Fucking fucking schön - Eva Rottmann - E-Book

Fucking fucking schön E-Book

Eva Rottmann

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Beschreibung

Das erste Mal – In 10 kurzen Geschichten »Wörter für Sex gibt es in drei Kategorien. In der ersten Kategorie sind die Wörter, die im Biologiebuch stehen und die Erwachsene benutzen, wenn sie mit Kindern darüber reden. So Wörter wie ›Geschlechtsverkehr‹ und ›Koitus‹ zum Beispiel. Wo du denkst: Das ist definiftiv keine Sache, die Spaß macht. In der zweiten Kategorie sind Wörter wie bumsen, ficken, vögeln, poppen, schrauben, rammeln, knallen, nageln, pimpern, flachlegen und so weiter. Wörter, die nach Baumarkt klingen und nach Schweiß. Auf jeden Fall nach etwas, bei dem du die Zähne zusammenbeißen musst, um durchzuhalten. In der dritten Kategorie sind die weichen Wörter, die Kuschelwörter, die alles ganz rosa und harmlos machen. Sowas wie: Liebe machen. Die Nacht zusammen verbringen. Miteinander schlafen. Und wenn du es noch nie gemacht hast, guckst du dir das an und denkst dir: HOW THE FUCK KÖNNEN ALL DIESE WÖRTER EIN UND DIESELBE SACHE BESCHREIBEN?«

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Seitenzahl: 182

Veröffentlichungsjahr: 2025

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Fucking fucking schön

EVA ROTTMANN

FUCKING FUCKING SCHÖN

JACOBY & STUART

Eva Rottmann, geb. 1983 in Wertheim, lebt mit ihren Kindern in Zürich, schreibt Theaterstücke und Prosa, entwickelt eigene Performance- und Theaterprojekte, arbeitet als Literaturvermittlerin in Schulklassen und als Lehrbeauftragte an der Zürcher Hochschule der Künste. Für ihre Romane wurde sie mehrfach ausgezeichnet, u.a. mit dem LUCHS-Buchpreis, dem Kranichsteiner Kinder- und Jugendliteraturstipendium, dem KIMI-Siegel und den BESTEN 7. Fucking Fucking schön wurde u.a. mit dem Jahres-LUCHS 2024 ausgezeichnet. Und ihr Roman Kurz vor dem Rand wurde mit dem Deutschen Jugendliteraturpreis 2024 ausgezeichnet.

Für Sarah

Inhalt

Vorspiel: Wörter für Sex gibt es in drei Kategorien …

David

S-EX

Zwischenspiel I: Sex. Ich will Sex …

Alex

Ein Fest der Liebe

Zwischenspiel II: Meine Eltern haben nie mit mir …

Teddy

Muppetshow

Zwischenspiel III: Das erste Mal verliebt sein?

Tini

Rabbit Vibe

Zwischenspiel IV: SEX-ABC

Jenny

Casual Dating

Zwischenspiel V: Meinen ersten Orgasmus hatte ich mit 18 …

Lou

Per Anhalter durch die Galaxis

Zwischenspiel VI: Quizfrage

Yasin und Leyla

My heart will go on

Zwischenspiel VII: Ich will erst dann mit jemandem schlafen …

Milad

Boys will be boys

Zwischenspiel VIII: Player

Melek

0 von 10 Punkten

Zwischenspiel IX: Top 10 der Dinge, die beim Sex schiefgehen können

Ari und Tom

A laka mumi mumi

Nachspiel: Manchmal, wenn ich im Bus sitze …

VORSPIEL

Wörter für Sex gibt es in drei Kategorien.

In der ersten Kategorie sind die Wörter, die im Biologiebuch stehen und die Erwachsene benutzen, wenn sie mit Kindern darüber reden. So Wörter wie »Geschlechtsverkehr« und »Koitus« zum Beispiel. Wo du denkst: Das ist definitiv keine Sache, die Spaß macht.

In der zweiten Kategorie sind Wörter wie bumsen, ficken, vögeln, poppen, schrauben, rammeln, knallen, nageln, pimpern, flachlegen und so weiter. Wörter, die nach Baumarkt klingen und nach Schweiß. Auf jeden Fall nach etwas, bei dem du die Zähne zusammenbeißen musst, um durchzuhalten.

In der dritten Kategorie sind die weichen Wörter, die Kuschelwörter, die alles ganz rosa und harmlos machen. Sowas wie: Liebe machen. Die Nacht zusammen verbringen. Miteinander schlafen.

Und wenn du es noch nie gemacht hast, guckst du dir das an und denkst dir: HOW THE FUCK KÖNNEN ALL DIESE WÖRTER EIN UND DIESELBE SACHE BESCHREIBEN?

David

S-EX

Einmal, als ich acht oder neun Jahre alt war, hat bei uns in der Straße ein Auto aus Stuttgart geparkt. Es war Dorffest an diesem Tag, vielleicht gehörte das Auto jemandem, der für das Fest zu Besuch gekommen war. Die Farbe des Autos habe ich vergessen, aber an das Nummernschild kann ich mich noch sehr gut erinnern. Es lautete: S-EX (dahinter eine dreistellige Zahl, die ich allerdings auch vergessen habe). Ich lief zum Sportheim, wo das Fest bereits in vollem Gang war. Ich trommelte ein paar Kinder zusammen und sagte, ich würde ihnen was Aufregendes zeigen. Sie wollten wissen, was es war, aber ich verriet nichts. Wir liefen gemeinsam durch das Dorf und als wir bei dem Auto ankamen, präsentierte ich das Nummernschild, als hätte ich einen Schatz gefunden. Die meisten Kinder fingen an zu kichern oder wurden genauso rot wie ich, als ich das Nummernschild ein paar Minuten vorher zum ersten Mal gesehen hatte. Aber dann fing ganz hinten in der Gruppe ein Junge an zu lachen. Er war älter als wir anderen, dreizehn oder sogar vierzehn, und wurde im Dorf Zipper genannt. Wir hatten nicht bemerkt, dass er uns gefolgt war, automatisch zogen alle Kinder die Schultern ein. Um diesen Jungen machten wir normalerweise immer einen großen Bogen. Er war brutal, es gab das Gerücht, dass er schon mit elf Jahren einen Erwachsenen krankenhausreif geprügelt hatte. Wenn wir morgens auf den Schulbus warteten, lehnte er manchmal an der Wand des Wartehäuschens und spielte lässig mit seinem Butterflymesser. Er ging auf die Hauptschule und meine Eltern sagten, es sei absehbar, dass aus ihm nichts werden würde. Sie sagten das in einem herablassenden, abschätzigen Tonfall und ich konnte nicht nachvollziehen, wieso sie so wenig Respekt vor ihm hatten. Ich hatte so viel Respekt vor diesem Zipper, dass ich mich wahrscheinlich eingepisst hätte, wenn ich ihm nachts allein auf der Straße begegnet wäre.

»Ihr Babys«, sagte er. »Ein Nummernschild, auf dem SEX steht? Euer Ernst?«

Er lief durch die Gruppe Kinder, die mir gefolgt war, bis er direkt vor dem Auto stand. Dann bückte er sich, fasste das Nummernschild mit beiden Händen und zog daran. Es knirschte und knackte, irgendein Plastikteil brach. Der Junge rüttelte und zog mit ganzer Kraft und schließlich hielt er das Nummernschild in der Hand. Niemand von uns hatte ein Wort gesagt, schweigend hatten wir Zipper dabei zugesehen, wie er das Nummernschild abgebrochen hatte und schweigend beobachteten wir nun, wie er seinen Pullover auszog und das Schild darin einwickelte.

»Wenn ihr’s jemandem sagt, schlag ich euch die Fresse ein«, sagte er.

Es war unnötig, dass er das erwähnte. Ich konnte mir nicht vorstellen, dass irgendjemand von uns so dumm sein würde, Zipper zu verpetzen.

»Und zu eurer Information«, sagte Zipper, als er sich wieder aufrichtete. »Es gibt Leute, die sich das nicht nur auf ihr Nummernschild schreiben, sondern es tatsächlich tun.«

Er klemmte sich das in den Pullover verpackte Nummernschild unter den Arm und sah uns an. Wir waren zehn oder fünfzehn Kinder, die meisten waren etwa in meinem Alter, aber es waren auch jüngere dabei, kleinere Geschwister und Kindergartenkinder, die uns einfach aus Neugier hinterhergelaufen waren.

»Ich könnte euch was zeigen«, sagte Zipper. »Aber ist nicht ganz jugendfrei.«

Niemand von uns antwortete. Was sollten wir auch darauf antworten, er hatte uns ja keine Frage gestellt. Zipper lachte und klappte einem kleinen blonden Jungen vorne die Schirmmütze runter.

»Wer keine Pussy ist, kommt mit mir«, sagte er und lief die Straße weiter Richtung Wald. Ein Mädchen nahm den kleinen, blonden Jungen, dem Zipper auf die Mütze geschlagen hatte, an der Hand und verschwand mit ihm Richtung Sportheim. Die meisten der anderen Kinder folgten ihnen. Außer mir blieben nur vier andere Kinder stehen: Mirko, ein großer, schlaksiger Junge, der meistens im Tor stand, wenn wir Fußball spielten. Sven Hofer, der mit mir in die Klasse ging. Und ein Junge und ein Mädchen, die bei mir in der Straße wohnten und die im Dorf nie anders genannt wurden als die Zwillinge. Wir sahen Zipper nach, der mittlerweile den Wendeplatz unserer Straße erreicht hatte und sich zu uns umdrehte.

»Was ist?«, rief er. »Traut ihr euch nicht?«

Ohne miteinander zu sprechen, setzen wir uns in Bewegung und liefen ihm nach. Hinter dem Wendeplatz fing der Wald an. Es gab einen ausgetretenen Trampelpfad, auf dem die Leute aus unserer Straße ihre Joggingrouten begannen, bevor sie ein bisschen weiter oben auf den offiziellen Waldweg wechseln konnten. Wenn man diesem Trampelpfad weiter folgte, anstatt auf den Waldweg abzubiegen, kam man schon bald zu einem Jägerhochsitz. Zipper steuerte darauf zu und kletterte die hölzerne Leiter nach oben. Wir anderen blieben stehen und sahen zu, wie er oben in der kleinen Holzkabine verschwand. Bis zu diesem Zeitpunkt hatten wir kein Wort miteinander gewechselt, wie eine Herde Lämmer waren wir Zipper in den Wald gefolgt. Nun standen wir verwirrt unter dem Jägerhochsitz und guckten uns an. Wir konnten uns beim besten Willen nicht vorstellen, was es dort oben zu sehen gab. Zipper streckte seinen Kopf aus dem Sichtfenster und grinste.

»Ihr müsst euch aufteilen«, rief er. »Ist bisschen eng hier oben. Ihr zwei zuerst.«

Er zeigte auf die Zwillinge, sie kletterten die Leiter nach oben und verschwanden in der Kabine. Wir drei anderen blieben unten stehen und lauschten. Zipper sagte irgendwas, aber wir konnten es nicht verstehen. Dann wurde es still.

»Was machen die da oben?«, fragte Mirko und zog die Augenbrauen zusammen. Er war ein kleines bisschen älter als Sven Hofer und ich, damals vielleicht schon 10 oder 11 Jahre alt. Später würde er einer von Zippers besten Freunden werden. Auch Sven Hofer und ich würden ein paar Jahre später unseren ersten Joint mit Zipper rauchen. Das Dorf war klein, viele Auswahlmöglichkeiten hatten wir nicht. Und ich glaube, Zipper gefiel es, sich mit Jüngeren zu umgeben. Vielleicht war das für ihn die einzige Möglichkeit, an ein bisschen Respekt zu kommen. Aber wenn uns damals jemand gesagt hätte, dass es eine Zeit geben würde, in der wir fast jeden Tag mit Zipper auf dem Sportplatz chillen würden, hätten wir dieser Person einen Vogel gezeigt.

Die Zwillinge kletterten die Leiter wieder herunter. Sie waren bei uns Dorfkindern eher Außenseiter, vielleicht weil sie bei den Zeugen Jehovas waren und niemand so richtig wusste, was das bedeutete. Zwar spielten sie jeden Abend Fußball mit uns, und sie waren auch meistens dabei, wenn wir andere Sachen machten, Hütten bauten oder im Fluss badeten. Aber so wirklich befreundet waren wir trotzdem nicht mit ihnen. Womöglich nahmen wir es deshalb nicht besonders ernst, als sie kreidebleich und verstört vor uns auf dem Waldboden standen und flüsterten: »Geht da nicht hoch.«

»Warum?«, sagte Sven Hofer. »Was ist denn da oben?«

»Ja«, sagte Mirko. »Hat euch Zipper seinen Pimmel gezeigt, oder was?«

»Nee«, hörten wir Zipper von oben rufen. »Noch viel besser. Lasst euch überraschen.«

Er winkte uns zu, und Mirko begann, die Leiter hinaufzuklettern, ich folgte ihm und zuletzt kam Sven Hofer. Der Hochsitz war so eng, dass wir nicht alle darin Platz hatten. Sven Hofer blieb auf der obersten Leitersprosse stehen, Mirko und ich quetschten uns neben Zipper auf die hölzerne Sitzbank.

»Bereit?«, fragte Zipper und wir nickten, obwohl wir nicht wussten, für was.

Zipper grinste und entsperrte sein Handy, das er in der Hand hielt.

Zuerst verstand ich überhaupt nicht, was es war. Es war viel Haut und etwas, das sich schnell vor und zurück bewegte. Ich dachte an Tiere, die etwas verbuddelten. Aber dann zoomte die Kamera raus, und ich sah, dass es kein Tierfilm war, den Zipper uns zeigte. Zumindest nicht so einer, den meine Oma sich im Fernsehen angeschaut hätte.

Es waren ein Mann und eine Frau, sie standen in einer Küche, die so sauber und leer aussah wie eine Küche in einem Möbelhaus. Die Frau hatte sich nach vorne gebeugt und stützte sich mit den Ellenbogen auf die Arbeitsfläche. Sie war nackt. Der Mann stand hinter ihr. Er hatte noch sein T-Shirt und seine Schuhe an, das sah seltsam aus. Mit seinen Händen umfasste er die Hüfte der Frau und hielt sie fest, während er sein Ding in regelmäßigen Bewegungen in die Frau hineinrammte. Man konnte das wirklich nicht anders nennen. Es sah brutal aus und wie etwas, das sowohl ihm als auch ihr wehtun musste. Sein Ding war riesig, ich hatte noch nie so ein riesiges Ding gesehen. Mein Puller stellte sich auch manchmal auf und wurde ein bisschen größer, wenn ich ihn anfasste. Ich wusste, dass er irgendwann noch größer werden und seine Farbe sich verändern würde, das war normal, ich hatte meinen Vater oder im Schwimmbad auch andere Männer schon nackt gesehen. Ich wusste auch, dass ich ihn dann nicht mehr Puller nennen würde. Ich würde Penis sagen. Oder Pimmel. Schwanz. Aber selbst diese Wörter kamen mir viel zu harmlos vor für das Ding, das dieser Mann zwischen den Beinen hatte. Wahrscheinlich ist er in meiner Erinnerung viel, viel größer geworden als er eigentlich war. Aber ich habe seitdem nie wieder einen Porno mit einem derartig großen Schwanz gesehen.

»Das, liebe Leute«, sagte Zipper. »Das ist Sex.«

Meine Eltern hatten mir erklärt, wie Babys gemacht werden. Sie hatten das gesagt, was Eltern so oder so ähnlich wahrscheinlich immer zu ihren Kindern sagen. Der Mann steckt seinen Penis in die Vagina und dann kommt der Samen heraus. Ich hatte eine sehr kindliche Idee von diesem Vorgang. Ich stellte mir vor, dass er in etwa vergleichbar war mit der Bewegung, mit der ein Stecker in eine Steckdose gesteckt wird. Einmal reinstecken, fertig. Das Sperma, das bei diesem Vorgang aus dem Penis herauskommen sollte, war in meiner Vorstellung eine Art Fontäne, wie Wasser aus einem Gartenschlauch, den man aufdreht.

Nichts davon deckte sich mit dem, was ich auf Zippers Handy sah. Weder die Heftigkeit, mit der der Mann die Frau bearbeitete (erst von hinten, dann, sie sitzend auf der Küchenablage, von vorne, dann, sie ein Bein sehr unbequem auf der Spüle platzierend, stehend von der Seite), noch der schmierige, weiße Spermaschleim, den er ihr am Ende auf das Gesicht spritzte. Ich erinnere mich an das Gefühl, mit dem ich auf das Display starrte. Es war eine Mischung aus Unglauben, Neugierde und Ekel. Vor allem Ekel. Mein Herz klopfte wie wild und mein Magen zog sich zusammen. Trotzdem konnte ich meinen Blick nicht abwenden, bis es fertig war und Zipper das Display ausschaltete.

»So, ihr Babys«, sagte er. »Jetzt wisst ihr Bescheid. Und jetzt verpisst euch, ich will mir in Ruhe einen runterholen.«

Sven Hofer, Mirko und ich kletterten von dem Hochsitz hinunter und rannten so schnell wir konnten den Trampelpfad zurück ins Dorf. Wir machten erst Halt, als wir wieder am Sportheim ankamen. Das Fest lief immer noch auf Hochtouren. Die Leute saßen auf den Festbänken und redeten. Kleine Kinder liefen zwischen den Tischen herum, auf der Bühne spielte eine Blaskapelle. Meine Mutter stand am Bratwurststand und winkte uns zu. Wie ferngesteuert liefen wir zu ihr und nahmen die Bratwürste entgegen, die sie vom Grill nahm und in drei aufgeklappte Brötchen legte. Wir drückten Ketchup und Senf in die Brötchen, einfach, weil das zu einer Bratwurst dazugehört. Dann bedankten wir uns bei meiner Mutter und setzten uns ein bisschen abseits neben der Bühne ins Gras. Wir beobachteten die Leute, die Bratwürste wurden kalt, keiner von uns hatte Lust zu essen.

»Also ich glaub nicht, dass ich das jemals machen werde«, sagte Sven Hofer und obwohl er dabei auf das Brötchen in seiner Hand guckte, wussten wir ganz genau, was er meinte.

»Ich glaub auch nicht«, sagte Mirko.

»Ich auf jeden Fall ganz sicher nicht«, sagte ich. »Das schwör ich euch.«

Ich hob sogar meine rechte Hand, daran erinnere ich mich. Sven Hofer und Mirko nickten. Sie sahen genauso erleichtert aus, wie ich mich fühlte. Wir bissen in unsere Bratwürste und fingen an zu kauen. Auf der Tanzfläche vor der Bühne tanzten ein paar Leute Walzer. Als das Lied zu Ende war, drückte ein älterer Mann seine Frau an sich und gab ihr einen langen Kuss. Ich guckte schnell weg und stopfte mir den Rest meines Brötchens in den Mund.

»Gehen wir Fußball spielen?«, fragte ich.

»Logisch«, sagte Mirko und wischte sich mit seiner Serviette den Ketchup vom Mund. »Was denn sonst?«

ZWISCHENSPIEL I

Sex.

Ich will Sex.

Ich denke die ganze Zeit daran.

Das ist nicht normal.

Ich bin nicht normal.

Alex

Ein Fest der Liebe

Okay, denke ich. Jetzt ist es so weit.

Ich stehe in Unterwäsche vor dem Spiegel und gucke mich an. Es ist schon fast sechs Uhr, und ich sollte eigentlich todmüde sein. Aber ich bin hellwach. Fabian ist im Schlafzimmer seiner Eltern verschwunden, um ein Kondom zu suchen. Seine Eltern sind über Weihnachten nach Thailand geflogen. Meine Eltern würden mich niemals über die Feiertage alleine lassen. Nicht unbedingt, weil sie so gerne Zeit mit mir verbringen, sondern weil sie viel zu viel Angst davor hätten, dass die Leute über sie reden würden. Weihnachten ist das Fest der Liebe. An Weihnachten wollen meine Eltern mit mir in die Kirche gehen und sich von allen angucken lassen. Meine Mutter wird mir morgen (oder genauer gesagt: in ein paar Stunden) schöne Kleider herauslegen, wir werden ins Auto steigen und zur Kirche fahren. Und okay, ich werde tun, was von mir erwartet wird. Ich werde aufstehen, hinknien, Hostie essen, mitsingen und so weiter. Aber ich weiß schon jetzt, dass ich den ganzen Gottesdienst lang nur an das denken werde, was hier gleich passieren wird. Wenn meine Eltern wüssten, dass ihre Vorzeigetochter jetzt gerade (am Morgen des 24. Dezembers! an Heiligabend!) in Unterwäsche vor einem Spiegel steht und kurz davor ist, sich entjungfern zu lassen, würden sie durchdrehen. Allein das ist eigentlich Grund genug, es tatsächlich zu machen. Und es wird ja sowieso mal Zeit bei mir. Alle meine Freundinnen haben es schon gemacht. Okay, alle außer Tini. Aber Tini hat auch erst vor ein paar Monaten zum ersten Mal ihre Tage gekriegt. Angeblich hat sogar Melek Yilmazer aus unserer Klasse es schon gemacht. Ich weiß nicht, ob das stimmt, ich rede nicht mit Melek Yilmazer über solche Sachen. Aber wenn sogar sie das hinkriegt, sollte ich das im Halbschlaf hinkriegen. Okay, im Halbschlaf wäre weird. Tiefenentspannt meine ich. Locker. Aber ich bin weit entfernt von tiefenentspannt und locker.

Stell dich nicht so an, denke ich. Du hast doch gewusst, dass es passieren wird.

Zumindest geahnt habe ich es. Oder warum sonst habe ich heute die Unterwäsche angezogen, die ich mir vor ein paar Wochen von meinem Taschengeld gekauft und seitdem in einer Kiste unter meinem Bett versteckt habe, damit meine Mutter sie nicht findet? Okay, Unterwäsche ist eigentlich das falsche Wort für das, was ich gerade anhabe. Es sind ein paar Fetzen schwarzer Spitze, der Stoff ist so dünn, dass man quasi alles durchsieht. Fabian hat es gefallen, glaube ich. Jedenfalls hat er ziemlich scharf eingeatmet, als er mir das Kleid über den Kopf gezogen hat. Es ist ganz bestimmt nicht das erste Mal, dass sich ein Mädchen in diesem Zimmer von Fabian ausziehen lässt. Das Blechkästchen auf dem Regal neben dem Bett, in dem Fabian seine Kondome üblicherweise aufbewahrt, war jedenfalls leer. Was bedeutet, dass er schon mindestens zehn Mal Sex gehabt hat (oder wie viele Kondome sind in einer Packung?). Was ebenfalls für eine gewisse Routine spricht, ist die Tatsache, dass er die Kondome nicht irgendwo versteckt, wie ich das machen würde, sondern sie griffbereit direkt neben seinem Bett aufbewahrt. Wie so ein richtiger Player.

Immerhin hat er Erfahrung, denke ich. Das ist doch gut, entspann dich.

Aber mein Herz schlägt viel zu schnell, und ein Teil von mir würde am liebsten aus dem Zimmer laufen und dieses Haus verlassen, bevor Fabian zurückkommt. Ich komme mir verkleidet vor in meiner neuen Unterwäsche, gar nicht wie ich selbst. Gibt es eigentlich auch Dessous für Jungs? Darüber habe ich noch nie nachgedacht.

Ich wende mich vom Spiegel ab und setze mich auf das Bett. Ich versuche, ruhig zu atmen. Okay, vielleicht findet Fabian ja gar kein Kondom bei seinen Eltern. Alte Leute verhüten normalerweise nicht mehr mit Kondom. Meine Eltern haben jedenfalls keine Kondome im Schlafzimmer. In der Nachttischschublade meiner Mutter habe ich mal ein Diaphragma gefunden. Es war ziemlich verstaubt und sah so aus, als wäre es schon jahrelang nicht mehr benutzt worden. Die Vorstellung, dass meine Eltern immer noch miteinander Sex haben, ist widerlich. Ich denke lieber nicht genauer darüber nach.

Wenn Fabian kein Kondom findet, dann legen wir uns vielleicht einfach ins Bett und kuscheln. Ich fände es schön, mit ihm im Bett zu liegen und zu kuscheln. Okay, ehrlich gesagt, fände ich das sogar viel schöner als irgendwas anderes. Für heute zumindest. Ich kenne Fabian ja eigentlich gar nicht. Okay, ich kenne ihn schon, er geht auf meine Schule, und ich bin seit mehr als einem halben Jahr in ihn verknallt. Aber so richtig geredet haben wir noch nie miteinander. Okay, wenn man es genau nimmt, haben wir auch heute Abend nicht wirklich miteinander geredet. Vor ein paar Stunden, bei der Weihnachtsgala in der Aula unserer Schule, haben wir uns zum ersten Mal offiziell kennengelernt. Ich glaube, bis zu diesem Zeitpunkt hat Fabian nicht mal gewusst, dass ich existiere. Ich habe ihm die Hand gegeben, meinen Namen gesagt und gefragt: Wie heißt du nochmal? Fabian hat gegrinst. Ihm war völlig klar, dass ich ganz genau wusste, wie er heißt. Alle an der Schule kennen Fabian, er ist der Schulsprecher. Aber auch wenn er nicht Schulsprecher wäre, würden ihn alle kennen. Er ist einfach der Typ, den alle kennen.

Fabian, hat er gesagt. Ich heiße Fabian.

Um uns standen viele Leute, wo Fabian ist, sind immer viele Leute. Alle redeten durcheinander, es interessierte mich nicht wirklich, aber ich redete mit, so gut ich konnte, ich wollte nicht, dass Fabian mich für eine Langweilerin hielt. Meine Freundinnen guckten vom anderen Ende des Raums zu uns herüber und grinsten, Jenny formte mit Zeigefingern und Daumen ein Herz. Ich habe mich oft genug bei ihnen ausgeheult, sie freuten sich darüber, dass Fabian mich endlich wahrnahm. Okay, es ist eigentlich absurd, über ein halbes Jahr lang in jemanden verknallt zu sein, mit dem man noch nie ein Wort gewechselt hatte. Aber ich weiß, dass Fabian und ich zusammengehören. Ich weiß es schon sehr lange. Es hat einfach gedauert, bis er es auch kapiert hat.

Nach der Weihnachtsgala sind wir alle zusammen ins Galaxy. Ich war noch nie im Galaxy, ich glaube, ohne Fabian und die anderen hätte ich mich nicht getraut, dorthin zu gehen. Das Galaxy ist eine Disko am Stadtrand, vor der Tür parken tiefergelegte BMWs, daneben stehen Jungs im Muskelshirt und rauchen. Immer wieder gibt es Schlägereien, Drogen bestimmt auch, meine Eltern haben mir jedenfalls strikt verboten, ins Galaxy zu gehen. Okay, aber das war mir heute Abend vollkommen egal. Mit Fabian wäre ich überall hingegangen.

Wir küssten uns schon nach dem ersten Bier. Die anderen standen vor einem Spielautomaten und schlugen abwechselnd auf einen großen roten Boxhandschuh, woraufhin der Automat die Schlagkraft in Punkten von 1 bis 999 maß. Tini kicherte albern, wenn sie auf den Handschuh schlagen sollte, sie kam nie über zweihundert Punkte. Ich sah, dass David aus unserer Klasse versuchte, ihr eine bessere Schlagtechnik zu erklären. Es war unklar, ob er ihr wirklich helfen wollte oder ob er sie anbaggerte. Im nächsten Moment spürte ich Fabians Hand in meiner. Er zog mich in eine Ecke neben dem DJ-Pult und flüsterte