Für dich tun wir alles - Patricia Vandenberg - E-Book

Für dich tun wir alles E-Book

Patricia Vandenberg

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Beschreibung

Der Sophienlust Bestseller darf als ein Höhepunkt dieser Erfolgsserie angesehen werden. Denise von Schoenecker ist eine Heldinnenfigur, die in diesen schönen Romanen so richtig zum Leben erwacht. Das Kinderheim Sophienlust erfreut sich einer großen Beliebtheit und weist in den verschiedenen Ausgaben der Serie auf einen langen Erfolgsweg zurück. Denise von Schoenecker verwaltet das Erbe ihres Sohnes Nick, dem später einmal, mit Erreichen seiner Volljährigkeit, das Kinderheim Sophienlust gehören wird. Es war zwölf Uhr mittags. Dorthe Holthaus stand in ihrer Küche, um das Mittagessen für sich und die Kinder zuzubereiten, als sie das Klappen der Haustür hörte. Sie lief in die Diele und blieb wie erstarrt stehen, als sie in das totenblasse Gesicht ihres Mannes blickte. »Dieter …, du?«, flüsterte sie erschrocken. »Bist du krank?« Sie war nicht daran gewöhnt, dass er zu so früher Stunde heimkam. Er, der Neffe des alten Holthaus, musste genauso gewisssenhaft wie jeder Angestellte der großen Möbelfabrik seine Arbeitszeit einhalten. Dorthe Holthaus liebte ihren Mann über alles. Sie wusste, dass nur ganz triftige Gründe ihn veranlassen konnten, die Fabrik vormittags zu verlassen. »Ich bin nicht krank«, antwortete er auf ihre Frage. »Es ist etwas viel Schlimmeres.« Seine Wangenmuskeln zuckten und seine Stimme klang unsicher. »Hat Hartmut endlich erreicht, was er wollte?« Eine andere Erklärung fand sie nicht, denn Hartmut Freiberg, dem Schwiegersohn von Maximilian Holthaus, war Dieter ein Dorn im Auge. Dorthe hatte seit dem Tag, an dem Dieter sie der Familie als seine Frau vorgestellt hatte, viel Kummer gehabt, und nur die Liebe ihres Mannes und ihrer beiden reizenden Kinder Jan und Bibi hatten ihr darüber hinweggeholfen. Sie sollte an diesem Tag noch viel darüber nachdenken. Jetzt war es ihr erst einmal wichtig zu erfahren, was ihren Mann so elend machte. Ihre Augen weiteten sich erschreckt, als er hervorstieß: »Es fehlen vierzigtausend Euro, und sie wollen es mir anhängen.

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Sophienlust Bestseller – 69 –

Für dich tun wir alles

Patricia Vandenberg

Es war zwölf Uhr mittags. Dorthe Holthaus stand in ihrer Küche, um das Mittagessen für sich und die Kinder zuzubereiten, als sie das Klappen der Haustür hörte. Sie lief in die Diele und blieb wie erstarrt stehen, als sie in das totenblasse Gesicht ihres Mannes blickte.

»Dieter …, du?«, flüsterte sie erschrocken. »Bist du krank?« Sie war nicht daran gewöhnt, dass er zu so früher Stunde heimkam. Er, der Neffe des alten Holthaus, musste genauso gewisssenhaft wie jeder Angestellte der großen Möbelfabrik seine Arbeitszeit einhalten.

Dorthe Holthaus liebte ihren Mann über alles. Sie wusste, dass nur ganz triftige Gründe ihn veranlassen konnten, die Fabrik vormittags zu verlassen.

»Ich bin nicht krank«, antwortete er auf ihre Frage. »Es ist etwas viel Schlimmeres.« Seine Wangenmuskeln zuckten und seine Stimme klang unsicher.

»Hat Hartmut endlich erreicht, was er wollte?« Eine andere Erklärung fand sie nicht, denn Hartmut Freiberg, dem Schwiegersohn von Maximilian Holthaus, war Dieter ein Dorn im Auge. Dorthe hatte seit dem Tag, an dem Dieter sie der Familie als seine Frau vorgestellt hatte, viel Kummer gehabt, und nur die Liebe ihres Mannes und ihrer beiden reizenden Kinder Jan und Bibi hatten ihr darüber hinweggeholfen.

Sie sollte an diesem Tag noch viel darüber nachdenken. Jetzt war es ihr erst einmal wichtig zu erfahren, was ihren Mann so elend machte.

Ihre Augen weiteten sich erschreckt, als er hervorstieß: »Es fehlen vierzigtausend Euro, und sie wollen es mir anhängen. Den letzten beißen die Hunde.« Unendlich bitter klang seine Stimme.

»Aber das ist doch unmöglich!«, flüsterte Dorthe. »Onkel Maximilian mag sein, wie er will, aber er ist gerecht.«

»Mein liebes Dorthekind«, meinte Dieter Holthaus, »es gibt nur drei, die dafür in Frage kommen: Werner, Hartmut und ich. Du wirst doch wohl nicht glauben, dass Onkel Maximilian seinen Sohn und seinen Schwiegersohn verdächtigen würde? Ich würde das auch weit von mir weisen.«

»Aber kann es denn nicht jemand anders gewesen sein?«, fragte sie niedergeschlagen. »Vielleicht ist das Geld falsch verbucht.«

»Es kann nicht falsch verbucht sein. Es ist aus dem Safe verschwunden. Na, wenigstens du wirst mir wohl glauben, dass ich es nicht genommen habe. Vielleicht ist es weggezaubert worden«, fügte er sarkastisch hinzu. »Jedenfalls hat man mir nahegelegt, mich nach Hause zu begeben und weitere Entscheidungen abzuwarten. Einen Skandal will man natürlich nicht. Guter Gott! Der Name Holthaus in den Schmutz gezogen – das würde Onkel Maximilian nicht überleben.«

Dieter Holthaus fühlte sich jetzt, nachdem er es Dorthe gesagt hatte, etwas erleichtert. Sie teilten alles miteinander, Freude und Leid, sie ahnten in diesem Augenblick, dass ihnen eine schwere Zeit bevorstand.

Dorthe zwang sich zu einer zuversichtlichen Miene. »Es wird sich aufklären, Dieter«, versicherte sie eindringlich. »Es muss sich ja aufklären. Vierzigtausend Euro können doch nicht einfach verschwinden!«

*

Jan und Bibi Holthaus waren auf dem Heimweg von der Schule. Friedlich vereint gingen sie, wie an jedem Tag, den gleichen Weg, der sie auch am Haus Hartmut Freibergs vorüberführte. Die herrliche Villa hatte Irene Freiberg, Tochter von Maximilian Holthaus, als Mitgift in die Ehe gebracht. Mit dem Bargeld war der Senior nicht so großzügig. Er, der sich aus kleinsten Anfängen emporgearbeitet und aus einem Handwerksbetrieb die riesige Möbelfabrik geschaffen hatte, vertrat den Standpunkt, dass sich Sohn und Schwiegersohn ebenso wie der Neffe ihr Geld erst mal verdienen müssten.

Bibi hatte Hannes, Hartmut Freibergs Sohn, schon bemerkt. Sie raunte ihrem Bruder Jan rasch noch eine Warnung zu, als Hannes auch schon auf sie zugestürzt kam.

Hannes fand immer etwas, womit er die beiden Kleineren ärgern konnte. Jan und Bibi hatten sich daran gewöhnt und nahmen es auch gelassen hin, weil ihre Mutti ihnen eindringlich eingeschärft hatte, dass sie keinen Streit mit Hannes beginnen sollten. Aber heute hatte sich Hannes etwas ganz Besonderes ausgedacht.

»Euer Vater ist ein Dieb, euer Vater ist ein Dieb, ein Mi-ma-mausedieb«, sang er und tanzte dabei um sie herum.

Das war Jan doch zu viel. »Du bist gemein«, stieß er hervor. »So ein gemeiner Lügner!«

»Ihr werdet es schon sehen«, höhnte Hannes. »Wenn Großpapa will, kommt er auch noch ins Kittchen.«

»Hannes«, rief eine schrille Stimme, dann erschien Irene Freiberg. Sie warf Jan und Bibi einen eisigen Blick zu, nahm ihren Sohn bei der Hand und zog ihn in den Garten.

»Ich habe dir gesagt, dass du nicht mit ihnen reden sollst«, hörten die beiden verstörten Kinder sie sagen.

»Ihr Vater ist doch ein Dieb«, erklang Hannes Stimme. »Ich habe gehört, wie ihr darüber gesprochen habt.«

Danach wurde eine Tür mit einem lauten Krach geschlossen. Bibi und Jan hörten nun nichts mehr.

»Oh, sie sind ja so gemein«, flüsterte Bibi. Große Tränen rannen über ihre Wangen. »Warum können wir nicht woanders wohnen?«

»Weil wir jetzt das schöne Haus haben«, erklärte Jan nachdenklich. »Und weil wir Holthaus heißen. Großonkel Maximilian hat Vatis Studium bezahlt, deswegen muss er ihm dankbar sein.«

»Aber sie dürfen Vati doch nicht einen Dieb nennen«, meinte Bibi ängstlich.

»Du weißt ja, wie gräßlich er immer redet. Das kommt davon, weil er alles darf. Diesmal werde ich es Vati aber sagen. Das dürfen wir uns nicht gefallen lassen.«

Dieser Meinung war Bibi auch, aber ihr Gesicht wurde noch ängstlicher, als sie den Wagen ihres Vaters in der Garage gewahrte.

»Vati ist schon zu Hause«, flüsterte sie. »Das haben wir noch nie erlebt. Nur im Urlaub.«

»Vielleicht hat er Urlaub«, versuchte Jan sie zu beruhigen.

»Nein, bestimmt nicht!«, erwiderte sie beklommen. »Den hatte er im Sommer in den Schulferien. Weißt du, Jan, wir sagen besser noch gar nichts. Wir warten erst mal ab.«

Nun, es herrschte heute eine ganz komische Stimmung in dem schönen neuen Haus, das sie erst im Sommer bezogen hatten. Vati sei krank, sagte die Mutter, aber sie selbst sah auch ganz elend aus. Sie aß auch gar nichts, und den Kindern wollte es auch nicht schmecken.

»Ist Vati wirklich krank?«, fragte Bibi kleinlaut.

»Er fühlt sich nicht wohl, deswegen hat er sich hingelegt«, wich Dorthe aus.

Jan kniff die Augen zusammen und blickte vor sich hin. »Der Hannes war heute ganz gemein«, rutschte es ihm nun doch heraus.

»Euer Vater ist ein Dieb, hat er gesagt. Das können wir uns doch nicht gefallen lassen, Mutti.«

Dorthe Holthaus verschlang die Hände ineinander und rang nach Fassung.

»Nein, das werden wir uns nicht gefallen lassen«, erklärte sie mit seltsam klangloser Stimme. »Geht jetzt auf euer Zimmer und macht Hausaufgaben! Ich muss noch etwas Wichtiges erledigen.«

Jan und Bibi schlichen bedrückt davon. Ja, heute war alles ganz anders. Es machte ihnen plötzlich sehr viel aus, von Hannes gehänselt zu werden.

»Vati ist kein Dieb«, behauptete Jan. »Ich weiß es ganz gewiss.«

»Aber etwas muss passiert sein«, meinte Bibi. »Sonst wäre Vati nicht zu Hause.«

*

»Ich muss etwas tun«, dachte Dor­the. Die Kinder müssen von diesem Ränkespiel möglichst verschont bleiben. Hannes wird schon dafür sorgen, dass geklatscht wird. Sie kannte die Boshaftigkeiten dieses verwöhnten Jungen zur Genüge und hatte selbst schon manches einstecken müssen, wobei ›Landei‹ und ›Gänseliesel‹ noch die sanftesten Ausdrücke gewesen waren. Sie wusste auch, dass Hannes es nicht anders aus dem Munde seiner Eltern hörte.

Gewiss, sie stammte aus bescheidenen Verhältnissen. Ihre Eltern hatten einen kleinen Bauernhof in Friesland, und dort war die hübsche blonde Dorthe aufgewachsen. Zwar hatte sie eine gute Schule besucht, aber was galt das schon in dieser Familie? Zumindest Irene hatte vergessen, dass ihr Vater auch einmal als Handwerker angefangen hatte.

Für Dieter und Dorthe war es Liebe auf den ersten Blick gewesen, als sie sich an einem Sonntagnachmittag an der See kennengelernt hatten. Der alte Maximilian Holthaus hatte Dorthe gerade nur soweit akzeptiert, wie er überhaupt einen Menschen akzeptierte, der nicht zu seiner Familie gehörte, und den er nicht selbst als Ehepartner ausgewählt hatte. Doch er war ein Mann, der seine Gefühle niemals zeigte. Niemandem, auch seinem Sohn Werner nicht.

Dorthe überlegte, ob sie mit Werner sprechen sollte. Aber was würde das schon nützen? Er war ja viel zu nachgiebig, um sich gegen seinen Vater aufzulehnen.

Aber sie musste etwas tun, um ihrem Mann zu helfen. Sie konnte nicht tatenlos zusehen, wie man ihn und ihr Leben zerstörte.

Einen Freund hatte Dieter: Dr. Robert Quirin, den Rechtsanwalt, der Dieter schon verschiedentlich angeboten hatte, doch eine Stellung bei seinem Schwager Henning van Droehmen anzunehmen. Aber das hatte der anständige Dieter nicht fertiggebracht. Ja, es war so, wie Jan vorhin zu seiner Schwester Bibi gesagt hatte: Weil Maximilian Holthaus ihm das Studium ermöglicht hatte, fühlte Dieter sich verpflichtet, in dieser feindseligen Atmo­sphäre, die dem Senior wahrscheinlich gar nicht bewusst war, auszuharren.

»Wenn wir uns nur lieben!« Wie oft hatte Dieter das gesagt. Dorthe hatte sich daran geklammert. Weil sie ihn liebte, wollte sie jetzt auch etwas für ihn tun.

Leise verließ sie das Haus, damit Dieter sie nicht hörte. Denn er würde sie bestimmt zurückhalten. Sie mied den Weg, der an Hartmut Freibergs Haus vorbeiführte, eilte auf Umwegen zu einem Taxistand und ließ sich zu Robert Quirins Haus bringen. Sie hatte Glück. Er und auch seine junge Frau Katrin waren daheim.

Katrin war Dorthes Freundin geworden. Die warmherzige junge Frau war ihr von Anfang an herzlich entgegengekommen.

»Das ist aber eine Überraschung, Dorthe«, sagte sie lächelnd. »Das ist man von dir nicht gewohnt, du könntest ruhig öfter kommen.«

»Ja, wir sehen uns viel zu selten«, mischte sich auch Robert Quirin ein. »Wie geht es denn Dieter? Lässt er sich noch immer von dem Holthaus-Clan tyrannisieren?«

»Jetzt will man ihm sogar eine ganz üble Geschichte anhängen«, erzählte Dorthe erregt. »Deswegen bin ich hier. Seid mir bitte nicht böse!«

»Liebe Güte, böse sollen wir dir sein? Das wäre eine schöne Freundschaft. Aber nun erleichtere dein Herz, Dorthe! So schlimm kann es doch gar nicht sein.«

Aber dann, als sie erzählte, verdüsterte sich die Miene des Rechtsanwaltes doch. »Das ist allerdings ein dicker Hund«, entfuhr es ihm.

»Das ist ungeheuerlich!«, sagte Katrin empört. »Aber die Wahrheit wird sich schnell herausstellen.«

»Ob schnell oder nicht schnell, nicht nur Dieter muss darunter leiden, sondern auch die Kinder.«

»Und von dir sprichst du nicht«, bemerkte Katrin mitfühlend.

»Ich werde es an Dieters Seite durchstehen. Ich glaube an ihn, das ist durch nichts zu erschüttern. Aber Jan und Bibi sind noch so klein. Sie werden den Angriffen von Hannes ausgesetzt sein.« Sie erzählte, was ihren Kindern heute schon widerfahren war.

Robert und Katrin Quirin waren empört. Aber sie wussten auch sofort einen Rat.

»Wir bringen die beiden nach Sophienlust«, erklärten sie wie aus einem Munde. »Dort können sie bleiben, bis sich alles aufgeklärt hat. Und ich werde die Sache für Dieter in die Hand nehmen. Er ist ja voller Komplexe, was den Namen Holthaus betrifft. So kann es ohnehin nicht weitergehen.«

»Er fühlt sich Onkel Maximilian verpflichtet«, nahm Dorthe ihren Mann in Schutz.

»Und lässt sich wie ein Sklave behandeln. Herrschaft noch mal, er könnte das Doppelte anderswo verdienen. Das werde ich dem Alten einmal klarmachen und auch, was Dieters bedingungslose Zuverlässigkeit betrifft. Werner ist ein Waschlappen, Hartmut Freiberg ein Intrigant. Dieter wird schamlos ausgenützt und dazu auch noch für alles zum Sündenbock gemacht. «

»Ganz so ist es auch nicht«, meinte Dorthe entschuldigend. »Wir haben unser gutes Auskommen, und Onkel Maximilian ist nicht ungerecht. Er behandelt Sohn und Schwiegersohn auch nicht anders.«

»Ja, ich weiß, ihr seid die Toleranz persönlich«, meinte Robert Quirin, »aber damit ist euch augenblicklich nicht gedient. Katrin ruft jetzt gleich Frau von Schoenecker an, dann bringen wir die Kinder noch heute nach Sophienlust. Erst dann können wir in Ruhe handeln, ohne dass die Kinder es mitbekommen.«

Katrins Gespräch dauerte nicht lange. »Sie freuen sich alle schrecklich, auch mal wieder etwas von uns zu hören«, erklärte sie lächelnd. »Mach kein so ängstliches Gesicht, Dorthe! In Sophienlust haben eure Kinder den Himmel auf Erden.«

Dorthe dachte jedoch im Augenblick nur daran, dass sie sich von den Kindern trennen musste. Aber es war so am besten. Sie musste es nur noch ihrem Mann erklären. Robert Quirin nahm sich die Zeit, sie zu begleiten.

*

»Mutti ist fort und Vati rührt sich nicht«, flüsterte Bibi. »Ich habe Angst, Jan!«

Er hatte auch Angst, aber er wollte es nicht zugeben. »Gehen wir doch mal zu Vati und fragen ihn einfach, was los ist«, meinte er nach langem Überlegen.

Dieter Holthaus stand am Schlafzimmerfenster, als die Kinder leise auf Zehenspitzen hereingeschlichen kamen.

»Du liegst ja gar nicht im Bett, Vati!« Bibi atmete auf. Krank war er wenigstens nicht. Das war ihr wichtiger als alles andere.

Mit trostlosem Blick starrte Dieter Holthaus seine Kinder an. Seine Kinder … Dorthe … Seine ganze Welt war ins Wanken geraten. Mit diesem Haus, das sie sich mühsam erspart hatten, hatte er geglaubt, ihnen allen ein festes Fundament gegeben zu haben. Doch jetzt wagte er gar nicht an die Zukunft zu denken.

»Dürfen wir mit dir sprechen, Vati?«, fragte Jan beklommen.

»Worüber denn?«

»Über das, was der Hannes gesagt hat«, kam Bibi ihrem Bruder zu Hilfe. »Du bist kein Dieb, das wissen wir.«

Dieter ballte die Hände. So ging es nun also schon los. Nicht mal die Kinder verschonten sie. Er sah augenblicklich rot.

»Du musst dich nicht aufregen«, bettelte Jan. »Hannes sagt immer so böse Sachen.«

Dieter Holthaus überlegte einen Moment. »Jetzt hört mir mal gut zu«, begann er leise. »Ihr seid doch meine vernünftigen Kinder?«

Sie nickten und schmiegten sich zärtlich an ihn.

»Du kannst uns alles sagen, Vati«, flüsterte Bibi. »Wir haben dich lieb.«

»Es ist Geld verschwunden in der Fabrik, und nun beschuldigen sie mich, es genommen zu haben«, sagte Dieter ernst.

»Wir brauchen doch gar kein Geld«, meinte Jan naiv. »Mutti sagt immer, wir sind wunschlos glücklich. Wie kommen sie denn nur auf so was, Vati?«

»Weil jemand das Geld genommen haben muss«, erwiderte er gepresst.

»Aber dann doch eher Hannes’ Vater«, war Jans unverblümte Meinung. »Er hat ein viel größeres Auto, und Hannes hat immer viel Geld.«

»Man darf niemanden beschuldigen«, erwiderte ihr Vater.

»Aber dich beschuldigen sie doch auch«, stellte Jan logisch fest.

»Trotzdem! Wo ist Mutti?«

»Weggegangen. Vielleicht sagt sie ihnen die Meinung«, meinte Bibi. »Das bringt sie schon fertig, wenn es um dich geht.«

Heftig zog Dieter Holthaus seine Kinder an sich. »Wenn ich euch nicht hätte!«

»Du hast uns aber«, versicherte Jan, »und das nächste Mal schlage ich Hannes zusammen, damit er das dumme Gerede bleibenlässt.«

Das fehlte gerade noch, dachte Dieter Holthaus. Damit würde alles noch viel schlimmer werden. Das beste wäre, wenn die Kinder eine Zeit lang wegkämen. So würden sie Hannes Tag für Tag begegnen, und wer wusste denn schon, wie lange es noch dauerte, bis sich seine Schuldlosigkeit erwiesen hatte?

Aber wohin sollten sie die Kinder geben? Zu Dorthes Eltern, damit diese braven Leute sich auch noch Sorgen machten?

Da kamen Dorthe und Robert Quirin und erlösten ihn von seiner schwersten Sorge.

*

»In ein Kinderheim sollen wir, Bibi«, seufzte Jan, während er sein Lieblingsspielzeug zusammenpackte.

»Leicht fällt es Mutti und Vati ganz bestimmt nicht«, erklärte sie. »Das wollen sie bestimmt nur, damit Hannes uns in Ruhe lässt.«

»Mit dem würde ich schon fertig werden«, beharrte er.

Doch Bibi kamen Zweifel. Sie war noch empfindsamer als Jan und spürte deutlich, dass man sie nicht als zur Familie gehörig betrachtete, obgleich sie den Namen Holthaus trugen, während Hannes Freiberg hieß. Außerdem hatte sie schon oft bemerkt, dass Irene ihre Mutti mit gehässigen Blicken betrachtete.

»Onkel Robert hat gesagt, dass es ein wunderschönes Kinderheim ist«, meinte sie.

»Das sagt er sicher nur, um es uns schmackhaft zu machen«, äußerte Jan. »Aber jetzt müssen wir halt brav sein, damit Mutti nicht noch trauriger wird. Nur …, ich werde sie sehr vermissen«, schluchzte er auf.

Diesmal erwies sich Bibi als die Stärkere. »Du hast ja mich«, tröstete sie ihn. »Wir sind ja beisammen.«

Doch als sie sich zu Onkel Robert ins Auto setzten und die geliebten Eltern zurückblieben, wären ihr beinahe ebenfalls die Tränen gekommen.

Um den Abschiedsschmerz zu überbrücken, begann Robert Quirin von Sophienlust zu erzählen. Das allerdings kam den Kindern alles wie ein Märchen vor, denn so etwas konnte es doch gar nicht geben, dass Kinder in einem Heim alles hatten: Ponys, Hunde, Katzen und sogar einen sprechenden Papagei.

Und Dominik, den jungen Erben von Sophienlust, schilderte ihnen Onkel Robert so lebendig, dass sie ihn gleich erkannten, als sie dort von einer ganzen Kinderschar empfangen wurden.

Robert Quirin war hier wohlbekannt. Das Leben seiner Schwester Ingrid van Droehmen war schicksalhaft verknüpft mit Sophienlust, das Bibi und Jan wie ein Märchenschloss erschien.

Nein, Onkel Robert hatte nicht übertrieben. Eigentlich war alles noch viel schöner, als er gesagt hatte.

»Jetzt ist es ja schon spät«, meinte Dominik, »aber morgen werdet ihr alles besichtigen können.«

Aber Habakuk hätten sie doch gern gleich kennengelernt. Sie wagten die schüchterne Bitte, die ihnen auch sofort gewährt wurde.

Habakuk hatte wieder einmal seinen redseligen Tag. Das war nicht immer so. Manchmal, wenn die Kinder keine Zeit hatten, sich um ihn zu kümmern, konnte er auch ganz schön schmollen.

»Hier ist der schöne Habakuk«, scholl es den Kindern entgegen. »Rrrruhe, habe ich gesagt. Wollt ihr wohl hören. Brave Kinder hab’ ich gern.«

»Das sagt er alles selber«, staunte Bibi. Ihre Augen waren vor Überraschung ganz groß.

»Nick, du frecher Bengel«, krächzte Habakuk jetzt. »Gute Nacht. In die Betten! Rrruhe!«

»Nun, gefällt es euch?«, fragte Robert Quirin liebevoll. »Es ist sehr schön. Du musst es Mutti und Vati sagen«, bat Bibi.

»Und sie sollen uns auch einmal besuchen«, flüsterte Jan. »Du hilfst Vati doch, Onkel Robert?«

»Natürlich, mein Junge«, erwiderte Robert Quirin. »Es wird alles bald wieder in Ordnung sein.«

Überzeugt war er von seinen Worten allerdings nicht so ganz.

*

»Wo willst du denn den Schuldigen suchen, Werner?«, herrschte Irene Freiberg ihren Bruder an, der gedankenvoll vor sich hin blickte. »Mir war gleich klar, dass Dieter sich mit dem Hausbau übernimmt. Natürlich konnte nichts schön und teuer genug sein für seine Dorthe.«