Gefährten
Vom Seemonster beansprucht
Ellie King
Copyright © 2025 Ellie King
Alle Rechte vorbehalten.
Kein Teil dieses E-Books darf ohne vorherige schriftliche Genehmigung des Herausgebers in irgendeiner Form oder auf irgendeine Weise, elektronisch, mechanisch, durch Fotokopie, Aufzeichnung oder anderweitig, reproduziert, in einem Abrufsystem gespeichert oder übertragen werden.
Haftungsausschluss:
Die in diesem E-Book enthaltenen Geschichten sind fiktiv. Jede Ähnlichkeit mit tatsächlichen Personen, lebend oder tot, oder tatsächlichen Ereignissen ist rein zufällig. Der Autor und der Herausgeber lehnen jede Haftung für Verluste oder Schäden ab, die durch die Verwendung oder den Missbrauch der in diesem E-Book enthaltenen Informationen entstehen.
Entdecke das prickelnde Seemonster-Bundle: Erotische Gestaltwandler-Romance ab 18! Tauche ein in eine Welt voller sinnlicher Leidenschaft, mysteriöser Macht und gefährlicher Sehnsucht. In diesem exklusiven Bundle begegnen mutige Frauen den mächtigen Seemonster-Gestaltwandlern der Tiefe, die nur eines suchen: ihre wahre Gefährtin. Und wenn sie sie finden, lassen sie sie nie wieder gehen... Erlebe erotische Fantasy pur: Leidenschaftliche Begegnungen zwischen Mensch und Seemonster, dominante, beschützende Helden mit düsterem Geheimnis, fesselnde Geschichten rund um Liebe, Schicksal und Hingabe. Sinnliche Beschreibungen und explizite Szenen! Ob als Einzelband oder im Sammelpaket: Diese Gestaltwandler-Romance ist perfekt für alle, die Dark Romance und paranormale Erotik lieben. Lass dich vom Ruf des Ozeans verführen und finde heraus, was passiert, wenn das Wilde und Unergründliche auf die große Liebe trifft… Und lass dich von der Tiefe verschlingen!
Liebe Leserinnen und Leser,
von Herzen möchte ich mich bei euch bedanken! Eure Unterstützung bedeutet mir die Welt. Es ist ein unglaubliches Gefühl zu wissen, dass meine Geschichten euch in andere Welten entführen und eure Herzen berühren. Danke, dass ihr meine Bücher lest, weiterempfehlt und mir euer Feedback gebt. Es inspiriert mich jeden Tag aufs Neue und treibt mich an, weitere romantische Abenteuer für euch zu schreiben. Danke für eure Treue!
Kaelan
Der Duft von Zimtschnecken und billigem Parfüm hing schwer in der klimatisierten Luft der Mall. Samstag. Ich schob mich durch die Menge, vorbei an Teenagern, die aussahen, als wären sie direkt einem Modemagazin entsprungen, das ich mir nicht leisten konnte, und Müttern, die versuchten, ihre quengelnden Kinder mit Versprechungen von Eiscreme zu bestechen. Normalerweise mied ich diesen Ort wie die Pest, aber Notfälle erfordern verzweifelte Maßnahmen. Und Koffeinmangel war ein Notfall. Jeder Schritt auf den polierten Fliesen fühlte sich an, als würde ich durch einen Sumpf aus Konsumzwang und aufgesetzter Fröhlichkeit waten. Ich hasste Samstage in der Mall. Es war, als würde die gesamte Bevölkerung meiner Kleinstadt beschließen, genau diesen Ort zur selben Zeit heimzusuchen. Warum taten sich Menschen das freiwillig an? War es die Suche nach dem neuesten Schnäppchen, die sie antrieb, oder einfach die Angst, etwas zu verpassen? Für mich war es pure Notwendigkeit. Meine alte Kaffeemaschine, ein treuer Begleiter durch unzählige frühe Morgenstunden und lange Korrekturabende, hatte gestern mit einem dramatischen Zischen und einer kleinen Rauchwolke ihren Dienst quittiert. Ein wahrhaft tragischer Verlust für jemanden, dessen Blutgruppe wahrscheinlich eher Arabica als AB positiv war. Ich war eigentlich eine Frau der einfachen Freuden. Ein gutes Buch, eine Tasse starker Kaffee – ironischerweise –, ein ruhiger Abend. Dieses ständige Gemurmel tausender Gespräche war das genaue Gegenteil von dem, was ich unter Entspannung verstand. Mein Blick wanderte über die Auslagen der Geschäfte. Kleidung, die nach einer Saison aus der Mode kam, Technik-Gadgets, die in einem Jahr veraltet sein würden, und Schmuck, der mehr kostete als meine Monatsmiete. Ich seufzte innerlich. Konnte nicht einfach jemand eine anständige Kaffeemaschine per Drohne direkt in meine Küche liefern? Die Menge schien immer dichter zu werden. Ich musste einem Mann ausweichen, der so sehr in sein Handy vertieft war, dass er beinahe mit mir kollidiert wäre, und sprang dann zur Seite, um einer Gruppe kichernder Mädchen Platz zu machen, die Arm in Arm den gesamten Gang blockierten. Ihre Outfits waren perfekt aufeinander abgestimmt, ihre Haare glänzten, und sie versprühten diesen Hauch von jugendlicher Unbesiegbarkeit, den ich manchmal bei meinen Schülern beobachtete und der mich gleichzeitig amüsierte und ein wenig wehmütig stimmte. Wann hatte ich das letzte Mal so unbeschwert gekichert? Wahrscheinlich in der High School. Endlich, da vorne, das ersehnte Ziel: »Haushaltswaren Huber«, ein Laden, der so bieder klang, wie er wahrscheinlich auch war. Aber sie hatten Kaffeemaschinen, und das war alles, was zählte. Ich beschleunigte meine Schritte und meine Vorfreude auf frisch gebrühten Kaffee wuchs mit jedem Meter. Nur noch ein paar Läden. Ein Schuhgeschäft mit schwindelerregend hohen Absätzen, eine Parfümerie, aus der eine Wolke verschiedenster Düfte drang, die sich unangenehm mit dem Zimtgeruch der nahen Bäckerei vermischte. Ich hatte den Laden für Haushaltswaren fast erreicht, als mich ein Gefühl traf wie eine plötzliche Welle – kalt, prickelnd und seltsam vertraut. Es war, als hätte jemand ein Fenster zum Ozean geöffnet, mitten in diesem stickigen Einkaufszentrum. Ich blieb stehen und blickte mich verwirrt um. Die Luft um mich herum schien sich zu verändern, dünner zu werden, und dieser unverkennbare Geruch von Salz und Meer stieg mir in die Nase, so real, dass ich fast das Rauschen von Wellen hören konnte. Meine Nackenhaare stellten sich auf. Das war absurd. Ohio lag Hunderte von Meilen vom nächsten Ozean entfernt. Niemand schien etwas bemerkt zu haben. Die Leute strömten weiter an mir vorbei, lachten, redeten, kauften ein. Nur ich stand da, wie angewurzelt, die Nackenhaare aufgestellt, und atmete den imaginären Duft von Salz und Seetang ein. Verrückt. Vielleicht brauchte ich doch mehr als nur Kaffee. Vielleicht brauchte ich einen Therapeuten. Oder zumindest einen langen Urlaub. Weit weg. Am Meer. Ich schüttelte leicht den Kopf und versuchte, mich wieder zu sammeln. Das musste der Stress sein. Die viele Arbeit in der Schule, die Korrekturen, die anstrengenden Elterngespräche. Ja, das war es. Ich war einfach überarbeitet. Trotzdem konnte ich dieses seltsame Gefühl nicht abschütteln, diese plötzliche, unerklärliche Präsenz mitten in dieser sterilen, künstlichen Umgebung. Mein Herz begann ein wenig schneller zu schlagen, nicht unbedingt aus Angst, eher aus einer seltsamen Form der Erwartung. Was ging hier vor? Dann sah ich ihn. Er stand nur wenige Meter entfernt, vor dem Schaufenster eines Juweliers, und betrachtete die glitzernden Auslagen. Aber er schien sie nicht wirklich zu sehen. Sein Blick war nach innen gerichtet, konzentriert, als würde er auf etwas lauschen, das nur er hören konnte. Er war groß, definitiv über einsneunzig, mit breiten Schultern, die sich unter einem einfachen, dunkelblauen T-Shirt abzeichneten. Seine Jeans waren abgewetzt, an den Knien fast durchgescheuert, seine Füße steckten in robusten Stiefeln, die aussahen, als hätten sie schon einige Meilen hinter sich und unzählige Geschichten zu erzählen. Das Merkwürdigste aber waren seine Haare – ein tiefes, fast schwarzes Blau, das im künstlichen Licht der Mall schimmerte. Es war keine Farbe, die man beim Friseur bekam, so viel war sicher. Und seine Haut hatte einen leichten, fast unmerklichen Grünstich. Niemand sonst schien das zu bemerken, oder es war ihnen egal in dieser lauten, bunten Umgebung. Die Menschen eilten vorbei, warfen vielleicht einen flüchtigen Blick auf seine Größe oder die ungewöhnliche Haarfarbe, aber niemand starrte. Niemand schien die subtilen Unterschiede zu erkennen, die mir sofort ins Auge sprangen. Als hätte er meine Blicke gespürt, drehte er langsam den Kopf. Seine Augen trafen meine, und mein Atem stockte. Sie waren nicht blau oder braun oder grün, wie man es erwarten würde. Sie waren von einem tiefen, leuchtenden Türkis und die Pupillen waren nicht rund, sondern hatten eine leichte, vertikale Schlitzform, kaum wahrnehmbar, wenn man nicht genau hinsah, aber definitiv nicht menschlich. Ein kalter Schauer lief mir über den Rücken, eine Mischung aus Faszination und einer tiefen, instinktiven Angst. Er sah mich an, als würde er mich erkennen, als hätte er sein ganzes Leben auf diesen Moment gewartet, und in diesem Blick lag eine Intensität, die mich festhielt, die es unmöglich machte, wegzusehen. Es war, als ob die laute, geschäftige Mall um uns herum für einen Moment verstummte, als ob nur wir beide in diesem Korridor existierten. Ein langsames Lächeln breitete sich auf seinen Lippen aus. Es war kein normales Lächeln, kein freundliches Begrüßen eines Fremden. Es war raubtierhaft und wissend zugleich, mit einem Hauch von Triumph darin, als hätte er eine lange Suche endlich beendet. Er sagte leise: »Da bist du ja.« Seine Stimme war tief, ein sonores Brummen, das nicht laut war, aber dennoch eine seltsame Resonanz hatte, die in meiner Brust vibrierte und die Luft um mich herum erzittern ließ. Ich schluckte. Mein Mund war plötzlich trocken wie die Sahara.
»Entschuldigung? Kennen wir uns?« Meine Stimme klang piepsig und unsicher, überhaupt nicht wie die gestandene Englischlehrerin, die normalerweise vor einer Klasse voller Teenager stand und versuchte, ihnen die Schönheit von Shakespeare näherzubringen. Ich fühlte mich plötzlich wie eines meiner nervösen High-School-Mädchen, das zum ersten Mal von einem Jungen angesprochen wurde. Er lachte leise, ein tiefes, kehliges Geräusch, das wieder diese seltsame Vibration in meiner Brust auslöste. Es war kein spöttisches Lachen, eher ein amüsiertes, vielleicht sogar erleichtertes.
»Noch nicht. Aber wir werden uns kennenlernen.« Er machte einen Schritt auf mich zu, und die seltsame ozeanische Aura, die ihn umgab, wurde stärker. Ich konnte jetzt definitiv Salz riechen, vermischt mit einem Hauch von Seetang.
»Ich habe dich gesucht.«
»Mich gesucht?« Ich runzelte die Stirn und versuchte verzweifelt, die Fassung wiederzuerlangen.
»Ich glaube, Sie verwechseln mich.« Ich versuchte, einen kühlen, distanzierten Ton anzuschlagen, aber meine Stimme zitterte immer noch leicht. Ich machte einen unwillkürlichen Schritt zurück und stieß fast gegen einen überdimensionierten Kinderwagen, der mit Einkaufstüten beladen war. Die Mutter, die ihn schob, warf mir einen genervten Blick zu, bevor sie sich wieder ihrem quengelnden Kind zuwandte. Diese kleine, alltägliche Interaktion riss mich für einen Moment aus der surrealen Begegnung und erinnerte mich daran, dass ich mich an einem öffentlichen Ort befand. Sein Lächeln wurde breiter und zeigte einen Hauch von Zähnen, die vielleicht eine Spur zu spitz waren, um ganz normal zu sein. Es passte zu dem raubtierhaften Eindruck, den ich schon zuvor gehabt hatte.
»Nein. Keine Verwechslung. Dein Duft... er ist unverwechselbar.« Er atmete tief ein, als würde er ein seltenes Parfüm genießen, und schloss kurz die türkisfarbenen Augen. Als er sie wieder öffnete, schien ihr Leuchten noch intensiver zu sein. Er machte wieder einen Schritt auf mich zu und schloss die Lücke zwischen uns, bevor ich weiter zurückweichen konnte. Seine Nähe war überwältigend. Er war nicht nur groß, er strahlte auch eine rohe Energie aus. Ich fühlte mich klein und verletzlich neben ihm, obwohl ich normalerweise nicht leicht einzuschüchtern war.
»Mein... Duft?« Das klang wie die Anmache aus der Hölle, die Sorte, über die man später mit Freundinnen lacht, wenn man den Schrecken überwunden hat. Aber es war nichts an seinem Tonfall, das auf einen plumpen Versuch hindeutete. Er sprach es mit einer solchen Selbstverständlichkeit aus, als wäre es die normalste Sache der Welt.
»Hören Sie, ich weiß nicht, wer Sie sind oder was Sie wollen, aber ich habe es wirklich eilig.« Ich versuchte, an ihm vorbeizugehen, mich seitlich an ihm vorbeizuschieben, aber er bewegte sich geschmeidig mit und blockierte meinen Weg erneut, ohne mich auch nur zu berühren.
»Ich bin Kaelan«, sagte er sanft, seine Stimme immer noch dieses tiefe, beruhigende Brummen, und ignorierte meinen offensichtlichen Versuch zu fliehen.
»Und ich will nur reden. Mit dir.« Er beugte sich leicht vor und ich spürte einen kühlen Hauch auf meiner Wange, als käme er direkt von einer Meeresbrise. Sein Atem roch tatsächlich nach Salz.
»Du bist meine Gefährtin.« Gefährtin? Okay, jetzt reichte es endgültig. Entweder war der Typ komplett verrückt, stand unter dem Einfluss irgendwelcher bewusstseinserweiternder Drogen oder war aus einer besonders schlecht geschriebenen Fantasy-Geschichte entsprungen. Oder, die wahrscheinlichste Variante, eine unglückliche Kombination aus allem.
»Passen Sie auf, Kaelan oder wie auch immer Sie heißen«, zischte ich, meine anfängliche Angst wich langsam einem Anflug von handfestem Ärger und einer guten Portion Ungeduld. Ich war nicht hier, um mich von irgendwelchen Spinnern belästigen zu lassen.
»Ich bin niemandes Gefährtin. Ich bin Callie, eine Single-Frau, die eine verdammte Kaffeemaschine kaufen will, weil ihre alte den Geist aufgegeben hat. Also, wenn Sie mich bitte entschuldigen würden... Ich habe wirklich keine Zeit für so einen Unsinn.« Ich versuchte, bestimmt zu klingen, die Englischlehrerin, die keinen Widerspruch duldet. Er seufzte leise. Es war ein trauriger, fast wehmütiger Klang.
»Ich verstehe, dass das verwirrend ist. Für dich. Ich habe nicht erwartet, dass du es sofort annimmst.« Seine Augen fixierten meine und ihre Intensität war fast schmerzhaft. Es war unmöglich, diesem Blick auszuweichen.
»Ich habe die Strömungen durchquert, bin den Lockrufen gefolgt, die nur ich hören kann. Sie führten mich hierher. Zu dir.«
»Strömungen? Lockrufe?« Ich schüttelte ungläubig den Kopf. Meine Hand fuhr unwillkürlich zu meiner Stirn, als ob ich Fieber hätte.
»Sind Sie von einem Filmset geflohen? Oder vielleicht direkt aus einer geschlossenen Anstalt? Gibt es hier in der Nähe eine psychiatrische Klinik, von der ich nichts weiß?« Trotz meiner harschen Worte, die mehr meiner eigenen Verwirrung und einem Anflug von Panik geschuldet waren als echter Bosheit, war da etwas an seiner Intensität, an der absoluten, unerschütterlichen Überzeugung in seinem Blick, das mich zweifeln ließ. Er wirkte nicht wie ein gewöhnlicher Verrückter, die ich leider schon zur Genüge in meinem Leben getroffen hatte. Er wirkte... echt. Auf eine erschreckende, unmögliche, aber dennoch faszinierende Weise echt. Und dieser Geruch nach Meer, der immer noch stärker zu werden schien, je näher er kam...
»Nenn es Schicksal. Nenn es Bestimmung. Für mein Volk ist es einfach die Wahrheit«, erklärte Kaelan ruhig, seine Gelassenheit war fast noch beunruhigender als seine seltsamen Worte. Er ließ sich von meiner Skepsis und meinem offensichtlichen Unbehagen nicht im Geringsten irritieren.
»Wenn wir unsere Gefährtin finden, wissen wir es. Es ist eine Verbindung, die tiefer geht als alles, was ihr Menschen kennt oder euch vorstellen könnt. Eine Resonanz, die durch die Seele schwingt.« Ich starrte ihn an und versuchte, all die widersprüchlichen Informationen in meinem Kopf zu verarbeiten. Seine seltsame Hautfarbe, die Augen eines Raubtiers, die Haare wie die Tiefsee, der unerklärliche Geruch nach Meer... und diese irren, aber seltsam poetischen Worte. Mein Verstand, der rationale, logisch denkende Teil von mir, der Englischlehrerin, die Fakten und Beweise liebte, schrie: Lauf weg! So schnell du kannst! Such dir einen Sicherheitsmann! Aber meine Füße blieben wie angewurzelt stehen. Ein Teil von mir, ein kleiner, verräterischer, abenteuerlustiger Teil, den ich normalerweise gut unter Verschluss hielt, war fasziniert. Mehr als das. Angezogen. Von seiner Andersartigkeit, seiner unerschütterlichen Sicherheit und vielleicht auch von der schieren Unmöglichkeit seiner Behauptung.
»Ihr... Volk?«, wiederholte ich seine Worte, meine Stimme kaum mehr als ein Hauchen. Ich musste mehr wissen, auch wenn es mich um den Verstand brachte. Ein Schatten huschte über sein Gesicht, als würde er eine schmerzhafte Erinnerung berühren.
»Wir leben dort, wo das Licht eurer Sonne nicht hinkommt. In den Tiefen, die ihr Menschen nur erahnen könnt, wenn ihr nachts auf das dunkle Meer hinausschaut.« Er machte eine vage Geste mit seiner Hand, als würde er auf einen unendlich fernen Ort deuten.
»Wir sind älter als eure Berge, die ihr für ewig haltet, wandelbarer als eure Gezeiten, die ihr täglich beobachtet.« Seine Worte klangen wie aus einem alten Epos, voller Melancholie und Stolz. Okay, das war definitiv nicht normal. Überhaupt nicht. Gestaltwandler? Meereswesen? Mitten in einer Shopping Mall in Ohio? Das war Stoff für Albträume, für billige Fantasy-Romane oder vielleicht für einen sehr seltsamen Dokumentarfilm auf einem obskuren Fernsehkanal. Aber er stand direkt vor mir, groß und real, roch nach Salz und sah mich an, als wäre ich das Zentrum seines Universums.
»Und Sie glauben ernsthaft, ich... eine Englischlehrerin aus einer Kleinstadt in Ohio... bin Ihre... Seelenverwandte?« Ich versuchte, es spöttisch und ungläubig klingen zu lassen, aber meine Stimme verriet meine innere Aufruhr. Die Absurdität der Situation war überwältigend.
»Ich glaube es nicht. Ich weiß es«, erwiderte er mit einer solchen tiefen Ernsthaftigkeit und Überzeugung, die mir eine Gänsehaut bereitete, die nichts mit Kälte zu tun hatte. Es war die Art von Gewissheit, die keine Widerrede duldete, weil sie aus einem Ort jenseits von Logik und Vernunft zu stammen schien.
»Ich spüre es. Hier.« Er legte eine Hand auf seine Brust, genau über sein Herz. Seine Finger waren lang und schlank, und jetzt, da ich genauer hinsah, bemerkte ich einen leichten, fast durchscheinenden Schwimmhautansatz zwischen ihnen, den ich erst jetzt wahrnahm. Noch ein Detail, das nicht passte, das nicht menschlich war und meine Verwirrung noch steigerte. Ich schluckte schwer. Die klimatisierte Luft um uns schien zu knistern, geladen mit einer seltsamen Energie. Die alltäglichen Geräusche der Mall – das Piepen der Kassen, das Rauschen der Rolltreppen, das Stimmengewirr – verblassten zu einem entfernten, unwichtigen Rauschen. Es war, als stünden nur wir beide in einer seltsamen, unsichtbaren Blase isoliert vom Rest der Welt.
»Das ist... das ist wirklich viel zu verarbeiten. Sie müssen verstehen, das klingt alles vollkommen verrückt.« Ich versuchte, meine Gedanken zu ordnen und einen klaren Kopf zu bewahren, aber es war, als würde mein Gehirn gegen eine unsichtbare Wand anrennen.
»Ich weiß.« Er neigte den Kopf leicht zur Seite. Seine Augen musterten mich mit einer Mischung aus Geduld und... etwas, das wie Verständnis aussah.
»Ich verlange nicht, dass du mir sofort glaubst. Das wäre unvernünftig. Aber gib mir eine Chance, es dir zu beweisen. Sprich mit mir. Nur ein Gespräch. Lass mich dir zeigen, dass ich nicht verrückt bin. Oder zumindest,« ein leichtes, selbstironisches Lächeln umspielte seine Lippen und ließ für einen Moment die Raubtierhaftigkeit verschwinden, »nicht gefährlich für dich.« Mein Gehirn arbeitete auf Hochtouren und versuchte, die Flut an unwirklichen Informationen zu bewältigen und eine rationale Entscheidung zu treffen. Einerseits war das die mit Abstand verrückteste, potenziell gefährlichste Situation, in die ich je geraten war. Ich kannte die Regeln: Sprich nicht mit Fremden, die seltsame Dinge behaupten. Geh nicht mit ihnen mit. Such dir Hilfe. Andererseits... diese Augen. Diese Stimme, die so tief in mir resonierte. Dieses unerklärliche, aber unbestreitbare Gefühl der Verbindung, so absurd und unlogisch es auch war. War ich lebensmüde? Wahrscheinlich. Ein kleiner Funke Abenteuerlust, den ich tief in mir vergraben glaubte, begann zu glühen. Die Neugierde, gepaart mit dieser seltsamen, fast magnetischen Anziehungskraft, war stärker als meine Vernunft und all die wohlmeinenden Ratschläge, die mir meine Mutter im Laufe der Jahre mit auf den Weg gegeben hatte.
»Okay«, sagte ich leise, meine Stimme kaum hörbar über dem plötzlich wieder lauter werdenden Lärm der Mall.
»Reden. Aber nicht hier. Auf keinen Fall hier.« Ich warf einen nervösen Blick auf die umstehenden Menschen, von denen einige uns jetzt doch neugierig musterten. Ein Ausdruck tiefer, fast schmerzhafter Erleichterung erschien auf Kaelans Gesicht, so intensiv, dass es mich überraschte. Seine Schultern, die vorher angespannt gewirkt hatten, entspannten sich sichtlich.
»Danke«, flüsterte er, und seine Stimme war voller Emotionen.
»Danke, Callie.«
»Wo möchtest du hin? Ein Ort, an dem du dich sicher fühlst.« Ich überlegte kurz. Ein Café? Zu öffentlich, zu viele Ohren. Meine Wohnung? Auf gar keinen Fall, so verrückt war ich dann doch nicht. Noch nicht.
»Der Park am Fluss«, entschied ich dann.
»Er ist nicht weit von hier. Da ist es ruhiger, und wir können ungestört reden.« Der Gedanke an frische Luft und die Nähe zum Wasser, auch wenn es nur ein schlammiger Fluss war, erschien mir plötzlich sehr verlockend. Vielleicht konnte die Natur helfen, diese surreale Situation ein wenig zu erden. Er nickte zustimmend.
»Ein guter Ort. Wasser beruhigt.« Er bot mir seinen Arm an, eine altmodische, fast ritterliche Geste, die mich überraschte und irgendwie entwaffnete. Zögernd, nach einem Moment des inneren Kampfes, legte ich meine Hand auf seinen Unterarm. Seine Haut war kühl, fast kalt, und erstaunlich glatt, aber darunter spürte ich feste, sehnige Muskeln. Ein unerwarteter elektrischer Schlag durchfuhr mich bei der Berührung, nicht unangenehm, aber unerwartet. Ich zog meine Hand schnell zurück. Mein Herz hämmerte gegen meine Rippen. Was war das? Kaelan sah mich überrascht an, dann schien Verständnis in seinen Augen aufzuleuchten.
»Entschuldige. Die Verbindung... sie ist stark. Manchmal überwältigend, selbst für mich, der ich es gewohnt sein sollte.« Er ließ seine Hand sinken, ohne mich weiter zu bedrängen.
»Wir gehen einfach nebeneinander. Das ist in Ordnung.« Wir verließen die Mall schweigend, Seite an Seite. Ich war mir der Blicke einiger Leute bewusst, die auf uns gerichtet waren. Wahrscheinlich wegen Kaelans ungewöhnlicher Erscheinung – seiner Größe, seiner Haarfarbe, vielleicht sogar wegen der seltsamen Aura, die ihn zu umgeben schien, obwohl die meisten Menschen wahrscheinlich zu sehr mit sich selbst und ihren Einkäufen beschäftigt waren, um wirklich hinzusehen oder sich Gedanken darüber zu machen. Draußen traf uns die feuchte Hitze des schwülen Sommertages wie eine Wand. Kaelan blinzelte gegen das helle Sonnenlicht, als wäre er es nicht gewohnt. Er hob eine Hand, um seine Augen abzuschirmen, und ich bemerkte wieder die feinen Schwimmhäute zwischen seinen Fingern, deutlicher diesmal im natürlichen Licht. Details, die meine Theorie vom gewöhnlichen Verrückten immer unwahrscheinlicher machten. Der Park war nur ein paar Blocks entfernt, ein grüner Fleck in der ansonsten eher grauen Stadtlandschaft. Wir fanden eine abgelegene Bank unter einer alten, knorrigen Weide, deren lange, herabhängende Zweige bis zum Wasser des träge dahinfließenden Flusses reichten. Der Geruch von frisch gemähtem Gras und feuchter Erde mischte sich mit dem schwachen, aber immer noch präsenten Salzgeruch, der von Kaelan ausging. Es war friedlicher hier, ruhiger, aber die surreale, fast traumhafte Stimmung, die mich seit unserer Begegnung in der Mall gefangen hielt, blieb. Die Zivilisationsgeräusche waren gedämpfter, ersetzt durch das Zwitschern von Vögeln und das leise Summen von Insekten. Wir setzten uns und ließen einen respektvollen, aber nicht übertriebenen Abstand zwischen uns. Ich beobachtete ihn aus den Augenwinkeln, während ich vorgab, das schlammige Wasser des Flusses zu betrachten. Im natürlichen Licht wirkte seine Haut weniger grünlich, eher wie von der Sonne gebräunt, aber immer noch mit diesem seltsamen, fast perlmuttartigen Unterton. Er blickte auf das Wasser, sein Gesichtsausdruck war nachdenklich, vielleicht ein wenig melancholisch.
»Also«, begann ich, um die Stille zu durchbrechen, die langsam unbehaglich wurde.
»Kaelan. Das ist... ein ungewöhnlicher Name. Woher kommt er?« Ich versuchte, betont beiläufig zu klingen, als würde ich mich mit einem ganz normalen Mann über seinen ungewöhnlichen Namen unterhalten. Er wandte mir den Kopf zu und seine Augen fixierten meine wieder mit dieser unheimlichen Intensität.
»Er ist alt. Wie mein Volk.«
»Und dein Volk... sind Meeresbewohner? Wie... Meerjungfrauen? Nur männlich, nehme ich an?« Das klang so unglaublich lächerlich, als ich es aussprach, dass ich mich am liebsten selbst dafür ohrfeigen wollte. Ich, die Englischlehrerin, die normalerweise so eloquent war, stammelte hier herum wie ein Schulkind. Er lachte wieder, diesmal etwas lauter und freier als in der Mall. Es war ein angenehmes Lachen, tief und ehrlich, und es nahm ihm etwas von seiner einschüchternden Aura.
»Nicht ganz. Meerjungfrauen sind eine... romantisierte, oft missverstandene Vorstellung eurer Folklore. Eine sehr vereinfachte Sichtweise.« Er schien einen Moment nach den richtigen Worten zu suchen.
»Wir sind Gestaltwandler. Wir können an Land gehen, eine menschlichere Form annehmen, um uns unter euch bewegen zu können. Aber unsere wahre Heimat, unsere wahre Form, ist die Tiefe. Das Wasser.« Er blickte wieder auf den trägen Fluss hinaus.
»Dieses Wasser hier... es ist flach. Schlammig. Es singt nicht. Es ist... stumm.«
»Singen?«, fragte ich verwirrt nach. Seine Augen bekamen einen fernen, träumerischen Ausdruck.
»Das Meer hat seine eigene Musik. Die großen Strömungen, sie sind wie Lieder, die Geschichten aus Äonen erzählen. Echos aus der Tiefe, wo kein Lichtstrahl je hingelangt. Uralte Gesänge von Kreaturen, die ihr euch nicht einmal vorstellen könnt.« Er schloss für einen Moment die Augen, als würde er lauschen.
»Ihr Menschen hört nur das Rauschen der Wellen an der Oberfläche, das Kratzen an der Tür zu einer unermesslichen Welt.« Ich wusste nicht, was ich darauf sagen sollte. Es klang poetisch und gleichzeitig völlig verrückt. Es war die Sprache eines Dichters oder eines Wahnsinnigen.
»Warum bist du dann hier? An Land? So weit vom Meer entfernt?« Ohio war nun wirklich nicht für seine Küstenlage bekannt. Es war so ziemlich das genaue Gegenteil.
»Wegen dir«, sagte er einfach, ohne jede Theatralik, als wäre es die offensichtlichste Antwort der Welt. Er drehte sich wieder zu mir, und sein Blick war so direkt, dass ich mich ihm nicht entziehen konnte.
»Die Verbindung zu einer Gefährtin ist wie ein Leuchtfeuer in der dunkelsten Nacht, ein unüberhörbarer Ruf über jede Distanz hinweg. Sie zieht uns an, unaufhaltsam, egal wie weit entfernt sie auch sein mag. Ich spürte dich vor vielen Monaten zum ersten Mal. Zuerst war es nur ein schwaches Echo, ein leises Flüstern in den Strömungen. Aber es wurde stärker, klarer, mit jedem Tag, jeder Woche. Bis es so laut war, dass ich nicht mehr widerstehen konnte.
---ENDE DER LESEPROBE---