Gaslicht 10 - Veronica Scott - E-Book

Gaslicht 10 E-Book

Veronica Scott

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Beschreibung

In dieser neuartigen Romanausgabe beweisen die Autoren erfolgreicher Serien ihr großes Talent. Geschichten von wirklicher Buch-Romanlänge lassen die illustren Welten ihrer Serienhelden zum Leben erwachen. Es sind die Stories, die diese erfahrenen Schriftsteller schon immer erzählen wollten, denn in der längeren Form kommen noch mehr Gefühl und Leidenschaft zur Geltung. Spannung garantiert! Plötzlich entdeckte Susan die zerfaserte Nebelschwade, die vom Friedhofsgelände aus zum Haus hinüberwehte. Mein Gott, was ist das? dachte sie aufgeregt. Unfähig, sich zu bewegen, starrte sie zum Hügel hinüber. In ihr war ein innerer Zwang, der nichts anderes gestattete, als in die Richtung zu schauen. Mit feuchten Händen beobachtete sie das seltsame Naturschauspiel. Es schien, als wäre ein Hauch eisiger Luft auf Wärme gestoßen. Nebel hatte sich zu einer riesigen Hand geformt, die das Anwesen umfaßte, als wolle sie das Gebäude zerquetschen. »Michael«, stieß Susan entsetzt hervor. Ihr Bruder war ganz allein! Lautlos schälten sich zwei Gestalten aus dem bizarren Schatten der Kirchenruine. Sie verharrten nur kurz und huschten dann weiter. Der alte Friedhof war ihr Ziel. Die Lichtkegel ihrer Taschenlampen wurden von Finsternis und Nebel beinahe verschluckt. Mit einem leisen Quietschen schloß sich das schmiedeeiserne Tor hinter ihnen. Dichter Bodennebel hatte sich wie ein dicker Teppich ausgebreitet und ließ alles unwirklich erscheinen. Er gab das, was er eingehüllt hatte, nur äußerst widerwillig preis. Henry Bolton kam es vor, als wäre er in eine andere Welt vorgedrungen. Unruhig huschte sein Blick umher. »Findest du, daß das eine gute Idee ist?« flüsterte er aufgeregt. Das Unbehagen in ihm wuchs, und er fror jämmerlich. »Memme«, schnauzte sein Kumpel Peter Halling unterdrückt. Henry wurde immer nervöser, während sie dem Kiesweg folgten. Noch nie hatte er eine derartige Unruhe empfunden. Warum sprach auch sein Begleiter leiser als sonst? Hatte er genauso Angst wie er? Nein, bestimmt nicht. Peter war ein eiskalter Ganove, der für ein paar Pfund Sterling seine Oma

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Gaslicht – 10 –

Lebendig begraben

Susan wird in eine grausige Falle gelockt

Victoria Scott

Plötzlich entdeckte Susan die zerfaserte Nebelschwade, die vom Friedhofsgelände aus zum Haus hinüberwehte. Mein Gott, was ist das? dachte sie aufgeregt. Unfähig, sich zu bewegen, starrte sie zum Hügel hinüber. In ihr war ein innerer Zwang, der nichts anderes gestattete, als in die Richtung zu schauen. Mit feuchten Händen beobachtete sie das seltsame Naturschauspiel. Es schien, als wäre ein Hauch eisiger Luft auf Wärme gestoßen. Nebel hatte sich zu einer riesigen Hand geformt, die das Anwesen umfaßte, als wolle sie das Gebäude zerquetschen. »Michael«, stieß Susan entsetzt hervor. Ihr Bruder war ganz allein!

Lautlos schälten sich zwei Gestalten aus dem bizarren Schatten der Kirchenruine. Sie verharrten nur kurz und huschten dann weiter. Der alte Friedhof war ihr Ziel. Die Lichtkegel ihrer Taschenlampen wurden von Finsternis und Nebel beinahe verschluckt.

Mit einem leisen Quietschen schloß sich das schmiedeeiserne Tor hinter ihnen. Dichter Bodennebel hatte sich wie ein dicker Teppich ausgebreitet und ließ alles unwirklich erscheinen. Er gab das, was er eingehüllt hatte, nur äußerst widerwillig preis.

Henry Bolton kam es vor, als wäre er in eine andere Welt vorgedrungen. Unruhig huschte sein Blick umher.

»Findest du, daß das eine gute Idee ist?« flüsterte er aufgeregt. Das Unbehagen in ihm wuchs, und er fror jämmerlich.

»Memme«, schnauzte sein Kumpel Peter Halling unterdrückt.

Henry wurde immer nervöser, während sie dem Kiesweg folgten. Noch nie hatte er eine derartige Unruhe empfunden.

Warum sprach auch sein Begleiter leiser als sonst? Hatte er genauso Angst wie er? Nein, bestimmt nicht. Peter war ein eiskalter Ganove, der für ein paar Pfund Sterling seine Oma verschachert hätte.

Henry haßte Friedhöfe. Für ihn besaßen sie etwas Unheimliches, dem man sich nicht entziehen konnte. Er glaubte, den Hauch des Todes wie einen Mantel zu spüren, der sich um seine Schultern legte.

Der dichte Bodennebel wirbelte bei der kleinsten Bewegung um ihre Füße. Die Kreuze und Grabsteine hoben sich nur vage aus der Dunkelheit ab und wirkten dadurch um so bedrohlicher.

Ja, das Wort bedrohlich war genau der richtige Ausdruck, fand Bolton.

Irgendwo in der Nähe schrie ein Käuzchen. Henry erschauderte und schluckte krampfhaft. Um ein Haar hätte er vor Schreck die Taschenlampe fallenlassen.

»Da, dort ist eine Gruft«, wisperte sein Kumpel. »Da gibt es bestimmt etwas zu holen. Die reichen Säcke nehmen immer irgendwelchen kostbaren Krams mit ins Grab.«

Ein leises Rascheln schreckte Henry auf. Er wirbelte herum und erntete dafür den Tadel seines Begleiters. Es war nur ein Wildkaninchen gewesen, das durch sie aus dem Schlaf gerissen worden war.

Wieder schrie das Käuzchen klagend ganz in der Nähe.

Bolton wurde es immer unheimlicher. Wenn er eins haßte, dann waren es Friedhöfe. Schweiß perlte von seiner Schläfe am Hals vorbei in den Hemdkragen, obwohl er innerlich fror. Immer wieder wischte er sich über das nasse Gesicht.

Halling ging indes zielstrebig auf die Grabkammer zu, die einen niedrigen Eingang besaß. Angst war ihm offenbar fremd.

Über der Tür prangte eine Art Wappen. Wind und Wetter hatten es leicht verwittern lassen. Der Ganove machte sich nicht die Mühe, es genauer zu betrachten.

Die schwere Steintür ließ sich ungewöhnlich leicht öffnen.

Der Mann leuchtete ins Innere der Totenhalle. Ein paar Stufen führten tiefer ins Innere der Grabstätte. Übler Geruch drang ihm entgegen, doch er ignorierte

ihn.

»Wo bleibst du?« fragte er ungeduldig und schaute sich um. Sein Kumpel benahm sich in den letzten Minuten wie ein ängstliches Kind.

»Ich komme ja schon«, wisperte der junge Mann hastig. Er mußte allen Mut zusammennehmen. Die Stufen in die Gruft hinunterzugehen, wurde für ihn zu einer unvorstellbaren Qual. Ihm war speiübel vor Angst.

Klebrige Spinnweben streiften sein Gesicht. Angewidert wischte er sie von der Haut.

Als er die allerletzte Stufe erreicht hatte, vernahm er helles Fiepen. Ruckartig fuhr sein Arm mit der Taschenlampe herum. Der Verursacher des Geräusches war rasch entdeckt. Der grelle Lichtkegel erfaßte eine fette Ratte, die hastig davonhuschte.

Henry atmete heftig aus. Sein Herz hämmerte wie wild gegen die Rippen, aber er folgte seinem Partner wie aus einem inneren Zwang heraus. Dann standen sie im Zentrum der alten Grabstätte. Es war kalt, und es roch nach Moder und Fäulnis.

Im selben Augenblick setzte in der Ferne leises Orgelspiel ein, das auch bis tief in die Gruft drang. Sekunden später brach es mit einem disharmonischen Ton wieder ab.

»Was war das?« fragte Henry leise, als befürchte er, jemand könne ihn hören.

»Woher soll ich das wissen?« konterte Peter wütend. »Wahrscheinlich nur der Wind.« In Wirklichkeit aber war auch seine Lässigkeit mit einem Schlag dahin.

Sie waren drogensüchtig und schlugen sich seit Wochen und Monaten durch die Gegend. Überall versuchten sie, Geld aufzutreiben oder etwas zu finden, das sich zu barer Münze machen ließ. Grabschänderei gehörte dazu.

Henry schnürte es die Kehle zu, als sie das Innere der Gruft mit ihren Lampen ausleuchteten. Zitternd schob er sich an Peter vorbei, der plötzlich stehengeblieben war.

Die Halle des Todes besaß viele Nischen, in denen man die Särge der Verstorbenen geschoben hatte. Von der Decke hingen feuchte Spinnweben, die im milchigen Licht der Taschenlampe glitzerten.

In diesem Gewölbe war seit vielen Jahren kein Mensch mehr gewesen. Auf dem Boden lag fingerdick der Staub, und man konnte keine Fußspuren erkennen.

Da sah Henry die bleichen Gebeine im hinteren Winkel der Gruft. Zwei Paar leere Augenhöhlen stierten ihn an, und fleischlose Gebisse schienen ihn anzugrinsen.

Kaum hatte er sich von seinem Schock erholt, als das Orgelspiel wieder voller Disharmonie auflebte. Das Blut gefror Bolton in den Adern.

Da sah er Peters Augen. Sie starrten an ihm vorbei.

Henry Bolton schluckte.

Wer oder was war hinter ihm? Was hatte seinen Freund derart geschockt?

Peter stand wie zur Salzsäule erstarrt, nicht mehr fähig, sich zu rühren.

Erschrocken wirbelte er herum – und sah das Grauen unmittelbar vor sich.

Er kam aus der Dunkelheit der Gruft, und in seiner düsteren Aura lebten Grauen und Vernichtung. Die rötliche Glut seiner Augen signalisierte Tod.

Sie waren verloren.

Ehe Boltons Schrei durch die Gruft gellte und Peter röchelnd zusammenbrach, hörten sie noch, wie die schwere Tür zur Gruft mit einem dumpfen Knall zufiel.

Als letztes vernahm Henry das heisere Lachen seines Mörders, das sich langsam entfernte, während er verblutete.

*

»Eine ausgesprochen erstklassige Wahl, Miss Skees«, lobte Sir Reginald Harrison in seiner typisch theatralischen Art. »Ich glaube, Sie werden es nicht bereuen, sich in dieser Richtung entschieden zu haben. Scarlett Mansion ist ein Schmuckstück. Sie werden sehen.«

Der Immobilienmakler gab sich galant wie immer. Er verstand es, seinen Kunden das Gefühl zu vermitteln, genau das Richtige getan zu haben. Selbst dann, wenn es grundverkehrt war.

Harrison & Harrison zählte nicht umsonst zu den renommiertesten Immobilienmaklern Londons und Umgebung.

Selbst die High Society kaufte bei Sir Reginald und seinem gleichnamigen Kompagnon Harry Harrison.

Nach vier Jahren hatten sie endlich einen Interessenten für den größten Ladenhüter gefunden. Und sogar ein kleiner Gewinn, von dem sie nicht einmal mehr in ihren kühnsten Träumen zu hoffen gewagt hatten, war dabei abgefallen.

Eigentlich war alles nur noch Formsache gewesen. Die Skees hatten ihre Stadtwohnung längst gekündigt und für heute bereits den Möbelwagen bestellt.

Susan Skees lächelte gequält und ergriff die dargereichte Hand des Maklers. Sie fühlte sich weich und schwammig an.

»Nun ja, wenn Sie meinen«, gab sie sehr skeptisch zurück. »Ich sehe das leider anders. Aber ich konnte meinem Bruder diesen Kauf leider nicht ausreden.«

»Aber, aber, Miss Skees«, meinte der Makler in seiner weltmännischen Art. »Das Haus hat solide Substanz und liegt absolut ruhig. Machen Sie sich keine Sorgen, daß es Ihnen nicht vergönnt war, es persönlich zu besichtigen. Die spontane Kaufabsicht Ihres Herrn Bruder war ein geschickter Schachzug, wenn ich es einmal so nennen darf.«

Michael Skees nickte energisch, als fühle er sich durch diese Worte bestätigt. Nervös spielte er an seinem Siegelring.

Seine Schwester wußte es besser. Wenn er derart unbeholfen agierte, war er alles andere als selbstsicher.

»Das sehe ich auch so«, entgegnete er dennoch. »Wir beide wollten doch immer ein Häuschen auf dem Land, Susan. Nun haben wir es endlich geschafft. Und dank Mr. Harrison sogar zu einem sehr günstigen Preis. Was willst du mehr?«

Die Frau warf dem Makler einen eindeutigen Blick zu, der keine Zweifel daran ließ, was sie von dieser Behauptung hielt.

Harrison lächelte nur galant und ignorierte ihn. Wenn diese Miss sein Verhandlungspartner gewesen wäre, hätte er mehr Schwierigkeiten gehabt, das Haus loszuwerden.

Die Tür zur Kanzlei wurde geöffnet. Mr. Vincent Harrison, Sir Harrisons Kompagnon, kam mit einem silbernen Tablett in den Raum. Champagner perlte in vier Sektkelchen.

»Ich dachte, man sollte dem Vertragsabschluß einen gebührenden Rahmen geben«, erklärte der junge Mann mit den breiten Koteletten.

Seine Frisur ist unmöglich, dachte Susan. Aber sympathisch ist er dennoch.

Soviel sie wußte, war Harrison mit seinem wesentlichen älteren Partner nicht verwandt oder verschwägert. Sie trugen nur den gleichen Namen. Da hörte ihre Gemeinsamkeit aber auch schon auf.

Sir Reginald Harrison war feist, hatte Schweinsaugen und schwitzte bei der geringsten Körperbewegung. Sein Kompagnon hingegen sah gut aus und war schlank.

Dankbar nahm Susan das Glas entgegen, das er ihr mit einem Lächeln reichte. Normalerweise trank sie keinen Alkohol, aber jetzt hatte sie einen Schluck nötig.

Michael hatte den größten Teil seines Erbanteils, das ihre verunglückten Eltern ihnen hinterlassen hatten, ohne Besichtigung, nur anhand einiger Fotos in eine Immobilie im Herzen von Essex investiert.

Täuschte sie sich oder hatte etwas Bedauernswertes im Blick des jungen Harrison gelegen?

Sir Reginald nahm ebenfalls ein Glas und prostete seinen Kunden zu. »Auf ein angenehmes Leben in Ihrem neuen Heim in Alberton. Ich wünsche Ihnen nur alles erdenklich Gute auf Scarlett Mansion. Ihr Leben im Grünen wird gewiß ganz neue Perspektiven mit sich bringen.«

Sie tranken, doch Susan konnte den Champagner nicht genießen. Das ungute Gefühl blieb. Aber sie wollte ihrem Bruder nicht noch mehr Spaß verderben. Es war halt sein Geld, das er ausgegeben hatte.

Michael war ein Träumer und hatte sich immer ein Haus auf dem Land gewünscht.

»Ich denke, wir müssen jetzt gehen«, gab sie zu bedenken. »Es gibt noch viel zu tun.«

Michael nickte seiner Schwester zu. »Wenn ich Susan nicht hätte«, scherzte er. »Dann würde ich wohl die Hälfte meiner Termine vergessen. Um drei Uhr geht es bereits los. Die Möbelpacker werden gewiß schon mit ihrer Arbeit fertig sein.«

Die beiden Makler begleiteten ihre Kunden zur Tür und verabschiedeten sich.

Sir Reginald Harrisons Gesicht fror zur Maske, als Susan und Michael Skees gegangen waren.

»Solche Idioten müßten häufiger zu uns kommen«, meinte er abfällig. »Dann würden wir auch die Kaschemme in der Houston Street, das Haus in Hadley Garden und drüben in Lakerson mit Gewinn los.«

Sein Kompagnon seufzte gequält.

»Mag sein«, erwiderte er seltsam berührt. Er mußte an Susan Skees denken. Die Frau hatte ihm gefallen. »Aber mit Verlaub gesagt, habe ich das Gefühl, unserer Sorgfaltspflicht als Makler nicht genügend nachgekommen zu sein, Sir.«

»Was reden Sie da nur für einen Unfug«, konterte der alte Harrison und schüttete sich noch ein Glas Champagner ein. »Wir sind Geschäftsleute, Vincent. Wir wollen Geld verdienen, oder sehe ich das falsch?«

»Ja, sicher! Aber das Haus in Alberton hat nicht den besten Ruf, Sir Reginald. Ich denke, daß wir…«

»Unfug«, unterbrach Harrison seinen Gesprächspartner massiv. »Morde geschehen jederzeit und überall, und wer glaubt schon an Geister. Das ist doch dummes Geschwätz.«

Sir Reginald schlug dem nachdenklichen Mann auf die Schulter und verließ das Büro.

Vincent Harrison beschloß, wieder an seine Arbeit zu gehen. Wahrscheinlich hatte sein Partner recht. Für heute hatten sich noch vier potentielle Kunden angekündigt.

Es versprach ein sehr lukrativer Tag zu werden.

Allerdings nicht für die Skees.

Für sie begann die Hölle.

*

»Mensch, du machst ein Gesicht, als hätte es dir die Petersilie verhagelt«, meinte Michael genervt. »Kannst du nicht ein wenig fröhlicher sein?«

»Und warum?« konterte Susan. »Seit drei Stunden tuckern wir hinter diesem dämlichen Möbelwagen her. Es regnet, mir ist kalt, und ich habe Durst und Hunger.«

Michael seufzte.

»Wir sind bestimmt gleich da«, sagte er. »Es kann wirklich nicht mehr weit sein.«

Michael sollte recht behalten. Nur wenige Minuten später, nachdem sie ein sich weit erstreckendes Tal hinter sich gelassen hatten, sahen sie den verträumten Ort direkt vor sich.

Alberton lag am Fuße eines Hügels, dessen Hänge teilweise bewaldet waren. Im Zentrum des verträumten Dorfes stand die Kirche, um die sich alle anderen Gebäude scharten.

»Wie romantisch«, meinte Michael. »Genauso habe ich es mir vorgestellt.«

Susan sah das anders. Öde, wäre das richtige Wort gewesen.

Sie fuhren in den kleinen Ort ein, und der klobige Transporter hielt wenig später an. Auch Michael lenkte den Wagen an die Seite und stieg aus.

Es nieselte immer noch, und die junge Frau beschloß, im Fahrzeug sitzenzubleiben. Ihr war schon kalt genug. Sie sah, wie ihr Bruder mit dem Fahrer der Spedition sprach, doch sie konnte nicht hören, was sie sagten.

Susans Neugierde besiegte das Unbehagen. Hastig warf sie ihre wasserdichte Regenjacke über und wagte sich ebenfalls in den Nieselregen.

»Was ist los, Mike?« fragte sie.

»Ich muß nach dem Weg fragen«, erklärte ihr Bruder. »Da drüben im Laden kann man mir bestimmt sagen, wo Scarlett Mansion liegt.«

»Ich komme mit.«

Als sie in das kleine Geschäft mit dem winzigen Schaufenster traten, ertönte ein disharmonischer Glockenschlag, der Kundschaft ankündigen sollte.

Es roch nach frischem Gemüse, Gewürzen und altem Holz. Der Laden zerbarst fast vor lauter Regalen, in denen Tüten, Konserven, Beutel und Pappkartons lagerten. Von Mehl über Pfifferlingen im Glas bis hin zum Sack Kartoffeln schien es hier alles Lebensnotwendige zu geben.

Es dauerte eine Weile, bis eine ältere Frau mit strähnigem Haar und einer schmuddeligen Schürze über einem ausgebleichten Kleid aus einem Nebenzimmer in das Geschäft kam. Skeptisch musterte sie die beiden jungen Leute.

»Guten Tag, die Herrschaften«, grüßte sie reserviert. »Was darf es sein?«

»Wir hätten gerne eine Auskunft«, ergriff Susan das Wort. »Sie kennen sich in der Gegend bestimmt bestens aus.«

Die Ladenbesitzerin runzelte die Stirn. »Auskünfte jeder Art gibt es im Gemeindeamt drüben in Rashroad«, erklärte sie. »Das hier ist ein Lebensmittelladen, Miss.«

Susan schmunzelte.

»Nein, ich glaube, Sie werden mir schon weiterhelfen können, Madam«, bemerkte sie. »Wir möchten nach Scarlett Mansion.«