suchten meine Augen nach einer Lösung. Tatsächlich entdeckte ich ein perfektes Versteck! Eine Wurzel, die gerade so groß war, dass ich darunterkriechen konnte. Das tat ich auch ohne zu zögern und hielt den Atem an, als Darren an mir vorbeirannte. Zu meinem Pech kehrte er nach kurzer Zeit wieder zurück und lief in der Nähe umher. Angespannt hoffte ich, dass er mein Versteck nicht fand. „Du bist gut“, sagte er extra laut. „Aber ich bin besser“, fügte er hinzu, blieb vor der Wurzel stehen, bückte sich und lächelte mich böse an.

Er zerrte mich gewaltsam hervor und packte mich unsanft an den Haaren. „Aua! Lass los“, entfuhr es mir vor Schmerz. „Lektion Nummer eins: Versteck dich nie dort, wo sie dich ergreifen können und es keine weitere Fluchtmöglichkeit gibt“, teilte er mir diese Lektion mit strenger Stimme mit. „Lektion zwei: Tu, was ich dir sage und du überlebst.“

Als er mich dann endlich losließ, starrte ich ihn wütend an. „Hat dir schon mal jemand gesagt, dass du ein Arsch bist?“, konnte ich es nicht sein lassen. Bedrohlich kam er näher und ich wich zurück, bis ich einen Baum in meinem Rücken spürte und nicht mehr weiterkonnte. Er kam mir so nahe, dass wir fast Nase an Nase waren. „Glaubst du, das interessiert mich?“, sagte er und lächelte mich eiskalt an. Seine Augen funkelten böse. „Es interessiert mich einen feuchten Dreck, was die Leute über mich denken. Ich sage, was ich will, ich mache, was ich will und ich nehme mir, was ich will“, fuhr er fort und seine Stimme wurde immer tiefer.„Dann solltest du dir jetzt unbedingt ein Minzbonbon nehmen“, schlug ich ihm vor, was ihn tatsächlich für einen klitzekleinen Moment baff werden ließ. In diesem Augenblick stieß ich ihn von mir und rannte davon.

Zu früh hatte ich mich über meinen Triumph gefreut, denn er holte mich schneller als mir lieb war ein. Er packte mich am Arm und riss mich zu Boden. Unbeholfen, wie ich war, schlug ich mit dem Kopf auf und blieb wie gelähmt liegen. Mir wurde kurz schwarz vor Augen und als ich wieder etwas sah, tanzten Sternchen in meinem Sichtfeld. Darren drückte mich mit seinem Fuß auf meinem Hals zu Boden und sah mich von oben herab missbilligend an. „Wenn du mein Training nicht ausführen und dafür lieber sterben willst, dann geh. Ich will dich nicht mehr sehen!“ Wütend und zugleich enttäuscht spuckte er mir diesen Satz ins Gesicht und ging.