Man nannte sie die Mörderbraut - Barbara Branch - E-Book

Man nannte sie die Mörderbraut E-Book

Barbara Branch

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Beschreibung

In dieser neuartigen Romanausgabe beweisen die Autoren erfolgreicher Serien ihr großes Talent. Geschichten von wirklicher Buch-Romanlänge lassen die illustren Welten ihrer Serienhelden zum Leben erwachen. Es sind die Stories, die diese erfahrenen Schriftsteller schon immer erzählen wollten, denn in der längeren Form kommen noch mehr Gefühl und Leidenschaft zur Geltung. Spannung garantiert! Plötzlich gingen alle Lichter auf einen Schlag aus. Zwei, drei Sekunden später brannten sie wieder. Ein Kurzschluss!, dachte Camilla und wollte ins Zimmer zurückgehen. Da wurde es drüben wieder dunkel, unmittelbar darauf hell. Das Ganze wiederholte sich mehrfach. Endlich blieb alles dunkel. Fast im selben Moment, als die Lampen erloschen waren, drang ein markerschütternder Schrei durch die Nacht. Camilla hielt sich am Fensterkreuz fest. Angstschauer jagten ihr über den Rücken. Ihr Verstand sagte ihr, dass sie etwas unternehmen müsste. Weit außerhalb des kleinen Dorfes Farlington lagen noch drei Häuser am Waldrand. In der düsteren Beleuchtung des regnerischen Tages sahen sie fast unheimlich und völlig verlassen aus. Erst beim Näherkommen merkte Camilla Weiller, dass an den Fenstern des Fachwerkhauses Gardinen hingen und ein paar Blumentöpfe auf dem Balkon standen. Also musste das wohl das Haus von Mrs Beaton sein. Camilla parkte ihren kleinen Wagen auf dem holprigen Waldweg und öffnete die Gartenpforte. Seltsamerweise hatte sie plötzlich Angst. Dabei ging es doch nur darum, ein Haus zu kaufen, das in einer Zeitungsanzeige als »romantisch« angepriesen worden war. Eine schwarze Katze kam ihr entgegen und machte einen Buckel.

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Gaslicht – 69 –

Man nannte sie die Mörderbraut

Barbara Branch

Plötzlich gingen alle Lichter auf einen Schlag aus. Zwei, drei Sekunden später brannten sie wieder. Ein Kurzschluss!, dachte Camilla und wollte ins Zimmer zurückgehen. Da wurde es drüben wieder dunkel, unmittelbar darauf hell. Das Ganze wiederholte sich mehrfach. Endlich blieb alles dunkel. Fast im selben Moment, als die Lampen erloschen waren, drang ein markerschütternder Schrei durch die Nacht. Camilla hielt sich am Fensterkreuz fest. Angstschauer jagten ihr über den Rücken. Ihr Verstand sagte ihr, dass sie etwas unternehmen müsste. Aber sie war wie gelähmt …

Weit außerhalb des kleinen Dorfes Farlington lagen noch drei Häuser am Waldrand. In der düsteren Beleuchtung des regnerischen Tages sahen sie fast unheimlich und völlig verlassen aus. Erst beim Näherkommen merkte Camilla Weiller, dass an den Fenstern des Fachwerkhauses Gardinen hingen und ein paar Blumentöpfe auf dem Balkon standen.

Also musste das wohl das Haus von Mrs Beaton sein.

Camilla parkte ihren kleinen Wagen auf dem holprigen Waldweg und öffnete die Gartenpforte. Seltsamerweise hatte sie plötzlich Angst. Dabei ging es doch nur darum, ein Haus zu kaufen, das in einer Zeitungsanzeige als »romantisch« angepriesen worden war.

Eine schwarze Katze kam ihr entgegen und machte einen Buckel. Grüne Augen funkelten die junge Frau giftig an. Sekunden später war die Katze im dichten Gebüsch verschwunden.

Camilla klingelte mehrfach, bis ihr endlich geöffnet wurde.

»Wer sind Sie?«, fragte eine Frau mit mürrischem Gesichtsausdruck. Sie war groß, hager und sicher sechzig Jahre oder gar älter. Allerdings wirkte sie gepflegt und hellwach.

»Ich bin Camilla Weiller«, stellte sich die Besucherin vor. »Wir haben schon am Telefon miteinander gesprochen. Darf ich mir das Haus ansehen?«

»Ja, sicher. Bitte, kommen Sie herein.«

Camilla wurde in ein behagliches, freilich altmodisch eingerichtetes Zimmer geführt. Die Katze – oder eine sehr ähnliche – lag auf dem mit grünem Plüsch bezogenen Sofa und nahm keine Notiz von dem Gast. Mrs Beaton bot Sherry und kleine Salzstangen an. Sie wirkte sachlich. Nur der lauernde Gesichtsausdruck störte Camilla.

Nach ein paar Minuten wusste sie, wie groß das Haus war, wie die Heizung funktionierte und wo die nächste Einkaufsmöglichkeit im Dorf war.

»Warum wollen Sie eigentlich hier draußen leben?«, fragte Mrs Beaton neugierig. »Wir sind ziemlich weit weg von allem, was für junge Leute heute als interessant gilt. Oder möchten Sie gar nicht selbst in mein Haus ziehen?«

»Doch. Ich suche Ruhe und …« Sie strich das lange dunkle Haar mit einer bewussten Geste aus dem Gesicht. Vor dem rechten Ohr war eine hässliche, entstellende Narbe zu sehen. »So möchte ich mich im Augenblick nicht unter Menschen sehen lassen«, sagte sie zögernd.

»Das heilt doch wieder.«

»Sicher. Aber es ist nicht schön, dauernd gefragt zu werden: Wie geht es dir? Hast du den Unfall gut überstanden? Es geht nicht nur um diese Verletzung, sondern auch um eine große Enttäuschung. Aber das wird Sie kaum interessieren.«

»Wollen Sie allein hier leben?«

»Ja. Ich habe die Absicht, ein Buch zu schreiben und brauche Zeit und Ruhe, um mich zu konzentrieren. Es handelt sich um einen bestimmten Götterkult der Inkas.«

»Was haben die Inkas mit Cornwall zu tun?«

»Nichts. Wollen wir nicht lieber über die Einzelheiten des Verkaufs sprechen? Vor allem möchte ich jetzt definitiv wissen, welchen Preis Sie verlangen.«

»Hunderttausend Pfund«, sagte Mrs Beaton gelassen.

Camilla musste schlucken.

»Dafür bekomme ich ja ein Haus in der Stadt oder eine Villa in einem Kurort. Nein, tut mir leid, das kann und will ich nicht bezahlen.«

Seltsamerweise wurde Mrs Beaton von diesem Augenblick an sehr viel freundlicher.

»Ja, Sie haben natürlich recht«, stimmte sie zu. »Der Preis ist zu hoch. Aber ich habe bestimmte Gründe, warum ich ihn verlangen muss. Sind Sie ganz sicher, dass Sie ihn nicht akzeptieren wollen?«

»Absolut sicher. Selbst wenn mir dieses Haus so gut gefiele, dass ich es unbedingt haben möchte, könnte ich das gar nicht bezahlen. Das übersteigt meine Möglichkeiten bei weitem. Fünfzigtausend ist schon sehr viel für mich.«

»Dann kommen wir nicht zusammen. – Darf ich Sie zu einer Tasse Tee einladen? Ich habe selten Gäste und freue mich immer, wenn ich mal jemanden bewirten kann.«

Camilla hätte sich lieber verabschiedet, aber sie wollte nicht unfreundlich sein. So blieb sie.

Wie sich herausstellte, besaß Mrs Beaton sogar drei Katzen, alle überwiegend schwarz. Auch die Tiere bekamen Kuchen und zu Camillas Erstaunen Tee – jede in einem kleinen Schüsselchen für sich.

»Mögen denn Katzen nicht lieber Milch?«, fragte sie unsicher.

»Sie sollen nicht zu viel Milch bekommen. Und meine Mutter hatte sie an Tee gewöhnt. Wissen Sie, ich habe das Haus nämlich erst vor gut zwei Jahren von meiner Mutter geerbt. Mama war körperlich behindert und konnte nicht mehr allein zum Einkaufen gehen. Vielleicht hat sie den Katzen deswegen Tee gegeben. Das war für sie einfacher als immer Milch zu besorgen.«

»Haben Sie damals nicht hier gelebt?«, fragte Camilla, um das Gespräch weiterzuführen. Im Grunde war es für sie völlig uninteressant. Aber was soll man mit jemandem reden, den man praktisch gar nicht kennt?

»Ich habe mehr als dreißig Jahre in London gewohnt. Auch nach dem Tod meines Mannes. Als Mama kränklich wurde, habe ich gelegentlich daran gedacht, wieder hierher zurückzukommen. Aber es war mir zu einsam. In London habe ich viele Freunde.«

»Ach so, Sie wollen das Haus verkaufen, weil Sie nicht dauernd auf dem Lande leben möchten.«

»Jetzt bleibe ich hier!«, sagte Mrs Beaton in einem fast aggressiven Ton. »Ich bin hier und bleibe hier«, bestätigte sie noch einmal.

»Verzeihen Sie …, Sie wollten das Haus doch verkaufen …«

»Nein, das will ich nicht.«

»Die Anzeige in der Zeitung? Habe ich das missverstanden? Warum haben Sie mir nicht gleich gesagt, dass Sie nicht an einem Verkauf interessiert sind? Wenn ich nun Ihren Preis akzeptiert hätte?« Camilla zweifelte allmählich an Mrs Beatons Verstand.

»Dann hätte ich die Polizei angerufen«, erklärte Mrs Beaton mit dem Funkeln ihrer grünen Augen, das sie den Katzen noch ähnlicher machte.

»Warum Polizei?«

»Das kann ich Ihnen nicht erklären«, Mrs Beaton starrte zu einer Tür, die offenbar in ein anderes Zimmer führte. Sie wirkte völlig geistesabwesend.

»Ich fürchte, ich muss mich jetzt verabschieden«, sagte Camilla. »Mir ist noch ein anderes Haus angeboten worden. Wenn ich es noch bei Tageslicht besichtigen will, muss ich gehen.«

»Ja, ja, ich verstehe.« Mrs Beatons Gesichtsausdruck wurde wieder freundlich. »Viel Glück bei der Suche. Ich wünsche Ihnen, dass Sie etwas Passendes finden. Und ich sollte Ihnen wohl doch sagen, warum ich jetzt hierbleiben will: Mein Sohn ist vor zwei Jahren hier in diesem Haus ermordet worden. Dort nebenan im damaligen Schlafzimmer seiner Großmutter.«

Camilla erschrak.

»Ihr Sohn und Ihre Mutter sind ermordet worden?«

»Mama nicht. Sie lag um diese Zeit im Krankenhaus. Allerdings ist sie fast zur selben Zeit gestorben wie mein unglücklicher Timothy. Jedenfalls, wenn man den Ärzten glauben will. Ich habe meinen Jungen hier tot gefunden, als ich wegen der Beisetzung meiner Mutter hergekommen bin.«

»Das tut mir sehr leid.« Camilla stand auf. Sie wollte weg, möglichst rasch dieses unheimliche Haus und diese seltsame Frau verlassen.

Mrs Beaton begleitete sie bis zur Tür und winkte ihr sogar freundlich nach.

Es gab in dieser Gegend kein weiteres Haus, das Camilla ansehen wollte. Die Umgebung gefiel ihr, sie wäre gern geblieben. Aber auf gut Glück zu suchen, hatte ja auch keinen Sinn.

Als sie unten im Dorf tankte, wurde sie von einem älteren, sehr netten Mann bedient und kam mit ihm ins Gespräch.

»Wer wohnt eigentlich in den Häusern oben am Berg?«, fragte sie. »Ich weiß, dass das Fachwerkhaus einer Mrs Beaton gehört. Aber die beiden anderen wirken völlig verlassen.«

»Das eine ist auch eine bessere Ruine, sieht nur von außen noch ganz gut aus. Das Tannenhaus gehört einer Familie Jennings in Plymouth. Aber von denen wohnt schon lange niemand mehr hier.«

»Ist das Haus zu verkaufen? Warum nennen Sie es übrigens Tannenhaus? Ist es aus Holz gebaut?«

»Nein, nein, ist ein gutes, solides Steinhaus. Aber jeder sagt hier das Tannenhaus, weil ringsum die Tannen stehen, nur Tannen und Gebüsch.« Der Tankwart hatte inzwischen auch noch den Ölstand geprüft und sah fragend auf Camilla. »Wollen Sie etwa hier ein Haus kaufen?«

»Ja. Deswegen bin ich in Farlington. Mrs Beaton hatte ihr Haus in einer großen Londoner Zeitung angeboten. Ich war eben bei ihr, aber sie hat einen Fantasiepreis genannt.«

»Die hat sowieso nur Stroh im Kopf«, sagte der alte Mann verächtlich. »Seit ihre Mutter und ihr Sohn am selben Tag gestorben sind, spinnt sie. Na ja, die alte Frau war sehr krank, aber der Timothy, der war noch jung und kerngesund. Ein netter Bursche. Alle hier mochten ihn gern. Im Gegensatz zu der Beaton ist er auch oft zu der alten Großmutter zu Besuch gekommen.

Er wollte wohl etwas für seine Großmutter aus dem Haus oben holen und ist dabei verunglückt.«

»Mrs Beaton behauptet, ihr Sohn wäre ermordet worden.«

»So ein Quatsch! Ja, ich weiß, dass sie das faselt. Man hat den jungen Bea­ton mit einer bösen Kopfwunde im Schlafzimmer seiner Großmutter gefunden, daneben einen umgekippten Stuhl und ein paar Kleidungsstücke von der alten Frau. Auf dem Fußboden lag ein leerer Koffer. Clementine Beaton hat damals behauptet, man hätte ihren Sohn ermordet. Die Polizei meint, er wäre auf einen Stuhl gestiegen, um den Koffer vom Kleiderschrank zu nehmen und dabei so unglücklich gestürzt, dass er mit dem Kopf auf die scharfe Kante der Marmorplatte von einem Tisch gefallen ist.«

»Das war sicher ein böser Schock für Mrs Beaton«, meinte Camilla nachdenklich. »Aber weswegen bleibt sie dann ausgerechnet in einem Haus, das für sie so viele traurige Erinnerungen birgt? Sie hat mir erzählt, dass sie viel lieber in London leben würde.«

»Sage ich doch: Sie spinnt! Erst hat sie allen leid getan. Jeder wollte ihr helfen. Sie hat die Leute vor den Kopf gestoßen. Jetzt geht man ihr aus dem Wege.«

»Ich würde gern in Farlington leben. Ich suche ein kleines, möglichst preiswertes Haus.«

»Na ja, lassen Sie mich mal nachdenken. Schade, dass mein Sohn heute nicht hier ist. Der wüsste, wie man die Jennings-Leute erreichen kann. – Ach, da fällt mir ein, sie müssen ja im Telefonbuch von Plymouth stehen. Arthur Jennings – Bananen oder so ähnlich.«

»Bananen?«

»Ja, sie handeln mit Obst aus Übersee, vor allem mit Bananen. Früher, als sie noch manchmal hergekommen sind mit ihren Kindern, haben sie immer für alle Bananen mitgebracht. Mein Sohn war damals auch noch ein kleiner Bursche, der Timothy Beaton auch. Wenn die das Jenningsauto gesehen haben, sind sie gleich raufgelaufen zum Tannenhaus und mit einem Bündel Bananen zurückgekommen.«

»Danke, dass Sie mir das gesagt haben.«

*

Abends daheim in ihrer eigenen Wohnung suchte Camilla die Telefonnummer eines Arthur Jennings, der mit Bananen handelte. Eine halbe Stunde später hatte sie eine Vereinbarung zur Besichtigung des Tannenhauses getroffen. Ausschlaggebend war vor allem, dass Mister Jennings lediglich zwanzigtausend Pfund verlangte.

Fast unmittelbar nachdem sie den Hörer aufgelegt hatte, klingelte das Telefon. Wollte Mister Jennings noch etwas mit ihr besprechen?

»Na, endlich!«, sagte eine dunkle, sympathische Männerstimme, die Camilla nur zu gut kannte. Der Hörer zitterte in ihrer Hand. »Wo hast du denn die ganze Zeit gesteckt, Millie? Ich habe mir schon Sorgen gemacht, es könnte dir etwas passiert sein. Ich versuche seit Tagen, dich zu erreichen.«

»Gib dir keine Mühe, Gordon«, wehrte sie eisig ab. »Wir haben uns nichts mehr zu sagen. Und es ist völlig überflüssig, dass du dir Sorgen um mich machst.«

»Aber, Millie …«

»Bitte, lass das!«, unterbrach sie ihn. »Für dich bin ich nicht mehr Millie, sondern allenfalls Camilla.«

»Wir müssen uns unbedingt sprechen! Es ist so wichtig. Auch für dich.«

»Nein. Mit deinen krummen Touren möchte ich nichts zu tun haben. Du hast mich belogen und betrogen. Vielleicht hätte ich dir das verzeihen können oder wenigstens eine Entschuldigung gefunden. Aber dass du auch noch Vaters Lebenswerk zerstören willst, vergebe ich dir nie.« Sie legte auf.

Nur Sekunden später klingelte das Telefon wieder.

Diesmal nahm sie den Hörer nicht mehr ab.

Ihre Gedanken wanderten im Kreis.

Sie sah Gordon, den sie so geliebt hatte.

Sie dachte an ihren Vater, den versponnenen Wissenschaftler. Und sie erinnerte sich plötzlich wieder an die kleinsten Einzelheiten der Ausgrabungen in Peru. Vaters Begräbnis … Gordon und die bildhübsche Sheyla …

Mit unsicheren Fingern tastete sie nach der Narbe in ihrem Gesicht.

Plötzlich und völlig unvermittelt begann sie zu weinen.

Irgendwann flammte das Licht in dem altmodischen Kronleuchter auf, und Camilla kam wieder in die Wirklichkeit zurück. Hatte sie geträumt? Was war geschehen?

Sie blinzelte ihrer Freundin Marion zu, die an der Tür stand.

»Bist du schon zu Hause?«, fragte sie töricht.

»Schon ist gut«, Marion setzte sich in einen Sessel und streifte die hochhackigen Pumps ab. »Es ist gleich elf. Ich wollte mir nur rasch noch eine Zeitung holen und finde dich hier in dem Sessel sitzen. Was ist los?«

»Ich war heute in Farlington, Marion. Diese Mrs Beaton will einen Fantasiepreis für ihr Haus. Aber ich habe dort ein anderes in Aussicht und werde es mir morgen ansehen. Wenn alles klappt, kann ich schon nächste Woche einziehen.«

»Willst du dich wirklich in der Einsamkeit vergraben, Camilla? Bleib doch lieber in Plymouth, wo du hingehörst.«

»Nein. Ich habe keine Lust, Gordon noch einmal zu begegnen. Und ich habe die albernen, scheinheiligen Fragen satt. Außerdem muss ich die Wohnung hier ja ohnehin bis zum Jahresende räumen. Du weißt so genau wie ich, dass es sich um eine Art Dienstwohnung der Universität handelt. Seit Vaters Tod habe ich kein Recht mehr darauf, hier zu wohnen. Und ich brauche einfach Ruhe zu der Arbeit, die ich vorhabe. Ich muss seinen Ruf und seine Ehre retten.«

»Nimmst du dir da nicht zu viel vor? Sicher hast du ihm oft bei seinen Ausgrabungen und wissenschaftlichen Arbeiten geholfen. Du verstehst wahrscheinlich mehr von der Inka-Kultur als promovierte Historiker. Und trotzdem würde ich eher annehmen, dass Gordon Thomson recht hat.«

»Glaubst du jetzt auch noch, dass Vater ein Betrüger und Nichtskönner war?«, ereiferte sich Camilla. »Kannst du mir vielleicht erklären, warum Gordon dann Vaters Manuskripte gestohlen hat? Ja, ich sage bewusst: gestohlen! Gordon sollte nur die Korrektur lesen. Jetzt ist das Manuskript verschwunden. Ich wette, das Buch erscheint eines Tages unter Gordons Namen, und mein Vater kann sich nicht mehr dagegen wehren. Aber Gordon ist ein gemachter Mann.«

»Ich weiß nicht, wie das alles zusammenhängt«, gab Marion bedrückt zu. »Ich halte deinen Vater für einen grundanständigen Mann und kenntnisreichen Wissenschaftler. Aber ich habe auch Gordon Thomson bisher für untadelig gehalten. Genau wie du auch. Und dein Vater hat es genauso gesehen.«

»Gordon hat ihn betrogen.«

*

Camilla kaufte das Tannenhaus und zog schon drei Tage später ein. Ein kleiner Transporter brachte die Einrichtung des Zimmers, das sie bisher in ihrem Elternhaus bewohnt hatte. Dazu ein paar Küchenmöbel, Geschirr und Wäsche.

Leider hatte Marion ausgerechnet an diesem Tag keine Zeit. So war Camilla zuerst mit den beiden Möbelpackern und später dann nur noch mit einem alten Handwerker aus dem Dorf allein.

Mister Morell besah sich brummend das Haus, und Camilla folgte ihm etwas beklommen. Der Schreiner schüttelte immer öfter den Kopf und nahm dem jungen Mädchen die ganze Freude.

»Müsste alles rausgerissen werden«, bemerkte er. Oder: »Diese Fenster sind undicht.«

»Ich will keine Luxuswohnung, sondern ein einfaches Haus, in dem ich leben kann«, sagte Camilla energisch. »Renovieren Sie die untere Etage. Die obere brauche ich im Augenblick sowieso nicht. Das kann man später machen.«

Er maß noch einmal umständlich die Fensterbreite aus, dann ging er endlich.

Camilla räumte etwas Geschirr aus einer Kiste und setzte dann Teewasser auf.

»Bis es kocht, können wir uns unser neues Heim ansehen, Pussy«, sagte sie zu dem kleinen Hund, der ihr auf Schritt und Tritt folgte. Er war ihr noch genauso fremd wie das Haus. Marion hatte ihn am Abend zuvor völlig unerwartet mitgebracht und der Freundin zum Einzug als »Wachhund« geschenkt.

Camilla suchte unter ihren mitgebrachten Vorräten nach dem Hackfleisch, füllte eine flache Schüssel damit und stellte sie dem Hund hin.

Er wedelte kurz mit dem Schwanz, dann begann er an der Schüssel zu schnuppern.

Plötzlich sträubte sich sein Fell, und er begann, drohend zu knurren. Tapsig lief er zur Küchentür.

Camilla hatte gar nicht gehört, dass jemand gekommen war. Sie erschrak, als jemand in die Küche kam. Es war eine Frau, mehr konnte sie nicht erkennen, da die Fensterläden wegen der fehlenden Gardinen geschlossen waren. Die schirmlose Glühlampe in der Ecke ließ die Tür im Halbdunkel.

»So ist das also«, sagte eine barsche, ja, bösartige Stimme. »Mein Haus war Ihnen angeblich zu teuer. Da sind Sie hier eingezogen. So können Sie ja auch an Ihre Beute kommen. Ich hätte Lust, sofort die Polizei zu rufen.«

»Mrs Beaton?«, stellte Camilla verblüfft fest, als die Nachbarin näher an die Lampe herankam. »Verzeihen Sie, ich verstehe nicht, was Sie meinen. Wieso stört es Sie, dass ich jetzt hier wohne?«

»Das wissen Sie so gut wie ich.«

»Nein. Es muss sich da um ein Missverständnis handeln. Ich …« Der Wasserkessel pfiff schrill, und Camilla nahm ihn rasch vom Herd. »Darf ich Ihnen eine Tasse Tee oder Kaffee anbieten, Mrs Beaton? Ich hoffe, wir werden gute Nachbarschaft halten.«

»Ich verkehre nicht mit Mördern oder Mörderliebchen.«

Camilla war so geschockt, dass ihr keine Antwort einfiel.

Der kleine Hund zeigte sein Missfallen dagegen deutlich. Er knurrte die Besucherin an und zerrte mit seinen spitzen Kinderzähnen an ihrem weiten Rock.

»Lass das, Pussy!«, wies ihn Camilla zurecht. »Das ist Besuch. Freunde von Frauchen darf man nicht beißen.«

Mrs Beaton fuhr herum wie von der Tarantel gebissen.

»Wo ist meine Pussy? Haben Sie die auch schon hergelockt?«

»Ich meinte meinen Hund. Er heißt Pussy.«

Mrs Beaton lachte so schrill und nervös, dass Camilla Angst bekam und sich ein paar Schritt zurückzog.