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Willkommen im Abenteuer Elternsein!
Wenn wir Eltern werden, betreten wir ein eigenes Universum – und der Stern, um den wir künftig kreisen, ist unser Baby. Wie gut, dass es Menschen gibt, die uns dabei liebevoll zur Seite stehen! In diesem einzigartigen Ratgeber zeigen Familien-Expert*innen und Bestseller-Autor*innen, was sie selbst beim Abenteuer Elternsein gelernt haben und uns aus vollem Herzen raten können. Von Schlafen bis Stillen, von Bindung bis Baby-Blues: Die vielfältigen Stimmen dieses Buches sind wie gute Feen, die uns Wissen, Mut und Zuversicht in die Wiege legen. Ein großer Schatz fürs erste Babyjahr – und eine Umarmung für alle, die es durchleben!
Briefe, die im Herzen bleiben – von Nicola Schmidt, Wolf Lütje, Kareen Dannhauer, Frauke Ludwig & Diana Schwarz, Bea Merscher, Daniela Dotzauer, Anna Mendel, Yassamin-Sophia Boussaoud, Maren Leerhoff, Annika Rösler & Evelyn Höllrigl Tschaikner, Laura Fröhlich, Celsy Dehnert, Susanne Mierau, Sümeyye Betül Lambrecht und Herbert Renz-Polster
Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:
Seitenzahl: 331
Veröffentlichungsjahr: 2025
Annegret Augustin & Charlotte Rock (Hrsg.)
Mit Illustrationen von Claudia Meitert
Der Verlag behält sich die Verwertung der urheberrechtlich geschützten Inhalte dieses Werkes für Zwecke des Text- und Data-Minings nach § 44 b UrhG ausdrücklich vor. Jegliche unbefugte Nutzung ist hiermit ausgeschlossen.
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Penguin Random House Verlagsgruppe FSC® N001967
Copyright © 2025 Kösel-Verlag, München, in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH, Neumarkter Str. 28, 81673 München
Redaktion: Dr. Daniela Gasteiger
Layout und Covergestaltung: Franziska Misselwitz
Covermotiv: © iStock/Pavlina Popovsk
Satz: Franziska Misselwitz
Illustrationen: Claudia Meitert
Illustrationen Autor*innenportraits:
Claudia Meitert nach einem Foto von Anna Mendel © Franziska Krämer
Annika Rösler © Franziska Freiwald | Bea Merscher © Gabriela Lapa
Carina Thiemann © Feyzan-Gazel Güner | Celsy Dehnert © Tassja Rother von Fantassja Fotodesign | Daniela Dotzauer © privat
Diana Schwarz & Frauke Ludwig © Peter Unsinn
Evelyn Höllrigl Tschaikner © Myriam Frank | Herbert Renz-Polster
© Judith Polster | Kareen Dannhauer © Chiara Doveri
Laura Fröhlich © privat | Maren Leerhoff © privat
Nicola Schmidt © Diptica.com | Susanne Mierau © leitmedium
Sümeyye Lambrecht © Eslem Mutlu | Wolf Lütje © Kerstin Pukall
Yassamin-Sophia Boussaoud © privat
Schmuckelemente
shutterstock/Anna Kutukova; shutterstock/briddy
Franziska Misselwitz
ISBN 978-3-641-32666-1V002
www.koesel.de
VORWORT
ANKOMMEN & EINTAUCHEN
Nicola Schmidt: Die wichtigsten Überlebenstipps für neue Eltern
AUFATMEN & LOSLASSEN
Wolf Lütje: Euer Erlebnis der Geburt
Kareen Dannhauer: An dein frischgeborenes mütterliches Ich …
INFORMIEREN & LEICHT MACHEN
Frauke Ludwig & Diana Schwarz: Kleine Lifehacks mit großer Wirkung
Bea Merscher: Das Geheimnis von Gesundheit
Daniela Dotzauer: Mysterium Babyschlaf
BETRAUERN & VERSÖHNEN
Anna Mendel: Alles erstmal anders
Yassamin-Sophia Boussaoud: Von Einsamkeit und Verbundenheit
Maren Leerhoff: Frieden schließen mit dem After-Baby-Body
REFLEKTIEREN & HINTERFRAGEN
Annika Rösler & Evelyn Höllrigl Tschaikner: Der Mythos vom Mutterinstinkt
Laura Fröhlich: Wege aus dem Mental Load
Celsy Dehnert: Den Kreislauf durchbrechen
VERSTEHEN & FÜHLEN
Susanne Mierau: Superkraft Bindung
Carina Thiemann: Das milde Herz
Sümeyye Betül Lambrecht: Die Gefühlsachterbahn des Elternseins
FREUEN & GENIESSEN
Herbert Renz-Polster: Das Wunder des Großwerdens
ÜBER DIE ABSENDER*INNEN
Unsere Babys sind kleine, oft heimliche Türöffner. Bevor wir den Kosmos des Kinderhabens betreten, ahnen wir nicht, in was für Räume sie uns einmal tragen werden. Manchmal schwingt durch sie ganz unvermutet eine Tür auf – und plötzlich stehen wir vor etwas, das wir noch gar nicht kannten, mit dem wir nicht gerechnet hatten oder das uns bislang überhaupt nicht wichtig erschien: Was für ein Elternteil will ich sein? Wieso fühle ich mich so überfordert? Was hat meine eigene Erziehung mit diesem Baby zu tun? Und überhaupt: Wo ist mein Dorf, meine Hood?
Dieses Buch nimmt dich an die Hand, wenn gerade alles neu ist. Es fängt dich auf, wenn Dinge ganz anders laufen, als du erwartet hast. Es zeigt dir, wie viele wunderschöne Facetten das Leben mit Baby bereithält – und welche neuen Fragen, Sorgen und Wünsche dir auf einmal begegnen können.
Was hat die Geburt mit mir gemacht? Was hat es mit der berühmten Bindung auf sich? Warum ist Schlaf so ein Riesenthema bei Babys? Und wie geht es mir eigentlich – zwischen After-Baby-Body und Gefühlsachterbahn? Achtzehn kluge, erfahrene und im Familienalltag erprobte Expert*innen haben in ganz persönlichen Briefen zusammengetragen, was sie dir für deinen Baby-Alltag mitgeben möchten: Woran du dich orientieren kannst und was du getrost weglassen darfst. Was zu wissen sich lohnt und was wir von nun an liebevoll ignorieren können. Und natürlich auch: Was sie selbst gerne früher gewusst hätten. Jede*r von ihnen kennt einen der vielen Räume im Hause Elternsein wie seine Westentasche. Ihre warmherzigen, ermutigenden und humorvollen Briefe helfen dir, all die Zimmerecken auszuleuchten, die dir gerade fremd erscheinen. Nach jedem Brief wirst du dich vertrauter darin fühlen! Du kannst die einzelnen Briefe nacheinander lesen, du darfst aber auch vorgreifen, wenn dich ein Thema oder eine Frage ganz besonders interessiert – jeder Brief steht für sich und setzt kein Vorwissen voraus.
Damit du dich dennoch leicht orientieren kannst, haben wir aus den Briefen kleine Bündel geschnürt. Je nachdem, wo du gerade auf deiner Reise mit Baby stehst – noch in der Schwangerschaft, kurz nach der Geburt oder schon mitten in den ersten Lebensmonaten – können unterschiedliche Briefe besonders hilfreich für dich sein. Nicola Schmidt zeigt dir in ANKOMMEN & EINTAUCHEN, wie wir bereits zu Beginn die Weichen für ein entspanntes Familienleben stellen. In AUFATMEN & LOSLASSEN laden wir dich ein, dein Geburtserlebnis zu reflektieren und deine neue Rolle kennenzulernen. Bist du auf der Suche nach praktischen Tipps für den Alltag mit Baby, dann wirst du bei den Briefen in INFORMIEREN & LEICHT MACHEN fündig. Wenn das Leben Pläne durchkreuzt oder besondere Herausforderungen für dich bereithält, helfen dir die Autorinnen beim BETRAUERN & VERSÖHNEN. Für Entlastung sorgt oft bereits, wenn wir uns erlauben, scheinbar unumstößliche Regeln und Wahrheiten zu REFLEKTIEREN & HINTERFRAGEN. Die Autorinnen in VERSTEHEN & FÜHLEN zeigen dir, wie du mit überwältigenden Gefühlen und neuen Bedürfnissen umgehst – deinen eigenen und denen deines Babys. Zum Abschluss entwirft Herbert Renz-Polster ein Panorama, worauf du dich FREUEN darfst, wenn sich das Babyjahr dem Ende zuneigt – die Reise Richtung Kleinkind beginnt und du darfst sie von Anfang an GENIESSEN!
Mancher Brief ergibt sofort einen Sinn für dich – jetzt, in diesem Moment, in deiner Situation. Anderes mag ganz neu erscheinen und dich erst im Rückblick bereichern. Das ist auch kein Wunder, denn Elternschaft ist kein Sprint, sondern ein Langstreckenlauf, um nicht zu sagen: Marathon. Das sagen wir nicht als Lektorinnen von Elternratgebern, sondern als Mütter von insgesamt sechs Kindern. Vieles von dem, was uns früher furchtbar wichtig oder unumstößlich erschien, hat sich im Laufe unserer Elternreise relativiert. So manches haben unsere Kinder lautstark hinterfragt oder schlicht an den rechten Platz gerückt.
Das erste Baby-Jahr ist eine außergewöhnliche Zeit: Du begegnest einem neuen Menschen, der sich in rasender Geschwindigkeit entwickelt. Du lernst dich und dein Umfeld von einer ganz anderen Seite kennen. Es beginnt eine neue Zeitrechnung, in der sich manche Stunden wie Ewigkeiten anfühlen und in der du dich gleichzeitig fragen wirst, wo die letzten Tage und Monate geblieben sind.
Es ist völlig natürlich, dass du immer mal wieder das Gefühl haben wirst, orientierungslos durch den Alltag mit Baby zu stolpern. Wir hoffen, dass dich dieses Buch wie ein Kompass sanft begleitet. Denn meist reicht es schon, die grobe Richtung zu kennen – der Rest kommt dann beim Gehen. Ganz egal, mit welchen Wünschen und Ideen wir in unser Familienleben starten: Meist werden sie von unseren Kindern gehörig auf den Kopf gestellt. Das ist gut so, aber oft auch ganz schön anstrengend. Vergiss nie: Du bist nicht allein! Damit du dich in dieser besonderen Zeit gesehen und getragen fühlst – dafür gibt es dieses Buch.
WIR WÜNSCHEN DIR VIEL FREUDE BEIM LESEN, ANNEGRET & CHARLOTTE
NICOLA SCHMIDT
LIEBE ELTERN,
willkommen in der neuen Welt! Ihr seid jetzt Teil der »Also, ich würde das ja so machen …«-Gemeinschaft. Schon gehört? Der Satz rangiert ganz oben auf der Liste der gut gemeinten Ratschläge. Direkt gefolgt von: »Warum macht ihr es nicht so wie ich? So kann das ja nur schiefgehen!« Was am Ende immer hinausläuft auf: »Was soll aus dem Kind bloß mal werden?!« Ja, natürlich gilt: Wenn wir etwas zum ersten Mal machen, sind hilfreiche Hinweise sehr willkommen.
Aber aufgepasst! Wenn ihr ein Baby habt, solltet ihr jedem, der euch eine Gebrauchsanleitung in die Hand drücken will, mit Skepsis begegnen.
Jeder Mensch, der behauptet zu wissen, wie es geht, weiß nämlich nur: wie es für ihn oder sie, für sein oder ihr Kind geht.
Wie es für euch und euer Kind geht, das kann nur ein Mensch wissen: ihr selbst. In diesem Brief gebe ich euch die wichtigsten Tipps dazu, wie ihr es herausfindet.
Fangen wir mit ein paar Dingen an, die wir gerne vorher gewusst hätten. Also bevor wir ein Kind im Arm halten und todmüde versuchen, die Gebrauchsanweisung dafür zu finden.
Das Erste und Wichtigste, das ich gerne gewusst hätte: Jedes Kind ist anders. Was bei dem einen Kind funktioniert, funktioniert noch lange nicht bei einem anderen. Egal, wie gut Bäuchleinmassage, Kümmelzäpfchen oder Homöopathie beim Nachbarskind wirken: Es kann durchaus sein, dass dein Kind darauf überhaupt nicht anspringt. Einfach, weil es einen anderen Körper, eine andere Familie hat, ein anderes Kind ist. Deshalb ist es nicht besser oder schlechter. Das gilt auch dafür, dass manche Kinder früh durchschlafen, andere nicht, dass manche Kinder alles essen und andere wählerisch sind, dass manche Kinder gerne Hausaufgaben machen und andere halt nicht. Nichts davon sagt etwas über deine Erziehungsleistung oder deine Eignung als Elternteil aus. Es ist einfach so, und es geht nur darum, damit gut umzugehen.
Das Zweite, das ich gerne gewusst hätte: Dein Leben verändert sich – aber nicht im romantischen Sinn, sondern im Sinn der Entropie. Entropie ist laut dem zweiten Hauptsatz der Thermodynamik die Neigung von Teilchen, sich möglichst gleichmäßig im Raum zu verteilen. Für Orte, an denen Kinder wohnen, heißt das: Alles strebt zum Chaos hin. Auch deine Planung!
BABYS KENNEN KEIN ZEITMANAGEMENT.
Mit Baby oder Kleinkind wird es an den meisten Tagen mit großer Wahrscheinlichkeit chaotisch. Es liegt nicht nur überall Spielzeug herum. Nein, nur wenige Tage laufen so, wie wir es gewohnt waren. Und noch weniger Tage laufen so, wie wir sie geplant hatten. Es gilt zum Beispiel: Immer, wenn wir gerade denken, jetzt sind wir fertig zum Rausgehen, spuckt jemand sich oder uns voll, will unbedingt stillen, muss auf die Toilette oder dringend schlafen (Letzteres aber auf keinen Fall im Autositz!). Es fühlt sich an, als würden die tausend kleinen Aufgaben und Anforderungen, die dein neues Leben an dich stellt, unablässig Energie von uns abziehen.
Mein Tipp: Macht euch frei von allen Zwängen. Ihr müsst nichts erreichen. Ihr dürft zu spät kommen oder einfach zu Hause bleiben. Egal, wie ihr es macht: Ihr macht das gut!
Nur ihr wisst, was gerade gut für euch ist. Und damit sind wir bei der dritten Sache, die ich gerne früher gewusst hätte: Ihr seid die Experten für eure Familie. Nur ihr, eure nächsten Bezugspersonen und euer Kind können herausfinden, was gut für euch ist.
Ja, es wird anstrengend. Und ja, ihr werdet falsche Entscheidungen treffen. Noch schlimmer: Ihr werdet eure Entscheidungen, auch wenn sie richtig sind, manchmal verfluchen. Stillen ist schön, macht aber viel Arbeit.
Das Kind später in die Kita zu geben, mag richtig sein, macht euer Leben aber nicht einfacher. Trotzdem habt ihr es richtig gemacht, es macht euch nicht weniger zu Experten für euer Kind.
Ihr werdet auch Fehler machen. So wie wir alle Fehler gemacht haben.
Ihr dürft Fehler machen, denn ihr macht das zum ersten Mal. Dennoch sind es eure Fehler, und sie werden euch auf euren Weg führen. Geht ihn erhobenen Hauptes. Wenn ihr stolpert – macht nichts, steht einfach wieder auf. Wann euer Baby schlafen muss, wie oft ihr es füttern solltet, wem ihr es anvertrauen könnt und wie ihr es in den Schneeanzug kriegt – all das findet ihr gemeinsam heraus.
Wie ihr das am besten macht, das erzähle ich euch jetzt. Denn wer am Anfang einiges richtig macht, kann auf diese Basis aufbauen.
FANGEN WIR AN.
Schon im Wochenbett stellen wir die Weichen für unser Familienleben.
Es ist kaum vorstellbar, dass von diesen paar Tagen so viel abhängt (und ihr müsst euch nicht verrückt machen, wenn was schiefgeht), aber hier könnt ihr euch schon viel Gutes tun. Und manchmal tun wir uns was Gutes, indem wir ein paar Dinge einfach sein lassen. Wer jetzt weiß, worauf es ankommt, hat schon viel gewonnen!
Manche Dinge sind gut gemeint – aber wir wollen sie trotzdem nicht hören oder erleben. Sie stören unsere erste Zeit und setzen uns als junge Familie unter Druck, wobei wir jetzt eigentlich Zeit für uns brauchen. Hier also unsere Red Flags im Wochenbett: Dinge, auf die wir getrost verzichten können.
Natürlich wollen alle das Neugeborene sehen. Aber es ist viel wichtiger, dass ihr euch als Familie erstmal findet. Es ist die Aufgabe des Lebenspartners oder der Lebenspartnerin, dafür zu sorgen, dass Besuch diese Zeit nicht stört, so lieb er auch gemeint ist. Ihr habt diese Zeit mit diesem einen Baby nur ein einziges Mal – nutzt sie weise. Wenn ihr Besuch einladet, dann nur Menschen, für die ihr weder aufräumen noch kochen müsst, sondern die Essen mitbringen und mal eben eine Maschine Wäsche versorgen. Damit klärt sich auch schon von selbst, wen ihr einladen solltet und wen nicht.
Väter, die Väterurlaub haben, gehören zu ihrer Familie und dem Neugeborenen. Es ist nicht die Zeit, endlich mal zu »erledigen«, was schon lange liegengeblieben ist. Väter berichten immer wieder, dass sie froh waren, sich die Zeit genommen zu haben – auch wenn ihnen vorher noch nicht klar war, wie wichtig das sein würde.
Wenn ein Mensch in der Beziehung das dringende Bedürfnis nach Rückzug hat, dann ist es gut, dem Raum zu geben und auch mal mit der Hebamme darüber zu sprechen. Wie fühlt sich dieser Mensch? Wie hat er oder sie die Geburt erlebt? Was würde jetzt helfen?
»Wochenbett« interpretieren viele so, als wäre nach ein oder zwei Wochen »alles wieder beim Alten«. Das ist nicht der Fall. Der Körper von Gebärenden braucht bis zu zwei Jahre, um sich von der Schwangerschaft zu erholen. Wochenbett heißt: mindestens sechs Wochen Ruhe und Zeit für die Anpassung an die neue Situation. Geburtsverletzungen müssen heilen, die Ernährung des Säuglings sich einspielen, an ausreichend Schlaf ist noch lange kaum zu denken. Eine Kinder betreuende Person schon nach ein oder zwei Wochen mit einem oder gar zwei Kindern alleine zu lassen, ist für die meisten Familien keine gute Entscheidung.
IHR SEID DIE EXPERTEN FÜR EURE FAMILIE. NUR IHR, EURE NÄCHSTEN BEZUGSPERSONEN UND EUER KIND KÖNNEN HERAUSFINDEN, WAS GUT FÜR EUCH IST.
Sätze wie »War eigentlich kein Problem« oder »Hauptsache, das Kind ist gesund« verhüllen, dass eine Geburt für alle – Gebärende und Begleitpersonen – ein einschneidendes Erlebnis ist, das erstmal verarbeitet werden muss. Selbst eine vermeintlich einfache, schnelle, interventionsarme Geburt ist ein großes Ereignis, das die gebärende Person möglicherweise völlig anders wahrgenommen hat als die Umstehenden. Und auch Begleitpersonen können Hilfe brauchen, um beispielsweise mit Stress, Angst, Überforderung, Hilflosigkeit unter der Geburt oder einfach der großen Veränderung umgehen zu können.
Wenn eine Person geboren hat, muss sie danach umsorgt werden – das ist nicht die Zeit für den Partner, endlich mal in Ruhe Videospiele zu spielen. Wir kommen nicht plötzlich in den Fünfzigerjahren an, in denen ein Partner, in der Regel die Mutter, die gesamte Sorgearbeit übernahm und der Vater erwerbsarbeiten ging. Es ist besonders im Wochenbett, also sechs Wochen nach der Geburt, die Zeit, für die Person, die geboren hat, zu kochen, Windeln zu wechseln und füreinander da zu sein. Die Wöchnerin braucht Hilfe mit dem Säugling, Trinken, Nahrung, eventuell Hilfe beim Duschen oder ein frisches Bett. Und zwar nicht eine Woche lang. Sondern mindestens über anderthalb Monate.
Viele Eltern haben ein klares Störgefühl, wenn sie ihr Neugeborenes anderen Menschen in den Arm geben sollen. Wenn euch das auch so geht – dann tut es einfach nicht. Diese Menschen werden noch sehr viel Zeit haben, euer Baby zu halten. Jetzt ist eure Zeit. Und wenn ihr das Baby jemandem geben wollt, ist das auch okay. Wichtig ist, dass es sich für euch gut anfühlt.
Stillen klappt am besten, wenn der stillenden Person der Rücken gestärkt wird. Sprüche wie »Warum tust du dir das an? Es gibt doch Alternativen!« sind dabei nicht hilfreich. Auch Sätze, die Druck aufbauen, sind völlig fehl am Platz: »Wie sieht es denn hier aus? Andere Mütter leben doch auch nicht im Chaos, nur weil sie ein Baby geboren haben.« Haltet solche Menschen von euch fern, solange es geht.
OB, WIE UND WIE LANGE DU STILLST, IST ALLEIN DEINE ENTSCHEIDUNG – TU, WAS SICH STIMMIG ANFÜHLT.
Wenn wir Eltern werden, gibt es eine Menge Dinge, die wir hinter uns lassen dürfen. Das Leben geht weiter, aber es ändert sich etwas. Schauen wir also mal genau hin auf die kleinen Geheimnisse, über die niemand spricht:
Wir dürfen uns davon lösen, in der Erwerbsarbeit Überstunden zu machen, denn wir machen bereits in der Sorgearbeit Überstunden. Und zwar nicht zu knapp!
RECHNEN WIR MAL NACH:
Wenn ein Elternteil Vollzeit arbeiten geht, dann ist das eine Vierzig-Stunden-Woche – ohne Überstunden. Damit arbeitet er deutlich weniger als der andere Elternteil, der mit dem Baby zu Hause täglich von sechs bis 20 Uhr voll eingespannt ist, Wochenende inklusive. Je nach Baby-Temperament kommt der betreuende Elternteil schnell auf eine Achtzig- bis 98-Stunden-Woche, wenn er nicht entlastet wird! Die Fürsorge, die Babys und Kleinkinder in der Nacht brauchen, sowie der Haushalt und die sonstige Familienorganisation kommen als stressige Mehrfachbelastung dazu und sind noch gar nicht eingerechnet.
Wenn es also gerecht zugehen soll, heißt das, ein Vollzeit arbeitender Vater muss der Mutter noch mindestens zwanzig Stunden Arbeit pro Woche abnehmen, das sind mindestens drei Stunden am Tag – eher mehr, wenn man fairerweise die Nächte mit dem Baby mitrechnet. Erst dann haben beide etwa einen Sechzig-Stunden-Job.
Für Überstunden in der Erwerbsarbeit ist also absolut keine Zeit, wenn wir uns fair aufteilen wollen.
Natürlich wollen wir nicht im Cocooning versinken und uns gar nicht mehr um das Gemeinwohl kümmern. Aber tägliches Doomscrolling belastet schon die Gehirne und Seelen von Menschen ohne Kinder stark. Die Neurowissenschaftlerin und Professorin für Medienpsychologie Maren Urner hat in ihrem Buch Schluss mit dem täglichen Weltuntergang wissenschaftliche Studien und Daten zusammengetragen, die belegen, wie sehr ständiger Nachrichtenkonsum das Gehirn stressen kann. Sie ruft uns auf: »Statt dein Gehirn kontinuierlich zuzumüllen, kannst du jetzt beginnen, es dosierter mit Informationen zu versorgen.« Es geht nicht um Rückzug, es geht um Selbstfürsorge.
Was tun wir stattdessen? Maren Urner empfiehlt, dass wir uns mehr darauf konzentrieren, wofür wir sind, statt wogegen. Wohin wollen wir gehen, was sind unsere Ziele? Das bringt uns aus der negativen Spirale des »Es wird alles immer schlimmer« heraus.
Als Nächstes brauchen wir Menschen, mit denen uns etwas verbindet, Gruppen, zu denen wir uns zugehörig fühlen. Das ist ein urmenschliches Bedürfnis und kann einfach sein, dass wir den gleichen Beruf haben, im gleichen Viertel wohnen oder das gleiche Hobby lieben. Und zuletzt empfiehlt sie, dass wir uns die richtigen Geschichten erzählen: »Und damit meine ich nicht nur die klassischen Lagerfeuergeschichten, sondern auch unsere Visionen, Werte und die Bedeutungen von Begriffen, die unser Zusammenleben prägen, wie zum Beispiel Verantwortung, Freude oder Freiheit. Was meinen diese Worte heute eigentlich, und welche Geschichten wollen wir uns dazu erzählen?«, sagt sie dem Interviewmagazin Stories and Faces. »Alles beginnt in unserem Kopf.«1
Deshalb ist Nachrichtenhygiene wichtig. Sie sieht für jeden Menschen und jedes Gehirn anders aus – wir dürfen sie immer wieder an unsere aktuellen Bedürfnisse anpassen. Viele Menschen, die stillen, berichten, dass sie in dieser Zeit emotional sehr »dünnhäutig« waren – dann ist es völlig okay, sich für eine Weile in einen sicheren Raum zu begeben.
Nach Ende der Stillzeit ist immer noch genug Lebenszeit da, um sich wieder mit dem großen Ganzen zu beschäftigen.
Die Zeit mit Baby und Kleinkind ist auch eine schöne Lernerfahrung zum Thema Abgrenzung. Wo wir vorher vielleicht noch Kapazitäten hatten, haben wir jetzt keine mehr. Ob es der bedürftige Single-Freund ist, die Schrullen der Schwiegereltern oder der Chef, der ständig Chaos verursacht: Wir gleichen es nicht mehr aus. Jetzt brauchen wir unsere ganze Energie für unsere Familie, und das ist auch völlig in Ordnung. Denn sonst gilt: Wenn alle wichtiger sind als ich selbst und wenn ich meine Bedürfnisse immer wieder für andere zurückstelle, dann bleibe ich – und jetzt auch mein Kind – irgendwann auf der Strecke.
Warum tun wir das überhaupt? Oft haben wir eine innere Stimme, die sagt: »Sei stark! Sei perfekt! Mach es mir leicht! Beeil dich! Streng dich an!«
Wenn wir diese innere Stimme in uns tragen, dann trifft uns Kritik oft besonders hart, wir streiten ungern und fühlen uns für alles verantwortlich. Wir kümmern uns auch um Dinge, die gar nicht unsere Aufgaben sind. Wir entschuldigen uns häufig und stecken schnell zurück: »Wenn du meinst, dass es so richtig ist, dann stimmt das wahrscheinlich.« Aber dieses Verhalten macht uns nicht glücklich – wir fühlen uns überfordert, ausgenutzt, ungesehen. Was können wir tun?
Als Erstes werden wir uns bewusst, wann wir versuchen, es allen recht zu machen. Wann springt das Muster an?
Wann tun wir jemandem einen Gefallen oder bieten sogar Hilfe an, obwohl wir eigentlich gar keine Kapazitäten haben? Wann fällt es uns schwer, Nein zu sagen, weil wir dem anderen keine Umstände (auch keine emotionalen Umstände wie Enttäuschung) machen wollen?
Wenn wir unsere Auslöser kennen, können wir anfangen, mehr auf unserer Seite zu sein. Unsere Bedürfnisse sind genauso wichtig wie die von anderen Erwachsenen (die Bedürfnisse von Babys und kleinen Kindern gehen in der Regel vor, weil sie nicht so gut warten können, aber Große können das!).
DEINE BEDÜRFNISSE SIND GENAUSO WICHTIG WIE DIE VON ALLEN ANDEREN.
Ich nehme natürlich Rücksicht auf andere – aber ich nehme auch Rücksicht auf mich selbst. Und es spielt keine Rolle, was andere über mich denken.
Ich darf unbequem sein, Umstände machen und sogar »schwierig« sein, mich jemandem zumuten. Die anderen sind auch erwachsen. Die schaffen das!
Wir fangen mit kleinen Übungen an und sagen bei kleinen Gelegenheiten im Alltag einfach mal »Nein«, wo wir sonst »Ja« sagen würden:
»Ist es okay, dass ich schon Zucker in deinen Tee getan habe?« –
»Nein, ich mag keinen Zucker im Tee, kann ich einen neuen haben?« »Kannst du das noch schnell erledigen?« – »Nein, das schaffe ich heute nicht, bitte übernimm du das.«
»Das ist ja definitiv so.« – »Ich sehe das anders, für mich hat sich das anders angefühlt.«
Von den kleinen Aufgaben gehen wir dann Schritt für Schritt zu den großen: Wo wollen wir Weihnachten feiern? Gehe ich jetzt schon wieder Vollzeit arbeiten? Wer macht hier eigentlich den Haushalt?
Auch ein Gedankenexperiment kann helfen, aus diesem Muster herauszukommen. Wenn mein Körper der Körper meines besten Freundes, meiner besten Freundin wäre, auf den ich ein Jahr lang aufpassen sollte – wie würde ich dann mit seinen Energiereserven umgehen? Wie würde ich ihn behandeln? Würde ich dann wirklich noch diese Überstunde machen, oder würde ich mich eher ausruhen?
Und so können wir langsam zu uns selbst finden und feststellen, wie entspannend es für alle ist, wenn andere auch erwachsen sein dürfen.
Ich will mich hier kurzfassen: Nein, wir müssen nicht alle und jeden retten. Andere Leute sind auch groß. Andere können das ebenfalls übernehmen.
Wir haben jetzt ein Baby zu versorgen, wir springen dann bei Gelegenheit wieder ein. Besonders wenn wir bisher immer alle rausgehauen haben – seien es Freunde, Geschwister oder andere Familienmitglieder –, ist jetzt die ideale Gelegenheit, um an diesem Muster etwas zu ändern. Denn wir brauchen jetzt selbst Unterstützung. Das macht Räume frei, in denen andere Menschen stark sein können. Vielleicht entdeckt jemand, den wir für schwach hielten, jetzt ungeahnte Talente. Aber vielleicht auch nicht, vielleicht versuchen Menschen, die es gewohnt waren, von uns emotional oder faktisch versorgt zu werden, diesen Status aufrechtzuerhalten. Aber jetzt werden die Karten neu gemischt. Wenn es nicht mehr geht, geht es nicht mehr. Und das ist okay.
Du musst auch nicht jetzt gerade die Welt retten. Ich weiß, dass besonders das Gehirn der Person, die geboren hat, gerade jetzt sehr empfindsam auf Katastrophenszenarien reagiert und wir sehr aufmerksam gegenüber der Lage der Welt werden. Wir sind in einem normalen Zustand erhöhter Wachsamkeit, der mit der Muttertät einhergeht. Das heißt, dass wir uns nicht nur häufig viele Sorgen um unser Neugeborenes machen und manche von uns wie Löwen über ihr kleines Wesen wachen. Es heißt auch, dass uns der Zustand der Welt sehr nahegeht.
Wenn du die Kraft hast, dich gerade jetzt zu engagieren, dann tu das. Aber wenn du die Kraft nicht hast und der Alltag mit Baby eigentlich schon an deine Grenzen geht, dann setze dich nicht unter Druck. Tu das, was dir guttut, solange es dir guttut. Du musst nicht jetzt sofort das Klima retten, nur noch plastikfrei einkaufen oder die Ernährung der ganzen Familie umstellen. Du kannst das auch noch morgen machen, vielleicht gibt es heute etwas, das noch wichtiger für dich ist.
Nein, wir müssen auch nicht jeden Trend mitmachen. Wir können Trends genießen und mitmachen, wenn es uns Kraft gibt und Spaß macht. Das Baby und ich stilecht beide in neutralem Beige? Na klar! Jede Woche ein Kinderfoto vor dem gleichen Hintergrund? Wenn es Spaß macht! Aber wenn es uns gerade keine Kraft gibt und keinen Spaß macht, dürfen wir es getrost sein lassen. Egal ob es auf TikTok, Instagram oder anderen sozialen Medien gerade trendet – es darf uns egal sein. In ein paar Wochen ist es in der Regel ohnehin wieder vorbei.
Wusstet ihr das? Übermäßiger Perfektionismus ist eine fehlgeleitete Stressbewältigungsstrategie. Wir reagieren auf Situationen, die uns unter Druck setzen, damit, möglichst perfekt zu sein, damit uns niemand angreifen kann. Das ist schon ohne Kind anstrengend. Mit Kindern, die ständig Zeitpläne kippen und Chaos verursachen, ist es kaum zu schaffen. Wir dürfen den Perfektionismus also entspannt loslassen und lernen, einfach auszuhalten, was uns schwerfällt: die Blicke der Besucher, wenn unsere Wohnräume aussehen, als wäre ein Tornado hindurchgefegt. Die Enttäuschung beim Gegenüber, wenn wir einen Termin absagen müssen. Die Wut anderer Eltern, wenn unser Kind ihrem Kind ein Spielzeug weggenommen hat und nicht wieder hergeben will.
Natürlich wäre es besser, wenn es anders wäre. Aber manchmal ist es halt so. Und davon geht die Welt nicht unter. Wir dürfen Prioritäten setzen und müssen nicht mehr perfekte Freunde, Kinder, Schwiegerkinder oder Kollegen sein. Menschen machen Fehler. Menschen können Fehler wiedergutmachen, sich entschuldigen, etwas lernen. Und deshalb dürfen auch wir das.
Eine Freundin hat mir einmal gesagt: Wirklich wichtige Nachrichten klopfen an deine Tür oder machen sich durch Rauch bemerkbar. Damit meinte sie, dass nicht jeder Anruf sofort angenommen und beantwortet werden muss. »Ich bin doch nicht die Feuerwehr«, antwortete meine Mutter stets, wenn ich sie entsetzt ansah, weil sie nicht zum klingelnden Telefon rannte. Wir müssen nicht ständig erreichbar sein. Manchmal ist es wichtiger, diesem kleinen Wesen beim Spielen zuzusehen. Oder in Ruhe zu essen. Oder zu duschen, wenn wir mal dazu kommen.
Wenn dein Baby auf deinem Arm endlich eingeschlafen ist, dann lass das Telefon klingeln, ohne zu zucken. Du musst nicht abends nochmal aufstehen, um Nachrichten auf Instagram zu beantworten. Du musst keine Postkarten verschicken.
Es gibt jetzt wichtigere Dinge. Zum Beispiel ein Dorf, mit dem du dein Kind erziehen kannst. Deshalb kommen wir zum nächsten Schritt.
Wir dürfen also loslassen. Was tun wir stattdessen? Wir pflegen Freundschaften, und wir suchen uns liebe Verwandte. Denn ein soziales Netz ist das wichtigste Netz, das wir jetzt brauchen.
Welche Menschen helfen uns wirklich? Manchmal ist es gar nicht so einfach zu sortieren, wer uns Energie gibt und wer Energie kostet. Aber als Eltern sollten wir in der Lage sein, gute von schwierigen Kontakten zu unterscheiden.
HIER EINE KLEINE LISTE, WORAN IHR MENSCHEN ERKENNT, DIE EUCH BESONDERS IN EURER ERSTEN ZEIT ALS ELTERN GUTTUN:
Menschen, die nicht böse sind, wenn wir zum dritten Mal wegen Unpässlichkeiten des Babys oder später wegen Kita-Viren absagenMenschen, die euch liebe Nachrichten schicken, aber nicht immer sofort eine Antwort erwartenMenschen, für die eure Wohnung nicht picobello sein muss, bevor sie kommen, sondern die im Idealfall schnell mit anpacken, wenn die Kinder Platz zum Krabbeln brauchenMenschen, die es euch nicht übelnehmen, wenn ihr nachts um zwei eine sechsminütige Sprachnachricht schicktMenschen, die zu euch halten, egal, was ihr angestellt habtMenschen, die euch darin bestärken, dass jeder von euch ein wunderbarer Elternteil mit einem wunderbaren Kind istBesonders Letzteres ist ein Gamechanger. Jemand, der uns regelmäßig sagt: »Du machst das so toll! Und was für ein zauberhaftes Kind du da hast!«, kann alles verändern. Denn wir wissen aus Studien, dass wir Eltern uns selbst und unsere Kinder oft viel strenger bewerten, als ein dritter Beobachter es tun würde. Dann ist es gut, wenn uns jemand sagt, wie gut wir das alles machen!
Ein Trick für gutes Elternsein sind stärkende Rituale. Einfach, weil es das Gehirn entlastet und der Seele hilft. Damit meine ich keine Räucherschalen oder Gebete – auch wenn das natürlich erlaubt ist, wenn es hilft –, sondern ganz banale Dinge im Alltag. Hier mein Lieblingsritual, das tatsächlich vieles verändern kann:
Es gibt drei Momente am Tag, die alles verändern können. Wenn wir hier achtsam, dankbar und bewusst unsere Kinder wahrnehmen, dann schaffen wir eine Verbindung, die uns Kraft gibt.
Morgens, wenn unser Kind erwacht.
Ja, es ist vielleicht zu früh für uns, und wir sind noch müde. Trotzdem, genießen wir diesen Moment, kuscheln unser Kind wach und machen uns bewusst, dass jeder Tag, an dem wir wieder aufwachen, ein Geschenk ist.
Mittags, wenn unser Kind aus der Betreuung kommt.
Das gilt schon für die ganz Kleinen. Begrüßt euer Kind freudig, hört auch den Kleinsten aufmerksam zu, schaut euer Kind an: Was braucht es jetzt? Lasst es »erzählen«, auch wenn es erst noch brabbelt.
Abends vor dem Schlafengehen.
Verbringt bewusst Zeit mit eurem Kind, erzählt eurem Baby, wie sein Tag war und fragt es, wie es den Hund, die Blume, den Besuch von Opa fand. Und dann genießt die Ruhe bei der Einschlafbegleitung – vielleicht schlaft ihr sogar mit ein?
Wenn wir es schaffen, an diesen drei Punkten für unsere Kinder da zu sein, dann haben wir eine gute Grundlage.
Jetzt denkst du vielleicht: Super. Erstens habe ich davon heute nichts geschafft. Und zweitens sagt mir gerade keiner, wie gut ich das alles mache.
Daher sage ich es dir jetzt:
Ja, ich weiß, dass es sich nicht immer so anfühlt. An manchen Tagen ist es einfach zu viel. Wir denken: Dafür bin ich nicht gemacht. Ich schaffe das nicht.
Und das ist auch richtig: Du bist dafür nicht gemacht. Wir leben oft in Kleinfamilien, die eigentlich Zu-klein-Familien sind. Zwei Erwachsene auf eines oder mehrere Kinder sind zu wenig. Viele Eltern hätten das gerne früher gewusst. Und auch wenn ihr es nicht ändern könnt, hilft es doch, euch selbst besser zu verstehen. Ihr müsst euch nicht schlecht fühlen, wenn es nicht so läuft, wie ihr es euch vorgestellt habt. Denn egal, wie es läuft, ihr macht das gut!
ALSO, FALLS ES DIR HEUTE NOCH NIEMAND GESAGT HAT:
Es ist beeindruckend, dass du sogar dann für deine Familie da bist, wenn du müde, krank oder einfach alle bist.Du bist auch dann ein super Elternteil, wenn du dir erlaubst, weniger zu putzen, weniger Termine wahrzunehmen, Dinge abzusagen, weniger zu organisieren.Es ist unglaublich, wie oft du trotzdem alle Termine im Kopf hast, die Vorbereitung im Griffhast und sicherstellst, dass alle gut ankommen.Es ist verblüffend, dass du jeden Tag für Essen sorgst – indem du es kochst oder arbeitest, damit Geld dafür da ist.Es ist groß und erwachsen, dass du deine eigenen Bedürfnisse eine Zeit lang zurückstellst, damit es deiner Familie gut geht.Kurz: Es ist phänomenal, was du alles wuppst!Und gleichzeitig war es nie so gedacht, dass ihr das alleine macht. Also holt euch Hilfe, wo immer ihr könnt. Denn das tun Menschen seit Jahrtausenden! Und das ist auch genau das, was wir im artgerecht-Projekt fördern: Elterngruppen, Elternteams, Elternkreise, Elterntreffen.
Ein Dorf für alle!
Und damit kommen wir zum letzten Punkt meines Briefes. Ich erzähle dir von der einen Sache, die mir durch so viele Momente geholfen hat – vor und während der Geburt, während der Säuglings- und Kleinkindzeit, in der Grundschulzeit und mit meinen Teenagern. Ich habe sie sehr langsam gelernt. Aber es ist die wichtigste.
Wenn du denkst, jetzt geht es nicht mehr weiter oder jetzt ist das Kind wirklich unmöglich oder jetzt ist dir alles zu viel, dann denke an meine Worte und tue dies: Weiteratmen.
Fange mit ausatmen an. Atme so lange aus, wie du kannst. Dann atme auf vier Schläge ein – eins, zwei, drei, vier. Als Nächstes halte deinen Atem vier Schläge lang – eins, zwei, drei, vier. Dann atme auf acht Schläge aus oder so lange, wie du kannst.
Probiere es gleich jetzt mal aus. Ich warte hier auf dich.
EINATMEN – EINS, ZWEI, DREI, VIER ANHALTEN – EINS, ZWEI, DREI, VIER AUSATMEN – EINS, ZWEI, DREI, VIER, FÜNF, SECHS, SIEBEN, ACHT – EINATMEN …
Spürst du, wie du dich entspannst? Dein Atem ist die Fernbedienung für dein Zentralnervensystem. Wenn dir alles zu viel ist, kannst du so dein Gehirn beruhigen. Dann kannst du wieder denken. Und Lösungen finden. Und dann findet ihr entspannt und gemeinsam heraus, wann euer Baby schlafen muss, wie oft ihr es füttern solltet, wem ihr es anvertrauen könnt und wie ihr es in den Schneeanzug kriegt – denn ihr seid die Experten für eure Familie.
ARTGERECHTE GRÜSSE, EURE NICOLA
WOLF LÜTJE
BRIEF EINES GEÜBTEN
Habt ihr es schon bemerkt? Ihr verliebt euch regelrecht in euer Baby. Nur der Hormonschub der involvierten, verliebten Eltern lässt euch die ungeahnt anstrengenden Zeiten nach der Geburt überleben. Ihr freut euch über die liebevolle Kontaktaufnahme eures Kindes: wenn es lächelt, wenn euch nachts ein kleiner Zeh in der Nase kitzelt und euch den Schlaf raubt. Wenn es euch beim Wickeln anpinkelt. Ein Baby konfrontiert euch aber auch unmissverständlich mit seinen Ansprüchen, die es 24 Stunden anbringt – lautstark, aber oft schwer entschlüsselbar.
Die Liebe, die ihr für euer Kind empfindet, ist damit von Anfang an eine allumfassende. Das Baby lehrt uns mit seinem Durch-und-Durch-so-Sein ein Lieben des Zauberhaften und der Zumutung. Mit dieser Liebe ausgestattet, die ihr so vielleicht noch nie erlebt habt oder nie mehr wieder erleben werdet, tretet ihr eure Elternschaft an. Mit einer Liebe, die wächst, wenn ihr sie verbraucht.
Der Schlüssel für all dieses Lieben ist die Geburt. Sie ist, wie der Psychoanalytiker Michael Balint es formulierte, die Urform der Liebe.
Die Geburt bildet die Grundlage für das Wichtigste im Leben: unsere Beziehungs-, Bindungs- und Liebesfähigkeit – gegenüber uns selbst und anderen, der Welt, dem Universum. Hier liegt der Schlüssel zum Frieden, mit sich selbst und mit anderen, zu (Selbst-)Mitgefühl, Humanismus, Respekt und Toleranz. Darum ist es so unendlich wichtig, die Geburt friedvoll zu gestalten. Und sie da, wo das aus unterschiedlichen Gründen nicht gelingt, zu befrieden. Das alles gilt für euch beide: Mutter und Vater. Was die Geburt betrifft, da kenne ich mich ein wenig aus. Ich bin Frauenarzt im Unruhestand, Geburtshelfer, Psychotherapeut und Beckenbodenspezialist. Und doch weiß ich, dass ich nichts weiß. Ich habe nie ein Kind geboren, nie gestillt – nur mein Bauch lässt mich frühschwanger wirken. Die Tatsache, dass ich vierzig Jahre ein begeisterter Geburtshelfer bei 60 000 Geburten war, verhilft mir zwar keineswegs zu eigenem körperlichen Erleben. Dennoch schöpfe ich damit aus einem breiten Erfahrungsspektrum. Und zu guter Letzt tröstet es mich ein wenig, dass es Geburten an sich gar nicht gibt, sondern nur diese eine Geburt dieser einen Frau. Und das zählt.
Es gibt zudem einen Aspekt von Elternschaft, mit dem ich mich meiner Meinung nach wirklich sehr gut auskenne: die Vaterschaft. Ich habe sieben Kinder im Alter zwischen zehn und 42 Jahren. Und auch wenn es Väter gar nicht gibt, sondern nur diesen Vater dieser Kinder – ich bin fest davon überzeugt, dass ich dir dazu einiges mit auf den Weg geben kann. Sowohl, was die Geburt angeht, als auch die gesamte Reise der Elternschaft.
Das Ergebnis der Geburt haltet ihr nun in Händen. Aber wie habt ihr diese Stunden erlebt?
Bevor ich mich mit euch beiden ausführlich beschäftige, lasst mich eines vorausschicken. Egal, wie ihr die Geburt am Ende erfahrt und verarbeitet: Alle Eltern durchlaufen bei jeder Geburt einen Schnelldurchgang durch die gesamte Elternschaft. Sie erleben die Themen, die uns als Eltern ein Leben lang begleiten: Ängste, Schmerz, Anstrengung, Wut, Liebe, Erschöpfung, Grenzen, Anspannung, Sorge, Verzweiflung, Stolz, Mut, Demut und viele mehr. Das ist die gesamte Palette der Gefühle, Gedanken, Prägungen, Möglichkeiten und Unmöglichkeiten des Lebens – eures Lebens. Dafür, dass die Geburt für das ganze Leben steht, will ich euch ein Beispiel geben.
In einer Coachingsitzung berichtete mir eine Frau, dass sie nach zwei völlig unkomplizierten Hausgeburten beim dritten Kind unerwartet so höllische Schmerzen hatte, dass sie schon fast in die Klinik gefahren wäre, um sich mit einer Periduralanästhesie helfen zu lassen. Sie hat die Geburt am Ende durchgestanden, aber schlecht erlebt. Sie wollte gern verstehen, warum das so war.
Spontan äußerte ich, dass wir dafür viele Stunden Therapie bräuchten, fragte aber intuitiv nach, ob die Frau auch schon andere schmerzhafte Erlebnisse gehabt habe. Spontan berichtete sie, das Schmerzvollste ihres Lebens sei die Versorgung ihres Sohnes nach einer komplizierten Operation gewesen. Er lag drei Tage trotz Schmerztherapie wimmernd in ihren Armen. Dieses Erlebnis fand vor der letzten Geburt statt. Da ging uns ein Licht auf, und die Frau brach in verzweifeltes Weinen aus.
Bei einer Geburt kommt alles, was es im Leben an Gutem und Schlechtem gibt, ins Spiel. Die letzte Geburt war deshalb so schmerzhaft, weil der Frau unbewusst vor Augen geführt wurde, dass sie demnächst wieder ein Kind in Armen halten wird, das ihr durch sein Leiden erneut solche seelischen Qualen bereiten könnte. Das Wissen um Sorge und Verantwortung, das Mitleiden der Eltern kann höllische Schmerzen auslösen. Der Schmerz hat in unserem Kopf keinen Ort. Egal, ob er körperlicher, seelischer oder sozialer Natur ist, wir erleben ihn ähnlich. Das Gefühl von Ohnmacht und Ausgrenzung, wie du es als Vater bei der Geburt vielleicht erlebt hast, kann beispielsweise auch sehr schmerzlich sein.
ELTERN SIND BUDDHISTEN: SIE EMPFINDEN GROSSEN DANK, IHREN KINDERN DAS LEBEN UND SEINE BEDÜRFNISSE SCHENKEN ZU DÜRFEN.
Wie ihr die Geburt erlebt, ist also auch immer ein Spiegel eurer Biografie und eurer Haltungen, Ressourcen und Belastungen. Dieses Erleben teilt ihr mit allen Eltern. Je besser ihr das verarbeitet, je stärker ihr es als positiv, ermächtigend und bereichernd bewertet, umso mehr werdet ihr durch die Geburt neugeboren und großartig befähigt, das Leben noch besser zu verstehen und zu bewältigen. Damit will ich sagen, dass es grundsätzlich möglich ist, auch eine traumatisch erlebte Geburt zur Ressource werden zu lassen. Nur braucht es dafür einen Rahmen und Hilfe – und die könnt ihr euch erst einmal gegenseitig sein. Ich bitte euch, spätestens jetzt über euer Erleben der Geburt ins (Selbst-)Gespräch zu kommen.
Zunächst ist es wichtig, dass ihr alle Sachfragen klärt. Ihr könnt immer eure Geburtsunterlagen anfordern und mit eurer Nachsorgehebamme in die Analyse gehen. Manchmal solltet ihr auch das Nachgespräch mit der Klinik suchen. Aber auch dort können nicht alle Fragen beantwortet werden. Ich habe an meiner Klinik die Kultur der Nachbesprechung