Future Learning und New Work - John Erpenbeck - E-Book

Future Learning und New Work E-Book

John Erpenbeck

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Beschreibung

Die aktuellen betrieblichen Bildungskonzeptionen werden den Herausforderungen des New Work nicht gerecht. Die Mitarbeitenden müssen sich selbstorganisiert auf Herausforderungen vorbereiten, die wir heute noch nicht kennen und die sie mit Tools und Methoden bewältigen werden, die noch nicht entwickelt sind. Vorratslernen kann diese Aufgabe nicht erfüllen. Corporate Learning wird sich deshalb zu einem Future Learning wandeln, das den gezielten  Aufbau von Werten und Kompetenzen für die komplexe, turbulente und unsichere Zukunft ermöglicht. Die Autoren leiten aus der Analyse des New Work die Anforderungen an die zukünftigen Lernkonzeptionen des gezielten Werte- und Kompetenzmanagements - Future Learning - ab und zeigen praxisnah auf, wie Werte und Kompetenzen erfasst, analysiert, bewertet und gezielt entwickelt werden können. Eine Vielzahl von Anwendungsfällen mit Strukturen und Ablaufplänen macht diese Konzepte greifbar. Eine zentrale Rolle spielen dabei die Veränderungsprozesse zum Future Learning.   Mit digitalen Extras: - Individuelle Werte- und Kompetenzerfassung - WBT und Erklärvideos - Reflexionen und Checklisten - GlossarInhalte: - Unternehmen und Organisationen in der Wertegesellschaft - New Work – die Zukunft ist ungewiss - Future Learning – selbstorganisierte Werte- und Kompetenzentwicklung - Werte- und Kompetenzmodelle – die Basis gezielter Entwicklung - Erfassung, Analyse und Bewertung von Werten und Kompetenzen – mit Roman Sauter - Gezieltes Werte- und Kompetenzmanagement - Geschäftsmodell des Future Learning - Veränderungsprozess zum Future Learning - Die Zukunft der Zukunft Tool-Box: Gezielte Entwicklung der Werte und Kompetenzen von Mitarbeitern Glossar

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[7]Inhaltsverzeichnis

Hinweis zum UrheberrechtImpressumVorwort1 Unternehmen und Organisationen in der Wertegesellschaft1.1 Trends1.2 Organisationskultur 2 New Work – die Zukunft ist ungewiss2.1 Disruption 2.2 New Work heute2.3 Megatrend New Work – zukunftsweisend und sinnstiftend 2.4 Agiles Handeln in der Welt des New Work 2.4.1 Das agile Manifest2.4.2 Agilität in der Organisation2.4.3 Agiles Handeln2.4.4 Das agile Mindset 2.4.5 Selbstorganisiertes Handeln2.5 Digitale Zusammenarbeit2.6 Arbeitsplatz der Zukunft – Digital Workspace 3 Future Learning – selbstorganisierte Werte- und Kompetenzentwicklung3.1 Future Learning für eine ungewisse Zukunft3.2 Future Learning in einer neuen Arbeitswelt3.3 Ziele des Future Learning – Werte und Kompetenzen3.4 Future Learning: Arbeiten und Lernen wachsen zusammen3.5 Didaktik für Future Learning 3.5.1 Neurodidaktik 3.5.2 Lerntheorien und zukünftiges Lernen3.5.3 Lernpsychologie3.5.4 Ermöglichungsdidaktik – die konzeptionelle Basis3.5.5 Singularitätsdidaktik3.6 Ermöglichungsraum – Learning-Experience-Plattform (LXP)3.6.1 Lern-Ökosystem – Learning-Experience-Plattform (LXP)3.6.2 Digitale Lernwerkzeuge3.7 Wissensaufbau in der Zukunft3.7.1 Formelles E-Learning3.7.2 Informelles E-Learning – Microlearning on demand 3.8 Qualifizierung in der Zukunft3.9 Entwicklungsarrangements für Werte und Kompetenzen3.9.1 Werte- und Kompetenzentwicklung in der Praxis und in Projekten3.9.2 Begleitendes Coaching 3.9.3 Ergänzung der Werte- und Kompetenzentwicklung im Training3.9.4 Unterstützung der Werte- und Kompetenzentwicklung in der Weiterbildung3.9.5 Social Blended Learning 3.10 Social Workplace Learning 3.11 KOPING – Steuerung und Flankierung der Lernprozesse3.11.1 KOPING-Konzept3.11.2 Lernbegleiter4 Werte- und Kompetenzmodelle – die Basis gezielter Entwicklung4.1 Wertemodelle 4.2 Kompetenzmodelle5 Erfassung, Analyse und Bewertung von Werten und Kompetenzen5.1 Werteerfassung 5.1.1 Werteerfassung auf der Organisationsebene5.1.2 Werteerfassung auf der Teamebene5.1.3 Werteerfassung auf der individuellen Ebene – Ratingmethode5.1.4 Werteerfassung auf der individuellen Ebene – Rankingmethode 5.1.5 Anforderungen an die Werteerfassung 5.2 Kompetenzerfassung5.2.1 Kompetenzerfassung auf Organisationsebene 5.2.2 Kompetenzerfassung auf Teamebene 5.2.3 Kompetenzerfassung auf individueller Ebene – Ratingmethode5.2.4 Kompetenzerfassung auf individueller Ebene – Rankingmethode5.2.5 Anforderungen an die Kompetenzerfassung5.3 Qualitätskriterien6 Gezieltes Werte- und Kompetenzmanagement6.1 Werte- und Kompetenzmanagement auf Organisationsebene 6.1.1 Obere Führung – organisationale Werte- und Kompetenzmanager6.1.2 Werte- und Kompetenzmanagementteam 6.1.3 Unternehmensweiter Kommunikationsprozess6.1.4 Lernende Netzwerke am Beispiel »Kultur der Nachhaltigkeit«6.1.5 Prozess der organisationalen Werte- und Kompetenzentwicklung6.1.6 Praxisbeispiel: Korridorthema »werteorientierte Compliance«6.1.7 Praxisbeispiel: Werteorientiertes Marketing6.1.8 Praxisbeispiel: Employer Branding 6.2 Werte- und Kompetenzmanagement auf Teamebene6.2.1 Die Führungskraft – teambezogener Werte- und Kompetenzmanager6.2.2 Prozess der teambezogenen Werte- und Kompetenzentwicklung6.2.3 Führungskräftefeedback und Management der Führungskultur6.2.4 Praxisbeispiel: Konfliktmanagement6.3 Individuelle Werte- und Kompetenzentwicklung6.3.1 Praxisbeispiel: Beratung von Nachwuchskräften6.3.2 Praxisbeispiel: Recruiting6.3.3 Werte- und kompetenzorientierte Berufsausbildung6.3.4 Praxisbeispiel: Werteorientiertes und kulturgerechtes Onboarding6.3.5 Aufbau von Fachkompetenzen6.3.6 Praxisbeispiel: Talentmanagement6.3.7 Praxisbeispiel: Aufbau von Führungskompetenzen6.3.8 Praxisbeispiel: Karriereberatung6.3.9 Praxisbeispiel: Retention Management6.3.10 Praxisbeispiel: Outplacement (Newplacement)6.4 Gezielte Werte- und Kompetenzentwicklung im Überblick6.5 Validierung 6.6 Anforderungen an die gezielte Werte- und Kompetenzentwicklung von Mitarbeitern7 Geschäftsmodell des Future Learning 7.1 Das Ende der Personalentwicklung7.2 Neue Rollen im Corporate Learning7.3 Strategieorientiertes Werte- und Kompetenzmanagement7.4 Werte- und Kompetenzentwicklung der Learning Professionals7.4.1 Lernbegleitung7.4.2 Ziele und Anforderungen7.4.3 Werte- und Kompetenzentwicklungsprozesse im Doppel-Decker8 Veränderungsprozess hin zu Future Learning 8.1 Entwicklungsprozess8.2 Handlungsfelder8.3 Praxisbeispiel: Beispiel eines Einführungsprozesses für Future Learning 8.4 Zusammenfassung der Anforderungen9 Die Zukunft der Zukunft9.1 New Work 9.2 Future Learning 9.2.1 Werte, Kompetenzen und Disruption 9.2.2 Agilität9.2.3 Digitale Transformation9.2.4 Methoden der gezielten Werte- und Kompetenzentwicklung9.2.5 Werteentwicklung10 Toolbox: gezielte Entwicklung der Werte und Kompetenzen von Mitarbeitern10.1 Grundlegende Entwicklungsempfehlungen10.2 Agile Lernprinzipien10.3 Entwicklungsmethoden für Werte und Kompetenzen10.4 Basis: Entwicklung in Praxisaufgaben und -projekten10.4.1 Agile Methoden10.4.2 Jobrotation10.4.3 Qualitätszirkel10.4.4 Making Methode10.4.5 Seitenwechsel®10.4.6 Wissensmanagement10.4.7 Lernallianzen10.4.8 WOL – Working Out Loud 10.4.9 Communities of Practice 10.4.10 Supervision 10.4.11 Aufbau mentaler Stärke10.5 Begleitendes Mentoring und Coaching 10.5.1 Mentoring 10.5.2 Coaching 10.5.3 Kollegiales Coaching 10.5.4 Co-Coaching10.5.5 Kollegiale Beratung10.6 Ergänzende Trainings10.6.1 Realitätsgleiche Herausforderungen10.6.2 Realitätsähnliche Herausforderungen10.6.3 Realitätsnahe Herausforderungen10.6.4 Analysemethoden10.7 Unterstützende Weiterbildungsmaßnahmen11 Entwicklungsempfehlungen für Einzelwerte11.1 Kreativität11.2 Gesundheit11.3 Bildung11.4 Individuelle Freiheit11.5 Lebensstandard11.6 Sicherheit11.7 Anerkennung11.8 Gemeinnutz11.9 Privatleben11.10 Ideale11.11 Verantwortung11.12 Respekt11.13 Beziehungen11.14 Einfluss11.15 Norm und Gesetz11.16 Netzwerk12 Entwicklungsempfehlungen für Einzelkompetenzen12.1 Eigenverantwortliches Handeln12.2 Selbstorganisiertes Handeln12.3 Förderndes Handeln12.4 Ganzheitliches Handeln12.5 Entscheidungsorientiertes Handeln12.6 Tatkräftiges Handeln12.7 Impulsgebendes Handeln12.8 Konsequentes Handeln12.9 Teamorientiertes Handeln12.10 Problemlösendes Handeln12.11 Kollaboratives Handeln12.12 Gewissenhaftes Handeln12.13 Erfahrungsorientiertes Handeln12.14 Systematisch-methodisches Handeln12.15 Entwicklungsorientiertes Handeln12.16 Handeln mit ExpertiseGlossarLiteraturStichwortverzeichnisAutoren
[1]

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Werner Sauter/John Erpenbeck

Future Learning und New Work

1. Auflage, August 2021

© 2021 Haufe-Lexware GmbH & Co. KG, Freiburg

www.haufe.de

[email protected]

Bildnachweis (Cover): © invincible7, Adobe Stock

Produktmanagement: Dr. Bernhard Landkammer

Lektorat: Juliane Sowah

Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Alle Rechte, insbesondere die der Vervielfältigung, des auszugsweisen Nachdrucks, der Übersetzung und der Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen, vorbehalten. Alle Angaben/Daten nach bestem Wissen, jedoch ohne Gewähr für Vollständigkeit und Richtigkeit.

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[13]Vorwort

Neue Formen und Methoden des Arbeitens – New Work – begegnen uns allenthalben: im Berufsleben, in alten und neuen Berufen, in Unternehmen und Organisationen. Vernetzung, Komplexität, Digitalisierung, Agilität, Selbstorganisation sind die einschlägigen Stichworte. Hinter all diesen Formen steckt stets erweitertes oder auch ganz neues, oft disruptives, zerstörend-verstörendes Wissen. Dahinter stecken neue Fähigkeiten, selbstorganisiert und kreativ zu handeln, neue Kompetenzen und neue, sie begründende Werte.

Wissen, Kompetenzen und Werte können von den Mitarbeitern1 nur handlungswirksam angeeignet werden. Pauken und Auswendiglernen hilft da wenig, ein zukunftsweisendes Lernen – Future Learning – ist erforderlich. Diese neue Lernwelt muss dabei ein Spiegelbild der Praxis sein, wenn die Mitarbeiter auf die zukünftigen Herausforderungen des New Work vorbereitet werden sollen. Future Learning und New Work bilden nicht mehr und nicht weniger als die Zukunft des Lernens und Arbeitens ab. Dass beides zusammenwirkt, ist klar – wie es zusammenwirkt, noch weitgehend unklar (vgl. Foelsing, Schmitz 2021a). Ein weites Feld, unüberschaubar, unerfassbar.

Wir selbst haben mehrfach versucht herauszufinden, wie wir künftig, in einer Welt fühlender Computer, kluger Clouds und sinnsuchender Netze, lernen werden. Unsere Vision von einem Lernen in der Zukunft haben wir so zusammengefasst (vgl. Erpenbeck, Sauter 2013, 2015b):

Ohne Lernen im Prozess der Arbeit geht gar nichts.

Future Learning ist von der eigenen Werte- und Kompetenzentwicklung nicht mehr zu trennen und erfolgt bevorzugt im Prozess der Arbeit selbst. Trainings- und Weiterbildungsangebote werden bei Bedarf unterstützend und ergänzend aktiv gesucht und zeitnah einbezogen, bilden aber nicht das Zentrum des Lernens.

Ohne Lernen via Cloud-Computing geht gar nichts.

Future Learning setzt eine Vernetzung von menschlichen Lern- und Kooperationspartnern und von Human Computern als Lernpartner voraus – über Kanäle, die es ermöglichen, nicht nur Sachwissen, sondern auch emotionale Bewertungen zu kommunizieren. Der Gebrauch von Clouds, in denen unsere Programme und Daten [14]überwiegend gespeichert sind, und die immer intelligentere Nutzungs- und Verarbeitungsangebote machen, wird immer wichtiger.

Ohne Lernen in semantischen Netzen, ohne semantische Erwägungen geht gar nichts.

Je schneller die Bestände von Informationswissen wachsen, je schneller die Denk- und Arbeitsanforderungen sich ändern, desto wichtiger wird es, die Bedeutungen von Sachverhalten, Eigenschaften, Relationen, Prozessen, Entwicklungen, Entdeckungen und Erfindungen abzuschätzen und zu vergleichen. Auf der Ebene des Fühlens, Denkens und Sprechens kommt damit der Kommunikation von Bedeutungen, also der Semantik, eine neue, schnell wichtiger werdende Rolle zu.

Ohne Kompetenzen als Fähigkeiten zum selbstorganisierten, kreativen Handeln geht gar nichts.

Wissen steht heute schnell und zunehmend zur Verfügung. Es ist, wenn man es zu gewichten und zu werten versteht, die Basis des Handelns, nicht mehr. Das Wissen ändert sich aber zu schnell, um sich damit »auf Vorrat« auf die Zukunft vorzubereiten. Wer heute viel weiß, weiß morgen zu wenig oder auch zu viel Überflüssiges, was auf das Gleiche hinausläuft. Die eigentliche Handlungsfähigkeit wird durch Kompetenzen hergestellt. Dabei bilden zu eigenen Gefühlen umgewandelte Werte die eigentlichen Kompetenzkerne.

Ohne Werte als Ordner selbstorganisierten Handelns geht gar nichts.

Wer nicht Werte in sein Handeln einschließt, wer nicht bereit ist, seine emotionalen Wertungen immer wieder neu und erfolgreich zu verankern, der wird schon morgen, spätestens übermorgen beim Lernen Schiffbruch erleiden, auf die Klippen des angehäuften Wissensschotters auflaufen. Ohne Gefühle, ohne emotionale Veränderungen gibt es zukünftig kein wirkungsvolles Lernen.

In den letzten Jahren haben wir uns tiefgehend mit den Grundlagen von Wertungen, der Rolle von Werten in Organisationen und Teams sowie der Mitarbeiter beschäftigt (Erpenbeck 2018, Erpenbeck, Sauter 2018a, 2019). In einer kürzlich erschienenen, historisch und soziologisch breit angelegten Studie »Die Wertegesellschaft« haben wir die dominierende Rolle von Werten in der gesellschaftlichen Entwicklung herausgearbeitet (Erpenbeck, Sauter 2020b). Wir haben umfangreiche Forschungsarbeiten darauf verwandt, die Werte- und Kompetenzerfassung zu einem alltagstauglichen Instrument der Personal- und Organisationsentwicklung zu machen und Konzepte der gezielten Werte- und Kompetenzentwicklung im Prozess der Arbeit und in Praxisprojekten auf allen Ebenen der Organisationen zu entwickeln und zu erproben.

[15]Future Learning ist eine der wichtigsten Strategien der Zukunft, weil sich der Charakter der Arbeit grundlegend geändert hat. Oft wird diese fundamentale Änderung heute unter dem Sammelbegriff New Work zusammengefasst. Es ist die Antwort auf den Erdball bedrängende Probleme, die man pauschal mit den Stichworten Urbanisierung, Digitalisierung, Globalisierung, Klimawandel und demografischer Wandel benennen kann. »New Work kennzeichnet die heutige Erwerbsarbeit, die durch zukunftsorientierte Veränderungen aufgrund der digitalen Transformation geprägt ist.« (Fraunhofer IAO 2019)

Für betriebliche und überbetriebliche Bildungsanbieter eröffnen sich dadurch neue, attraktive Marktchancen, sofern sie ihre Geschäftsmodelle radikal verändern. Notwendige Voraussetzung für Future Learning ist dabei die Akzeptanz des Werte- und Kompetenzmanagements bei den Mitarbeitern und Führungskräften. Dieses Vertrauen kann allerdings nur in einem längerfristigen Veränderungsprozess schrittweise aufgebaut werden.

In allen Überlegungen, die wir in dieser Einführung skizzieren, taucht die Werteentwicklung als ein Kernproblem auf, besonders schön in den inzwischen fast klassisch zu nennenden Texten des »Erfinders« der New Work, Fritjof Bergmann (2004, 2005). Zugespitzt könnte man sein gesamtes Anliegen als Vorschlag sehen, Arbeit neu zu werten, neue Lebenswerte einzuführen und umzusetzen. Bei allen Autoren, die sich mit New Work ausführlich beschäftigen, spielt der Werteaspekt eine wichtige Rolle.

Werte- und Kompetenzentwicklung sind deshalb untrennbar miteinander verknüpft. Folglich entwickeln wir in diesem Fachbuch einen integrierten Ansatz des Werte- und Kompetenzmanagements auf allen Ebenen der Organisation, indem Werte- und Kompetenzerfassung sowie die daraus abgeleiteten Entwicklungsmaßnahmen in einer ganzheitlichen Konzeption verknüpft werden, bei der Arbeiten und Lernen zusammenwachsen.

Damit sind wir beim zentralen Anliegen dieses Buches. Es geht uns nicht darum, Neues und wieder Neues zum Future Learning hinzuzufügen oder neue Facetten des New Work zu entfalten. Es geht uns allein darum, alles, was wir inzwischen zum gezielten Werte- und Kompetenzmanagement entwickelt und in der Praxis erfahren haben, Unternehmen und Organisationen, aber auch Schulen und Universitäten handhabbar zugänglich zu machen. Deshalb haben wir dieses Werk konsequent anwendungsorientiert als Praxisbuch gestaltet.

Die theoretisch-wissenschaftlichen Grundlagen für dieses Werk haben wir gemeinsam in einer Vielzahl von Projekten und Publikationen entwickelt. Diese Konzepte verknüpfen wir in diesem Praxisbuch mit unseren Erfahrungen in vielen Praxisprojekten, die Werner Sauter und für den Bereich der Erfassungssysteme Roman Sauter gesammelt haben.

[16]Wir gehen zunächst von den Veränderungen in unserer Gesellschaft, von der Wissens- zur Kompetenz- und Wertegesellschaft, aus, um dann die Trends in den Organisationen und ihre Auswirkungen auf die Werte und damit die Organisationskultur zu untersuchen. Im nächsten Schritt analysieren wir die Veränderungen hin zu New Work und die Konsequenzen für das Future Learning. Dabei spielt der Paradigmenwechsel von curricularen Wissens- und Qualifikationszielen zu individuellen Werte- und Kompetenzzielen eine zentrale Rolle.

Eine gezielte Entwicklung der Werte und Kompetenzen erfordert Werte- und Kompetenzmodelle, die als Basis für die professionelle Erfassung dieser Zielgrößen dienen. Wir untersuchen, welche Möglichkeiten sich hierfür anbieten und entwickeln konkrete Vorschläge. Danach zeigen wir auf, wie eine gezielte Entwicklung der Werte und Kompetenzen auf der Ebene der Organisation, der Teams und der Mitarbeiter gestaltet werden kann. Wir beschreiben eine Vielzahl von praktischen Anwendungsfeldern dieser Ansätze im Corporate Learning, in der betrieblichen Bildung, um schließlich ein Geschäftsmodell des Future Learning zu entwickeln und die erforderlichen Veränderungsprozesse zu beschreiben. Nachdem wir einen konkreten Vorschlag zur Implementierung des Future Learning zur Diskussion gestellt haben, wagen wir am Schluss einen Blick in die Zukunft des Corporate Learning.

In unserer ausführlichen Praxis-Toolbox finden Sie eine Vielzahl von grundlegenden Entwicklungsempfehlungen für Werte und Kompetenzen sowie spezifische Empfehlungen zum Aufbau aller Einzelwerte und -kompetenzen aus unseren Werte- und Kompetenzmodellen. Ein umfangreiches Glossar rundet unser Handbuch ab.

Damit wollen wir einen bescheidenen, aber inhaltlich nicht unwichtigen Beitrag zur Weiterentwicklung von Future Learning und New Work leisten.

Berlin, im August 2021

John Erpenbeck, Werner Sauter

1 Wir verwenden im gesamten folgenden Text wegen der besseren Verständlichkeit die männliche Sprachform. Er ist aber ebenso an alle Personen weiblichen oder diversen Geschlechts gerichtet.

[17]1 Unternehmen und Organisationen in der Wertegesellschaft

Einstieg

Von der Informationsgesellschaft zur Wissensgesellschaft, von der Wissensgesellschaft zur Kompetenzgesellschaft und weiter zur Wertegesellschaft verläuft die gesellschaftliche Entwicklung, ohne andere Entwicklungsziele, andere Megatrends zu negieren.

Der Begriff der Informationsgesellschaft, der ab den 1980er-Jahren breit genutzt wurde, ist Ausdruck des Megatrends, dass weltweit riesige Datenmengen, Big Data, quantitativ und – nach entsprechender Auswertung – qualitativ immer wichtiger werden.

Die Wissensgesellschaft, wie sie ab Ende des 20. Jahrhunderts diskutiert wird, kennzeichnet den Megatrend der kulturellen Einbindung jeglicher Information in ein Netz von Wissen und Meinen, Verifizieren, Werten und Verwerten. Sie benutzt die digitale Kommunikation vor allem, um Sachverhalte und Fakten darzustellen.

Die Kompetenzgesellschaft, die sich ab Anfang dieses Jahrhunderts als sozialer Megatrend entwickelt hat, wird geprägt durch das Merkmal, mithilfe des Wissens selbstbestimmt, selbstorganisiert, kreativ und innovativ zu handeln. Diese geht nahtlos in die Wertegesellschaft über.

Die Wertegesellschaft, die sich aktuell immer mehr durchsetzt, nutzt die digitale Kommunikation mit einer neuen Ausrichtung. Auch sie ist natürlich auf die Darstellung von Sachverhalten und Fakten aus, aber oft schon mit dem Ziel, wertende Urteile und Meinungen zu ergänzen. Das lässt sich leicht an Fake News, Videowerbungen, Influencer-Einwirkungen und parteiischen Kommentaren festmachen. Sie nutzt dabei alle audiovisuellen Möglichkeiten, Musiksympathien, Farbgestaltungen oder Sympathieträger aller Art.

Dass wir in einer Wissensgesellschaft leben, ist klar. Sie ist geprägt von durchgreifender Digitalisierung, Wissensexplosion und Bildungsexpansion. Ganz allgemein ist mit dem Begriff Wissensgesellschaft die wachsende Bedeutung von Wissen in fast allen Lebensbereichen der modernen Gesellschaft gemeint, vor allem auch in der Wirtschaft. Besonders die Europäische Kommission verwendete das Konzept im Rahmen ihrer Strategie, die Europäische Union zum wettbewerbsfähigsten und dynamischsten wissensbasierten Wirtschaftsraum zu machen. Aus Sicht der Europäischen Union und der [18]OECD sind jene Länder besser für die Herausforderungen der Wissensgesellschaft gerüstet, in denen größere Anteile der Jugendlichen eine Hochschulbildung beginnen und abschließen (vgl. Europäische Union 2006).

Eine solche Sicht ist zugleich selbstverständlich und fragwürdig. Wir sind überall, im Alltag wie im Beruf, in der Freizeit wie in der Studienzeit, von Wissen eingeschlossen. Sach- und Fachwissen bilden die Basis jeden Handelns. Wenn das Wissen falsch oder ungenau wäre, das in den Bau eines Flugzeugs oder eines Kraftwagens einfließt, würden wir uns niemals in ein derartiges Gefährt setzen. Insofern sind wir froh, in einer Wissensgesellschaft zu leben.

Der Futurist R. Buckminster Fuller schätzte, dass sich die menschliche Informationsmenge bis Ende des vorletzten Jahrhunderts etwa alle hundert Jahre verdoppelte, bis 1945 erfolgte dies aber bereits alle 25 Jahre. Und 1982 verdoppelte sie sich alle 12 bis 13 Monate. Aktuell schätzen Experten, dass sich die menschliche Informationsmenge aufgrund von Entwicklungen wie künstliche Intelligenz2 und Internet of Things3 zukünftig alle 12 Stunden verdoppeln wird (vgl. Sorokin 2019).

Informationen sind aber noch kein Wissen. Wissen ist das Ergebnis der Verarbeitung von Informationen durch das Bewusstsein und kann als verstandene Information bezeichnet werden (vgl. Bullinger, Wörner, Prieto 1997). Wissen sichert jedoch noch keine Handlungsfähigkeit. Wir betonen hier und schon lange: Wissen ist keine Kompetenz (vgl. Arnold, Erpenbeck 2014). Kompetenzen entstehen erst, wenn Erfahrungen als Werte verinnerlicht werden.

Information ist der Rohstoff, Wissen der Stoff, Kompetenzen das Ziel betrieblicher Bildung und Werte deren Kerne als Ordner selbstorganisierten Handelns.

1.1 Trends

Das Internet der Dinge, die Vernetzung von Gegenständen mit dem Internet und darauf aufbauende cyberphysische Systeme sind in modernen Fabriken heute Realität. Die Verbindung zwischen Maschinen, Werkzeugen, Werkstücken und Mitarbeitern hat große Fortschritte gemacht. Die digitale Aufrüstung mit neuen preiswerten Sensoren und deren drahtlose Anbindung geht stetig voran. Immer mehr Produktionsschritte können durch Multisensor-Fusion in Echtzeit überwacht werden.

[19]Sechs neue Megatrends werden die Entwicklung der Arbeitswelt, und damit auch der Lernwelt, in den kommenden zehn Jahren entscheidend beeinflussen (vgl. Kagermann, Wahlster 2021 a):

Industrielle KIEdge Computing bis zur Edge Cloud: dezentrale Datenverarbeitung, z.B. als Basis für Echtzeitverarbeitung, Mobile Computing und Internet of Things 5G-Mobilfunkstandard in Fabriken mit Lösungen in EchtzeitTeam-Robotik: Zusammenwirken von Menschen und Robotern in hybriden TeamsAutonome Intralogistik-Systeme: interne Warenströme optimierenVertrauenswürdige Dateninfrastrukturen

Wir erleben einen tiefgreifenden gesellschaftlichen Strukturwandel, in dessen Verlauf sich in den letzten dreißig Jahren die klassische, die industrielle Moderne, die insbesondere durch Gleichförmigkeit geprägt war, in eine neue Form der Moderne verwandelt, die der Soziologe Andreas Reckwitz (5. Aufl. 2020) als Spätmoderne bezeichnet. Diese nimmt mehr und mehr die Form einer Gesellschaft der Singularitäten an, die den Individualismus auf die Spitze treibt. Diese Singularisierung bezeichnet die sozialen Prozesse in ihren Besonderheiten und Einzigartigkeiten, in denen Nichtaustauschbarkeit, Unvergleichlichkeit und Superlative von Individuen, Teams oder Organisationen erwartet, fabriziert, positiv bewertet und erlebt werden (nach ebenda S. 19 f.).

Die Entwicklung der historischen, gegenwärtigen und zukünftigen Arbeits- und Lernformen spiegelt diese gesellschaftliche Entwicklung wider. Sie wird meist in vier Perioden eingeteilt, die man plakativ wie folgt illustrieren kann (vgl. BMAS 2015, 2017, Brater, 3. Aufl. 2020):

Abb. 1: Entwicklungsstufen des Arbeitens und Lernens (nach BMAS 2015, 2017, Brater, 3. Aufl. 2020)

[20]Die Entwicklungsstufen des Arbeitens werden vor allem durch folgende Merkmale geprägt (ebenda):

Arbeiten 1.0 bezeichnet die beginnende Industriegesellschaft und die ersten Arbeiterorganisationen. Mit der Einführung der Dampfmaschine und mechanischer Produktionsanlagen verändern sich mit Beginn des 19. Jahrhunderts nicht nur die Produktionsweise, sondern auch die Organisation von Arbeit und die entsprechenden Gesellschaftsstrukturen. Viele Arbeitskräfte wurden nur angelernt. Neben der handwerklichen Ausbildung entstand ein Wildwuchs an betriebsinternen Anlern- und Ausbildungsmaßnahmen.Arbeiten 2.0 kennzeichnet die beginnende Massenproduktion und die Anfänge des Wohlfahrtsstaats am Ende des 19. Jahrhunderts. Die Industrialisierung bringt neue soziale Probleme mit sich und wirft grundlegend neue soziale Fragen auf. Gleichzeitig wurde das berufliche Lernen »industrialisiert«, indem Ausbildungsberufe geschaffen wurden, die im Verbund mit neu gegründeten Berufsschulen einheitliche, vergleichbare und übertragbare Qualifikationen entwickelten.Arbeiten 3.0 umfasst die Zeit der Konsolidierung des Sozialstaats und der Arbeitnehmerrechte auf Grundlage der sozialen Marktwirtschaft. Arbeitgeber und Arbeitnehmer verhandeln sozialpartnerschaftlich auf Augenhöhe miteinander. Seit den 80er-Jahren des 20. Jahrhunderts wird die Produktion durch den Einsatz von Informationstechnologie und Elektronik weiter automatisiert, der Anteil von Dienstleistungen nimmt stark zu, die Globalisierung wird zu einem entscheidenden Faktor. Die Aus- und Weiterbildung wurde weiter verschult, seminaristische Weiterbildungsmaßnahmen dominierten die Personalentwicklung. Nach und nach setzten sich auch soziale Lernformen, später dann E-Learning- und Blended-Learning-Lösungen in Teilbereichen durch.Arbeiten 4.0 zeichnet ein neues Leitbild von Arbeit, das sich erst nach und nach durchsetzt. Es zeigt neue Perspektiven und Chancen für Gestaltungen in der Zukunft auf. Arbeit 4.0 knüpft an die aktuelle Diskussion über die vierte industrielle Revolution (Industrie 4.0) an, rückt aber die Arbeitsformen und Arbeitsverhältnisse in der gesamten Arbeitswelt ins Zentrum (vgl. Bitkom 2018). Die Arbeit wird agiler, vernetzter, digitaler und flexibler sein. Es handelt sich um einen erneuten grundlegenden Wandel der Produktionsweise und den Beginn neuer Aushandlungsprozesse zwischen Individuen, Sozialpartnern und dem Staat. Entsprechend verändern sich die betrieblichen Lernkonzeptionen fundamental. Curricula mit formellen Lernzielen und Inhalten, die für alle gleich sind, werden durch individuelle Werte- und Kompetenzziele, fremdgesteuerte Lehrarrangements durch selbstorganisierte, personalisierte Lernprozesse am Arbeitsplatz ersetzt. Die bisherigen Lehrer, Trainer und Dozenten werden Lernbegleiter, die Personalentwicklung wandelt sich zum Werte- und Kompetenzmanagement.

»Industrie 4.0 wird auch das Arbeiten und die Ausbildung revolutionieren. Mitarbeiter werden nicht nur Teil dieser Entwicklung, sie werden sie vorantreiben.[21]In der Smart-Factory4 gilt es, weniger mechanische als koordinierende und kreative Aufgaben zu übernehmen und sich fortlaufend weiterzubilden, smarte und flexible Weiterbildungskonzepte sind erforderlich.« (IDG 2017)

New Work ist das Ergebnis des Arbeitens 4.0.

Ein Lernen, das auf die Entwicklung von Fähigkeiten hinausläuft, koordinative und kreative Aufgaben zu übernehmen und sich selbstorganisiert und kreativ weiterzuentwickeln, ist aber nichts anderes als Future Learning.

New Work erfordert zwangsläufig und unumgehbar Future Learning, ein Lernen 4.0.

Werte- und Kompetenzentwicklung werden somit der Entwicklung anderer Innovationsfaktoren im Unternehmen gleichgestellt. Das Corporate Learning wird zu einem Kernbereich der Unternehmensperformanz, für die Werte- und Kompetenzmanagement die Voraussetzung bilden.

Damit ist das Lernen in den Organisationen kein abgegrenzter Bereich mehr, das in besonderen Räumen zu genau definierten Zeiten unter Leitung eines Trainer oder Dozenten stattfindet, sondern wird nach und nach in den Prozess der Arbeit und in das Netz integriert. Damit werden Arbeiten und Lernen zusammengeführt, Lernen wird zum Social Workplace Learning.

1.2 Organisationskultur

»Meiner Meinung nach sollte man (bei VW) kritisieren, dass nicht die Kultur vorhanden war, unrealistische Ziele ablehnen zu dürfen oder eigene Fehler offen zu benennen und aus diesen zu lernen. Die Manager ließen lieber die Software manipulieren, als ihrem Chef zu beichten, dass die vorgegebenen Abgaswerte nicht zu erreichen sind. Das Resultat dieser Fehlerkultur ist Milliarden Euro schwer und bedrohte die Existenz des Autobauers. [...] Die Organisationskultur wird für VW die größte Herausforderung beim Thema New Work werden.« (Schermuly 2019, S. 302)

Kompetenzen und Werte fließen direkt in die Organisationskultur ein. Doch Kultur ist im sozialwissenschaftlichen Bereich einer der am schwierigsten zu erfassenden und zu definierenden Begriffe (vgl. Treichel, Mayer 2011). Nur so viel ist sicher:

»Der Begriff der Kultur ist ein Wertebegriff.« (Weber 1989)

[22]Kultur bezeichnet im weitesten Sinne alles, was der Mensch selbst gestaltend hervorbringt im Unterschied zu der von ihm nicht geschaffenen und nicht veränderten Natur. Jede Organisation muss dabei zwei Herausforderungen meistern: die Anpassung an die Umwelt und die Sicherung des internen Zusammenhalts.

Organisationskultur ist ein System von gemeinsamen Werten sowie Normen und Denkhaltungen, die die Entscheidungen sowie das Handeln der Mitarbeiter auf allen Ebenen einer Organisation prägen und die sich als »gemeinsames mentales Modell« erweist (vgl. Homma, Bauschke, Hofmann 2015).

Damit unterscheidet die Organisationskultur eine Organisation von anderen (vgl. Schermuly 2019, S. 296). Es geht also um die kollektiv geteilten Selbstverständlichkeiten und Grundannahmen, die nicht mehr hinterfragt werden und das Wahrnehmen, das Denken, die Gefühle und das Handeln der Mitarbeiter leiten (vgl. ebenda).

Organisationskultur ist dementsprechend, wie es Edgar Schein zusammenfasst, ein Muster gemeinsamer Grundprämissen, das die Gruppe bei der Bewältigung ihrer Probleme externer Anpassung und interner Integration erlernt hat, das sich bewährt hat und somit als bindend gilt und das daher an neue Mitglieder als rational und emotional korrekter Ansatz für den Umgang mit Problemen weitergegeben wird (vgl. Homma, Bauschke, Hofmann 2015).

Diese Kultur bewirkt Praktiken, die sich in Artefakten, Institutionen und Lebenswelten zeigen (vgl. Stalder 2016). Ein eingängiges Organisationskultur-Modell von Schein fasst die wichtigsten Ebenen und Erscheinungsformen der Kultur in der Organisation so zusammen:

Ebene der OrganisationskulturErscheinungsformen in der OrganisationArtefaktesichtbare und fühlbare Strukturen, z.B. Sprache, Kleidung, Rituale, aber auch Produkte oder GebäudeWerteOrdner des selbstorganisierten Handelns, Kerne von KompetenzenGrundannahmenungeschriebene Gesetze der Organisation, die meist nicht wahrgenommen werden

Tab. 1: Ebenen der Organisationskultur (nach Schein 2017, S. 18 f.)

Es ist unschwer zu sehen, dass alle diese Ebenen eng mit Werten verknüpft sind und erst wirksam werden, wenn sie von den Handelnden in den Unternehmen und Organisationen verinnerlicht werden und in ihre jeweiligen Handlungsfähigkeiten, in ihre Kompetenzen, einfließen.

Werte und Kompetenzen prägen maßgeblich die Organisationskultur.

[23]Eine wirklich wirksame Organisationskultur ist also ohne Kompetenz- und Wertemanagement nicht denkbar.

In den kommenden zehn Jahren arbeiten in den Organisationen mindestens vier unterschiedliche Generationen von Mitarbeitern zusammen. Ab etwa 2030 werden die Babyboomer nach und nach durch die Generation Alpha (2013–2025) mit voraussichtlich grundlegend veränderten Motiven und Werten ersetzt.

Die aktuell arbeitenden Generationen unterscheiden sich in Hinblick auf ihre Motive und Werte, aber auch ihre Anforderungen an die Arbeit, grundsätzlich deutlich voneinander. In Anlehnung an unser Wertemodell kann man sie wie folgt charakterisieren (nach Hamann 2021, S. 113 ff., Abschn. 4.1).

LernergenerationBabyboomerGeneration XGeneration Y – MillennialsGeneration ZJahrgänge1946–19641965–19801981–19961997–2012Grundlegende MotiveLeistung KarriereZufriedenheit KarriereZufriedenheit FreundschaftBegeisterung UnabhängigkeitWichtigste Werte:GenusswerteGesundheitindividuelle FreiheitBildungKreativitätNutzenwerteSicherheitLebensstandardAnerkennungSicherheitEthische WerteVerantwortungVerantwortungIdealePrivatlebenSoziale WerteNorm und GesetzBeziehungenNetzwerkEinflussAnforderungen an die Arbeithohes Engagement, ausgeprägte Hierarchien, klare StrukturenWork-Life-Balance, Trennung Privat- und Berufsleben, autonomes Handeln, flache Hierarchien, informelles Arbeitsumfeldreichlich Raum für Privatleben, Vermischung von Privat- und Berufsleben (Work-Life-Blending), flache und flexible Hierarchien, Fachkarrieren, fördernde Arbeitsumgebung, Karrierechancenhoher Standard der Arbeitsmittel, strikte Trennung von Berufs- und Privatleben, ausgiebige Erholungsphasen, klare Abgrenzungen und Strukturen, geringe Bindung an Organisationen, kollegiale Arbeitsatmosphäre

Tab. 2: Vergleich der Mitarbeitergenerationen (nach Hamann 2021, S. 113 ff.)

[24]Diese Klassifizierung kann nur eine Grundstruktur widerspiegeln, da die Abgrenzung sich an bestimmten Generationsmerkmalen orientiert und die Individuen, unabhängig von dieser Zuordnung, sehr unterschiedlich handeln können. Insbesondere bei der Generation Z, die am Anfang ihrer Berufstätigkeit steht, können sich noch deutliche Veränderungen ergeben.

Es wird deutlich, dass die Führungsaufgaben zunehmend komplexer werden, weil die Führungskräfte Mitarbeiter mit sehr unterschiedlichen Motiven und Werten zu führen haben.

2 Künstliche Intelligenz (KI) entsteht durch algorithmische Verfahren, die menschliche kognitive Fähigkeiten imitieren und Handlungsweisen nachbilden, um eigenständig Probleme bearbeiten zu können.

3 Vernetzung von Gegenständen, z.B. Kühlschränke, Heizungen oder Kfz, mit dem Internet, damit sie selbstständig in der Lage sind zu kommunizieren und Aufgaben, z.B. automatische Bestellungen oder Warnungen erteilen, zu übernehmen.

4 In der Smart Factory (»Intelligente Fabrik«) tauschen Menschen, Maschinen und Ressourcen miteinander Informationen aus, sodass sie sich selbst organisieren kann.

[25]2 New Work – die Zukunft ist ungewiss

»Nicht der Mensch soll der Arbeit dienen, sondern die Arbeit dem Menschen.«

Frithjof Bergmann, Philosoph und Sozialwissenschaftler

Einstieg

Den zukunftsvagen Begriff der New Work hatte zuerst der österreichisch-amerikanische Philosoph Fritjof Bergmann in die Debatte eingebracht, gleichermaßen von sinnentleerter kapitalistischer Lohnarbeit wie vom sinnüberfrachteten Arbeitsdirigismus sozialistischer Lebensformen abgestoßen. Ausgehend vom Begriff der individuellen Freiheit kritisiert er, dass darunter oft nur Entscheidungsfreiheit zwischen Alternativen verstanden werde, aber keine Handlungsfreiheit (vgl. Bergmann 2005).

Das kapitalistische »Jobsystem« sei an sein Ende gelangt, die Menschheit könne sich heute von der Knechtschaft durch Lohnarbeit befreien. Als zentrale Werte der New Work sieht er Selbstständigkeit, Freiheit und Gemeinschaftlichkeit an. Es gehe um »Arbeit, die man wirklich, will« (vgl. Bergmann 2004).

Die zentralen Werte zur Verwirklichung von New Work in der Arbeitswelt der Zukunft lassen sich auf die fünf Prinzipien Freiheit, Selbstverantwortung, Sinn, Entwicklung und soziale Verantwortung ausweiten (vgl. Väth 2016). Wichtig ist vor allem, dass New Work immer den Zusammenhang mit einer neuen Arbeits- und Lebenskultur herstellt. Kultur ist aber, wie beispielsweise Max Weber immer wieder betonte, ein Werteausdruck. Es geht also darum, dass Werte, und zwar neue Werte, in der gesamten Organisation verinnerlicht und gelebt werden (vgl. Bergmann 2017).

Inzwischen gibt es ein umfangreiches Schrifttum zu New Work, das viele wesentliche Punkte exzellent herausarbeitet (vgl. Hackl, Wagner, Attmer, Baumann, Zünkeler 2007, Brommer, Hockling 2019). Darin klingen immer wieder Grundthemen an, die auch für unsere Thematik wesentlich sind.

Da ist zunächst die bemerkenswerte Tatsache, dass trotz Digitalisierung und Algorithmisierung beim Future Learning wie bei New Work in vielen Untersuchungen und Betrachtungen der Mensch im Vordergrund steht, und zwar nicht nur in gemeinschaftlicher Form, sondern auch als sich entwickelndes, kreatives, selbstorganisiert handelndes Individuum (vgl. Hübler 2018). Der Selbstorganisationsaspekt führt dabei direkt zum Kompetenzverständnis hin, wenn man Kompetenzen als Fähigkeiten, kreativ und selbstorganisiert zu handeln, begreift (vgl. Breidenbach, Rollow 2019).

[26]Das Menschliche bleibt auch bei der Digitalisierung das Wichtigste (vgl. Karl 2020).

Eine solche Betonung individueller Selbstorganisation ist allerdings nur sinnvoll, wenn man den Mitarbeitern, Führungskräften, Personalverantwortlichen, Lernbegleitern oder Unternehmern eine hohe Souveränität zugesteht, ja, sie von ihnen fordert (vgl. Berend, Brohm-Badry 2020). Erst dann kann man revolutionäre Entwicklungen in der neuen Arbeitswelt verstehen und durchsetzen und wirklich neue Impulse für diese Arbeitswelt schaffen (vgl. Väth, Vollmoeller 2016). Wir verstehen unser Vorgehen, Werte- und Kompetenzmanagement als Grundlage von Future Learning und damit von New Work einzusetzen, als einen solchen Impuls.

Das ganze Feld von Future Learning und New Work wird von zwei großen Grundeinsichten fundiert:

Erstens wird es ohne eine Veränderung und Entwicklung der Fähigkeiten der Mitarbeiter und Führungskräfte, selbstorganisiert und kreativ Prozesse und Projekte zu gestalten, also ohne individuelle und kollektive Kompetenzen, weder ein zukunftsgerichtetes Lernen noch ein zukunftsfähiges Arbeiten geben. Im Gegensatz zu vielen anderen wichtigen Zukunftsaufgaben wissen wir bei Werten und Kompetenzen aber ziemlich gut, wie man sie erfassen, fördern und entwickeln kann. Eine Fülle von Untersuchungen, unsere eigenen eingeschlossen, gibt darüber valide Auskunft.

Zweitens wurde in unserem Umkreis unwiderleglich herausgearbeitet, dass Werte die Kerne von Kompetenzen darstellen, dass also jede Kompetenzentwicklung voraussetzt, dass Werte auf der Unternehmens- und Teamebene wie auch auf Ebene der einzelnen Mitarbeiter erfasst und gezielt entwickelt werden (vgl. Fischer 2019).

2.1 Disruption

Agfa, Fuji oder Kodak haben jahrzehntelang riesige Umsätze mit Filmen für Fotoapparate gemacht, die sie nach den Aufnahmen für die Kunden entwickelt haben. Ende der 1990er-Jahre wurde dieser Markt durch die Digitalfotografie radikal verändert. Lag der Anteil der Digitalkameras an verkauften Kameras im Jahr 2000 bei rund 12 Prozent, stieg dieser Wert 2010 auf fast 100 Prozent. Zwischenzeitlich werden digitale Kameras immer mehr durch Smartphones mit leistungsfähigen Kameras verdrängt, die ihre Bilder in der Cloud speichern.

Ähnliche Entwicklungen gab es, als Segelschiffe durch Dampfschiffe, Pferdekutschen durch Automobile oder Schallplatten durch CD und später Streamingdienste ersetzt wurden.

[27]Die 1997 von Clayton Christensen entwickelte Theorie der Disruption postuliert, dass jedes noch so erfolgreiche und etablierte Unternehmen eines Tages von einem solchen disruptiven Prozess betroffen wird (vgl. Christensen 1997).

»Unter Disruption (engl. Bruch, Unterbrechung) wird ein Prozess verstanden, bei dem ein bestehendes Geschäftsmodell oder ein gesamter Markt durch eine stark wachsende Innovation abgelöst beziehungsweise ›zerschlagen‹ wird.« (Gründerszene-Lexikon 2019)

Gemeint ist der Bruch linearer Entwicklungen unseres Wissens, unserer Wertevorstellungen, von heute weitgehend digital ablaufenden Informationsverarbeitungsprozessen oder des betrieblichen Handelns, das vor immer neuen Herausforderungen steht.5

Dabei schälen sich deutliche Bezüge zum Werte- und Kompetenzmanagement im Future Learning und New Work heraus (vgl. im Folgenden Erpenbeck, Heyse 2019, S. 11–34).

Keine technische Revolution hat die Arbeits- und Lernwelt so radikal verändert wie Digitalisierung und Vernetzung. Disruptive Innovationen finden gehäuft statt. Diese Innovationen verdrängen und zerstören erbarmungslos bisherige Technologien, Vertriebsmodelle und Märkte.

Während es sich bei einer Innovation um eine Erneuerung handelt, die den Markt nicht grundlegend verändert, sondern lediglich weiterentwickelt, bezeichnet die disruptive Innovation eine komplette Umstrukturierung beziehungsweise Zerschlagung des bestehenden Modells.

Disruption in diesem Verständnis berührt nicht nur Technologien und wirtschaftliche Faktoren. Auch Erkenntnisse aus der Gehirn- und Verhaltensforschung, Einsichten aus den Bereichen Datenschutz und Sozialökonomie, aus der modernen Bildungsforschung und Bildungsökonomie sind zu berücksichtigen (vgl. Borell 2015).

Sich im disruptiven Wettbewerb in Zeiten der Digitalisierung zurechtzufinden, heißt oft: navigieren im Nebel. Und dieses Navigieren bedarf tief verankerter, handlungsleitender Werte, die auf Erfahrungen und Überzeugungen beruhen. Um damit umzugehen, muss parallel zum Kompetenzmanagement ein ausgeprägtes, durchdachtes [28]Wertemanagement entwickelt werden, das ein vernünftiges, die disruptiven Umbrüche gestaltbar machendes Performanzmanagement einschließt (vgl. Erpenbeck, Sauter 2018 b).

Disruptive Innovationen schaffen Komplexität. Dies setzt eine andere Entwicklungsarbeit, eine neue Wertschöpfungslogik, angepasste Kompetenzen, eine andere Ertragslogik und meist auch veränderte Strukturen und Abläufe voraus (vgl. Matzler u.a. 2016, S. 83).

Die Bewältigung der gestiegenen und veränderten Anforderungen im Arbeitsleben erfordert eine Stärkung der Resilienz.

»Resilienz beschreibt die erfolgreiche Bewältigung arbeitsbezogener Herausforderungen, insbesondere im Kontext der Disruption.« (Soucek u.a. 2019)

Durch die Stärkung der psychischen Widerstandskraft trägt sie wesentlich zur psychischen Gesundheit der Mitarbeiter, aber auch der Krisenfestigkeit von Teams und Organisationen bei. Dabei ist festzuhalten, dass Kompetenzentwicklung schon per se das Potenzial in sich trägt, mit Disruptionen besser fertig zu werden als klassische, auf Wissensweitergabe und Qualifikation ausgerichtete betriebliche Bildungsmodelle, da sie auf die Entwicklung von Fähigkeiten gerichtet ist, in offenen Problemsituationen kreativ und selbstorganisiert zu handeln. Solche Situationen sind bestimmend für disruptive Innovationsprozesse.

Sich im disruptiven Wettbewerb in Zeiten der Digitalisierung zurechtzufinden, bedarf tief verankerter, handlungsleitender Werte, die auf Erfahrungen und Überzeugungen beruhen (vgl. Malik 2015). Um damit umzugehen, muss parallel zum Kompetenzmanagement ein ausgeprägtes, durchdachtes Wertemanagement entwickelt werden.

Werte- und Kompetenzmanagement bedingen sich gegenseitig.

2.2 New Work heute

»Wir sind jetzt in einer Welt, in der sich alles um Menschen dreht, […] in der jede Verbindung, die sich nicht absolut an Menschen ausrichtet, keinen Erfolg haben wird […].«

Bill McDermott, CEO von ServiceNow (vormals CEO von SAP)

Sehr eindrucksvoll hat Ibrahim Evsan, einer der wichtigen Webgründer in Deutschland, New Work als Sammelbegriff über zukunftsweisende und sinnstiftende Arbeit [29]mit Bedeutung und einem höheren Zweck definiert und das wirklich Neue an der New Work benannt: »Als Arbeitswelt, in der sich Menschen selbst verwirklichen und ihre Potenziale entfalten können. Als neue Art, Leben und Arbeiten zu verbinden. Als Zukunft der Arbeit und neue Kultur der Menschen. Als Verwirklichung und Selbstverwirklichung werteorientierten Handelns, Entwicklung ›digitaler Kompetenzen‹, von Wir-Gefühl und Teilhabe an der Gemeinschaft.« (Evsan 2021)

Alles klar wertegegründete Zielvorstellungen: »Die Arbeitswelt erfährt seit einigen Jahren einen grundlegenden und strukturellen Wandel. New Work ist der Inbegriff für diese Transformation. Besonders in diesen Zeiten wo wir durch die Pandemie ins Homeoffice befördert wurden. Die Auslöser für die New Work Entwicklung sind aber vielfältiger. Die Digitalisierung, Konnektivität, die Pandemie und Globalisierung sowie der demographische Wandel sind unter anderem die Ursachen für den Wandel der Arbeitswelt. Immer drängender stellt sich die Frage, wie wir mit dem Megatrend New Work umgehen.« (ebenda o. S.)

Für unser Herangehen wurde entscheidend, dass wir die Wege in die neue Arbeitswelt, in die New Work vor allem durch eine agile Werte- und Kompetenzentwicklung gebahnt sehen (vgl. Sauter, Sauter, Wolfig 2018). Was damit gemeint ist, haben wir so zusammengefasst:

»Das Verständnis von Lernen verändert sich in der agilen Arbeitswelt radikal. Die klassischen Vorstellungen von einer ›Wissensvermittlung‹, bei der Wissen über herkömmliche (Rede) oder moderne (Netz-) Kommunikationskanäle in die Köpfe der Nutzer übertragen wird, oder gar einer ›Werte- und Kompetenzvermittlung‹, ist nachweislich falsch. Selbstorganisierter Werte- und Kompetenzaufbau ist eine konstruktive Leistung jedes Einzelnen. Dieser Prozess kann jedoch durch den Aufbau eines bedarfsgerechten Ermöglichungsraumes mit professioneller Lernbegleitung initiiert und gefördert werden.« (ebenda S. 239)

Zwischenzeitlich hat sich die Bedeutung des Begriffes New Work grundlegend gewandelt. Häufig wird er mit Trends rund um digitale Transformation, Arbeiten 4.0 oder Wertewandel zu einer eher diffusen Wolke zusammengefasst. New Work ist damit heute ein Sammelbegriff, der zusammenführt, welche Veränderungen die Arbeit erfährt.

New Work wird vor allem durch folgende Merkmale geprägt (vgl. Evsan 2021):

Die Veränderungen der Arbeitswelt sind in vollem Gange und enden niemals.Der klassische »Nine-to-Five-Job« wird schon sehr bald in den meisten Branchen der Vergangenheit angehören.[30] Die Bindung an feste Arbeitsorte sowie standardisierte Zeiten und Organisationsstrukturen löst sich immer weiter auf.Die Arbeit der Zukunft ist flexibel und projektbasiert.Immer mehr Menschen sind freiberuflich tätig (Solopreneurship).Die alten Strukturen aus Hierarchien, Planung und Fehlervermeidung erweisen sich als unpassend für die schnelllebige Welt.Mitarbeiter benötigen einen zwanglosen Austausch von Informationen.Die Digitalisierung unterstützt und befreit die Menschen von Routineaufgaben und bietet mehr Funktionen durch Applikationen.Die Digitalisierung öffnet die Möglichkeiten der Kommunikation untereinander.Dies erhöht die Innovationskraft in den Unternehmen, aber auch in der Gesellschaft exponentiell, sorgt aber gleichzeitig auch für Unruhe.Die Grenzen zwischen Arbeit und Freizeit verwischen. Auch das sorgt für Unruhe.

Diese Aufgabe richtig zu lösen, bedeutet New Work.

New Work ist kein Programm, kein Prozess, sondern eine Frage der Haltung, der Kultur und der Führung.

Es geht um eine moderne Führung, die von Augenhöhe und Wertschätzung, mehr von Coaching und weniger von Ansage geprägt ist. New Work berücksichtigt das Gleichgewicht der Interessen.

Somit bedeutet New Work, ein innovatives und werteorientiertes Arbeitsumfeld zu schaffen.

Die wesentlichen Eckpfeiler dieser neuen Arbeitswelt sind nach einer Studie des Fraunhofer-Instituts für Arbeitswirtschaft und Organisation (IAO 2019):

Wertebasierung und Sinnstiftung durch Arbeit,agile Organisationsformen und Selbstorganisation,zeitliche Flexibilisierung der Arbeit,projektbasierte Organisationsformen,örtliche Flexibilisierung von Arbeit,veränderte Führungsstrukturen,neue Machtverteilung.

In einer aktuellen Studie wurde festgestellt, dass in etwa der Hälfte der untersuchten Organisationen New Work bereits umgesetzt ist (vgl. Hays 2021).

Am stärksten ist New Work in mittelgroßen Unternehmen auf dem Vormarsch, während sich im öffentlichen Sektor die Führungsstrukturen aufgrund der traditionellen Hierarchien nur langsam wandeln (vgl. im Folgenden ebenda).

[31]

Abb. 2: Umsetzung von New Work (Quelle: Hays 2021)

Die zeitliche Flexibilisierung der Arbeit ist nach Angaben der Befragten die häufigste Ausprägung von New Work in den Unternehmen. Da nicht alle Mitarbeiter gleichermaßen die Möglichkeit haben, zeitlich, aber auch örtlich flexibel zu arbeiten, können Spannungen durch Neid entstehen. Die aktuelle Coronapandemie hat jedoch dazu geführt, dass gerade die zeitliche und örtliche Flexibilisierung einen enormen Schub erfuhr. Während Homeoffice viele Jahre lang eine Arbeitsform für bestimmte Beschäftigtengruppen mit »Sonderstatus« war, ist daraus innerhalb kürzester Zeit eine Option für sehr viele geworden. Die Organisationen haben dabei überwiegend flexible Arbeitszeiten, Vertrauensarbeitszeiten und Wahlarbeitszeiten eingeführt und Homeoffice, auch durch geeignete Endgeräte, ermöglicht. Virtuelle Kooperationsformen werden stärker genutzt, weil externe, verschlüsselte Zugriffe auf Firmennetze eingerichtet und virtuelle Kooperationsräume geschaffen wurden. Eine Rückkehr in die alte Welt der reinen Präsenzkultur sehen wir eher als unwahrscheinlich an. Es ist vielmehr wahrscheinlich, dass mehr und mehr Beschäftigte zukünftig in Mischformen arbeiten werden.

Viele Mitarbeiter haben nach wie vor ein Problem damit, im Parallelbetrieb von Linie und Projekt zu arbeiten. Hierbei erzeugen Rivalität, aber auch strategische, kulturelle [32]und organisatorische Rahmenbedingungen Reibungen. Neben den Strukturen müssen sich hier auch die Werte aller Beteiligten verändern.

In einer zunehmend digitalisierten Arbeitswelt benötigen die Mitarbeiter Ordner, die ihnen eine Orientierung für ihr selbstorganisiertes Handeln geben. Deshalb gewinnen Werte und ihre Entwicklung immer mehr an Bedeutung.

Nur wenn Werte verinnerlicht, interiorisiert, zu eigenen Emotionen und Motivationen gewandelt werden, bewirken sie den angestrebten Kompetenzaufbau. Bloß gelernte, nicht interiorisierte Werte sind wertlos. Das Wertemanagement durchschlägt den gordischen Knoten dieser Wirkungslosigkeit. Es geht davon aus, dass Werte der Mitarbeiter nur in Kompetenzentwicklungsprozessen der Praxis, mit Coaching und Mentoring, manchmal, wenn auch seltener, in Trainingsprozessen interiorisiert werden. Es stellt diese Prozesse in den Vordergrund und nutzt sie. Die Wertehaltung, die mein Arbeits-, gar mein Lebensproblem löst, wird tief in meinen Emotionen verankert. Die Werte einer Organisationskultur, die von den Mitarbeitern emotional tief verankert werden – »Wir, das Unternehmen« – führen von Erfolg zu Erfolg.

Sowohl die Führungskräfte als auch die Mitarbeiter hinterfragen im Regelfall die sinnstiftende Wirkung ihrer Arbeit bisher wenig. Im Zuge der Nachhaltigkeitsdebatte entsteht aber vor allem bei jüngeren Arbeitnehmern ein verstärkter Wunsch nach der Sinnhaftigkeit ihrer Arbeit. Die Coronakrise hat zudem dazu geführt, dass solidarisches und nachhaltiges Handeln, aber auch die Zusammenarbeit und der Zusammenhalt in Teams in den meisten Unternehmen verstärkt wurden. Auch die gesellschaftliche Verantwortung der Unternehmen wurde stärker hinterfragt.

Agiles Arbeiten fällt vor allem älteren Führungskräften noch schwer. Hinzu kommt, dass kulturelle und organisatorische Hürden die Umsetzung agiler Arbeitsweisen bremsen. Veränderte Führungsstrukturen werden von etwa Zweidrittel der Führungskräfte abgelehnt, weil sie der Meinung sind, die Mitarbeiter würden überfordert, wenn sie stärker in die Entscheidungsfindung miteinbezogen werden. Dagegen glauben nur 44 Prozent der Mitarbeiter, dass sie überfordert wären, wenn die Führungskräfte Macht an sie delegieren würden.

Die Hürden für veränderte Machtstrukturen liegen vor allem im Bereich der Organisationsstrategie sowie der Organisations- und Führungskultur. Aufgrund der Coronapandemie wurden agile Arbeitsformen, auch mit neuen technischen Mitteln, in über 80 Prozent der Organisationen umgesetzt. Die Mehrzahl der Führungskräfte lernte, ihre Mitarbeiter mehr »loszulassen« und die Entscheidungsfindung stärker in deren Hände zu geben oder auf Teams zu übertragen. Insgesamt hat Corona dazu geführt, dass bestehende Prozesse enthierarchisiert und Strukturen stärker hinterfragt werden.

[33]Aus den Ergebnissen der Studie können folgende Empfehlungen für die Entwicklung hin zu New Work gegeben werden (ebenda S. 34):

klarer Rahmen, der von der Organisation vorgegeben wird,transparente Regelungen, die flexibel anpassbar sind,offene Kommunikation der Veränderungen in der gesamten Organisation unter Einbeziehung aller Mitarbeiter,gezielte Werte- und Kompetenz-Entwicklung der Führungskräfte,kleine Schritte anstatt des »großen Wurfes«,Förderung der Vielfalt.

2.3 Megatrend New Work – zukunftsweisend und sinnstiftend

»Wenn die Arbeit uns nicht mehr braucht, wofür brauchen wir dann die Arbeit?«

zukunftsInstitut 2021

Eine aktuelle Studie der Unternehmensberatung Deloitte (2021) kommt zum Ergebnis, dass wir in einer chaotischen Welt leben, die nicht berechnet werden kann. Um Umsatzwachstum und Gewinnerzielung mit Respekt und Unterstützung für die Umwelt und das Stakeholder-Netzwerk zu verbinden, müssen sich die Unternehmen auf menschliche Prinzipien und Werte stützen. Erst dadurch sind sie in der Lage, sich in disruptiven Prozessen ständig immer wieder neu zu erfinden.

Die digitale Transformation führt dazu, dass Maschinen immer mehr Aufgaben übernehmen. Wenn diese aber Arbeiten besser als ein Mensch übernehmen können, was bleibt dann noch für die Menschen übrig?

Seit Anfang 2020 waren alle Organisationen durch die Coronapandemie gezwungen, radikal veränderte Arbeitsweisen ohne Zeitverzögerung umzusetzen. Dabei wurde deutlich, dass die bereits vorhandenen Megatrends weiter verstärkt wurden.

Megatrends sind globale und mehrdimensionale Veränderungen, die sich oft langsam, aber sehr mächtig und nachhaltig über einen langen Zeitraum entwickeln und sich mit hoher Dynamik auf alle Lebensbereiche auswirken (nach zukunftsInstitut 2021).

New Work beschreibt einen radikalen Veränderungsprozess, der bei der Sinnfrage beginnt und dazu führen wird, dass sich die Arbeitswelt von Grund auf verändert. Denn Arbeit steht im Dienst des Menschen: Wir arbeiten nicht mehr, um zu leben, und wir leben nicht mehr, um zu arbeiten. In Zukunft geht es um die gelungene Symbiose von Leben und Arbeiten (vgl. ebenda).

New Work kann deshalb als Megatrend beschrieben werden.

[34]Die aktuelle Coronakrise zeigt, dass die Unternehmen, die am besten auf diese Herausforderung vorbereitet waren, die Arbeit so organisierten, dass schnelle Entscheidungen möglich waren. Dabei nutzten sie die Anpassungsfähigkeit und Mobilität ihrer Mitarbeiter konsequent. Hinzu kamen die flexible Anpassung der Investitionen und die konsequente Nutzung der entsprechenden Technologie.

Es geht also darum, die Widerstandsfähigkeit, den Mut, das Urteilsvermögen und die Flexibilität aller Mitarbeiter zu fördern. Besonders wichtig ist es, die Kreativität, die in Krisen freigesetzt wird, um zu überleben, für den Erfolg der Organisation in der Zukunft zu nutzen.

Die Organisationen benötigen in der Zukunft dynamische Lösungen für New Work, mit denen die menschlichen Stärken der Mitarbeiter gezielt entwickelt werden können. Dazu sind vor allem folgende Anforderungen zu erfüllen (vgl. ebenda):

die Disruption als Chance nutzen, um die Handlungs- und Entscheidungsfreiheit der Mitarbeiter zu erweitern, damit sie flexibel und selbstorganisiert handeln und lernen können,Work-Life-Blending, die körperliche, geistige, finanzielle und soziale Gesundheit der Mitarbeiter über eine durchdachte Arbeitsgestaltung direkt im Arbeitsprozess und nicht in begleitenden Programmen ermöglichen,mithilfe der Technologie die Arbeit so verändern, dass die Menschen ihre Kompetenzen optimal einsetzen können, z.B. durch Kollaborationstools, durch Kuratierung von Wissen oder Entscheidungshilfen mittels künstlicher Intelligenz,die gezielte Werte- und Kompetenzentwicklung selbstorganisiert und kollaborativ ermöglichen, um das Potenzial aller Mitarbeiter freizusetzen,über den Bereich Human Resources in organisationsübergreifenden, laufenden Prozessen das Was, Warum, Wer und Wie der Arbeit dynamisch neu gestalten.

Voraussetzungen für diese Re-Architektur der Arbeit sind:

gemeinsamer Rahmen von Werten und Normen, die das Handeln aller bestimmen,gezielte Entwicklung der Organisationskultur zu einer Wohlfühlkultur,die Ermunterung und Möglichkeit zur selbstorganisierten Gestaltung des Arbeitens und Lernens durch die Mitarbeiter,die gezielte, technologiegestützte Entwicklung der Teams, um deren Performanz zu steigern,die Werte- und Kompetenzentwicklung der Führungskräfte als Veränderungsmanager, als Netzwerkorganisatoren, als Moderatoren und als Entwicklungspartner ihrer Mitarbeiter und Teams,agile Gestaltung der Arbeits- und Lernprozesse in der gesamten Organisation,konsequente Nutzung neuer Technologien durch die Verknüpfung von Mensch und Maschine,flexible Anpassung der Organisationsstrukturen zu Netzwerkorganisationen und der Arbeitsprozesse mit hoher Kreativität und Agilität,[35] bedarfsgerechte Entwicklung der Arbeitsumgebungen unter Einbeziehung des Homeoffice und der Arbeitsverhältnisse, z.B. in Projekten, mit Freelancern, mit Zeitarbeitsfirmen oder Interimsmanagern,verbesserte Unternehmensleistungen, um insbesondere den Wert Familie zu fördern, z.B. durch Unterstützung für die Pflege von Angehörigen.

Diese Re-Architektur der Arbeit ist möglich. Dies zeigt sich in der aktuellen Krise, in der viele Personalbereiche spontan disruptive Herausforderungen bewältigt und neue, auch strategische Aufgaben übernommen haben. Es zeigt sich, dass Organisationen, die in der Lage waren, ihre Mitarbeiter, Teams und Führungskräfte auf gemeinsame Werte auszurichten, ihre Performanz steigern konnten. Deshalb sollte das Human Resources Management die Chance nutzen, seine Mission neu zu gestalten und die Initiative und Führung bei der Neugestaltung der Arbeits- und Lernwelt unter Nutzung innovativer Technologien in ihrer Organisation zu übernehmen (vgl. ebenda S. 49 ff.).

2.4 Agiles Handeln in der Welt des New Work

«Agiles Arbeiten ist heute bei über 90% der Unternehmen angekommen, häufig aber nicht konsequent umgesetzt. Eine breit angelegte Studie ergab folgendes Bild über die Anwendung agiler Ansätze in der Praxis:« (Hochschule Koblenz 2020)

Abb. 3: Anwendung agiler Ansätze in den Unternehmen (Hochschule Koblenz 2020)

[36]Was heute unter dem Begriff Agilität zusammengefasst wird, war auch schon vor Jahren größtenteils vorhanden, wurde aber noch nicht als Formenkreis wahrgenommen, der Lern- und Arbeitsprozesse insgesamt beeinflusst, der neue Werte und Kompetenzen erfordert und unser Verständnis von Future Learning und New Work massiv verändert.

Agilität ist das Merkmal, das in den Arbeitsprozessen der New Work und in den Lernprozessen des Future Learning immer mehr gefordert wird.

»Unter Agilität verstehen wir die Fähigkeit, sich kontinuierlich an seine komplexe, turbulente und unsichere Zukunft anzupassen.« (vgl. Häusling, Fischer 2016, S. 30)

Agilität ist ein Merkmal, das in den Arbeits- und Lernprozessen der modernen Wirtschaft immer mehr gefordert wird. Die neue industrielle Revolution, charakterisiert durch Begriffe wie Vernetzung, Digitalisierung und Komplexität, erfordert neue, fundamentale Werte, die von jedem einzelnen Handelnden verinnerlicht, interiorisiert, werden müssen, um in seinem Handeln wirksam zu werden.

Mit 84 Prozent ist Scrum weiterhin der meistgenutzte agile Ansatz auf Teamebene. Danach folgen Kanban, DevOps, Lean und Design Thinking (vgl. Toolbox Kap. 10.4.2). Hybride Formen, d. h. Kombinationen aus agilen und traditionellen Arbeitsformen, werden am stärksten genutzt, weil die Rahmenbedingungen, z.B. Zielvorgaben, mangelnde Akzeptanz im Umfeld oder Budgets, keine konsequente agile Bearbeitung zuließen. 85 Prozent der der Anwender agiler Methoden geben an, dass mit diesem Vorgehen Verbesserungen bei Ergebnissen und Effizienz eingetreten sind.

Am stärksten werden agile Methoden im IT-Bereich eingesetzt, im Nicht-IT-Bereich liegt der Bereich Logistik und Supply Chain mit 43 Prozent (geplant 59 Prozent) vorne. Es folgen mit abnehmenden Raten Finanzen, Produktion, HR, Marketing, Einkauf und Vertrieb.

Der Druck, häufiger agil zu arbeiten, kommt vor allem aus dem täglichen Geschäftsbetrieb sowie aus der Notwendigkeit, kundenorientierter zu arbeiten. Der Grund dafür ist, dass es mit traditionellen hierarchischen Strukturen und Wasserfallprojekten immer weniger möglich ist, mit den hohen Geschwindigkeiten von Innovations- und Technologiezyklen sowie den Anforderungen und Herausforderungen der digitalen Plattformökonomie fertigzuwerden. Disruption geschieht oft sehr schnell, unerwartet und plötzlich, was dazu führt, dass Unternehmensstrategien und Geschäftsmodelle immer häufiger angepasst werden müssen. Als größte Herausforderung bei der Etablierung agiler Methoden erweist sich die Organisationskultur (vgl. Lünendonk 2020, S. 18).

Es entwickelt sich eine agile Arbeitswelt, die grundlegend neue Handlungsweisen und Werte aller Mitarbeiter und somit digitale Kompetenzen erfordert. Der Wettbe[37]werb der Zukunft wird deshalb ein Kompetenzwettbewerb mit agilen Arbeits- und Lernmethoden sein.

2.4.1 Das agile Manifest

Im Jahr 2001 trafen sich 17 Hauptfiguren der agilen Entwicklungsszene, die als Leitlinie agiler Projekte das agile Manifest verabschiedeten.

Manifest für agile Softwareentwicklung6Wir erschließen bessere Wege, Software zu entwickeln, indem wir es selbst tun und anderen dabei helfen. Durch diese Tätigkeit haben wir diese Werte zu schätzen gelernt:

Individuen und Interaktionenmehr als Prozesse und WerkzeugeFunktionierende Softwaremehr als umfassende DokumentationZusammenarbeit mit dem Kundenmehr als VertragsverhandlungReagieren auf Veränderungmehr als das Befolgen eines Plans

Das agile Manifest hatte seinen Fokus sehr stark auf die Softwareentwicklung. Heute wird versucht, die gesamte Wertschöpfungskette einer Organisation nach diesen Prinzipien zu gestalten. Modern Agile7 ist solch ein Ansatz, der zum Ziel hat, das Manifest allgemeingültig umzusetzen.

Modern Agile ist durch folgende Prinzipien geprägt:

Macht Menschen großartig: Organisationen legen den Fokus verstärkt auf die eigenen Mitarbeiter und versuchen, ihnen die bestmöglichen Voraussetzungen zu schaffen, um ihre Aufgaben zu erledigen. Dies stärkt die intrinsische Motivation und führt zu engagierten Individuen, die ihr Bestes für den gemeinsamen Erfolg geben.Liefert fortlaufend Wertvolles aus: Eine schnelle Lieferung eines Mehrwerts für interne wie auch externe Kunden fördert das Vertrauen und die Zusammenarbeit. Somit ist es möglich, partnerschaftlich an Themen zu arbeiten und das Feedback von Kunden flexibel in die Arbeit einfließen zu lassen. Dies führt zu besseren Ergebnissen, da der Kunde genau das bekommt, was er will.Macht Sicherheit zu einer Grundvoraussetzung: Damit Menschen ihre ganzen Stärken ausspielen und für ihre Organisation einsetzen können, müssen sie sich in ihrem Umfeld auch sicher fühlen. Selbstorganisiertes Arbeiten im direkten Kontakt mit dem Kunden erfordert mutiges Auftreten. Dies ist nur möglich, wenn der [38]Mitarbeiter sicher ist, auch in schwierigen Fällen die volle Rückendeckung seiner Kollegen und der gesamten Organisation zu haben.Experimentiert und lernt zügig: In sich immer schneller verändernden Umgebungen ist es notwendig, sich entsprechend weiterzuentwickeln. Dies ist nur möglich, wenn die Mitarbeiter experimentieren und kontinuierlich lernen können. Dadurch sind sie immer auf dem aktuellen Stand und lernen mit neuen Herausforderungen flexibel und pragmatisch umzugehen.

Modern Agile ist nur einer der möglichen agilen Ansätze, jedoch ist das Ziel immer dasselbe:

Die Menschen und ihre Kommunikation in den Mittelpunkt zu stellen, um schnelles und eigenverantwortliches Lernen zu ermöglichen, damit die Herausforderungen flexibel mit den bestmöglichen Ergebnissen erfüllt werden.

2.4.2 Agilität in der Organisation

Die Entwicklung agiler Arbeitssysteme hat revolutionäre Konsequenzen für das Corporate Learning, die betriebliche und berufliche Aus- und Weiterbildung. Je schneller sich Handlungsziele, Handlungsmethoden und das explodierende Wissen ändern, desto mehr werden Menschen gefragt sein, die in diesem Chaos der offenen Möglichkeiten neue Ideen entwickeln und über Fähigkeiten verfügen, darin selbstorganisiert und kreativ zu handeln. Diese Fähigkeiten bezeichnet man als Kompetenzen (vgl. Erpenbeck, Grote, Sauter, v. Rosenstiel 2017).

Die agile Arbeitswelt wird deshalb eine Kompetenzwelt sein, in der Werte als Handlungsanker für selbstorganisierte Prozesse mit digitalisierten Systemen dienen.

In der unternehmerischen Praxis haben sich zwischenzeitlich eine Vielzahl von agilen Methoden wie Scrum, Kanban, Pulse, Design Thinking, DevOps, Holokratie, Lean Startup oder das kollegial geführte Unternehmen (vgl. Sauter, Sauter, Wolfig 2018, S. 21 ff., Toolbox Kap. 10.4.2) durchgesetzt. Viele weitere Ansätze und Bewegungen, wie beispielsweise Responsive Org8, Teal Organization9 oder Soziokratie10, die auf dem Prinzip der Agilität basieren, führen diese Methoden konsequent weiter.

[39]Nur wenn jeder Mitarbeiter die Möglichkeit hat, sich mit seinen Werten und Kompetenzen in die Organisation einzubringen und dies auch will, kann es gelingen, dass eine Organisation flexibel auf alle internen und externen Anforderungen reagiert. Dies bedeutet jedoch gleichzeitig, dass die Entscheidungsverantwortung an die Mitarbeiter übertragen wird und sich das Management deutlich zurücknimmt. Organisationen, welche bisher durch die Hierarchie geprägt wurden, benötigen deshalb ein Netzwerk, in welchem sich die Mitarbeiter völlig frei und unabhängig austauschen können (vgl. Kotter 2012). Nur Netzwerkorganisationen, in welchen Informationen und Erfahrungswissen frei zwischen verschiedenen Hierarchieebenen, Abteilungen und Geschäftsbereichen ausgetauscht werden können, sind in der Lage, die notwendigen Anpassungen zu leisten.

Gleichzeitig ist es notwendig, dass alle Mitarbeiter die Möglichkeit haben, sich im Arbeitsprozess laufend weiterzuentwickeln, damit sie die neuen Herausforderungen bewältigen können. Voraussetzung dafür ist eine kulturelle Veränderung, in der die Mitarbeiter und ihre Interaktionen mit dem Ziel in den Mittelpunkt gestellt werden, sich kontinuierlich auszutauschen und voneinander lernen zu können.

Um sicherzustellen, dass auch alle Mitarbeiter an denselben Zielen arbeiten und ihre Entscheidungen im Sinne der Organisation treffen, braucht es eine übergreifende Vision, mit der sich die Mitarbeiter auch identifizieren können. Wenn die Mitarbeiter diese Vision verstehen und verinnerlichen, können sie auch die Entscheidungen treffen, die notwendig sind, um gemeinsam in die gewünschte Richtung zu gehen.

2.4.3 Agiles Handeln

Wir haben es aktuell mit einer dramatischen Veränderung der menschlichen Produktivkräfte zu tun. Ab der Mitte des vorigen Jahrhunderts vollzog sich der gewaltigste Entwicklungsschub der Produktivkräfte in der Menschheitsgeschichte. Der Revolution der Werkzeuge folgte eine sich ständig beschleunigende Revolution der Denkzeuge. (vgl. Rosa 2005) Diese Revolution ist so folgenreich, dass wir von einer neuen Epoche, dem digitalen Zeitalter, sprechen. Sie erfordert Menschen mit Fähigkeiten, Entwicklungen selbstorganisiert und kreativ zu gestalten (vgl. Erpenbeck, Sauter 2017).

Das agile Projektmanagement wird durch folgende Merkmale geprägt (vgl. im Folgenden ebenda S. 23 ff., vgl. Schermuly 2019):

Agile Werte und agile Kompetenzen bilden das Fundament.Agile Prinzipien bestimmen die Grundsätze des Handelns.Agile Praktiken sind Verfahren agilen Handelns.Agile Methoden bilden eine Gesamtstruktur agiler Praktiken.

[40]Entscheidend für den Erfolg agiler Methoden in der Praxis sind die Mitarbeiter, die diese Methoden anwenden. Auch wenn eine agile Methode optimal implementiert wurde, das Team aber die notwendigen Werte nicht verinnerlicht hat, wird das mögliche Potenzial dieses Ansatzes nicht ausgeschöpft. Es ist sogar davon auszugehen, dass die erzielten Effizienzsteigerungen bald wieder auf das ursprüngliche Niveau sinken.

Die Kernelemente einer agilen Organisationsstruktur sind (vgl. Schiffer 2019):

Squad: die kleinste Einheit, meist sechs bis neun Mitglieder, die sich auf eine bestimmte Leistung oder einen Kunden ausrichtet,Tribe: Zusammenfassung mehrerer Squads,Chapter: Mitarbeiter mit gleicher Funktion,Guild: Gruppe von Mitarbeitern in einer agilen Struktur, die dieselbe Fachkompetenz oder dieselben Interessen haben.

Nur Mitarbeiter, Teams und Organisationen, die sowohl die Werte und Kompetenzen als auch die Prinzipien, Praktiken und Methoden agilen Arbeitens und Lernens interiorisiert haben, werden eine kulturelle Veränderung und damit eine Steigerung der Performanz erreichen.

2.4.3.1 Agile Werte

Übertragen auf unser Wertemodell (vgl. Kapitel 4.1) sind beispielsweise im Scrum Framework vor allem folgende agile Werte von Bedeutung:

Agile Werte am Beispiel ScrumAusprägungenVerantwortungMut: Bereitschaft, Entscheidungen zu treffen und neue Wege zu gehenIn agilen Teams übernehmen einzelne Mitarbeiter oder Teams als Ganzes die gesamte Verantwortung für die Umsetzung. Wenn man Entscheidungen treffen muss, die bisher von den jeweiligen Führungskräften getroffen wurden, erfordert dies im ersten Schritt Mut, diese Verantwortung zu übernehmen. Führungskräfte in hierarchisch geprägten Unternehmen müssen bereit sein, Verantwortung auf ihre Mitarbeiter zu übertragen. Deshalb sind verbindliche Vereinbarungen notwendig, die das Vertrauen aller Beteiligten genießen. Die Mitarbeiter müssen deshalb lernen, persönlich oder im Team Verantwortung zu übernehmen.KreativitätFokus: Konzentration auf die vereinbarten Praxisaufgaben und -projekte, um zielorientiert und kreativ zu arbeiten und zu lernenDie Mitarbeiter sollten sich jeweils auf eine wertschöpfende Tätigkeit konzentrieren und parallel laufende Tätigkeiten (Multitasking) so weit wie möglich reduzieren. Sie sollen dadurch Zeit und Muße finden, um zielorientiert und kreativ zu arbeiten. Dabei sollten sie von den Führungskräften unterstützt werden, die ihnen die notwendigen Freiräume sichern.[41]RespektDie Mitarbeiter achten ihre Entwicklungspartner und betrachten sie als gleichwertig.Da Teams in agilen Organisationen eine zentrale Rolle spielen, ist gegenseitige Achtung eine zwingende Voraussetzung, besonders in bereichsübergreifenden Zusammensetzungen. Damit kann das in hierarchisch organisierten Unternehmen weit verbreitete Silodenken inklusive seiner vielen Vorurteile überwunden werden. Erst dadurch wird es möglich, bei der Entwicklung von Lösungen unterschiedliche Perspektiven zu berücksichtigen.NetzwerkCommitment: Bereitschaft, auf Veränderungen zu reagieren, sich mit Kollegen auszutauschen und sein eigenes Wissen zu teilenDiese Offenheit muss auch auf der Ebene der Teams und der Organisation gelebt werden, um die entsprechende Kultur aufzubauen. Nur dann ist eine lernende Organisation denkbar (vgl. Senge, 11. Aufl. 2017). Diese Vision soll allen Mitarbeitern einer Organisation das gemeinsame Lernen ermöglichen und diese Prozesse aktiv fördern. Daraus entwickelt sich die Organisation kontinuierlich selbst weiter. Lernen wird damit zum integralen Bestandteil der Organisation und liegt primär in der Eigenverantwortung der Mitarbeiter. Die Führungskräfte unterstützen diesen natürlichen Lernprozess als Mentor, d. h. als Entwicklungspartner, ihrer Mitarbeiter. Die Mitarbeiter benötigen Transparenz über alle relevanten Informationen, aber auch gemeinsame Werte, um Entscheidungen im Sinne der Unternehmensstrategie treffen zu können. Deshalb sollten sie möglichst freien Zugang zu allen Informationen, aber auch zum Erfahrungswissen ihrer Kollegen erhalten. Deshalb gewinnt das soziale, kollaborative Lernen der Mitarbeiter im direkten Kontakt oder im Netz deutlich an Bedeutung.GemeinnutzWertschätzung: Jeder Mitarbeiter gibt sein Bestes im Sinne des Teams und der Organisation.Das agile Leitbild geht von dem wertschätzenden Menschenbild aus, dass jeder Mensch zu jeder Zeit sein Bestes gibt, vertrauensvoll mit der ihm übertragenen Verantwortung umgeht und versucht, immer im Sinne und besten Interesse seines Teams und der Organisation zu agieren. Damit steigt auch die Wahrscheinlichkeit, wertschätzende Reaktionen zu erfahren.Individuelle FreiheitVertrauen: Jedem Mitarbeiter wird grundsätzlich Vertrauen entgegengebracht. Es ist kaum möglich, Verantwortung zu übertragen und selbstorganisierte Entscheidungen und Handlungen der Mitarbeiter zu ermöglichen, wenn man ihnen keine persönlichen Freiräume zugesteht. Diese Anforderung muss auf allen Ebenen gesichert sein.

Tab. 3: Agile Werte am Beispiel Scrum mit Erweiterungen (vgl. Schwaber, Sutherland 2017)

[42]2.4.3.2 Agile Kompetenzen

Basierend auf diesen Werten lassen sich, angelehnt an unser Kompetenzmodell (siehe Kapitel 4.2), die Kompetenzen und Handlungsprinzipien bzw. Praktiken ableiten, die Mitarbeiter kennzeichnen, die zukünftig erfolgreich agieren können:

Agile KompetenzenAusprägungenErfahrungsorientiertes HandelnHandelt auf Basis gefestigter Erfahrungen und Werte und baut diese kontinuierlich aus.Dies erfordert kontinuierliche Reflexionen und laufende, flexible Anpassungen an Veränderungen, um die Arbeitsprozesse zu optimieren. Die Mitarbeiter kommunizieren offen und direkt ohne Rücksicht auf Rang, Hierarchie und Formalismus, tauschen ihr Erfahrungswissen laufend aus und entwickeln es gemeinsam weiter.Selbstorganisiertes HandelnGestaltet mit vollem Einsatz und kreativ das eigene Handeln.Die Mitarbeiter tragen die uneingeschränkte Umsetzungsverantwortung. Die Führungskraft gibt im Rahmen der strategischen Orientierung die Schwerpunkte der Arbeit und die Ziele vor. Das Team entscheidet, welches Teammitglied die einzelnen Aufgaben übernimmt und wie die Arbeit umgesetzt wird. Auf Basis der Rückmeldungen der Kunden wird der Prozess der Leistungserstellung laufend optimiert. Definitions of Done (DoD) geben dabei die Regeln vor, die im Bearbeitungsprozess zu beachten sind.Problemlösendes HandelnInitiiert und realisiert alleine sowie mit anderen Prozesse zur Bewältigung von Herausforderungen.Dies setzt eine konsequente Fokussierung auf die internen und externen Kunden und deren Bedürfnisse voraus. Durch interdisziplinäre Teams werden verschiedene Sichtweisen zusammengeführt. Durch Visualisierung, enge Zeitvorgaben (Timeboxing), Zyklisierung und Regelmäßigkeit (Sprint Iteration und Daily Stand-up), regelmäßige Priorisierung, gemeinsame Orientierung (Vision), Definition von Arbeitspaketen (Backlog), Verdeutlichung durch User Stories, hohe Planungsdiziplin (Planning), regelmäßige Reflektion (Retrospektive) und Bewertung durch die Kunden (Review) können Probleme effizient gelöst werden.Konsequentes HandelnHandelt mit starkem Willen an Zielen orientiert und mit hoher Durchsetzungskraft.Agiles Arbeiten orientiert sich konsequent an den Mitarbeitern. Jeder Mitarbeiter übernimmt dabei Verantwortung für sein Handeln. Deshalb wird eine konsequente Aufgabenverteilung vereinbart: Scrum Master übernehmen die Verantwortung für die Methoden, Product Owner vermitteln die Vision und priorisieren Aufgaben, Umsetzungsteams entwickeln die Produkte und treffen Entscheidungen und Changeverantwortliche koordinieren die ganzheitliche und nachhaltige Transformation in die Organisation.[43]Handeln mit ExpertiseHandelt mit fachübergreifendem Verständnis vorausschauend und erreicht dadurch hervorragende Ergebnisse.Dabei ist jeder Mitarbeiter für die Qualität seiner Arbeit, orientiert an Akzeptanzkriterien, persönlich verantwortlich. In Abstimmung mit seinen Partnern und Kunden priorisieren die Mitarbeiter ihre Tätigkeiten und steigern dadurch die Effektivität.

Tab. 4: Agile Kompetenzen sowie Prinzipien und Praktiken am Beispiel Scrum (vgl. Schwaber, Sutherland 2017)

2.4.3.3 Agile Prinzipien

In der Praxis haben sich eine Reihe von Prinzipien agiler Arbeitsweisen bzw. Handlungsgrundsätze entwickelt, die sich als notwendige Voraussetzung für eine erfolgreiche Umsetzung erwiesen haben (ebenda). Diese Prinzipien unterstützen die Verinnerlichung von Werten und sorgen dafür, dass diese tatsächlich gelebt werden:

Agile PrinzipienAusprägungKontinuierliche Reflexion und laufende Anpassung