Erhalten Sie Zugang zu diesem und mehr als 300000 Büchern ab EUR 5,99 monatlich.
Robin, der Empfänger eines neuen Herzens, weiß, dass er es nicht einfach an den Erstbesten verschenken darf … Robin hat in letzter Zeit viel erlebt, von einer Herztransplantation bis hin zu einer sehr schmerzhaften Trennung. Doch seine Erfahrungen haben ihn gelehrt, dass das Leben kurz ist, und er ist bereit, jeden Tag zu nutzen und einen Neuanfang zu machen. Ein Job bei Euro Pride Tours ist genau die Art von Abenteuer, die er sucht. Dabei lernt er die Welt kennen und kann sein Leben genießen, aber an Liebe denkt er überhaupt nicht. Er ist sich nicht sicher, dass sein Herz das ein weiteres Mal verkraften könnte. Johan mag seine Familie enttäuscht haben, indem er seinen eigenen Weg geht, aber als er Robin kennenlernt, hat er nicht vor, ihn im Stich zu lassen. Die beiden Männer sind für den anderen genau das, was ihm gefehlt hat, um sich wieder vollständig zu fühlen. Auch ist Johan nicht der Mann, für den Robin ihn ursprünglich gehalten hat, sondern er ist der Richtige, um Robins geborgtes Herz schneller schlagen zu lassen. Während einer Rundreise durch Süddeutschland kommen sie sich näher, aber als Robins Ex sich der Reisegruppe anschließt, könnte er ihrer aufkeimenden Liebe ein jähes Ende bereiten.
Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:
Seitenzahl: 310
Veröffentlichungsjahr: 2019
Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:
Inhalt
Zusammenfassung
Widmung
1
2
3
4
5
6
7
8
Epilog
Mehr Bücher von Andrew Grey
Biographie
Von Andrew Grey
Besuchen Sie Dreamspinner Press
Copyright
Von Andrew Grey
Robin, der Empfänger eines neuen Herzens, weiß, dass er es nicht einfach an den Erstbesten verschenken darf …
Robin hat in letzter Zeit viel erlebt, von einer Herztransplantation bis hin zu einer sehr schmerzhaften Trennung. Doch seine Erfahrungen haben ihn gelehrt, dass das Leben kurz ist, und er ist bereit, jeden Tag zu nutzen und einen Neuanfang zu machen. Ein Job bei Euro Pride Tours ist genau die Art von Abenteuer, die er sucht. Dabei lernt er die Welt kennen und kann sein Leben genießen, aber an Liebe denkt er überhaupt nicht. Er ist sich nicht sicher, dass sein Herz das ein weiteres Mal verkraften könnte.
Johan mag seine Familie enttäuscht haben, indem er seinen eigenen Weg geht, aber als er Robin kennenlernt, hat er nicht vor, ihn im Stich zu lassen. Die beiden Männer sind für den anderen genau das, was ihm gefehlt hat, um sich wieder vollständig zu fühlen. Auch ist Johan nicht der Mann, für den Robin ihn ursprünglich gehalten hat, sondern er ist der Richtige, um Robins geborgtes Herz schneller schlagen zu lassen. Während einer Rundreise durch Süddeutschland kommen sie sich näher, aber als Robins Ex sich der Reisegruppe anschließt, könnte er ihrer aufkeimenden Liebe ein jähes Ende bereiten.
Für Dominic. Für all seine Hilfe bei den Details zur Reise durch Deutschland.
BLEI. ES fühlte sich an, als läge ein Bleiklumpen auf seiner Brust. Allerdings hatte er keine Ahnung, was der dort zu suchen hatte.
Robin öffnete die Augen. Eine Katze saß auf seiner Brust und blinzelte ihn an.
„Schnitzel. Was machst du denn hier?“, stöhnte Robin, als ihm wieder einfiel, dass er wieder mal das Fenster offen gelassen hatte. Oh Gott, hatte er gestern Abend so viel getrunken, dass er nicht mehr wusste, wie er ins Bett gekommen war? Robin setzte sich auf und Schnitzel sprang von ihm herunter und rannte davon. Obwohl der alte Junge seiner Nachbarin gehörte, benahm er sich, als gehörte ihm das ganze Haus. Er musste wieder entwischt sein. Die arme Mrs. Kleindinst war bestimmt schon ganz krank vor Sorge.
„Du wohnst nicht hier“, sagte er, als der Kater direkt neben seinem Schlafbereich stehen blieb und ihn anblinzelte, als hielte er Robin für dumm. Vielleicht war er das auch. Robin durfte nicht noch einmal vergessen, nach zwei Gläsern Wein aufzuhören. Sein Mund fühlte sich an, als hätte jemand Watte hineingesteckt und Klebstoff dazugegeben, damit die Masse auch möglichst lange hielt.
Er ging um den Raumteiler herum, der den Schlafbereich vom Rest seiner winzigen Einzimmerwohnung in Frankfurt abgrenzte. Es störte ihn nicht, dass er so wenig Platz hatte. Er konnte sich die Wohnung leisten, und ihre Größe spielte eigentlich keine Rolle, da er sowieso kaum hier war.
Schnitzel miaute, um sein Missfallen kundzutun, und Robin nahm ihn hoch. Der Kater sah ihn an und gab sich alle Mühe, hungrig und bemitleidenswert auszusehen. Es funktionierte nicht. Der grauweiß getigerte Kater wog knapp sieben Kilo und aß für gewöhnlich besser als Robin.
Immer noch in Schlafanzughosen und T-Shirt trug Robin Schnitzel durch den Hausflur und klopfte leise an die Tür. Mrs. K öffnete sie einen Spalt und Robin hob den Kater in ihr Blickfeld. Sie schnappte nach Luft, machte die Tür weit auf und erfüllte den Flur mit einem besorgt und zugleich leicht beschämt klingenden Wortschwall auf Fränkisch, einem deutschen Dialekt, mit dem Robin immer noch Schwierigkeiten hatte.
„Sie kommen rein. Frühstück“, sagte sie auf Englisch mit schwerem Akzent. „Sie müssen. Zu viel Bier.“ Sie lächelte und Robin überlegte ernsthaft, ihr Angebot anzunehmen. Sie war außerordentlich nett zu ihm und schien ihn sozusagen adoptiert zu haben. Soweit er wusste, hatte Mrs. K keine Familie - oder sie kam nie zu Besuch, was er noch trauriger fand.
„Ich muss heute arbeiten“, sagte er auf Hochdeutsch. Sie nickte und tätschelte ihm die Wange. „Ich bringe Ihnen Schokolade mit.“
Sie lächelte. Mrs. K liebte Schokolade, deshalb brachte er ihr immer welche von seinen Reisen mit.
Robin tappte barfuß zurück in seine Wohnung, schloss die Tür und zog sich aus. Er ging in sein winziges Badezimmer und ließ Wasser für ein kurzes Bad in die Wanne.
Zwanzig Minuten später war er angezogen und hatte seine Sachen in eine einzelne, ziemlich kleine Reisetasche gepackt. Er hatte sich daran gewöhnt, mit leichtem Gepäck unterwegs zu sein. Schließlich reiste er nicht zu seinem Vergnügen. Seine Arbeitskleidung, bestehend aus hellbraunen Hosen und blauen oder weißen T-Shirts mit dem Logo von Euro Pride Tours, nahm nicht viel Raum ein. Ob er für sieben oder für elf Tage packte, spielte dabei kaum eine Rolle. Das zusätzliche Paar Schuhe, das er zum Wechseln dabeihatte, brauchte mehr Platz als alles andere.
Robin schaute auf die Uhr und wünschte sich, er hätte das Angebot von Mrs. K angenommen. Er machte einen Kontrollgang durch die Wohnung, die eineinhalb Wochen lang leerstehen würde, schaltete alle Geräte aus und vergewisserte sich, dass nirgendwo mehr etwas Verderbliches herumlag. Dann schnappte er sich seine Jacke und ging runter zur Stadtbahnhaltestelle.
„DU HAST es geschafft“, sagte Albert, als Robin das Büro betrat und seine Tasche hinter sich herzog, als wöge sie eine Tonne.
„Ja. Fast hätte ich dich angerufen und gesagt, dass du jemand anderen finden musst.“ Er stellte die Tasche hinter dem Schreibtisch ab und ließ sich auf einen der Stühle fallen, die Albert für Kunden reserviert hatte, aber das war ihm im Moment egal. „Die Bahn hatte in einem der Tunnel eine Panne.“ Robin fluchte leise.
„Ich habe davon gehört“, sagte Albert und warf Robin einen finsteren Blick zu, forderte ihn aber nicht zum Aufstehen auf. Außer ihnen war niemand im Büro. „Hier sind die Einzelheiten zu deiner Gruppe.“ Albert reichte ihm einen Ordner mit Unterlagen. „Es sind größtenteils Amerikaner. Deswegen habe ich sie dir gegeben. Hoffentlich merken sie nichts von der schlechten Laune, die du schon seit sechs Monaten mit dir rumschleppst.“ Er trippelte um seinen Schreibtisch herum und nahm Platz. „Was ist überhaupt mit dir los? Die Leute machen Urlaub, um fröhlich zu sein und Spaß zu haben, nicht um von Oscar, dem Griesgram geführt zu werden.“ Er lächelte über seinen eigenen Witz. „Es ist dein Job, dafür zu sorgen, dass sie Spaß haben.“
Robin schnaufte. Dieses Gespräch führten sie heute nicht zum ersten Mal. „Ich weiß. Meine Gruppen haben immer Spaß.“ Und dem war auch so. Dafür sorgte Robin nach besten Kräften.
„Schon, aber wenn du dich unbeobachtet fühlst, dann schaust du…“ Albert sah ihn an. Mit seinen Kulleraugen und seinen wilden, blonden Haaren war er der Inbegriff von Stil und Spaß. „Na ja, dann schaust du eben so drein wie jetzt.“ Er deutete auf Robin und fuchtelte mit den Händen. „Ganz zerknittert und traurig. Es ist deprimierend.“
„Wann hat zum letzten Mal jemand mit dir Schluss gemacht?“, fragte Robin und ging die Unterlagen durch. Amerikaner. Verdammt. Warum konnte er nicht auch mal eine Gruppe britischer Touristen kriegen? Die waren immer so nett und wollten für gewöhnlich einen stressfreien, entspannenden Urlaub. Solche Leute mochte Robin. Amerikaner wollten immer weiter, weiter, weiter und mussten Tag und Nacht bespaßt werden. Er seufzte und schloss den Ordner. Wenigstens war es eine gemischte Gruppe, nicht eine, die ausschließlich aus schwulen Männern bestand ‒ manchmal war das hilfreich.
„Mit mir hat noch nie jemand Schluss gemacht. Ich bin derjenige, der Schluss macht, wenn sie zu anhänglich werden.“ Albert klimperte mit den Wimpern, und Robin konnte sich durchaus vorstellen, warum das so war. Die Kerle flogen auf seinen schlanken Körper und seine tollen Augen. Er war Deutscher, hatte aber jahrelang in den Staaten gelebt, deshalb sprach er sehr gut Englisch und liebte Amerikanismen. „Das solltest du unbedingt auch mal probieren.“
„Was?“ Robin blickte von der Reiseroute auf, die er gerade las.
„Hast du nicht zugehört?“, fragte Albert gereizt. „Ich sagte, dass du endlich über diesen Typen wegkommen und weiterleben musst.“ Er verdrehte die Augen wie die Dramaqueen, die er war. „Wer auch immer dieser Typ war … ist … was auch immer … Du hast ihn zum Teufel geschickt, also such’ dir einen anderen, der deinen Motor zum Schnurren bringt.“ Er schnurrte tatsächlich wie eine große Katze, weshalb jetzt Robin die Augen verdrehte. „Bloß nicht mich.“
Robin fiel fast vom Stuhl. „Also bitte. Du denkst doch, dass jeder Mann auf dich steht.“
„Die meisten tun das auch. Ich gebe mir große Mühe, in Topform zu bleiben.“ Albert stand auf, lief zur Tür und drehte sich wie ein Model auf dem Laufsteg. Er hatte Stil, daran bestand kein Zweifel, und er konnte den jugendlichen Partyboy geben, auch wenn er auf die Vierzig zuging. Er setze sich so schwungvoll wieder hin, dass sein Stuhl ein Stück zurückrollte. „Aber genug davon. Reden wir über diese Tour, okay?“
„Mein Lebensinhalt“, erwiderte Robin trocken und Albert lächelte.
„Das ist die richtige Einstellung. Sei witzig. Das mögen die Leute.“ Er tippte auf seiner Tastatur herum und Robin überlegte, was er gerade so Witziges getan hatte.
„Was ist das denn?“, fragte er und deutete auf ein Blatt. „Da stößt jemand nachträglich zu meiner Gruppe dazu?“
„Eventuell. Bei mir hat sich jemand gemeldet – er ist gerade zeitweise in Deutschland – der an der Tour interessiert war. Er wollte am Donnerstagabend in Würzburg zu euch stoßen. Normalerweise machen wir sowas ja nicht, aber es war noch ein Platz frei und, na ja …“ Albert wedelte mit der Hand, aber Robin kannte die Antwort bereits. Albert würde keinen Kunden ablehnen, ganz gleich, was seine eigenen Richtlinien besagten. Geld regierte die Welt, und alles andere stand an zweiter Stelle. Auf diese Art hatte Albert es geschafft, als kleiner Reiseveranstalter im Geschäft zu bleiben, während alle anderen entweder von großen Unternehmen geschluckt wurden oder einfach verschwanden.
„In Ordnung. Wie erkenne ich den Typen?“, fragte Robin und griff nach einen Stift, um sich Notizen zu machen.
„Ich warte noch, bis seine Bezahlung eingegangen ist. Er wollte heute überweisen, wenn er mitkommen kann. In dem Fall trefft ihr euch in dem Hotel, in dem fürs Abendessen reserviert ist. Er wird nach dir fragen. Es sollte kein Problem sein. Achte einfach darauf, ob er eine Kopie meiner E-Mail hat, dann geht alles klar.“ Albert tippte weiter, während sie sich unterhielten und Robin notierte alles.
„Okay. Muss ich sonst noch irgendwas wissen?“
Albert schüttelte den Kopf. Er war bereits wieder auf seine Arbeit konzentriert und dann vergaß er immer alles um sich herum. „Sorg einfach dafür, dass alle ihren Spaß haben. Wir veranstalten Reisen für Schwule, also sorg‘ um Himmels willen dafür, dass auch eine schwule Tour draus wird. Mach sie glücklich. Geh abends mit ihnen in Clubs. Lass sie einfach eine schöne Zeit erleben. Sieh dich als Partyplaner, nicht nur als Reiseführer.“ Albert wandte sich von der Tastatur ab und wiegte sich zu einer Musik, die anscheinend nur er hören konnte.
Robin stöhnte innerlich. Er hatte diesen Job angenommen, da er sich davon eine Chance erhoffte, wieder auf die Beine zu kommen. Seine Mom und sein Dad wünschten sich nichts sehnlicher, als dass er nach Milwaukee zurückkam und im deutschen Restaurant der Familie als Barkeeper arbeitete – als ob er mit dem Rest seines Lebens nichts Besseres anzufangen wüsste. Nicht, dass er mit seiner momentanen Tätigkeit so viel glücklicher war, aber wenigstens stand er auf eigenen Füßen und konnte seine doppelte Staatsbürgerschaft nutzen.
„Ich habe noch nie eine Party geplant. Aber ich verstehe, was du meinst und werde mir Mühe geben.“ Er setzte ein Lächeln auf. „Wann kommen sie an?“
„Die ersten müssten jeden Moment hier sein. Der Bus kommt um elf Uhr.“
„Wer ist der Fahrer?“, fragte Robin. „Doch nicht dieser Rumäne, der uns fast umgebracht hat, oder?“ Das wäre fast ein Desaster geworden ‒ kein Scherz. Yuri hatte aus irgendeinem Grund die Nacht durchgemacht, und am nächsten Tag war er dann hinter dem Steuer eingeschlafen und fast mit dem ganzen Bus über eine Klippe gerast. Damals hatte Robin an den letzten beiden Tagen der Tour neben der Reiseleitung auch das Fahren übernommen.
„Nein. Den habe ich gefeuert. Johan ist dein Fahrer. Er hat vor ein paar Monaten schon mal mit dir zusammengearbeitet und war erstaunlicherweise bereit, das nochmal zu machen.“ Albert wandte sich ab und versteckte sich hinter seinem Monitor. Der Feigling.
„Was soll das denn heißen? Ich gehe immer gut mit meinen Fahrern um.“ Robin funkelte Albert an, der zumindest den Anstand hatte, zu erröten. Er war zu allen Fahrern nett, selbst zu Johan, der ihn mit seiner hüftlangen, wallenden Haarmähne und einem Bart, auf den Hagrid neidisch gewesen wäre, immer an seinen Cousin Itt erinnerte.
„Sicher, du sorgst dafür, dass sie alle gut behandelt werden, aber du bist andauernd so deprimiert. Der arme Dieter, dein letzter Fahrer, macht gerade selber Urlaub, damit er ein bisschen Spaß haben kann. Die Leute machen diesen Job, weil er Spaß bringt und sie sich dabei wohl fühlen. Sie wollen glücklich sein. Aber du bist bloß ein riesengroßer Trauerkloß.“ Albert machte ein Gesicht, als hätte er gerade in eine Zitrone gebissen. „Also versuch um Himmels willen, glücklich zu sein. Nimm Medikamente, wenn es sein muss. Bitte. Du kannst nicht ewig so weitermachen.“
„Na schön.“ Robin grinste, stand auf und ging zum Fenster. „Ich werde ein Ausbund an Fröhlichkeit sein.“
Albert stieß sich von seinem Schreibtisch ab. „Treib es nicht zu weit. Ich will nicht, dass dein Kopf explodiert. Sorg einfach dafür, dass die Gäste Spaß haben und dass du auch welchen hast. Die Reiseroute ist toll. Ihr besucht die Bäder in Baden-Baden, also nutze die Gelegenheit. Gönn‘ dir eine Massage.“ Albert grinste schelmisch. „Nimm Johan mit und lass dich von ihm massieren.“ Er fächelte sich dramatisch Luft zu. „Hab‘ einfach Spaß, okay?“
„Ja.“ Robin konnte vermutlich schon er elf Tage lang so tun als ob. So schwer konnte das ja nicht sein und es war an der Zeit, dass er aufhörte, in Selbstmitleid zu zerfließen. Sonst konnte er auch gleich nach Hause zurückkehren und seinen Eltern im Restaurant helfen. „Ich gebe mir Mühe.“ Robin nahm den Ordner und verließ das Büro. Die Eingangstür fiel hinter ihn zu, als die Gäste allmählich eintrafen.
„Euro Pride Tours?“, fragte ein junger Mann, ein wahrer Goliath, der vor Testosteron nur so strotzte. Hinter ihm tauchte ein älterer Mann auf, der einen großen Koffer auf Rollen hinter sich herzog. Der junge Mann verdrehte die Augen und stellte seinen eigenen Koffer ab, dann eilte er dem älteren Mann zur Hilfe. „Komm schon, Oliver.“ Er hob den Koffer hoch, als wöge er nichts, und schien dabei förmlich aus dem dünnen, hautengen T-Shirt zu platzen, als seine Muskeln sich anspannten. „Jetzt wird alles gut. Hier sind wir richtig.“
„Warum mussten wir dann erst mal acht Straßen weit in die falsche Richtung laufen?“, lamentierte Oliver, als er sich schwer atmend dem Büro näherte.
Oliver hatte weißes Haar und einen blassen Teint. Er wirkte beinahe zerbrechlich, während sein Gefährte jung, sehr männlich, gebräunt und muskulös war. Oliver trug ein schimmerndes Seidenhemd, das in der leichten Brise flatterte, und eine Leinenhose, die um seine dünnen Beine schlackerte. Die Ringe an seinen Fingern funkelten im Sonnenlicht. Es war offensichtlich, dass er Geld hatte, und sein Partner … Na ja, man musste nicht lange überlegen, um die Dynamik in ihrer Beziehung zu verstehen.
„Das ist Javier Montel und ich bin Oliver Justinian“, sagte er zu Robin.
Javier trat näher zu Oliver und legte ihm den Arm um die Taille, um zu zeigen, dass sie ein Paar waren.
„Ich bin Robin Fuller: Freut mich, euch kennenzulernen.“ Er schüttelte ihnen die Hand. „Der Bus wird um elf Uhr hier sein“, erklärte er, während er ihre Namen auf seiner Liste abhakte und ihnen eine Fahrkarte reichte. „Wenn ihr möchtet, könnt ihr reingehen. Da gibt es ein paar Stühle. Befestigt diese Anhänger an eurem Gepäck.“ Er reichte ihnen regenbogenfarbene Anhänger, die Oliver sofort an Javier weiterreichte. „Ihr könnt eure Koffer dort ans Haus stellen. Ich warte hier draußen auf den Rest der Gruppe.“
„Geh du nur rein und setz dich hin, Oliver“, sagte Javier. „Ich bleibe hier draußen in der Sonne.“ Er lächelte Oliver an und die beiden wechselten einen Blick, den Robin lieber nicht gesehen hätte. Dann ging Oliver hinein.
„Freust du dich auf die Reise?“, fragte Robin.
Javier stand auf dem Gehweg und schaute zum Himmel, als die Sonne durch die Wolken brach. Er war ein atemberaubender Mann. Robin wandte sich ab, um in die Ordner zu schauen. „Mal sehen …“ Er zuckte die Achseln.
Robin hatte gerade die Unterlagen vollends durchgelesen, als eine Gruppe von Leuten näherkam. „Euro Pride Tours“, sagte er und die Gruppe lächelte und nickte.
Ein großer Mann Mitte zwanzig kam näher und schüttelte Robin enthusiastisch die Hand. „Grant Harcourt.“
„Ich bin Robin Fuller.“ Er schaffte es, seine Hand zu befreien, bevor Grant ihm den Arm abriss. „Toll. Ihr könnt euer Gepäck hier abstellen, bis der Bus da ist.“
Grant trat näher. Er vibrierte vor Aufregung. „Machen wir auch eine Stadttour durch Frankfurt?“ Er schaute sich fasziniert um.
„Nein. Frankfurt wurde während des Krieges fast vollständig zerstört und es ist wenig übrig, was historisch gesehen von Interesse ist.“ Robin wandte sich wieder an die Gruppe. „Wenn der Fahrer hier ist ‒“ Er schaute auf seine Uhr. „‒ was er bald sein sollte, steigen wir ein und fahren direkt nach Würzburg.“
„Oh, okay.“ Grant zog einen Reiseführer aus seiner abgenutzten Umhängetasche, lehnte sich an das Gebäude und begann, darin zu lesen. Robin überließ ihn sich selbst und wandte sich an zwei junge Männer im Collegealter.
„Kyle North und Billy Thomas“, stellte der Größere sich und seinen Begleiter vor. Robin reichte ihnen ihre Namensschilder und die Bordkarten.
„Das Gepäck dorthin?“, fragte Kyle, an die anderen gewandt. „Billy und ich sind beste Freunde“, erklärte er überflüssigerweise, während er Javier mit unverhohlenem Interesse musterte. Oliver kam heraus, stellte sich neben Javier und legte ihm den Arm um die Taille. Kyle wandte sich ab und redete mit Billy.
Das würde definitiv eine interessante Gruppe werden.
Zwei weitere Paare schlossen sich ihnen an: Mary und Helen aus Indianapolis und Harold und Gerald aus Texas. Sie unterhielten sich angeregt mit den anderen über ihre Reise und was sie gern sehen wollten.
Eine laute Stimme übertönte den Verkehrslärm, gefolgt von der Hupe eines Busses. Robin schaute auf und sah, wie ihr Bus wegen zwei Frauen scharf bremsen musste, die über die Straße hasteten.
„Ich habe dir doch gesagt, wir hätten früher aufstehen sollen.“
„Ich dachte, wir hätten genug Zeit.“ Die Frauen eilten zu Robin, als der Bus anhielt. „Lily Martin“, sagte eine der Frauen mit einem nervösen Lächeln. „Das ist meine gute Freundin Margaret Hansen.“ Lily spielte nervös an ihren Fingernägeln.
„Willkommen, die Damen.“ Robin reichte ihnen gerade ihre Anhänger, als der Bus neben ihnen zum Stehen kam. „Der Fahrer wird gleich das Gepäck einladen.“ Robin betrachtete die Gruppe. Die Leute schienen nett zu sein und sich zu freuen ‒ na ja, abgesehen von Lily, die beinahe trotzig neben Margaret stand.
„Ich verstehe nicht, warum wir eine schwule Reise machen müssen“, sagte Lily gerade laut genug, dass Robin sie hören konnte.
„Weil ich lesbisch bin und du gesagt hast, du wolltest einen schönen, entspannenden Urlaub ohne Männer machen. Na ja …“ Margaret deutete auf die anderen.
Robin wandte sich ab und lächelte. Okay, vielleicht schaffte er es doch, glücklich zu sein oder zumindest weniger traurig und depressiv. Dann war er eben nach fünf Jahren sitzengelassen worden. Es war an der Zeit, darüber hinwegzukommen. Er wartete, bis Johan den Bus geparkt hatte und sog die Energie seiner Touristen auf.
Der Bus furzte. Das Geräusch, wenn die Bremsen sich lösten, erinnerte Robin immer daran. Zum Glück war es nur ein Kleinbus mit zwanzig Sitzplätzen. Trotzdem hatten die Fahrgäste noch genug Platz, um es sich gemütlich zu machen. Kein Wunder, dass Albert den Nachzügler noch angenommen hatte. Es gab Platz genug, und er musste den Bus, den Fahrer und Robin bezahlen, ganz egal, wie viele Gäste an der Tour teilnahmen.
„Alles klar. Johan wird das Gepäck einladen und ich hake alle ab, die in den Bus steigen. Dann geht es los.“
Die Gruppe sammelte sich um ihn und einige beschwerten sich, dass sie gern vorher noch was gegessen hätten. Darauf war Robin vorbereitet. Er holte Müsliriegel aus seiner Tasche und reichte sie herum.
Die Tür des Busses öffnete sich und Johan stieg aus. Robins Mund wurde trocken und er starrte länger als nötig, aber er konnte nicht anders. Von Cousin Itt mit Bart und Wallemähne war nichts mehr zu sehen. Hallo, glattrasierter Adonis mit schulterlangem, schwarzem Haar. Robin hatte keine Ahnung, was passiert war, aber eins war klar: Alle Männer, und Lily, drehten sich um und starrten, als Johan aus dem Bus stieg.
„Bist du soweit?“, fragte er mit leiser Stimme und Robin brauchte einen Moment, bis er seine Gedanken wieder aus der Gosse geholt hatte.
Er nickte und schluckte erneut. „Das Gepäck ist gekennzeichnet und kann eingeladen werden.“ Er deutete auf die Koffer. Johan nickte und lud sie ins Gepäckfach. Robin wandte sich ab und stellte sich neben die Bustür. Keiner rührte sich und alle Männer sahen Johan fasziniert bei der Arbeit zu. Erst als Robin sich räusperte, schienen sie wieder zu Sinnen zu kommen. Nicht, dass er sie nicht verstanden hätte. Er hatte plötzlich ganz eigene Fantasien und die waren kein bisschen professionell.
Robin hakte die Teilnehmer auf seiner Liste ab, während sie einer nach dem anderen in den Bus stiegen. Javier war der erste. Er sprang geradezu die Stufen hinauf, dann blieb er mit einem Seufzer oben stehen, bis Oliver ebenfalls in den Bus geklettert war. Als Nächstes folgten die Damen und dann der Rest. Kyle und Billy bildeten den Schluss, dabei redeten sie ohne Punkt und Komma.
„Gehen wir auch in Clubs und so?“, wollte Kyle wissen. Robin musste ein Lächeln unterdrücken, als Billy hinter Kyles Rücken die Augen verdrehte.
„Für sowas haben wir mehr als genug Freizeit. Robin ist kein Animateur.“ Billy zwängte sich an Kyle vorbei und stieg in den Bus.
Kyle schüttelte den Kopf und folgte ihm.
„Waren das alle?“, fragte Johan, der immer noch am Gepäckfach stand.
„Ja.“ Robin seufzte. „Eventuell stößt morgen Abend in Würzburg noch einer zu uns.“
Johan nickte und klappte die Abdeckung runter.
„Ach, verflixt“, brummte Robin und lief nochmal ins Büro, schnappte sich hastig seine Reisetasche und eilte dann wieder hinaus. Johan nahm ihm die Tasche ab. Dabei berührten sich ihre Finger, und Robin wurde es auf einmal ganz warm. Er zog seine Hand schneller zurück als nötig und hoffte, dass Johan nichts gemerkt hatte. „Jetzt können wir los.“ Er folgte Johan in den Bus und die Reise begann.
„Guten Morgen. Ich bin Robin, euer Reiseleiter für die nächsten elf Tage. Ich gehe davon aus, dass ihr alle die Reiseroute kennt, und soweit ich weiß, rechnen wir nicht mit Änderungen. Unser Fahrer, Johan ‒“ Er hielt inne und Johan winkte kurz, bevor er sich in den Verkehr einfädelte. „‒ und ich werden dafür sorgen, dass ihr dort ankommt, wo ihr hinwollt. Auf dieser Reise beantworte ich gern jederzeit eure Fragen. Auf unseren Tagesausflügen wird Johan den Bus abschließen, deshalb könnt ihr gern eure Wertsachen in den Staufächern über euren Köpfen lassen. Oder wir können sie für euch in den Schließfächern verwahren.“
„Auch ein Laptop?“, fragte Grant, während er die Hand hochriss.
„Ja. Eure Laptops, Pullover, Jacken … alles. Wir raten allerdings davon ab, die Sachen über Nacht im Bus zu lassen, denn Johan wird den Bus parken und mit uns im Hotel übernachten.“ Robin blickte in die Gesichter, die ihn erwartungsvoll anschauten. „Die Fahrt nach Würzburg dauert verkehrsbedingt etwa zwei Stunden, daher werde ich euch einen kleinen Überblick über das Land geben, das wir bereisen. Das Land, das wir als Deutschland kennen, hat nicht immer in dieser Form existiert. Bis vor etwa einhundertfünfzig Jahren bestand es aus vielen verschiedenen souveränen Einzelstaaten ‒ Preußen, Franken und Bayern, um nur einige zu nennen. Sie hatten alle ihre eigenen Herrscher und Herrscherdynastien. Vielleicht habt ihr von einigen schon gehört.“
„Was ist mit Ostdeutschland? War das auch einer davon?“, fragte Billy und Kyle versetzte ihm einen Stoß.
„Nein. Das liegt am Krieg“, warf Kyle ein.
„Was wir als Ost- und Westdeutschland kennen oder kannten, resultierte aus dem Zweiten Weltkrieg. Ostdeutschland ist der Teil, der von den Russen kontrolliert wurde. Deutschland wurde 1990 wiedervereinigt.“ Robin holte tief Luft und fuhr fort. „Wir werden Paläste, Schlösser und römische Ruinen sehen, Weinproben durchführen …“
„Und uns betrinken …“, sagten zwei Leute gleichzeitig und alle lachten.
Robin versuchte, mit ihnen zu lachen, doch das gelang ihm nicht und so wartete er ab, bis wieder Ruhe eingekehrt war. Kyle und Billy begannen über Bier zu reden, und das Gespräch änderte die Richtung. Knacken und Zischen ertönte, dann nahmen sowohl Kyle als auch Billy einen Schluck aus zwei Dosen und boten anschließend den anderen auch welche an. Bald tranken alle und Robin fragte sich, wie sie das ganze Bier unter seiner Nase in den Bus geschmuggelt hatten. Er würde die beiden im Auge behalten müssen. Er gab es auf, noch weitere Informationen geben zu wollen, setzte sich hin und überließ die Gruppe ihren Gesprächen.
„Ist schon okay“, sagte Johan direkt vor ihm. „Sie müssen einander kennenlernen und jetzt ist eine gute Gelegenheit dazu.“
„Das stimmt wohl. Für gewöhnlich veranstalte ich Kennenlernspiele“, erklärte Robin und Johan schnaubte. „Was?“
„Ich erinnere mich an diese Spiele. Bier funktioniert besser.“ Er lachte leise in sich hinein und konzentrierte sich wieder aufs Fahren. Robin hätte ihm am liebsten eine reingehauen, aber dann drehte er sich zur Gruppe um und musste einsehen, dass Bier tatsächlich besser funktionierte. Sie hatten Spaß, redeten und lachten. Robin schaute wieder nach vorn und beobachtete die Landschaft durch die Windschutzscheibe, als sie auf die Autobahn auffuhren. Er schlug den Ordner auf und las ihn erneut durch, um was zu tun zu haben.
ALS SIE in den Außenbezirken von Würzburg ankamen, stand Robin auf und hielt sich an der Rückenlehne seines Sitzes fest. „Wenn wir die Innenstadt erreichen, parken wir den Bus in der Nähe des Restaurants, wo wir zu Mittag essen. Danach habt ihr den ganzen Nachmittag Zeit, um euch die Stadt anzusehen. Um vier Uhr treffen wir uns am Hotel zum Einchecken und essen dann auch dort zu Abend. Der Abend ist frei und morgen findet eine Führung durch die Stadt und die Würzburger Residenz statt, den Palast des Fürstbischofs, der wirklich wunderschön ist.“
„Sollen wir unsere Sachen mitnehmen?“, fragte Javier.
„Euer Handgepäck. Den Rest könnt ihr hierlassen, bis wir im Hotel sind. Vom Busparkplatz bis in die Altstadt ist es ein Stück zu laufen, da wollt ihr bestimmt nicht erst nochmal zurück.“
Johan parkte den Bus und stellte den Motor ab. Robin stieg aus und wies der Gruppe den Weg zum nahegelegenen Restaurant.
„Schließ den Bus ab und komm mit.“
Johan nickte. „Hältst du mir einen Platz frei?“ Er lächelte und Robins Magen hüpfte aufgeregt.
„Sicher.“ Er nahm seine Tasche und verließ den Bus, dann schloss er zügig zu den anderen auf.
Im Restaurant wurde die Gruppe vom Servicepersonal in Empfang genommen und zu einem langen Tisch an der dunkel getäfelten Wand im hinteren Bereich des Lokals geführt. Bald wurden Getränke und Salate gebracht, gefolgt von Tellern mit Schnitzeln mit Pommes. Robin vergewisserte sich, dass alle einen Platz gefunden und ihr Essen bekommen hatten, ehe er sich ans Kopfende des Tisches setzte. Johan kam herein und setzte sich ans andere Ende des Tisches, wo bereits ein Teller auf ihn wartete.
„Wie lange bist du schon Busfahrer auf diesen Touren?“, fragte Grant, der neben Johan saß.
„Etwa vier Jahre“, antwortete Johan. Sein Akzent war ein wenig ausgeprägter als vorhin. Vielleicht war Johan ein wenig schüchtern, wenn es um ihn selbst ging?
„Wie alt ist die Stadt?“, fragte Kyle.
Johan senkte die Gabel und schluckte, doch er bekam keine Gelegenheit zu antworten.
„Das erste Münster wurde im Jahr 788 gebaut und von Karl dem Großen geweiht. Das aktuelle Münster kann auf das elfte Jahrhundert datiert werden. Daher ist die Stadt auf jeden Fall über dreizehnhundert Jahre alt.“ Grant klang wie einer der Reiseführer, die er gelesen hatte.
Robin übernahm, als Grant die Luft ausging. „Sie ist wunderschön, mit Gebäuden aller Stilrichtungen. Macht einen Rundgang durch das Münster ‒ es ist atemberaubend. Tilman Riemenschneider, der berühmteste Holzschnitzer Deutschlands, war auch Bürgermeister von Würzburg. Deshalb werdet ihr hier viele seiner Werke sehen, vor allem im Münster. Geht auch in die Läden und auf die Märkte. Habt Spaß und seid zwischen vier und fünf Uhr am Hotel, um in eure Zimmer einzuchecken.“
„Wo ist das Hotel?“
„Das Hotel Charlemagne liegt direkt die Straße runter in Richtung Stadt. Ihr könnt es nicht verfehlen. Amüsiert euch ein paar Stunden lang.“
Sie beendeten ihr Mittagessen und die Touristen verließen in kleinen Grüppchen das Restaurant, bis nur noch Robin und Johan sowie Lily und Margaret übrig waren, die am anderen Ende des Tisches saßen und sich leise unterhielten. Nach ein paar Minuten standen sie ebenfalls auf.
Robin zog den Stuhl neben sich hervor. „Ihr könnt euch zu uns setzen, wenn ihr wollt. Wir sind auch gleich fertig.“
„Wir wollten uns ein paar Sachen anschauen, aber …“
Lily und Margaret kamen näher und nahmen gegenüber von Johan Platz.
„Kann ich euch irgendwie behilflich sein?“, fragte Robin.
„Mir war nicht klar, dass das eine schwule Tour ist, und …“ Lily beugte sich vor und senkte die Stimme. „Margaret hat gedacht, ich wüsste Bescheid, aber ich wusste es nicht, und jetzt fühle ich mich ziemlich fehl am Platz.“ Sie griff nach einer Serviette und wischte sich die Augen.
„Du weißt bestimmt, dass das niemandem etwas ausmachen wird“, sagte Johan und Robin nickte zustimmend.
„Aber ich bin hetero“, sagte sie leise. „Was, wenn ich was falsch mache?“
Margaret legte den Arm um ihre Freundin, um sie zu trösten. „Es tut mir leid. Ich dachte, du wüsstest es. Ich habe diese Tour gebucht, damit du nicht von Männern belästigt wirst.“ Ein stählerner Blick aus Margarets Augen traf Robin. Sie war eine starke Persönlichkeit. „Lily und ihr Ehemann ‒“
„Margie“, sagte Lily leise.
„Er kann dir nichts mehr tun. Das weißt du doch.“ Margaret umarmte sie fester. „Denkst du, ich würde diesen Arsch auch nur in deine Nähe lassen?“ Robin vermutete, dass dies Margarets Art war, Lily zu trösten und überraschenderweise schien es zu funktionieren. „Ihr Mann …“
„Er hat mich betrogen“, sagte Lily und schniefte. „Oft.“
„Du kannst dich hier ganz sicher fühlen“, sagte Robin. Es klang abgedroschen, entsprach aber der Wahrheit. „Du musst dir wegen keinem von uns Sorgen machen. Bei uns bist du in Sicherheit, und egal ob schwul oder nicht, wir stehen hinter dir.“ Verdammt, so hatte er die Reise nicht beginnen wollen.
Eine Kellnerin kam an den Tisch und Robin bat um ein Glas Wasser. Sie brachte es und ging wieder davon, während er das Glas an Lily weitergab.
„Was möchtest du tun?“
„Dem Mistkerl in die Eier treten und …“ Sie nahm einen Schluck Wasser und rieb sich über das Gesicht. „Ich glaube, ich will einfach rausgehen und Spaß haben.“
„Das ist die richtige Einstellung“, sagte Margaret zu ihr. „Lass dieses Arschloch nicht gewinnen.“ Sie stand auf, Lily ebenso. „Amüsieren wir uns.“
Lily nickte. Robin schaute ihnen nach und fühlte sich beschissen. Er blieb noch für eine Weile am Tisch sitzen, um sich auszuruhen. Zeit hatte er ja genug, und er wollte sich die paar Stunden Ruhe zunutze machen. Robin holte ein Taschenbuch aus der Tasche, bestellte sich nochmal was zu trinken und ließ die Gruppe an ihrem ersten Tag die Gegend erkunden und untereinander Bekanntschaft schließen.
„Bist du soweit? Sollen wir mal zum Hotel gehen?“, fragte Johan und Robin wurde klar, dass er gedankenverloren in die Ferne gestarrt hatte statt in sein Buch. Hoffentlich war sein Blick nicht in eine peinliche Richtung abgeschweift. Was zu befürchten stand, so wie er gerade Johans Brust fixierte, die sein Hemd einfach so… vollständig ausfüllte.
„Ja.“ Robin schob seinen Stuhl zurück und vergewisserte sich bei der Restaurantleitung, dass die Rechnung erledigt war. Dann stieg er mit Johan wieder in den Bus. Er setzte sich und schaute zum Fenster hinaus, während Johan den Bus durch die enge Straße vor das Hotel manövrierte.
Das Hotel war ein Familienbetrieb. Bei Robins letztem Aufenthalt hier hatte der vierzehnjährige Sohn des Hauses seine Reisegruppe eingecheckt. Das Fachwerkhaus war genau das, was Robin sich unter einem deutschen Hotel vorstellte. Von innen war es genauso urig und, na ja, altmodisch wie von außen. Nicht, dass das ein Problem gewesen wäre. Es erfüllte nur nicht immer alle Ansprüche, die manche Amerikaner an ihren Urlaub in Europa stellten.
„Guten Tag“, sagte die Dame an der Rezeption, dann lächelte sie. „Robin, Sie sind wieder da.“
„Ja“, sagte er und freute sich, dass sie sich an ihn erinnerte. „Ich hätte gerne die Zimmerschlüssel für meine Reisegruppe.“ Er reichte ihr die Teilnehmerliste. Sie schaute sie durch, nickte und gab ihm einen Umschlag mit den Schlüsseln.
„Sie bleiben zwei Tage?“, fragte sie und Robin nickte.
„Morgen stößt noch jemand zur Gruppe hinzu“, erklärte er. Sie wiegte den Kopf und schaute in ihr Buch.
„Für heute sind wir ausgebucht, aber morgen kann ich Ihnen den Schlüssel dann geben.“ Sie lächelte erneut und Robin erwiderte das Lächeln.
Anschließend setzte er sich mit seinen Unterlagen und den Schlüsseln hin, um sicherzugehen, dass alle bekamen, wofür sie bezahlt hatten. Das Deluxe-Zimmer war einfach ‒ das hatte Oliver gebucht. Es hatte ein eigenes Bad mit Badewanne und eine kleine Sitzecke. Nachdem er auch die anderen Zimmer zugeordnet hatte, blieb am Ende nur noch ein Zimmer übrig. Robin prüfte alles nochmal nach und stöhnte auf. Er kramte sein Handy aus, um Albert eine SMS zu schicken und bekam zur Antwort, dass die Anzahl der Zimmer falsch war.
„Was ist los?“, fragte Johan, der gerade die letzten Gepäckstücke hereintrug und sie in den derzeit ungenutzten Frühstücksraum stellte.
„Wir haben ein Zimmer zu wenig“, sagte Robin. „Es sieht so aus, als müssten wir beide uns ein Zimmer teilen.“ Robin fragte sich, ob Albert die gesamte Rundreise so geplant hatte.
„Okay. Kein Problem“, meinte Johan und ging ohne ein weiteres Wort hinaus.
Robin starrte ihm nach, dann riss er den Blick von Johans Hintern los und konzentrierte sich wieder auf seine Unterlagen. Er stöhnte und rieb sich das Gesicht, dann kontrollierte er noch einmal die Zimmerverteilung, um sicherzugehen, dass Johan und er ein Zimmer mit getrennten Betten hatten. Nicht, dass es ihm etwas ausgemacht hätte, ein Bett mit Johan zu teilen, aber sie arbeiteten zusammen und …
Robin musste bei diesem Gedanken den Kopf schütteln. Er wusste, dass er nicht unbedingt der bestaussehende Mann auf der Welt war – was ihm sein Ex bei ihrem letzten Gespräch Schrägstrich Streit auch deutlich gemacht hatte – deshalb war es naheliegend, dass Johan, egal ob schwul oder nicht, nicht an ihm interessiert sein würde. In dieser Reisegruppe gab es auf jeden Fall besser aussehende und amüsantere Typen als ihn. Falls Johan denn auf Männer stand und sich mit Leuten einließ, die er fuhr, und … Großer Gott, selbst seine Gedanken schwafelten. Dem musste er ein Ende machen.
Das Vibrieren seines Handys riss ihn aus seinen sich im Kreis drehenden Gedanken. Er holte es hervor in der Hoffnung, dass es Albert war, doch er war es nicht. „Hey Mom“, sagte er so fröhlich, wie er zustande brachte.
„Du bist noch am Leben“, neckte sie.
„Ich habe letzte Woche angerufen und im Moment bin ich auf einer Tour, aber es ist alles in Ordnung“, beteuerte er hastig, vielleicht ein wenig zu hastig.
„Bist du dir sicher?“, fragte sie und Robin stöhnte auf.
„Ja. Ich nehme meine Medikamente und achte, so gut ich kann, auf meine Ernährung. Mach‘ ich doch immer.“ Er bemühte sich um einen unbeschwerten Tonfall. Nachdem sie sich jahrelang um ihn gekümmert, sich seinetwegen Sorgen gemacht und ihn in Watte gepackt hatte – oder das jedenfalls versucht hatte, als er dann älter war – sollte er doch inzwischen an das Getue gewöhnt sein.
„Ich mache mir trotzdem Sorgen. Wieso kommst du nicht nach Hause? Wir lieben dich und du könntest mit deinem Dad und mir zusammenarbeiten. Dein Dad sagt schon lange, dass er sich zurückziehen will, und wenn du auch im Restaurant arbeiten würdest, könnte er ein paar von seinen Aufgaben an dich abtreten.“
„Ich weiß, dass du dir Sorgen machst, aber es geht mir gut.“ Robin sprach leise, damit niemand mithören konnte. „Wirklich. Es gefällt mir hier. Ich sehe Teile der Welt, die ich andernfalls nie zu Gesicht gekriegt hätte. Und ich kann meine Sprachkenntnisse nutzen.“
Seine Mom räusperte sich nervös. „Aber was machst du denn da überhaupt? Führst Touristen herum, wenn du doch hier bei deiner Familie sein könntest, wo wir uns alle gemeinsam um dich kümmern könnten.“ Alte Gewohnheiten waren nur schwer abzulegen und seiner Mom fiel das Loslassen besonders schwer.
„Ich muss auf eigenen Füßen stehen. Das habe ich dir doch gesagt.“ Den Großteil seines Lebens hatte seine Mom mit Argusaugen über ihn gewacht und ihn beim ersten Anzeichen von Husten oder Fieber sofort ins Krankenhaus gebracht. Robin war überrascht gewesen, dass sie ihm tatsächlich erlaubt hatte, einen festen Freund zu haben. Das Überraschende daran war nicht mal die liebevolle Unterstützung durch seine beiden Eltern gewesen; die hatte er immer gehabt. Viel erstaunlicher war, dass sie sich zurückgehalten hatten, solange die Beziehung dauerte. Doch gleich nach deren Ende waren sie wieder mit derselben fast aufdringlichen Fürsorge angekommen wie zuvor. „Lass mich doch einfach. Ich rufe an, ich bleibe in Kontakt und ich kann schon selbst auf mich aufpassen.“
