Gansltod - Rupert Schöttle - E-Book

Gansltod E-Book

Rupert Schöttle

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Beschreibung

Nach dem traditionellen sonntäglichen Mittagessen mit ihrer Familie wird die vermögende Helga Thaimer tot in ihrem Bett aufgefunden. Was zuerst nach einem Herzstillstand aussieht, erweist sich nach der vom ungeliebten Stiefsohn initiierten Autopsie als Vergiftung. Die Wiener Chefinspektoren Vogel und Walz übernehmen die Ermittlungen und geraten in einen Strudel innerfamiliärer Konflikte. Die Familie zerfällt zwar in eine unübersichtliche Melange aus Eifersucht und Schuldzuweisungen, aber niemand scheint ein echtes Motiv zu haben …

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Rupert Schöttle

Gansltod

Kriminalroman

Zum Buch

Letztes Mahl Nach einem familiären Ganslessen wird die reiche, verwitwete Gastgeberin Helga Thaimer tot in ihrem Bett aufgefunden. Was zunächst nach einer natürlichen Todesursache aussieht, erweist sich nach der vom ungeliebten Stiefsohn initiierten Autopsie schnell als Vergiftung. Da gerade dieser Lukas derjenige ist, den alle verdächtigen, stehen die Wiener Chefinspektoren Vogel und Walz vor einem Rätsel: Hätte er die Autopsie veranlasst, wenn er Helga tatsächlich umgebracht hat? Unwahrscheinlich! Auf der fieberhaften Suche nach dem wahren Täter schießen sich schließlich alle auf die ungeratene jüngste Tochter Tanja ein, die ein angespanntes Verhältnis zu ihrer Mutter hatte. Tatsächlich finden sich an ihrem Rucksack Spuren des tödlichen Gifts. Der Fall scheint damit gelöst, doch im Gegensatz zu ihrem Vorgesetzten geben sich die Inspektoren damit nicht zufrieden und kommen schließlich zu einem überraschenden Ergebnis.

Rupert Schöttle wurde in Mannheim geboren. Sein Studium führte ihn schon bald nach Wien, in die »Welthauptstadt der Musik«, wo er sofort heimisch wurde. Neben seiner Tätigkeit als freier Mitarbeiter im Orchester der Wiener Staatsoper und bei den Wiener Philharmonikern, die er 30 Jahre lang ausübte, wurde er durch seine Diplomarbeit im Fach der Musiksoziologie von einem Verleger entdeckt, der ihn dazu aufforderte, diese in Buchform zu bringen. Somit war der ersehnte „intellektuelle Ausgleich“ zu seinem Musikerberuf gefunden und Schöttle begann, Bücher zu schreiben.

Impressum

Personen und Handlung sind frei erfunden.

Ähnlichkeiten mit lebenden oder toten Personen

sind rein zufällig und nicht beabsichtigt.

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Alle Rechte vorbehalten

Lektorat: Claudia Senghaas, Kirchardt

Herstellung: Mirjam Hecht

Umschlaggestaltung: U.O.R.G. Lutz Eberle, Stuttgart

unter Verwendung eines Fotos von: © Jack Jelly / shutterstock

ISBN 978-3-8392-7274-9

Prolog

Martina Vogel war zutiefst beunruhigt.

Denn ihr Ehemann, der uns allen wohlbekannte Chefinspektor Kajetan Vogel, war in den letzten Wochen ein anderer geworden.

Nicht, dass sie dies bedauern würde, nein, ganz im Gegenteil, hatte sie eine solche Wandlung doch oft schon ersehnt und zuweilen sogar lautstark angemahnt, doch jetzt, wo sie endlich eingetreten war, befürchtete sie darin einen tieferen Grund. Und das konnte nichts Gutes bedeuten.

Eine natürliche Ursache dafür, wie etwa eine wieder erblühte Gattenliebe, schloss sie bereits nach wenigen Tagen aus.

Kajetan war einfach zu liebenswürdig und zu verständnisvoll. Er half ihr im Haushalt, sorgte sich um die fälligen Einkäufe, bedachte sie mit längst vergessenen Kosenamen und nahm sich endlich Zeit dazu, ihren täglichen Sorgen Gehör zu schenken. Selbst das Wochenende, sonst ein ständiger Streitpunkt zwischen ihnen, hatte er sich für die Familie freigenommen, sodass sie endlich wieder einmal Freunde einladen konnten.

Als akzelerierendes Moment kam hinzu, dass auch zwei ihrer Bekannten über dieselben Symptome bei ihren Ehemännern berichteten, die wiederum andere Frauen kannten, denen dasselbe widerfahren war, sodass die Freude auch der arglosesten Vertreterinnen unter ihnen schon bald einem kollektiven Misstrauen wich.

Aus gutem Grund, wie wir uns denken können, kann die Ursache einer solch massiven Wandlung ins Gute doch nur in einem schlechten Gewissen begründet sein.

Zwar hatten auch ihre Freundinnen den Grund für diese auffällige Mentalitätswandlung noch nicht erkennen können, doch war es wohl nur noch eine Frage der Zeit, bis die Ausläufer der medialen Wellen, die für eine solch tiefgreifende Beunruhigung innerhalb der Männerwelt sorgten, auch sie erreichen würden.

Aber was war denn überhaupt passiert?

Eine ungeachtet ihrer konservativen Weltsicht technikaffine katholische Organisation hatte die Website des beliebten Seitensprungportals finallylove gehackt und die Namen sämtlicher Mitglieder online gestellt. Als wäre dies nicht schon schlimm genug, waren auch die dazugehörigen Korrespondenzen und Fotos ins Netz gelangt und dadurch nun für jedermann einsehbar.

Also auch für die Ehefrauen, die das eigentlich überhaupt nichts anging.

Das freilich hatten auch Martinas Freundinnen und Bekannte noch nicht in Erfahrung bringen können, da die betroffenen Ehemänner naturgemäß alles daransetzten, ihre Gattinnen darüber im Ungewissen zu lassen. So waren die obligatorischen Tageszeitungen und Wochenmagazine plötzlich nicht mehr im Briefkasten zu finden, selbst zum Zeitpunkt der Fernsehnachrichten im Hauptabendprogramm, ansonsten ein sakrosankter Termin männlicher Selbstbestimmung, verfielen die Angetrauten plötzlich in familienfreundliche Aktivitäten und schlugen gemeinsame Abendspaziergänge zum nächstgelegenen Eissalon vor oder veranstalteten sogar gemütliche Spieleabende, vorwiegend mit befreundeten Familien, deren männliche Oberhäupter der gleichen Problematik ausgesetzt waren.

In der wohl berechtigten Hoffnung, dass sich die medialen Wellen schon bald soweit gelegt haben dürften, dass sie es nicht mehr in die Fernsehnachrichten schaffen würden.

Doch bei all ihren Vorsichtsmaßnahmen konnten die sorgengeplagten Ehemänner nicht verhindern, dass sich ihre Gattinnen untereinander über die Ursache für diese kollektive Charakterwandlung austauschten.

Die größte Gefahr ging freilich von den öffentlichen Verkehrsmitteln aus. Denn die dort angebotenen Gratiszeitungen stürzten sich mit großer Lust und geheuchelter Empörung auf diese fatale Form des Datendiebstahls, wobei sie wichtigtuerisch prophezeiten, dass die Scheidungsanwälte schon bald die meistbeschäftigte Berufsgruppe in Österreich sein dürfte.

Es war also nur mehr eine Frage der Zeit, bis der erste Ehemann auffliegen würde.

Dabei schien die Lage von Kajetan Vogel auf den ersten Blick nicht ganz so verzweifelt zu sein wie die seiner Leidensgenossen. Immerhin hatte er vor einiger Zeit einen Mordfall aufgeklärt, der in direktem Zusammenhang mit eben dieser Agentur gestanden war. Dies zumindest hätte er als Argument gegenüber seiner Frau in Anschlag bringen können. Problematischer hätte sich hingegen das Verhältnis zu der Person gestaltet, die er über dieses Portal kennengelernt und auch getroffen hatte, war es doch niemand anderer als die Trauzeugin und beste Freundin seiner Ehefrau Martina gewesen, die er in Zusammenhang mit einem Blind Date tatsächlich »versehentlich« getroffen hatte. Was freilich auch ein leidenschaftlich-spielerischer Mailverkehr, der dem Treffen vorausgegangen war, hinreichend dokumentierte.

Für sich alleine gesehen hätte dies unter Umständen auch unter die Rubrik »Recherche« fallen können, schließlich, so konnte Vogel argumentieren, hatte er sich ein Bild davon machen müssen, wie es in einer solchen Agentur zuging. Und wer wäre dafür besser geeignet gewesen als die in einem solchen Zusammenhang doch völlig unverdächtige beste Freundin seiner Frau?

Diese Vertrauensstellung hatte Monika Leinreuther jedoch nicht davon abhalten können, unseren armen Helden bei ihrem Treffen dergestalt zu bestürmen, dass er die für ihn ohnehin ungewohnte Verteidigung der ehelichen Treue nur kurz aufrechtzuerhalten vermochte, um ihrem Drängen dann fast widerspruchslos – und anfangs durchaus lustvoll – nachzugeben.

Jene Tatsache schlug sich freilich nicht in ihrem Mailverkehr nieder, was immerhin beruhigend war – dies konnte er also durchaus glaubwürdig abstreiten.

Auch die anderen vergeblichen Werbungsversuche bei einigen ausgewählten Damen bildeten eigentlich keine Gefahr, weil auch sie zu Recherchezwecken entstanden sein konnten.

Nein, die eigentliche Bedrohung ging nicht von den im Netz zugänglichen Dokumenten aus, sondern alleine von der Person Monika Leinreuthers.

Denn die hatte ihm unmissverständlich mitgeteilt, dass diese Episode für sie noch lange nicht abgeschlossen sei, zumal Vogel nicht nur durch sein Verhalten während ihres kurzen Pantscherls, sondern auch gegenüber ihrem neuen Galan Monika allen Grund gegeben hatte, sich der alten Weisheit zu entsinnen, dass Rache eine Speise sei, die kalt genossen am bekömmlichsten ist.

Dass seine Frau Martina auf die eigentlich naheliegende Idee gekommen ist, an jenem Freitagabend ihre Trauzeugin Monika zusammen mit Florian Brunner, eben jenem wenig geliebten Nachfolger, anlässlich ihres 15. Hochzeitstags zum Abendessen einzuladen, machte die Sache nicht eben einfacher für Vogel.

Er hatte sich den Nachmittag freigenommen und war gerade auf dem Heimweg, als Monika ihn anrief und sich dessen versicherte, dass er auch ganz gewiss da sein werde und nicht von irgendwelchen wichtigen Ermittlungen von diesem »gemütlichen Beisammensein« abgehalten würde. Schließlich hätte sie ihm und seiner Gattin etwas »außerordentlich Wichtiges« mitzuteilen, und da »wäre es doch schade, wenn er nicht dabei sein könnte«.

Sein banges Nachfragen, wes Inhalts diese wichtige Nachricht sei, beantwortete sie mit der einleuchtenden Bemerkung, dass sie ihm das jetzt sicherlich nicht mitteilen würde, da es ansonsten »ja keine Überraschung mehr« wäre. Der Unterton, in dem sie ihm diese Mitteilung machte, versetzte ihn, dessen Nerven durch die Tatsache ihres Besuchs ohnehin reichlich mitgenommen waren, in zusätzliche Alarmbereitschaft.

Als er zu Hause ankam, schien sich sein Seelenzustand nur allzu deutlich in seiner Gesichtsfarbe widerzuspiegeln. Dies bemerkte auch seine Frau Martina, die sich sogleich besorgt nach seinem Gesundheitszustand erkundigte und ihm dazu riet, sich zur Erholung ein wenig niederzulegen, da es doch zu schade wäre, wenn sie »den netten Abend mit Monika und Florian« absagen müssten.

Diese Idee war ihm noch gar nicht gekommen!

Doch bereits nach kurzer Überlegung verwarf er jenen reizvollen Gedanken gleich wieder, könnte doch das dann unvermeidliche Telefonat zwischen Monika und Martina ohne eine Möglichkeit seines Eingreifens unkontrolliert eskalieren.

Also fügte sich Vogel in das Unvermeidliche und verkündete stattdessen, mit seiner Greyhoundhündin Emily zur Cholerakapelle im Wienerwald zu fahren, um sein sicherlich nur vorübergehendes Unwohlsein mit einem ausgedehnten Spaziergang zu kurieren.

Martina war’s recht, zumal sie bei den Vorbereitungen des Abendessens ohnehin ungestört sein wollte. Die nunmehr 13-jährige Tochter Laura, die er eigentlich dazu mitnehmen wollte, weigerte sich beharrlich, eine so lange Wanderung mit ihrem angeschlagenen Vater zu unternehmen, sodass er alleine auf sich gestellt alle möglichen Szenarien des folgenden Abends durchspielen konnte.

Der strahlende Frühlingstag wäre eigentlich bestens dazu angetan gewesen, auch die dunkelsten Gedanken zu verscheuchen, doch Vogel beachtete kaum die Sonnenstrahlen, die bereits eine wohlige Wärme verbreiteten. Selbst das lustige Vogelgezwitscher, das das Erwachen der Natur feierte, und die Ausgelassenheit seines Hundes vermochten ihn nicht aufzuheitern. Zu sehr war er mit den möglichen Folgen des heutigen Abends beschäftigt.

Zwar glaubte er nicht, dass Monika mit der ganzen Wahrheit herausrücken würde, immerhin war ja auch sie bei ihrem Zusammensein nicht untätig geblieben, genau genommen war sie ja sogar die treibende Kraft gewesen, auch wenn sie das heute sicherlich abstreiten würde. Eine solche Offenbarung hätte wohl unweigerlich nicht nur zum Ende seiner Ehe, sondern auch zum Ende der Freundschaft zwischen Martina und Monika geführt – und so weit wollte sie es wohl nicht kommen lassen.

Es genügte ja auch nur ein kleiner Hinweis auf die gehackte Agentur, möglicherweise noch verbunden mit der Aufforderung, sich dort doch einmal umzuschauen, wer sich aller in diesem Seitensprungportal herumgetrieben hatte. Doch auch in diesem Falle würde Martina auf die Verbindung aufmerksam werden.

Es hing also alles davon ab, wie weit Monika heute Abend gehen würde.

Dann war da noch dieser unsägliche Florian, den er ja überhaupt nicht leiden konnte.

Zwar glaubte Vogel nicht, dass Monika ihm gebeichtet hat, dass sie sich auf einem solchen Portal bewegt hatte. Das machte doch auf einen Liebhaber einen allzu jämmerlichen Eindruck, dass sie solche Dinge notwendig gehabt hätte, bevor sie ihn kennengelernt hatte. Was in seinen Augen wohl unweigerlich zu ihrer Herabminderung führen würde. Nein, so dumm würde Monika sicherlich nicht sein!

Mit anderen Worten: Eigentlich hatte er am heutigen Abend überhaupt nichts zu befürchten!

Dennoch war ihm etwas mulmig zumute, als es pünktlich um 19.30 Uhr an der Tür läutete. Schon bevor er dem Besuch öffnete, hörte er Monikas glucksendes Lachen, das ihn anfangs so begeistert hatte und ihn in diesem Moment doch wieder verunsicherte, zumal es ihn an ihre Spottlust erinnerte, mit der sie ihn bei ihrem letzten Treffen in ernsthafte Schwierigkeiten gebracht hatte.

Er hatte jedoch beschlossen, ihr furchtlos gegenüberzutreten und sich möglichst gelassen zu geben.

Tapfer setzte er sein strahlendstes Lächeln auf und öffnete schwungvoll die Tür.

Herzlich hieß er sie willkommen, Monika mit zwei oberflächlichen Wangenküssen und Florian mit einem festen Händedruck.

»Schön, dass ihr gekommen sein, um mit uns unseren Hochzeitstag zu feiern. Das war wirklich eine grandiose Idee von euch!«, flötete er, während er Monika galant aus dem Mantel half. Florian versuchte unterdessen – in der einen Hand den obligaten Blumenstrauß, in der anderen das zerknüllte Seidenpapier – sich der stürmischen Liebesbezeugungen Emilys zu erwehren, die mit ihrem langen Schwanz peitschenartige Hiebe verteilte.

»Martina war leider bis vor Kurzem von der Küchenfron in Anspruch genommen, und lässt sich vorderhand entschuldigen, sie macht sich noch schön für euch«, erklärte Vogel, während er Emily sanft beiseiteschob und die Gäste in das angrenzende Speisezimmer führte, wo Laura gerade dabei war, die auf dem Esstisch verteilten Kerzen zu entzünden.

Nach dem üblichen Begrüßungsprozedere, bei dem Laura Monika mit einem herzlichen Lächeln bedachte und den ihr noch nicht bekannten Florian eher zurückhaltend die Hand schüttelte, und der Erfüllung der Aperitifwünsche der Gäste und den damit verbundenen üblichen Floskeln, machte sich erst einmal verlegenes Schweigen breit, das erst durch das Auftauchen der Dame des Hauses durchbrochen wurde.

»Ist etwas passiert? Ihr sitzt ja da, als wäre gerade jemand gestorben«, plauderte Martina fröhlich los, als sie der wohl dümmlich vor sich hin lächelnden, gleichwohl in andächtiger Stille versunkenen Gesellschaft ansichtig wurde.

Mit einem Schlag war die gedrückte Atmosphäre verflogen, deren Ursache natürlich darin begründet war, dass das letzte Treffen in dieser Konstellation ausgesprochen unerfreulich verlaufen war und in einem erbittert geführten Streit geendet hatte.

Nach der allgemeinen Begrüßungszeremonie mitsamt der feierlichen Überreichung des Blumenstraußes war die Stimmung wie umgewandelt.

Martina und Monika plauderten ausgelassen über ihre Männer, sogar Kajetan scherzte mit Florian.

Es schien vorderhand, als ob die anfänglich gehegten Befürchtungen Vogels doch unbegründet gewesen waren. Angesichts dieser ausgelassenen Atmosphäre ging er sogar so weit, dass er ihr letztes Zusammensein in launiger Weise persiflierte.

»Nachdem unser erstes Kennenlernen unter nicht ganz erfreulichen Umständen geendet hatte, an denen auch ich einen nicht geringen Anteil hatte, nehme ich die Schuld daran zur Gänze auf mich und bitte Florian, mein freundschaftliches Versöhnungsangebot anzunehmen.«

»Ganz so war es doch nicht, auch ich habe leider über das Ziel hinausgeschossen«, antwortete Florian freudig und erhob sein Glas.

»Es wäre ja schließlich nicht das erste Mal, wenn sich eine harmonische Beziehung aus einem holprigen Beginn entwickeln würde – also, hiermit sei es besiegelt, Florian und ich haben unser Kriegsbeil begraben«, rief Kajetan geradezu euphorisch aus und prostete ihm zu, »angesichts der hier herrschenden weiblichen Übermacht muss man sich als unterlegene Kraft einfach solidarisieren, um nicht unterzugehen.«

»Ja, die Männer geben sich immer dann besonders stark, wenn sie etwas ausgefressen haben«, erwiderte Monika lachend.

»Oje, hat der Florian etwas angestellt?«, ging Martina fröhlich auf die Flachserei ihrer Freundin ein.

»Wer hat etwas von Florian gesagt?«, antwortete sie leichthin.

»Wollt ihr vor der Vorspeise nicht doch noch etwas trinken?«, beeilte sich Vogel zu fragen.

Seine bislang an den Tag gelegte Unbekümmertheit wich sogleich der schieren Panik, wobei er bemüht war, sich dies nicht anmerken zu lassen.

»Ja, noch so ein Gläschen Prosecco wäre nicht schlecht«, meinte Monika, während sie Vogel mit aufreizender Miene ihr leeres Glas hinhielt, »was ist das überhaupt für ein Gesöff? Es ist köstlich.«

»Danke, ich finde auch, dass er es mit jedem Prosecco aufnehmen kann. Das ist ein Uhudler Frizzante aus dem Südburgenland«, erklärte Vogel, dankbar, dieser gefährlichen Situation vorerst entgangen zu sein. »Wisst ihr eigentlich, dass der Uhudler schon einige Male verboten war, weil er angeblich gesundheitsschädlich ist? Zuerst im Jahre 1938, wo eh fast alles untersagt wurde, was Spaß macht. Erst 1992 wurde dieses Verbot wieder aufgehoben, der Wein wurde also gleichsam erst sehr spät rehabilitiert. Allerdings nicht ganz. So darf er nur in einigen burgenländischen Gemeinden verkauft werden, und das, obwohl die sogenannte Isabella-Traube gegen die Reblaus und die meisten Pilzkrankheiten resistent ist und daher nicht gespritzt werden muss. Und das Ärgste daran ist, dass eine weitere Anpflanzung von Uhudler-Trauben fast wieder verboten wurde.«

»Da steckt doch sicherlich wieder die EU dahinter, die sich den Interessen der Chemiekonzerne beugt«, warf Florian ein.

»Bitte, ihr Lieben, tut mir einen Gefallen: keine Politik heute Abend!«, rief Martina dazwischen, »wir wollen doch einen gemütlichen Hochzeitstag feiern.«

»Ja, weißt du, wenn Männer zusammenkommen, gibt es eh nur drei Themen: Fußball, Politik oder Frauen, das ist das Einzige, was sie interessiert! Und ich glaube, mit Martina einig zu sein, wenn wir verlangen, dass heute Abend weder über Politik noch über Fußball geredet wird«, setzte Monika hinzu.

»Und über Frauen dürfen wir schon sprechen?«, fragte Florian verwundert.

»Wenn es für uns interessant ist, dann schon, nicht wahr, Martina?«, antwortete Monika spitz und bedachte Vogel mit einem bedeutungsvollen Blick. »Wenn ihr uns beispielsweise eine befriedigende Erklärung dafür geben könntet, warum ihr immer wieder irgendwelchen anderen Frauen hinterher laufen müsst, obwohl diese um keinen Deut attraktiver oder gescheiter sind als wir, die euch treu ergeben sind.«

»Ja, das würde mich auch einmal interessieren«, pflichtete ihr Martina bei.

»Da kann uns doch bestimmt der Kajetan Auskunft darüber geben. Wenn ich mich richtig erinnere, hast du vor einiger Zeit mit einem Mordfall im Umfeld einer Seitensprungagentur zu tun gehabt. Und dabei sicherlich auch Einblick in die Psyche der männlichen Kundschaft gewinnen können. Erzähl doch mal, was waren das denn für Typen?«

Doch Kajetan hatte nach ihren anfänglichen Andeutungen mit einem solchen Ausfall von Monika gerechnet.

»Ich glaube nicht, dass sich das Thema für ein 13-jähriges Mädchen eignet, meinst du nicht auch?«, fragte er sie kühl und streichelte seiner interessiert lauschenden Tochter Laura über den Kopf.

»Entschuldige, Laura, wenn man selbst keine Kinder hat, vergisst man leider nur allzu oft, dass man nicht über alles reden kann, wenn sie dabei sind«, sagte Monika und warf Kajetan einen anerkennenden Blick zu, mit dem sie ihm aber gleichzeitig beschied, dass dieses Thema für heute Abend sicherlich noch nicht ausdiskutiert war.

Nach einem ausgiebigen Abendessen, bei dem Martinas Kochkünste einhellig gelobt worden waren – es gab nach einer Frittatensuppe Rindsrouladen mit Spiralen und danach Marillenknödel – unternahm Kajetan den obligaten Abendspaziergang mit seiner Emily, während Martina Laura davon zu überzeugen suchte, dass es langsam an der Zeit für sie wäre, ins Bett zu gehen.

Als Kajetan nach Hause zurückkehrte, konnte er schon im Vorzimmer an Monikas glucksendem Lachen hören, dass seine Abwesenheit der herrschenden Stimmung keinen Abbruch getan hatte.

Kaum hatte er das Zimmer betreten, als Monika ihm laut lachend zurief: »So, die Laura ist im Bett, und jetzt wollen wir doch wissen, was das für Männer waren, denen du in dieser Seitensprungagentur begegnet bist. Deine Martina interessiert sich doch sicherlich auch dafür, oder?«

»Natürlich, mir hast du davon gar nichts erzählt«, stimmte sie ihr zu.

»Ich wusste nicht, dass du dich für solche Themen interessierst«, tat Vogel verwundert, »du betonst ja immer wieder, dass du von meinen Mordsachen nichts hören willst.«

»Ja, von dem üblichem Mord und Totschlag will ich wirklich nichts wissen, das macht mir Angst – und vor allem hast du immer dann davon erzählt, wenn Laura daneben saß.«

»Aha, und kaum geht es um Sex, dann interessiert es dich plötzlich …«, rief Florian lachend aus.

Bevor jedoch die etwas verlegene Martina darauf antworten konnte, mischte sich wieder die unselige Monika ein.

»Erzähl jetzt doch endlich, was sind das für Typen, die sich dort herumtreiben?«

»Das müsstest du doch eigentlich besser wissen als ich. Ich nehme doch an, dass du es öfter mit gattungswilligen Männern zu tun hast«, antwortete Vogel, der angesichts der ständigen Sticheleien Monikas beschlossen hatte, seinen bisherigen Verteidigungsmodus wenigstens kurzzeitig zu überdenken.

»Hört, hört, jetzt fliegen die Hackln aber tief«, rief der gänzlich ahnungslose Florian aus, während Monika Kajetan einen forschenden Blick zuwarf.

»Kinder, streitet doch nicht«, warf sich nun Martina ins verbale Getümmel, »bitte, Kajetan, beantworte doch einfach die Frage von Monika, das würde mich nämlich auch interessieren.«

Vogel stand wortlos auf, ging zu einem großen Kästchen, das an der Wand hing, und entnahm diesem nach kurzer Abwägung eine Pfeife, die er bedächtig stopfte. Danach nahm er wieder am Tisch Platz und schaute ruhig in die erwartungsvolle Gesellschaft.

»Ganz normale Männer habe ich dort getroffen, ich würde sogar so weit gehen zu sagen, dass es ein repräsentativer Querschnitt durch die männliche Bevölkerung Wiens war. Vom verheirateten Arzt bis zum ledigen Rockmusiker mit sadomasochistischen Neigungen war alles dabei, wobei ich betonen muss, dass es letztlich keiner dieser Männer war, der diesen Mord begangen hat«, sagte er und entzündete genüsslich den Tabak in seiner Pfeife, der sogleich den Raum mit einem nach Vanille duftenden Aroma erfüllte.

»Wie geht es in einer solchen Gesellschaft zu? Wie finden die Menschen überhaupt zueinander?«, insistierte Monika, die sich anscheinend von ihrer Überraschung wieder erholt hatte.

Doch Kajetan hatte während des Spaziergangs Muße genug gehabt, um sich auf dieses Gespräch vorzubereiten.

»Das war für uns auch das Problem gewesen. Um einen Einblick zu gewinnen, musste ich eben dieser Agentur selbst beitreten, inkognito, versteht sich.«

»Davon hast du mir ja gar nichts erzählt«, wiederholte Martina vorwurfsvoll.

»Vielleicht hatte er ja einen Grund dafür«, zündelte Monika weiter.

Doch Vogel nuckelte gelassen an seiner Pfeife und nahm Martinas Hand.

»Das hätte dich doch nur beunruhigt, mein Schatz. Das musste ja alles unter strengster Geheimhaltung erfolgen. Stell dir nur vor, ich erzähle dir das, und dann triffst du eine Freundin und plauderst mit ihr darüber. Die erzählt es wieder ihrem Mann, die Geschichte ist ja schließlich amüsant genug. Und der sagt es wiederum einem befreundeten Zeitungsredakteur, und schon haben wir eine Überschrift auf der Titelseite der Kronen Zeitung: ›Kriminalbeamter vergnügt sich auf Steuerkosten in einer Seitensprungagentur‹ – na, mehr hätte ich nicht gebraucht, außerdem wäre dann meine Tarnung aufgeflogen, und alles wäre umsonst gewesen.«

Doch Monika ließ nicht locker.

»Das sagt er jetzt, das könnte ja auch ein wunderbarer Freibrief sein, um sich einmal in anderen Gärten umzusehen. Sei doch mal ehrlich, Kajetan, was hast du dort angestellt? Du musst schließlich auch einige Frauen getroffen haben, um zu sehen, wie es dort zugeht … das ist ja das, was uns eigentlich interessiert, oder etwa nicht, Martina?«

»Na ja. Ich weiß eigentlich nicht, ob ich das alles so genau wissen will«, antwortete diese unbehaglich.

»Ich habe ja nichts zu verbergen«, gab sich Vogel großzügig. »Ja, ich habe tatsächlich eine Dame getroffen, um zu sehen, auf welchem Weg der Mord zustande gekommen sein könnte. Auf dem Kommissariat hatten wir ja alle keine Erfahrung darin. Als Dienstältester habe halt ich das übernommen … Die Begegnung selbst war ganz nett, allerdings hatte sich die betreffende Dame wohl mehr davon erwartet … und den Mord haben wir dann eh aufgeklärt.«

Behaglich zog Vogel an seiner Pfeife und lächelte Monika siegessicher zu, als plötzlich sein Telefon läutete. Man kann sich vorstellen, dass dies unserem Helden in dieser Situation durchaus zupass kam, denn der Anrufer war niemand anderer als sein Kollege und Freund Alfons Walz, wie er auf dem Display ersah. Mit einer entschuldigenden Handbewegung ging er ins Nebenzimmer, ließ aber die Tür offen, damit das Gespräch gut zu hören war.

»Was gibt’s, o du mein Walz?«, sagte er übertrieben laut.

»Hier ist mein verabredeter Rettungsruf, ich habe uns schon einmal einen Tisch im Salzberg in der Corneliusgasse reserviert.«

»Was, um Himmels willen, ist denn passiert?«, fragte Vogel mit gespieltem Entsetzen.

»Alter Pharisäer, sag einfach, zwei Kollegen sind erkrankt, deshalb müssen wir zu einem Einsatz. Eine männliche Leiche wurde in einem verlassenen Haus aufgefunden.«

»Aber ich habe doch Gäste …«, protestierte Vogel lahm.

»Das klingt ja fast schon überzeugend …«, antwortete Walz lachend.

»Okay, wohin soll ich kommen?«

»In die Hirschstettner Straße im 22. Hieb, da ist heute Abend wirklich eine Leiche gefunden worden – das ist schön weit weg, bis du zurück bist, sind die Gäste sicherlich schon nach Hause gegangen.«

»Das ist ja am anderen Ende der Stadt, dazu brauche ich mindestens eine halbe Stunde. Ich beeil mich!«

Mit zerknirschter Miene kehrte Vogel ins Esszimmer zurück und zuckte bedauernd mit den Schultern.

»Ihr habt es ja gehört. Leider muss ich zu einem dringenden Einsatz, weil zwei Kollegen plötzlich erkrankt sind. In der Hirschstettner Straße im 22. Bezirk wurde eine männliche Leiche gefunden – Auftrag von ganz oben!«, fügte Vogel mit wichtiger Miene hinzu.

»O nein«, rief Martina aus, »jetzt war es gerade so gemütlich. Hättest du nicht sagen können, du wärest krank?«

»Zu spät«, antwortete Vogel zerknirscht.

»Es ist wirklich zum Heulen … aber ihr bleibt schon noch ein bisserl?«, wandte sich Martina an ihre Gäste, die selbstredend versprachen, ihr in ihrem Leid beizustehen.

»Aber glaub ja nicht, dass unser heutiges Gespräch damit beendet ist«, rief ihm Monika lachend hinterher, als er davonstürmte.

Erleichtert, der immer peinlicher werdenden Diskussion glücklich entronnen zu sein, stieg Vogel in sein Auto und fuhr frohgemut nach Mariahilf, wo ihn sein Kollege im Salzberg erwartete.

»Danke, du warst meine Rettung«, begrüßte Vogel seinen Kollegen, der in dem hinteren Teil des geräumigen und gut besuchten Lokals Platz genommen hatte.

»War es so schlimm?«, fragte Walz lachend.

»Schrecklich war’s. Wie ich befürchtet habe, hat die Monika gezündelt und wollte nicht damit aufhören. Ich musste ihr mehr als einmal dazwischenfahren. Also, lange hätte ich das nicht mehr ausgehalten. Jetzt brauch ich erst einmal dringend ein großes Bier.«

Da das gemütliche und etwas alternativ angehauchte Lokal wie üblich an einem Freitagabend sehr gut besucht war, musste der Inspektor eine ganze Weile warten, bis der sichtlich überlastete Kellner endlich an seinen Tisch trat und seine Bestellung aufnahm.

»Jetzt kann ich nur noch hoffen, dass die Monika meine Abwesenheit nicht dazu nützt, weiter auf diesem leidigen Thema herumzureiten«, sagte Vogel bekümmert.

»Darauf würde ich mich an deiner Stelle nicht verlassen, oder wie es Karl Kraus ausdrückt: ›Moralische Verantwortung ist das, was dem Mann fehlt, wenn er es von der Frau verlangt‹.«

»Du mit deinem Karl Kraus …«, antwortete Vogel zerknirscht.

»Aber er hat doch recht! Diese ganze Aktion war wirklich unsagbar dämlich von dir, vom moralischen Standpunkt einmal ganz zu schweigen.«

Verächtlich winkte Vogel ab. Seine schlechte Laune wurde nur dadurch etwas gemildert, dass der Kellner endlich mit seinem Bier daherkam, von dem er, ohne seinem Kollegen zugeprostet zu haben, einen tiefen Schluck nahm. Nachdem er sich rustikal mit dem Handrücken über den Mund gewischt hatte, schaute er Walz finster an.

»Du hast leicht reden von Moral, als ewiger Junggeselle.«

»Selbst wenn man von der Moral einmal absieht, was in deinem Falle ohnehin vernünftiger ist. Ein Pantscherl mit der Trauzeugin deiner Ehefrau anzufangen, sie dann sitzen zu lassen und sich dann noch über die Folgen zu wundern, das ist grenzenlos naiv, um es einmal euphemistisch auszudrücken.«

»Du hast ja recht, aber lassen wir das jetzt und reden lieber von den schönen Dingen. Wie schaut’s denn aus bei dir und der holden Weiblichkeit? Wir haben ja schon seit Ewigkeiten nicht mehr über die wesentlichen Dinge des Lebens plaudern können.«

»Ja weißt, es gibt auch Menschen, die sind nicht so schwanzgesteuert wie du. Denen geht es auch so ganz gut.«

»Ja, vielleicht. Aber ganz gut ist definitiv zu wenig. Ein bisserl weibliche Gesellschaft täte dir sicherlich sehr gut, du verkümmerst mir ja sonst völlig. Es fehlt nur noch, dass du dir einen Kanarienvogel zulegst, damit du zu Hause eine Ansprache hast. Und dazu bist du noch entschieden zu jung!«

»Ja, wenn halt nichts daherkommt, was mir gefällt. Erzwingen lässt sich das eben nicht!«

»Nur weil du mit deinen letzten Mädels ein bisserl Pech gehabt hast, heißt das ja nicht, dass nicht doch noch die eine oder andere Braut herumläuft, die nur darauf wartet, von dir erobert zu werden. Weißt du was? Am nächsten Freitagabend gehen wir beide wieder einmal auf Hasenjagd.«

»Ich weiß nicht recht, Kajetan, langsam sollte man doch denken, du kämest in ein gesetzteres Alter …«

»Du wirst es nicht glauben, aber seitdem ich graue Schläfen habe, schauen die Mädels wieder mehr. Ich habe einmal gelesen, dass die mit Vaterproblemen auf ältere Herren, wie wir es ja unterdessen sind, total abfahren. Und ich glaube, das stimmt! Du erinnerst dich doch an die Daniela? Die war fast 30 Jahre jünger als ich, und wir hatten eine ganz lustige Zeit zusammen.«

»Ja, bis dann ein Jüngerer kam, ich erinnere mich sehr gut daran. Und du warst dann das heulende Elend. Das alles erspar ich mir lieber.«

»Es geht ja um den Augenblick, nicht um das danach. Wie sagte doch einst Schiller, oder war es Goethe?«, pathetisch hob er die Stimme, »›Eine Sekunde im Paradiese gelebt, wird mit dem Leben nicht zu teuer bezahlt‹«.

»Mein lieber Kajetan, wenn man schon einen Klassiker zitiert, was mich in deinem Falle doch etwas verwundert, dann möge man es bitte richtig tun. Es war übrigens Schiller in seinem Don Carlos, und das Zitat lautet exakt: ›Ein Augenblick, gelebt im Paradiese, wird nicht zu teuer mit dem Tod gebüßt.‹«

»Ist ja eh fast dasselbe … meine Fassung ist halt die in leichtem Deutsch, das gerade überall propagiert wird, weil unsere Jugend ihre eigene Sprache nicht mehr versteht. Also, am Freitagabend schauen wir einmal, ob sich uns die Möglichkeit eines solchen Augenblicks erschließt.«

Es war schon nach Mitternacht, als Kajetan Vogel nach Hause zurückkehrte. Vorsichtig schloss er die Tür auf, erwehrte sich so leise wie möglich der stürmischen Begrüßung seiner Emily und schlich ins Wohnzimmer, wo er noch einen Schlaftrunk zu sich nehmen wollte.

»Du brauchst gar nicht so herumzugeistern, unsere Gäste sind erst vor zehn Minuten gegangen«, begrüßte ihn Martina, die gerade damit beschäftigt war, die Gläser in die Spülmaschine zu räumen.

»Ah, das tut mir leid. Ich konnte leider nicht früher kommen, ich hab mich eh beeilt, aber ein etwas unübersichtlicher Mordfall am Arsch von Wien hat mich aufgehalten«, sagte er und gab ihr von hinten einen Kuss auf die Wange. »War es noch nett mit den beiden?«

»Sehr nett«, antwortete sie in einem Tonfall, der Vogel sogleich hellhörig machte. »Wir haben’s wirklich schön gehabt heut Abend. Der Florian ist so lustig, nur schade, dass du nicht dabei warst. Stell dir vor, sie heiraten am 19. Mai, und Monika hat mich gefragt, ob ich nicht ihre Trauzeugin sein will.«

»Das ist ja schön«, erwiderte Vogel scheinbar begeistert.

»Ich finde, du solltest einmal ein Machtwort mit diesem Mitterwaldner reden. Dass du als Chefinspektor mitten in der Nacht herausmusst, obwohl du Gäste hast, das kann es doch nicht sein.«

»Das ist wirklich blöd gelaufen heute Abend. Aber dass gleich zwei Kollegen gleichzeitig krank werden, das konnte ja niemand voraussehen«, sagte er zerknirscht.

Unvermittelt drehte sich Martina zu ihm um und stemmte die Arme in die Hüften.

»Aber sag einmal, was war da eigentlich wirklich los, als du dich in dieser Seitensprungagentur herumgetrieben hast? Das würde mich jetzt schon interessieren.«

Der anklagende Ton, in dem Martina diese Frage stellte, und ihre angriffsbereite Körpersprache ließen Vogel das Schlimmste befürchten. Während er betont langsam ein Bier aus dem Kühlschrank holte, arbeitete sein Hirn fieberhaft. Was hatte diese unselige Monika in seiner Abwesenheit alles über ihn erzählt? Er nahm einen tiefen Schluck aus der Flasche ehe er antwortete, wobei er mit allen Mitteln versuchte, einen entspannten Eindruck zu machen.

»Eigentlich war da gar nichts Besonderes«, sagte er leichthin, »es war halt eine ganz normale Ermittlung, wenn auch in einem etwas außergewöhnlichen Umfeld. Aber das kann man sich nicht immer aussuchen.«

»Soso, eine ganz normale Ermittlung. Anscheinend hast du der Monika aber etwas ganz anderes erzählt. Sie hat mich heute Abend mehrfach darauf angesprochen, dass ich dich doch einmal fragen soll, was du dort eigentlich so getrieben hast. Als ich sie nach dem Grund dafür fragte, sagte sie nur, dass ich das dann schon sehen werde. Du darfst nicht vergessen, sie ist meine Trauzeugin und daher auf meiner Seite.«

Ungehalten knallte Vogel die Flasche auf die Spüle, was Martina dazu bewog, ihn mit dem Verweis auf das schlafende Kind zur Mäßigung aufzurufen. Zudem lief nun der Schaum über die frisch geputzte Spüle, was sie mit einem ärgerlichen Seufzer quittierte und sofort zu einem Haushaltstuch greifen ließ.

»Was heißt hier auf deiner Seite?«, flüsterte er heftig. »Du redest ja geradeso mit mir, als sei ich dein Gegner. Was hat sie denn überhaupt so Interessantes gesagt, deine Monika?«

Unschlüssig wog Martina den Kopf.

»Na ja, nichts Konkretes. Sie hat mir nur geraten, dich etwas eingehender über diese Ermittlung zu befragen. Weißt du, ich kenne Monika schon sehr lange. Und wenn sie dieses ganz gewisse Lächeln hat, dann ist meistens etwas im Busch. Also, was weiß sie, was ich anscheinend nicht wissen darf?«

Mit ratloser Miene zog Vogel seine Schultern empor.

»Nichts, du kannst alles wissen«, sagte er ruhig. »Wann soll ich ihr überhaupt etwas erzählt haben?«

»Ihr wart doch in der Therme zusammen, als ich mit Laura im Bad war. Da hast du ihr offensichtlich etwas von deinen Ermittlungen bei dieser seltsamen Agentur erzählt, was ich nicht wissen soll.«

»Hat sie dir das so gesagt?«

»Nein, nicht direkt, aber ich habe so ein Gefühl, dass du mir einiges verschweigst.«

Erleichtert nahm Vogel seine Frau in die Arme.

»Ich erinnere mich jetzt. Es war bei unserem Spaziergang mit der Emily. Da hat sie mich gefragt, woran ich gerade arbeite. Und da hab ich ihr von dieser Seitensprungagentur erzählt, weil ich den Fall ja gerade gelöst hatte. Und das fand sie halt ungeheuer interessant und wollte alles ganz genau wissen. Dabei hat sie mich auch gefragt, ob ich mich bei der Recherche mit einer Frau getroffen habe, die sich dort registriert hat. Da habe ich ihr wahrheitsgemäß geantwortet, und das hat sie anscheinend falsch verstanden. Du weißt ja, wie sie ist.«

Zögernd löste sich Martina aus seiner Umarmung und schaute ihm in die Augen.

»Und was war der Inhalt deiner wahrheitsgemäßen Antwort?«

»Dass ich mich natürlich mit einer Frau getroffen habe, um zu schauen, wie es dort zugeht. Das musste ich ja tun, um den Hergang des Mordes verstehen zu können. Im Rahmen einer ganz normalen Recherche halt – was ich der Frau übrigens auch gleich gesagt habe. Wie du weißt, habe ich mich ja auch mit ein paar Männern getroffen, die dort Mitglied waren. So verschaffte ich mir einen Überblick. Du siehst also, es besteht überhaupt kein Grund, misstrauisch zu sein. Anscheinend hat Monika das alles falsch verstanden und vielleicht geglaubt, dass ich mit dieser Frau auch ins Bett gegangen bin. Sie schließt halt immer von sich auf andere.«

Zweifelnd legte Martina den Kopf schief.

»Und hat sie damit nicht recht?«

»In meinem Fall nicht, glaube mir«, Vogel schaute demonstrativ auf seine Armbanduhr, »ich denke, jetzt ist es Zeit, ins Bett zu gehen, meinst du nicht auch? Wenn du noch Fragen hast, kannst du das auch morgen tun, ich bin schrecklich müde, es war wirklich anstrengend heute Abend. Und morgen muss ich ja auch früh raus, wegen dieser Beerdigung von dem armen Wolfgang. Gott allein weiß, warum die Pompfüneberer schon in aller Herrgottsfrühe ihrer Tätigkeit nachgehen müssen. Denk nicht mehr an die komischen Anspielungen von Monika, glaub mir, da ist nichts dran.«

»Na gut. Aber wenn du wieder einmal so eine Recherche zu machen hast, dann tu das nächste Mal bitte nicht so geheimnisvoll. Das ist viel schlimmer, als wenn du es mir gleich erzählt hättest.«

Liebevoll nahm er ihr Gesicht in seine Hände und blickte ihr in die Augen.

»Wenn wieder so ein Fall kommt, dann schick ich einfach den Walz, der ist nicht verheiratet und muss daher auch keine Rücksichten nehmen.«

»Heißt das jetzt, du hättest gerne mit der Frau geschlafen?«, fragte Martina mit zittriger Stimme.

Ungeduldig verdrehte Vogel die Augen.

»Nein, natürlich nicht, ich habe bloß gemeint, da kommt es zu keinen solchen Missverständnissen. Komm, gehen wir schlafen jetzt!«

1. Kapitel (Samstag)

Leise schlich sich Kajetan Vogel aus dem Zimmer, um seine noch tief schlafende Frau nicht zu wecken, die heute das Glück hatte, wegen des Wochenendes länger als üblich im Bett bleiben zu können. Verdrossen schaute er aus dem Fenster seines Badezimmers zum regenverhangenen noch dämmernden Himmel hinauf, nachdem er um 6.30 Uhr, also für seine Verhältnisse in aller Herrgottsfrühe, von dem Wecker aus seinem warmen Bett herausgetrieben worden war. Irgendwie schien heute alles zusammenzupassen. Es wäre ja auch unangemessen gewesen, wenn ein so lebensbejahender Mensch wie sein alter Freund Wolfgang bei strahlendem Sonnenschein zu Grabe getragen würde. Während der Morgentoilette erinnerte sich der Kriminalist wehmütig seines Kameraden, den er trotz der engen Freundschaft in ihrer gemeinsamen Schulzeit mehr als einmal heftig beneidet hatte. Denn Wolfgang Bäcker war das, was man gemeinhin als Glückskind bezeichnete. Er hatte die besondere Gabe, durch seine durch nichts zu erschütternde Fröhlichkeit jeden Menschen, der mit ihm zu tun hatte, glücklich zu stimmen, so missmutig er davor auch gewesen sein mochte. Diese außerordentliche Fähigkeit machte ihn zum beliebtesten Menschen, dem Vogel je begegnet war. Obwohl aus erstklassiger Familie stammend – sein Vater war Primararzt am Allgemeinen Krankenhaus gewesen – hatte er überhaupt keine Berührungsängste und für jeden in der Schule ein gutes Wort gehabt, ob es sich um den Schulwart handelte oder um den Direktor. Als wäre dies nicht genug, sah er auch noch unverschämt gut aus, sodass sein Hauptproblem darin bestand, welchem der ihn verehrenden Mädchen er gerade den Vorzug geben sollte. Was Vogel, der sich erheblich schwerer mit dem weiblichen Geschlecht tat, des Öfteren einen Stich gab, vor allem dann, wenn Wolfgangs Wahl gerade auf das Mädchen gefallen war, das er selbst heimlich anhimmelte. Aber das war auch der einzige Umstand, der sie gelegentlich entzweit hatte, allerdings ohne Wolfgangs Wissen, denn Vogel hatte seine Wahl stets für sich behalten, in der zuweilen irrigen Hoffnung, dass sie damit nicht in Wolfgangs Focus geriet. Doch zu seinem Verdruss hatten sie beide exakt dasselbe Beuteschema: Groß musste sie sein, schlank, schwarzhaarig und mit dunklem Teint (und mit dunkelbraunen Brustwarzen, was Vogel niemals zu erwähnen vergaß). Ansonsten waren sie unzertrennlich gewesen und verbrachten die meiste Zeit zusammen. Das sollte sich jedoch nach der Matura ändern. Wolfgang hatte sich schon ziemlich früh dafür entschieden, in der Wirtschaft Karriere machen zu wollen, und aus diesem Grunde das Jus-Studium gewählt, während sich Vogel dem Wunsch seiner Eltern fügte und eine Beamtenlaufbahn einschlug. Diese unterschiedlichen Lebensplanungen blieben natürlich nicht ohne Auswirkungen auf ihre Freundschaft. Bei ihren immer seltener werdenden Treffen zeigte sich dies nur allzu deutlich, zumal sie bei jeder Zusammenkunft in erster Linie die gemeinsamen Erinnerungen pflegten, die jedoch nach und nach immer mehr verblassten. In den letzten Jahren hatten sie einander überhaupt nicht mehr getroffen, ihre Kontaktnahme beschränkte sich nur mehr auf die Glückwünsche zum Geburtstag, die telefonisch oder in letzter Zeit gar nur mehr per SMS erledigt worden waren. Trotzdem traf Vogel die Todesnachricht seines früheren besten Freundes mit voller Wucht. Es war für ihn immer noch unvorstellbar, dass dieser einst so strahlende Jüngling in der Blüte seines Lebens so plötzlich dahingerafft worden sein sollte. Mit solch tristen Gedanken stieg er in seinen Jaguar und fuhr durch den Regen, der ständig an Intensität zuzunehmen schien, zum Zentralfriedhof, wo er der traurigen Zeremonie beiwohnen wollte.

Dass Wien immer wieder mit dem Tod in Verbindung gebracht wird, ist wohl mehr als ein Klischee, denn es gibt nur wenige Orte, wo der Nekrophilie mehr gehuldigt wird als in der Donaumetropole. Was andernorts mit einem Tabu belegt ist, wird hier lustvoll zelebriert. Immerhin entwickelte Sigmund Freud hier seine Theorie des Todestriebs, übrigens zu Zeiten, als es in Wien eine der weltweit höchsten Selbstmordraten gab. Und auch sein berühmter Kollege Erwin Ringel eröffnete hier 1948 das erste Kriseninterventionszentrum weltweit, das dazu beitragen sollte, den hierorts anscheinend so verführerischen Drang zum Freitod zu senken.

Der Zentralfriedhof, nach Hamburg-Ohlsdorf der zweitgrößte seiner Art in Europa, wird ja üblicherweise als steingewordenes Zentrum der grassierenden Todessehnsucht beschrieben und folgerichtig von den Wienern auch sehr gerne als Naherholungszentrum genutzt. Für zahlreiche Familien gibt es an Sonntagen tatsächlich nichts Schöneres, als in der parkähnlichen Anlage zu flanieren, der ja nachgesagt wird, dass sie in etwa so groß sei wie die Innenstadt von Zürich, aber dafür doppelt so lustig. Bei solchen Ausflügen lässt sich etwa trefflich das schlechte Gewissen beruhigen, wenn man dem Grabmal der verstorbenen Erbtante einen Besuch abstattet, den man, als sie schon todkrank im Spital lag, aus Zeitmangel immer wieder hinausgeschoben hatte. Für diejenigen Besucher, die nicht mehr so gut zu Fuß sind, oder denen die langen Wege zu beschwerlich erscheinen, bietet sich hier auch die Möglichkeit, einen Fiaker zu mieten – am Haupteingang gibt es sogar einen eigenen Standplatz dafür – und dessen Lenker natürlich auch über eine eigene Todeshymne mit rührendem Text verfügen (»Stellt’s meine Ross in’ Stall, bald kriagn’s zum letzten Mal a Sackerl Hafer und a Heu. Dann hängt’s das G’schirr an d’ Wand, bald kriag’ns a Halfterband, dann kommt der Abschied für uns drei …«). Überhaupt gibt es in Wien zahllose Lieder, die sich mit dem Tod beschäftigen, oftmals in Zusammenhang mit dem Wein, der ja oft genug die Ursache für diesen darstellt (»Es wird ein Wein sein, und wir wern nimmer sein …«). Dass zwischen diesen beiden Leidenschaften ein unmittelbarer Zusammenhang besteht, liegt nahe, denn in keiner Hauptstadt der Welt gibt es eine größere Anzahl an Rebstöcken als in Wien.

Eines der Alleinstellungsmerkmale der Metropole des hierorts ersonnenen Todestriebs ist das sogenannte Bestattungsmuseum, das gleich beim Haupteingang des Zentralfriedhofs gelegen ist. Hier ergibt sich für den Flaneur die Möglichkeit, die soeben auf dem Friedhof erfahrenen Eindrücke zu vertiefen und sich dabei vielleicht auch Gedanken über die Gestaltung der eigenen letzten Ruhestätte zu machen. Der merkantile Gedanke dabei, der sich in erster Linie an Touristen wendet, wird hierorts nicht schamhaft verschwiegen, sondern durchaus offensiv und generationenübergreifend in den Vordergrund gestellt. Um etwa seinen daheimgebliebenen Kindern einen Zugang zu der ihnen vielleicht noch unbegreiflichen Freude am Tod zu gewähren, können die Eltern dort etwa formidable Bastelsätze erstehen, mit denen der Nachwuchs dann spielerisch seinen eigenen Friedhof zusammensetzen kann. Und als gruseliges Souvenir für die bereits pubertierenden Nachkommen können ganz hartgesottene Besucher auch Mehl in einem Reagenzglas erstehen, das die fleißigen Rüsselkäfer aus dem Holz eines Sargs gewonnen haben, dessen Bewohner im größten unterirdischen Friedhof Wiens unter der Michaelerkirche seine letzte Ruhe gefunden hat. Doch auch für die zukünftigen Bewohner des »Zentral«, wie er von den Wienern liebevoll genannt wird, ist hier gesorgt. So ergibt sich in diesem Museum nicht nur die Möglichkeit, zwischen verschiedenen Sargmodellen zu wählen, sondern praktischerweise in ihnen auch gleich Probe zu liegen, mit der durchaus einleuchtenden Begründung, dass man es schon bequem haben sollte, da man ja nirgendwo sonst eine so lange Zeit verbringen wird. Doch dies ist nur der erste Schritt, um dem Interessenten ein aufwändiges Leichenbegängnis schmackhaft zu machen. Wie prachtvoll ein solches in Wien ausfallen kann, wird ihm auf diversen Videoinstallationen anhand von Prominentenbegräbnissen vorgeführt. Die Marketingexperten dieses Museums schrecken selbst davor nicht zurück, ein Objekt des Monats vorzustellen, das natürlich in unmittelbarem Zusammenhang mit der Bestattung steht und das Schmuckstück jeder Beerdigung sein könnte. Doch entgegen der bekannten Redensart, dass wir im Tode alle gleich sind, kann man hier unter Beweis stellen, wie geschätzt der Verblichene bei den Hinterbliebenen war – und darauf wird in Wien besonders geachtet. Wie anders könnte es sich erklären, dass die Hälfte der Toten mit einem »Begräbnis Erster Klasse« zu Grabe getragen wird. Das sich natürlich als besonders kostspielig erweist. Das beginnt mit handgemachten Urnen, die aus der kostbaren Terra Nigra bestehen und je nach Geschmack und Geldbeutel mit Gold oder Platin veredelt werden. Auch die in Wien ansässige Porzellanmanufaktur Augarten hat dabei ihre krisensichere Nische entdeckt. Sie bietet von Hand bemalte Behältnisse an, die in zweifacher Ausfertigung geliefert werden, ein großes Exemplar für das Grab und eine kleinere »Memorialurne« für zu Hause, anteilig mit der Asche des Verstorbenen befüllt. So kann man stets den Beweis antreten, dass man wirklich keine Kosten gescheut hat, um dem Vorfahr die angemessene letzte Ehre zu erweisen. Dabei sind der Pracht keine Grenzen nach oben gesetzt. Bei entsprechendem finanziellem Einsatz gibt es sogar die Möglichkeit eines »kaiserlichen« Begräbnisses, wo der Verblichene in einer sechsspännigen historischen Trauerkutsche zu Grabe gefahren wird, stilgerecht von schwarz behangenen Rappen gezogen.

Immerhin dienen solche Besonderheiten der Entscheidungsfindung, die manchen Erben in echte Finanznöte bringen kann. Schließlich ist schon eine einfache Beerdigung eine durchaus kostspielige Angelegenheit, die etliche Berufssparten redlich nährt. Vom Blumenhändler über den Steinmetz bis hin zu den Sargträgern und dem Totengräber sowie etlichen Musikern, die sich darauf spezialisiert haben, das Leichenbegängnis feierlich zu umrahmen. Nicht zu vergessen ist dabei der geistliche Beistand, dessen Rang und die Anzahl der Ministranten sich an der Prominenz des zu Grabe Getragenen misst, was sich selbstredend auch pekuniär niederschlägt. Als weltliche Alternative dazu stehen auch etliche Grabredner bereit, die sich weniger an den Beistand ihres obersten Dienstherrn wenden, sondern sich vielmehr mit der Persönlichkeit des Verstorbenen befassen, um sein Andenken zu ehren. Der aus anderen Ländern bekannten Friedhofsflucht, die dadurch entstanden ist, dass sich viele Familien für eine alternative Bestattung in der Natur oder zur See entscheiden, wurde am Zentralfriedhof schon sehr früh begegnet. Scheut man die Pflege oder die Kosten eines Grabes, kann man sich hier auch auf den so genannten Waldfriedhöfen naturnah beerdigen lassen, wo die Überreste der Feuerbestatteten die Wurzeln der Bäume nähren.

Immerhin gibt es wohl keinen Ort in der Welt, wo ein so großer Wert auf eine »schöne Leich’« gelegt wird wie in Wien. Diese ausgeprägte Todessehnsucht lässt sich wohl, wie so vieles in der Donaumetropole, auf die streng katholischen Habsburger zurückführen, denen ein standesgemäßes Leichenbegängnis so wichtig war, dass sie sich gleich in drei Tranchen bestatten ließen: Ihre Herzen sind in Silberurnen in der Augustinerkirche im so genannten »Herzgrüfterl« untergebracht, die traditionell den Hofgeistlichen stellte, der durch die obligate Ohrenbeichte ohnehin einen tiefen Einblick in das herrschaftliche Innere hatte. Weniger bekannt dürfte sein, dass die übrigen Eingeweide geruchsdicht in Kupferurnen verschlossen in den Katakomben unter dem Stephansdom bestattet wurden, wo sie bis zur erhofften Auferstehung ein Schattendasein führen. Ganz im Gegensatz zu dem restlichen Habsburger, dessen nunmehr ausgeweideter Leichnam in der berühmten Kapuzinergruft endgelagert wurde, die auch heute noch eine der beliebtesten Touristenattraktionen darstellt. Für einen Außenstehenden mag diese Aufteilung rätselhaft erscheinen, aber vielleicht ist das auch der Ungewissheit über den wahren Sitz der Seele geschuldet, der ja schon seit jeher ein Streitpunkt der Theologen darstellt: Ob sie nun im Herzen beheimatet ist, in der sterblichen Hülle oder gar in den Eingeweiden, am Jüngsten Tag wird man es in Wien ganz sicher erfahren.

Doch auch für nicht dem Kaiserhaus zugehörige Menschen scheint es erstrebenswert zu sein, in Wien begraben zu werden. Als das vielleicht drastischste Beispielen sei hier Louis Nathaniel Rothschild angeführt, der letzte Spross einer immens reichen Familie, der nach dem Anschluss Österreichs an das Deutsche Reich im Jahre 1938 von den Nazis 14 Monate lang in Isolationshaft genommen worden war, bis sie ihn endlich soweit zermürbt hatten, dass er sich die Ausreise nach Amerika erkaufte. Der Preis dafür war freilich immens, er musste dafür auf all seine Besitztümer in Österreich verzichten. Ungeachtet dieses schändlichen Verhaltens der Wiener gegen seine Person verfügte er in seinem letzten Willen, dass er einst auf dem Zentralfriedhof begraben werden wollte. Als delikate Fußnote sei hier noch erwähnt, dass just am Tag seines Begräbnisses sein Wiener Privatpalais, das sich unterdessen im Besitz der Arbeiterkammer befand, von der Stadt gesprengt wurde.

Und der berühmte Bankier war nicht der Einzige, der hier begraben sein wollte, was man unschwer an den zahllosen Gedenkstätten von Prominenten erkennen kann, die den Zentralfriedhof schmücken. Dort haben mehr als drei Millionen Menschen ihre letzte Ruhe gefunden, mithin erheblich mehr, als Wien Einwohner hat. Dabei gibt es in der Donaumetropole neben diesem berühmtesten aller Friedhöfe noch einige andere Gottesäcker, die allesamt auf ihre eigene Art reizvoll sind. Man denke etwa an den Friedhof der Namenlosenam Alberner Hafen, wo die Unglücklichen begraben wurden, die entweder in die Donau gefallen sind und unerkannt blieben, oder diejenigen, die sich willentlich darein begeben haben und dadurch nicht in geweihter Erde begraben werden durften. Oder den Jüdischen Friedhof in Währing, verwunschen wie ein Märchengarten, und den einzigen Biedermeier-Friedhof Wiens in Sankt Marx, wo Mozart zu Grabe getragen wurde, um nur die berühmtesten ihrer Art zu erwähnen.