Gaslicht 18 - Jane Robinson - E-Book

Gaslicht 18 E-Book

Jane Robinson

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Beschreibung

In dieser neuartigen Romanausgabe beweisen die Autoren erfolgreicher Serien ihr großes Talent. Geschichten von wirklicher Buch-Romanlänge lassen die illustren Welten ihrer Serienhelden zum Leben erwachen. Es sind die Stories, die diese erfahrenen Schriftsteller schon immer erzählen wollten, denn in der längeren Form kommen noch mehr Gefühl und Leidenschaft zur Geltung. Spannung garantiert! Verstört stellte Lilian fest, daß sie mit dem Kopf auf der Tischplatte lag! Sie blickte sich um – sobald sie die Einladung von Lord und Lady Carrington entdeckte, kehrte ihr Erinnerungsvermögen schlagartig zurück. »Seltsame Dinge passieren heute. Was ist nur los mit mir?« ächzte sie. »Was los ist mit dir?« erwiderte dicht hinter ihr eine hallende Stimme, die sich so unheimlich anhörte, als käme sie direkt aus dem Jenseits. Lilian lief eine Gänsehaut über den Rücken. Sie wollte erschrocken herumfahren, doch der Schauder lähmte sie. Voller Entsetzen spürte sie, wie widerlich knöcherne Finger nach ihrem Nacken griffen und sich lange harte Nägel tief in ihre Muskeln krallten. Die Schmerzen ließen sie aufstöhnen. »Du bist mir ausgeliefert!« raunte die unheimliche Stimme dicht an ihrem Ohr – so dicht, daß Lilian den eisigen Atem zu spüren vermeinte, den das Wesen bei jedem Ton verströmte... Es läutete! Lilian Winters schreckte auf. »Ach du liebe Zeit, kommt da Mary etwa schon?« murmelte sie bestürzt. »Das Teewasser kocht ja noch gar nicht, und die kleinen Kuchen stehen auch noch nicht auf dem Tisch!« Nach einem schnellen prüfenden Blick auf die Uhr stellte Lilian beruhigt fest, daß die Freundin viel zu früh dran war. Sie schmunzelte wissend. Natürlich, sie kann es nicht erwarten, meine neue Wohnung zu besichtigen! Also hat die Neugier sie viel zu früh hergetrieben. »Ich komme schon«, rief Lilian. Ihre Stimme klang ganz hell und verriet ihre Vorfreude auf den gemeinsamen Nachmittag mit der Freundin. Abgesehen davon war sie natürlich auch enorm stolz darauf, Mary in ihrer ersten

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Gaslicht – 18 –

Das Gespenst von Withermoore Castle

Jane Robinson

Verstört stellte Lilian fest, daß sie mit dem Kopf auf der Tischplatte lag! Sie blickte sich um – sobald sie die Einladung von Lord und Lady Carrington entdeckte, kehrte ihr Erinnerungsvermögen schlagartig zurück. »Seltsame Dinge passieren heute. Was ist nur los mit mir?« ächzte sie. »Was los ist mit dir?« erwiderte dicht hinter ihr eine hallende Stimme, die sich so unheimlich anhörte, als käme sie direkt aus dem Jenseits. Lilian lief eine Gänsehaut über den Rücken. Sie wollte erschrocken herumfahren, doch der Schauder lähmte sie. Voller Entsetzen spürte sie, wie widerlich knöcherne Finger nach ihrem Nacken griffen und sich lange harte Nägel tief in ihre Muskeln krallten. Die Schmerzen ließen sie aufstöhnen. »Du bist mir ausgeliefert!« raunte die unheimliche Stimme dicht an ihrem Ohr – so dicht, daß Lilian den eisigen Atem zu spüren vermeinte, den das Wesen bei jedem Ton verströmte...

Es läutete!

Lilian Winters schreckte auf. »Ach du liebe Zeit, kommt da Mary etwa schon?« murmelte sie bestürzt. »Das Teewasser kocht ja noch gar nicht, und die kleinen Kuchen stehen auch noch nicht auf dem Tisch!«

Nach einem schnellen prüfenden Blick auf die Uhr stellte Lilian beruhigt fest, daß die Freundin viel zu früh dran war. Sie schmunzelte wissend.

Natürlich, sie kann es nicht erwarten, meine neue Wohnung zu besichtigen! Also hat die Neugier sie viel zu früh hergetrieben.

»Ich komme schon«, rief Lilian. Ihre Stimme klang ganz hell und verriet ihre Vorfreude auf den gemeinsamen Nachmittag mit der Freundin. Abgesehen davon war sie natürlich auch enorm stolz darauf, Mary in ihrer ersten eigenen Wohnung empfangen zu können.

Mit wenigen großen Schritten hatte Lilian Winters die Eingangstür zum Laubengang erreicht. Freudig erregt zog sie sie auf, um die Freundin herzlich in die Arme zu schließen. Doch dazu kam es nicht!

Sobald sich die Tür öffnete, erlitt Lilian einen furchtbaren Schock.

Draußen auf dem Gang stand nicht ihre Freundin Mary, sondern ein Fremder – eine ganz finstere Gestalt, die aus einem Horror-Roman gestiegen zu sein schien!

Der unheimliche Fremde trug eine schwarze Pellerine und hatte trotz des herrlichen Wetters die Kapuze über den Kopf gezogen, so daß sein Gesicht mit den bleichen ausgehöhlten Wangen und den furchterregenden schwarzen Augenhöhlen kaum zu erkennen war. Und dieser Umstand gab ihm erst recht etwas Unheimliches… Furchterregendes!

Lilian Winters war im allgemeinen kein besonders ängstlicher Typ, doch als sie sich jetzt so unverhofft diesem unheimlichen Fremden gegenübersah, duckte sie sich erschauernd und hätte am liebsten die Tür wieder zugeschlagen, um sich dahinter in Sicherheit zu bringen.

Möglicherweise hätte der unheimliche Besucher sie nicht daran gehindert, doch Lilian war vor Schreck wie gelähmt und konnte sich einfach nicht bewegen. Wie hypnotisiert starrte sie in das bleiche, ausgezehrte Gesicht des Mannes.

Damit war es um sie geschehen, denn ehe sie sich dessen bewußt geworden war, hatte ihr Blick sich bereits in den seltsam funkelnden Augen des Fremden verfangen. Sie schillerten grünlich wie Irrlichter über nächtlichen Moorgebieten, und ihre Pupillen waren von so unendlicher Tiefe, daß Lilian das Gefühl hatte, auf eine immaterielle Weise in sie hineinzustürzen.

Das alles war geschehen, ehe die junge Frau es hätte verhindern oder den unheimlichen Besucher abweisen können!

Lilian war hypnotisiert und vermochte sich nicht mehr zu regen oder zu wehren. Nur noch unterschwellig erfaßte sie, daß seltsame Dinge mit ihr geschahen.

Ohnmächtig mußte sie geschehen lassen, daß der unheimliche Fremde ihr seinen Willen aufzwang!

Weder in diesen Minuten noch später hätte Lilian zu sagen vermocht, wie lange sie in diesem seltsamen tranceartigen Zustand gefangen gewesen war, denn jedes Gefühl für Zeit war ihr verlorengegangen.

Irgendwann war es plötzlich vorbei!

Einfach so!!

Und nichts von all dem Schrecklichen, das ihre Phantasie ihr wie im Zeitraffer vorgespiegelt hatte, schien tatsächlich passiert zu sein!

So als sei nichts geschehen, zog der Fremde wie ein ganz alltäglicher Bote einen großen weißen Büttenumschlag hervor.

»Miss Lilian Winters?« fragte er mit krächzender, matter Stimme.

Ganz recht, hätte Lilian bestätigen wollen, doch sie bekam noch immer keinen Ton heraus. Ihre Kehle war wie ausgedörrt, und um ihren Hals schien ein Strick zu liegen, der sie würgte.

Ihr Herz stolperte vor Erregung und Grauen so sehr, daß sie sich gequält die Hände darauf preßte, weil sie befürchtete, es könnte der Belastung nicht standhalten und zerspringen. Nur mit einem angedeuteten Kopfnicken konnte sie bestätigen, der gesuchte Empfänger zu sein.

Der unheimliche Bote schien gar nicht zu bemerken, daß Lilian völlig verstört reagierte. Er deutete eine höfliche Verbeugung an und überreichte ihr den Umschlag, wie man es von einem wohlerzogenen Boten erwarten durfte.

Lilian nahm den seltsamen Brief zögernd entgegen. Ihre Hände zitterten so sehr, daß sie kaum die Kraft aufbrachte, den Umschlag festzuhalten. Es war ganz so, als hätte der unheimliche Mensch ihr ein Bleipaket und nicht nur einen Brief überreicht!

Der Mann kümmerte sich nicht weiter um Lilian. Es schien so, als bemerkte er überhaupt nicht, daß sie völlig verstört reagierte. Er neigte wie zum Gruß höflich das Haupt und wandte sich ab. Und während er mit schnellen Schritten dem Ende des Ganges zustrebte, flatterte sein schwarzseidenes Cape wie eine Fahne des Unheils hinter ihm her.

Nichts hätte Lilian daran gehindert, sich wenigstens jetzt in ihre Wohnung zurückzuflüchten und die Tür fest hinter sich zu verschließen, doch das Entsetzen hielt sie gefangen, und sie starrte dem unheimlichen Fremden wie gebannt hinterher, bis er im Lift verschwunden war.

Selbst dann konnte sie sich nur unter Aufbietung ihres ganzen Willens bewegen.

Es war, als hätte der Fremde ihr seinen Willen bleibend aufgezwungen und auf diese Weise selbst noch, nachdem er bereits gegangen war, seine Macht über sie nicht verloren.

Und der Brief brannte wie Feuer in ihrer Hand!

Mochte sie es auch sonst aufregend finden, Post zu bekommen, dieser Brief konnte ihr kein Glück bringen! Er würde eher Unheil über sie heraufzubeschwören! Das spürte sie!

*

Mary Carter hatte auf den Bus verzichtet und es vorgezogen, den Weg zu Fuß zurückzulegen. Das Wetter war herrlich, und sie hatte den ganzen Tag über in einem stickigen Betriebsbüro gesessen. Ein bißchen Bewegung an der frischen Luft würde ihr guttun.

Vergnügt trällerte sie einen neuen Schlager vor sich hin und träumte insgeheim davon, daß der Sänger dieses Songs, ein gewisser Dole Hunter, in einem seiner nächsten Konzerte auf sie aufmerksam werden – nein mehr noch –, sich auf den ersten Blick in sie verlieben würde, und dann für sie beiden ein märchenhaftes Glück beginnen würde.

Für die hübsche Lilian ist vieles einfacher! sinnierte Mary, und unwillkürlich schlich sich ihr dabei ein tiefer Seufzer über die Lippen.

Und wenn sie nicht meine bester Freundin wäre, könnte ich sie um ihr Aussehen und um ihr Glück… Mary brach ihren Gedankengang erschrocken ab. Nein! dachte sie beschämt. Solche Gedanken sollte ich wirklich nicht haben! Lilian ist eine wunderbare Freundin. Ich könnte keine bessere Freundin haben als Lilian!

Jeder würde sich glücklich schätzen, sie zur Freundin zu haben. Sie ist ein solcher Schatz! Immer denkt sie zuerst an die anderen und an sich selbst zuletzt.

Wie oft schon hat sie mich vor einer Dummheit bewahrt!

Erst vor einigen Tagen noch wäre ich doch glatt in mein Unglück gerannt, wenn Lilian mir nicht gerade noch rechtzeitig die Augen geöffnet hätte!

Unter all diesen Gedanken erreichte Mary Carter den Wohnblock, in dem Lilian Winters vor kurzem ihre erste eigene Wohnung bezogen hatte. Ein Lottogewinn hatte ihre Ersparnisse unverhofft aufgestockt und diesen Wechsel möglich gemacht.

Allein, Lilian hatte nicht das ganze Lottogeld für sich selbst verwenden wollen, sondern einen Teil davon verschenkt.

»Sonst würde es mir kein Glück bringen«, hatte sie erklärt.

Natürlich hatte auch Mary etwas abbekommen und es sofort in eine Reihe von CD’s investiert, die ihr Lieblingssänger während der vergangenen Monate neu auf den Markt gebracht hatte. Von ihrem kleinen Gehalt als Kontoristin in einem Betriebsbüro konnte sie sich solche Anschaffungen nicht leisten.

Als Lilian von diesem Kauf erfahren hatte, hatte sie zwar den Kopf geschüttelt, und ihr Gesichtsausdruck hatte Bände gesprochen, aber gesagt hatte sie nichts.

»Solange ich noch bei meinen Eltern wohnen kann…?« hatte Mary zu ihrer Entschuldigung eingewandt, und Lilian hatte dazu nachsichtig gelächelt und gesagt: »Wenn du nur Freude daran hast, ist das Geld gut angelegt.«

Mary erreichte die Haustür.

»Lilian Winters!« Der Name der Freundin stand auf einem der blankgeputzten Messingschildchen.

Mary läutete zweimal kurz, einmal lang – ihr Erkennungszeichen seit sie Freundinnen waren, und sie war überzeugt, es würden nur Sekunden vergehen, bis der Summer ertönen und die Haustür sich öffnen lassen würde, denn Lilian würde sie gewiß schon voller Ungeduld erwarten.

Die Reaktion des Summers blieb jedoch aus, und die Tür ließ sich nicht öffnen!

Habe ich in der Aufregung etwa auf den falschen Klingelknopf gedrückt? fragte Mary sich verunsichert und läutete erneut – diesmal sehr sorgsam darauf achtend, daß sie den richtigen Klingelknopf betätigte.

Es rührte und regte sich trotzdem nichts!

»Da stimmt doch etwas nicht!« murmelte Mary betroffen. Sollte ich mich vielleicht im Datum geirrt haben und Lilian nicht zu Hause sein? überlegte sie.

Nein, das kann nicht sein! dachte sie. Erst gestern hat sie beim Abschied gesagt: »Bis morgen! Ich freue mich auf deinen Besuch!«

Während Mary noch überlegte, ob sie ein drittes Mal und anhaltender klingeln sollte, näherten sich drinnen Schritte, und im nächsten Moment wurde die Haustür geöffnet.

Eine Dame verließ das Haus, und Mary nutzte die offene Tür, um hineinzugelagen. Niemand hielt sie auf. Mit dem Lift fuhr sie zur vierten Etage hinauf, eilte erwartungsvoll den Laubengang entlang und stürzte auf Lilians Wohnungstür zu.

Das Namensschild bestätigte der Besucherin, daß sie vor der richtigen Wohnung stand, und diesmal läutete sie gleich Sturm, überzeugt, Lilian würde auf ein solches Alarmzeichen hin augenblicklich zur Tür stürzen… um sie erfreut, aber aller Voraussicht nach nicht ohne Vorhaltungen wegen des Lärms, in die Arme schließen.

Doch es rührte sich nichts!

Lilian erschien nicht! Und aus der Wohnung war nicht der geringste Laut zu vernehmen, ganz so, als sei die Wohnung verwaist.

»Das ist aber seltsam!« murmelte Mary befremdet. Irgend etwas stimmt da nicht! Lilian ist viel zu zuverlässig, als daß sie mich einladen und mich dann vor verschlossener Tür stehen lassen würde!

Dafür gibt es nur eine Erklärung: Es muß etwas passiert sein!

Am Ende ist sie verunglückt und liegt ohnmächtig irgendwo in der Wohnung, ohne sich bemerkbar machen zu können? schoß es Mary durch den Sinn.

»Lilian«, rief sie: »Bist du da, Lilian? Ich bin es, Mary!« Sie preßte das Ohr an die Türfüllung und lauschte angestrengt nach drinnen, doch es kam keine Antwort.

Nicht einmal das allerleiseste Geräusch war zu vernehmen!

Wenn wenigstens ein Fenster geöffnet wäre, damit ich hineingelangen könnte! überlegte Mary und zog bereits in Erwägung, einfach eine Scheibe einzuschlagen, um sich so Zutritt zur Wohnung der Freundin zu verschaffen. Vielleicht war schnelle Hilfe lebenswichtig?!

Während Mary noch überlegte, wie sie sich verhalten sollte, hörte sie den Lift heraufkommen. Eine Dame stieg aus und kam auf Mary zu. Dabei musterte sie sie ganz ungeniert.

»Da läuten Sie vergebens«, sagte sie, als sie nahe genug herangekommen war. »Die junge Frau ist eben fortgegangen.«

»Fortgegangen?« Mary blickte die Fremde betroffen an und schüttelte ungläubig den Kopf. »Das kann nicht sein. Wir waren doch verabredet.«

»Wenn ich es doch sage!« beharrte die Fremde achselzuckend und ging auf die letzte Tür des Laubengangs zu. Offenbar wohnte sie dort, denn sie zog einen Schlüssel aus der Handtasche und sperrte auf.

Mary blieb unschlüssig stehen. Um sich in der Wohnung der Freundin bemerkbar zu machen, pochte sie nun ziemlich hart gegen eine der Fensterscheiben. Erst als auch das ohne Reaktion geblieben war, wandte sie sich ab und kehrte zögernd zum Lift zurück.

Ehe sie wieder nach unten fuhr, schaute sie noch einmal forschend zurück, doch ihre stille Hoffnung, die Freundin könnte noch im letzten Moment zur Tür gekommen sein, erfüllte sich nicht.

Der liebe Gott mag wissen, was da passiert ist! grübelte Mary. Irgend etwas geht hier nicht mit rechten Dingen zu. Und ich bin gespannt, was Lilian mir zu berichten hat, wenn wir uns wiedersehen werden.

*

Nachdem Lilian Winters die Wohnungstür hinter sich geschlossen und sich vor dem unheimlichen Boten in Sicherheit wissen konnte, war sie völlig am Ende ihrer Kraft. Sie bebte am ganzen Körper wie Espenlaub und wankte auf unsicheren Füßen zum nächsten Stuhl. Völlig verstört ließ sie sich darauf niedersinken. Ihre Hände flatterten so sehr, daß sie den schweren Büttenumschlag kaum noch halten konnte.

Verunsichert starrte sie auf die großen steilen Buchstaben der Anschrift.

Da stand tatsächlich ihr Name! Und jemand hatte sich sogar die Mühe gemacht, die Adresse von Hand zu schreiben!

Es muß eine sehr energische Hand gewesen sein, die diesen Umschlag beschriftet hat, ging es Lilian durch den Sinn. Die großen steilen Buchstabenketten wirken beinahe wie aufgestellte Barrieren von gefährlichen, spitzen Pfählen, an denen man sich leicht zu Tode verletzen könnte. Wenn man bei solchen Menschen in einen Hinterhalt geriete, würde man sich wahrscheinlich wie eine Gefangene fühlen.

Lilian hielt betroffen inne. Solche seltsamen Betrachtungen habe ich doch noch nie angestellt! dachte sie. »Daran ist nur die Begegnung mit diesem merkwürdigen Boten schuld«, murmelte sie. »Dieser Mensch hat mich mit seiner ungewöhnliche Erscheinung völlig verwirrt. – Ich sollte solche negativen Gedanken nicht Herr über mich werden lassen!«

Überhaupt sollte ich diesem Vorfall nicht zu viel Bedeutung beimessen, bemühte Lilian sich, ihre Gedanken und Gefühle unter Kontrolle zu bringen. Es ist besser, alle Mystik von vornherein auszuschalten, denn all das Merkwürdige wird eines Tages gewiß seine ganz natürliche Erklärung finden.