Gefährliche Gefährtin - S. Pomej - E-Book

Gefährliche Gefährtin E-Book

S. Pomej

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Beschreibung

Die unverhoffte Begegnung mit einer verstörten jungen Frau, die seine Hilfe erfleht, reißt Jonas aus seinem Journalisten-Alltag. Kurzentschlossen nimmt er sie mit nach Hause, worauf sein Chef, der ihn unbedingt als Betriebsspion bei einem Konkurrenzblatt einschleusen will, Zweifel an den ehrlichen Absichten der Unbekannten schürt. Tatsächlich stellt sich bald deren Gefährlichkeit heraus, die jedoch nichts mit ihrem Charakter zu tun haben scheint. Bald überstürzen sich die Ereignisse, jemand trachtet ihr nach dem Leben...

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"Vergiss Sicherheit. Lebe, wo du fürchtest zu leben. Zerstöre deinen Ruf. Sei berüchtigt." - Rumi, persischer Dichter, 1207-1273

Inhaltsverzeichnis

Vorwort

Ein unmoralisches Angebot

Wiener Brut

Herz über Kopf

Enthüllung

Black Lady

Das Verhör

Frühstück bei einem Millionär

High Noon

In der Höhle des Löwen

Bei Freunden und Helfern

Die lange Nacht

Unglaublich, aber wahr

Heiße Versuchung

Wahrheit oder Pflicht

Die Nacht der Nächte

Endstation Sehnsucht

Vorwort

Täglich spielen sich Dramen ab, deren Ausmaß zu gering für eine Zeitungsmeldung ist, oder so groß, dass sie von gewichtigen Personen unterdrückt werden. Mancher Bericht, der sich nur als Zweizeiler in die Tageszeitung verirrt, ist spannend und lässt auf eine ausführlichere Fortsetzung hoffen, die jedoch nicht erfolgt. Meist aus denselben Gründen.

Die folgende Story hätte in jeder Zeitung unter dem Titel Einbruch in Forschungslabor erscheinen können.

Tat sie aber nicht...

1. Ein unmoralisches Angebot

In dem Labor herrschte ein Chaos, das den Betrachter annehmen ließ, ein wütendes Versuchstier hätte auf seiner kopflosen Flucht viel Schaden verursacht. Zerbrochene Phiolen, Glasstreifen und Petrischalen lagen auf dem Boden verstreut herum, farbige Flüssigkeiten zerliefen ineinander und bildeten eine bunte Lache fast wie das gewollte Schüttbild eines Künstlers, ein Mikroskop steckte wenig dekorativ in einer zersplitterten Milchglasscheibe an der Wand, überdies verpestete ein scharfer Geruch die Luft - kurzum: ein Schreckensszenario wie nach einem Bombeneinschlag. Dazwischen bewegten sich zwei Männer in dunklen Anzügen vorsichtig herum, immer bedacht darauf, nirgends hineinzutreten, dennoch knirschten leise unter ihren Schuhsohlen Glasscherben. Ihre Mienen zeigten eine Mischung aus Wut und Ekel. Der Ältere der beiden wischte sich mit einem Papiertaschentuch über die Stirne und räusperte sich, bevor er zu sprechen begann.

"Das kleine Biest hat sich hier gründlich ausgetobt."

"Könnte man auch als kreatives Chaos bezeichnen."

"Lass deine Ironie, Brugge. Konntest du sie orten?"

"Sicher, sie bewegt sich mit hohem Tempo Richtung Innenstadt.

Vermutlich in der U-Bahn, da sie ja kein Auto hat."

"Wenn ich daran denke, dass diese kleine Kanaille in ihrem Bewerbungsbrief schrieb, sie hoffe, ein nützliches Mitglied unserer Gemeinschaft zu werden..."

"Aber Boss, in dem Wort Gemeinschaft steckt doch schon das Wort gemein drin. Sie hat also auch Sinn für Ironie. Ich war ja gleich dagegen sie einzustellen, schon weil sie denselben Namen wie der bissige Hund meiner Schwester hat. Doch Sie wollten ja nicht auf mich hören!"

Dafür fing sich der Jüngere einen bösen Blick ein.

"Tschuldigung..."

"Anzunehmen, dass sie auch die Daten kopiert hat."

"Das glaub ich weniger, dazu ist sie zu jung und zu blöd."

Erneut traf ein böser Blick Brugge.

"Unterschätze nie deinen Gegner, auch wenn er noch jung ist! Das bist du ja selbst!"

"Wenn ich den Schaden angerichtet hätte, wäre mein Smartphone längst aus!"

Beifälliges Nicken. "Also schalte sie aus, bevor sie ihr Handy ausschaltet!"

"Mit Vergnügen!"

Weit davon entfernt harrte Jonas am runden Tisch im Besprechungszimmer der Ankunft seines Chefredakteurs.

Dieser hatte ihm schon vorgestern angekündigt, dass er ihn heute wegen einer heiklen Sache zu sprechen wünscht.

Puh, dachte Jonas, das wird wieder eines dieser unangenehmen Vier-Augen-Gespräche, nur muss ich zuerst die übliche Redaktionssitzung überstehen, die sich immer so anfühlt, als sitzt man auf einem Fakirbett mit zu vielen Nägeln drin.

"Wenn Riasek die Redaktion betritt, stöhnen die Mauern auf, wenn er spricht, löst sich Verputz von den Wänden", scherzte Kollege Richard Peckinger, der neben ihm saß.

"Hast du heute wieder deinen lyrischen Tag, Ritschi? Werde doch Schriftsteller", schlug ihm Jonas vor, wobei er sich seinen blauen Hemdkragen etwas aufknöpfte.

"Wo unser verkommenes Schulsystem nur noch Analphabeten züchtet?", schüttelte dieser energisch sein Haupt. "Da kann ich jetzt im Winter nicht einmal die Heizkosten von den Tantiemen bestreiten. Nein, Johnny, ich bleib lieber bei dem Verbreiten von Fakten, die ich manchmal ein bissl ausschmücke."

Der Eintritt des Chefredakteurs stoppte den Beginn einer weiteren sozialkritischen Betrachtung. Anfangs war es etwas schwierig mit ihm, danach die Hölle. Der Alte und die Küchenschaben werden einmal den 3.

Weltkrieg überleben, sagte Jonas oft zu Freunden.

Der unbeliebte Vorgesetzte, ein Choleriker namens Riasek, nahm am Kopfende des langen Tisches Platz und wollte die Redaktionssitzung mit einem Witz eröffnen: "Also der beste Ort, um hierorts ein Geheimnis zu verstecken, ist die Leserbriefseite von 'Die Presse am Sonntag'."

Wie so oft lachten nur einige, die sich von seiner Gnade abhängig fühlten, darunter auch Jonas eher gequält. Kollegin Ilona Kwonka wieherte pflichtgemäß und Kollege Josef Teleschko schnaubte vergnügt. Nach der Besprechung von redaktionellen Themen, den üblichen, eher verhaltenen Worten des Lobes und den harten Sätzen der Kritik wurde es still.

Riasek sah von einem zum andern Anwesenden, faltete die Hände, streckte unheilvoll die Zeigefinger aus, legte sie an seine Lippen, ehe er salbungsvoll verlauten ließ: "Jericho, ich habe einen Spezialauftrag für Sie! Die andern können alle wieder zügig an ihre Arbeit gehen!"

Das ließen sich diese nicht zweimal sagen und Kollegin Ilona wünschte ironisch noch "VIEL SPASS!", bevor sie hinaus stöckelte.

Nachdem er mit Jonas allein war, kam er gleich zur Sache: "Sie kennen ja unser Konkurrenzblatt, 'Die Presse'."

"Ja, die sind erfolgreicher als wir."

"Eine linke Zeitung!", sagte Riasek abfällig, während er sich über seinen Schmerbauch strich.

"Sind wir nicht auch links?", fragte Jonas verblüfft.

"Schon, aber alles mit Maß und Ziel, Freunderl! Wenn wir über 'Die Presse' reden, brauche ich Blutdruck senkende Mittel." Hemdsärmelig fuchtelte er herum, erinnerte dabei ein wenig an Rumpelstilzchen, knapp bevor es sich selbst in Stücke riss. "Da kommen SIE ins Spiel, mein Lieber. Sie könnten sich bei denen ein wenig umsehen, wenn Sie verstehen, was ich meine..."

Jonas verzog seine Lippen zur Parodie eines zuversichtlichen Lächelns, als er hörte, dass er für die Zeitungsmacher, denen er seine Arbeitskraft verschrieben hatte, nach einem spontanen Einfall des sich für genial haltenden Chefredakteurs bei der Konkurrenz spionieren sollte.

Das erinnerte ihn daran, was seine Oma bei solchen Gelegenheiten immer sagte: 'Lach einfach auf Kredit!

Irgendwas wird schon dabei rauskommen. Immerhin hast ja noch eigene Zähne!', wobei sie immer gleich vorbildhaft losprustete.

Unter vier Augen erklärte ihm Riasek haarklein, wie er sich seinen Einsatz so vorstellte und gab, als er Jonas' Widerstand spürte, dabei sogar Privates preis: "Ja, ja. Ich war auch schon mal in der Bredouille, und zwar als ich leider verheiratet war. Fast 13 Jahre lang - aber Kriegsjahre zählen bekanntlich doppelt -, eine wahre Unglückszahl. Man ist immer schuldig, zumindest mitschuldig. Hab' eh lange versucht, alles wieder gut zu machen.

Und ich habe ein Exemplar erwischt, das noch dazu total unverdaulich war."

"Ach was, sind Sie ein Kannibale, Chef?"

"Sie haben leicht lachen! Naja, eines Tages sagt meine Ex, sie kennt da einen Typ, mit dem sie nochmal von vorn anfangen möcht'. Ich dachte, es genügt vollkommen, wenn einer von uns sein Leben vergeigt und hab mich nur noch beruflich engagiert. Und siehe da - schwuppdiwupp - war ich auf einmal Chefredakteur! Sie sind doch solo, Jericho, kein Weib keift Sie blöd beim Heimkommen an und verhört Sie, wo Sie so lang gewesen sind, oder?"

"Nein. Höchstens meine Oma!"

"HAHAHA, Sie gefallen mir Jericho, immer von Humor beseelt und zu einem guten Witz fähig, bravo! Und ich bin mir sicher, dass Sie auch bei unserem Konkurrenten damit leicht Eindruck schinden und ihn für uns aushorchen können, ohne dass er es merkt!"

"Was soll ich denn dort ausspionieren?", stellte sich Jonas dumm.

"Leichen im Keller", schwärmte Riasek mit Glanz in den sich vergrößernden Pupillen. "Geheime Chats mit Politikern, Verstrickungen von Redakteuren oder lieben Redakteurinnen in Kuhhändel mit Lobbyisten, Korruption und Co. - das wären Schlagzeilen! Das blöde Gesicht vom eingebildeten Nowak möchte ich dann sehen, hähähäää!"

"Und wenn er mich fragt, warum ich von hier weg will, sage ich, mit Ihnen gäbe es kein Auskommen", zischte Jonas.

"Na, das wird er eher nicht glauben.

Sagen Sie besser, es gäbe kleine Diskrepanzen über die Frage Ihrer Leistung."

"Und das wird er eher glauben?"

"Ja, das hab ich im Urin, oder feiner ausgedrückt: meine Abwasseranalytik meldet mir Ihren bevorstehenden Erfolg!"

Naja, dachte sich Jonas, meine Neugier hat ja schon zu einigen einzigartigen Begegnungen geführt, hätte ich überdies noch so eine Abwasseranalytik installiert, wer weiß, was aus mir geworden wäre...

"Also, was ist?", riss ihn Riasek aus seinen Gedanken. "Kann ich mit Ihrem Spionage-Einsatz rechnen?"

"Jawohl, es bleibt mir ja nichts andres übrig", stimmte Jonas schweren Herzens zu. "Ich mache mich gleich an eine originelle Bewerbung samt Lebenslauf."

"Na also!" Riasek grinste zufrieden.

"Und vergessen Sie nicht, in dem Text fleißig Lobeshymnen auf das sich für elitär haltende Revolverblatt zu singen!"

2. Wiener Brut

Wien sah selten so aus wie es auf Ansichtskarten gezeigt wurde. Zäher Verkehr, vollgestopfte Kreuzungen und natürlich überall rote Ampeln, wie hasste Jonas die Stadt, wenn er es gerade eilig hatte. Nach der Nachricht über den heiklen Auftrag, brauchte er erst einmal eine kleine Aufmunterung und fuhr dazu mit dem Bus wieder in seine Wohnung, um dort ein wenig Promille zu tanken.

Kaum daheim schenkte sich Jonas einen Gin pur ein, um sich kurz selbst zu finden. Natürlich blieb es bei seinem Selbstfindungsprozess nicht nur bei dem einen Glas. Stunden später erwachte er im Bademantel, der Nacken tat ihm weh - wahrscheinlich wieder ein Nerv eingeklemmt -, zwischen Küchentisch und Hocker hängend. Auf seinem iPhone waren sieben Nachrichten von seiner Oma, die chronologisch immer unfreundlicher wurden, bis auf die Allerletzte. Da ging sie davon aus, dass ihm echt etwas ganz Schlimmes passiert sein musste, weil sonst… sie machte sich Sorgen.

Sein Gefühl der Ohnmacht wieder einmal alles falsch gemacht zu haben, war raumfüllend, er füllte das Ginglas erneut, besann sich allerdings rechtzeitig, es nicht auszutrinken und überlegte sich, mit welcher plausiblen Ausrede er seine Oma bedenken könnte, da er sich eine Woche nicht bei ihr gemeldet hatte. Er ließ die unterschiedlichen Szenarien seinen Kopf durchlaufen: 1. Autounfall! Der müsste aber sehr schwer gewesen sein und weder sein Auto noch er hatten sichtbare Verletzungen, vor allem, weil sein fahrbarer Untersatz noch in der Werkstatt stand. 2. Im Aufzug stecken geblieben, aber etliche Tage lang... unglaubwürdig. 3. Er sei verhaftet worden, weil??? Ausgeschlossen, denn für ihn hätte keiner Kaution hinterlegt, ging also auch nicht! Schließlich gewann die ebenfalls schwache Ausrede, dass ihn jemand ganz unabsichtlich im Keller eingesperrt hatte und sein Klopfen bis jetzt ungehört blieb. - Aber seine Oma hatte zu viel Lebenserfahrung und kannte ihn zu gut, als dass sie ihm das geglaubt hätte.

Er verflüssigte diese Erkenntnis mit einem großen Schluck Gin und dachte:

Es heißt, wer es nicht schafft loszulassen, versucht mit Trinken diesen Zustand zu verflüssigen. Es ist nicht Wasser oder Tee gemeint, es funktioniert nur mit Alkohol. Also prost!

Nach einem Glas voll Promille gab er sich einen Ruck und rief sie zurück, die eben dringend wissen wollte, was denn mit ihm los sei und spontan log er:

"Liebeskummer! Sie fehlt mir so! Sie fehlt mir so und ich will eigentlich nur bei ihr sein. Der Engländer nennt es 'frantic scramble'. Ich wollte mich schon entleiben, aber es gibt noch so viel zu erleben, so viele Schmerzen noch zu erleiden. Einer muss ja, … für die Sünden der Welt, du verstehst."

"Na Gott-sei-Dank", sagte sie erleichtert, "ich dachte schon, du hast berufliche Schwierigkeiten oder finanzielle, so wie ich, denn mein Zahnarzt hat mir nämlich die Summe eines BMWs abgeknöpft. Aber über deinen Rückfall in die Pubertät brauch ich mir keine Sorgen machen."

Hast du eine Ahnung, dachte er bedrückt, wenn du wüsstest, dass man mich eben zu einem Spion befördert hat, dann würdest du kein Auge vor Angst um mich zutun können.

"Also ist nichts los bei dir, Burli?"

"Kaum, außer, dass ich wieder mal vergessen habe, Kaffeefilter zu kaufen."

"Ich gebrauchte anstatt eines Kaffeefilters schon mal den Hochzeitsschleier meines alten Brautkleides", ätzte Oma.

"Ja, sowas hab ich leider nicht daheim."

"Na, dann heirate doch eine nette junge Frau", schlug sie vor.

"Nein danke, da kaufe ich mir lieber so eine Kapsel-Kaffeemaschine."

Schnell entschloss er sich zu einem Themenwechsel. "Und, was treibst du so, Oma?"

"Ich konnte gestern nicht schlafen und machte einen langen Spaziergang.

Dabei kam ich mit einigen verlorenen Seelen ins Gespräch. Man glaubt ja gar nicht, welche Geschichten mitten in der Nacht auf der Straße erzählt werden."

"Und die willst du mir jetzt nacherzählen?", fragte er ziemlich desinteressiert.

"Nein, wie kommst du da drauf?"

"Tja, also Oma, was wolltest du denn von mir?"

"Och nichts, wollte nur nachforschen, ob eh alles in Ordnung ist bei dir", bekannte sie fröhlich. "Und denk nimmer an die Tussi, die dir das Herz gebrochen hat."

"Bestimmt nicht, ich mache einen langen Spaziergang in der Natur, bis später, Oma!"

Im Prater suchten einige Leute gern mit Metalldetektoren nach alten Patronen aus dem zweiten Weltkrieg Am Donaukanal trieben sich neuerdings viele Magnetfischer herum, angelten verrostete Revolver, E-Bikes, Fahrräder und Einkäufswägen heraus, während in England aus der Themse sogar ein Toter in Handschellen auf diese Weise zum Vorschein geholt wurde.

Trotzdem, in Wien hat man nur zwei Wahlmöglichkeiten: sich entweder vom Stephans- oder vom Donauturm zu stürzen, überlegte sich Jonas, als er durch seine Heimatstadt spazierte. Da erblickte er eine alte Dame, die auf einen Stock gestützt die Schüttelstraße überqueren wollte. Sofort eilte er zu ihr.

"Darf ich Sie hinüber führen, gnä' Frau?"

Empört starrte sie ihn an wie einen Handtaschenräuber: "NEIN! Wollen Sie mir meine Hilflosigkeit demonstrieren?"

"Pardon, ich wollte Ihnen nur über die Straße helfen", entschuldigte er sich.

"DAS BRAUCHEN SIE NICHT!

Kaufen Sie sich einen Hund! Den können Sie führen!"

Voll Ingrimm entfernte er sich schnell, wobei sich ein innerer Dialog in seinem Gehirn entspann: Ach, wie gern hätte ich ein aufregendes Leben, so wie meine Kollegen in den USA. Stattdessen schaffe ich es nicht einmal, eine alte Dame über die Straße zu schleifen.

Bald würde er sich nach dem langweiligen Leben, das er zu führen glaubte, sehnen...

Daheim erlaubte er sich, sich einen Tee mit reichlich Rum zu genehmigen.

Schließlich hielt er es nicht länger aus, zückte sein iPhone und berichtete seiner Oma, seiner einzigen Vertrauensperson, dass er für seine Zeitung bei einer andern spionieren sollte und bereits eine Bewerbung abgesandt hat.

"Ja mein Gott", seufzte sie auf. "Wir müssen uns halt immer nach der Decke strecken! Erinnerst dich noch, wie du dich einmal beschwert hast, dass ich keinen Almdudler daheim hab? Da hab ich dir einen Tropfen 4711 in ein Glas Wasser gemischt und du hast gesagt, so einen guten Almdudler hast noch niemals nicht getrunken!"

Nun musste er herzhaft lachen.

"Oma, du bist eine Wucht!"

"Jaja, Burli, du musst nur ein bisserl erfindungsreich sein und einen Unternehmungsgeist haben, dann kriegst du den Auftrag schon hin und dein wohlverdientes Salär! Jetzt schau dir an, wie sich die Gesellschaft, Industrie, Lebensumstände in 2000 Jahren geändert und immer wieder angepasst hat. Und wie hat die Kirche darauf reagiert? Die Geistlichen haben ihr Tafelsilber geputzt und sitzen wie die Glucken auf ihren Reichtümern, ohne sich einen Millimeter zu bewegen, und lassen den Herrgott einen guten Mann sein. So musst du's auch machen."

"Na gut, Oma, ich melde mich wieder."

Wann ist eine Meldung eine Meldung - oder genauer ausgedrückt: Wann wird sie zu einer? Diese Frage muss sich ein guter Journalist immer wieder stellen.

Als solcher wusste Jonas noch aus seiner Zeit an der Uni: Kein Toter im Stadtpark ist erst dann eine Meldung, wenn sonst jeden Tag ein Toter im Stadtpark liegt. Außer man schreibt für ein Satireprojekt. Auf seiner Suche nach einer guten Story für seine Zeitung - so lange er noch bei dieser angestellt war -, stieß er auf dem Blog einer Labortechnikerin, den er gerne las, auf den Hinweis, dass sie ihren Arbeitsplatz total verwüstet vorgefunden hatte. Kurzentschlossen rief er sie an, die Telefonnummer fand er neben einer Adresse unter Kontakt auf dem übersichtlich gestalteten Blog.

"Schönen guten Tag, Frau Anna-Molly, mein Name ist Jonas Jericho von der Kleinen Zeitung", stellte er sich vor.

"Ich bin großer Fan Ihres Blogs Oraimlabora. Heute schreiben Sie etwas von Verwüstung, da dachte ich, wir könnten einen Artikel darüber schreiben."

Ihre Stimme klang von verpöntem Nikotin kratzig: "An und für sich wäre ich dafür, allerdings mein Arbeitgeber dagegen."

"Für wen arbeiten Sie eigentlich?

Das haben Sie bisher Ihren Fans und Followern verschwiegen."

"Aus gutem Grund, denn mein Arbeitgeber legt eher Wert darauf, in meinen Beschwerden über die teils schwierigen Arbeitsbedingungen im Labor nicht namentlich genannt zu werden."

"Ja, das glaub' ich schon, da Sie in einem Post auf Ihrem Blog beschrieben haben, auf der Waagschale für die Hirnmasse komischerweise Zellen von Geschlechtsorganen gefunden zu haben, oder so ähnlich", verwickelte er sie in ein längeres Gespräch.

"Hihi, so ähnlich war das", gab sie zu. "Da ist auch nichts dran erfunden.

Trotzdem kann ich dazu kein Interview geben."

"Waren Sie es etwa selbst, die ihm Frust über ungerechte Bezahlung weiblicher Angestellter die Einrichtung demoliert hat?", wagte er in scherzhaftem Unterton zu fragen.

"Sicher nicht! Ich für meinen Teil habe hoch gepokert und werde leistungsgerecht entlohnt", behauptete sie glaubwürdig.

"Und die Verwüstung ist jetzt beseitigt?"

"So ziemlich, nur die zerschlagene Fensterscheibe muss noch eingesetzt werden, sonst erfriere ich noch bei meiner Forschungstätigkeit."

"Und einen Wink, woran Sie forschen, können Sie mir auch nicht rüberwachsen lassen?" Hartnäckigkeit gehörte zu den gefragtesten Journalisten-Tugenden.

"Z! Halten Sie mich für total hirnlos?

Wer sagt mir, dass Sie nicht ein Spitzel meines Bosses sind?"

"Wir könnten uns doch persönlich zu einem kleinen Umtrunk treffen, dann zeige ich Ihnen meinen Presseausweis", sülzte er.

"Bedaure aufrichtig", lehnte sie ab.

"Ich bin ziemlich im Stress, aber danke für die Einladung."

"Wer hat von Einladung gesprochen?

Ich kann Sie berühmt machen, da müssten Sie mich doch auf Champagner und Kaviar einladen", versuchte er mit Humor zu punkten.

"Ha, ja sicher, ich fange schon mal mit dem Sparen an, tschüß!", beendete sie das Geplänkel.

Schade, dachte er betrübt, wo ich momentan keine Freundin habe, wäre ein geglückter Annäherungsversuch mir sehr willkommen gewesen, so muss ich leider meine lustvolle Triebbereitschaft weiterhin zügeln...

3. Herz über Kopf