Hausmaestro - Rupert Schöttle - E-Book

Hausmaestro E-Book

Rupert Schöttle

4,6

Beschreibung

Aufregung in der Wiener Opernszene: Magnus Maurer, ein junger österreichischer Dirigent, der bereits als Nachfolger von Herbert von Karajan gefeiert wird, hat kurzfristig die Leitung der Premiere der „La Traviata“ an der Staatsoper übernommen. Doch kurz nach der sensationellen Meldung wird er erdrosselt in seinem Bett aufgefunden. Die Inspektoren Kajetan Vogel und Alfons Walz stehen vor einem schier unlösbaren Fall, denn die Zahl der Verdächtigen ist groß …

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern
Kindle™-E-Readern
(für ausgewählte Pakete)

Seitenzahl: 384

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
4,6 (34 Bewertungen)
24
7
3
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Rupert Schöttle

Hausmaestro

Personen und Handlung sind frei erfunden.

Ähnlichkeiten mit lebenden oder toten Personen

sind rein zufällig und nicht beabsichtigt.

Besuchen Sie uns im Internet:

www.gmeiner-verlag.de

© 2013–Gmeiner-Verlag GmbH

Im Ehnried 5, 88605 Meßkirch

Telefon 0 75 75/20 95-0

[email protected]

Alle Rechte vorbehalten

Lektorat: Claudia Senghaas, Kirchardt

Herstellung: Julia Franze

Umschlaggestaltung: U.O.R.G. Lutz Eberle, Stuttgart

unter Verwendung des Fotos von: © dir fotos / sxc.hu

ISBN 978-3-8392-4104-2

Für Karin und Mariam

Prolog

Welch ein prachtvoller Hintern!

Mit zufriedenem Lächeln betrachtete er das wohl gestaltete Gesäß, dessen harmonisch gerundete Backen durch eine nicht allzu lange Afterspalte getrennt wurden, die in geradezu idealer Linie etwa zwei Finger breit unter dem Steißbein endete. Als wäre das nicht genug, wurde das Ganze auch noch von zwei wohl ausgeprägten Grübchen rechts und links der Lendenwirbel gekrönt.

Ohnehin war er der festen Überzeugung, dass der Hintern der Mittelpunkt des Körpers sei und man allein schon an diesem erkennen könne, wes Geistes sein Träger war. Schließlich gibt es ausgesprochen unsympathische Ärsche, deren Inhaber sich beim näheren Kennenlernen fast immer als ebensolche herausstellen.

Und das, was sich ihm hier in tausendfacher Spiegelung darbot, war um nichts weniger als eben ein prachtvoller Hintern.

Nach einigen Sekunden des entzückten Verweilens ließ er seinen Blick nach unten wandern.

Den nahezu perfekten Übergang von den ausdrucksvollen Backen zu den Oberschenkeln fast lässlich übergehend widmete er sich nun der Betrachtung der wohlgeformten Beine: Ganz gerade waren sie, nicht einmal mit einer Andeutung eines Os oder gar eines X’. Ein wenig länger hätten sie vielleicht sein können, was aber angesichts ihrer sonstigen Makellosigkeit nicht wirklich ins Gewicht fiel. Auch die Füße waren weder gespreizt noch gesenkt. In ihrer schmalen Linienführung, die durch keinerlei Druckstellen oder gar Hühneraugen verunziert war, muteten sie ihn geradezu aristokratisch an.

Auch der obere Teil des Rückens hielt jedem noch so kritischen Blick stand.

Zart wölbten sich die Rückenteile rechts und links von der geraden Wirbelsäule, um in gottgeschaffener Schönheit in den Schulterbereich zu münden, der in einem zarten Nacken zusammenlief. Mit Ausnahme eines kleinen Nestes von blondem Flaum, das sich durch eine Laune der Natur direkt über dem Hinterteil gebildet hatte und den Anschein eines zarten Pfirsichs nur verstärkte, wurde die Hinteransicht von keinem weiteren Haarbewuchs gestört.

Als er sich der Vorderseite zuwandte, erfreute er sich an den nur schwer zähmbaren braunen Locken, die sich über einer nicht zu breiten, wohl geformten Stirn krausten. Die zwei schön geschwungenen Augenbrauenbögen, die in einer sehr schmalen Nase zusammenliefen, deren Wurzel in fast ununterbrochener Linie mit der Stirn verbunden war, rundeten den Anschein eines edlen Aristokratenantlitzes ab. Geradezu ideal fügte sich dazu die Kühnheit der stahlblauen Augen, die im Übrigen zur dunklen Färbung der Haarpracht in reizvollem Kontrast standen.

Die hoch gestellten Wangenknochen warfen einen leichten Schatten auf die schmalen Backen, die in ein kräftig ausgeprägtes Kinn ausliefen. Die Lippen selbst waren eher schmal, was aber gar nicht störend wirkte, ein zu stark gewölbter Mund hätte den Gesamteindruck der Harmonie dieses fein geschnittenen Antlitzes nur beeinträchtigt.

Langsam ließ er seinen Blick nach unten gleiten.

Ausdrucksstark erhob sich die Brust über den deutlich sichtbaren Rippen.

Zwar war der darunter liegende Bogen nicht ideal ausgeformt, doch der flache Bauch machte diesen Makel mehr als wett.

Vor allem die extrem schmalen Hüften erregten immer wieder sein Wohlgefallen.

Und zuletzt, gleichsam als krönender Höhepunkt, unterzog er noch die Hände einer genaueren Betrachtung.

Ähnlich wie die Füße waren sie aristokratisch geformt und im Vergleich zur restlichen Physiognomie überraschend langgliedrig, wobei sich die natürlich glänzenden Fingernägel in ihrer Makellosigkeit vollkommen ins Bild fügten.

Wie jedes Mal, wenn er inmitten der vier Spiegel seinen eigenen Körper einer näheren Inspektion unterzogen hatte, zeigte sich bei ihm eine leichte Erektion.

Dabei war diese Umspiegelung keineswegs nur seiner Eitelkeit geschuldet, nein, sie war in seinen Augen um nichts weniger als eine berufliche Notwendigkeit.

Denn nur durch die genaue Beobachtung seines Leibes konnte er jede seiner Bewegungen auf ihre Wirksamkeit überprüfen. Immerhin war sein Ruhm nicht zuletzt darin begründet, dass er vor dem Orchester eine großartige Figur machte. Wobei es ihm ziemlich egal war, wie er auf die Musiker wirkte, war es doch das Publikum, das wegen ihm ins Konzert kommen sollte.

Und aus diesem Grunde musste er in erster Linie seine Rückseite und seine Hände beobachten, wenn er seine Dirigierbewegungen einstudierte.

Immerhin waren mehr als 50 Prozent der Konzertbesucher weiblichen Geschlechts.

Und jede Einzelne, mit der er darüber gesprochen hatte, hatte betont, wie erotisch er auf sie gewirkt habe.

1. Kapitel (Mittwoch)

In dieser Nacht hatte Bezirksinspektor Walz nur sehr wenig geschlafen.

Und die Schuld daran trug einzig und allein seine Freundin Clara Montero.

Er war von ihrer Idee eigentlich gar nicht begeistert gewesen, doch mit der charmanten Beharrlichkeit, die klugen Frauen nun einmal zu eigen ist, ließ sie ihrem Freund keine Möglichkeit, ihren Bitten nicht zu entsprechen, ohne sie nachhaltig zu verstimmen.

Und das wollte er doch unter allen Umständen vermeiden.

Die Belohnung für seine Mühen, das hatte sie ihm immerhin zugesichert, sollte sich dementsprechend gestalten.

Was in diesem Falle auch wirklich angebracht war, hatte er doch gerade zusammen mit seinem Kollegen Vogel einen großen Anteil daran gehabt, eine gut organisierte und sehr fleißige Gruppe georgischer Einbrecher dingfest zu machen, die im schönen Wien ihr Unwesen getrieben hatten, was in den letzten Wochen doch etliche Überstunden nötig gemacht hatte.

Daher sah er einigermaßen derangiert aus, als er um etwa neun Uhr sein Büro im Kommissariat Josefstadt betrat, wo ihn Vogel schon erwartete und mit der obligaten Pfeife mahnend auf seine Omega klopfte.

»Ziemlich spät sind wir dran heute…«, sagte er mit spöttischem Grinsen, indem er seinen Freund interessiert musterte, der entgegen seiner üblichen Eleganz eher leger mit einem Paar Bluejeans, einem gestreiften Hemd und einem rauledernen Sakko bekleidet war. »Und wie du ausschaust…muss wohl eine harte Nacht gewesen sein. Jaja, die Frauen, die sind noch einmal unser aller Tod…Man möchte doch glauben, dass bei euch langsam a bisserl mehr Ruhe eingekehrt ist, jetzt seid ihr immerhin auch schon ein gutes halbes Jahr zusammen…Aber in Lateinamerika wurde ja besonders fleißig missioniert, und wie man hört ist daher der Fortpflanzungswille bei diesen Frauen besonders stark ausgeprägt.«

Mit einer kraftlosen Handbewegung brachte Walz seinen offensichtlich bestens gelaunten Kollegen zum Schweigen, bevor er sein Sakko auszog und dieses sorgfältig über einen Bügel hängte. »Ganz so, wie es dir scheint, lieber Kajetan, ist es nicht. Zwar liegt der Grund meiner Müdigkeit tatsächlich in Claras Leidenschaft verborgen. Allerdings gilt sie in diesem Falle leider nicht mir, sondern einem ganz anderen. Der auch noch jünger ist als ich. Und, offen gestanden, auch besser aussieht. Und, als wäre das nicht schlimm genug, mehr Geld hat er auch.«

Mit schief gelegtem Kopf betrachtete Vogel sein Gegenüber, während dieser hinter seinem Schreibtisch Platz nahm. »Das allerdings ist wahrlich eine niederschmetternde Nachricht. Eines verstehe ich allerdings nicht: Warum bist du müde, wenn sie ihre Leidenschaft für einen anderen Mann entdeckt hat? Ist er gar obdachlos und kurzfristig bei euch eingezogen?«

»Auch dieses Mal gehst du fehl, außerdem verfügen wir noch immer über zwei Wohnungen…Und zudem, so viel sei dir gesagt, ist ihre Leidenschaft, bisher jedenfalls, durchaus einseitig«, sagte er kryptisch und schaltete seufzend den Computer ein.

»Und warum bist dann du müde? Sie ist doch eigentlich diejenige, die Tränen der Sehnsucht vergießen müsste, während sie sich schlaflos nach dem Unerreichbaren verzehrt. Da soll sich noch einer auskennen.«

Scheinbar zerstreut schaute Walz auf den Monitor seines Computers, der sich gerade anschickte, seine Arbeitsbereitschaft anzukündigen, bevor er sich wieder seinem Kollegen zuwandte.

»Da du sonst eh keine Ruhe gibst, will ich es dir sagen. Heute hab ich mich in aller Herrgottsfrühe zur Vorverkaufsstelle der Staatsoper gequält, weil gestern Abend bekannt gegeben wurde, dass der Pedro Marechal die Premiere der ›Traviata‹ aus gesundheitlichen Gründen abgesagt hat und stattdessen der Magnus Maurer dirigiert. Für meine Clara ist das die Erfüllung ihrer feuchten Träume, denn sie hält diesen Maurer für den größten Dirigenten seit Karajan, den schönsten Mann seit Alain Delon und den erotischsten Womanizer seit Richard Gere.«

»Das ist wahrlich eine harte Konkurrenz, gegen die du dich durchzusetzen hast. Mein armer Walz…Doch es gibt noch Hoffnung: Vielleicht hat er unerträglichen Mundgeruch und triefende Schweißfüße–und einen schlechten Charakter hat so ein Mann ohnehin!«

»Ich finde ihn übrigens gar nicht so toll«, fuhr Walz unbeeindruckt fort, »als Dirigent hat er in meinen Augen definitiv zu wenig Substanz. Gut schaut er schon aus, zugegeben, und er macht auch eine effektvolle Show, wenn er da vorne steht, aber es fehlt ihm einfach an Tiefgang. Doch das ist den Leuten heutzutage egal, wichtig ist nur mehr, dass sie einem gesellschaftlichen Event beiwohnen, wenn sie in die Oper gehen, und dazu taugt der Maurer bestens. Da kannst du dir vorstellen, was heute Morgen beim Kartenvorverkauf los war. Lauter hysterische Weiber, vermischt mit skrupellosen Kartenhändlern und euphorischen Opernfreunden, alle noch verschlafen und ungeduscht. Diese maßlose Ballung an gesteigerter Vorfreude, die offensichtlich die Schweißdrüsen in besonderem Maße anregt, vermischt mit mangelnder Körperhygiene auf engstem Raum…So riecht Bildung. Alles in allem also weder ein erfreulicher Anblick noch ein olfaktorischer Genuss, aber immerhin ein repräsentativer Querschnitt durch die Wiener Kulturszene. Und weil diese so eifrig ist, musste ich heute Morgen um vier aufstehen, um noch einigermaßen gute Plätze für uns zu bekommen.«

»Um vier Uhr morgens?«, fragte Vogel ungläubig. »Du willst mir doch nicht erzählen, dass das Kartenbüro wegen eines schweißfüßigen Schnösels, der ein bisserl dirigieren kann, mitten in der Nacht aufsperrt? Um die Zeit ist ja selbst der Würstelstand an der Albertina zu.«

»Das stimmt definitiv nicht! Da hab ich mich nämlich mit einer köstlichen Käsekrainer gestärkt, bevor ich mich unerschrocken in die Menge warf. Natürlich öffnen die Theaterkassen erst um acht Uhr, aber wenn so ein Kapazunder wie der Magnus Maurer endlich einmal eine Premiere an der Staatsoper dirigiert, haben sich da auch schon um vier Uhr morgens die ersten Interessenten eingefunden. Obwohl ich schon um kurz vor fünf da war, war ich bei Weitem nicht der Erste–was ja irgendwie auch tröstlich ist. Solange die Leute wegen einer Oper derart früh aufstehen, ist das Kulturland Österreich wenigstens noch nicht ganz verloren.«

Vogel grunzte zustimmend und stieß eine gewaltige Rauchwolke aus.

»Magnus Maurer? Muss ich den kennen?«

»Nein, du nicht«, antwortete Walz scheinbar bekümmert, »wenn du dich allerdings etwas mehr für Kultur interessieren würdest, was dir als österreichischem Beamten im Übrigen gut anstünde, dann schon. Magnus Maurer wurde in der Gesellschaftspresse in den letzten Jahren als das größte Dirigiertalent seit Carlos Kleiber hochgejubelt–und Österreicher ist er obendrein. Da freut sich der Boulevard, wo er schon als der sehnlich erwartete Nachfolger seiner großen Landsleute Karl Böhm und Herbert von Karajan gefeiert wird, obwohl er trotz seiner jungen Jahre, er ist gerade einmal dreißig, nur ganz selten auftritt. Offiziell wegen eines Rückenleidens, aber man munkelt von einer sehr labilen Psyche. Deshalb herrscht auch künstlerischer Ausnahmezustand, wenn er einmal dirigiert. Dabei lebt er in Wien. In meinen Augen ist das alles nichts weiter als raffiniertes Kalkül. Wer sich rarmacht, gilt als was Besonderes. Das wusste der Carlos Kleiber auch schon.«

»Und wann soll die Premiere stattfinden?«

»Am Samstag nächster Woche.«

»Bis dahin sind es zehn Tage, da bleibt ihm ja noch genügend Zeit, abzusagen…«

»Das wäre nicht klug, glaub ich«, sagte Walz mit erhobenem Zeigefinger, »denn die Premiere wird, erstmals in der Geschichte der Wiener Staatsoper übrigens, weltweit in die Kinos übertragen. Da hängt zu viel Geld dran. Andererseits ist ihm alles zuzutrauen, der ist sogar schon einmal während einer Vorstellung davongelaufen, weil ihm irgendetwas nicht gepasst hat. Wenn er das aber diesmal tut, ist er, denk ich, zwar weltberühmt, aber auch endgültig erledigt. Stell dir vor, die ganze Welt schaut zu, und er läuft einfach davon. Was da an Regressforderungen anfällt. Ich bin sicher, er wird auftreten–und es wird als Sternstunde gelten, egal wie er dirigiert! Denn alle werden aufatmen, dass er dieses Mal nicht davon gelaufen ist.«

»Und wenn er so nervös ist, dass er schlecht dirigiert?«

»Das wird fast niemand bemerken, wenn er nicht einen totalen Blackout hat,was bei einer so gängigen Oper wie der ›Traviata‹ eher unwahrscheinlich ist. Das ist eben der Vorteil eines Kapellmeisters: Wenn der was falsch macht, merkt das außer den Musikern niemand. Und die werden sich hüten, diesen Fehler nicht auszugleichen, sonst heißt es wieder, dass das Orchester nur mit Substituten besetzt war…Er wird wirklich mit Samthandschuhen angefasst, sogar vom Operndirektor Münch, dessen Umgangsformen ja durchaus rustikal zu nennen sind. Um ganz sicherzugehen, dass dem Maurer auch alles gefällt, hat die Oper seine Mitwirkung erst gestern bekannt gegeben, obwohl er dort schon seit zwei Tagen probt.«

Verwundert schaute Vogel seinen Freund an. »Verbringst du deine Freizeit als Nachtwächter in der Oper oder woher weißt du das alles so genau?«

»Wenn du über drei Stunden mit Opernenthusiasten in einer Reihe stehst, erfährst du so viel, dass du auf der Stelle einen Fachartikel in der Wochenendausgabe der ›Presse‹ schreiben könntest.«

»Diesen Eindruck habe ich auch…« Versonnen schaute Vogel einem Rauchkringel nach. Doch plötzlich klopfte er entschlossen auf das vor ihm liegende Konvolut.

»So, die kulturelle Viertelstunde, die du ja stets anmahnst, wäre jetzt leider vorüber. Wenn es dir auch missfallen sollte, o du mein Walz, so gibt es heute leider noch andere Brennpunkte, die unser entschlossenes Eingreifen erfordern.«

»Dann berichte mir doch in aller Kürze von den Übeltaten in unserer geliebten Stadt«, sagte Walz seufzend.

»Heute Morgen betraten zwei Burka-Trägerinnen eine Bank in der Alser Straße…«, hob Vogel genüsslich an und machte eine Pause, um in seiner Pfeife herumzustochern.

»Hast du jetzt vor, mir einen Witz zu erzählen?«, fragte Walz irritiert, »falls dem nicht so sein sollte, kann ich dir nur sagen, hierzulande dürfen die das noch.«

»Nein, das ist heute Morgen tatsächlich vorgefallen. Nur handelte es sich hierbei nicht um geknechtete Ehefrauen«, fuhr Vogel unbeirrt fort, »denn unter ihrer schwarzen Tracht verbargen sich, wie sich bald herausstellte, keine gottgläubigen Musliminnen, sondern zwei weniger fromme Herren, deren Motivation zur Wahl ihrer Kleidung in dem Moment offenbar wurde, als sie zwei Pistolen in ihren verschleierten Händen hielten und drohend nach Bargeld riefen.«

»Das ist zumindest originell. Kam jemand dabei zu Schaden?«

»Anfangs nicht, aber einem der Bankangestellten gelang es, ein Sicherheitspaket im Geld zu deponieren, das kurz nach dem Verlassen der Bank explodierte und den einen Täter mittels des freigesetzten Tränengases außer Gefecht setzte.«

»Seit wann gibt es bei einem Sicherheitspaket Tränengas?«, unterbrach ihn Walz.

»Hab ich auch nicht gewusst. Das ist eine neue Erfindung von den Piefkes, die bei uns versuchsweise eingesetzt wird. Mit Erfolg, wie man sieht. Manchmal kommt eben auch von denen was G’scheites. Aber ich bin noch nicht fertig. Sein Komplize, in der Handhabung der Burka naturgemäß nicht allzu bewandert, will also davonlaufen, vergisst aber dabei, die Röcke zu raffen und stolpert bei der Flucht so unglücklich über seinen Umhang, dass er ungebremst mit dem Kopf aufschlägt und bewusstlos liegen bleibt«, erzählte Vogel mit vergnügtem Grinsen. »Die Kollegen vom Funkwagen haben ihn dann geweckt.«

»Das nennt man eine bleede G’schicht. Lass mich raten: Wir sind nun dazu ausersehen, die beiden Bruchpiloten zu vernehmen.«

»Sehr scharfsinnig, o du mein Walz…Da aber der eine wegen des Verdachts auf Schädelbruch noch im Spital liegt, müssen wir uns mit dem tränenden Auge begnügen. Den kennen wir eh schon ganz gut. Es ist kein anderer als der Helmut Ettl, der vor gerade 14 Tagen aus dem Häf’n entlassen worden ist. Ich hab gar nicht gewusst, dass der schon draußen ist. Bei der Gesetzeskenntnis von dem brauch ich nicht einmal meine Pfeife ausmachen«, murmelte Vogel zufrieden, der das in öffentlichen Gebäuden bestehende Rauchverbot beharrlich ignorierte.

»Na, schau an, der gute Ettl beehrt uns wieder einmal«, begrüßte Vogel den Mittvierziger, dessen stark gerötete Augen noch Zeugnis von seinem Kontakt mit dem Tränengas ablegten. »Lang hast’s ja draußen net ausg’halten. Ham wir’s einmal mit einer Bank probiert…Und gleich mit einer völlig unauffälligen Maskierung, ziemlich clever, das Ganze.«

»In Frankreich hat das ja auch geklappt…«, antwortete Ettl mürrisch, der in der Vergangenheit schon einige Erfahrung mit Vogels Ironie sammeln konnte.

»Ja, aber dort ist eine Burkaträgerin etwas ganz Normales. Habt ihr hier schon einmal eine gesehen? I net. Da braucht ihr euch nicht wundern, dass die Angestellten gleich mit dem Finger am Notruf waren, wie ihr so maskiert da hereinspaziert seid.«

»Es hätt ja geklappt, wenn das blöde Alarmpaket net gleich losgangen wär, und dann stolpert der Trottel auch noch über seine eigenen Füß’«, antwortete Ettl in beleidigtem Ton. Offenbar fühlte er sich durch die Umstände in seiner Ganovenehre getroffen.

»Ja, wenn’s dich auf so was Großes wie einen Banküberfall einlässt, da ist eben auch das Risiko höher…Wie um aller Welt kamt ihr auf die blöde Idee, so was zu machen? Bewaffnet auch noch!«

»Die waren doch gar net echt«, antwortete Ettl mit beschwichtigender Geste.

»Das ist wurscht. Ein bewaffneter Raubüberfall ist’s trotzdem, und dafür gehst’ diesmal sicherlich zehn Jahre in den Häf’n, bei deinen Vorstrafen. Vielleicht a bisserl weniger, wenn du kooperierst. Also, wer von euch kam auf diese blödsinnige Idee?«

Unwillig verzog Ettl das Gesicht. »Der Wolfi hat mir im Häf’n erzählt, dass in Frankreich zwei Männer eine Bank in einer Burka überfallen haben, und weil die Angestellten geglaubt haben, das sind nur moslemische Frauen, sind die mit dem Geld unerkannt verschwunden. Und da hat er mich g’fragt, ob ich hier bei einer solchen Sache mitmachen würd’«.

»Mit dem Wolfi meinst’ den Wolfgang Nemecic?«

Ettl nickte wortlos.

»Aber ihr habt doch beide überhaupt keine Erfahrung mit einem Bankraub. Mehr als Autodiebstahl, Einbrüche und Ladenüberfälle habt ihr noch gar nicht gemacht. Oder war da was in den letzten Tagen, seitdem du draußen bist? Wir hätten da schon ein paar Banküberfälle, für die wir noch jemanden suchen. Und wenn wir das so wollen, dann seid ihr auch da die Täter gewesen. Dann gibt’s noch ein paar Jahre drauf.«

Ettl machte eine abwehrende Handbewegung. »Na, Inspektor, damit hab ich ganz sicher nichts zu tun. Das war unser erster Banküberfall. Ich schwör’s.«

»Und was hast du in den 14 Tagen gemacht, seitdem du draußen bist?«

»Was man halt so macht. So ein Überfall musst’ ja genau planen. Und eine Burka kriegst’ ja a net an jedem Eck. In unserer Größe noch dazu. Dann musst’ noch die geeignete Bank suchen, des braucht scho’ sei’ Zeit«, fügte er erklärend hinzu.

Gerade als Vogel die Vernehmung fortsetzen wollte, unterbrach ihn das Läuten seines Mobiltelefons.

»In der Strudlhofgasse 13, sagst du, im Obergeschoss?–In Ordnung, wir kommen gleich.« Schwungvoll schloss Vogel den vor ihm liegenden Akt und läutete nach dem Wachbeamten.

Walz sah ihn fragend an.

»Wir fahren mit der Vernehmung fort, wenn der Nemecic wieder ansprechbar ist. Pack dein G’raffl z’amm, Walz, wir müssen…Ein Mann ist in seiner Wohnung tot aufgefunden worden.«

Es war kein besonders weiter Weg von ihrem Büro, das ja nach der Schließung des Kommissariats in der Boltzmanngasse nunmehr in der Fuhrmannsgasse in der Josefstadt beheimatet war, sodass die Kriminalisten bereits nach zehn Minuten vor einem herrschaftlichen Zinshaus standen, das sich in der Sackgasse befand, die direkt in die berühmte Strudelhofstiege mündet, die weiland Heimito von Doderer zu seinem gleichnamigen Opus magnum inspirierte.

»Im obersten Geschoss, sagst du? Na, hoffentlich haben die einen Lift, zu sportlichen Aktivitäten fehlt mir heute eindeutig der Schlaf«, sagte Walz, der missmutig an dem Haus emporsah.

Umso mehr waren die beiden vom Entrée beeindruckt, das sich in noch originaler Jugendstil-Pracht präsentierte. Selbst die farbigen Fenster, mit denen die Türen des Windfangs und die Scheiben des Stiegenhauses geschmückt waren, schienen sich über das Jahrhundert unversehrt erhalten zu haben.

Auch der Aufzug, den sie zu Walz’ Erleichterung vorfanden, schien noch original zu sein. Mit einem reich ornamentierten grünen Metallgitter versehen, wäre er wohl in den meisten anderen Orten Europas als Kleinod des Jugendstils schon längst ins Museum gewandert.

Als sie die hölzerne Liftkabine betraten, war Walz, wie jedes Mal vor dem Anblick eines Toten, in seltsame Gedanken versunken. Wie viele Schicksale waren mit diesem im Laufe seines Lebens wohl verbunden gewesen? Welche Spuren werden von ihm bleiben? Wie viele wertvolle Erfahrungen und Geschichten gehen mit ihm unwiederbringlich verloren?

Kurz nachdem sie die herrschaftliche Wohnung betreten hatten, musste er feststellen, dass sein eigenes Schicksal mit dem des Toten enger verknüpft war, als ihm recht sein konnte, hatte er doch gerade ein Gutteil seines kostbaren Schlafes geopfert, um die ›Traviata‹ unter seiner Leitung erleben zu dürfen.

Allerdings war Magnus Maurer nicht einfach gestorben. Sein Gesicht war grausam verzerrt und die blau angelaufene Zunge hing verdreht aus seinem rechten Mundwinkel heraus.

»Der ist mausetot«, sagte Markus Lindner, einer der besten des Wiener Erkennungsdienstes, nachdem er die Inspektoren kurz begrüßt hatte und aus dem Schlafzimmer getreten war. »Allerdings deutet nichts auf ein Handgemenge hin. Der tiefe rote Striemen an seinem Hals da zeigt uns, dass er erdrosselt worden ist. Besser gesagt, stranguliert, mit einem dünnen Metalldraht. Wahrscheinlich mit einer Art Garotte, was in unseren Breiten aber eher ungewöhnlich ist. Die Mafia hat früher gern mit so etwas exekutiert, ist aber dann auf Schusswaffen umgestiegen, weil das schneller geht und man dazu keinen Körperkontakt benötigt…Die Sicherheitstür der Widerstandsklasse 6 weist keine Einbruchsspuren auf, was bedeutet, dass das Opfer selbst den Täter hineingelassen haben muss oder aber der Mörder ein Profi war, der sie mit einem Nachschlüssel geöffnet hat. Aufbrechen kann man eine Tür dieser Sicherheitsklasse nur mit Spezialmaschinen, was hier definitiv nicht der Fall war. Die Wohnung ist ohnehin gesichert wie Fort Knox, mit Alarmanlage und allem, was gut und teuer ist. Unbefugt kommt hier niemand rein.« Lindner machte eine ausladende Handbewegung in den Raum. »In der Wohnung selbst haben wir bisher ziemlich viele Haare gefunden, die von mindestens vier verschiedenen Personen stammen dürften, deren Ursprung ich noch im Labor klären lassen muss. Darüber hinaus gibt es einige Stofffasern, die möglicherweise vom Täter stammen, als er das Opfer ins Bett geschleppt hat. Die Schleifspuren deuten darauf hin, dass der Ermordete wahrscheinlich bewusstlos war, als er vom Fauteuil zum Fundort gezogen wurde. Der Fundort ist mit dem Tatort identisch, darauf weisen die prämortalen Ausscheidungen hin. Außerdem konnten wir neben dem Fauteuil ein Glas mit einem Rest von Whisky sicherstellen, wahrscheinlich vom Opfer selbst. Sonst ist alles ordentlich an seinem Platz. Die Schubladen scheinen nicht durchwühlt worden zu sein, auch der Safe sieht nicht so aus, als wäre er angetastet worden, zumindest ist er verschlossen. Eine Brieftasche haben wir nicht gefunden, die hat der Täter vielleicht mitgehen lassen…Bleibt bitte noch draußen. Wollt ihr ihn euch nachher noch anschauen oder kann ich ihn dann wegschaffen lassen?«

Kopfschüttelnd blickte Vogel Lindner an. »Das ist ja alles schön und gut, aber was haben eigentlich wir damit zu tun? Wenn das ein Mord ist, dann ist das doch eindeutig ein Fall für das LKA.«

»Hat euch denn niemand etwas gesagt?«, fragte Lindner verwundert.

»Nein, wir haben vor einer Viertelstunde einen Anruf bekommen, dass wir wegen eines Toten hierherkommen sollen. Von einem Mord hat niemand etwas erwähnt.«

»Das ist wieder einmal typisch Wiener Polizei. Hiermit sei es euch offiziell mitgeteilt: Unser verehrter Leiter des LKA Mörbischer hat euren nicht minder verehrten Stadtpolizeikommandanten Heider um eine kooperative Fallbearbeitung gebeten, weil bei uns gerade eine Grippeepidemie ausgebrochen ist und der Staatsbesuch des russischen Präsidenten ansteht. Und da euer verehrter Kommandant natürlich nur die besten seiner Leute verleiht, hat es eben euch getroffen. Willkommen beim LKA!«

Vogel war fassungslos. »Aber der ist ja gar nicht mehr für uns zuständig. Unser neuer Chef ist Referatsleiter und heißt Mitterwaldner, oder ist eurer Leitung die Reform entgangen?«

»Des net, aber der Mörbischer mag den Mitterwaldner net, und deshalb hat er den alten Dienstweg eingeschlagen und den Heider angerufen, und der hat des dem Mitterwaldner mitgeteilt…«

»Das heißt also, der Heider hat uns einfach an das LKA ausgeliehen? Walz, hast du das gehört? Wir sind jetzt hofrätliche Landespolizisten in Leiharbeit, davon haben wir doch schon immer geträumt…Walz?«

Der war völlig abwesend in den Anblick des Toten versunken.

»Ich komm ja schon«, antwortete er leise. Es dauerte noch einige Sekunden, bis er seinen Blick von dem grotesk verzerrten Gesicht des Dirigenten abwandte und zu dem ungeduldigen Vogel ging. »Ich hab ihn mir eigentlich viel größer vorgestellt«, sagte er mehr zu sich selbst, »seltsam, dass die meisten Dirigenten so klein sind…Du kannst gar nicht ermessen, was für ein schrecklicher Verlust dies für die österreichische Musikwelt bedeutet«, wandte er sich nun an seinen Kollegen.

Dieser jedoch war schon mit der Befragung der Funkwagenbesatzung beschäftigt, die als Erste zum Tatort gerufen worden war.

»Wer hat ihn gefunden?«, fragte Vogel den Streifenbeamten, der sich mit seiner Kollegin bislang im Hintergrund gehalten hatte.

»Seine Haushälterin, heute Morgen um neun Uhr. Daraufhin hat sie sofort bei uns angerufen.«

»Ist sie noch hier?«

»Ja, die Frau wartet drüben im anderen Zimmer…«, antwortete der Beamte, indem er mit der Hand auf eine Tür zeigte, »zusammen mit einer weiteren Frau.«

»Was heißt das? Hatte Maurer zwei Haushälterinnen?«

»Nein, die Dame ist ihre Freundin, die sie anscheinend angerufen hat. Zum Trösten halt.«

»Aha, und wie heißt die Haushälterin?«

»Miwako Watanabe«, las der junge Beamte von einem Zettel ab, den er aus seiner rechten Hosentasche hervorgezogen hatte, und fügte ratlos hinzu, »oder so ähnlich.«

»Was ist denn das für ein Name? Gib her den Zettel«, herrschte Vogel den Polizisten an, der ihn unvorsichtigerweise gerade zurück in seine Tasche stecken wollte. Konzentriert versuchte Vogel, sich den Namen einzuprägen.

»Woher ist die? Aus Japan, China, Korea, Thailand…?«, fragte er den Polizisten in etwas versöhnlicherem Ton.

»Das weiß ich leider auch nicht, Herr Inspektor, für mich sehen die Schlitz…, Menschen aus der Gegend alle gleich aus«, antwortete der Beamte beflissen, als seine Kollegin ihm einen strafenden Blick zuwarf.

»Für mich auch«, gab Vogel mit einem Schulterzucken und einem freundlichen Lächeln für die junge Polizistin zurück, die ihn interessiert musterte, was dem alten Schwerenöter selbstverständlich nicht entgangen war.

»Vielleicht hat ja das schöne Geschlecht mehr Einblick in die physiologischen Unterschiede unser Mitbürgerinnen aus Fernost«, sprach er die blond bezopfte Gesetzeshüterin an.

»Na, i kenn die alle net auseinand’«, war die kurze Replik der offensichtlich aus ländlicherer Gegend stammenden Dame, was genügte, dass Vogel sich sogleich wieder den wesentlichen Dingen zuwandte.

»Haben die Nachbarn was gehört?«

»Woher sollen wir das wissen?«, fragte Lindner, der gerade unter dem Bett nach Spuren suchte. »Wir sind gerade einmal 30 Minuten hier.«

»Hätt’ ja sein können, dass die sich hier eingefunden haben–nichts ist neugieriger als ein Nachbar, wenn die Polizei ins Haus kommt…«

»Wann ist er denn überhaupt gestorben?«, wandte sich Vogel nun an den Amtsarzt, der gelangweilt die Bibliothek des Toten studierte.

»Ich nehme an, so etwa vor zehn Stunden, also etwa um Mitternacht, plus minus eine Stunde.«

»Gut«, versetzte Vogel kurz, der geradezu vor Geschäftigkeit barst, »dann wollen wir mal…Walz, wo steckst du?«, polterte er, während er den abermals in den Anblick der Leiche vertieften Kollegen suchte. »Kannst du mir wenigstens sagen, woher die Frau Watanabe kommt?«, riss er den Inspektor aus seinen Gedanken.

Langsam wandte Walz seinen Blick Vogel zu. »Ihr Name deutet definitiv auf eine Japanerin hin.«

»Na also, hast ja doch was g’lernt!«, sagte Vogel, der heute scheinbar seinen rustikalen Tag hatte.

»Und wer fährt zu den Eltern des Opfers?«, rief der junge Beamte dem schon davoneilenden Vogel hinterher.

»Machen Sie das…oder nein, wir machen das lieber selbst.« Vogel öffnete die Tür. »Wenn Sie etwas tun wollen, dann fragen Sie doch bitte die Nachbarn, ob die was gehört haben.«

Im Nebenzimmer, einem sehr großen Raum mit modernem Küchenblock in der Mitte, dessen ganze Breitseite von einer großzügigen Terrasse gesäumt war, saß im morgendlichen Sonnenglanz die zartgliedrige Japanerin auf einem metallenen Barhocker und starrte traurig in ihren Kaffee, in dem sie beständig herumrührte.

Neben ihr saß eine blonde, europäisch aussehende Dame etwa desselben Alters, die sich neben ihrer schmächtigen Freundin seltsam massig ausnahm. Was allerdings in erster Linie ihrem durchtrainierten Körper zuzuschreiben war, dessen sportliche Konturen sich unter einem weißen T-Shirt deutlich abzeichneten. Ihren ungeordneten Haaren nach zu schließen, schien sie von ihrer Freundin direkt aus dem Bett geholt worden zu sein. Tröstend hatte sie den linken Arm um die Haushälterin gelegt. In der Rechten hielt sie eine Zigarette, die in einem langen schwarzen Mundstück steckte. Dies bewog Vogel sogleich, in der Tasche des Sakkos nach seiner Pfeife zu suchen. Ein strafender Blick seines Kollegen ließ ihn jedoch von dem Vorhaben wieder Abstand nehmen.

Watanabe hatte kaum den Kopf gehoben, als die beiden Kriminalisten den Raum betraten.

»Grüß Gott, Frau…Watanabe«, las Vogel verstohlen vom Zettel ab und musterte die Frau interessiert.

Sie blickte nur kurz zu den Inspektoren hin, um sofort weiter geräuschvoll in ihrer Tasse zu rühren. Auch ihre Freundin zeigte keinerlei Reaktion.

»Glaubst du, die kann mich verstehen?«, raunte Vogel seinem Kollegen zu, mit dem Kinn in ihre Richtung zeigend.

»Warum sollte ich Sie nicht verstehen?«, fragte Watanabe in fast akzentfreiem Deutsch, ohne den Inspektor eines Blickes zu würdigen.

»Oh, Entschuldigung«, antwortete dieser verlegen. »Ich dachte nur…«

Ihre unerwartete Reaktion hatte ihn offensichtlich aus dem Konzept gebracht.

»Meinen Sie vielleicht, wir könnten hier auch einen Kaffee bekommen?«, rettete Walz seinen Freund einmal mehr aus der Bredouille, nachdem er diskret auf die betriebsbereite Jura-Kaffeemaschine gedeutet hatte.

»Ja, natürlich, ich mache Ihnen gleich welchen«, antwortete die Japanerin und löste sich vom Arm ihrer Freundin.

Offenbar war auch Watanabe froh, etwas Nützliches tun zu können.

»Und wer sind Sie, wenn ich fragen darf?«, wandte sich Vogel nun an die blonde Dame, die bewegungslos auf ihrem Barhocker sitzen geblieben war.

»Maria Mölzl, eine Freundin von Miwako«, antwortete sie, während sie Vogel misstrauisch ansah und sich eine frische Zigarette anzündete.

»Waren Sie dabei, als Herr Maurer gefunden wurde?«, fragte Vogel.

»Nein, Miwako hat mich gleich angerufen und gebeten, zu kommen.«

Nachdem Watanabe die Espressi wortlos zubereitet und serviert hatte, setzte sie sich zurück auf ihren Barhocker und widmete sich hingebungsvoll ihrer Tasse.

Ihre Freundin Maria, die Watanabe überhaupt nicht beachtete, legte erneut den Arm um ihre Schulter.

»Wir können uns vorstellen, dass Ihnen das Ganze nahegeht«, sagte Vogel, nachdem er einen Schluck genommen hatte, »aber um uns einen Überblick zu verschaffen, bräuchten wir jetzt leider einige Auskünfte von Ihnen.«

Mit ausdruckslosen Augen schaute Watanabe den Inspektor an, ohne jedoch ihr geräuschvolles Rühren einzustellen.

»Wissen Sie, ob Herr Maurer Familie hat, die man von seinem Ableben in Kenntnis setzen sollte? Ich meine, ob Sie uns vielleicht sagen können, wo seine Eltern leben und wie man eventuell seine Freundin, oder seinen Freund, erreichen kann?«, setzte Vogel nach, als sich auf Watanabes Gesicht nach wie vor keine Regung zeigte.

»Seine Eltern leben hier in Wien…Wo genau, kann ich Ihnen nicht sagen, irgendwo im 8. Bezirk, ich glaube, in der Florianigasse. Von einer Freundin oder einem Freund weiß ich nichts«, antwortete sie trocken.

»Gut, also eine Freundin hatte er nicht–oder?«, Vogel hielt plötzlich inne und schaute Mölzl fragend an, die ihr Gesicht verzog und unwillig den Kopf schüttelte.

Watanabe hörte sofort mit dem Rühren auf.

»Oder hatten vielleicht Sie eine…nähere Beziehung zu Herrn Maurer?«

Sie machte es ihm wirklich nicht leicht, denn sofort senkte sie ihren Blick und begann sich wieder mit ihrer Tasse zu beschäftigen.

»Wenn Ihnen der Kaffee zu heiß ist, sollten Sie vielleicht noch etwas kalte Milch hineintun«, schlug Vogel vor und reichte ihr das Kännchen hin, das sie ihnen zusammen mit dem Kaffee serviert hatte.

Sogleich hörte sie mit dem Rühren auf und schaute ihm plötzlich offen ins Gesicht. »Sie wollen wissen, ob Magnus und ich uns liebten?«, fragte sie ihn leise.

Vogel nickte aufmunternd, was jedoch wenig zu bewirken schien, denn gleich wandte sie sich wie vorhin ihrer Tasse zu und antwortete in resignierendem Ton:

»Ich weiß es nicht.«

»Und was heißt das genau?«, fragte Vogel ebenso leise.

Nachdem Watanabe nicht reagierte, mischte sich plötzlich Mölzl ein. »Das heißt, ein Mensch wie Magnus liebte in erster Linie sich selbst…und vielleicht noch die Musik. Für mehr war in seinem Herzen kein Platz.«

Vorwurfsvoll sah Watanabe ihre Freundin an. »So war es auch nicht«, sagte sie leise, »wenigstens am Anfang…«

»Am Anfang wovon?«, fragte Vogel schon ein wenig ungeduldig.

»Unserer Beziehung. Ich hab ihn geliebt bis zum Schluss, das schon, deshalb bin ich ja überhaupt noch hier.«

»Gut, das ist allein Ihre Sache«, sagte Vogel vorsichtig. »Hatte Ihr…Herr Maurer Feinde?«

»Ich glaube, man kann sagen, dass er bei allen, die ihn nicht näher kannten, nicht sehr beliebt war«, antwortete Watanabe sachlich. »Er war manchmal sehr schwierig. Vielleicht müssen große Künstler ja auch so sein…Ach, ich weiß gar nichts mehr«, fügte sie plötzlich traurig hinzu und verbarg ihre Schläfen unter den Handballen.

Gerne hätte Vogel etwas Tröstendes gesagt oder seine Hand auf ihre Schulter gelegt, doch irgendetwas hielt ihn davon ab, auf die persönliche Ebene zu wechseln, zumal ganz offenbar ihre Freundin Maria für derlei Aktionen zuständig war.

»Mir ist klar, das Ganze ist für Sie nicht einfach, aber wir müssen Ihnen doch noch einige Fragen stellen: Wurde Herr Maurer vielleicht von jemandem bedroht?«

Watanabe verlagerte ihren Kopf auf die Linke und schaute ihn aus müden Augen an. »Davon ist mir nichts bekannt. Aber er erzählte manchmal von Streitigkeiten mit Sängern und Musikern, wenn er von der Oper oder von Konzerten heimkam. Da ich dort nicht arbeite, kann ich nicht beurteilen, inwieweit das normal ist. Aber was er denen gesagt hat, fand ich schon schlimm…Selbst sein Betreuer von der Agentur hat ihn manchmal ermahnen müssen, sich zu mäßigen. Sogar der Herr Operndirektor hat gestern Vormittag angerufen.«

»Wissen Sie, ob er vielleicht Verbindungen zu italienischen Geschäftsleuten unterhielt?«, fragte Vogel, und nachdem sie ihn verständnislos anschaute, setzte er hinzu, »die mutmaßliche Mordwaffe wird vorwiegend von der Mafia benutzt.«

Entschieden schüttelte Watanabe den Kopf. »Nein, mit der Mafia hatte er sicher nichts zu tun–er war Künstler, verstehen Sie?«

»Darf ich Sie einmal etwas Privates fragen«, mischte sich nun Walz in das Gespräch ein, »wenn er so schwierig war, warum sind Sie dann bei ihm geblieben?«.

»Weil er mich brauchte und ich ihn wohl noch immer liebte…Wir waren ja einige Jahre zusammen gewesen. Seinetwegen bin ich nach meinem Studium in Österreich geblieben und nicht zu meiner Familie nach Japan zurückgekehrt. Wenn Sie ihn im Konzert erlebt hätten, würden Sie mich vielleicht besser verstehen«, sagte sie plötzlich in völlig verändertem Tonfall. Ihr eben noch fahles Gesicht gewann mit einem Mal an Farbe. »Wenn er Musik machte, war es, als schaue man in einen anderen Kosmos. Für mich war Magnus der größte Dirigent seiner Generation! Das fanden auch viele Kritiker, die ihn sogar mit dem jungen Kleiber oder Celibidache verglichen, die ja auch sehr schwierig waren. Inzwischen war er so weit, dass sich sogar die besten Orchester um ihn gerissen haben, selbst auf die Gefahr hin, dass er absagt. Und jetzt ist er tot…«

Mit Erstaunen registrierten die beiden Kriminalbeamten den plötzlichen Stimmungsumschwung der Japanerin.

»Ich weiß genau, was Sie meinen, ich hab selbst einmal eines seiner Konzerte besucht. Warum aber hat er eigentlich so selten dirigiert?«, fragte Walz, der sich kurzfristig von ihrer Begeisterung anstecken ließ. »Lag es wirklich an den Problemen mit seinem Rücken, wie es hieß?«

»Ja, sein Rücken hat ihm manchmal wehgetan«, versetzte die Japanerin ausweichend, ihre Euphorie war genauso schnell verflogen, wie sie gekommen war. Müde rührte sie in ihrer Tasse.

»Ich glaube nicht, dass seine Rückenschmerzen der Grund für seine Verweigerung waren«, meldete sich Mölzl zu Wort. »Magnus war sehr reizbar, und vor großen Konzerten war es manchmal so schlimm, dass er sich in seinem Arbeitszimmer eingeschlossen hat und niemanden sehen wollte. Deshalb hat er sich ja mit jedem zerstritten. Dabei geschah dies aus reiner Furcht. Ich habe ihm sogar vorgeschlagen, es doch einmal mit einer Therapie zu versuchen, um seine Ängste zu besiegen.«

»Waren Sie auch mit Herrn Maurer befreundet?«, fragte Vogel erstaunt.

»Irgendwie schon. Aber nicht so wie Miwako, versteht sich.«

»Wenn Sie ihm eine Therapie vorgeschlagen haben, mussten Sie ihn ja schon gut gekannt haben.«

Bevor sie antwortete, zündete sich Mölzl eine weitere Zigarette an, die sie zuvor ungeduldig in ihr Mundstück gesteckt hatte. »Ja, ich kannte ihn schon ziemlich lange. Und manchmal konnte ich sogar offen mit ihm reden. Doch als ich ihm das mit der Therapie vorgeschlagen habe, hat er nur gelacht. Er wollte sich niemandem ausliefern–er war eben ein richtiger Machtmensch.«

»Er war eben ein Dirigent«, verbesserte Watanabe ihre Freundin. »Als er dann berühmter wurde, wurde er noch schwieriger, weil er immer mehr Angebote bekam, die er nicht ablehnen konnte. Um dann doch wieder davonzulaufen, wenn es ernst wurde. Seine darauffolgenden Depressionen habe ich irgendwann nicht mehr ausgehalten und bin in eine eigene Wohnung gezogen. Das war vor etwa einem Jahr. Da ist er völlig zusammengebrochen und hat alle Auftritteabgesagt. Er hat tagelang geweint. Wie ein Kind. Erst als ich ihm versichert habe, dass ich trotzdem für ihn da sein würde, wurde er ruhiger. Er brauchte ja jemanden, für den Haushalt. Allein war er doch völlig hilflos, er konnte sich ja nicht einmal einen Tee kochen. Und jemand Fremden wollte er nicht um sich haben.« Nach diesem verbalen Ausbruch sank Watanabe erneut in sich zusammen und schwieg.

Mölzl erhöhte sogleich die Frequenz ihrer Streicheleinheiten.

Auch die Inspektoren zogen es vor, ihren Gedanken nachzuhängen. Wenn auch aus verschiedenen Beweggründen.

Walz stand noch immer unter Schock. Zwar hatte er Maurer nicht besonders geschätzt, dennoch deutete vieles darauf hin, dass er alle Anlagen eines großen Dirigenten in sich getragen hatte. Und davon gab es schließlich nicht allzu viele. Vogel hingegen überschlug insgeheim seufzend, mit wie vielen möglichen Tätern sie es in diesem Falle zu tun hatten.

»Sie erwähnten seinen Agenten…«, begann Walz, als vor der Tür plötzlich ein heftiger Wortwechsel zu hören war.

Ängstlich schaute Watanabe die Kriminalisten an, indes Vogel sich sofort erhob, um der Ursache des Lärms auf den Grund zu gehen.

»Das ist wohl die Presse«, beruhigte sie Walz, »leider wird der Tod Ihres Lebensgefährten aus den Schlagzeilen nicht herauszuhalten sein. Um Sie zu schützen, werden wir Sie als seine Haushälterin ausgeben, was ja auch irgendwie der Wahrheit entspricht«, fügte er lächelnd hinzu. »Haben Sie vielleicht die Telefonnummer seines Agenten?«

»Ja, die Maria kann sie Ihnen geben, er heißt Michael Weber und arbeitet bei der Agentur Max und Novak, die Magnus vertrat.«

»Und welches Einvernehmen hatten die beiden?«

»Zu Michael hatte er so großes Vertrauen, dass er auf seinen Wunsch hin als sein persönlicher Betreuer in die Agentur aufgenommen wurde. Wenn Ihnen jemand etwas über Magnus erzählen kann, dann er«, antwortete Mölzl.

»Sehr gut«, sagte Walz und sah zu, wie sie ihm die Telefonnummer aufschrieb. »Welches Verhältnis verband ihn eigentlich mit seinen Eltern?«

Müde schaute Watanabe den Inspektor an, doch wieder antwortete ihre Freundin.

»Sehr angespannt, er hatte kaum Kontakt zu ihnen. Miwako hat sie nie kennengelernt, weil sie nicht wollten, dass er mit einer Japanerin zusammen ist«, antwortete sie verächtlich, als Vogel wütend hereingelaufen kam.

»Da draußen ist die Hölle los. Irgendjemand hat denen schon wieder gesteckt, was hier passiert ist. Im ärgsten Getümmel hat mich auch noch der Heider angerufen und mich davon in Kenntnis gesetzt, dass wir jetzt dem LKA unterstellt sind und ich den Mörbischer wegen einer Pressekonferenz anrufen soll. Und die Nachbarn haben natürlich auch nichts gehört.«

»Wer ist der Heider?«, fragte Watanabe ängstlich. Offensichtlich fürchtete sie angesichts des genannten Namens eine politische Dimension, wohl vergessend, dass jener schon seit einigen Jahren aus sicherer Entfernung über die nationalen Geschicke Österreichs wachte.

»Das ist unser verehrter Herr Stadtpolizeikommandant, quasi unser Dirigent«, erklärte Walz freundlich. »Bevor wir mit der Presse sprechen, müssen wir erst einmal die Eltern von Herrn Maurer von dem tragischen Geschehen unterrichten, und das geht nicht am Telefon.«

»Muss ich da mitkommen?«, fragte Watanabe erschrocken.

»Nein, natürlich nicht«, beruhigte sie Walz. »Jetzt müssen wir Sie erst einmal in Sicherheit bringen. Frau Mölzl, haben Sie noch ein wenig Zeit?–Gut, dann warten Sie bitte hier, bis sich die Sache da draußen beruhigt hat. Sie, Frau Watanabe, kommen mit uns, sonst fällt die Meute noch über Sie her, und die sind nicht zimperlich in ihren Methoden. Gehen Sie vor allem nicht ans Telefon, die finden Ihre Nummer bald heraus. Gibt es hier vielleicht einen zweiten Ausgang?«

Vogel schüttelte den Kopf. »Mein Kollege schaut leider zu viele amerikanische Krimis«, erklärte er missmutig. »Haben Sie alles?« Als Watanabe nickte, brummte er Unheil verkündend: »Dann geh’n wir’s an!«

Draußen vor der Tür waren wirklich schon einige Reporter versammelt, die sich auf Vogel stürzten, der beschwichtigende Antworten gab und auf die nachmittägliche Pressekonferenz verwies. Walz hingegen hielt die Japanerin untergehakt und bugsierte sie möglichst unauffällig an den Journalisten vorbei.

Nachdem sie glücklich Maurers Haus verlassen und Watanabe vor ihrem nahe gelegenen Heim abgesetzt hatten, fuhren sie zu den Eltern des Mordopfers. Die genaue Adresse hatten sie telefonisch bei ihrem Faktotum Mimi Hawranek erfragt.

Da die Pflicht, Angehörige vom Tod ihres Verwandten in Kenntnis zu setzen, Vogel zutiefst zuwider war, übernahm Walz diese lästige Aufgabe. Zwar erledigte dies üblicherweise die Besatzung des Funkwagens, der zum Tatort gerufen wurde, aber Vogel befand es in diesem Falle für angemessener, die traurige Nachricht selbst zu überbringen.

Sie saßen noch im Wagen, als Vogels Mobiltelefon läutete. Es war Michael Weber, der Agent Maurers, der sich fassungslos über den gewaltsamen Tod seines Schützlings zeigte. Vogel versprach, ihn in der nächsten Stunde aufzusuchen.

Als sie vor der Wohnung standen, teilte ihnen das Türschild aus Messing mit, dass sie es gleich mit einem ›Prof. Dr. phil. Heinrich Maurer‹ zu tun bekämen.

Nur wenige Sekunden nach ihrem Läuten öffnete ihnen ein groß gewachsener älterer Herr, der sie mit vorwurfsvoller Miene musterte.

»Jetzt kommen Sie daher! Das ist schon ein starkes Stück, dass wir aus den Nachrichten erfahren müssen, dass unser Sohn ermordet wurde«, polterte er los und stemmte empört seine Hände in die Hüften.

»Es tut uns sehr leid, aber durch die Umstände, die den Tod eines Prominenten begleiten, ging es leider nicht schneller«, erklärte Walz mit ernster Miene. »Wir versichern Sie selbstverständlich unseres tiefsten Beileids und versprechen Ihnen, den mysteriösen Tod Ihres Sohnes so rasch als möglich aufzuklären.«

»Sind wohl durch dieses Schlitzauge aufgehalten worden, was? Jaja, die Tränen der sanften Geisha, auf die ist mein Sohn auch hereingefallen«, antwortete Maurer, das Kinn herausfordernd vorgestreckt.

»Ach, lass doch die Herren, die tun auch nur ihre Pflicht«, beschwichtigte ihn seine Frau, die unter seinem Arm, den er herrisch an der Türfüllung abgestützt hatte, hindurchgeschlüpft war. »Es ist schließlich auch so schon furchtbar genug. Dürfen wir Sie hereinbitten?«, fragte sie die zierliche Dame, indem sie ihren Mann behutsam beiseiteschob.

Ihre verweinten Augen deuteten darauf hin, dass ihr der Tod des Sohnes wohl nähergegangen war als ihrem zornigen Gemahl.

Die Inspektoren betraten eine Wohnung, die man früher wohl als ›gutbürgerlich‹ bezeichnet hätte, die heute aber nur mehr als verschroben betrachtet werden konnte. Abgesehen von allerhand Grünpflanzen, die um die mit weißen Gardinen verhängten Flügelfenster gruppiert waren, war hier alles gewichtig. Vom altdeutschen Bücherschrank, der mit allerhand in Leinen oder Leder gebundenen Klassikerausgaben, Atlanten und dem ›Großen Brockhaus‹ gefüllt war, über einen in rustikaler Eiche gehaltenen Esstisch mit ebensolchen Stühlen und einer Chaiselongue für das geheiligte Mittagsschläfchen des Familienoberhaupts, bis hin zu dem mit schweren Perserteppichen belegten Parkettboden–man sah es gleich, in diesem Hause hielt man auf Tradition. Mit einem Wort: Der Prototyp des Wohnzimmers eines Gymnasialprofessors, der sein Leben damit verbracht hatte, widerstrebenden Zöglingen mit unerbittlicher Hand die Grundlagen der humanistischen Bildung nahezubringen.

»Darf ich Ihnen einen Kaffee anbieten?«, fragte die Hausfrau, die ungeachtet ihrer Trauer wohl niemals die Gesetze der Gastfreundschaft verletzt hätte.

Angesichts der Umstände, die auf nichts anderes als auf einen Filterkaffee aus Augarten-Porzellan-Tassen schließen ließen, lehnten beide dankend ab.

»Was, um Gottes willen, ist heute Nacht mit unserem Sohn passiert? Ist er wirklich ermordet worden, wie mein Mann sagt? In den Nachrichten hieß es nur, dass ein Fremdverschulden nicht ausgeschlossen werden kann«, fragte Frau Maurer mit vor Entsetzen geweiteten Augen, was in seltsamem Widerspruch zu ihrem vom Weinen verquollenen Gesicht stand.

»Ja, leider kann ich Ihnen nichts anderes berichten. Es geschah allerdings nicht im Affekt, sondern sieht ganz nach einer geplanten Tat aus«, antwortete Walz, der das Wort ›Mord‹ unter diesen Umständen lieber vermeiden wollte. »Hat Ihr Sohn Ihnen gegenüber einmal etwas von einer Bedrohung oder von ihm feindlich gesonnenen Personen erzählt?«

Trotzig hatte Maurer die Hände in die Taschen seiner Hausjacke gesteckt.

»Wissen Sie«, sagte er bitter, »wir hatten leider nicht mehr viel Kontakt zu unserem Sohn. Er wollte mit uns nichts mehr zu tun haben…«

»Aber Heinrich«, wandte seine Frau entsetzt ein.

»Das hat er doch selbst zu uns gesagt!« Endlich zeigte der Patriarch Rührung, seine Stimme bebte ein wenig, ob allerdings aus Trauer oder verletztem Stolz, das konnten die Kriminalisten nicht beurteilen.

»Ihnen ist also nichts von einer Bedrohung bekannt?«

»Nein, unser Sohn war sicher schwierig, das schon«, antwortete Helga Maurer weinend, »aber im Grunde war er doch ein herzensguter Mensch«.

Laut schluchzte sie auf und verbarg ihr Gesicht in den Händen.

»Bitte nehmen Sie doch Rücksicht auf meine Frau und gehen Sie jetzt endlich! Wir können Ihnen ja doch nichts sagen«, rief ihr Gatte zornig aus und zeigte mit dem ausgestreckten Arm auf die Tür.

Die beiden Inspektoren erhoben sich sogleich und verabschiedeten sich mit einem Kopfnicken.

»Es wäre doch besser gewesen, wir hätten die Kollegen vom Funkwagen vorgeschickt, die sind solche Szenen wenigstens gewöhnt«, sagte Walz bedrückt, als sie wieder auf die Straße hinausgetreten waren.

»Außerdem hätte unsere blonde Landpomeranze dann am Sonntag etwas zu erzählen gehabt, beim Kirchenwirt in Stinkenbrunn«, meinte Vogel, der überraschend schnell seine gute Laune zurückgewonnen hatte.

2. Kapitel (Mittwoch)

Auf dem Weg zum Auto wurde Walz von seiner aufgeregten Freundin Clara angerufen, die verständlicherweise sofort alles über den plötzlichen Tod ihres Idols wissen wollte. Vogel telefonierte unterdessen mit dem Agenten des Verstorbenen, um ihm seinen Besuch anzukündigen.