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Seitenzahl: 29
EIN SONETTENKREISVONERNST TOLLER
(Nr. 44)
Kamerad, in jeder Stadt, in jedem Dorf begleitet dich ein Gefängnis
KURT WOLFF VERLAG MÜNCHEN
BÜCHEREI „DER JÜNGSTE TAG“ BAND 84
GEDRUCKT BEI E. HABERLAND IN LEIPZIG
COPYRIGHT 1921 BY KURT WOLFF VERLAG A.-G. MÜNCHEN
Den namenlosen Toten deutscher Revolution
Wer die Pfade bereitet, stirbt an der Schwelle. Doch es neigt sich vor ihm in Ehrfurcht der Tod.
AN DIE FREUNDE.
Was ist ein Jahr und was ist eine Stunde, Im Acker Zeit, der brach zu unsern Füßen liegt.
„Es kann nichts entsetzlicher sein, als daß die Handlungen eines Menschen unter dem Willen eines andern stehen sollen.“
Kant, Fragmente VIII.
„Trotzdem sie nur von Gesetzen reden: auch das Gesetz ist nicht frei von Menschlichkeit. Das Gesetz ist für uns Menschen nicht dazu gemacht, andern Menschen durch Ekel oder Schmerz das Leben zu nehmen.“
Kleist
Geschrieben in den Gefängnissen München (Militärarrestanstalt Leonrodstraße; Polizeigefängnis; Neudeck; Stadelheim), Würzburg, Eichstätt, Neuburg, Niederschönenfeld. 1918-1921
Metallne Schritte in die Nächte fallen,
Die Posten buckeln durch die Höfe ohne Rast.
Oh, jeder Schlag ist Herzschlag ungeheurer Last,
Die uns bedrängt mit immer scharfen Krallen.
Wir lauschen schlaflos in das starre Hallen,
Ein schwarzes Schweigen wächst im schwarzen Glast,
Deß toter Atem fröstelnd uns umfaßt,
Zermartert Blicke an die Eisengitter prallen.
Warum, mein Bruder, feindlich durch die Höfe schreiten?
Uns alle band ein Schicksal an den gleichen Pfahl,
Uns alle eint der Kreaturen tausendjährge Qual,
Uns alle wirbelt dunkler Zwang durch die Gezeiten.
Oh, Fluch gesetzter Grenzen! Menschen hassen ohne Wahl!
Du, Bruder Tod, wirst uns vereint geleiten.
Den nackten Leib brutalen Blicken preisgegeben,
Betastet uns ein schamlos Greifen feiler Hände,
In Fratzenbündel splittern graue Wände,
Die wie Gepfeil gen unsre Herzen streben.
Pflockt Arm und Fuß in rostige Kette,
Brennt Narben ein den magren Händen,
Ihr könnt, Ihr könnt den Leib nicht schänden,
Wir stehen frei an der verfehmten Stätte!
So standen vor uns all die Namenlosen,
Rebellen wider des Jahrhunderts Tyrannei,
Auf Sklavenschiffen meuternde Matrosen —
Der Promethiden ewig trotziger Schrei!
So standen sie an Mauern der Geweihten.
So starben sie am Rande der verheißnen Zeiten.
Ihr Wälder fern an Horizonten schwingend,
Vom abendlichen Hauche eingehüllt,
Wie meine Sehnsucht friedlich euch erfüllt,
Minuten Schmerz der Haft bezwingend.
Ich presse meine Stirne an die Eisensäulen,
Die Hände rütteln ihre Unrast wund,
Ich bin viel ärmer als ein armer Hund,
Ich bin des angeschoßnen Tieres hilflos Heulen.
Ihr Buchenwälder, Dome der Bedrückten,
Ihr Kiefern, Melodie der Heimat, tröstet Leid,
Wie wobet ihr geheimnisvoll um den beglückten
Knaben der fernen Landschaft wundersames Kleid ...