Gefallen auf dem Feld der Ehe - Stephan Hähnel - E-Book

Gefallen auf dem Feld der Ehe E-Book

Hähnel Stephan

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Beschreibung

"Ja, ich will. Bis, dass der Tod uns scheidet." Menschen heiraten aus Liebe. Zumindest glauben sie das im Moment der Eheschließung. Schade, dass dieser Zustand nicht immer von Dauer ist. Scheidung wäre zwar eine Option, doch sind die Protagonisten in den Kurzgeschichten von Krimiautor Stephan Hähnel weitaus kreativer. Und so entledigen sie sich ihrer Ehepartner lieber auf unkonventionelle Weise, manchmal blutig, auch mal unbeabsichtigt, aber stets endgültig. Traurig möchte man meinen, wenn es dabei nicht so unterhaltsam wäre. Geschichten für glücklich bis unglücklich Verliebte, Nicht- oder Nichtmehrverliebte, aber vor allem für Liebhaber des Schwarzen Humors rund um das Thema Angewandte Beziehungsdramatik.

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Seitenzahl: 235

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periplaneta

Stephan Hähnel: „Gefallen auf dem Feld der Ehe“ 1. Auflage, November 2016, Periplaneta Berlin, Edition Totengräber

© 2016 Periplaneta - Verlag und Mediengruppe Inh. Marion Alexa Müller, Bornholmer Str. 81a, 10439 Berlin www.periplaneta.com

Alle Rechte vorbehalten. Nachdruck, Übersetzung, Vortrag und Übertragung, Vertonung, Verfilmung, Vervielfältigung, Digitalisierung, kommerzielle Verwertung des Inhaltes, gleich welcher Art, auch auszugsweise, nur mit schriftlicher Genehmigung des Verlags. Die Handlung und alle handelnden Personen sind frei erfunden.

Lektorat: Sarah Strehle (www.lektorat-strehle.de) Cover, Satz & Layout: Thomas Manegold (www.manegold.de)

print ISBN: 978-3-95996-022-9 epub ISBN: 978-3-95996-023-6

Stephan Hähnel

Gefallen auf dem Feld der Ehe

Mordsgeschichten

periplaneta

Fadenscheinig

»Die meisten Frauen wählen ihr Nachthemd mit mehr Verstand als ihren Mann.«

Coco Chanel

Nach zwanzig Jahren hätten Klaus und Carla Nolte Chrysanthemen-Hochzeit feiern können, hätten sie an einer Jubiläumsfeier Interesse gehabt. Hatten sie aber nicht.

Sie lebten zwar in einem beeindruckenden Haus, schliefen jedoch in unterschiedlichen Zimmern und begegneten sich nur zum Essen in der Küche. Sie pflegten eine sachliche, aber innige Abneigung. Vernünftige Menschen sind in der Lage, sich zu arrangieren. So auch das Ehepaar Nolte. Beide befanden sich in dem Stadium, in dem es anstrengender schien, nach einem neuen Partner zu suchen, als den derzeitigen zu ertragen.

Klaus arbeitete als Wissenschaftler im Botanischen Garten und schrieb seit Jahren an einer Enzyklopädie über die Sammelleidenschaft bedeutender Botaniker aus den letzten drei Jahrhunderten. Dabei ging er pflanzenweise vor und dokumentierte penibel, wann welches Gewächs zum ersten Mal in den Berliner Boden eingesetzt worden war. Pflanzenhöhe, Durchmesser, Anzahl der Blätter und prozentualer Wurzelanteil wurden genauso erfasst wie Feuchtigkeitsgehalt, Zusammensetzung der Erde und ob diese eher fetter oder magerer Substanz war.

Carla war sich sicher, es gab nur wenige Enthusiasten, die sich für derart detaillierte Albernheiten interessierten. Sie selbst beschäftigte sich als Patentanwältin mit skurrilen Ideen. Erst gestern hatte sie ein Schutzrecht für einen Katzenenthaarungstunnel erteilt, dessen Aufgabe darin bestand, lose Haare auszubürsten. Meist hatte sie aber mit langweiligen technischen Entwicklungen zu tun, die selten innovativ waren.

Als Ausgleich für die ermüdende berufliche Tätigkeit strickte sie in ihrer Freizeit. Nach Socken, Pulswärmern, meterlangen Schals, Pullovern und Taschen hatte sie begonnen, abstrakte Bilder zu stricken. Ein wenig erinnerten ihre Kompositionen an jene Gespinste gefräßiger Raupen, mit denen sich zuweilen Pflanzen im Botanischen Garten herumschlugen.

Ihr Mann, der jedes Mal fast körperlich unter der Invasion von Spinnen, Motten oder anderem saftsaugenden Getier litt, hatte zu einer derartigen Kunst keinerlei Zugang. Erst recht besaß er kein Verständnis dafür, dass diese Zumutungen an jeder Wand ihres Hauses auf ihn lauerten. Auch hasste er das Geklapper der Stricknadeln, was nur dazu führte, dass Carla noch intensiver ihrem Hobby nachging. Dass seine Frau Laternen, Straßenpoller oder vergessene Fahrräder umstrickte, war ja noch zu ertragen. Als sie aber ernsthaft vorschlug, einem 150-jährigen Palmfarn aus der Gruppe der Nacktsamer, der den Besuchern des Tropenhauses zur Begrüßung sein zapfenartiges Organ entgegenstreckte, ein Mützchen zu verpassen, erklärte er sie für vollständig verrückt. Seit diesem Vorwurf hatten sich ihre Gespräche auf das Nötigste reduziert.

Klaus war der aktuelle Beziehungsstatus durchaus angenehm, zumal er vor einem wissenschaftlichen Durchbruch stand und der Ruhe dringend bedurfte. Seine Lieblingsbäume, die Rosskastanien, litten unter der Miniermotte. Braune Blätter störten nicht nur das ästhetische Empfinden der Betrachter, sondern wirkten auch kräftezehrend auf die beeindruckenden Giganten selbst. Keines der Gegenmittel war bisher erfolgreich. Seine Erfindung würde das ändern. Ein dünner Faden, getränkt mit einem Sexuallockstoff und einem Kontaktgift, das bei Berührung innerhalb weniger Stunden tödlich wirkte, wurde um den Baumstamm gewickelt. Billig, effizient und bei einem kurzzeitigen Hautkontakt aufgrund der geringen Dosierung für Menschen ungefährlich. Die Erfindung hatte das Potential, finanziell ein Erfolg zu werden. Es sei denn, ein anderer Botaniker würde ihm zuvorkommen.

Eigentlich war es das Nächstliegende, Carla einfach zu bitten, den Sachverhalt unauffällig zu prüfen. Als Patentanwältin war es für sie eine Leichtigkeit herauszufinden, ob schon ein Kollege ein derartiges Verfahren beantragt hatte. Klaus befürchtete jedoch, dass Carla, nur um ihn zu ärgern, die Idee publik machen würde.

Am kommenden Wochenende war er für den Einkauf verantwortlich. Carla liebte Croissants zum Frühstück, die er regelmäßig vergaß mitzubringen. Diesmal nicht. Auch kaufte er Drachenfutter, wie er Blumensträuße gern betitelte, um eine wohlwollende Atmosphäre zu schaffen. Seine Frau liebte bunte Sträuße, also kaufte er einen. »Passt«, flüsterte er und überlegte sich die Sätze, mit denen er sie umschmeicheln wollte. »Schatz, wir müssen reden!« Natürlich war das nicht die eleganteste Eröffnung, ließ aber alle Optionen zu. Auch wusste er, dass Carla miteinander reden als Fundament jeder Beziehung betrachtete und ihn schon deswegen nicht ignorieren konnte. Kombiniert mit einem Schuldeingeständnis – »Ich habe mich unmöglich verhalten« – und der Bitte um Großzügigkeit – »Kannst du mir noch einmal verzeihen?« – sollten genügen, die verhärteten Fronten aufzulösen. Um vorwurfsvolle Worte zu vermeiden, würde er die Hände auf ihre Schultern legen und die Daumen kräftig kreisen lassen. Dann der alles entscheidende Satz: »Ohne dich bin ich doch gar nichts!«

Es hatte wie erwartet funktioniert. Erleichtert hatte sie ihn umarmt, ein wenig geschluchzt, die Blumen ins Wasser gestellt und die Idee, schön essen zu gehen, zauberhaft gefunden.

Drei Tage später stellte er eine Rolle Zwirn auf den Tisch und berichtete von der Idee, wie man mit geringem Einsatz die bedrohten Kastanien retten könnte. Stolz erklärte er die beiden Komponenten jener Substanz, die der eingeschleppten Motte den Garaus machen würde. Er überließ es ihr, Schlussfolgerungen zu ziehen. Carla erkannte sofort, welches finanzielle Potential die Erfindung bot. Natürlich durfte niemand davon erfahren, bevor das Patent erteilt worden war. Obwohl es unnötig war, verpflichtete sie ihn zum Schweigen. Sie betrachtete nachdenklich den Zwirn und versenkte das Produktmuster in eine amtliche Tüte des Patentamtes. Zaghaft begann eine Idee in ihr zu reifen.

Zwei Wochen später verkündete Carla begeistert, die Erfindung sei schützenswürdig. Die Summe aus den Nutzungsrechten sei gigantisch.

Lange hatte Klaus seine Frau nicht mehr so strahlen sehen. Er freute sich und nickte dankbar, als sie ihn bat, sich um die Details kümmern zu dürfen. Wie jeden Tag würde er noch eine Runde spazieren gehen und einen Abstecher ins Tropenhaus machen. Als Carla ihm seltsam lächelnd einen selbstgestrickten Schal um den Hals wickelte, glaubte er, etwas von jener Liebe zu spüren, die sich in all den Ehejahren aufgebraucht hatte. Eine Ewigkeit hatte sie nicht mehr für ihn gestrickt. Nicht einmal das nervige Klappern der Stricknadeln hatte er gehört. Sollte er auch nicht. Wohlig kuschelte er sich in das wärmende Gestrick, nicht ahnend, dass der Tod ihn Masche für Masche umgarnte.

Der Scheidungsstammtisch

»Ehen werden im Himmel geschlossen und in der Hölle gelebt.«

Maria Callas

Eva zog genervt die Augenbrauen hoch. »Nochmal!«, sagte sie betont ruhig und wandte sich direkt an Anne. »Wenn du dir meinen Mann vornimmst, und ich Claudias eliminiere, dann könnte Paul sich Renates Kerl annehmen und Renate das mit deinem Ex klären. Und Claudia ist für das Miststück von Paul verantwortlich.«

Bei ihrem Bemühen zu sortieren, wer wen umbringen sollte, klappte Anne der Unterkiefer herunter. Als sie endlich begriff, für wen sie zuständig sein sollte, rutschte ihr beinahe das Glas mit dem Latte Macchiato aus der Hand.

»Kann ich mich nicht um Pauls Exfreund kümmern?«, fragte sie fast flehend. Sie wusste, dass Evas Ehemaliger nicht nur über ein preußisches Gardemaß verfügte, sondern auch dreimal die Woche im Fitnesscenter den Alphatierstatus seines Körpers auffrischte. Ihr klang noch in den Ohren, wie Eva, die Initiatorin ihres wöchentlichen Treffens, davon berichtet hatte, dass ihr Verflossener es liebte, wie ein Berggorilla zu brüllen, wenn er endlich den Liebesakt vollbracht hatte. Seitdem verfolgte Anne die Vorstellung, dass Evas Exmann anschließend gebieterisch auf seine zuckenden Brustmuskeln trommelte, als sei ein schwerer Kampf siegreich gefochten worden.

»Ich meine nur«, ergänzte Anne, »von uns allen bin ich doch nun wirklich die Kleinste und Schwächste. Ich will mich ja nicht drücken. Aber wie soll ich denn diesen Unmenschen …«

Die fünf treuen Teilnehmer des Scheidungsstammtisches schauten sich nachdenklich an. Die Bedenken der zarten Frau waren nachvollziehbar. Dennoch, keiner der Anwesenden wollte sich freiwillig bereit erklären, diesem Testosteronmonster den Garaus zu machen.

»Kann ich Ihnen noch etwas bringen?«, fragte die Inhaberin des Chokocafés freundlich und nahm das leere Geschirr weg. Zusammen mit ihrer Schwester hatte sie aus den winzigen Räumlichkeiten ein kleines Paradies geschaffen. Beide sorgten dafür, dass die Gäste sich wohl fühlten. Allein ihre Anwesenheit garantierte, dass sich gestresste Mitbürger bei einer Tasse Kaffee entspannten und mit einem Lächeln alles Belastende vergaßen.

»Vielleicht noch ein Stück Kuchen? Heute gibt es Eierschecke. Kann ich wirklich empfehlen.«

Renate hob als Einzige die Hand. Zu Kuchen konnte sie niemals nein sagen. Ein Sprachfehler, wie sie behauptete.

Der wöchentliche Scheidungsstammtisch fand regelmäßig im Chokocafé in Charlottenburg statt. Seit einem Vierteljahr traf man sich jeden Sonnabend in der Bleibtreustraße im Herzen Berlins. Die fünf Leiderprobten informierten sich gegenseitig bei ihren Treffen ausgiebig über die aktuellen Stände ihrer Tragödien und der Ungerechtigkeiten, die ihnen widerfahren waren. In der kleinen Conciergeloge, dem beliebtesten Platz des Cafés, gleich neben dem Eingang, tranken sie köstliche Kaffeespezialitäten in allen Varianten, aßen den selbstgebackenen Kuchen oder futterten Bioschokolade zur Auffrischung des Glückshormonspeichers. Dabei lauschten sie den neuen Ungeheuerlichkeiten und lästerten ausführlich über ihre bösartigen Expartner .

Kennengelernt hatten sich die Leidensgenossen durch eine Anzeige, die Eva in einem Frauen-Internet-Portal aufgegeben hatte, wo sie mit dem schlichten Motto ›Männer sind Evolutionsmüll – Scheidung als Chance‹ nach Gleichgesinnten gesucht hatte. Claudia und Renate hatten sich sofort angesprochen gefühlt. Anne behauptete, sich nur informieren zu wollen, konnte und wollte sich dann aber der kleinen Gemeinschaft nicht mehr entziehen. Als Letzter vervollständigte Paul die Runde. Ihm waren sie auf ihrem Heimweg begegnet, als er weinend und theatralisch am Straßenrand den vorbeirasenden Autos brüllend zur Kenntnis gab, dass ein Alessandro Tommaso Mastrostefano ein elendes untreues Miststück sei.

Bei ihrem folgenden Treffen und nach drei Gläsern Prosecco waren die Mitglieder des Scheidungsstammtisches übereingekommen, dass, wenn auch nicht die gesamte maskuline Population, so doch zumindest ihre Exmänner, aus einer minderwertigen Linie stammen mussten.

Die wöchentliche Zusammenkunft glich einem Wettbewerb, bei dem man bestimmte, wer den miesesten Charakter hatte ertragen müssen. Detaillierte Beweisführungen über Stunden dokumentierten umfassend das menschliche Debakel, dem jeder der Betroffenen zum Teil jahrzehntelang ausgesetzt gewesen war. Allen tat es gut, in der kleinen separaten Turmloge die Seele durch exzessives Jammern zu putzen. Warum überhaupt eine der beteiligten Personen den Partner geheiratet und über einen längeren Zeitraum bei ihm geblieben war, gehörte zu den Tabuthemen.

Eva hatte ihre Scheidung als wirtschaftlichen Totalschaden umschrieben. Ihr Mann glaubte ernsthaft, seine Männlichkeit mit Hilfe einer fünfzehn Jahre jüngeren Frau und den Errungenschaften der Pharmaindustrie zurückgewinnen zu können. Innerhalb kurzer Zeit verwandelten sich seine Geldbestände in Designerkleidung, elegante Schuhe, sündhaft teure Taschen sowie wertvollen Schmuck. Nach nicht einmal einem Jahr war das Bankkonto geplündert. Der ›Es hat mich völlig unerwartet erwischt‹- und ›Ich kann gar nichts dagegen tun‹-Grund war weitergezogen. Selbst die Kosten der Scheidung waren an Eva hängengeblieben.

Wirtschaftliche Probleme ließen sich für das Dilemma, das Claudia gezwungen hatte, sich von ihrem Mann zu trennen, nicht verantwortlich machen. Ein Staatsanwalt hatte ihr in einem Brief verklausuliert mitgeteilt, dass es mehrere Frauen gleichen Nachnamens gab. Dummerweise hätten alle denselben Ehepartner.

Paul hatte herausbekommen, dass sein italienischer Freund regelmäßig in der Szenebar Stahlrohr verkehrte und es mit der Treue nicht allzu ernst nahm. Das Letzte, was Alessandro Tommaso Mastrostefano ihm mitgeteilt hatte, war ein Geständnis. Er habe sich bei einem One-Night-Stand etwas zugezogen, das auch bei Paul eine umfangreiche Behandlung nötig mache.

Renate, deren Mann Archäologe war, hatte jahrelang geglaubt, dass er als Professor in Thailand an der Ausgrabung sensibler Artefakte beteiligt sei. Stattdessen hatte er mit seinem Pinsel asiatische Schönheiten bearbeitet, wie die Fotos auf seinem Handy bewiesen.

Anne hatte sich mit ihrem Partner auseinandergelebt. Besser gesagt, ihr Kinderwunsch war unerfüllt geblieben. Zwar war er stets bemüht, aber die Natur hatte beschlossen, auf seine Gene zu verzichten. Ihr Mann wollte das als Trennungsgrund nicht akzeptieren, schloss aber auch jede andere denkbare Option aus. Eine künstliche Befruchtung durch einen Spender kam für ihn genauso wenig infrage wie eine Adoption. Dummerweise hatte Anne in ihrer Naivität einen Ehevertrag unterschrieben und – was schwerer wog – für seine Firma gebürgt. Damit versuchte ihr Mann nun, sie zu erpressen. Im Falle einer Scheidung würde er Insolvenz anmelden und sie müsste für seine Schulden haften. Noch befand sich Anne im Trennungsjahr. Die Einsicht, dass das Ableben ihres Mannes ihr und ihren künftigen Kindern ein sicheres Einkommen garantieren würde, hatte auch sie von Evas teuflischem Vorschlag überzeugt.

Jedes Mitglied des Stammtisches hatte demzufolge einen nachvollziehbaren Grund, sich Evas Racheplan anzuschließen.

»Du musst die Eierschecke probieren! Geht zwar ungepuffert auf die Hüfte. Aber das ist so was von ein Traum …«

Anne reagierte nicht auf Renates Schwärmerei. Noch immer schwebte die Frage über dem Tisch, warum gerade sie den Berggorilla eliminieren sollte. Eierschecke würde als Mordinstrument wohl kaum geeignet sein und wenn, dann konnte ja Renate sich dieser Waffe bedienen.

»Süße, nun bleib doch mal ganz ruhig«, sagte Eva, während Claudia Paul zunickte, der daraufhin verständnisvoll seine Hand auf Annes Arm legte. »Selbstverständlich helfen wir dir.«

Selbst Renate bemühte sich, keinen Zweifel zuzulassen, auch wenn sie mehr damit beschäftigt schien, mit der Zungenspitze zu prüfen, ob sich nicht in den Mundwinkeln noch etwas von der leckeren Creme finden ließe. Plötzlich bemerkte sie, dass die beiden Inhaberinnen des Cafés sie beobachteten. Genüsslich verdrehte sie die Augen, um ihr Wohlbefinden zu unterstreichen.

»Können wir nicht jemanden engagieren? Einen Russen oder so?«, fragte Claudia.

»Gute Idee!«, meinte Renate und schlug Paul begeistert auf den Oberschenkel. »Da bekommen wir bestimmt Rabatt.«

»Vielleicht hat der ja so eine Karte, die er abstempelt. Nach vier Aufträgen gibt’s den fünften Mord gratis. Das machen die hier im Chokocafé auch«, gab Paul zu bedenken.

»Das ist viel zu auffällig!«, protestierte Eva. »Abgesehen davon haben wird doch gar nicht das Geld dafür.«

Schlagartig war es wieder ruhig am Tisch. Das mit der Bezahlung war wirklich ein Problem.

»Wenn Anne das mit meinem Exmann nicht kann, dann bitteschön, muss sich jemand anderes finden. Freiwillige?«

Eva schaute jedem Einzelnen ins Gesicht. Niemand meldete sich. Claudia meinte plötzlich, etwas in ihrer Tasche suchen zu müssen und fand es offensichtlich nicht. Renate starrte auf ihren Teller, entdeckte dabei einen Krümel, hielt es aber für unklug, ihn in dieser Situation mit der Fingerspitze aufzunehmen. Paul hielt die Luft an.

»Gut, dann müssen wir wohl nächste Woche noch einmal darüber reden«, sagte Anne resignierend.

Die anderen stöhnten auf. Seit sechs Wochen wurde dieser Punkt diskutiert, ohne einer Lösung näher zu kommen.

Um die verschworene Gemeinschaft zu beruhigen, ergänzte Eva: »Ich bin und bleibe optimistisch. Wir werden schon eine Lösung finden.«

Zwei Monate später fand man Evas Mann von einer Hantel erschlagen im Fitnessstudio. Offensichtlich hatte er sich über- und das Gewicht unterschätzt.

Renates Ex wurde von einem Linksabbieger übersehen und überrollt. Fahrerflucht. Zeugen gab es nicht.

Den Heiratsschwindler, dem Claudia auf den Leim gegangen war, hatte man mit einem Loch im Kopf und einer Pistole in der Hand auf einer Parkbank gefunden. Alles deutete darauf hin, dass er sich selbst hingerichtet hatte.

Hobbytaucher fanden zufällig Pauls italienischen Lover mit Betonschuhen auf dem Boden der Spree. Nach Meinung der Polizei hatte er wahrscheinlich der Mafia Geld geschuldet.

Annes Kinderwunsch stand nach dem Tod ihres Mannes nichts mehr im Wege. Der Ärmste war bei einem Treppensturz zu Tode gekommen.

Auch wenn keiner der Mitglieder des Scheidungsstammtisches seiner mörderischen Verpflichtung tatsächlich nachgekommen war, so glaubte doch jeder, dass Gevatter Zufall bei ihm ein Auge zugedrückt hatte. Die wöchentlichen Zusammenkünfte im Chokocafé wurden nach den tragischen Ereignissen sofort abgesagt. Alle Beteiligten hielten es für besser, sich nicht mehr zu treffen, um keinen Verdacht aufkommen zu lassen.

Das Café, in einem der schönsten Häuser Berlins, war wie immer gut gefüllt. Es duftete aromatisch nach frisch gebrühtem Kaffee. Sanfte Swingmusik umschmeichelte die Gäste. In der beliebten Conciergeloge saßen seit Wochen ein paar Feministinnen und stritten aufgebracht darüber, ob es nicht Verrat an der linguistischen Front sei, Streuselkuchen zu bestellen. Der Begriff sei männlich determiniert.

Eine der jüngeren Kämpferinnen gab zu bedenken: »Das Wort setzt sich doch aus ›die Streusel‹ und ›der Kuchen‹ zusammen. Ich finde das vom Sexus betrachtet ziemlich ausgewogen.« Sie erntete nur missbilligende Blicke. Auch der Hinweis, dass sich neue Pflanzen nur säen ließen, wenn ein kontaminierter Boden ausgetauscht würde, überzeugte sie nicht wirklich. Dennoch verstand sie. Es ging ums Prinzip und nicht um faule Kompromisse.

Schließlich bestellten alle Anwesenden des feministischen Stammtisches Eierschecke, um nichts falsch zu machen. Dazu gab es Wasser, weil es sich sprachlich neutral verhielt.

Die beiden Inhaberinnen des Chokocafés sahen sich verzweifelt an. Sie standen hinter dem Tresen, um die Bestellungen abzuarbeiten, bemüht, sich nichts anmerken zu lassen. Natürlich wussten sie von dem Phänomen, dass man alle Unterhaltungen, die in der Turmloge geführt wurden, deutlich verstehen konnte. Ein Student der Physik hatte versucht, es ihnen zu erklären. Danach funktioniere der erkerähnliche Rundbau wie ein Flüstergewölbe. Der Brennpunkt der Schallwellen befinde sich in Höhe des Kaffeeautomaten. Ob die beiden Schwestern es wollten oder nicht, sie mussten alle Gespräche verfolgen. Begeistert hatte der Physikstudent erklärt, dass man diese akustische Besonderheit auch in der Statuary Hall im Capitol in Washington D.C. und in der Kathedrale von Agrigent auf Sizilien beobachten konnte. Der junge Mann hatte geschworen, niemandem davon zu erzählen. Natürlich verstand er das Problem sofort. Es galt, das Geheimnis zu hüten. Kein Gast wollte gerne belauscht werden.

Die Schwestern waren sich bewusst, dass sie künftig jede Woche mehrere Stunden lang den kleinlichen Ausführungen der selbsternannten Sprachaktivistinnen würden lauschen müssen. Ihre Verzweiflung war fast körperlich zu spüren.

Wütend stellte die eine die Kaffeemaschine an, während die andere flüsterte: »Wir waren uns einig. Keine regelmäßigen Gesprächsrunden in der Turmloge. Hast du vergessen, wie viel Mühe es gekostet hat, den Scheidungsstammtisch aufzulösen?«

Sand, der durch die Finger rieselt

»Die Ehe ist gut für Frauen. Deshalb sollten nur Frauen heiraten.«

Ephraim Kishon

Hellen bewunderte und liebte ihren Mann über alles. Diese Mischung aus Genie und kindlicher Unbekümmertheit faszinierte sie. Professor Fabian Sunder gehörte unbestritten zu den brillantesten Köpfen der Wissenschaft. Die Kollegen achteten oder beneideten ihn. Es gab keinen Studenten der Berliner Humboldt-Universität, der Professor Sunder nicht schätzte. Sein Intellekt war beeindruckend und die wissenschaftlichen Publikationen Meisterwerke der Logik. Die Großzügigkeit, mit der er andere an seinen grandiosen Entdeckungen teilhaben ließ, umschrieb der Begriff uneigennützig nur annähernd. Selbst seine ständige Zerstreutheit hatte ihre Bewunderer. Es hieß, genau in jenen Momenten der größten Entrückung steige aus den Tiefen des famosen Gehirns eine Idee, einer schwebenden Seifenblase gleich, in sein Bewusstsein. Ein filigranes Konstrukt, dessen Wichtigkeit ihn vollständig in Beschlag nahm. Des Professors Stärke bestand zweifelsfrei darin, sich auf einen Gedanken zu konzentrieren. Gegebenenfalls konnte er wochenlang die Eingebung in all ihren Nuancen durchdenken. Erst wenn eine akzeptable Lösung gefunden war, kümmerte er sich wieder um die schnöden alltäglichen Nichtigkeiten.

Während der Professor in diesen Phasen die Faktoren einer Idee minutiös analysierte, übte Hellen sich in Geduld. Weder Freunde noch Kollegen – schon gar nicht seine Exfrau, als sie noch nicht verschwunden war – hatten jemals ein derart hohes Maß an Verständnis für die Entrücktheit Fabian Sunders aufgebracht.

Egal, ob er mit einer fremden Aktentasche nach Hause kam, vom Hausmeister überzeugt werden musste, dass seine Wohnungstür eine Etage tiefer lag oder er Hellen in einen fremden Mantel oder einer Unbekannten in ihren half, sie liebte ihn. Selbst als er sie auf dem Parkplatz vergessen hatte und erst zwei Stunden später wieder aufgetaucht war, sie akzeptierte die stammelnde Entschuldigung mit einem Lächeln. Natürlich war dem Professor sein Verhalten peinlich. Regelmäßig bestätigte er, dass sie keine profane Nebensache sei, er sie über alles liebe, was zu beweisen er im kommenden Urlaub gedachte.

Für ihre Geduld war er Hellen unendlich dankbar. Für die freien Tage nahm er sich vor, in einem passenden Moment um ihre Hand anzuhalten. Vorausgesetzt, er würde es nicht vergessen.

Sein wissenschaftlicher Assistent hatte die Idee zauberhaft gefunden, erneut eine Ehe zu wagen, und ihm eine Ferienwohnung in einem kleinen Ort an der Ostsee vermittelt. Seit dem Verschwinden von Professor Sunders erster Frau kümmerte der Assistent sich gezwungenermaßen um des Professors Belange. Vor drei Jahren hatten die Behörden Frau Sunder für tot erklärt und amtlich stand einer neuen Ehe nichts im Wege.

Seit Hellen auf ihn achtete, war alles besser geworden. Sunder war nie wieder einen Tag zu früh am Flughafen erschienen. Die Zeiten, wo er sich gemeinsam mit dem Zoll über das Gewicht und die Leere seines Koffers gewundert hatte, gehörten der Vergangenheit an. Auch bestellte er kein Taxi mehr, um nach Philadelphia oder Boston in Brandenburg zu fahren. Hoffnungsvoll stärkte ihn der langjährige Mitarbeiter in dem Bestreben, sich einer ehelichen Fürsorge zu unterstellen.

Bei so viel Zureden war auch Fabian Sunder davon überzeugt, dass es an der Zeit war, sich bei Hellen zu bedanken. Seitdem sie sich um ihn kümmerte, blieben ihm Peinlichkeiten weitgehend erspart.

Drei Wochen später befanden sie sich tatsächlich an der Ostsee. Keine Termine verlangten nach ihm. Es gab nur einen Eintrag im Kalender. ›Hozean stellen‹. Es dauerte eine Weile, bis er sich erinnerte, was dieses Kürzel bedeuten könnte. Dann fiel es ihm wieder ein. ›Hochzeitsantrag stellen.‹

Der einsame Platz in den Dünen war paradiesisch. Der Sommer ging zu Ende. Vielleicht war es der letzte warme Tag im Jahr. Nur das Rauschen des Meeres und das Pfeifen eines sanften Windes waren zu hören. Eine rotleuchtende Sonne verabschiedete sich am Horizont. Niemand störte Hellens und Fabians Glück. Mit zärtlichen Blicken ließ der Professor Sand zwischen den Fingern rieseln. Er versuchte die Frage zu verdrängen, wie sich Menge und Körnung von Quarzsand auf die Rieselgeschwindigkeit auswirken. Verwundert erinnerte er sich den Bruchteil einer Sekunde daran, dass ihn diese Frage schon einmal beschäftigt hatte. ›Hozean stellen‹, wiederholte er in Gedanken und konzentrierte sich auf sein Vorhaben.

Schmunzelnd schaute Hellen zu, wie er sorgfältig ihren Körper mit Unmengen von feinkörnigem Ostseesand bedeckte. Sie lachte, als er mit einigen Muscheln den beträchtlichen Berg verzierte. Jeden Moment würde er sie fragen ›Willst du meine Frau werden?‹ Sie wusste, dass er sich die Frage notiert hatte. Sein Assistent hatte sie darauf vorbereitet und sie unverhohlen gebeten, den Professor gegebenenfalls daran zu erinnern.

Wie gefesselt lag sie im Sand. Weder Beine noch Arme vermochte sie noch zu bewegen. Nur den Kopf konnte sie leicht heben. Fast zärtlich wurde ihr Gesicht von der untergehenden Sonne gestreichelt. Endlich war er nur für sie da. Zum ersten Mal konnte sie sich fallenlassen. Eine innere Stimme sagte ihr, dass er gleich die entscheidende Frage stellen würde. Regungslos genoss sie es, ihm ausgeliefert zu sein, und überließ sich ihren Träumen.

Noch einmal dachte der Professor: ›Hozean stellen.‹ Er räusperte sich feierlich und schaute sie liebevoll an. Aber kein Wort kam über seine Lippen. Stattdessen rannte er plötzlich entsetzt den Strand entlang. Denn gerade war ihm eingefallen, wo er seine erste Ehefrau vergessen hatte.

Tiefenrausch

Hier ruht in Gott Adam Lentsch 26 Jahre lebte er als Mensch und 37 Jahre als Ehemann!

Bayerischer Grabsteinspruch

Es war ein einträgliches Nebengeschäft, das sich die Umweltoffizierin des KreuzfahrtschiffesMorpheus aufgebaut hatte. Clara Brandis wusste, dass eine Seebestattung im Atlantik, dem Mittelmeer oder anderen Weltmeeren gut und gern zehntausend Euro kosten konnte, je nach Ausstattung. Selbst die billigste Variante, die Überreste in einer auflösenden Urne in der Ostsee zu versenken, überschritt so manchen Geldbeutel. Abgesehen davon ließen die rechtlichen Bestimmungen, wo sich der Letzte Wille erfüllen durfte, nicht allzu viel Spielraum. Grundsätzlich galt, dass die Asche eines Verstorbenen nur über ›Rauhem Grund‹ verteilt werden durfte. So wurden jene Gebiete genannt, in denen weder Fischerei noch Wassersport erlaubt waren.

Anfänglich hatte Clara Brandis nur ihren ehemaligen Schulfreundinnen Tiziana und Francesca Sabatini einen Gefallen getan und den viel zu früh verstorbenen Padre der Familie vor Sizilien über Bord gehenlassen. Der Vater war in Messina geboren und bestand zu Lebzeiten darauf, nach seinem Tod in der gleichnamigen Meerenge vor Italien auf den Jüngsten Tag zu warten. Einen Umschlag mit Geldscheinen hatte Madre Sabatini Clara in die Hand gedrückt und sie dann mütterlich an ihren gewaltigen Busen gepresst.

Die sizilianische Familie gehörte zu den Gastarbeitern der ersten Stunde und teilte sich seit drei Generationen in zwei Berufsstände auf. Der eine Teil verwöhnte Gäste in der Nähe des Savignyplatzes mit Steinofenpizzen und klassischen italienischen Pastagerichten. Der andere, weitaus kleinere Familienzweig, kümmerte sich um feierliche Bestattungen. Ob natürliche oder herbeigeführte Ursachen für das Ableben verantwortlich waren, gehörte zur selbst auferlegten Schweigepflicht der Sabatinis. Gleiches galt für die Rezepte des Pizzateiges oder der beliebten mediterranen Soßen. Kein Wunder, dass hinter vorgehaltener Hand behauptet wurde, die Familie Sabatini pflege seit jeher Verbindungen zur Cosa Nostra.

Das Geschäft mit den Leichen florierte allerdings erst so richtig, als Tiziana und Francesca als Bestatterinnen den Familienbetrieb übernommen hatten. Reihenweise Männer jeglichen Alters schlossen vorbeugend Verträge ab, in denen ihre ganz persönlichen und organisatorischen Wünsche hinsichtlich eines späteren Ablebens berücksichtigt wurden. Die Vorstellung, von den zarten Händen der hübschen Bestatterschwestern für die letzte Reise gewaschen und in Form gebracht zu werden, führte zu großzügigen Abschlüssen.

Clara hatte sich gewundert, dass ihre Freundinnen nicht den offiziellen Weg einer Leichenüberführung ins Ausland nutzten. Ein paar Fotos aus der Zeit in Sizilien und die Erklärung, dass der Vater in seiner Jugend ein Conquistatore der Herzen gewesen war, verdeutlichte das Problem. Die Andeutung, dass es einige Nachkommen gäbe, die, sollte der Tod publik werden, Anspruch auf einen Teil des Erbes erheben würden, überzeugte Clara schließlich. Auf der nächsten Kreuzfahrtroute platzierte die Umweltoffizierin die schlichte Urne unbemerkt am frühen Morgen ins blaue Regal rechts neben dem Schiff. Einen Augenblick blieb sie noch an der Reling stehen, schaute aufs Meer und beglückwünschte sich still zu der vielversprechenden Geschäftsidee.

Seitdem waren ein paar Jahre vergangen und diverse menschliche Überreste dem Meer überantwortet worden. Das Geschäft der illegalen Urnenversenkungen boomte und hatte inzwischen internationale Dimensionen angenommen, auch wenn Clara Brandis jeweils nur einen Aschekrug pro Hafen an Bord schmuggeln konnte.

Gründe, ihre Dienste in Anspruch zu nehmen, gab es viele. Entweder gedachten die Hinterbliebenen Geld zu sparen oder es war wichtig, der Öffentlichkeit den Tod einer Person vorzuenthalten oder die Ursachen des Ablebens fielen unter das Gebot der Schweigepflicht. Für die meisten Besatzungsmitglieder der Morpheus’ galt die junge Umweltoffizierin als naturverbunden, anders konnten diese sich ihre Vorliebe für Topfpflanzen nicht erklären. Anscheinend besaß sie kein Gefühl für Grünzeug. Egal wie anspruchslos die Gewächse waren, länger als drei Wochen überlebte keinerlei Flora in ihrer Kabine. Wie sollten all die Zimmer- oder besser gesagt Kabinenpflanzen auch überleben, wurzelten sie doch in dem staubigen Substrat, das am Ende einer Kremierung den Familienmitgliedern übergeben wurde.

Ihr letzter Auftrag besaß eine kitschig romantische Komponente. Eine gutsituierte Witwe aus Wilmersdorf wollte dem einzigen Mann, den sie jemals innig geliebt hatte, möglichst nahe sein. Das U-Boot, auf dem er als Funk-Maat gedient hatte, war kurz vor Ende des Zweiten Weltkrieges westlich Madeiras von einem Torpedo getroffen worden. Überlebt hatte niemand. Genau an der Stelle, an der ihr Liebster den letzten Funkspruch abgesetzt hatte, wollte auch sie versenkt werden.

Clara empfand die vergangene Tour auf dem Kreuzfahrtschiff als überaus anstrengend. Durchweg Kurzreisen mit Gästen, die einen Wettbewerb zu veranstalten schienen, wer von ihnen den höchsten Berg Speisen aufeinanderstapeln konnte oder sein Glas in rekordverdächtiger Zeit zu leeren verstand. Einige Male wurde sie von Passagieren mit vollem Mund aufgefordert, das Büfett zu erneuern oder zumindest der Küchencrew Dampf unterm Hintern zu machen.

»Ich bin für die Entsorgung zuständig, nicht für die Versorgung!«, hatte sie einmal wütend geantwortet, als jemand sie mit festem Griff am Arm packte, um darauf hinzuweisen, dass die Mangos zur Neige gingen.

Ihre barsche Reaktion brachte ihr ein ernstes Gespräch bei Kapitän Anton Krusel ein. Seine umfassende Belehrung, welchen Stellenwert Gäste hätten, dass das Personal ersetzbar sei und er auf seinem Schiff keinerlei Unhöflichkeit dulde, beendete er mit der Bemerkung: »Grünpflanzen an Bord sind grundsätzlich verboten. Zuwiderhandlungen gegen die Vorschrift kann Sie Ihre Karriere kosten. Abgesehen davon frage ich mich, was der tatsächliche Grund für den Pflanzenfetisch ist.« Er schaute seine Umweltoffizierin streng an und wartete auf eine Antwort.