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Mit "Das Artefakt" erscheint Teil III des "Futurs Spur" Zyklus, der im Sammelband "Blicke ins Dunkel" mit den Horrorgeschichten "Der Afghanistan-Einsatz" sowie "Zukunftslos - Die Versuchung im Eis" begonnen wurde. Der russische Psychologie Korsakow ist Teil einer Mission, die Ende der 90er Jahre in die Südpolarregion entsandt wird, um dort die Herkunft eines mysteriösen archäologischen Fundstücks aufzuklären. Die Arbeit des Teams wird überschattet von hartnäckigen Schlafstörungen, die schließlich Aggression und offene Gewalt zur Folge haben. Doch sind diese Exzesse wirklich nur stressbedingt? Oder verbirgt sich im ewigen Eis Anartikas eine Bedrohung, die niemand je für vorstellbar gehalten hätte?
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Seitenzahl: 169
Veröffentlichungsjahr: 2020
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für meine freigeistigen Freunde Norbert und Jośko
Ich bedanke mich bei Norbert Georg Schwarz und Winfried Maaßen für das konstruktiv kritische Gegenlesen des Manuskripts und die Verbesserungsvorschläge.
Kapitel 1:
Kapitel 2:
Kapitel 3:
Kapitel 4:
Kapitel 5:
Kapitel 6:
Kapitel 7:
Kapitel 8:
Kapitel 9:
Kapitel 10:
Kapitel 11:
Kapitel 12:
Kapitel 13:
Kapitel 14:
Kapitel 15:
Zusammenfassung:
Das Artefakt
“[…] dreams are older than brooding Tyre, or the contemplative Sphinx, or garden-girdled Babylon.”
Howard Philipps Lovecraft, The Call of Cthulhu
„Im Anfang schuf ich Himmel und Erde.“
02.02.1996, Sektor 37, Antarktika
Ich weiß nicht, ob je ein Mensch diese Zeilen zu Gesicht bekommen wird. Dennoch fühle ich mich verpflichtet, wenigstens zu versuchen, der Nachwelt von den entsetzlichen Ereignissen zu berichten, die in nur wenigen Tagen den Tod einer ganzen Forschungsgruppe herbeiführen sollten.
Doch lassen Sie mich der Reihe nach erzählen, denn im Moment habe ich viel Zeit, die Zeit, die einem die Gewissheit des baldigen Todes zwangsläufig vermittelt. Ich befinde mich in Sektor 37, einem unwirtlichen Gebiet in der antarktischen Eiswüste. Die Küste des Südpolarmeers liegt nicht einmal eine Stunde mit dem Motorschlitten von hier entfernt. Und ausgerechnet in diesem verlassenen, hintersten Winkel unseres Planeten lauert eine Gefahr, wie sie bedrohlicher schon gar nicht mehr vorstellbar ist. Ein Schrecken von kosmischen Dimensionen liegt wie ein drohender Schatten über dieser in jeder Hinsicht kalten Eiswelt. Wohl nirgends ist das futurische Grauen näher als zu dieser Zeit an diesem Ort, denn obwohl ich ihn zum Glück nie im Wachzustand zu Gesicht bekommen habe, besteht doch kein Zweifel, dass es hier wirklich und wahrhaftig einen Futuren gibt.
Lassen Sie mich diesen Bericht mit der Bemerkung beginnen, dass die Menschen, deren Leichname nach grausamer Metamorphose nun in der Umgebung verteilt sind, heldenhaft versucht haben, das Unvermeidliche aufzuhalten, auch wenn die Spuren das Gegenteil nahelegen. Sie sollten niemals in Vergessenheit geraten. Momentan bin ich der einzige, der noch bei relativer geistiger Gesundheit am Leben ist. Es gibt inzwischen keinen Zweifel mehr, dass das Unterseeboot nicht mehr existiert und die Besatzung ist tot. Hier in der Basisstation lebt außer mir nur der Kapitän, oder besser, er vegetiert noch vor sich hin. Alle anderen hat der Tod hinweggerafft, unterstützt von einer Kreatur, die mit nichts zu vergleichen ist, was Menschen an Schrecken und Perversion je zu erdenken in der Lage waren.
Doch lassen Sie mich Ihnen vorstellen, wer immer Sie auch sein mögen, der dieses düstere Manuskript des Untergangs in den Händen hält. Mein Name ist Wladimir Korsakow, ich bin Russe. Ich arbeite als Psychologe im Dienste der Russischen Föderation. Tatsache ist, dass ich offiziell den Status eines Beobachters auf unserem U-Boot innehatte. Im Notfall hätte ich jedoch selbst dem Kapitän Befehle erteilen dürfen. Es kam allerdings anders.
Alles begann an einem Dienstag vor weniger als 3 Wochen. Ich kam gerade von einer Operation zurück, die sich mit angeblich paranormalen Phänomenen beschäftigen sollte. Später hatte es sich jedoch gezeigt, dass man die Untersuchungskommission bewusst täuschen wollte, um konventionelle Verbrechen zu vertuschen.
Ich war verärgert, dass man mich wegen solch einer Farce von meiner Forschungsarbeit abgezogen hatte, und hielt es für das Beste, mich unauffällig in mein Büro zurückzuziehen. Nur so konnte ich wirklich sicher sein, dass mir nicht eine Bemerkung über die Lippen gehen würde, die mir hinterher noch leidtun könnte. Und meine Forschung, die sich mit der Untersuchung von Theorien natürlicher und artifizieller Bewusstseinsbildung beschäftigt, zog mich bald wieder in ihren Bann.
Gerade als ich mir die neusten Ergebnisse meiner Assistenten durchsehen wollte, erhielt ich eine verschlüsselte Faxbotschaft. Nachdem ich sie durch die Dechiffrier-Maschine geschickt hatte, erkannte ich, dass man mich schon wieder auf eine Mission entsenden wollte. Obwohl mich das Einsatzgebiet durchaus reizte, kam mir beim Anblick der Missionsziele die Galle hoch. Ich sollte mit einem Team aus Physikern und Informatikexperten in ein Forschungszentrum in der Südpolregion gebracht werden.
Angeblich war unweit des Basislagers von einer Gruppe unserer Südpolarforscher ein kultisches Artefakt mitten im Eis fernab jeder Zivilisation entdeckt worden, das keiner bisher bekannten Kultur zugeordnet werden konnte. Dies glauben zu müssen war meiner Ansicht nach schon eine Zumutung, doch es sollte noch schlimmer kommen. Angeblich habe es sich bei diesem Objekt um eine Steinschatulle von nahezu unglaublichem Alter gehandelt, doch in ihrem Inneren sei eine CD-ROM Scheibe entdeckt worden.
Ich rief bei meinem Vorgesetzten an, ob es sich bei diesem Befehl denn um einen schlechten Witz handele, wurde jedoch grob zurechtgewiesen. Man schien den Aussagen der Wissenschaftler wirklich zu trauen und dem Ereignis eine mir unverständliche Bedeutung beizumessen. Und wenngleich ich heute meine Ignoranz zutiefst bedauere, war ich damals ziemlich überrascht.
Ich brauchte nicht lange, um meine Ausrüstung zusammenzustellen. Das meiste war ohnehin noch eingepackt, da ich gerade von der letzten Mission zurückgekommen war. Und so machte ich mich, nachdem ich noch einige notwendige private Geschäfte erledigt hatte, auf den Weg zu dem im Fax beschriebenen geheimen Planungszentrum.
Obwohl ich strenge Sicherheitsvorkehrungen von vorherigen Missionen kannte, überraschte mich doch das Ausmaß jener, die hier getroffen worden waren. Der Sitzungssaal befand sich hinter einer umklappbaren Wand versteckt. In der Umgebung des Gebäudes wimmelte es von Soldaten und Sicherheitskräften. Ich musste mehrere Kontrollen über mich ergehen lassen, dabei wurden mir meine Dienstwaffe und mein mobiles Funkgerät abgenommen. Als ich schließlich nach mehreren Identitätschecks den Sitzungssaal erreicht hatte, atmete ich erleichtert auf.
Im dem geheimen Raum befanden sich eine Vielzahl namhafter Wissenschaftler. Die Leichen eines Teils von ihnen sind jetzt in der Eiswüste außerhalb des Basislagers verstreut. Auch einige bedeutende Politiker und Militärs waren anwesend, die mir teils aus den Medien vertraut, teils völlig unbekannt waren. Was immer da draußen im ewigen Eis des Südpols passiert sein mochte, man schien es unglaublich ernst zu nehmen. So wurde uns denn auch mitgeteilt, dass alles, was wir zu sehen bekommen würden, strengster Geheimhaltung unterliege. Da jedoch mein Ableben nun unmittelbar bevorsteht, werde ich mein Schweigen brechen.
Ein kleiner, untersetzt wirkender Mann löste die Spannung, die alle Anwesenden im Saal verband, schließlich auf. Er zeigte Aufnahmen von einer Stelle unweit des Basislagers in Sektor 37 der Südpolarregion, wo mehrere Forscher mit der Bergung von Bohrkernen beschäftigt waren und ein Objekt im Inneren eines Bohrkerns entdeckt wurde, das zu regelmäßig erschien, um natürlichen Ursprungs zu sein. Ein Raunen des Erstaunens ging durch die Reihen.
Die Wissenschaftler vor Ort hatten, wie aus weiteren Aufzeichnungen deutlich wurde, das Objekt aus dem Eis befreit. Es bestand aus einer Steinschatulle, schwarz und schmucklos, aber mit dämonischen Entitäten eingraviert und einen seltsamen Glanz abstrahlend. Als die Wissenschaftler es öffneten, befand sich ein Objekt im Inneren, das einer CD-ROM-Scheibe erstaunlich ähnlich sah.
An dieser Stelle unterbrach der untersetzte Mann die Vorführung und setzte seinen Vortrag mit erklärenden Informationen fort. Er erläuterte, die ersten Radionuklidanalysen hätten ein Alter des Objekts ergeben, das das Alter jedes anderen Materials auf der Erde bei weitem übersteige. Man wusste mit dem Fund nichts anzufangen und konnte ihn nicht richtig datieren, also hatte man die Führung im Heimatland kontaktiert. Und so hatte uns die Botschaft erreicht.
Noch immer verstand ich nicht, warum man mich eingeladen hatte. Die Entdeckung mochte zwar auf eine abstrakte Weise interessant sein, mit meinem speziellen Interessengebiet hatte sie aber wenig gemein und so hatte ich Mühe, gelangweiltes Desinteresse zu verbergen. Ich weiß nicht, ob es auch anderen Zuhörern im Saal so erging. Auf jeden Fall verbargen diejenigen, die meine Geisteshaltung teilten, ihre wahre Einstellung so gut wie ich. Alle Blicke reflektierten nur eine nahezu ungeteilte Aufmerksamkeit. Einigen Wissenschaftlern im Sitzungssaal schienen vergleichbare Objekt, die dem Artefakt aus dem Südpolareis ähnelten, nicht ganz unvertraut zu sein. Andere ihrer Kollegen präsentierten interessante Theorien von Physikern, die die Möglichkeit eines Zeittransfers in Erwägung zogen.
Diese Konzepte erweckten jedoch auch wieder mein Interesse. Demnach, so wurde spekuliert, sei ein Objekt aus der Zukunft ins Jetzt transferiert worden, gegebenenfalls durch eine fremde oder gar künstliche Intelligenz. Um möglichen Gefahren in Bezug auf zeitliche Paradoxa vorzubeugen, sollte mit äußerster Vorsicht bei der Erforschung vorgegangen werden. Die unvorhersehbaren Effekte eines Temporärparadoxons mussten um jeden Preis vermieden werden.
Ich war mir damals nicht sicher, ob ich das Gesagte glauben oder als Hirngespinst abtun sollte. Aber es schien eine Menge einflussreicher Leute den vortragenden Wissenschaftlern zuzuhören bereit zu sein.
An jenem Abend hörte ich nur zu und meldete mich selbst nicht zu Wort. Als schließlich alle Theorien und Mutmaßungen durchdiskutiert waren, wurde der rein praktische Teil unserer geplanten Operation durchgesprochen.
Der Mann, in dessen Augen jetzt unweit von mir das Feuer des Wahnsinns lodert, trat ans Rednerpult. Es war der Kapitän eines Unterseebootes, Kommandant Igor Treblenski. Er und die 20 Mann starke Besatzung seines U-Boots hatten die Aufgabe, unser Team bestehend aus 10 Wissenschaftlern und noch einmal so vielen bewaffneten Sicherheitskräften in die Südpolarregion zu bringen.
Treblenski erklärte, dass er sicherstellen werde, dass unser Team wohlbehalten zum Einsatzort und wieder zurück gebracht würde. Dieses Versprechen wird er nun nicht mehr einhalten können. Damals war der Kommandant ein intelligenter, durchtrainierter Mann in den besten Jahren. Man musste nicht daran zweifeln, dass er in der Lage sei, den in ihn gesetzten Erwartungen gerecht zu werden.
Was mir an der Mission nicht sonderlich gefiel, war der nahe Abreisetermin. Tatsächlich sollte uns noch am gleichen Abend ein Flugzeug zu einer Militärbasis auf einer Insel nahe der Südpolarregion bringen. Dort würde uns das U-Boot aufnehmen. Der abschließende, teilweise unter Wasser vorgesehene Anteil der Reise sollte ein möglichst hohes Maß an Diskretion sicherstellen.
Mir war damals nicht klar, warum die Führung so großen Wert auf Geheimhaltung legte. Als wir am frühen Morgen des darauffolgenden Tages die Küste des kärglichen Eilands, das kaum mehr als einen Felsen mit einer Landebahn darstellte, erreicht hatten, sahen wir im Glanze der aufgehenden Sonne das Unterseeboot aus den Wellen auftauchen. Das kleine Spionagetauchboot, in dem es für unser Team und die Ausrüstung absehbar extrem eng werden würde, bot keinen majestätischen Anblick. Zudem hätten wir es begrüßt, in der Kälte des Morgens ins Innere zu kommen, anstatt nur den Anblick zu genießen. Doch tatsächlich wurde trotz der ungastlichen Witterung nicht auf die peinliche Kontrolle unserer Identitäten verzichtet.
Im Inneren des U-Boots, das nun für längere Zeit unser Gefängnis sein sollte, war es ausgesprochen eng. Der Zugang zur Kommandozentrale war nur Treblenski und seinen Offizieren erlaubt, wir Wissenschaftler durften unsere Quartiere, die aus nicht viel mehr als mehrstöckigen Liegen und ein wenig Stauraum bestanden, abgesehen von einer einmaligen Führung durchs Schiff kaum verlassen.
Und so dehnte sich die Fahrt schier endlos. Beschweren half nichts, auf seinem Schiff galt nur das Wort von Kapitän Treblenski, was ich trotz meiner Sondervollmachten klaglos akzeptierte. Wir kamen während unserer Reise nicht einmal zum Ergänzen der Vorräte von Bord, da sich zwischen der Insel und der Antarktis kein Land mehr befand und das U-Boot nur einmal nachts auf See von einem vermeintlichen Forschungsschiff versorgt wurde. Es war offensichtlich, dass unsere Führung größten Wert auf die Diskretion unserer Unternehmung legte.
Für uns Wissenschaftler wurde die Fahrt zu einem nicht enden wollenden Martyrium und schon bald war es bei der ständig gleichbleibenden Beleuchtung im Inneren des U-Boots nahezu unmöglich, Tag und Nacht zu unterscheiden. Wenigstens hatten wir nicht mit Seegang zu kämpfen, da unser Kommandant fast während der ganzen Fahrt unter Wasser navigierte.
Erst nachdem wir den südlichen Polarkreis überquert hatten, gab Treblenski den Befehl zum Auftauchen auf Periskoptiefe. Die Maschinenleistung wurde gedrosselt und mit gebotener Vorsicht steuerte Treblenski das Boot durch eine nur für den Navigator am Periskop sichtbare, bizarr anmutende Welt aus Eisbergen und Treibeis. Als schließlich Land in Sicht kam, ließ er auftauchen und auch wir Wissenschaftler konnten an Deck etwas frische Luft schnappen.
Es war schneidend kalt, so dass selbst die Salzwasserspritzer an der Schiffshülle zu Eis erstarrten. Wir mussten noch einige Zeit manövrieren, bis wir schließlich jenes Küstengebiet erreichen sollten, das unserem Ziel am nächsten lag.
Bereits in der vorletzten Nacht vor unserem Landgang schlief ich schlecht und wurde von einem lebhaften Albtraum heimgesucht. Ich war gerade eingeschlafen, als sich mir sehr plastisch der Eindruck aufdrängte, in meiner Koje nicht mehr allein zu sein. Ich meine dabei nicht die allgegenwärtige Nähe anderer Menschen auf dem viel zu engen U-Boot. Mir war vielmehr, als sei eine fremde Präsenz in meinem Kopf aufgetaucht; dunkel, bösartig und voller Hass auf alles Lebende und Atmende. Der Eindruck war zunächst so fremd, dass sich in dem Traum keine Bilder einstellten; nur ein allgegenwärtiges Gefühl von Atemnot, Beklemmung und drückender Enge. So sehr ich mich auch bewegen und schreien wollte, gehorchte mir doch kein einziger Muskel. Ich war gefangen, in meinem Körper eingesperrt mit der dunklen Präsenz, die noch sehr schwach und fern wirkte, jedoch mit jedem Augenblick an Intensität und Gegenwart gewann. Schließlich erschien, erst kaum erkennbar, dann jedoch immer deutlicher, die Umgebung in ein giftig blau-pulsierendes Licht getaucht und ich vermeinte Umrisse wahrzunehmen. Meine Beklemmung nahm zu, denn ich konnte plötzlich sehen, warum ich mich nicht zu bewegen vermochte. Auch wenn die Wahrnehmung falsch wirkte, wie etwas, das für das Bewusstsein zu komplex ist und daher in einfachere Bilder umgeformt wird, mit denen ein menschliches Gehirn umgehen kann, war der Eindruck doch entsetzlich real. Ich lag ausgestreckt in einem sehr engen, mit elfenbeinfarbenem Satin ausgekleideten Hohlraum, der dicht über meinem Kopf abschloss. Die Form war vage hexagonal und die geringe Höhe erlaubte noch nicht einmal die Arme anzuwinkeln. Ein Gefühl vagen Erkennens durchzuckte mich und meine Angst potenzierte sich, als mir bewusst wurde, dass ich mich im Inneren eines verschlossenen Sarges befand. Ich hörte ein rhythmisches Schlagen auf den Sargdeckel und verstand. Von außen wurde schwere, feuchte Erde auf den Sarg geschaufelt. Ich wurde gerade lebendig begraben.
Ich versuchte zu schreien und mit den Knien gegen den Sargdeckel zu stoßen, brachte jedoch nicht mehr als ein dumpfes Krächzen hervor. Der Satinbezug schluckte jeden Schall. Nackte Panik stieg in mir auf und ich spürte, wie ich schneller zu atmen begann, während der Sauerstoffgehalt in der engen Kammer ab- und zugleich der Kohlendioxidgehalt zunahm. Parallel dazu stellten sich dröhnende Kopfschmerzen ein und die fremde, bösartige Präsenz wurde zunehmend plastischer. Inmitten des Dröhnens der Kopfschmerzen vermeinte ich schließlich Silbenfolgen zu identifizieren, deren monotone Wiederholung mit dem Pulsieren des giftig-blauen Lichts synchronisiert zu sein schien. Die entsetzlichen Silben haben sich tief in mein Gedächtnis gegraben, so dass ich sie hier wiedergeben kann: "Ew'Crohk'Okrh'Ur Fhu'Utu'Uh'Ur Gra'Ffhot'Fang." und "Gr'Akha'Hro Okrh'Ur Fhu'Utu'Uh'Ur Kro'Glarr Va'Jei Lei'Ah." Am meisten entsetzte mich aber, dass mein Gehirn synchron die Silben für mich übersetzte, auch wenn ihr Kontext für mich zu diesem Zeitpunkt noch unverständlich blieb: "Fhu'Utu'Uh'Ur wacht im toten Okrh'Ur über den Lauf der Geschichte, den er kraft seiner unsterblichen Macht bald selbst bestimmen wird.“ und "Im toten, düsteren Okrh'Ur lechzt jaulend der unsterbliche Fhu'Utu'Uh'Ur nach seiner gnadenlosen Rache." Begleitet war das Verständnis der Silben von dem vagen Gefühl eines grenzenlosen Hasses auf alles Existierende, eines Hasses, der mich noch einmal laut aufschreien ließ, auch wenn der Sauerstoffgehalt weiter abnahm und meine Bewegungen langsam erlahmten. Bevor jedoch Kopfschmerz und Atemnot übermächtig werden und mein Bewusstsein mit dem sanften Schleier der Bewusstlosigkeit auslöschen konnten, spürte ich in aller Deutlichkeit, dass etwas Irreversibles geschehen war, während das blaue Pulsieren langsam erlosch und die Satinwände des Sargs wieder zu schwarzem Nichts gerannen. Etwas unglaublich Altes und Mächtiges, das über Jahrmilliarden in einem todesähnlichen Zustand verbracht hatte, war dabei zu erwachen. Und während die ultrakomplexen Bewusstseinsvorgänge des nach Äonen Erwachenden langsam ihrer selbst bewusst wurden, der Erwachende nun gleichsam seine Fühler in die Welt auszustrecken begann, kehrte auch die Erinnerung dieses gottähnlichen Geschöpfes zurück. Und neben dem unbändigen Hass auf die, die den Erwachenden jenem äonenwährenden Schicksal überantwortet hatten, kehrte noch ein weiteres Gefühl zurück: Der Hunger auf menschliche Hirnimpulse und die damit verbundene lustvolle Stimulation, die ihn als einzige mit der Sinnlosigkeit seiner ewigwährenden Existenz kurzfristig zur versöhnen vermochte. Während die Fühler des Erwachenden zunächst schwach, dann aber immer deutlicher Reize aufnahmen, mischte sich in den Hass der dunklen Präsenz ein weiteres Gefühl, das mich stöhnend zurückschaudern ließ: Lustvolles Frohlocken verbunden mit abgrundtief böser Vorfreude. Mit diesem letzten Gefühl tiefdunkler Verheißung verblasste die fremdartige Präsenz und ich fuhr mit einem Schrei aus dem Schlaf auf.
Die Kopfschmerzen aus meinem Traum waren noch vorhanden, jedoch denkbar trivialen Ursprungs. Beim Auffahren in der viel zu engen Koje hatte ich mir derb den Kopf angestoßen. Ich war nicht allein, natürlich nicht, die einzigen „Präsenzen“ waren jedoch die Seeleute und Wissenschaftler, die mit mir gemeinsam die Kojen nutzten und nicht zur Schicht eingeteilt waren. Ich war nicht der einzige, der in der Koje nicht schlief, was in dieser Phase der Nachtruhe ungewöhnlich war. Aus anderen Kojen erklang schweres Atmen, als wenn auch deren Benutzer sich in quälenden Albträumen wanden. Niemand sagte etwas, schon um die Schlafenden nicht zu stören und ihnen die wenigen Stunden Ruhe nicht streitig zu machen. Ich nahm mir vor wach zu bleiben, so beängstigend war der Albtraum gewesen. Bleierne Müdigkeit und die sanften Bewegungen des U-Boots forderten jedoch ihren Tribut, so dass ich wieder in einen Dämmerzustand hinüberglitt und schließlich einschlief. Diesmal war mein Schlaf traumlos, jedoch nicht erholsam und ich fühlte mich wenige Stunden später wie gerädert, als man mich schließlich weckte.
Mehr schlecht als recht wieder auf den Beinen, bemerkte ich, dass ich keineswegs der einzige an Bord war, der übernächtigt und schlecht ausgeruht wirkte, auch wenn niemand versuchte, sich etwas anmerken zu lassen. Sollten andere Besatzungsmitglieder vergleichbare Albträume gehabt haben wie ich, so sprach doch niemand darüber.
Am derangiertesten wirkte Kommandant Treblenski selbst, auch wenn er mit eiserner Disziplin versuchte, sich keine Schwäche anmerken zu lassen. Seine Augen waren gerötet und mit tiefen Ringen unterlegt, hin und wieder musste er sich sogar sichtbar Mühe geben, kein unkoordiniertes Zittern zu zeigen. In der Kommunikation war er noch deutlich einsilbiger als sonst und beschränkte sich auf knappe Befehle, die er kurz darauf schon wieder vergessen zu haben schien. Auch wenn sein verstörendes Verhalten unmöglich nur mir aufgefallen sein konnte, sprach ihn doch niemand darauf an; vielmehr sahen alle respektvoll darüber hinweg. Ich fragte mich, ob wir Treblenski wirklich einen Gefallen damit taten.
Während sich das U-Boot dem Zielgebiet näherte, wurde das Wetter immer rauer. Starker Wind und schwere See zwangen den Kommandanten schließlich zum Tauchgang. Es wurde schlagartig ruhiger, als der Schiffskörper nicht mehr dem Spiel von Wind und Wellen ausgesetzt war. Dafür war auch die Sicht drastisch beeinträchtigt und das Boot konnte sich bei schwerem Eisgang praktisch nur noch im Schritttempo vorwärtsbewegen. Dies bedeutete mindestens eine weitere Nacht auf See, an einen Landgang im Zielgebiet war vorerst nicht zu denken.
Hinzu kam, dass die Übermüdung mit verstärkter Reizbarkeit und mehr als nur latenter Aggressivität einherging, so dass Treblenski seine Besatzung mehrfach zur Ordnung rufen musste. So etwas hatte ich während der ganzen Fahrt noch nicht erlebt, im Gegenteil, die Crew hatte sich bis dato äußerst diszipliniert benommen. Es war, als wirke sich ein unguter Einfluss auf die Gemüter der Menschen aus, der sich verstärkte, je näher wir dem Zielgebiet kamen. Zu jenem Zeitpunkt konnte noch niemand von uns ahnen, was im Sektor 37 wirklich auf uns wartete.
Auch in der ewigen Schwärze in der Tiefe des Südpolarmeers, wo Tag und Nacht eins sind, zeigten schließlich die Uhren den Schichtwechsel an und ich begab mich völlig übermüdet in die Koje. Aber ich fürchtete den Schlaf. Allzu plastisch war der Albtraum der vergangenen Nacht in seiner Grausamkeit gewesen. Doch erneut sorgten die gleichförmigen Bewegungen des U-Boots dafür, dass mir schließlich die Augen zufielen. Sofort spürte ich wieder die Präsenz von etwas unglaublich Fremdem und in seiner Fremdheit Bedrohlichem, das sich wie ein Schleier über mein Bewusstsein legte. Doch diesmal wurde ich nicht nur paralysiert, was mir in der Nacht zuvor jenes intensive Gefühl des Lebendigbegrabenseins vermittelt hatte. Vielmehr war der Einfluss des Erwachenden stärker und fegte mein Bewusstsein einfach hinweg, so dass ich im Traum mit ihm zu einer Einheit verschmolz.
Ich vermag rückblickend nicht zu sagen, wie es dazu kam, dass ich am Erwachen des Futuren einen solch intensiven Anteil hatte; ob es letztlich nicht mehr war als eine Koinzidenz, die mich in die zurückkehrende Erinnerung des erwachenden Superbewusstseins einbezog. Das Gefühl war zutiefst irritierend, dabei jedoch keineswegs so angstbesetzt wie in der Nacht zuvor. Zunächst kamen die Bilder unkoordiniert und spontan, wie ein mühsames Erinnern bei einer Amnesie, doch schließlich wurden die Fragmente deutlicher und zusammenhängender.