Gefahr ist unser Geschäft - Jana Scheerer - E-Book

Gefahr ist unser Geschäft E-Book

Jana Scheerer

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Beschreibung

Harald passt in sein kleines Nordsee-Kaff wie eine Chilischote auf eine Schwarzwälder Kirschtorte. Schließlich träumt er davon, ein echter Detektiv zu sein, aber leider gibt es hinter dem Deich rein gar nichts zu ermitteln. Das ändert sich schlagartig, als das Schaf Schnucki MäcGaffin unter mysteriösen Umständen verschwindet. Harald wittert seinen ersten richtigen Fall! Auch Wiebke, die Tochter der Schäferin, nimmt die Verfolgung des Schafes auf. Ihre Suche führt die beiden in den düsteren und geheimnisvollen Großstadtdschungel. Als sie dort die clevere Privatermittlerin Trix kennenlernen, ist die Detektei Donnerschlag komplett – zum Glück! Denn der Fall ist kniffliger als gedacht, und nur gemeinsam können sie allen Gefahren furchtlos ins Auge schauen.

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Seitenzahl: 215

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Jana Scheerer

Gefahr ist unser Geschäft

Aus den Akten der Detektei Donnerschlag

Mit Illustrationen von Uwe Heidschötter

Haralds Detektiv-Regeln

Gib niemals den Hut ab!

Ein Detektiv darf nicht die Fassung verlieren, und wenn er sie doch verliert, muss er so tun, als hätte er sie noch.

Hinterlasse bei den Ermittlungen keine Fingerabdrücke.

Jeder ist verdächtig.

Alles ist wichtig, bevor es sich als unwichtig herausgestellt hat.

Ein Detektiv sollte stets eine Wäscheklammer mit sich führen, denn er muss seine Nase unter Umständen in übel riechende Angelegenheiten stecken.

Liste die bekannten Fakten stets schriftlich auf.

Streitlust und Rechthaberei sind im Umgang mit Zeugen selten zielführend.

Lege dich niemals mit der Polizei an!

Ein Detektiv kann nicht immer feinfühlig sein. Er muss jede Ermittlungs-Chance wahrnehmen.

Ermittle stets allein.

Pizza fördert die Kombinationsgabe.

Einem echten Detektiv ist nichts peinlich. Er tut, was die Ermittlungen erfordern, ohne Rücksicht auf sein persönliches Befinden.

Frühstücke stets ausgiebig, denn die Ermittlungen lassen dir vielleicht keine Zeit für weitere Mahlzeiten.

Ein Detektiv fürchtet nichts und niemanden.

Sei ein Chamäleon. Passe dich deiner Umgebung an, das ist die beste Tarnung.

Ein Detektiv handelt niemals ungesetzlich.

Kapitel 1In dem ich meine Detektivgeschichte nicht fertig geschrieben bekomme, weil ich Aalsuppe essen muss und ein Schaf spurlos verschwindet.

Es war ein Tag wie ein Karamellbonbon: klebrig, zäh und schlecht für die Zähne. Ich saß in meiner schäbigen Detektei an meinem schäbigen Schreibtisch und machte mir schäbige Gedanken, die ich in meine schäbige Schreibmaschine tippte. Mein letzter Auftrag hatte mir mal wieder nichts eingebracht als eine Riesenportion Ärger mit Sahne. Die schlechte Angewohnheit, um Gerechtigkeit zu kämpfen statt für das große Geld, schlug mir auf das Konto und auf den Magen. Ich brauchte Knete, eine Gratis-Pizza oder eine schöne Frau, die mir etwas zu essen kochte. Tatsächlich öffnete sich in diesem Moment quietschend die Tür. Ich wandte mich um – und erblickte eine zarte weibliche Person. Leichtfüßig stieg sie die steilen Stufen hinab, die in meine Detektei führen.

»Harald? Hab ich’s mir doch gedacht. Du machst mal wieder nichts für Mathe, sondern hockst hier unten im Keller und schreibst an deinen blöden Detektivgeschichten! Und immer in diesem dünnen Mantel. Zieh doch wenigstens einen Pullover drunter, du erkältest dich noch!«

Sie trug eine geblümte Schürze, die herrlich zu ihrer blassen, faltigen Haut passte. Die zierlichen Füße steckten in braun karierten Filzpantoffeln. Graue Haare rahmten ihr schmales Gesicht. Durch ihre runden Brillengläser schaute sie sich kritisch um, schien jedoch Vertrauen zu fassen. Vorsichtig trat sie einen Schritt auf mich zu.

»Essen ist fertig! Und wasch dir die Hände!«

»Nein«, erwiderte ich. »Ein Detektiv fürchtet sich nicht vor Keimen und Bakterien. Gefahr ist mein Geschäft.«

»Harald! Ich zähle bis drei! Eins …«

»Ich mach ja schon, Oma!«

»Zwei …«

Ich zog den Bogen Papier aus der Schreibmaschine, knüllte ihn zusammen und warf ihn in den Papierkorb.

»Drei!«

»Ich komme!«

Tja, ihr ahnt es wahrscheinlich längst: Ich hatte gar keine Detektei. Jedenfalls keine richtige. In unserem Keller hatte ich mich mit einem wackeligen Tisch, einer ausrangierten Schreibmaschine und einem alten Aktenschrank eingerichtet. Hier las ich Detektivromane, schrieb Detektivgeschichten und träumte davon, ein echter Detektiv zu sein. Leider hatte ich noch nie einen wirklichen Fall gehabt. Es war nun mal so: Bei uns an der Nordsee, direkt hinter dem Deich, passierte nicht gerade viel. Genauer gesagt: gar nichts. Die Schafe blökten und kackten auf den Deich. Die Möwen schrien und kackten auch auf den Deich. Mal war Ebbe, mal war Flut. Für einen Detektiv gab es auf dem platten Land ungefähr so viel zu tun wie für einen Bergsteiger.

»Das Essen wird kalt!«, rief meine Großmutter, als sie schon fast aus meiner Detektei raus war. Dann drehte sie sich noch einmal um und zischte: »Und setz bloß nicht wieder diesen albernen Hut auf!«

Das sagte sie ständig. Sie verstand einfach nicht, dass ein Detektiv unbedingt einen Hut braucht. Ein Detektiv ohne Hut, das ist wie ein Einhorn ohne Horn. Oder ein Polizeiauto ohne Sirene. Oder ein Eis ohne Sahne. Deshalb lautet meine Detektiv-Regel Nummer 1: Gib niemals den Hut ab! Ich platzierte ihn also auf meinem Kopf und ging hoch in die Küche.

Als ich hereinkam, stellte meine Großmutter gerade zwei geblümte Teller mit Aalsuppe auf den Tisch. Mir wurde schlecht. Obwohl ich mein ganzes bisheriges Leben an der Nordsee verbracht habe, mag ich keinen Fisch. Ist mir einfach zu fischig.

»Oma«, sagte ich, »ich mag keinen Fisch! Dieser Fakt ist dir doch bekannt, oder?«

»Quatsch nicht so kariert«, brummelte meine Großmutter, »wir sind hier nicht in einer von deinen Detektivgeschichten, nä?«

»Ja, leider«, antwortete ich. »Trotzdem mag ich keinen Fisch.«

»Ach so?«, rief meine Großmutter, als würde sie das zum ersten Mal hören. »Aber in der Suppe ist doch kaum Fisch drin! Nur etwas Aal.«

»Aale sind Fische, Oma.«

»Ach was, so ’n Aal sieht doch gar nicht aus wie ’n Fisch. Mehr wie ’ne Schlange, nä?«

»Danke, jetzt schmeckt es mir gleich besser.« Ich seufzte und löffelte das Gemüse aus der Suppe.

Eine Weile schwiegen wir. Nur das Ticken der alten Standuhr war zu hören. Ich mag das Geräusch nicht. Es klingt nach Langeweile.

Schließlich legte meine Großmutter den Löffel zur Seite. »Du, Harald, Magnus hat übrigens angerufen.«

Ich horchte auf. Vor einigen Monaten war mein großer Bruder in die Stadt gezogen, um eine Detektei zu eröffnen. Unserer Oma wollte er davon nichts verraten, um sie nicht zu beunruhigen. Er ließ sie in dem Glauben, er würde in Humbug Mathematik studieren. Mir hingegen erzählte er von allen seinen Fällen. Zurzeit war er an einem sehr raffinierten Schmuckdieb dran. Ich freute mich schon darauf, gemeinsam mit ihm in der Sache zu ermitteln.

»Was hat er denn gesagt?«, fragte ich meine Großmutter. »Ging es um meinen Besuch in Humbug?«

Sie knüllte ihre Serviette zusammen. »Ja, du, Harald, also … es ging schon um den Besuch, aber …« Sie räusperte sich. »Magnus hat zu viel zu tun. Es tut ihm wirklich leid.«

Ich saß wie erstarrt auf meinem Stuhl. Seit Wochen freute ich mich auf diese Reise. Ich hatte schon vor mir gesehen, wie mein Bruder und ich durch die Straßen der Großstadt streifen würden, beide in Mantel und Hut, allen Gefahren furchtlos ins Auge schauend.

»Aber verschoben ist ja nicht aufgehoben, nä? Deine Suppe wird kalt.«

Ich seufzte. »Das ist jetzt bereits das dritte Mal, dass er meinen Besuch in Humbug absagt, Oma. Am Sonntag sind die Herbstferien um.«

»Am Sonntag bringt Magnus doch sowieso seine schmutzige Wäsche zu Hause vorbei, dann siehst du ihn ja. Harald, die Suppe!«

Ich tunkte den Löffel in die Suppe.

Die Wanduhr tickte.

»Bei uns in Ruckelnsen ist es doch auch nett«, sagte meine Großmutter.

Mit dem Löffel zerquetschte ich ein Stück Karotte. »Eben: Total nett. Nie passiert was. Überhaupt gar nichts.«

Meine Großmutter schüttelte den Kopf. »Sag das mal nicht, Harald, sag das mal nicht! Hier passiert doch jede Menge.«

»Ja? Was denn?«

»Na ja … ähm …« Sie kratzte sich mit dem Löffel am Kopf. »Also, vorhin habe ich in der Nordsee-Zeitung gelesen, dass dieser Oktober der nebligste seit hundert Jahren ist. Interessant, nä?«

»Das war sicher die Topmeldung in der Nordsee-Zeitung«, murmelte ich und betrachtete die dünnen Nebelschwaden, die so langsam vor dem Küchenfenster vorbeizogen, als wüssten sie auch nichts mit sich anzufangen.

»Uuuund … und gestern hat Fräulein Karnelia den dicken Kater von nebenan vermöbelt!« Meine Oma lächelte versonnen. Sie liebte ihre rechthaberische Katze über alles.

»Wirklich sehr spannend, Oma.«

»Ja, nä? Uuuuuund … uuuuuund … ach ja: Frau Hinnerksen hat mir von dramatischen Ereignissen in der Schäferei Jansen berichtet.«

Möglichst unauffällig verdrehte ich die Augen. Die beste Freundin meiner Großmutter war für ihre Sensationslust bekannt. »Na, wenn Frau Hinnerksen was erzählt, muss es ja eine ganz große Sache sein, Oma.«

»Mach dich da mal nicht drüber lustig, Harald. Die Jansens finden eins von ihren Schafen nicht mehr. Im Stall ist das Schaf nicht, und auf dem Deich ist es auch nicht. Seit gestern fehlt jede Spur von dem Tier.«

Oha. Ich legte den Löffel beiseite. Das war vielleicht doch ganz interessant. »Welches Schaf ist es denn?«

»Schnucki MäcGaffin, weißt du, das schottische Schaf mit den großen Schlappohren.«

Ich nickte. Ja, Schnucki MäcGaffin war mir ein Begriff. Da es bei uns im Ort nicht besonders viele Menschen gibt, ist es nicht schwer, auch die Namen aller Schafe auswendig zu wissen. Und die dazugehörigen Schafsgesichter zu kennen.

»Ausgerechnet Schnucki«, sagte meine Großmutter. »Nee, nee. Traurig ist das. Richtig traurig.«

Es ist wohl unnötig zu erwähnen, dass ich einen Fall witterte. Leider witterte meine Großmutter, dass ich einen Fall witterte. Und bei ihr ist »wittern« ganz wörtlich zu verstehen: Sie zuckte mit der Nase wie ein Hase und ruckte dabei mit dem Kopf hin und her wie ein aufgescheuchtes Huhn. »Harald! Hätt’ ich dir das bloß nicht erzählt! Du denkst doch wohl nicht, dass wäre ein …«

Ich vermute mal, dass der Satz mit »… Fall für dich« weiterging, aber ich kann es nicht mit Sicherheit sagen. Denn ich war längst zur Haustür gestürzt.

»Setz wenigstens den albernen Hut ab!«, brüllte meine Großmutter mir hinterher.

Doch ich saß schon auf dem Fahrrad, den Fahrtwind in den Ohren und ein Ziel vor Augen: die Schäferei Jansen, wo ganz sicher mein erster richtiger Fall auf mich wartete.

Kapitel 2In dem ich drei Jansens befrage, auf einen stinkenden Misthaufen steige und erfahre, dass nicht nur ich nach Schnucki MäcGaffin suche.

Ich trat ordentlich in die Pedale. Wie fast immer hatte ich Gegenwind. Außerdem geriet mein Mantel von Zeit zu Zeit in die Speichen. Um ihn wieder herauszuziehen, musste ich jedes Mal kurz freihändig fahren, denn mit der anderen Hand hielt ich bereits meinen Hut fest, der mir sonst vom Kopf geweht worden wäre. Oma hat recht, dachte ich, ohne Mantel und Hut würde das besser gehen.

Aber meine Großmutter war ja nicht aus praktischen Gründen gegen mein Detektiv-Outfit. Es war ihr einfach peinlich. Und irgendwie konnte ich sie sogar verstehen. Ich passte in dieses Nordsee-Kaff wie eine Chilischote auf eine Schwarzwälder Kirschtorte. Ein Detektiv gehört in den Großstadtdschungel mit gefährlichen Gangstern, dunklen Spelunken und zwielichtigen Gestalten.

Das Blöken der Schafe riss mich aus meinen Überlegungen. Ich ließ den Blick über den Deich schweifen. Ja, da waren Emma und Lotta und Marcus der Erste und Marcus der Zweite. Es stimmte: Schnucki MäcGaffin war nirgends zu entdecken. Sonst war mir das Schaf immer schon von Weitem aufgefallen, weil es seine großen Ohren aufstellte, sobald jemand den Deich entlangfuhr. Täuschte ich mich, oder wirkten die Schafe beunruhigt? Das war schwer zu sagen, denn in den letzten Wochen schienen die Schafe ständig beunruhigt zu sein. Die Leute im Ort glaubten, das liege an dem roten Leuchten, das neuerdings vom Deich aus am Horizont zu sehen war. Vielleicht hatten sie recht. Vielleicht auch nicht.

 

Ich erreichte den Hof der Schäferin. Oberflächlich betrachtet, machte alles einen ganz normalen Eindruck. Fliegen sausten durch die Luft. Der Schäferhund Herr Schäfer lag vor seiner Hütte und döste vor sich hin. Als ich mein Fahrrad abstellte, öffnete er kurz das rechte Auge und stellte das linke Ohr auf. Aber er kam wohl zu dem Schluss, dass ich kein Schaf war. Und auch niemand, der gerne Schafe zum Mittagessen verspeist.

Ich fand die Schäferin Frau Jansen in der Küche, wo es nach Kaffee, Zucker und Schaf roch. Mir wurde schlecht. Als ich klein war, hatte Frau Jansen mir mal ein Zuckerbrot angeboten, das ich damals dummerweise annahm. Das Zuckerbrot schmeckte kaum nach Zucker oder Brot, sondern hauptsächlich nach Schaf. Um sie nicht zu beleidigen, musste ich es komplett aufessen. Stellt euch einfach vor, ihr würdet ein in Zucker und Butter gewälztes Schaf abschlecken. Genauso schmeckte das.

»Harald«, rief Frau Jansen jetzt und trocknete sich die Hände an einem rot karierten Handtuch ab. »Schön, dass du mal wieder vorbeikommst! Willst du ein Zuckerbro…«

»Ich bin wegen Schnucki MäcGaffin hier!«, rief ich schnell dazwischen.

»Oh.« Frau Jansen knetete das Handtuch. Sie wirkte plötzlich sehr müde. »Was soll denn mit Schnucki sein?«, fragte sie betont beiläufig.

Ich holte meinen Notizblock und meinen Kugelschreiber aus der Innentasche meines Mantels. »Ich wüsste gerne, wann Sie das Verschwinden des Schafs bemerkt haben.«

In Frau Jansens Gesicht bildeten sich rote Flecken, die farblich sehr gut zu dem Handtuch passten. »Verschwinden? Warum denn Verschwinden? Ich weiß gar nicht, was du meinst!«

Ich räusperte mich vielsagend, eine altbewährte Detektivtechnik, um Zeugen zu verunsichern. »Ich habe gehört, der Aufenthaltsort von Schnucki MäcGaffin sei zurzeit unbekannt.«

»Ach so, das meinst du!«, rief Frau Jansen und machte eine wegwerfende Handbewegung. Dabei ließ sie das Handtuch aus Versehen los. Ich konnte mich gerade noch darunter wegducken. »Huch! Entschuldige, Harald, ich wollte dich nicht treffen.«

»Kein Problem.« Ich bückte mich nach dem Handtuch. Dabei fiel mein Blick auf einen Korb mit Altpapier. Obenauf lag ein langer weißer Umschlag. Fleischverarbeitungsbetrieb Gammlich war als Absender darauf gedruckt, Ruckelnser Landstraße 23 a, 25111 Humbug.

»Harald?«, hörte ich Frau Jansen sagen. »Kommst du nicht mehr hoch?«

Schnell richtete ich mich auf und gab Frau Jansen das feuchte Handtuch. »Um noch mal auf Schnucki MäcGaffins Verschwinden einzugehen …«

»Das Schaf ist nicht verschwunden! Es ist auf Borkum.« Sie fing an, eine blau-weiß getupfte Tasse abzutrocknen.

»Borkum? Die Nordseeinsel?« Ich schrieb das in meinen Notizblock und setzte ein großes Fragezeichen dahinter. »Und warum ist Schnucki dort?«

»Ähm … es musste mal raus, unser MäcGaffilein! Zur … Erholung.«

Ich notierte auch das. »Aha. Von was genau muss das Schaf sich denn erholen?«

Frau Jansen bearbeitete mit dem Handtuch die Tasse, als wollte sie die weißen Punkte von ihr abreiben. »Na ja, die Schafe stehen ja tagein, tagaus auf dem Deich, und das Scheren des Fells ist auch stressig für sie und …«

»Und was macht Schnucki auf Borkum, um sich zu erholen? Inselrundfahrten? Wassergymnastik? Seidenmalkurse?«

»Öhm … es wird dort wohl auf dem Deich stehen und Gras fressen, denk ich mal. Aber die Luftveränderung ist das Entscheidende. Und die Grasveränderung. Schnucki gehört ja zu einer schottischen Schafrasse, und hier bei uns auf dem Festland fehlt ihm das Inselgras. Auf Baltrum gibt es das natürlich.«

»Auf Baltrum?«

»Ja, wie ich schon sagte: Schnucki ist auf Baltrum.«

»Nicht auf Borkum?«

»Borkum? Wie kommst du denn da drauf?« Frau Jansen stellte die Tasse mit einem Knall ins Regal. »Aber warum erzähl ich dir das eigentlich alles? Du willst ja sicher Wiebke besuchen, nä?«

»Wiebke? Nein!« Jetzt war ich derjenige, der rote Flecken im Gesicht bekam. Jedenfalls fühlte es sich so an. »Äh, nein«, wiederholte ich mit tiefer Stimme. Ein Detektiv darf nicht die Fassung verlieren, und wenn er sie doch verliert, muss er so tun, als hätte er sie noch. Das ist meine Detektiv-Regel Nummer 2.

Ich atmete tief durch. Wiebke. Wiebke Jansen: rote Locken, geformt wie Spirelli-Nudeln, Augen so blau wie Schlumpfeis, Sommersprossen einmal quer über die Nase und ein scharfer Verstand. Wäre ich romantisch veranlagt, hätte ich mich schon im Kindergarten in sie verknallt. Aber das war natürlich nicht der Fall.

»Für Wiebke habe ich heute leider keine Zeit«, teilte ich Frau Jansen mit. »Ich würde mir gerne mal Schnucki MäcGaffins Platz im Stall ansehen, wenn es Sie nicht stört.«

»Dafür habe ich leider keine Zeit, Harald. Die Arbeit ruft. Ich muss jetzt den Abwasch fertig machen und dann auf den Deich, nach den Schafen schauen.« Sie drängte mich zur Tür und schob mich hinaus. »Tschü-hüs, Harald!«

Sobald ich draußen war, knallte sie die Tür hinter mir zu. Mir schien, das war ein waschechter Rauswurf.

Ich nahm es ihr nicht übel.

Aber ich fuhr auch nicht nach Hause.

Ich legte mich im Straßengraben vor Jansens Hof auf die Lauer.

Ein paar Minuten später kam Frau Jansen aus dem Haus. Sie führte Herrn Schäfer an der Leine. Der Hund zuckte kurz mit der Nase, als die beiden an meinem Versteck vorbeigingen. Ich zog den Kopf ein.

Sobald Frau Jansen und Herr Schäfer nicht mehr zu sehen waren, schlich ich mich um das Haus herum zum Schafstall. Ich sondierte kurz die Lage, fand mich unbeobachtet und ging hinein.

Der Stall war leer und roch nach Schaf. Es gab jede Menge Stroh. Neben der Stalltür entdeckte ich einen Fressnapf. Der Größe nach zu urteilen, musste er einer Katze oder einem Hund gehören. Ich kniete mich davor und roch daran. Aha: Das war unverkennbar der strenge Geruch von Katzenfutter.

Ich schaute mich weiter um. In einer Ecke stand ein Pappkarton. Um den Inhalt zu untersuchen, zog ich die gelben Putzhandschuhe über, die ich stets bei mir führe. Meine Detektiv-Regel Nummer 3 lautet nämlich: Hinterlasse bei den Ermittlungen keine Fingerabdrücke. Vorsichtig öffnete ich den Karton. Er war voller Dosen. Obenauf lag eine Karte aus dickem cremefarbenem Papier. In geschwungenen Buchstaben war darauf geschrieben: Eine kleine Kostprobe aus unserem Sortiment. Mit den besten Empfehlungen, Ihr Gustav Gammlich.

Ich nahm eine der Dosen heraus. Sie machte ein rasselndes Geräusch. Seltsam. So klangen Konserven normalerweise nicht. Die Dose war mit einem golden glänzenden Etikett versehen, auf dem ein schwarzer Katzenkopf mit strahlend roten Augen prangte. Kitty Glitter stand darauf.

»Moin, Harald!«, ertönte hinter mir plötzlich eine Stimme.

Ich wollte sofort vor Schreck einfrieren. Vorher ließ ich noch schnell die Karte und die Dose in meine Manteltasche gleiten. Dann fror ich ein.

»Hab ich dich erschreckt?«

Diese Stimme kam mir bekannt vor.

Ich drehte mich um.

In der Stalltür stand Wiebke.

»Nein«, sagte ich, »mich erschreckt nichts. Gefahr ist mein Geschäft.« Ich spürte, wie meine Oberlippe zitterte.

»Ach so.« Wiebke lächelte. »Und warum trägst du Putzhandschuhe? Willst du den Stall schrubben?«

Ich streifte die Handschuhe ab und räusperte mich. »Wiebke, ich bin tatsächlich hier, um euch zu helfen. Mir ist zu Ohren gekommen, dass Schnucki MäcGaffin verschwunden ist.«

»Verschwunden? Ja, das dachten wir bis heute Vormittag auch. Aber dann ist meiner Mutter plötzlich wieder eingefallen, dass sie Schnucki nach Amrum geschickt hat.« Wiebke sah mich mit großen blauen Augen an.

Mein Herz wurde warm. Reiß dich zusammen!, sagte ich mir. Jeder ist verdächtig. Das war meine Detektiv-Regel Nummer 4.

»Aha«, murmelte ich, »nach Amrum. Das widerspricht allerdings der Aussage, die deine Mutter mir gegenüber gemacht hat. Sie gab an, das Schaf befinde sich auf Baltrum.«

Wiebkes Haut wurde unter den Sommersprossen rot, was sehr süß aussah. Nein, korrigierte ich mich, natürlich nicht süß. Verdächtig. »Wieso denn Baltrum? Ich bin mir ganz sicher, dass meine Mutter Amrum gesagt hat.«

»Sie verwickelt sich in Widersprüche«, stellte ich fest.

»Widersprüche? Wie redest du denn über meine Mutter?« Wiebke stemmte die Hände in die Seiten. »Sie ist doch keine Kriminelle oder so was.«

»Beim aktuellen Stand der Ermittlungen kann ich nichts ausschließen.«

»Du spinnst.«

»Du möchtest mich also nicht beauftragen, nach dem Schaf zu suchen?«, fragte ich.

Wiebke schnaubte. »Nein, das will ich nicht. Weil Schnucki nämlich auf Amrum ist. Hab ich dir doch schon gesagt.« Sie zog eine ihrer Locken lang und ließ sie los. Die Locke sprang zurück wie ein Gummiband.

»Bist du sicher?«, hakte ich nach. »Mir scheint, mit dem Schaf stimmt etwas nicht.«

»Und woher willst du das wissen?«

Ich zuckte mit den Achseln. »Das sagt mir mein Detektiv-Instinkt.«

Wiebke lachte nervös. Oder genervt, das war nicht ganz klar zu unterscheiden. »Da liegt dein Deppektiv-Instinkt aber ziemlich falsch, Sherlock Hohl. Und ich muss jetzt den Stall ausmisten. Das sagt mir mein Instinkt.« Sie zeigte auf ihre Nase.

»Verstehe.« Zum zweiten Mal an diesem Tag wurde ich hinausgeworfen. Ich tippte zum Abschied an meinen Hut, drehte mich um und ging.

 

Als ich schon fast vom Gelände der Jansens herunter war, fiel mein Blick auf den Misthaufen. Ganz oben thronte ein zusammengeknülltes graues Papier. Zugegeben: Ich zögerte. Konnte das wichtig sein? Wichtig genug, um dafür auf einen Misthaufen zu steigen? Höchstwahrscheinlich nicht. Andererseits: Alles ist wichtig, bevor es sich als unwichtig herausgestellt hat. Meine Detektiv-Regel Nummer 5. Also legte ich den Mantel ab, zog Schuhe und Socken aus, krempelte die Hosenbeine hoch und stieg auf den Haufen.

Sofort sank ich bis zu den Waden in die warme Masse ein. Es roch übel. Aus der Hosentasche holte ich die rote Wäscheklammer, die ich für solche Fälle immer dabeihabe. Meine Detektiv-Regel Nummer 6 lautet nämlich: Ein Detektiv sollte stets eine Wäscheklammer mit sich führen, denn er muss seine Nase unter Umständen in übel riechende Angelegenheiten stecken.

Zum Glück war der Haufen recht niedrig. Schritt für Schritt watete ich durch den Mist, dann kam ich an das Papier heran. Es handelte sich um eine Seite aus einer Zeitung. Vorsichtig entfaltete ich sie. Vor Überraschung ging mir beinahe der Hut hoch. In der Mitte der Seite befand sich ein Foto.

Das Foto zeigte Schnucki MäcGaffin. An den großen Schlappohren war das Schaf zweifelsfrei zu erkennen. Es blickte gehetzt in die Kamera. Seine Augen waren riesig. Um den Hals trug es einen herzförmigen Anhänger.

Ein Schaf beim Fleischer

Humbug. Ein mäh-rkwürdiger Einbrecher wurde in der Nacht von Montag auf Dienstag beim Fleischverarbeitungsbetrieb Gammlich beobachtet: ein Schaf. Wachmann Norbert B. berichtet: »Ich mache immer zur vollen Stunde einen Rundgang. Gestern Nacht um vier Uhr auch. Dabei hörte ich plötzlich seltsame Geräusche. Na ja, und dann habe ich es entdeckt.«

Mit der Taschenlampe leuchtete der 56-Jährige einem Schaf ins Gesicht! Laut blökend schlich das Tier um die riesige Katzenstatue herum, die auf dem Gelände für das Kitty-Glitter-Katzenfutter wirbt.

»Es hat große Schlappohren«, schildert Norbert B. das Tier, »ich habe gleich mit dem Handy ein Foto gemacht. Die Geschichte glaubt einem ja sonst keiner.«

Als der Wachmann die Verfolgung aufnahm, lief das Schaf panisch davon und entkam.

Fabrikbesitzer Gustav Gammlich kommentiert: »Wir stehen vor einem Rätsel.« Er betont, dass es sich um ein fremdes Tier handele, das nichts mit der Produktion auf dem Werksgelände zu tun habe.

Bei Redaktionsschluss war das Schaf nach wie vor flüchtig. Achtung: Es besteht Verdacht auf Tollwut. Sachdienliche Hinweise richten Sie bitte an unsere Redaktion oder an die örtliche Polizei.

Ich kombinierte: Schnucki MäcGaffin hatte sich also in der Nacht von Montag auf Dienstag in Humbug aufgehalten. Heute war Mittwoch. Ob Schnucki sich noch immer in Humbug befand, war unklar. Klar war nur eins: Mein Detektiv-Instinkt hatte mich nicht getäuscht. Schnucki steckte nicht auf Borkum, Baltrum oder Amrum, sondern in Schwierigkeiten. Wo war das Schaf da nur hineingeraten? Kitty Glitter und Gammlich – auf diese beiden Namen war ich im kurzen Verlauf der Ermittlungen jetzt schon mehrmals gestoßen. Das konnte kein Zufall sein.

Ich sah mir die Zeitungsseite genauer an. Sie stammte aus dem Humbuger Boten. Das an sich war schon interessant, denn bei uns im Ort gab es diese Zeitung gar nicht zu kaufen. Es war eine aktuelle Ausgabe; sie musste demnach heute von jemandem aus Humbug mitgebracht worden sein.

»Mo-oin, Harald! Was machst du denn in unserem Misthaufen?«

Ich zuckte zusammen und bemerkte, dass ich inzwischen bis zu den Knien in der braunen Masse stand. Schnell steckte ich die Zeitungsseite ein und watete zurück.

»Harald! Mo-oin!«

Aus dem kleinen roten Gebäude hinter dem Mist winkte mir Wiebkes Oma zu.

»Moin, Frau Jansen.«

»Harald! Komm doch mal rüber, wenn du aus dem Misthaufen raus bist!«

Ich ging zu ihr. Sie war eine sehr kleine Frau, kleiner als ich, und hatte die gleichen Locken wie Wiebke, nur in Weiß statt Rot. Aus dem Haus drangen Wortfetzen und Musik. Da lief wohl der Fernseher. Es klang nach Werbung.

»Was hast du denn da auf unserem Mist gesucht, Harald?«

»Äh … nichts«, sagte ich mit näselnder Stimme. Schnell nahm ich die Wäscheklammer von der Nase. »Ähm … gar nichts hab ich da gesucht.«

Wiebkes Oma schaute mich skeptisch an. Zu Recht. Wer stieg schon wegen nichts auf einen Misthaufen? Ich beschloss, in die Offensive zu gehen. »Frau Jansen, ich will ehrlich mit Ihnen sein. Ich suche das verschwundene Schaf Schnucki MäcGaffin.«

»Du suchst nach Schnucki? Auf dem Misthaufen?« Wiebkes Oma wurde blass. Ihre Locken zitterten. »Aber das Schaf ist doch gar nicht verschwunden. Das dachten wir nur. Vorhin ist es meiner Schwiegertochter dann wieder eingefallen: Schnucki ist …«

»Ja, ja, ich weiß: auf Amrum, Borkum und Baltrum. Es macht Insel-Hopping, wenn ich das richtig verstanden habe.«

»Insel-Hopsen? Was soll das denn sein?«

»Na, wenn man im Urlaub von einer Insel zur anderen reist. So wie Schnucki MäcGaffin offenbar.«

Wiebkes Oma strahlte. »Ach so, das meinst du! Ja, genau, Schnucki macht Insel-Hopsen. Du brauchst das Schaf also nicht zu suchen. Es ist bloß weggefahren. Das habe ich heute Vormittag auch der eleganten jungen Frau mit den blonden Haaren gesagt.«

»Elegante junge Frau mit blonden Haaren? Hat die nach Schnucki MäcGaffin gefragt?«

Oma Jansen nickte. »Sie hat gefragt, ob Schnucki MäcGaffin zu Hause ist. Sehr höflich war die. Und sehr besorgt um das Schaf.«

Aus der Wohnung kam dramatische Musik.

»Oh, es geht weiter!«, rief Oma Jansen aufgeregt.

»Was schauen Sie denn?«

»Doktor Doktor Wischers Sprechstunde. Eine ganz tolle Sendung, sage ich dir. Dieser Doktor Doktor Wischer befreit jede Woche jemanden von einer Sucht, und alles nur mit Hypnose!« Plötzlich wirkte sie traurig. »Tja, sonst hat Schnucki ab und zu seinen Kopf bei mir zum Fenster reingesteckt, wenn ich ferngesehen habe. Dann habe ich ihm jedes Mal eine Karotte gegeben. Weil es nun mal mein Lieblingsschaf ist. Und Wiebkes auch.«

Mir kam ein Gedanke. »Trägt das Tier deshalb diesen Herzanhänger? So was haben die anderen Schafe nicht, oder?«

Oma Jansen seufzte. »Ja, den hat Wiebke ihm geschenkt. Da steht sein Name drauf und unsere Adresse. Armes Schnucki.«

»Aber Frau Jansen«, sagte ich, »das ist doch kein Grund zur Traurigkeit. Schnucki macht doch bloß Insel-Hopsen und ist bald wieder zurück, oder?«

»Ach ja, ja, natürlich! Tschüs dann, Harald. War nett, mit dir zu schnacken, nä!«

Sie schlug mir die Tür vor der Nase zu.

Interessant, dachte ich. Ich hatte mit drei Jansens gesprochen. Und jede von ihnen hatte versucht, mich von der Suche nach Schnucki MäcGaffin abzubringen.

In einem Trog mit eiskaltem Wasser wusch ich mir die Beine und Füße, streifte meinen Mantel über, schwang mich auf mein Fahrrad und fuhr los.