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I. Futurs Spur. Von einer Parallelwelt unserer Erde in einem leeren Universum aus begleiten die Futuren, unsterbliche, mächtige aber grausame Intelligenzen, die irdische Evolution seit Anbeginn der Zeit. Gefangen in einem todesähnlichen Zustand gibt es nur ein Phänomen, das diese Kreaturen in einen ekstatischen Taumel des Entzückens versetzen kann: Die Wahrnehmung intensiver menschlicher Emotionen wie Angst, Hass, Leid oder Schmerz. II. Schuld. In einer postmodernen Zukunft regieren kriminelle Clans die Metropolen der Welt mit Drogen und Gewalt. Von Lucifer mit der Macht der Hölle ausgestattet, begibt sich die Seele eines unschuldig Ermordeten als untoter Dämon Natas auf einen Rachefeldzug, womit das Böse beweisen will, dass der Kreislauf von Hass und Vergeltung nicht gebrochen werden kann und unweigerlich in Schuld führt. In dem Clanchef John Levec, der einst seine Ermordung anordnete, findet Natas einen brillanten Virtuosen auf der Klaviatur des Bösen, dessen dunkler Intellekt Natas dämonischer Macht ebenbürtig ist. Auf den Trümmern seines Imperiums lockt Levec seinen Gegner in eine perfide Falle, an der selbst die Macht der Hölle zerbricht. III: Lustimpulse. Der junge Forscher Daniel Ölinger träumt davon, Menschen durch chirurgische Eingriffe die uneingeschränkte Kontrolle ihres individuellen Glücksempfindens zu ermöglichen. In dem zwielichtigen Neurochirurgen William von Hartstein findet Daniel einen Gönner, der ihm Geld als Grundlage für seine Forschung und hedonistische Lebensart als Vorbild für sein Privatleben bietet. Doch nicht jeder steht Daniels psychomanipulativem Forschungsansatz vorbehaltlos gegenüber, so dass die Konfrontation mit einem auf Eigennutz bedachten Umfeld nicht ausbleibt. Auch übersieht er, dass hinter dem lustvollen Treiben im Umfeld des Libertins von Hartsteins Persönlichkeiten stehen, deren Ängste, Sehnsüchte und Konflikte die schöne Fassade gleichberechtigter Freizügigkeit bald zu überschatten drohen.
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Seitenzahl: 824
Veröffentlichungsjahr: 2018
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für meine liebe Frau Ulrike
Ich bedanke mich bei Franz Hackel für das sorgfältige Redigieren des gesamten Manuskripts, bei Norbert G. Schwarz für das Redigieren der Anteile „Futurs Spur“ sowie „Schuld – Ein Drama“.
Teil 1: Das kosmische Dunkel
Futurs Spur – 2 Horrorgeschichten
Der Afghanistan-Einsatz
Zukunftslos – Die Versuchung im Eis
Teil 2: Das geistige Dunkel
Schuld – Ein Drama
Teil 3: Das sinnliche Dunkel
Lustimpulse – Eine Novelle
Zusammenfasssung
Eine Hommage an Howard Phillips Lovecrafts „The Call of Cthulhu“.
“I have whirled with the earth at the dawning,
When the sky was a vaporous flame:
I have seen the dark universe yawning
Where the black planets roll without aim.
Where they roll in their horror unheeded, without knowledge or lustre or name.”
Howard Phillips Lovecraft, Nemesis
Ich habe eine Geschichte zu erzählen. Ich werde über Dinge und Ereignisse berichten, die erst in ferner Zukunft ihren Ausgang nehmen werden und die doch schon uralt sind, so alt, dass sie möglicherweise bereits heraufdämmerten, als auf dieser Erde die ersten Amphibien an Land krochen.
Doch gestatten Sie, dass ich mich vorstelle. Mein Name ist Igor Iljitsch Petrolawlsk und ich bewohne einen nicht eben bescheidenen Landsitz in der Nähe von Moskau. Ich bin weder verheiratet noch anderweitig familiär gebunden, lebe hier vielmehr in absoluter Abgeschiedenheit. Aber ich vermisse keine Gesellschaft und weiß die Ruhe wohl zu schätzen.
Die nächste größere Straße liegt zirka 5 Kilometer von meinem Haus entfernt. Die schmale Zufahrt zum Gut führt durch eine dicht bewaldete Schlucht in den eher niedrigen Hügeln und ist ohne Geländewagen praktisch unpassierbar, besonders, wenn es geregnet hat.
Mein Landsitz ist etwa 10 Quadratkilometer groß. Einst gab es hier fruchtbares Ackerland. Aber seit ich das Gut vor rund 5 Jahren von seinem Besitzer für einen Spottpreis erwarb, fordert die Wildnis ihr Recht zurück. Ich war nie an Landwirtschaft interessiert, vielmehr bewundere ich die Artenvielfalt der Natur. Mein Haus ist jetzt von jungen Nadelbäumen und hohem Strauch- und Buschwerk umgeben. Lediglich der kleine Garten direkt vor dem Hauseingang wird noch ein wenig von mir gepflegt, hat aber zweifellos auch schon glanzvollere Tage gesehen. Der künstlich angelegte, von einem kleinen Bach gespeiste Teich beginnt langsam aber sicher zu versanden.
Das Haus selbst habe ich vor meinem Einzug neu renovieren lassen. Es ist ein altes Herrenhaus, das schon vor mehreren Jahrhunderten erbaut wurde. Alle vom Zahn der Zeit angegriffenen hölzernen Elemente wurden zwar ersetzt, aber es vermittelt noch immer den Eindruck, als wäre hier die Zeit stehen geblieben. Eine mächtige, schwarz gestrichene Eichentafel steht im Wohnzimmer neben dem knisternden Kamin. Die Holzverkleidung besteht aus roh behauenen Brettern, was dem Haus einen rustikalen Anschein verleihen soll. Der Flurbereich ist mit kostbaren Kristallspiegeln versehen. Die Wohnräume sind luxuriös ausgestattet.
Ich bin ein vermögender Mann ohne Nachkommen. Vor drei Monaten feierte ich meinen 63sten Geburtstag. Ich blicke auf ein langes und fast erfülltes Leben zurück. Dennoch muss ich schaudern, wenn ich an ein Erlebnis zurückdenke, das bereits Jahre zurückliegt. Vergessen kann ich es nie, was nicht nur daran liegt, dass es einen Invaliden aus mir machte und mich meine militärische Karriere kostete. Es ist vielmehr die Erinnerung an jenes grausige Geheimnis, das das Schicksal dieser Welt bereits besiegelt hat.
Mein damaliger Bericht wurde wohl als Phantasie eines Wahnsinnigen abgetan, oder, was ich vielmehr befürchte, in einem Schubfach weggeschlossen. Im Kreml lagern womöglich noch mehr Beschreibungen dieser Art, die der Öffentlichkeit nicht zugänglich gemacht werden. Ich musste jedoch keinen Eid auf Verschwiegenheit ablegen. Also werde ich das, was jahrelang verheimlicht wurde, endlich offenlegen.
Ich erwarte nicht, dass man mir vorbehaltlos glaubt. Der Leser soll selbst entscheiden, ob ich damals in den afghanischen Bergen den Verstand verlor oder ob das Entsetzliche tatsächlich grausame Realität ist. Jedenfalls ist der offizielle Bericht des Militärs über den Verbleib der Spezialeinheit Krasnui Uspech (Roter Erfolg) nichts weiter als eine Erfindung, eine Notlüge, um die damalige Demonstration der Unzulänglichkeit und Ineffizienz russischer Waffensysteme zu verheimlichen. Denn damals standen menschliche Soldaten etwas gegenüber, das man nicht mit Kalaschnikows, Granaten und Panzerabwehrraketen vernichten kann.
Laut offiziellem Bericht kamen alle Mitglieder der Spezialeinheit im Kampf gegen eine Übermacht von feindlichen Aufständischen ums Leben.
Aber ich weiß es besser. Versetzen wir uns zurück in das Jahr 1983. Ich hatte mich mit Effizienz und Gewissenlosigkeit auf der Karriereleiter des Militärs hochgearbeitet und war schließlich in den Generalsrang befördert worden. Als 1979 in Afghanistan die Unruhen ausbrachen, gelang es mir durch Erfolge der von mir befehligten Truppen in kleineren Scharmützeln gegen die Aufständischen meine Vorgesetzten zu beeindrucken. Im Jahre 1982 wurde ich als „Mann fürs Grobe“ zum Leiter taktischer Spezialoperationen befördert. Ich war trotz meines Alters von 50 Jahren aktiv wie kaum ein Zweiter. Das Militär war immer mein Leben gewesen, seit ich im Alter von 21 Jahren ins Heer eintrat. Es ging mir ausschließlich um den militärischen Erfolg, gegen wen und wofür ich kämpfte, etwa ob ich für eine gerechte Sache eintrat, war ziemlich gleichgültig. Nur der Sieg zählte damals für mich.
Im Jahre 1983 schließlich begann jene schicksalhafte Operation, die einer ganzen Spezialeinheit das Leben und mich Karriere wie Gesundheit kosten sollte. In einer Region in den Bergen, die auf der damaligen taktischen Karte Afghanistans einfach als Sektor 347 eingezeichnet war, wurde unseren Truppen von Seiten der Aufständischen besonders heftiger Widerstand entgegengesetzt. Obwohl die "geheimen" Lieferungen amerikanischer Luftabwehrraketen von uns zumindest zeitweilig unterbunden werden konnten, schienen diese Terroristen über ein unerschöpfliches Waffenarsenal zu verfügen. Unsere Hubschrauber verschwanden vom Radar, ehe sie auch nur einen Gegner ausmachen konnten. Die Frühwarnsysteme der Maschinen zeigten überhaupt nichts und auch die Beobachtungssatelliten in der Umlaufbahn konnten nichts Auffälliges feststellen.
Die Antwort sollte in einem taktischen Einsatz unserer Bomber bestehen. Die Jagd- und Aufklärungsflugzeuge, die zuvor die Lage analysieren und Ziele identifizieren sollten, kehrten jedoch nie zurück. Sie verschwanden einfach von den Radarschirmen. Von den meisten Maschinen kam kein Hilferuf oder er wurde nach kurzer Ausstrahlung plötzlich unterbrochen. Unter diesen Umständen wurde der Einsatzbefehl für die Bomber zurückgezogen.
Wenn wir jedoch in solch einer Situation Schwäche gezeigt hätten, hätte kaum eine Chance bestanden die Unruhen unter Kontrolle zu bekommen. Die Verantwortung für die Beseitigung der "Störung" wurde mir übertragen.
Ich war damals im Rang eines Brigadegenerals. Krasnui Uspech sowie nahezu beliebige Materialmengen wurden mir für den Einsatz zur Verfügung gestellt.
In der mir unterstellten Basis in den afghanischen Bergen bemerkte ich schon bei der ersten Inspektion der Truppe, dass ich es mit Spezialisten zu tun hatte. Neben eiserner Disziplin unter den Soldaten erkannte ich eine aus Erfahrung gereifte Selbstsicherheit, die jedoch nicht mit arroganter Selbstüberschätzung zu verwechseln ist. Die Männer waren sehnig und durchtrainiert. Auf ihren Gesichtern lag jener harte Zug, den russisches Spezialtraining unweigerlich hinterlässt.
Die Kommandantin, Oberst Nina Chestakowna, 100% Kampfmaschine, salutierte schneidig und übertrug mir das Kommando über die Einheit. Ich nickte andeutungsweise und ließ rühren. Dann ging ich mit Oberst Chestakowna in mein Privatquartier in der Kaserne, um die Sachlage mit ihr zu diskutieren.
Mein Quartier entsprach der rauen afghanischen Bergwelt: Alles war spartanisch und nur auf Zweckmäßigkeit bedacht eingerichtet. Im Zentrum des Zimmers stand ein Tisch, der aus übereinandergestapelten Kisten zusammengesetzt und mit einer Plane überdeckt war. Darauf lagen taktische Karten ausgebreitet, die einen groben Überblick über die gegenwärtige Situation im Kampf gegen die immer dreister werdenden Aufständischen lieferten. Ich deutete Oberst Chestakowna mit einer Handbewegung an, sich mir gegenüber auf eine umgekippte Munitionskiste an den Tisch zu setzen, während ich auf der meinigen Platz nahm.
Bevor jemand zu sprechen anhob, folgte eine lange und eingehende gegenseitige Musterung. Dabei hatte ich als ranghöherer Offizier das Privileg, dies offen tun zu können. Ich war mir jedoch sicher, dass die Frau Oberst mich versteckt einer ebenso eingehenden Begutachtung unterzog.
Mein erster Eindruck der Oberst entsprach dem, was ich bereits erwartet hatte. Sie wirkte keineswegs hässlich oder gar dumm, ganz im Gegenteil. Nina Chestakowna war, wie ich bereits aus den Akten erfahren hatte, eine ehrgeizige und intelligente Frau von 37 Jahren, ausgestattet nur mit den besten Empfehlungen ihrer bisherigen Befehlshaber. "Größe: 1,70 m, Augenfarbe: grau-grün, kurz getragenes, rotes Haar, keine besonderen Merkmale."
Und doch lief mir bei ihrem Anblick etwas kalt den Rücken herunter. Diese Frau schien alle Charakteristika zu verkörpern, die erforderlich sind, um eine Person unsympathisch erscheinen zu lassen. Wenn es die Gefühlskälte in Person gab, dann musste die Frau Oberst ihr ziemlich nahe kommen. In ihren Augen lag ein harter Glanz, eine Zielstrebigkeit, die sie zweifellos über Leichen gehen ließ. Mir war klar, weshalb man sie zur Kommandantin der Spezialeinheit befördert hatte. Insgeheim bedauerte ich sie ein wenig. Mit meiner Erfahrung von 50 Jahren wusste ich, dass Leute wie Chestakowna niemals wirkliche Größe erlangen können. Solche Menschen werden nur ausgenutzt, indem man ihnen das alte abgeschmackte Märchen von Ruhm und Ehre erzählt, auf das ich seinerzeit selbst hereinfiel. Sie werden verheizt und weggeworfen, sobald es keine Verwendung mehr für sie gibt.
Aber für meine Mission war Chestakowna die richtige Kommandantin, soviel war mir klar. Ich musste damit rechnen nötigenfalls durch Sümpfe aus Blut waten zu müssen. Dafür benötigt man Soldaten, keine Philosophen.
Die Frau Oberst schien indessen ebenfalls ihr Bild von mir abgerundet zu haben. Ich erkannte es daran, dass ihre Blicke jetzt durch den Raum zu schweifen begannen, über die sterilen, gekalkten Wände des Zimmers und den Waffenschrank, in dem meine penibel gepflegte Kalaschnikow stand. Dann streifte ihr Blick die Vitrine mit meinen Auszeichnungen. Die einzigen sonstigen Gegenstände im Raum waren der Spind, in dem ich meine Uniformen und den spärlichen Privatbesitz aufbewahrte, der kleine Kanonenofen, der im August jedoch nicht in Betrieb war, das improvisierte Feldbett sowie einige Kisten, die als Mobiliar dienten.
Als Chestakowna mit ihrer Inspektion fertig war, lächelte ich und begann ihr unsere Situation zu erläutern. Sie hörte sich alles aufmerksam an und nickte kurz, als ich ihr die spärlichen Informationen dargelegt hatte. Anschließend schien die Soldatin auf weitere Befehle zu warten. Als ich schwieg, erklärte sie: "Sie sagen mir nichts Neues, Genosse General, ich wurde bereits von diesen Aspekten der Sachlage in Kenntnis gesetzt. Hubschrauber und Flugzeuge verschwinden auf unerklärliche Weise, ebenso Bodentruppen. Es gibt keine Berichte, keine Gefechte, sie sind einfach weg. Wie stehen Sie zu der Tatsache, dass die Führung paranormale Aktivität nicht mehr völlig ausschließen will?"
Ich fuhr auf: "Was sagen Sie da? Sie vermuten doch nicht etwa ...?!"
"Was ich vermute, tut nichts zur Sache", erwiderte Chestakowna ungerührt. "Das Oberkommando unterstellt Ihnen meine Spezialeinheit, um Licht in das Dunkel dieser mysteriösen Angelegenheit zu bringen. Da wir über unseren Gegner keine verwertbaren Informationen besitzen, kann ich Ihnen auch keine Ratschläge erteilen. Ich wurde lediglich angewiesen Ihre Befehle gewissenhaft auszuführen."
Ich nickte verständnislos. "Was veranlasst das Oberkommando PSI-Kräfte als mögliche Ursache für den Verlust unserer Einheiten in Erwägung zu ziehen?"
Auf dem Gesicht von Oberst Chestakowna glaubte ich für einen Augenblick die Andeutung eines zynischen Lächelns zu erkennen, aber ich mochte mich getäuscht haben. "Bei allem Respekt, Genosse General, einem Oberst teilt man wohl nicht die Hälfte der Informationen mit, die ein Brigadegeneral in Erfahrung bringen kann. Meine Vorgesetzten erwähnten das Thema lediglich und ließen es sofort wieder fallen, als ich Interesse bekundete. Ich nahm an, dass Sie mich etwas detaillierter informieren könnten mit welcher Art von Gegnern ich es zu tun bekommen werde. Gibt es Hinweise auf extraterrestrische Aktivität, UFOs?"
Ich hatte mich erhoben, Oberst Chestakowna folgte meinem Beispiel. Ich war nun doch etwas überrascht, um es milde auszudrücken. Zu Chestakowna sagte ich: "Ich werde meine Vorgesetzten kontaktieren, Frau Oberst. Offensichtlich sind einige Details bei der Übermittlung unseres Auftrags verlorengegangen. Ich gebe Ihnen Bescheid, sobald ich Genaueres weiß. Kümmern Sie sich inzwischen um Ihre Soldaten. Wegtreten, Frau Oberst!"
Nina Chestakowna salutierte schneidig, drehte sich auf dem Absatz um und ging gemessenes Schrittes aus meinem Büro. Ich bin mir heute ziemlich sicher, dass sie wohl etwas weniger Selbstgefälligkeit an den Tag gelegt hätte, wäre sie bereits damals über das Wesen unserer Gegner informiert gewesen.
Ich setzte mich tatsächlich umgehend mit der Kommandantur für meinen Sektor in Verbindung. Es antwortete mir ein General, dessen Name hier nichts zur Sache tut, zumal er auch längst in den Ruhestand versetzt ist. Zuerst versuchte er meinen Fragen diplomatisch auszuweichen. Auch auf meine drängenderen Bitten um Information hin erfuhr ich lediglich, dass das Oberkommando inzwischen fast alles für möglich hielt. Wenig begeistert hieb ich den Telefonhörer in die Muschel. Als Chestakowna sich bald darauf erkundigte, musste ich frustriert zugeben, über die Art des Gegners keine Aussage treffen zu können.
Es war mir klar, dass eine überstürzte Aktion zum Scheitern verurteilt sein musste. Taktisches Vorgehen war gefragt. Unter meinen Befehl wurde Krasnui Uspech mit Zivilkleidung ausgestattet. Die Spezialisten hatten die Aufgabe sich als Afghanen auszugeben. Über die nötigen sprachlichen Fertigkeiten und landeskundlichen Kenntnisse verfügten sie. So unauffällig wie möglich sollten sie sich unter die Bevölkerung mischen, um über die Gegebenheiten im Bereich von Sektor 347 möglichst viel in Erfahrung zu bringen. Die Satellitenaufnahmen zeigten lediglich, dass das Bergland in diesem Bereich besonders unzugänglich sein musste. Dies hätte ich mir jedoch angesichts des bisher in Afghanistan Erlebten auch ohne High-Tech-Unterstützung denken können. Ich benötigte detailliertere Informationen.
Was ich zu hören bekam, erinnerte mich unangenehm an Oberst Chestakownas Geistergeschichten. Ich war skeptisch. Nach rund einem Monat ergaben die Untersuchungen in der weiteren Umgebung um Sektor 347 nichts wegweisend Neues mehr. Nicht ein Soldat der hinsichtlich ethnischer Zugehörigkeit sorgfältig ausgewählten Spezialeinheit war enttarnt worden, dennoch wollten die Einheimischen nicht mit der Sprache heraus. Sie schienen vor etwas Angst zu haben. Nur einige Schluck Wodka konnten die Zungen der weniger strenggläubigen Dorfbewohner lösen. Im direkten Umkreis um Sektor 347 existierten keine bewohnten Ortschaften mehr. Die Menschen schienen eine Art abergläubische Scheu vor dieser Felsregion entwickelt zu haben.
Ich bin sicher kein Mensch, der bei Lagerfeuergeschichten vor Furcht nicht mehr schlafen kann. Diesmal jedoch konnte ich mich eines unwillkürlichen Schauderns nicht erwehren, als ich hörte, welch groteske Geschichten über perverse Abnormitäten bei den Dorfbewohnern der Region von Generation zu Generation weitergegeben wurden.
Offensichtlich gab es in direkter Umgebung von Sektor 347 einst kleinere Siedlungen. Unsere Satellitenfotos konnten dies bestätigen. Es existieren tatsächlich Ruinen verlassener Ortschaften.
Die Geschichten der Dorfbewohner hielt ich damals für bloße Ausgeburten einer, möglicherweise inzestbedingt, degeneriert krankhaften Phantasie. Ich habe auch weder Zeit noch Muße, sie hier im Detail wiederzugeben. Belassen wir es bei einigen Beispielen. So sprach man etwa von gellenden Schreien in der Nacht, herrührend von Martern, für die menschliche Bosheit gar nicht ausreichen dürfte, um sie zu erdenken. In wolkenlosen Nächten sollen Blitze gesehen worden sein, Fratzen formloser Dämonen erschienen angeblich als Leuchterscheinungen am Himmel. Leuchtfeuer habe man nachts auf Gipfeln gesichtet, die zum Ersteigen viel zu steil waren. Immer wieder sollen in der Vergangenheit Menschen verschwunden sein, vor allem Kinder. Als vermisst gemeldete Bergsteiger waren teilweise zurückgekehrt, aber auf grausame Art und Weise verändert. Wie ein Spuk, ein Schatten ihrer selbst, seien solche Menschen in ihrer ehemals vertrauten Umgebung umhergeirrt. Sie blieben einige Zeit, kaum ansprechbar und ohne adäquate Reaktionen, um dann wieder irgendwohin zu verschwinden. Die grausigen Gesänge, mit denen die Luft nachts oft geschwängert gewesen sein soll, hätten selbst dem Tapfersten das Fürchten gelehrt. Hin und wieder seien Tote unter matterleuchtetem Sternenhimmel regelrecht in die Ortschaften hineingeschwebt, als würden sie von unsichtbaren Händen auf einer ebenso unsichtbaren Bahre getragen. Aber am schlimmsten seien die Unsichtbaren selbst gewesen. Zu bestimmten, scheinbar sporadisch auftretenden Momenten in Nächten, die dunkler zu sein schienen, als sie es normalerweise hätten sein dürfen, habe es ein Tapsen und Trappeln gegeben, ohne dass man Gestalten wahrnehmen konnte. Hin und wieder wurden jedoch Körperteile sichtbar, meist von geradezu grotesk hässlicher Abnormität. Die Rate ungeklärter Kriminalfälle stieg in solchen Zeiten rapide an. Am nächsten Morgen fand man Spuren eines geradezu irrealen Grauens: Leichen, abgerissene Körperteile, grausam verstümmelte Körper. Außerdem schienen manche Personen innerhalb einer Nacht enorm gealtert zu sein, meist starben sie alsbald. Kinder verschwanden. Junge Mädchen berichteten schreiend von Vergewaltigungen, ohne dass dabei der Täter zu sehen gewesen sei. Aus so entstandenen Schwangerschaften seien angeblich schauderhaft abnorme Lebensformen entstanden. Diese hätten Menschen nur sehr entfernt ähnlich gesehen und verschwanden fast sofort nach der Geburt spurlos. Ich schauderte damals, daran denkend, was sehr menschliche Geschöpfe unerwünschten Neugeborenen wohl tatsächlich angetan haben mochten. Ihre bloße Existenz war vermutlich mit lokalen Moralvorstellungen nicht zu vereinbaren gewesen.
Von solchen Heimsuchungen sei die Region bis zu Beginn des 19. Jahrhunderts bedroht worden, dann zog man die Konsequenzen und löste die meisten Siedlungen um Sektor 347 auf. Zurück blieben okkulte Sekten, deren Aktivität nach 1850 neu aufflammte und bald auch zu Übergriffen im entfernteren Umkreis führte. Wieder verschwanden Menschen. Doch infolge eines Hilferufs an den Fürsten wurden damals Truppen gesandt, die diesen Sekten den Garaus machten. Die Vermutungen der Dorfbewohner über gewisse inakzeptable Bräuche in Sektor 347 schienen in der Tat korrekt gewesen zu sein. Damals habe es nach lokaler Geschichtsschreibung eine Vielzahl von Hinrichtungen gegeben. Die Kultstätten und Siedlungen der blasphemischen Sekten wurden niedergebrannt. Für lange Zeit kehrte Ruhe ein.
Oberst Chestakowna lächelte mitleidig, als ich ihr meine Zusammenfassung der abergläubischen Legenden präsentierte, die unter den Afghanen in der Umgebung von Sektor 347 kursierten: "Ich hätte nie gedacht, dass wirklich ernstzunehmende Kämpfer wie die Afghanen an solche Märchen glauben könnten."
Ich erwiderte: "Sie haben noch nicht alles gehört, Oberst. Die Afghanen gehen sogar davon aus, dass sich in den Bergen von Sektor 347 wieder eine Sekte etabliert hat."
Sie blickte überrascht auf: "Woher stammt diese Information?"
Ich lächelte hintergründig: "Ich habe sie von unseren lokalen Informanten, die durch das Oberkommando bei den hier ansässigen Terrorgruppen eingeschleust wurden. Wie Sie schon sagten: Als Brigadegeneral erfährt man ein bisschen mehr als ein Oberst. Offensichtlich handelt es sich bei dieser Sekte um eine militante Gruppierung. Den Afghanen wurde von diesen Fanatikern Hilfe angeboten, Hilfe im Kampf gegen unsere Truppen!"
"Sie nahmen natürlich an?", fragte Chestakowna gespannt.
"Jetzt kommt der paradoxe Teil", entgegnete ich. "Obwohl die Aufständischen über die für uns desaströsen Erfolge der Sekte im Kampf gegen unsere Soldaten sehr wohl im Bilde sind, haben sie abgelehnt. Dabei sind sie momentan von jeglichem Nachschub abgeschnitten. Aus irgendeinem Grund scheinen die Afghanen die Sekte mehr zu fürchten als unsere Maschinengewehre."
Chestakowna sah die praktische Seite: "Das ist erfreulich. Je weniger Unterstützung der Feind von Seiten der umliegenden Bevölkerung erfährt, umso leichter wird seine Neutralisierung."
"Ja", erwiderte ich nachdenklich. "Hoffen wir es."
Tatsächlich hatte ich Chestakowna gegenüber nicht alle Informationen preisgegeben. Ich hielt die näheren Details der barbarischen Glaubensrichtung damals für wenig bedeutungsvoll. Mit meinem heutigen Wissen erscheint es mir unverantwortlich, Krasnui Uspech einem unmenschlichen Schicksal ausgeliefert zu haben, ohne die Soldaten vorher wenigstens zu warnen. Besonders bedaure ich heute, dass ich Chestakowna nicht vollständig einweihte. Ihr Ende muss entsetzlich gewesen sein.
Die Recherchen unserer Informanten hatten in der Tat ergeben, dass die Bewohner von Sektor 347 nicht nur ihre militärische Unterstützung anboten. Vielmehr waren Priester in die Dörfer gekommen, um dort auch ihre Religion anzupreisen. Zuerst wurden sie lediglich belächelt. Als sie jedoch einige der stärksten Männer unter den Tisch getrunken hatten, ohne dass der Alkohol ihnen etwas anzuhaben schien, hörten die Dorfbewohner ihnen zu.
Die Priester begannen auf vorsichtige Weise ihren dämonischen Kult zu erläutern. Sie waren den Angaben zuverlässiger Quellen zufolge in wallende, schwarze Roben gehüllt, die mit Kapuzen versehen waren. Letztere wurden tief ins Gesicht gezogen. Die bloße äußere Erscheinung der finsteren Missionare erweckte in meinen Informanten Ekel und Abscheu. Sie konnten den sich ihnen unwillkürlich aufdrängenden Gedanken nicht abschütteln, dass die Kapuzenmänner sich nicht umsonst verhüllen mussten.
Zuerst erfolgte eine praktische Machtdemonstration von Seiten der Priester. Angeblich - was ich seinerzeit stark bezweifelte – sei von diesen Männern ein merkwürdig geformter Stein in der Mitte des Raumes aufgestellt worden, dann hätten sie einige düstere Beschwörungsformeln gemurmelt. Daraufhin habe der Stein von innen heraus zu leuchten begonnen.
Die abergläubische und durch alte Legenden beunruhigte Dorfbevölkerung habe stets mit Erstaunen und Grauen reagiert, als einer der Kapuzenmänner ein Wodkaglas nahm und auf den nun noch stärker leuchtenden Stein warf. Das Glas sei nicht aufgeschlagen, vielmehr habe es einen merkwürdigen Leuchteffekt gegeben, der einem Riss nicht unähnlich sah. Das jeweils geworfene Gefäß schwebte für kurze Zeit schwerelos in der Luft, wobei seine Gestalt zu fluktuieren schien. Es war bald sichtbar, bald unsichtbar, bis es schließlich mitsamt der Leuchterscheinung verschwand.
Zuerst habe jedes Mal maßloses Entsetzen die Zuschauer gelähmt. Als ein Kapuzenmann dann jedoch wieder eine kurze Formel murmelte und das Glühen im Stein nachließ, wurde unterschwellig neben Furcht auch Interesse deutlich. Alsbald begannen die Schwarzgekleideten mit ihrer Missionstätigkeit.
Was die separatistisch ambitionierten aber dennoch menschlichen Dorfbewohner zu hören bekamen, ließ sie jede anfänglich gespürte Begeisterung schnell vergessen. In der Regel wurden die Kapuzenmänner umgehend aus den Dörfern gejagt. Sie folgten stets den unzweideutigen Aufforderungen, wenn auch unter düsteren Verwünschungen.
Über die tatsächlichen Kulthandlungen der Sekte hatten die zur Beobachtung ausgeschickten Spezialisten leider nur wenig in Erfahrung bringen können. Schwer in Worte zu fassende dämonische und nur teilweise körperliche Lebensformen schienen Objekt der Verehrung zu sein. Sie waren angeblich schon sehr alt, womöglich älter als alles Leben auf dieser Erde. Diese Wesen verlangten offenbar nach Opfern, nach menschlichen Opfern, die sie sich sonst auf bestialische Art und Weise holten. Aber die Kreaturen seien nicht undankbar. Als Gegenleistung gewährten sie Schutz und sonstige Gnaden, die von den Missionaren jedoch nur sehr vage umrissen wurden.
Dies war jedoch nicht alles. Die Wesen akzeptierten jeden Menschen als Opfer. Unsere vermissten Truppen waren angeblich auch der unbändigen Gier jener Kreaturen ausgeliefert worden. Was direkt mit diesen Unglücklichen geschah, schien auch den Priestern unklar zu sein. Auf die Weise aber, wie das Schnapsglas verschwand, seien zuweilen verstümmelte Leichen plötzlich materialisiert. Doch nicht nur tote Körper nahmen Gestalt an. Hin und wieder erschienen sehr absonderliche Dinge, ausnahmslos aus Stein, mit sehr variablen Funktionen. Sie seien durch merkwürdige Formeln steuerbar, die den Sektenmitgliedern angeblich im Traum vermittelt wurden. Manche Objekte hatten die Eigenschaft, durch eine seltsam fluoreszierende Strahlung Wunden zu heilen. Selbst gefährliche Geschwüre bildeten sich oft vollständig zurück. Ferner ermöglichten manche Steine, auf bestimmte Art und Weise ausgerichtet, die völlige Auflösung der Gegner - ich dachte mit unguten Gefühlen an unsere Aufklärungsflugzeuge.
Besonders unheimlich war den Dorfbewohnern jedoch, dass die Priester sorgsam darauf bedacht waren, jeden kleinsten Bereich ihres Körpers zu verbergen. Man munkelte insgeheim, dass die Kulte der Kapuzenmänner zu physischer Degeneration führten. Auch die widerwärtige Ruhe, mit der die Schwarzgekleideten über grausame Opferrituale sprachen, ließ die Dorfbewohner schaudern. Blut und Tod waren Sie aus dem Krieg gewohnt. Sie töteten aber letztlich doch, um nicht getötet zu werden und kämpften für eine in ihren Augen gerechte Sache. Die Priester jedoch schienen eine Art ekstatischer Lust beim Morden zu empfinden. Jede noch so geringe Spur von konventioneller Moral in ihnen musste von jenen Mächten, die das Schnapsglas verschwinden ließen, vollständig ausgelöscht worden sein.
Ich isolierte aus dieser Flut abergläubischen Geredes die Informationen, die ich für glaubwürdig hielt. Es blieb nicht viel. Eine militante Sekte, die offenbar über eine ausgezeichnete Bewaffnung verfügte, hielt unsere Truppen in Sektor 347 in Schach. Den Tod schienen die Sektenmitglieder nicht zu fürchten, dies machte sie als Gegner umso gefährlicher. Ihre Missionare trugen schwarze Roben und Kapuzen. Mit suggestiven Tricks und entschlossenem Auftreten versuchten sie die Dorfbewohner der näheren Umgebungen zu beeindrucken. Der Zweck ihres Tuns blieb vage. Ihre augenscheinliche Suggestivkraft machte sie neben ihrer Entschlossenheit zu ernstzunehmenden Kontrahenten. Die abergläubischen Geschichten wurden von mir als Unfug abgetan, nicht jedoch unsere Verluste.
Ich kontaktierte das Oberkommando und äußerte Zweifel am Sinn der Eroberung eines Gebiets mit geringer taktischer Bedeutung, wenn mit schweren Verlusten unter einer Spezialeinheit aufgrund des Fanatismus religiöser Extremisten zu rechnen war. Man hörte sich meinen Bericht an, ebenso meine Einschätzung der Lage. Eine Reevaluation wurde erwogen. Meine Aufgabe bestand zunächst weiterhin darin die Umgebung um Sektor 347 zu überwachen und möglichst viel über die seltsame Sekte in Erfahrung zu bringen. Ich musste warten.
Heute bin ich mir fast sicher, dass die Mission seinerzeit beinahe aus Aufwand-Nutzen-Erwägungen abgebrochen worden wäre. Es trat jedoch ein Zwischenfall ein, mit dem ich nicht gerechnet hatte. Heute kann ich mich nur zu gut erinnern, wie ich an jenem schicksalsträchtigen Tag lustlos meinen bitter schmeckenden Kaffee trank. Vor dem Büro brannte die Sonne vom nahezu wolkenlosen Himmel. Ich ging meinen Routinetätigkeiten nach, verfasste Berichte und stellte Aufklärungsteams zusammen. Dann, gegen 10 Uhr morgens, klopfte es energisch an die Tür meines Arbeitszimmers. Ich kannte dieses Klopfen inzwischen und konnte entsprechend mit großer Sicherheit voraussagen, wer so nachdrücklich Einlass begehrte.
"Herein!", befahl ich.
Tatsächlich, Oberst Chestakowna trat ein. Sie salutierte wie üblich pflichtschuldig. Ich deutete einen Gruß an und bedeutete ihr mit der Hand sich zu setzen. Dabei nahm ich gedankenverloren einen Schluck meines heißen Kaffees.
"Genosse General, ich habe eine wichtige Meldung für Sie", begann die Frau Oberst.
Ich nickte nur. "Sprechen Sie, Frau Oberst!"
"Ich habe großartige Neuigkeiten. Unsere Soldaten haben einen der Priester mit den schwarzen Kapuzen gefangengenommen." Sie strahlte übers ganze Gesicht, während mir beinahe vor Schreck die Tasse aus der Hand gefallen wäre. Ich verschluckte mich und spie heißen Kaffee auf den Boden.
"Was sagen Sie da?", ächzte ich.
"Wir haben einen Priester der Sekte fassen können. Sie sind offensichtlich doch kein Produkt der übersteigerten Phantasie der afghanischen Dorfbewohner."
Ich hatte inzwischen meine Gesichtszüge wieder unter Kontrolle.
"Gut. Wie gelang es unseren Soldaten ihn gefangen zu nehmen?", fragte ich interessiert. "Sie scheinen doch über Waffen zu verfügen, gegen die unsere Truppen machtlos sind."
Chestakowna zuckte mit den Schultern: "Dieser trug offenbar keine. Er schien sich auf dem Weg zu einem der umliegenden Dörfer zu befinden. Was er dort wollte ist unklar. Als unsere Soldaten ihn festnahmen, leistete er keinen Widerstand. Er weigerte sich lediglich die Robe abzunehmen. Vor unseren Gewehrläufen lief er schweigend bis zu dem Wagen, mit welchem wir ihn unauffällig hierher brachten. Ich weiß nicht, ob auf solches Gerede etwas zu geben ist, Genosse General, aber ..." Die Frau Oberst zögerte.
Ich blickte auf: "Ja?"
"Einige der Soldaten munkeln, der Priester sei von dem Überfall gar nicht überrascht gewesen. Er habe ihn beinahe erwartet."
Ich nickte unschlüssig.
"Wie ist sein gegenwärtiger Zustand?", fragte ich dann.
"Er wurde unter strengster Bewachung eingesperrt. Jede seiner Bewegungen wird kontrolliert."
"Gut", erwiderte ich. "Ich schätze, dies ändert nun unsere Ausgangslage."
"Möchten Sie ihn gleich vernehmen?", fragte die Frau Oberst.
Ich überlegte kurz, dann nickte ich: "Gut, Frau Oberst, bringen Sie ihn her! Ganz nebenbei, ich wünsche keine Gerüchte auf der Basis. Verstanden?!"
Sie nickte: "Selbstverständlich, Genosse General. Sie können sich absolut auf die Diskretion der Truppe verlassen."
"Ausgezeichnet", erwiderte ich. "Nun lassen sie ihn herführen, wenn er darauf besteht auch in seiner merkwürdigen Kleidung! Und ... bringen Sie eine der kleineren Videokameras mit! Ich wünsche, dass unser Verhör mitgeschnitten wird. Ich möchte keine weiteren Gerüchte sondern endlich Beweise."
"Ihre Befehle werden umgehend ausgeführt", erwiderte Chestakowna. Sie salutierte kurz und verließ mein Büro gemessenen Schrittes. Kopfschüttelnd blickte ich ihr nach.
Was folgte war so eindrucksvoll, dass ich mich heute noch an jedes Detail erinnere. Denn tatsächlich klopfte es keine 5 Minuten nach meinem Gespräch mit Oberst Chestakowna an der Tür.
"Herein!", befahl ich.
Von zwei Soldaten bewacht, schritt eine schwarzumhüllte Gestalt in den Raum. Ein Spezialist für Dokumentation und Pressearbeit folgte und brachte die Kamera in Position. Ich bedeutete dem Gefangenen, sich vor meinem improvisierten Tisch aufzustellen. Ich selbst ließ mich auf einer Waffenkiste nieder und fragte: "Wie heißen Sie?"
Die Laute, die der Priester daraufhin hören ließ, klangen etwa wie: "Che'Kharnthak'Rlawangwe".
Ich ächzte: "Haben Sie meine Frage verstanden? Wie ist Ihr Name?"
Er antwortete mit kehlig verzerrt klingender, unnatürlich dumpfer Stimme: "Mein Name ist Che'Kharnthak'Rlawangwe."
Ich nickte unschlüssig. "Nun gut, wie alt sind Sie?"
Er antwortete dumpf: "Mein Alter beträgt 215,137 Revolutionen der Erde."
Diese letzte Äußerung ließ mich die Fassung verlieren.
"Ich glaube, Sie sind sich des Ernsts der Lage nicht bewusst", bellte ich verärgert, versuchte aber an mich zu halten. "Sie werden terroristischer Aktivität gegen sowjet-russische Truppen beschuldigt. Ich bin autorisiert, Sie auf der Stelle standrechtlich erschießen zu lassen. Wenn Sie meine Geduld weiterhin mit Lügen strapazieren, überlege ich es mir vielleicht." Er erschrak nicht.
"Meine Aussagen entsprechen der Wahrheit, Herr General", entgegnete er ohne eine Spur von Emotion. Wieder lag dieses Unnatürliche, Fremde in seiner Stimme. Ich versuchte im Schatten der Kapuze das Gesicht des Priesters zu erkennen, blieb aber erfolglos. Dann ließ ich den Blick über seine Hände gleiten und fühlte plötzlich einen Kloß im Hals. Ich sah runzlige, skelettierte Finger an schmalen, ausgemergelten Händen. Die Knochen traten deutlich hervor, unter der Haut konnte man hervorspringende Sehnen erkennen.
Angesichts dieses Anblicks forderte ich den Priester nun nachdrücklich auf, sein Gewand fallen zu lassen. Er zeigte sich nun sehr widerwillig. Ich musste schließlich beinahe Gewalt anwenden lassen, ehe er zeternd gehorchte.
Der nackte Körper, der nun sichtbar wurde, spottete einfach jeder Beschreibung. Ich hatte im Krieg viele grausam entstellte Menschen zu Gesicht bekommen, aber diese degenerativen Veränderungen waren nicht die Folge von Verletzungen. Man musste kein Biologe sein, um zu erkennen, was hier zugrunde lag: Gerichtete Mutation menschlicher Körperzellen. So unwahrscheinlich dies auch klingen mag; dieser Mann hatte sich zu etwas entwickelt, das auf der Erde als Ergebnis natürlicher Evolution nicht existieren dürfte. Die ursprünglich menschliche Körperform war noch erkennbar, wenn auch auf groteske Art und Weise verändert. Das vor mir stehende Wesen zeigte keinen Fettansatz, die Muskeln der sehnigen Gestalt hatten sich auf ein Minimum zurückgebildet. Die Knochen waren deutlich unter einer hauchdünnen Haut- und Muskelschicht zu erkennen. In gewisser Weise sah die Kreatur einem wandelnden Skelett auf beklemmende Weise ähnlich. Die runzlige Haut war schuppig und von einer widerlich schimmernden Farbe, wie sie zuweilen an den Chitinpanzern von Insekten zu beobachten ist.
Wenn, wie ich vorhin bemerkte, die Hände sich zu knochigen Klauen entwickelt hatten, so boten die Füße einen noch abstoßenderen Anblick. Die natürliche Form menschlicher Zehen war nicht mehr auszumachen. Die Mittelfußknochen, die fest verbunden sein müssten, hatten sich zu Einzelsträngen gespalten. Die Zehen glichen Vogelklauen, tatsächlich hatten sich sogar kurze Krallen ausgebildet. Der Fuß selbst bestand jedoch aus Fleisch und Knochen, wodurch das Abstoßende des Anblicks noch verstärkt wurde.
Dem Körper fehlte jegliche Behaarung. Die Genitalien waren noch erkennbar, jedoch ebenfalls von jener seltsam schimmernden, schuppigen Haut bedeckt. Der Unterleib wirkte eingesunken, am Brustkorb traten die bleichen Rippen deutlich hervor. An Stellen, wo einst Fett gespeichert war, hing nun die Haut schlaff und runzlig herab. Die sehnigen Arme hatten ihre Muskulatur fast vollständig eingebüßt. Jene Klauen, die einst Finger gewesen sein mochten, näher zu visualisieren sträubt sich meine Erinnerung.
Am Widerwärtigsten war jedoch der Kopf des Priesters deformiert. Der Schädel hatte etwa das Doppelte seines ursprünglichen Ausmaßes angenommen. Er war völlig haarlos und ebenfalls von jener merkwürdig schimmernden Hautfarbe. Das Gesicht wirkte aufgrund der zurückgebildeten Muskulatur eingefallen. Die Backenknochen stachen fast durch die spröde, runzlige Haut. Hinter den bleichen, bläulichen Lippen konnte man schmale, spitze Zähne erkennen. Die Schädelknochen waren unnatürlich dünn. Man glaubte fast durch sie hindurchsehen zu können. Die Augen hatten einen starren Ausdruck angenommen. Der lebendige Glanz war vollständig aus ihnen verschwunden. Stattdessen wirkten sie glasig und schienen in unendliche Fernen zu starren. Mir fiel auf, dass die Augen des Priesters niemals zwinkerten. Sie lagen tief in ihren Höhlen, wodurch das Gesicht auf beunruhigende Art und Weise an einen Totenschädel erinnerte. Am Hals saßen formlose, kiemenartige Lappen, deren Zweck ich nicht erahnen konnte.
Am ganzen Körper, auch im Gesicht, standen Adern aus der Haut hervor, in denen dickflüssiges Blut pulsierte. Die Blutgefäße hoben und senkten sich regelmäßig, eine Tatsache, die diesem wandelnden Skelett wenigsten einen Anschein von Lebendigkeit verlieh.
Starr glotzten mich die tief in den Höhlen liegenden Augen an. Mich beschlich das bange Gefühl, dass der Priester nicht ganz Herr seiner Sinne war. Düsterer Wahnsinn sprach aus diesen Augen. Nackt stand er vor mir, bar seines vor neugierigen Blicken schützenden Umhangs. Um seinen Hals hing lediglich ein kompliziert geformtes Steinfragment an einer dünnen Kette, deren Material ich nicht identifizieren konnte.
"Das ist ja schrecklich!", stöhnte ich. Die Soldaten neben dem Priester hatten unwillkürlich ihre Kalaschnikows gehoben, senkten sie aber wieder ein wenig, da keine unmittelbare Gefahr von ihm ausging.
"Ich hatte sie gewarnt", sagte die dumpfe Stimme. Blicklos stierten mich die glasigen Augen aus dem haarlosen Schädel an.
Nachdem sich der Kloß in meinem Hals wieder gelöst hatte, setzte ich das Verhör fort. Der Gefangene antwortete bereitwillig auf all meine Fragen. Ich wurde den Verdacht nicht los, dass er uns belog.
Der Priester beharrte weiterhin auf seiner Altersangabe von 215 Jahren und ich ging nicht weiter darauf ein. Auf meine Fragen hin erzählte er, dass seine Form der Mutation noch zu den harmloseren gehöre. Dies begründete er mit seiner relativ unbedeutenden Position innerhalb des "Kollektivs", womit er die Sekte aus Sektor 347 bezeichnete. Die Sektenanhänger verehrten mysteriöse Überwesen, die, wie der Priester sich ausdrückte, älter seien als die Menschheit selbst und die doch erst in ferner Zukunft aus ihr hervorgehen sollten.
Ich war angesichts des entstellten Mutanten bereit viel zu glauben, aber alles hat Grenzen. Als der Priester schließlich auf meine Frage, was er in der Nähe der Dörfer vorgehabt habe, antwortete, er sollte von meinen Truppen gefangen genommen werden, um sich ein Bild von unserer Basis zu machen, schnappte ich nach Luft.
Bei diesem Mutanten schien es sich um einen Geisteskranken zu handeln. Dennoch war er der einzig nennenswerte Anhaltspunkt, der mit dem tragischen Verschwinden unserer Truppen in Verbindung gebracht werden konnte. Ich ging also auf seine grotesken Fantasien ein und befahl ihm über seine Religion zu berichten. Er tat es mit der Verwirrtheit und dem Fanatismus, die der Wahnsinn prägt. Als Priester musste er wohl fest von der eigenen Lehre überzeugt sein. Ich konnte angesichts seiner verwirrten Erklärungsversuche mein Bild von den Vorstellungen des blasphemischen und diabolischen Glaubens nur schwer abrunden. Unter Berücksichtigung der späteren entsetzlichen Erlebnisse kann ich mir retrospektiv jedoch Einiges zusammenreimen.
Che'Kharnthak'Rlawangwe erklärte bildreich, in der Zukunft würden bösartige aber unglaublich hoch entwickelte Kreaturen erschaffen werden, die sogenannten "Futuren". Erst von einer zukünftigen Menschheit durch Genmanipulation und eine unbekannte PSI-onischen Modulationstechnik kreiert, seien sie von dieser in die fernste Vergangenheit der Erdgeschichte zurückgesandt worden. Durch dieses Paradoxon der Zeit seien die Futuren in eine, durch den temporären Transfer entstandene, separate Dimension transportiert worden. Seit dieser Zeit existierten sie in einer Parallelwelt zu unserer Erde in einem fast leeren Universum.
Dann wurden die Ausführungen noch verworrener. Der Priester begann über Gegenstände zu berichten, die von den Futuren aus ihrer temporären Verbannung in unsere sich nach dem Urknall formende Normalwelt gesandt worden seien. Ferner sprach er von kosmischen Phänomenen, die den Wesen erlaubten, an bestimmten Orten zu bestimmten Zeiten mit Hilfe von hoch entwickelter Technologie Risse in der Realität zu erzeugen. Durch diese Risse würde ihnen der direkte Kontakt mit der parallelen Erde in ihrer jeweiligen Entwicklungsepoche erlaubt.
So gelänge es den Futuren, hin und wieder blutige Eingriffe in die irdische Mythologie vorzunehmen. Der Priester wollte mir damals nicht verraten, welche Ursache das perverse Vergnügen seiner Überwesen an menschlichem Leid haben könnte. Heute bin ich zu einer Überzeugung gekommen, die so abstoßend ist, dass ich die Nerven des potentiellen Lesers nicht mit Spekulationen belasten will. Ich habe in meinem Bericht an den Kreml gewisse Andeutungen gemacht. Wer sich mit dieser Thematik weiter beschäftigt und Zugang zu dem bewussten Material erlangt, wird die richtigen Schlüsse ziehen.
Wie ich schon aus den Berichten der Dorfbewohner wusste, diente die Sekte den Kreaturen im Austausch gegen Leistungen, die ihnen kein Mensch je hätte anbieten können. Unsere Truppen seien in die Fremddimension der Futuren geschickt worden, als Opfer für jene Überwesen.
Ich wollte noch weitere Fragen stellen, doch an dieser Stelle ging ein Ruck durch die Gestalt des Priesters. Er sagte die Pflicht rufe. Dann griff er nach dem Stein um seinen Hals und stimmte einen widerwärtigen Singsang an. Ohne mich für die phonetische Korrektheit verbürgen zu können, ist er in etwa so wiederzugeben: "R'lalank G'hnor'rtakgh Ghr'amor Fhu'Utu'Uh'Ur."
Dann passierte etwas schier Unglaubliches. Der Stein in der Hand des Priesters begann blau zu leuchten und zu pulsieren. Der Mann selbst stieß einen irren Schrei aus. Seine Gestalt wand sich wie unter Krämpfen in einer grellblauen Leuchterscheinung und begann dabei zu fluktuieren. Ein eiskalter Luftzug wehte in Richtung der leuchtenden Gestalt und nahm an Intensität zu. Beunruhigende Leuchterscheinungen, Sankt-Elms-Feuer nicht unähnlich, züngelnden um den Priester. Was immer hier vor sich ging, es wirkte bedrohlich. Mir war klar, dass ich es nicht zulassen durfte.
Daher befahl ich schnell und ohne zu zögern: "Sofort erschießen!"
Die beiden Krasnui Uspech-Männer hoben fast augenblicklich ihre Sturmgewehre und feuerten je einen gezielten Schuss in den leuchtenden Körper. Aber nichts geschah. Die Kugeln durchdrangen die Leuchterscheinung ungebremst und bohrten sich in den Putz der gegenüberliegenden Wand.
"Negativ, Genosse General", meldete einer der Soldaten trocken. "Die Projektile zeigen keine Wirkung."
Das blaue Leuchten verstärkte sich noch, bis schließlich eine Art Spalt erschien. Darin verschwand der fluktuierende Körper des Priesters vollständig, worauf der Riss sich augenblicklich schloss.
Chestakowna, die neben mir stand, bemerkte kalt: "Seine Körperhaltung legt nahe, dass er nicht überlebt hat, was immer er auch versuchte."
Ich nickte. An diesem Tag überlegte ich lange, was ich in meinen Bericht schreiben sollte.
Tatsächlich wurde das Oberkommando umgehend über die Lage und die tagesaktuellen Ereignisse von mir in Kenntnis gesetzt. Ich schickte den Kommandanten auch eine Kopie des Films, den ich hatte anfertigen lassen. Außerdem legte ich in meinem Bericht eine Zusammenfassung der Aussagen des Priesters bei.
Ich versuchte dabei das Ereignis ein wenig zu verharmlosen. Ich äußerte die Vermutung, dass der Gefangene wohl einen raffinierten Trick zur Flucht nutzen wollte. Vermutlich klang ich dabei nicht sehr überzeugend. Außerdem erwähnte ich noch einmal, dass ich eine militärische Aktion gegen religiöse Extremisten in einem kaum zugänglichen Gebiet mit fragwürdiger taktischer Bedeutung für unverantwortlich hielt.
Leider war das Oberkommando aufgrund meines Erlebnisses beunruhigt und reagierte nervös. Der Film musste sie beeindruckt haben. Er sprach auch für sich. Meine Warnung konnte nicht verhindern, dass an jenem verhängnisvollen Sommertag der Befehl zur "Sicherung von Sektor 347 und Liquidierung ziviler terroristischer Kräfte" eintraf. Ich lächelte schief angesichts dieser Umschreibung der klassischen "Sichten-und-Vernichten"-Operation. Es musste also sein.
Ich hatte mir inzwischen Gedanken gemacht, mir auch das Video zum wiederholten Male angesehen. Ein Phänomen, das sich auf Zelluloid bannen ließ, konnte kein psychischer Trick sein. Es war etwas passiert, das eigentlich nicht hätte passieren dürfen. Was auch immer sich aber ereignet hatte, es war offenbar nicht im Sinne des Priesters verlaufen. Lag unsere Basis etwa in zu großer Entfernung zum Einflussbereich der Macht jener Kreaturen, die er anbetete und denen er diente?
Was hatte es nun mit den Geschichten der Dorfbewohner auf sich? Entsprach etwa ein Teil von ihnen der Wahrheit? Warum waren die Flugzeuge und Bodentruppen verschwunden? Was würden wir vorfinden? Würden wir auch verschwinden? Düstere Vorahnungen quälten mich, als ich beim Oberkommando ein Waffenarsenal anforderte, mit dem man eine mittlere Stadt hätte erobern können. Die Tatsache, dass die Lieferung prompt bewilligt wurde, war nicht geeignet meine Bedenken zu zerstreuen.
Da die Agententätigkeit meiner Soldaten zu nichts mehr führte, musste ich mich dazu entschließen, in Sektor 347 vorzudringen. Ich fasste die Ergebnisse der Nachforschungen vor der Truppe noch einmal kurz zusammen. Ich versuchte den Kameraden verständlich zu machen, dass wir es wahrscheinlich mit keinem gewöhnlichen Gegner zu tun bekommen würden. Diesmal handelte es sich um einen Feind, der sich von allen bisherigen unterschied.
Die Soldaten nickten stumm. Sie waren für Manöver mit geringen Erfolgsaussichten ausgebildet worden. Der Tod war ihr ständiger Begleiter.
Helikopter, die uns in die Nähe des Kampfgebiets bringen sollten, standen zur Verfügung. Es handelte sich um modifizierte Mi 24 Hubschrauber, die auf meine Anordnung hin mit modernen Frühwarnsystemen ausgestattet und für Operationen und Landungen in schwierigem Gebiet vorbereitet worden waren. Ich plante dennoch keinesfalls zu nahe an Sektor 347 heranzufliegen. So hoffte ich sicherstellen zu können, dass uns das Schicksal der Aufklärungsflugzeuge erspart blieb.
Ich machte mir keine Illusionen, dass ein offenes Vorrücken gegen die Extremisten die Vernichtung von Krasnui Uspech zur Folge haben musste. Daher ließen wir die Hubschrauber in einiger Entfernung von Sektor 347 landen. Dort errichteten wir eine improvisierte Basis.
Von dieser Basis aus koordinierte ich die weiteren Aktionen. Ich forderte hochauflösende Satellitenbilder an. Die Ergebnisse waren nur zum Teil befriedigend. Dennoch glaubte ich in Zusammenarbeit mit Oberst Chestakowna eine verdächtige Region in der steinigen Berglandschaft entdeckt zu haben. Es schien sich um das Hauptquartier der Sekte zu handeln. Die Aufklärungsfotos der orbitalen Satelliten erlaubten uns dank ihres hohen Auflösungsvermögens infragekommende Wege zu dem mutmaßlichen Stützpunkt der Sekte zu identifizieren.
In unserer neuerrichteten Basis konnten wir recht unbehelligt agieren. Einmal nur glaubte ich jenes unnatürliche Flimmern wahrzunehmen, welches das Verschwinden des mutierten Priesters begleitet hatte. Aber dies mochte eine Einbildung gewesen sein.
Als die logistischen Vorbereitungen weitgehend abgeschlossen waren, schickte ich einen der Krasnui Uspech-Spezialisten mit Tarnanzug und Spezialausrüstung zur Beobachtung aus. Der Mann war mit einem Mikrosender ausgestattet. So konnten wir in Verbindung bleiben, ohne dass er durch schweres Gerät behindert wurde.
Tatsächlich beobachtete der Soldat, Iljitsch Lenlowski war sein Name, im Sektor 347 nahe der mutmaßlichen Basis Lebewesen. Aufgrund der schwarzen Roben und der tief ins Gesicht gezogenen Kapuzen konnte unser Mann jedoch nicht feststellen, ob es sich um normale Menschen oder Mutanten handelte. Die Schwarzbekleideten bewegten sich einzeln oder in kleinen Grüppchen auf jenes Gebiet zu, das wir auf den Satellitenbildern lokalisiert hatten. Auch einige der umliegenden, ehemals verlassenen Dörfer schienen wieder bewohnt zu sein.
Lenlowski teilte uns mit, dass er sich die nähere Umgebung einer größeren Kultstätte ansähe, als die Verbindung plötzlich schlecht wurde. Der Mann schrie etwas von einem intensiven Blau und einem unnatürlichen Luftzug, als sie völlig abbrach. Unsere fieberhaften Versuche, Lenlowski wieder zu kontaktieren, schlugen fehl. Wir hörten nie wieder etwas von ihm.
Die von Lenlowski gesammelten Daten über die Umgebung des Einsatzgebiets genügten jedoch, um mein Bild der Lage abzurunden. Er hatte die Positionen bewohnter Dörfer bestätigt, des weiteren die ungefähre Lage der Kultstätte. Über die Gewohnheiten der mysteriösen Sektenmitglieder wussten wir nur wenig. Bekannt war lediglich, dass sie sich offenbar nicht gern in größeren Gemeinschaften bewegten. Mehr konnte Lenlowski vor seinem plötzlichen Verschwinden nicht übermitteln.
Ich hielt es für unverantwortlich noch einen weiteren Beobachter zu entsenden. Von Lenlowskis Tod war ich inzwischen überzeugt. Es konnte unseren Einsatz extrem erschweren, sollte die Sekte durch ständige Behelligung mehr als nötig auf unsere Präsenz aufmerksam gemacht werden. Die offensichtliche militärtechnische Überlegenheit des Feindes konnte, wenn überhaupt, nur durch Taktik und Entschlossenheit ausgeglichen werden.
Nach einigen Tagen traf eine seltsame Fracht in unserer Basis ein. Auf meinen Befehl wurden Holzkisten geliefert, die lange, schwarze Roben mit großen Kapuzen enthielten. Die Kleidungsstücke glichen dem, das einst dem gefangenen Priester gehört hatte.
So kam es, dass eines Nachmittags 300 in schwarze Roben gekleidete Männer auf dem Appellplatz der vorgeschobenen Basis antraten. Alle Kapuzen waren tief ins Gesicht gezogen, so dass dieses fast vollständig verdeckt wurde. Man hätte meinen können eine Schar vorzeitlicher Druiden habe sich zu einer düsteren Messe zusammengefunden.
Es hatte wieder Berichte über verschwundene Einwohner in den umliegenden Dörfern gegeben. Einige Afghanen waren sogar direkt in unser Lager gekommen, um uns um Hilfe zu bitten. Diese Tatsache trug, neben dem Verschwinden Lenlowskis, natürlich nicht dazu bei, die Kampfmoral der Truppe zu heben.
Dennoch hoffte ich, mich auf die Experten von Krasnui Uspech verlassen zu können. Sie zeigten rein äußerlich keine Gefühle und ließen sich im Notfall hoffentlich auch nicht von Emotionen zu Impulshandlungen verleiten.
Jeder kannte seinen Auftrag. Die Bewaffnung, bestehend aus einer Kalaschnikow und mehreren Handgranaten, lag dicht am Körper unter den langen, wallenden Roben. In kleinen bis kleinsten Grüppchen sollten sich die Soldaten auf unterschiedlichen Wegen dem Zielgebiet nähern. Jeder Kontakt mit echten Sektenmitgliedern war weitestgehend zu vermeiden. Über kleine Funkgeräte unter der Kapuze wurde die Verbindung innerhalb der Truppe gewährleistet.
Die Taktik war banal. Im offenen Gefecht war die Sekte unangreifbar. So wollten wir uns nun verkleidet einschleichen. Dabei hofften wir auf die durch Lenlowski ermittelte Ungeselligkeit innerhalb der Sekte bauen zu können. Wir planten unerkannt bis zu der Kultstätte vorzudringen, um dort zunächst unauffällig Beobachtungen anzustellen. Je nach den vorliegenden Gegebenheiten sollte dann zugeschlagen werden.
Ich konnte es nicht riskieren noch einen Späher in schwarzer Kluft auszusenden. Im Falle seiner Enttarnung wäre unser Unternehmen zusätzlich erschwert worden.
So hoffte ich auf ein gutes Gelingen in dem belastenden Wissen, dass die von der Führung erwogene Alternative zu unserem Erfolg der Einsatz einer taktischen Nuklearwaffe gewesen wäre. Das Oberkommando hatte keinen Zweifel an seiner Entschlossenheit aufkommen lassen. Diese Waffe würden sich eventuell vorhandene Wesen aus einer Parallelwelt wohl kaum in ihre Dimension transferieren. Aber die Katastrophe des Nuklearangriffs mit allen resultierenden internationalen Verwicklungen sollte um jeden Preis verhindert werden. Das war unsere Aufgabe.
So rückten wir in zwei Flanken - die eine führte ich persönlich, die andere Oberst Chestakowna - in den Sektor 347 vor. Wir bewegten uns dabei plangemäß nicht in geschlossener Formation sondern in kleinsten Grüppchen. Dabei lagen oft mehr als hundert Meter zwischen den einzelnen Einheiten. Chestakownas Route lag, wie wir anhand der Satellitenfotos festgelegt hatten, etwa parallel zu meiner.
Auf dem ersten Abschnitt des Wegs, wenn man bei diesen Schluchten und Felsspalten überhaupt von Wegen sprechen kann, wurde kaum gesprochen. Jegliche nicht erforderliche Aktivität sollte aus Sicherheitsgründen unterbleiben. Wir wussten einfach zu wenig über unseren Gegner.
So marschierten wir durch gebirgiges Gelände, dabei mussten steil ansteigende und abfallende Hänge passiert werden. Wir hatten den Ablauf so geplant, dass wir nicht vor Einbruch der Dunkelheit im Gefahrengebiet ankommen konnten.
Bald begannen die starren, zackigen Felsspitzen im roten Glanz der untergehenden Sonne gespenstisch zu leuchten. Ich wusste aufgrund der Geländebeschreibung Lenlowskis, dass wir die Gefahrenzone beinahe erreicht hatten. In dieser Region war er auf die ersten Schwarzgekleideten gestoßen.
Ich kontaktierte Chestakowna. Außer einigen Spuren, die auf menschliche Aktivität schließen ließen, und einem verlassenen, weitestgehend verfallenen Dorf war ihr bisher noch nichts aufgefallen.
Düster und schweigend marschierten unsere zwei Flanken mit weiten Abständen zwischen den Gruppen durch die langsam aber sicher einsetzende Dunkelheit. Die Orientierung im Gebirge war ohne Nachtsichtgerät bald kaum noch möglich. In der Finsternis war der Pfad nicht mehr zu erkennen.
An der Stelle, an der wir den Kontakt zu Lenlowski verloren hatten, hielt ich inne und aktivierte mein Sprechgerät. Chestakowna meldete sich, aber leise, fast verstohlen flüsternd. Die Dunkelheit war so intensiv, dass man kaum die Hand vor den Augen sehen konnte. Eine solche Finsternis war ungewöhnlich, selbst bei bewölktem Himmel. Warum waren keine Sterne zu sehen? Im Dunkel hörte man nur die losgetretenen Steine, die unter den Füßen der Soldaten in die Tiefe rollten.
Schließlich hatten wir einen vor uns liegenden Gebirgskamm fast vollständig erklommen. Chestakowna war mit ihren Männern offensichtlich etwas schneller gewesen als ich. Sie berichtete bereits von Lichtern im gegenüberliegenden Tal. Diese strebten einem Punkt hinter einer Schlucht zu, den sie aber nicht einsehen konnte.
Ich fragte, ob sie schon Feindkontakt gehabt habe, worauf sie erwiderte, es wimmele hier von Schwarzgekleideten. Dies erklärte auch ihre gedämpfte Stimme. Sie sagte, ich solle vorsichtig sein, weil ...
In diesem Moment wurde die Verbindung plötzlich massiv gestört. Ich empfing daraufhin nur noch atmosphärisches Rauschen. Verzweifelt versuchte ich wieder Kontakt zu bekommen, aber vergebens. Nicht nur Chestakownas, alle Funkgeräte schienen gestört zu sein. Um mich herum gab es nur Finsternis und die dunklen Gestalten von Gregorow und Schmalinski, die zu meiner Gruppe gehörten.
"Weiter!", befahl ich leise. Diesen Befehl bereue ich bis heute.
Wir erreichten den Grat des Gebirgskamms und blickten hinab ins Tal. Wo tiefste Dunkelheit herrschen sollte, waren hunderte von Lichtern zu sehen. Es handelte sich offenbar um Leuchtfeuer, Kerzen und Fackeln.
Wir sahen nicht nur, dass wir am Ziel waren, sondern konnten es auch hören. Ein monotoner, bedrohlich klingender Singsang, der bisher durch den Gebirgskamm abgeschirmt worden war, hallte unangenehm in unseren Ohren. Es war offenkundig, dass es sich um Beschwörungsformeln handeln musste. Man konnte jedoch die Silben beim besten Willen nicht auseinanderhalten.
Aufgrund der unterbrochenen Kommunikationsverbindungen waren nun alle Teams auf sich allein gestellt. Am Auftrag änderte dies natürlich nichts. Im Falle einer Komplikation sollten sofort die Kampfhandlungen aufgenommen werden, wobei zur Freund - Feind - Erkennung die Kapuzen abzunehmen waren. Vor einem Angriff jedoch hatten sich alle unauffällig zu verhalten und zu beobachten.
Mein Team zündete nun ebenfalls Kerzen an. Ich konnte nur hoffen, dass die übrigen Gruppen unserem Beispiel folgten. Dann schickten wir uns an, in jenes Tal hinabzusteigen, in dem das Grauen Gestalt angenommen hatte.
Der Abstieg erwies sich als nicht ungefährlich. Ausgerechnet in der ohnehin schon unheilschwangeren Situation passierte mir ein fast banales Missgeschick. Ich trat fehl und rutschte ab. Nur meiner Ausbildung hatte ich es zu verdanken, dass ich nicht unartikuliert zu schreien begann. Halb rutschend, halb fallend, bewegte ich mich auf sehr unangenehme Weise einen steilen Geröllhang hinab. Am Ende des Hangs schlug ich hart auf, was mich kurzzeitig in einen Dämmerzustand versetzte.
Ich erholte mich zum Glück recht schnell. Der ganze Körper schmerzte, aber es schien nichts gebrochen zu sein. Nur mein Umhang fühlte sich merkwürdig leicht an, als ich eine sitzende Haltung einnahm. Ich verharrte kurz, ungläubig in die Dunkelheit starrend.
Dann erschrak ich heftig. Die Granaten und die Magazine waren verschwunden. Ich musste sie beim Sturz verloren haben. Der Mikrosender fehlte ebenfalls. Nur die Kalaschnikow war noch da. Ihr Kolben hatte mir beim Aufprall den Hieb in den Rücken versetzt. Ich überprüfte die Waffe flüchtig. Mir war wirklich nichts erspart geblieben. Durch den Sturz hatte sich die Mechanik verzogen. Die Waffe war somit unbrauchbar, ich warf sie weg. Die Kerze war mir bei dem schicksalhaften Sturz auch aus der Hand gefallen, lediglich Pistole und Messer steckten noch im Gürtel unter der unbequemen schwarzen Robe.
Ich blickte nach oben. Der Hang stieg fast lotrecht an. Mir war unbegreiflich, wie ich den Sturz so heil hatte überstehen können. Da ich auf einem Felsvorsprung gelandet war, hatte es keinen Zweck nach den Granaten zu suchen. Weit über mir konnte ich helle Punkte in dieser widernatürlich schwarzen Nacht ausmachen. Es mussten die Kerzen von Gregorow und Schmalinski sein. Die beiden standen einen Augenblick lang unschlüssig, kletterten dann aber weiter. Natürlich, sie mussten mich für tot halten. Es hatte keinen Schrei gegeben, nur einen offenbar sehr harten Aufprall.
Trotz meiner gegenwärtigen Unversehrtheit hatte sich meine Lage extrem verschlechtert. Der gespenstische Singsang schien jetzt viel näher zu sein. Als ich mich umsah, huschten schwarze Gestalten mit brennenden Kerzen nur wenig unterhalb meiner Position vorbei. Ich richtete mich langsam auf. Diesmal kam mir die pechschwarze Finsternis zustatten. Ich war bewölkte Nächte gewohnt, aber diese Schwärze hatte alles Natürliche verloren.
Nun war ich ganz allein. Ich musste mich entschließen nach unten zu klettern, was ich nach kurzem Zögern auch tat. Das dumpfe, fast blödsinnig klingende Singen, das von zum Teil ekstatisch heulenden Stimmen begleitet wurde, jagte mir einen Schauer nach dem anderen über den Rücken. Der Gesang klang anders als jener, den der Priester vor seinem Verschwinden angestimmt hatte. Ein Wort aber schien gleich zu sein: "Fhu'Utu'Uh'Ur".
Langsam legte ich das letzte Stück des Wegs ins Tal zurück. Auf meine Soldaten konnte ich nicht zählen. Ich würde sie wohl nicht einmal von Gegnern unterscheiden können. Meinen Dolch wickelte ich vorsichtshalber in den Ärmel des weiten Gewands.
So erreichte ich nach einem mühsamen Abstieg ein Gelände, in dem der Hang nur noch sanft abwärts führte. Dort musste ich zu meinem Ärger erkennen, dass ich fast direkt neben einem ausgetretenen Pfad hinabgeklettert war.
Dieser Unwille verflog jedoch schnell wieder, als ich kurz darauf eine schwarzgekleidete Gestalt den Pfad herunterkommen sah. Im flackernden Licht der Kerze, die sie trug, blickte ich in zwei irrsinnig in ungreifbare Fernen stierende Augen in einem leichenähnlichen Gesicht. Auf die widerlich verquollenen Hände, die die brennende Kerze starr umklammerten, möchte ich nicht näher eingehen. Ich war froh, von dieser Missbildung fehlgeleiteter Mutation nicht noch mehr sehen zu müssen.
Nun hörte ich, dass der Singsang keineswegs das einzige Geräusch im Tal war. Er wurde von rhythmischem Trommeln begleitet. Vorsichtig darauf achtend, dass die Kapuze in meinem Gesicht nicht verrutschte, stahl ich mich durch die stumpfsinnige, unmenschliche Gebetsformeln grölende Menge. Was ich in wenigen Minuten an pervers verunstalteten, nur noch entfernt an menschliche Wesen erinnernden Monstren sah, spottete jeder Beschreibung. Die Extremitäten glichen zum Teil Tentakeln von widerwärtig fleischartiger Gestalt. Die Köpfe waren aufs Scheußlichste deformiert, Augen quollen fast aus den Höhlen haar- und wohl auch nahezu hirnloser Totenschädelkarikaturen. Bis zum Skelett abgemagerte Finger streiften meine Robe.
Und doch lag in jedem Paar tief in den Höhlen liegender oder fast zum Bersten herausquellender Augen ein unmenschlicher, fanatischer Glanz, etwas Dämonenhaftes, etwas Grauenvolles. Reptilienartige Haut war von pulsierenden Blutgefäßen durchzogen. Unförmige Hüften zuckten ekstatisch zu dem Rhythmus blasphemischer Gesänge. Um mich herum tapste und wabbelte es. Dumpfe oder extrem hohe Stimmen pfiffen, kreischten oder heulten ihre sinnlosen Gebetsformeln. Ob Mann, ob Frau, ich vermochte es nicht mehr zu unterscheiden. Ich konnte nicht vermeiden, dass mein ganzer Körper wie unter einem Fieberkrampf zitterte. Meine Haut fühlte sich rau an. Ich spürte, wie sich meine Nackenhaare aufstellten.
Trotz meiner Angst war mir bewusst, dass ich eine Mission zu erfüllen hatte und dass sich Soldaten unter meinem Kommando im Talkessel befanden. Ich bewegte mich so schnell es ging durch diese Ansammlung grotesk verzerrter Karikaturen boshafter Unmenschlichkeit.
Ich achtete darauf, unter keinen Umständen mit einer der widerwärtigen Kreaturen zu kollidieren. Ich verspürte das dringende Bedürfnis, diese Brut dämonischer Geschöpfe, die wie zum Spotte der Natur die Erde verunzierten, mit Stumpf und Stiel auszurotten. Mit einer Pistole wäre dies jedoch Wahnsinn gewesen. Ich musste schaudernd an das grausige Schicksal denken, das den verschwundenen Soldaten widerfahren sein mochte.
Schließlich erreichte ich den Eingang der Schlucht, in die das immer schmaler werdende Tal mündete. Dabei musste ich zweimal die Übelkeit angesichts dieser Abscheulichkeiten und ihrer nicht minder widerwärtigen Ausdünstungen hinunterwürgen.
Hier wurde das Vorwärtskommen noch schwieriger. Ich hoffte inständig, dass keine der Missgeburten meine Gedanken lesen konnte oder falls doch, es wenigsten nicht versuchte. Nun gab es kein Vorwärtskommen mehr ohne direkten Kontakt zu den schaurigen Kreaturen um mich herum. Steil strebten die schroffen Felswände zu meiner Rechten und Linken in die Höhe, während die Schlucht immer enger wurde. Eines war mir klar: Diese Felswände würde niemand erklettern können.
Im flackernden Kerzenschein blickte ich in zum Teil unverhüllte Gesichter, die dem Maskenbildner eines Horrorfilms alle Ehre gemacht hätten. Möglichst selbstsicher und würdevoll wirkend schritt ich mit den langsam aber unaufhaltsam vordringenden Massen. Durch das wallende Gewand konnte niemand sehen, wie ich dabei vor Angst schlotterte. Ich fragte mich, wie es meinen Soldaten ergehen mochte. Hin und wieder hatte ich Wesen gesehen, die ihre Kapuze gleich mir besonders tief ins Gesicht gezogen hatten. Ich wagte jedoch nicht, eine der Gestalten anzusprechen.
Nicht alle Anwesenden wirkten gleichermaßen pervers verändert. Die meisten Gestalten glichen durchaus noch menschlichen Wesen. Der starre Gesichtsausdruck und die fast blödsinnig ins Nichts starrenden Augen waren aber nahezu allen gemein. Ich fragte mich, wie glaubhaft ich selbst diesen Gesichtsausdruck replizierte. Warum stieß sich niemand daran, dass ich nicht sang sondern nur leise etwas summte und als nahezu einziger keine Kerze trug? Ich betone das "fast", ich hatte auch Kreaturen ohne Licht gesehen, war aber diesen nie zu nahe gekommen. Sie gingen in merkwürdig gebückter Haltung und wirkten pechschwarz in der düsteren Nacht. Ihre Haltung konnte ich angesichts der Schmerzen, die von dem Sturz herrührten, ohne größere Schwierigkeiten imitieren. Diese kerzenlosen Kreaturen, wer oder was immer sie auch sein mochten, hatten eine Aura um sich, die wohl in jedem Lebewesen nur intensive Abscheu hervorrufen kann. Auch ich konnte mich dieses Gefühls sinisteren Grauens nicht erfolgreich erwehren. Selbst die anderen Sektenmitglieder mieden jene Kreaturen ganz offensichtlich.
Ich bewegte mich merklich schneller als die meisten und hatte bald das Ende der Schlucht erreicht, wo die steil emporstrebenden Felswände schließlich in der Höhe miteinander verschmolzen. Die ungewöhnliche, schmaler werdende Schlucht mündete in eine extrem geräumige Grotte. Dies erklärte wohl auch, weshalb auf unseren Satellitenbildern nichts zu erkennen gewesen war. Im Inneren der Grotte waren Behausungen in den Stein gehauen, die unglaublich alt zu sein schienen. Sie wiesen eine groteske Ästhetik auf. Die unnatürlichen Verzierungen und abnormen Statuen, welche die Ränder der Grotte säumten, ließen einen entweder genialen oder ganz und gar wahnsinnigen Künstler vermuten.
In der Mitte der riesigen Felshöhle war aus behauenen Steinquadern ein pyramidenähnlicher Turm, bestehend aus drei übereinandergeschichteten Plattformen, errichtet worden. Verziert waren sie mit Basreliefs unnatürlicher, in den Stein gehauener Lebensformen, auf die lange zu fokussieren Kopfschmerzen bereitete und den Blick verschwimmen ließ. Ich hatte an diesem Tag jedoch zu viel gesehen, um noch überrascht zu sein. Auf jeder Plattform des Pyramidenturms brannte ein großes Feuer vor Altären, die mit Metallbeschlägen und mit Edelsteinen verziert waren, welche in einem unheiligen Glanze funkelten.
Auf jedem der Altäre lagen lange, spitze Dolche und, wie ich entsetzt feststellen musste, völlig normal aussehende Menschen. Sie waren offensichtlich lebendig, bei Bewusstsein und nicht gefesselt, bewegten sich aber dennoch nicht. Hinter den Altären standen schwarzgekleidete Gestalten von unterschiedlicher Statur.
Es sollte ganz offensichtlich eine Opferung durchgeführte werden, ein Ritus, um die Futuren zu irgendetwas zu bewegen. Wenn man von einer vierseitigen Pyramide ausgeht, war also der Tod von neun Menschen vorgesehen. Auf den unteren 2 Etagen sollten je 4 Menschen sterben, auf der obersten einer. Ich war geschockt, dass diese bestialischen Kreaturen offenbar keinen Unterschied zwischen Männern, Frauen und Kindern machten. Alle Altersgruppen waren unter den Bedauernswerten vertreten, die nackt und wie erstarrt auf den Opferaltären lagen.
Offenkundig war der auch hier vorherrschende abwesende Ausdruck auf den Gesichtern der Sektenanhänger, die unvorstellbare Wonnen zu erleben schienen. Niemand interessierte sich auch nur in Ansätzen für mich. Ich griff prüfend an meinen Gürtel und stellte beruhigt fest, dass sich die Pistole noch an ihrem Platz befand.
Trotz meiner intensiven Abneigung gegen das sich hier anbahnende Schauspiel war ich zum Abwarten verurteilt. Es wäre Irrsinn gewesen den Angriffsbefehl zu erteilen. Ich konnte nicht einmal sicher sein, ob sich die Soldaten bereits in der Nähe befanden. Auch erschien mir ein Kampf Mann gegen Mann gegen diese Kreaturen viel zu riskant.
Also blieb mir nichts anderes übrig, als zu warten und mich möglichst unauffällig zu verhalten. Ich konnte damals nur vermuten, was die abnormen Mutanten mit mir gemacht hätten, wäre meine Identität entdeckt worden. Noch stierten die Augen der Kreaturen starr ins Leere. Ich hoffte inständig, dass Chestakowna sich nicht zu unbedachten Interventionen hinreißen ließ.
Es blieb mir wenig Zeit für Überlegungen. Hinter den Opferaltären kam Bewegung ins Geschehen. Die dort stehenden Priester stimmten einen monotonen Singsang an, der sich von dem der übrigen Sektenmitglieder unterschied. Sie tanzten, nachdem sie die Dolche zum Ausglühen ins Feuer gelegt hatten, mit ekstatisch schwingenden Bewegungen um die Altäre.
Plötzlich entstand mit blauem Leuchten ein Riss neben einem der Opferaltäre und ein Kapuzenwesen tauchte auf. Dieses hatte außer den Armen noch lange, oben und unten spitz zulaufende Flügel. Ich war froh, nicht noch mehr von dieser grotesken Verspottung der Evolution sehen zu müssen. Die Kreatur stieß einen heiseren Schrei aus und packte den wie paralysiert auf dem Altar liegenden, etwa 12-jährigen Jungen am Hals, hob ihn hoch und schlitzte ihm mit einem krallenähnlichen Gliedmaßenfortsatz den Unterleib auf. Dadurch schien dieser aus seiner Trance aufzuwachen. Verzweifeltes Schreien aus der jugendlichen Kehle gellte durch die Grotte, als die Därme langsam aus dem blutigen Schlitz im Unterleib quollen. Aber die Kreatur schien noch nicht zufrieden zu sein. Mit einer pfotenähnlichen, krallenbewehrten Klaue griff sie in den schmerzgepeinigten jungen Leib hinein und riss die Därme heraus. Der gellende Schrei des Jungen war fürchterlich, bis die gnädige Bewusstlosigkeit seinen Qualen schließlich ein Ende bereitete. Der verdammungswürdige Peiniger nahm nun den Kopf des Jungen zwischen die Klauen und zerquetschte ihn, so dass die Gehirnmasse seitlich am Leib herunterlief. Dann packte er den leblosen Körper und warf ihn achtlos in die Flammen, stieß ein ekstatisches Jauchzen aus und verschwand auf die gleiche Weise, wie er erschienen war. Donnernder Beifall aus der Menge ertönte, während das entsetzliche Spektakel seinen Lauf nahm.